[8] Rübezahl
Schauspiel in fünf Aufzügen

Personen

Personen.

    • Rübezahl, ein Berggeist.

    • Quiwi, eine Granitfee.

    • Rüffel, ein Gnom.

    • Raxer, auch ein Gnom.

    • Betty Braun, Kammerjungfer.

    • Victor von Schmalz, ein Steuerbeamter in grüner Uniform.

    • Paschke, ein Hausknecht.

    • Ein Milchmann.

    • Ein alter Schornsteinfeger.

    • Ein junger Schornsteinfeger.

    • Erster Tourist.

    • Zweiter Tourist.

    • Dritter Tourist.

    • Zwerge, Feen, Dorfjugend.

1. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt
Rübezahl. Zwerge.

RÜBEZAHL
einfach gekleidet in grüner Joppe und grauen Beinkleidern – roter, schmaler, sehr langer Vollbart – gestickte Hausschuhe.

Bringt mir die ältesten Stiefel; es sind immer noch die bequemsten. Die Zwerge laufen geschäftig mit verschiedenen Stiefeln umher. Rübezahl setzt sich auf den Divan und die Zwerge bringen nun auch einen grossen Schafspelz, Knotenstock, weisse Pelzmütze und Pelzhandschuhe von links herbei und legens auf die Fellsessel rechts – bürsten und klopfen an den Sachen. Zu einem Zwerge der Zigarren in eine Zigarrentasche steckt und sie dem Rübezahl übergibt, sagt dieser. Ja, mein Sohn, je mehr Du über die Unendlichkeit nachdenkst, um so deutlicher wird Dir klar werden, dass wir, die wir in dieser Unendlichkeit leben, in einer sehr unbegreiflichen Sache leben. Die Welt ist kein A b c- Buch. Er steckt die Zigarrentasche ein und zieht mit Hilfe der Zwerge seine ältesten sehr langen Stiefel an. Und der grosse Zauber, der in dem Unaufhörlichen lebt, sollte auch die Menschen bezaubern Er steht auf. Aber dieses Schweinepack – gebt mir meinen Schafspelz! – lebt lieber wie das liebe Vieh in einer möglichst »beschränkten« WeltEr zieht den Pelz an und geht nach hinten rechts, wo er mehrmals mit seinem Knotenstock heftig auf den Boden stampft.

[10]
2. Auftritt
Zweiter Auftritt
Rübezahl. Zwerge. Raxer.

RAXER
steigt hinten rechts blos mit dem Oberkörper hinter einem Felsstück aus dem Boden heraus.

Schwarzes wirres Haar und dicker schlecht gepflegter Bart. Blaues Kattunhemd. Heil Dir, Rübezahl! Soll es schon losgehen?

RÜBEZAHL
stampft mit dem Fuss auf.

Ja! Und ich will, dass diesmal Alles zittert. Und zehn Tausend Menschen müssen mindestens totgeschlagen werden.

RAXER.

Also: Vulkanausbruch mit grösserem Erdbeben! Jawohl – sie werden alle vergiftet, verbrüht und erstickt! Er versinkt – pfeifend in einem Tone.

3. Auftritt
Dritter Auftritt
Rübezahl. Zwerge. Rüffel.

RÜBEZAHL
zieht die Handschuhe an und setzt die Pelzmütze auf, während Rüffel langsam die Wendeltreppe herunterkommt.
Lebt wohl, Kinder! Jetzt will ich mir mal die Oberfläche der Erde ansehen.
Die Zwerge verbeugen sich linkisch mit Kratzfuss.
RÜFFEL
hellblonde Haare.

Spitzbart. Braune Sammetjoppe. Gelbseidenes Halstuch. Dunkle Beinkleider. Nachlässig. Na? Soll schon wieder mal der Spektakel losgehen? Willst Dir wohl den Schaden ansehen – was?

RÜBEZAHL.

Ja, lieber Rüffel! Gleich gehts los! Pass auf! Er hebt seinen Stock und horcht. Plötzlich furchtbares Gekrache und Getöse – lang andauernd und sehr heftig. Rübezahl steigt währenddem Knotenstock schwingend die Wendeltreppe hinan. Die Zwerge halten sich die Ohren zu und laufen links ab, wahrend Rüffel ganz erschrocken neben dem Divan dem fortgehenden Rübezahl nachblickt.

[11]
4. Auftritt
Vierter Auftritt
Rüffel. Quiwi.

QUIWI
erscheint hinten links und bleibt nach zwei hastigen Schritten stehen.
Ganz feine mattfarbige Schleiergewänder, sehr bleiche Gesichtsfarbe. Rüffel!
RÜFFEL
erschreckend.
Quiwi! Du siehst ja so bleich aus! Was fehlt Dir?
QUIWI
sie spricht zuweilen sehr schnell – und dann wieder stockend – als wenn ihr der Atem ausginge – mit längeren und kürzeren Pausen – aber niemals stotternd.
Ich fühle schon – das andere Leben in mir – ich werde nicht – mehr lange – bei – Euch – sein.
RÜFFEL.
Jetzt schon? Aber Quiwi! Er geht zwei Schritte auf sie zu. Willst Du hinunter? In den Granit?
QUIWI.

Ja, ich will wieder – für lange tausend – Jahre – hinunter – in den Granit – und da – zu Stein werden. Mir fällt es schon – so schwer – zu sprechen. Mir ist so – als würge man mich. – in den Granit – und da zu Stein werden. Mir fällt es schon – so schon – so schwer – zu sprechen. Mir ist so – als würge man mich.

RÜFFEL.
Soll ich was tun für Dich? Sehr weich. Kann ich was für Dich tun?
QUIWI
sehr schnell.

Ja! Ich möchte Dich bitten, mir einen sehr grossen Gefallen zu tun. Kann ich mich – auf Dich – verlassen?

RÜFFEL.
Ja! Sprich!
QUIWI
zwei Schritte hastig nach vorn gehend, sodass sie hinter dem Divan ungefähr in der Mitte zwischen der linken Seitenkulisse und der Mitteltreppe steht.

Rüffel setzt sich im Folgenden rechts auf einen Fellstuhl. Du weisst – ich muss tausend Jahre tief unten im Gestein leben. Aber Du weisst auch, dass ich da in der langen Zeit nicht tot bin – ich führe da nur ein anderes Leben, das vielleicht ähnlich ist – dem Traumleben der Menschen. Aber dasselbe ist es nicht. Es ist sehr viel mehr. Ich weiss da sehr wohl, wo ich bin – und – werde – mich sehr einsam[12] – fühlen – in der langen Zeit. Und deshalb – ach – es eilt so – ich muss Dich bitten – nein – bleib da – setz Dich wieder! Rüffel, der aufgestanden war, setzt sich wieder. Und deshalb – weil ich mich da unten so einsam fühle, möchte ich, dass Ihr Alle unten in meiner Nähe wäret – ich möchte, dass Rübezahl mit seinem Felsenpalaste in die Tiefe sinkt – in die grossen Granitadern hinein – die den Mittelpunkt der Erde – umklammern.

RÜFFEL.
Aber Rübezahl will doch die Menschen – nicht verlassen.
QUIWI.
Und er hasst die Menschen.
RÜFFEL.
Das tut er – weil sie ihm zu beschränkt sind.
QUIWI.
Weil sie – sich nicht – ihm zu Liebe ihren Horizont erweitern lassen.
RÜFFEL.

Ja – aber Rübezahl wird nicht aufhören, sie dafür zu hassen – und zu quälen Getöse von Erdbeben in der Ferne. Und man hört es nur zu oft, wie er sie quält!

QUIWI.
Es ist – aber – doch – sehr einfach, ihn abzulenken; man muss ihm blos – den Menschenhass verekeln.
RÜFFEL
aufspringend.
Allerdings! Wenn du das fertig brächtest –
QUIWI.

Menschen brauchen wir dazu. Ich werde ihm erzählen, dass er in neuer Form die Menschen zwiebeln muss. Und um nun die empfindlichste Art der Menschenzwiebelung kennen zu lernen, müsste er nichtswürdig veranlagte Menschen hier unten ausforschen. Und solche Menschen muss uns Raxer besorgen. Raxer versteht das. Verstehst Du, wie ichs meine?

RÜFFEL.
Ja – ich soll den Raxer vorbereiten – nicht wahr?
QUIWI.
Richtig, aber Du darfst ihm nicht sagen, dass ich dem Rübezahl den Menschenhass – abgewöhnen möchte.
RÜFFEL.

Keineswegs! Aber Raxer geniesst Rübezahls Vertrauen – allerdings – er muss die Menschen besorgen – herbringen – und das kann er auch.

QUIWI.

Fahr hinunter zu ihm – und mach Deine Sache recht gut; Rübezahl kommt bald zurück – mit ihm muss ich allein sprechen.

[13]
RÜFFEL.

Ich werde dem Raxer auseinandersetzen, dass wir die Menschen noch viel empfindlicher treffen müssen – und einen Menschenhass heucheln! Oh – er soll ganz verblüfft sein. Ich gehe mit Dir zusammen! Steht auf, reicht ihr die Hand. Du weisst, mir ist Rübezahls Art auch nicht recht; er sollte seine agitatorischen Allüren ablegen. Was geht ihn das ganze Menschengeschlecht an? Wozu muss er immer seine kosmische Weisheit den Menschenköpfen aufdringen? Wozu? Er will ein geistiger Potentat sein – auch da oben auf der Rinde – und das gelingt ihm nicht – und daher ist er Menschenfeind. Das geistige apostolische Potentatentum hat aber doch sehr komische Seiten. Man sollte sich mehr um sich selber kümmern – und schliesslich nur bei sich selber bleiben, Er küsst ihre Hand und lässt sie los, geht nach hinten rechts hinter den Felsblock und sinkt im Folgenden langsam in die Tiefe. Auf Wiedersehen, liebe Quiwi! Bleibe fest! Du sollst nicht einsam unten sein.

QUIWI.
Sei schnell!
5. Auftritt
Fünfter Auftritt
Quiwi. Feen.
Quiwi setzt sich auf den Divan und drückt auf eine Tischglocke, die tief in einem Tone ertönt.

ERSTE FEE
wie die andern von hinten links herbeikommend.
Was wünschest Du?
QUIWI.
Die Fingerspitzen werden mir so kalt.
DIE FEEN
reiben die Fingerspitzen und hauchen sie an – dabei durcheinander schwatzend.

Die sind ja schon so kalt. Arme Quiwi! Willst Du noch etwas? Sollen wir immer bei Dir bleiben? Wirst Du uns auch nicht vergessen? Erzähle uns doch, wie Dir unten zu Mute ist.

QUIWI.
Das erzähl ich Euch später.
ERSTE FEE.
Aber wenn Du früher starr wirst?
QUIWI.

Plötzlich kommt es nicht. Ich merks vorher. Ich danke [14] Euch für die Erwärmung. Wenn Rübezahl kommt, so geht gleich fort. Ich will mit ihm allein sein.

ERSTE FEE.
Er kommt ja schon! Hör doch!
DIE ANDERN FEEN
durch einander.

Wir gehen schon. Lebe wohl, Quiwi! Vergiss uns nicht, wenn Du unten bist. Ruf uns nur, wenn Du was willst.Links ab.

6. Auftritt
Sechster Auftritt
Quiwi. Rübezahl.

RÜBEZAHL
polternd die Treppe runterkommend.
Quiwi? Du hier? Du siehst ja so bleich aus!
QUIWI.

Ich werde nicht mehr lange in Deiner Nähe sein. Ich muss wieder hinunter. Die Fingerspitzen werden mir schon so kalt. Und – mit – der Sprache – wills zuweilen – garnicht mehr gehen. Auch in den Füssen hab ichs – und dann zuckts oft durch den ganzen Körper.

RÜBEZAHL.
Aber warum hast Du das nicht früher gesagt?
QUIWI.
Ich habs erst vor ein paar Stunden bemerkt.
RÜBEZAHL.
Ja – willst Du denn schon hinunterfahren – zum Mittelpunkt?
QUIWI.
Noch nicht – aber bald.
RÜBEZAHL
setzt sich, ohne abzulegen, vor ihr auf einen Fellstuhl.
Armes Kind! Wenn ich Dir eine Erleichterung schaffen könnte!
QUIWI.
Lass nur! Du hast ja so viel mit den Menschen zu tun.
RÜBEZAHL.
Oh, du wirst bitter.
QUIWI.
Du irrst Dich; ich möchte Dir vor – meinem Fortgange – noch einen – Gefallen – tun.
RÜBEZAHL.
Aber Quiwi! Willst du auch anfangen, die Menschen zu hassen?
QUIWI.

Dazu werde ich unten keine Zeit haben – aber ich könnte Dir sagen, wie Du Deinen Menschenhass schärfer zum Austrage [15] bringen könntest.

RÜBEZAHL.
So? Na wie?
QUIWI.

Menschen selber wissen es am besten, wie Menschen am heftigsten gequält werden. Du musst Dir ein paar Menschen herbringen lassen und von ihnen zu erfahren suchen, wie man am stärksten die Menschen verwundet.

RÜBEZAHL.
Der Einfall ist gut.
QUIWI.

Doch die Sache eilt. Ich kann nicht mehr lange hier sein – und ich möchte Dir doch – beim Ausforschen der Menschen – etwas – behilflich sein.

RÜBEZAHL.

Quiwi, ich danke Dir! Du weisst, was mir fehlt! Du weisst, wie mich die Wut zernagt. Ich habe vergeblich mich bemüht, den Menschen grössere Welträume aufzutun. Die Menschen sind gemein und erbärmlich, und meine Freundlichkeit ist zum wilden Hass geworden. Sie sollen jetzt mit Gewalt aufgerüttelt werden. Wo die guten Worte nicht mehr ziehen wollen – da soll die Peitsche ziehen. Ich muss wirklich – Du hast ganz Recht – schärfer vorgehen – und wie man das macht – Du hast wirklich ganz Recht – das kann man am besten von den Menschen selber erfahren.

QUIWI.
Von den erbärmlichsten schlechtesten Menschen.
RÜBEZAHL.
Und die willst Du hier empfangen?
QUIWI.

Sage dem Raxer, er möchte mir die Menschen bringen – ich werde ihm hier sagen, wie ichs haben möchte.

RÜBEZAHL.
Gleich?
QUIWI.
Ja – gleich!

Rübezahl klopft hinten rechts mit dem Stock und Raxer erscheint wie im ersten Auftritt.
7. Auftritt
Siebenter Auftritt
Quiwi. Rübezahl. Raxer.

RAXER.
Heil Dir, Rübezahl! Was giebts Neues?
RÜBEZAHL.
Tu Alles, was die Quiwi Dir sagen wird – und tus [16] gleich – so schnell Du kannst – komm rauf.
QUIWI.
Ich danke Dir.
RÜBEZAHL.

Ich habe Dir zu danken Küsst ihr die Hand und geht hinten links ab, während Raxer in die Mitte kommt und sich dort auf einen Fellstuhl setzt – der Quiwi gegenüber, die auf dem Divan sitzen bleibt wie im vorigen Auftritt.

8. Auftritt
Achter Auftritt
Quiwi. Raxer.

RAXER
schüttelt den Kopf.
Dir geht's nicht gut.
QUIWI.
Meine Zeit ist um.
RAXER.
Da tu' ich Dir gerne jeden Gefallen.
QUIWI.
Ich danke Dir!
RAXER.
Sprich nur!
QUIWI.

Die Sprache – fällt – mir – schon schwer. Sieh – wenn ich unten bin, wird mirs zuweilen schmerzhaft sein, wenn ich was von den Erdbeben höre. Und deshalb möchte ich, dass Rübezahl die Menschen in anderer Weise quält – in einer empfindlicheren Weise.

RAXER.

Oho! Bist du auch zum Menschenfeinde geworden? Vor zwei Minuten hörte ich den Rüffel in derselben Tonart blasen. Denke nur: Rüffel! Rüffel, der sonst nur Welten schaffen will – der dazu fortwährend neue Wesen – mit neuen Leibern – in Ton knetet! Dieser Rüffel will jetzt auch blos die Menschen hassen! Die Sache kommt mir beinahe verdächtig vor.

QUIWI.

Garnichts ist daran verdächtig; ich habe mit Rüffel bereits gesprochen – und zu Dir sprach er in meinem Auftrage.

RAXER.

Ach so! Na – denn entschuldige! Ich gebe im Uebrigen zu, dass die Erdbeben den Menschen garnicht empfindlich genug treffen; das einfache Totschlagen macht den Hass nicht kühl.

QUIWI.
Also: Du weisst schon!
[17]
RAXER.

Ja – ich soll Menschen besorgen, von denen wir das Menschenschinden besser lernen können. Etwas demütigend, dass wir das nicht selber besser wissen. Aber mir leuchtet wohl ein, dass die Gnome nicht so genau die menschliche Natur kennen dürften – wie die Menschen selbst.

QUIWI.

Und wir brauchen Dich, denn Du bist Sammler! Du sammelst nicht blos schöne Steine – sondern auch schöne Menschencharaktere.

RAXER
holt einen Rubin vor.
Ja – und nun braucht Ihr meine Sammlungen! Schenkt ihr den Rubin.
QUIWI.

Ich danke Dir! Ich danke Dir! Drückt ihm die Hand. Aber – hast Du auf Lager, was ich meine? Und – kannst Du mir so was – Schauderhaftes – herbringen?

RAXER.
Willst Du Leute, die Millionen unterschlugen?
QUIWI.
Sie sind besser als ihr Ruf.
RAXER.
Massenmörder?
QUIWI.
Oft blos Produkte krankhafter Liebe.
RAXER.
Machthaber? Echte Machthaber?
QUIWI.
Die sind mir alle – nicht raffiniert genug.
RAXER.
Ah – vielleicht unechte Machthaber?
QUIWI.
Also: Pseudopotentaten! Ja – das wäre was.
RAXER.
Mit Beamtencharakter oder Spekulanten?
QUIWI.
Mit Beamtencharakter.
RAXER.
Ich kenne einen Steuerbeamten.
QUIWI.
Gut! Und ausserdem?
RAXER.
Ausserdem? Ich empfehle Dir den Gegensatz – einen Stiefelputzer – Hausknecht – gemeine Dreckseele –
QUIWI.
Gut! Nun noch was Verrücktes!
RAXER.
Ein Weib!
QUIWI.
Gut! Ein brutalisiertes – fortgeworfenes!
RAXER.
Aber gesellschaftlich geschliffen muss es sein.
QUIWI.
Gut! Gut! Das wären Drei – bitte – bitte – bring sie mir!
RAXER.
Gleich?
QUIWI.
Gleich – ja!
RAXER.

Gut! Lebe wohl! Er drückt ihr die Hand und geht eilig [18] mehrere Stufen zugleich nehmend die Wendeltreppe hinauf-pfeifend.

9. Auftritt
Neunter Auftritt
Quiwi allein.

QUIWI.

Er tut – was ich will! Sich aufstützend. Das ist ein gewandter Gnom! Und er sieht – immer – so ruppig aus! Aber von den – geistigen Potentaten – sprach er nicht! Natürlich! Die sind ja auch nicht böse! Sie sind anders. Rübezahl! Rübezahl ist ein geistiger Potentat und – ein schöner Wüterich! Und der – soll nicht böse sein? Lacht. Ich danke schön! Er ist voll Ingrimm – und der – ist auch – böse. Jetzt fallen mir – die Augen zu! Wer ist – hier – bei – mir? Rüffel steigt rechts aus der Versenkung heraus.

10. Auftritt
Zehnter Auftritt
Quiwi. Rüffel.

QUIWI.

Wenn ich auch nicht sehe – so weiss ich doch, was vorgeht. Rüffel starrt sie, ohne mit dem ganzen Körper nach oben zu kommen, weit vornüber gebeugt mit grossen Augen an. Schon beginnt – für mich – das andre Leben. Die ersten Fieberschauer – kommen schon. Ich bleibe – nicht mehr lange – bei Euch. Und ich sehe doch durch alle Felsen durch – und sehe, was Ihr wollt und tut: Rübezahl wütet – Raxer tut, was ich will – und Rüffel tut, was er will. Und in der grossen Welt – zerfliessen wieder – tausend Schleier. Und viele viele Wesen lernen tiefer hineinschauen – in die grosse weite Welt. Und ich sehe, wie sie das lernen – langsam, aber mit Beharrlichkeit tun sies. Und die Schleier zerfliessen – und die Augen sind nicht mehr nötig – andre Tastsinne recken sich auf – und die tasten noch weiter [19] hin Mit erhobenen Händen. in die Welt hinein – durch alle Sterne durch – in manches Geheimnis – und in neue Dinge – über die sich Alle wundern. Dass aber so sehr viel Neues näher rückt – so sehr viel – immer näher! Ich fürchte mich – es rückt mir – zu nah! – das Neue! – Es drückt mich!


Sie sinkt zurück. Zwei kleine Zwerge steigen – mühsam eine Stange Gold tragend – die Treppe runter. Rüffel ist unbeweglich.
Vorhang.

2. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt
Rüffel. Raxer.

RAXER
dessen Kopf hinterm rechten Fenster dicht überm Fussboden erscheint.
Die drei Menschen sind schon da.
RÜFFEL
am runden Tisch sitzend, sich umdrehend.
Wo sind sie?
RAXER.
Sie werden Euch feierlichst hinter einander vorgestellt werden.

Legt sich mit dem Oberkörper auf den Fussboden, ohne aus dem Fensterrahmen herauszukommen.
RÜFFEL.
Weisst Du auch, Raxer, dass ich lieber Sammler sein möchte, so wie Du es bist?
RAXER.
Das weiss ich nicht, glaubs auch nicht.
RÜFFEL.
Du glaubst sehr selten, immer bist du misstrauisch.
RAXER.

Ja, dazu haben wir doch Ursache! Wir, die wir so vieles durchschauen, uns selber und uns gegenseitig durchschauen wir doch nicht; Du durchschaust mich nicht – und ich durchschaue Dich nicht. Das musste wohl so kommen; der weite Blick, den wir hier unten haben, ist in der Nähe nicht zu gebrauchen.

RÜFFEL.

Dann will ich Dir sagen, was ich dachte: ich dachte an Rübezahl und Raxer und an die Quiwi und an mich selbst, und dabei kams mir so vor, als ob ich selbst das schwerste Leben führen musste – denn ich will neue Ideen nicht blos hervorbringen, ich will sie auch festhalten, ausgestalten und plastisch niederlegen – während Ihr Alles ruhig im Kopfe herumwälzet und nichts Neues zur äusseren Erscheinung macht. Rübezahl und Du – Ihr macht Euch die nötige Bewegung blos durch den einfachen Hass.

RAXER.

Ha! Ha! Dacht' ichs mir doch! Der »einfache« Hass! Lieber Rüffel, ich hatte also doch Recht, Quiwi erscheint von links. als ich an die Ehrlichkeit Deines Menschenhasses nicht glauben mochte.

[21]
2. Auftritt
Zweiter Auftritt
Rüffel. Raxer. Quiwi.

QUIWI.

Von Ehrlichkeit des Menschenhasses ist bei uns auch nie die Rede gewesen; es erschien uns aber der Menschenhass als gutes Mittel, stärkere Erregungen auf der Erde zu erzeugen – und darum ...

RAXER
setzt sich im Fensterrahmen auf den Fussboden.
Und darum? Also Euch ist der Menschenhass eigentlich blos Mittel zum Zweck?
QUIWI
setzt sich links an den Tisch.
Allerdings!
RÜFFEL.

Der Hass schafft, wie ich schon bemerkte, Dir und dem Rübezahl die erwünschte Bewegung – der Hass kann also auch an andern Stellen die erwünschte Bewegung hervorrufen.

RAXER.

Na – wir reden darüber später noch einmal. Ich traue Euch nicht, aber ich schicke Euch trotzdem die erbetenen Menschen zu. Versinkt hinter dem Fenster.

3. Auftritt
Dritter Auftritt
Rüffel. Quiwi.

RÜFFEL.
Er merkt was.
QUIWI.
Das scheint mir auch so.
RÜFFEL.
Was ist da zu machen?
QUIWI.
Garnichts.
RÜFFEL.
Ob wir ihm die Wahrheit sagen?
QUIWI.
Er ist zu hart. Aber ich wills mir überlegen. Raxer tut, was ich will. Rüffel – tut – was – er will.
RÜFFEL.
Ich tue nicht, was Raxer will.
QUIWI.
Nein, Du tust, was Du selber willst.
RÜFFEL.
Doch unsre Wünsche begegnen sich.
QUIWI.
Also: Interessengemeinschaft!
RÜFFEL.
Nu ja! Aber die knüpft oft fester an einander als die – simple – Sympathie.
[22]
4. Auftritt
Vierter Auftritt
Rüffel. Quiwi. Viktor v. Schmalz. Zwei Feen.

QUIWI.
Ah! Sie kommen!

Durch den Eingang in der rechten Seitenkulisse kommt eine Fee herunter, der Herr von Schmalz folgt – hinter diesem die zweite Fee.
RÜFFEL.
Wollen wir mit dem Menschen allein verhandeln?
QUIWI.
Oh! Meine Feen können ruhig zugegen sein.
VON SCHMALZ
wirft unmutig den Kopf zurück, legt die Hand militärisch grüßend an seine Mütze und sagt scharf.
Mein Name ist von Schmalz, mit wem habe ich die Ehre?
QUIWI
während sich die Feen links auf zwei Stühle setzen und sich eifrig im Folgenden gegenseitig was ins Ohr flüstern.

Ja, setzen Sie sich zunächst auf jenen Stuhl. Von Schmalz setzt sich rechts vom Tisch der Quiwi gegenüber, neben Rüffel.

RÜFFEL.
Haben Sie schon im Zuchthaus gesessen?
VON SCHMALZ
aufspringend.
Mein Herr, ich bin es nicht gewohnt, mich beleidigen zu lassen.
QUIWI.
Setzen Sie sich zunächst wieder.

Er tuts zögernd.
VON SCHMALZ.
Meine Gnädigste, ich verstehe garnicht – bin ich hier unter Räubern und Dieben?
QUIWI.
Sie sind in Rübezahls Felsenpalast.
VON SCHMALZ.
Sie sind scharmant, meine Gnädigste.
QUIWI.
Und Sie sind sehr dreist. Aber das schadet unter den obwaltenden Umständen keineswegs.
VON SCHMALZ.
Jetzt möchte ich aber wissen, was Sie eigentlich von mir wollen.
QUIWI.
Sie sollen uns erzählen, wie man die Menschen in der infamsten Weise malträtieren kann.
VON SCHMALZ.

Ich? Sie verwirren mich. Ich verstehe nicht – soll ich als Steuer-Beamter Ihre – Schmuggelgeschäfte – fördern?

RÜFFEL.
Der Herr von Schmalz ist ziemlich gewandt. Wir werden uns später schon verständigen.
VON SCHMALZ.
Mein Herr, bevor Sie mir nicht Satisfaktion gegeben haben, spreche ich mit Ihnen kein Wort.
[23]
RÜFFEL.
Herr von Schmalz, ich bin ein Gnom.
VON SCHMALZ.
Und ich bin königlicher Beamter.
RÜFFEL.
Sie können das ruhig bleiben.
5. Auftritt
Fünfter Auftritt
Die Vorigen. Paschke und mehrere Zwerge.

QUIWI.
Herr von Schmalz, warten Sie doch die Aufklärung ab.

Paschke wird von den Zwergen auch von rechts wie von Schmalz eingeführt.
VON SCHMALZ.
Ihnen, mein Fräulein, stehe ich jederzeit zu Diensten.
QUIWI
zu Paschke.
Wie heissen Sie und was sind Sie?
PASCHKE.
Ich heisse Paschke und bin eigentlich ein verbummeltes Genie.
RÜFFEL.
Womit verdienen Sie Ihren Lebensunterhalt?
PASCHKE.
Momentan bin ich Hausknecht – Hausknecht im vornehmsten Hotel meiner Vaterstadt.
QUIWI.
Setzen Sie sich an unsern Tisch.
VON SCHMALZ
aufspringend.
Meine Gnädigste, mit einem Hausknechte sitz ich nicht an einem Tisch. Ich bedaure sehr.
QUIWI
zu den Feen.

Führt Herrn von Schmalz in ein Nebenzimmer und nehmt die Zwerge gleich mitDie Feen gehen mit Herrn von Schmalz und den Zwergen links ab in die Seitenkulisse nach unten, während sich Paschke aus den Stuhl des Herrn von Schmalz setzt.

6. Auftritt
Sechster Auftritt
Quiwi. Rüffel. Paschke.

PASCHKE.

Meine sehr verehrten Herrschaften! Ich erkläre Ihnen gleich ohne alle Umstände, dass Sie ganz frei über mich verfügen [24] können. Die gradezu glänzende Maskerade in diesem unterirdischen Schlosse hat mich einfach geblendet. Sagen Sie, was ich tun soll – ich tus – und wenns auch gefahrvoll ist.

QUIWI.

Sehr gut! Sie brauchen sich aber unsertwegen nicht in Gefahren zu stürzen. Sie sind hier in Rübezahls Palast.

PASCHKE.
Oh! Ich verstehe – verstehe ganz genau.
QUIWI.

Ach, Sie missverstehen blos. Denken Sie mal darüber nach, wie man den Menschen die intimsten Schmerzen bereiten könnte.

PASCHKE.
Allen die Zähne einzeln ausziehen.
QUIWI.
Das geht zu schnell – etwas, das länger weh tut.
7. Auftritt
Siebenter Auftritt
Rüffel. Quiwi. Paschke. Raxer. Betty Braun.

RAXER
der mit der Betty Braun von unten aufsteigend wieder hinter dem rechten Fenster erscheint und der Betty behilflich ist, durchs Fenster ins Zimmer hineinzuklettern.
So! Da wären Sie also auch an Ort und Stelle. Ist der Herr von Schmalz schon wieder fort?
QUIWI.
Fortgeschickt.
RAXER.
Taugt er nichts?
RÜFFEL.
Eine vortreffliche Nummer.
RAXER.
Na – das freut mich! Fräulein Betty Braun steht vor Euch – eine Kammerjungfer!
BETTY
sich verbeugend mit schwedischem Knix.
Aufzuwarten!
QUIWI.
Setzen Sie sich an unsern Tisch.

Betty tuts mit dem Rücken gegen das Publikum.
RAXER.
Drüben sehe ich den Herrn Rübezahl in den Goldadern herumwühlen.
QUIWI.
Bring ihn her, lieber Raxer. Ich sage Dir übrigens vorläufig meinen allerschönsten Dank.
RAXER.
Hat nichts zu sagen.

Versinkt wieder rechts.
[25]
BETTY.
In den Goldadern? Ach hier ist es herrlich!Blickt umher.
8. Auftritt
Achter Auftritt
Quiwi. Rüffel. Betty. Paschke.

QUIWI.
Lieber – Rüffel – ich bekomme – plötzlich wieder – einen Krampf. Die Finger reiben!

Sinkt zurück.
BETTY.
Oh! Die Finger spitzen?

Hat Quiwis Hände ergriffen und reibt sie.
RÜFFEL
aufstehend.
Quiwi! Geht es vorüber?
QUIWI.
Es – wird schon wieder – besser!

Erholt sich.
RÜFFEL
ans linke Fenster tretend.
Rübezahl kommt schon.
QUIWI
zu Betty.
Ich danke Ihnen.
9. Auftritt
Neunter Auftritt
Rübezahl. Quiwi. Rüffel. Betty. Paschke.

RÜBEZAHL
durchs linke Fenster rasch und behende einsteigend – gekleidet wie am Anfange des ersten Aufzuges.
Also: das Gesindel ist schon in meinem Palast? Zu Paschke. Wer bist Du?
PASCHKE
aufstehend und sich nachher wieder setzend.
Ich bin der Hausknecht Paschke.
BETTY
auch aufstehend und sich dann wieder hinsetzend.
Ich bin die Kammerjungfer – die Betty.
RÜBEZAHL.
Da soll ja noch son grüner Kerl sein – wo ist der denn?

Er setzt sich hinten an den Tisch, so dass sein Gesicht dem Publikum zugekehrt ist. Vom Publikum aus gesehen sitzt Rüffel rechts vom Rübezahl, Quiwi links, Betty neben der Quiwi, Paschke neben Rüffel.
RÜFFEL.
Der Grüne ist im Nebenzimmer.
Raxer steigt durchs linke Fenster auch herein.

[26]
10. Auftritt
Zehnter Auftritt
Die Vorigen. Raxer.

RAXER.
Den Grünen werde ich holen – ich schick ihn gleich her.

Links durch die Seitenkulisse nach unten ab.
RÜFFEL.
Ich begleite Dich. Folgt dem Raxer.
11. Auftritt
Elfter Auftritt
Rübezahl. Quiwi. Betty. Paschke.

RÜBEZAHL
zu Quiwi.
Nun? Bist Du zufrieden mit dem Menschenpack?
QUIWI.
Ich danke Dir, Rübezahl!
RÜBEZAHL.

Ein Hausknecht und eine Kammerzofe in meinem Felsenpalast! So was ist auch noch nicht dagewesen. Und was ist der Grüne?

QUIWI.
Ein Steuerbeamter, der uns für eine Räuberbande hält.
RÜBEZAHL
auf den Tisch schlagend.
Donnerwetter! Im Ernste? Na, die Geschichte wird gut. Lacht.
12. Auftritt
Zwölfter Auftritt
Rübezahl. Quiwi. Betty. Paschke. Von Schmalz.

VON SCHMALZ
von links hereinkommend und gleich auf Rübezahl zugehend – schneidig.
von Schmalz!
RÜBEZAHL.
Setz Dich, mein lieber Schmalz!
VON SCHMALZ
bleibt stehen und dreht sich wütend den Schnurrbart.
Ich bin ein königlicher Beamter.
RÜBEZAHL.

Du bist mir als Bösewicht und Menschenschinder gut empfohlen. V. Schmalz setzt sich. Ich will hoffen, dass Du [27] der Empfehlung Ehre machst. Sonst könnte Dirs schlecht gehen.

QUIWI.
Entschuldige mich – mir ist nicht wohl Geht nach rechts oben ab.
13. Auftritt
Dreizehnter Auftritt
Rübezahl. Betty. Von Schmalz. Paschke.

RÜBEZAHL.
Sag mal, edler Schmalz, Du denkst, Du wärst hier in einer Räuberhöhle?
VON SCHMALZ.
Das soll ich gesagt haben?
RÜBEZAHL.
Ach so! Du hast das garnicht gesagt?
VON SCHMALZ.
Ist mir nicht eingefallen.
RÜBEZAHL.

Eine saubere Gesellschaft! In meinem Palast – ein Steuerbeamter! Steht auf und geht nach links. Wartet hier – ich komme gleich zurück! Raxer! He! Raxer! Links nach unten durch die Seitenkulisse ab.

14. Auftritt
Vierzehnter Auftritt
Betty. Von Schmalz. Paschke.

VON SCHMALZ
zu Paschke.

Herr Paschke, entschuldigen Sie bitte mein Benehmen von vorhin – aber ich wollte versuchen – mit Schneidigkeit – durchzudringen.

PASCHKE
der rechts am Tische sitzt, während von Schmalz links ihm gegenüber sitzt.
Begriff sofort – aber Schneidigkeit hier ganz verfehlt.
VON SCHMALZ.
Mit den Wölfen muss man heulen.
PASCHKE.
Mitgefangen – mitgehangen.
VON SCHMALZ.

Sie spassen noch – aber mir wird unheimlich zu Mute. Wir sind hier in die grösste Schmugglerbande hineingeraten – und ich weiss garnicht wie.

[28]
BETTY.

Meine Herren, mir kommt die Geschichte sehr romantisch vor. Steht auf. Gestatten Sie, dass ich mich auf Rübezahls Stuhl setze, Tuts. Ich will mal sehen, wie ers aufnimmt. Der rotbärtige Kerl ist auch so romantisch. Und ich liebe die Romantik.

VON SCHMALZ.
Wenn wir diese Gesellschaft an den Galgen bringen könnten! Das gäbe eine schöne Belohnung!
BETTY.

Aber, meine Herren! Sehen Sie sich doch lieber die Goldadern an! Rechts und links neben mir Goldadern! Was bedeutet dagegen eine staatliche Belohnung? Machen Sie gute Miene ...

VON SCHMALZ
dreht sich um zum linken Fenster.
Goldadern? Springt auf. Alle Wetter!
PASCHKE
springt auch auf und legt sich vor dem rechten Fenster lang hin auf den Bauch, so dass er mit dem Kopf über den Fussboden hinunterblicken kann in die Bergwerke.
Das sieht so wie Gold aus. Hier ist ein Stück. Langt mit den Armen runter. Das Gold ist echt.
VON SCHMALZ
hat sich ebenso wie Paschke vor dem linken Fenster hingelegt.
Da kann man ja – den Verstand verlieren.
BETTY.
Verlieren Sie nur nicht das Gleichgewicht.
15. Auftritt
Fünfzehnter Auftritt
Rübezahl. Raxer. Betty. Von Schmalz. Paschke.

RÜBEZAHL
der mit Raxer von links heraufkommt.
Liegenbleiben! Weh dem, der sich rührt!
BETTY
sitzend hastig.

Die beiden Männer sehen nach den Goldadern – sie wollen sich wahrscheinlich die Taschen vollstecken. Ich aber, Herr Rübezahl, verachte das Gold – und deswegen habe ich mich mit dem Rücken gegen diese Wand gesetzt. Entschuldigen Sie nur, dass ich mich dabei aus Versehen auf Ihren Stuhl gesetzt habe.

[29]
RAXER.
Nein – so was! Die Betty will wohl mehr als Gold.
RÜBEZAHL.
Scheint mir auch so – Brillanten sind wertvoller.
BETTY.
Ich verachte auch die Brillanten.
RAXER.
Hier hast Du einen.

Gibt ihr einen Brillantring.
BETTY.
Ich nehme ihn für meine Mutter.

Nimmt.
RAXER.
Ein gutes Kind!
RÜBEZAHL.
Steht alle auf!

Alle drei springen auf.
VON SCHMALZ.
Herr Rübezahl, ich bitte um ein Gespräch unter vier Augen.
RÜBEZAHL
zögernd.

Na – meinetwegen! Raxer, führ die beiden andern Menschen nach unten. Ich klopfe nachher. Raxer mit den Beiden nach links ab.

16. Auftritt
Sechzehnter Auftritt
Rübezahl. Von Schmalz.

RÜBEZAHL
setzt sich rechts an den Tisch, von Schmalz im Folgenden links.
Also: möglichst kurz!
VON SCHMALZ
eilfertig.

Nur kurz und schnell möchte ich Ihnen, Herr Rübezahl, sagen, dass ich jetzt verstehe, was sie von uns wollen. Es liegt Ihnen, der sie ein ausserordentlich reicher Mann sind, sehr viel daran, Ihre Macht in schärfster Weise zu betätigen. Und man betätigt seine Macht dadurch, dass man die Niedrigergeborenen die ganze Schwere seiner Faust fühlen lässt. Und darum wollen Sie, Herr Rübezahl, immer neue Ideen haben, das niedrigergeborene Volk zu malträtieren. Ihre Frau Gemahlin sagte mir das so nebenbei, dass ichs anfänglich für einen Scherz hielt. Aber jetzt bin ich meiner Sache sicher, und ich erkläre Ihnen hiermit unter vier Augen, dass ich Sie in vorzüglicher Weise bedienen kann und will. Ich verstehe vollkommen, dass der Reichtum leicht eine grosse Reizbarkeit erzeugt, die – sagen wirs einfach – grausam macht. Und ich stehe auch ganz auf dem Standpunkte, dass der Machthaber allein das Recht hat, sich auszuleben. Ein Machthaber[30] muss zunächst das Selbstbewusstsein der Menschen zerbrechen; straffe Tonart ist nötig. Der Boden ist heute gut vorbereitet – und ich kenne die besten Düngemittel. Es dreht sich darum, die Menschen so zu drillen, dass ihnen garnicht mehr – ein grösseres Gesichtsfeld – übrigbleibt.

RÜBEZAHL
steht auf und stampft mit dem Stuhl auf.

Sie müssen, Herr von Schmalz, über die radikale Zerstörung des menschlichen Gesichtsfeldes weiter nachdenken.

VON SCHMALZ.
Mein Losungswort heisst: die Gedankentätigkeit der Menschen ständig kontrollieren und unfrei machen.
17. Auftritt
Siebzehnter Auftritt
Rübezahl. Von Schmalz. Raxer.

RAXER
von links herauf.
Was beliebst Du zu befehlen?
RÜBEZAHL.
Sei so gut und gib dem Herrn von Schmalz ein Zimmer zum Nachdenken und schicke mir den Paschke.
RAXER.
Soll geschehen! Geht mit von Schmalz rechts nach oben ab.
18. Auftritt
Achtzehnter Auftritt
Rübezahl allein.

RÜBEZAHL
während er die Stühle, auf denen die Menschen gesessen haben, mit seinem blauseidenen Taschentuch abstäubt und abwischt – mit kürzeren und längeren Pausen – leise murmelnd.

Dieses Erbärmliche – in meinem Palast? Die Gemeinheit – hier? Da könnte ich ja rasend werden. Was hat die Quiwi getan? War das ein Attentat? Ist das eine Verhöhnung meines Menschenhasses? Oder – soll wirklich eine Steigerung meines Menschenhasses erfolgen? Diese Brut sollte man – ja – natürlich – allerdings – es genügt nicht – einfach –[31] durch Erdbeben – zu töten. Paschke von links unten – anfangs von Rübezahl nicht bemerkt. Man sollte grausamer vorgehen. Ja – sollte man grausamer vorgehen? Sind sie auch die Aufregung noch wert? Allerdings – man sollte – ah! – der Herr Hausknecht. Sehr erfreut!

19. Auftritt
Neunzehnter Auftritt
Rübezahl. Paschke.

PASCHKE
stramm stehend, während Rübezahl zuweilen noch halb in Gedanken mit seinem blauen Taschentuch die Stühle berührt.
Gestatten Sie mir, zu sprechen?
RÜBEZAHL.
Ja, Du Schuft.
PASCHKE
lächelnd.

Wie süss das klingt! Herr Raxer hat mich schon informiert. Sie wünschen, wie ich annehme, die Unruhe in der Welt zu vermehren. Sammeln Sie – die verkommenen Existenzen, die vom Schicksal einfach – zu Krüppeln gemacht sind. Mit einer Gesellschaft von diesen Leuten, die zu Allem fähig sind, können Sie auch Alles machen. Die Saat ist heute reif – nur schnell zupacken. Ich bin nicht so anmassend, dass ich mir einbilde, ganz alleine die schärfsten Infamitäten ausbrüten zu können. Aber – gestatten Sie mir, die Unterdrückten – die Leute, die ihr Selbstbewusstsein verloren haben – die eine sogenannte Würde nicht mehr kennen – hierherzubringen. Sie werden dann bedient werden, dass Ihr Temperament –

RÜBEZAHL.
Dass meine Wut – meinen Sie – zur Raserei wird – nicht wahr?
PASCHKE.
Ganz richtig! Eine Gesellschaft von Schweinhunden –
RÜBEZAHL.
Raxer! Raxer! Raxer!
[32]
20. Auftritt
Zwanzigster Auftritt
Rübezahl. Paschke. Raxer.

RAXER
der von unten links kommt und die Betty zurückhält, sodass im Folgenden blos zuweilen ihr Kopf hinter der Treppenbrüstung zu sehen ist.
Ich komme ja schon!
RÜBEZAHL.

Dieser Schuft will, dass ich die grössten Schweinhunde zu Gaste lade! In meinem Palast sollen sie Tag und Nacht – Infamitäten ausbrüten! Zum Donnerwetter! Da könnt' ich ja gleich die ganze Menschheit hier aufnehmen – als wärens meine Freunde! Wollt Ihr mich rasend machen? Fort mit diesem Schuft! Bring den Kerl ins Eiszimmer, damit er sich abkühlt! Raus mit ihm!


Raxer packt dem Paschke ins Genick und rennt mit ihm rechts nach oben ab, während die Betty von links ganz heraufkommt und der Rübezahl erschöpft auf einen Stuhl sinkt und den Kopf zwischen den Armen auf den Tisch legt.
21. Auftritt
Einundzwanzigster Auftritt
Rübezahl. Betty.

BETTY
langsam zu Rübezahl schleichend und sich ihm zu Füssen werfend.

Vergib mir! Vergib mir! Ich war vorhin so – herausfordernd. Ich setzte mich auf deinen Stuhl, um Dich zu reizen. Oh – vergib mir! Du kannst machen mit mir, was Du willst. Ich bin nicht mehr das gebrochene Weib – ich bin ganz umgewandelt – und will nur noch das, was Du willst. Ich gehe für Dich in den Tod. Ich will für Dich morden und stehlen, betrügen und lügen – hassen und lieben – so wie Du befiehlst. Peitsch mich! Töte mich! Tu mit mir, was Du willst! Dich suchte ich! Du bist voll ewiger Wut – denn Du bist auch verwundet und zurückgestossen wie ich. Und so gehören wir zusammen. Wir wollen uns zusammen Rache verschaffen. Ich will jeden [33] an mich ketten und ihn dann langsam – vergiften – bis – bis er – wahnsinnig wird. Unter tausend Küssen will ich jedem erzählen, wie süss der Menschenhass ist. Oh – der Menschenhass ist heute schon so modern – sie werden drauf reinfallen – und dann – sollen sie toben – und wir werden lachen dazu – ein erquickendes Lachen.

22. Auftritt
Zweiundzwanzigster Auftritt
Rübezahl. Betty. Quiwi.

QUIWI
die von rechts oben erscheint und das Letzte gehört hat – hastig zur Betty.
Steh sofort auf! Und laufe da drüben fort – so weit Du kannst.
BETTY
langsam aufstehend.
Warum?
QUIWI
mit erhobenen Fäusten.
Verfluchte Natter! Ich wills! Sie kommt runter, und die Betty geht langsam rückwärts.
BETTY
sich plötzlich umdrehend und links nach unten davon laufend.
Ihr seid ja alle verrückt – verrückt!
RÜBEZAHL.

Was war das? Es zuckte was durchs Zimmer – wie Blitze – komm her – setz Dich still hin – die Blitze sind fort.

23. Auftritt
Dreiundzwanzigster Auftritt
Rübezahl. Quiwi.

QUIWI
setzt sich links vom Tisch dem Rübezahl gegenüber – der sie während des Folgenden unbewegt anblickt.

Wenn Du wüsstest – was mich bewegt! Schon geht Alles, was ich sehe, langsam zurück – und es wird bald kleiner und dann wieder grösser. Und ich möchte, dass Du das, was ich empfinde, mitempfinden könntest. Meine Ohren hören schon anders als sonst – viel mehr – ferne Melodieen – und viel Fremdes – Weites. Und ich höre auch, was Du sagst – in Dir – ohne dass Deine [34] Lippen es verraten. Dich ekeln die Menschen an. Du willst sie ganz fort haben – weit – weit fort. Und Du zürnst mir, dass ich Dir die Drei herbringen liess. Aber ich habs so gut gemeint.

RÜBEZAHL.

Mich schmerzt es, dass der Mensch, wenn er die Menschheit hasst, so garkeinen Begriff von Grösse hat – dass der Menschenhass der Menschen immer soviel Niedrigkeit in sich schliesst – das Keiner dabei das Weite will. Ja, Du hast recht – diese drei Menschen, die Du mir hergebracht hast, ekeln mich an. Und ich möchte, dass alle Menschen zu Grunde gehen – alle Menschen! Höre, Quiwi, was ich will: Neue Erdbeben sollen mein Herz erleichtern – die Menschen sollen alle zu Grunde gehen – alle! Aber rasch solls geschehen, damit ich sie schnell vergesse.

QUIWI
zitternd.
Und wie lange wird es dauern – bis sie fort sind?
RÜBEZAHL.
In tausend Jahren wirds gehen.
QUIWI.
Tausend Jahre – muss ich unten – fern von Euch – allein leben – im Granit leben.
RÜBEZAHL.
Auch die Jahre werden vorübergehen.
QUIWI.

Für mich gehen sie so langsam hin, dass ich sehr – sehr leiden werde. Keinen werde ich haben, der mein grosses Weltleben da unten mitempfinden wird. Ich bin zu schwach, das Grosse – allein zu tragen. Und so wird das Grosse nur eine grosse grosse Qual für mich sein.

RÜBEZAHL
ergreift ihre Hand.
Sei stark, Quiwi! Wir vergessen Dich nicht. Das Grosse ist doch so herrlich.
QUIWI
mit geschlossenen Augen.

Ich sehe durch die Erde nach allen Seiten – und – ich höre mich, Rübezahl! – ich sehe bereits viele Menschen, deren Blick sich weitet. Menschen sinds – in einsamen Räumen – diesen Menschen wird der Himmel immer grösser – und ihr Leben wird ihnen auch immer grösser. Diese Menschen – wenige sinds nur – aber sie sind auf jener Seite Nach oben zeigend. und auch dort Nach hinten zeigend. – diese Menschen – empfinden immer mehr – vom grossen Weltleben – sie leben mit mir – als wärens – meine Kinder. Und ich weiss nicht, ob Du diese auch hassen darfst – wenns auch [35] blos Menschen sind! Ihr Blick wird doch schon weiter – so gross und frei – so – hell.


Rübezahl nimmt Quiwis Hand mit seinen beiden Händen und drückt sie fest zusammen.
Vorhang.

3. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt
Feen.

FEEN
gehen auf der oberen Galerie langsam von rechts nach links – leise durcheinander redend.

Und diese wütenden Blicke! Und dann denken sie immer noch, wir bilden eine Räuberbande! Und dann wollen sie immerzu Gold haben! Recht dickes Gold! Zu komisch!

2. Auftritt
Zweiter Auftritt
Quiwi. Raxer.

QUIWI
von links kommend auf der unteren Galerie, auf der sie bleibt, ohne die kleine Treppe herunterzusteigen – langsam im Folgenden bis zu dieser hingehend – mit Rubin vorn im Stirnband.
Ah! Raxer! Es ist gut, dass ich Dich treffe! Du – zürnst – mir.
RAXER
von rechts kommend auf der unteren Galerie – ganz so allmählich vorgehend wie die Quiwi.
Ich zürne nicht – aber ich bin misstrauisch.
QUIWI.
Weswegen?
RAXER.
Der drei Menschen wegen.
QUIWI.
Rübezahl ist wohl sehr zornig.
RAXER.
Das ist er so oft, dass es nicht mehr viel bedeutet.
QUIWI.
Aber –
[37]
RAXER.
Aber Du scheinst was Besondres mit den drei Menschen zu bezwecken.
QUIWI.
Darf ich Dir vertrauen?
RAXER.
Ja!
QUIWI.
Dein Misstrauen – ist – berechtigt; ich – wollte – dem Rübezahl – den Menschenhass – verekeln.
RAXER.
Ach so! Herrlich! Und warum?
QUIWI.

Damit Rübezahl – mit diesem Felsenschloss – in die Tiefe – fährt – dorthin – wo ich – in den Stein muss und – für tausend Jahre selbst zu Stein werden muss.

RAXER.
Du fürchtest Dich vor der Einsamkeit?
QUIWI.
Ja!
RAXER.
Ich verstehe Dich!
QUIWI.
Wirst Du mich verraten?
RAXER.
Nein!
QUIWI.

Diese Uebergangszeit – ist – für mich – so qualvoll – dass ich mir – selber bald – unangenehm – werde. Ich bin noch – so wie sonst – doch dabei fühl ich schon – ganz – wie die hohen Felsen – die über uns – immer – Schnee auf ihren Häuptern tragen. Mir wird so oft schon – oben – weit über mir – so kalt – so eiskalt. Und das ist so scharf – und schneidend. Wirst Du mir helfen – auch wenns anders kommt?

RAXER
mit der Hand am Ohr.
Ja! Aber – Rübezahl kommt!
QUIWI.
Er darf uns nicht zusammen finden.

Beide gehen langsam rückwärts und verschwinden in den Seitenkulissen.
3. Auftritt
Dritter Auftritt
Rübezahl. Zwerge.
Die Holztüre geht auf, und eine Anzahl Zwerge zieht mit grossem Lärm einen ganz kleinen Handwagen mit gelben, blauen und roten Säcken herein, während Rübezahl von rechts auf der oberen Galerie erscheint und sich über die Brüstung beugt.

[38]
RÜBEZAHL.
Was lärmt Ihr denn so?

Die Zwerge bleiben erschrocken stehen und blicken nach oben.
EIN ZWERG.
Der Wagen ist so schwer.
RÜBEZAHL.
Was ist denn in den Säcken?
DIE ZWERGE
durch einander.
Gold!
RÜBEZAHL.
Ruft mir mal den Rüffel her.

Ein paar Zwerge eilen vorne nach links ab und rufen laut hinter der Szene: Rüffel! Rüffel! – während die andern Zwerge die Holztüre zuschliessen und mit dem Handwagen auch unten nach links abgehen.
4. Auftritt
Vierter Auftritt
Rübezahl. Rüffel.

RÜFFEL
unten von links rasch vorkommend.
Sei gegrüsst! Warum bleibst Du denn oben? Warum kommst Du nicht runter?
RÜBEZAHL.
Es hat seine Ursache.
RÜFFEL.

Ja – Du willst damit andeuten, dass Du immer oben bleiben möchtest. Und damit willst Du Deine Menschenliebe oder Deinen Menschenhass als etwas Höheres – was oben bleibt – hinstellen. Ist es nicht so?

RÜBEZAHL.
Ich bin in so schlechter Laune, dass ich garkeine Lust habe, meinen Witz spazieren zu führen.
RÜFFEL.

Das tut mir recht leid, denn ich hätte Dir gerne Manches gezeigt. Ich arbeite jetzt nur an neuen Organen. Auf der Erdoberfläche entstehen doch auch so viele neue Organe – und das regt so an – zudem: da ich meine neuen Lebewesen mit lauter seltsamen Gliedmassen ausstatte, – so müssen an diesen seltsamen Gliedmassen auch seltsame Organe zu finden sein.


Er kramt in seinen Papieren und Landkarten.
RÜBEZAHL.
Ja lieber Rüffel, mich interessieren aber augenblicklich blos die Menschen.
RÜFFEL
auffahrend und in die Mitte gehend – mit dem Rücken zum Publikum.

Das ist ja gerade das, was ich an Dir schrecklich [39] finde. Du gibst zu, dass die Menschen sehr unbedeutend sind, und trotzdem interessierst Du Dich für sie.

RÜBEZAHL.
Jawohl – aber in besondrer Art.
RÜFFEL.

Ach was! Im Grunde genommen möchtest Du sie blos bekehren. Wie ein Apostel der kosmischen Fernsicht kommst Du mir vor. Dein Apostelspielen scheint mir aber etwas oberflächlich zu machen – denn Du kommst nicht zu mir runter.

RÜBEZAHL.
Ich habe doch Ursache, hier oben zu bleiben.
RÜFFEL.

Selbst leben ist wichtiger als leben lehren.Er setzt sich links auf die Bank. Es wäre doch besser, wenn Du mehr danach strebtest, Deine Ideen plastisch auszuarbeiten – als agitatorisch zu verbreiten. Sonst könntest Du schliesslich dahinterkommen, dass Deine ganze agitatorische Potentatentätigkeit blos eine Propaganda für ein Schattenreich darstellt, was mir schon der zwei Dimensionen wegen nicht behagt – ich bin doch Bildhauer.

RÜBEZAHL.

Lieber Rüffel, ich möchte blos unsre drei Menschen beobachten – belauschen. Und ich bitte Dich daher, sie dort unten, wo Du sitzest, zusammenzubringen. Schick sie mir her und lass sie da unten warten. Ich möchte die Menschen mal da unten so ungestört neben einander sehen. Ueber Deine Worte will ich nachdenken.

RÜFFEL.
Na ja – tu das! Ich schicke Dir unsre drei Menschen her. Das hättest Du doch gleich sagen können.

Ab rechts unten.
RÜBEZAHL.
Dich wollt ich auch belauschen. Rüffel lacht hinter der Szene.
5. Auftritt
Fünfter Auftritt
Zwerge.
Rübezahl verbirgt sich oben in der rechten Seitenkulisse, und die Zwerge kommen von links unten teilweise Arm in Arm und leise flüsternd – sie öffnen die Holztüre, gehen [40] durch und verschliessen sie von innen – man hört die Schlüssel klappern und das Schloss laut knarren.
6. Auftritt
Sechster Auftritt
Von Schmalz. Paschke. Rübezahl – dieser nicht sichtbar oben.

VON SCHMALZ
von rechts unten mit Paschke zusammen möglichst leise sprechend.

Ich bitte Sie, wir sollten Hand in Hand gehen, das Schicksal hat uns zusammengeführt – und darum – Handgeschüttel.

PASCHKE.
Gewiss – deswegen hat uns auch der Herr Rüffel gebeten, hier mit einander zu plaudern.
VON SCHMALZ.
Vielleicht werden wir belauscht.
PASCHKE
laut.

Daran denkt hier kein Mensch! Sieht ihn schmunzelnd an – sie setzen sich links und rechts auf die Bänke, sodass sie neben dem Eingange sitzen, der zur Holztüre führt.

VON SCHMALZ.

Der gewöhnliche Menschenfeind ist gewöhnlich ein dummer Kerl, der von Andern mit Leichtigkeit ausgequetscht werden kann.

PASCHKE.

Solch ein dummer Kerl befindet sich aber in diesem Palaste nicht – wir müssen daher unsern ganzen Witz aufbieten, dem Herrn dieser Herrlichkeit zu Diensten zu sein.

VON SCHMALZ.
Glauben Sie, dass er ein Räuberhauptmann ist?
PASCHKE.
Ich glaube nur, dass er ein reicher, mächtiger Mann ist.
VON SCHMALZ.
Ich auch.
PASCHKE.

Hm! Also: Sie sind meiner Meinung?Von Schmalz nickt. Hm! Ich bin eigentlich auch ein grosser Menschenfeind – wie – dieser – Rübezahl.

VON SCHMALZ.
Ich auch!
PASCHKE.

Hm! Sie, Herr von Schmalz, hassen aber blos das dumme Volk – und das ist unserm Rübezahl noch nicht genug.

[41]
VON SCHMALZ.
Richtig! Daher machten unsre Vorschläge nicht den genügenden Eindruck.
PASCHKE.
Wir waren nicht kühn genug.
VON SCHMALZ.
Wir wollens nachholen.
PASCHKE.

Die Sache ist einfach; wir haben uns blos die Arbeit zu teilen. Geteilte Freude ist doppelte Freude; wir werden den doppelten Lohn erhalten.

VON SCHMALZ.
Der Herr Rübezahl ist kein Knauser.
PASCHKE.
Nein! Das merkt man an der märchenhaften Einrichtung – dieses unterirdschen Schlosses.
VON SCHMALZ.
Sagen Sie schnell und kurz, wie Sie sich die Sache zurechtgelegt haben.
PASCHKE.

Sie müssen den Wohlhabenden Furcht einjagen – Furcht vor dem Neuen. Und mit dieser Furcht müssen Sie lauter freche Tyrannen machen. Dann werden durch die Tyrannei die Minderbegüterten aufgestachelt und wütend werden. Und so werden alle Menschen in Jahr und Tag zu Menschenfeinden werden und sich gegenseitig fuchswild kurz und klein schlagen.

VON SCHMALZ.

Leuchtet ein! Brillanter Vorschlag! So wird plötzlich Allen geholfen! Es lebe der Menschenfeind! Dem Herrn von Rübezahl wird es kolossalen Spass machen, wenn er bemerkt, wie er grade durch uns die beste Propaganda für seinen Stand als Menschenfeind machen kann.

PASCHKE.

Wir haben nur öfters scharf zu betonen, dass wir alle Menschen gerade durch einen »blinden« Menschenhass ganz dumm und beschränkt machen können, sodass sie vor »blinder« Wut nicht mehr die Katze von der Maus unterscheiden können – und so leicht zu regieren sind – wie das liebe Vieh.


Betty erscheint rechts auf der unteren Galerie und lauscht.
VON SCHMALZ.
Früher spekulierte man mit der Dummheit – jetzt spekuliert man mit dem Hass.

Rübezahls Kopf ist einen Augenblick oben links sichtbar.
PASCHKE.

Aber merken sie sich das, Herr von Schmalz: Hass und Dummheit wachsen nicht »immer« auf demselben Ast – es gibt Ausnahmen!

[42]
VON SCHMALZ.

Ja: drei Ausnahmen gibt es! Der Herr von Rübezahl – Sie, Herr von Paschke – und meine Wenigkeit – diese drei sind auszunehmen.

7. Auftritt
Siebenter Auftritt
Von Schmalz. Paschke. Betty. Rübezahl. dieser nicht sichtbar.

BETTY
plötzlich mit kleinem Revolver im Eingange vor der Türe.

Der Teufel soll Sie holen, meine Herren! Wenn Sie mich nicht auch als Ausnahme betrachten – so verrate ich Sie – oder ich schiesse Sie nieder. Ich hasse die Menschen auch, »ohne ein dummes Schaf zu sein.«

PASCHKE
mit von Schmalz aufstehend.

Verzeihen Sie, mein Fräulein, dass Herr von Schmalz sich verrechnet hat – aber ich kann wirklich nichts dafür.

VON SCHMALZ.

Wir hatten doch gar keine Ahnung, dass grade »Sie« uns belauschen würden. Wer hätte denn so was gedacht!

BETTY.

Schwören Sie mir, meine Herren, dass Sie nichts ohne mein Mitwissen und ohne meine Mitwirkung unternehmen werden?

VON SCHMALZ UND PASCHKE
mit erhobenen Händen.
Wir schwören!
PASCHKE.
Stecken Sie die Waffen ein.
VON SCHMALZ.
Reichen Sie uns freundschaftlich die Hand!

Es geschieht. rechts auf der unteren Galerie erscheint Raxer, links auf der unteren Galerie ihm gegenüber Rübezahl.
PASCHKE.
Wir wollen uns treu bleiben!
BETTY.
Wenns uns auch schwer fällt. Es lebe der famose Menschenhass!
PASCHKE.

Es lebe die wütende Borniertheit der Menschen da oben! Von der Borniertheit kann man immer ganz famos leben.

[43]
VON SCHMALZ.
Die bornierte Wut! Die aber wird in drei Herren und einer Dame nicht leben.Lacht sehr laut.
8. Auftritt
Achter Auftritt
Rübezahl. Raxer. V. Schmalz. Paschke. Betty.

RAXER
sich ganz rechts über die Brüstung der unteren Balustrade lehnend – was Rübezahl auch ganz links tut.
Wollen mich die Herrschaften nicht auch als Ausnahme betrachten?
BETTY.
Himmel! Sie, meine Herren, sind belauscht!
VON SCHMALZ.

Oh! Oh! Verzeihen Sie uns, Herr von Rübezahl! Wir sind ja mit der Bauart dieses Palastes nicht vertraut.

PASCHKE.

Herr von Schmalz, dieser Pseudopotentat, hat ganz alleine gezählt – er verrechnet sich immerzu – aber ich kann wirklich nichts dafür.

VON SCHMALZ.
Herr von Rübezahl!
RÜBEZAHL.

Ruhe da unten! Sie haben Ihre Rollen ganz vorzüglich gespielt. Sie wussten ganz genau, dass Sie Zuhörer hatten. Aber wenn Sie sich für klug hielten, so geben Sie sich einer Täuschung hin. Ihre Worte haben bei mir das Gegenteil Ihrer Absicht bewirkt. Jetzt hab ich genug vom Menschenhass. Ich danke Ihnen. Raxer, bring diese drei Menschen, die so famos den Menschenhass in ihre Geschäftskalkulationen zu ziehen verstehen, in die grossen Kristallsäle – damit sie da weiter nachdenken können – mal über was Andres – vielleicht zur Abwechslung mal – über die Bedeutung des besten Bedientenverstandes. Der Hausknecht und die Kammerjungfer haben schon von Geburt an einen ganz vortrefflichen Bedientenverstand, sie werden gern von ihrem Ueberschuss Herrn von Schmalz, der das Zählen noch nicht ordentlich versteht, abgeben. Raxer hat währenddem mehrmals an die Holztüre geklopft, die jetzt von innen von Zwergen geöffnet wird. Leben Sie wohl, meine Herrschaften.


Raxer bittet die Drei höflich [44] durch Handbewegung, durch die Türe zu gehen. Er folgt ihnen, und die Zwerge verschliessen wieder die Türe von innen – die Schlüssel rasseln – das Schloss knarrt.
9. Auftritt
Neunter Auftritt
Rübezahl. Feen gehen am Anfange auf der oberen Galerie von links nach rechts. Rüffel unten rechts – hinter der Scene nicht sichtbar – auch wenn er spricht.

RÜBEZAHL
nachdem er langsam von der unteren Galerie durch die Mitte heruntergekommen ist und sich vorn rechts auf der Bank an den ganz rechts stehenden Tisch gesetzt hat.
Rüffel! Hast Du Zeit?
RÜFFEL
hammert zuweilen wie ein Bildhauer.
Nicht viel! Aber sprich doch. Ich höre sehr gut.
RÜBEZAHL.
Lieber Rüffel, mir ist der ganze Menschenhass einfach ekelhaft geworden.
RÜFFEL.

Na ja – Du wolltest aber doch über meine Worte nachdenken – über meine Worte vom flach machenden Aposteltum.

RÜBEZAHL.

Nachdenken! Ja – darüber kann ja auch Herr von Schmalz nachdenken. Warum soll ich denn darüber nachdenken? Ich habe über den Menschenhass nachzudenken – das geht vor. Ich habe darüber nachzudenken, wie es gekommen ist, dass ich auch zum Menschenhasser wurde.

RÜFFEL.
Weil die Menschen Dein potentatliches Aposteltum nicht genügend würdigten.
RÜBEZAHL.
Also wäre mein Menschenhass eigentlich – nur der verletzten Eitelkeit entsprungen.
RÜFFEL.

Na – ob das so »einfach« hingesagt werden darf – das ist wohl wieder eine Sache für sich. So einfach kannst Du doch nicht durch Deine apostolische Tätigkeit geworden sein. Hammert sehr heftig. Das würde mich doch beinahe zum Rübezahlhasser machen.

[45]
RÜBEZAHL.
Du bist grob – aber Deine Verhöhnung der Einfachheit – hat ja wohl einen gewissen Sinn –
RÜFFEL.
Jedenfalls wird sich die Quiwi freuen.
RÜBEZAHL.

Freuen? Worüber denn? Die Quiwi erscheint auf der unteren Galerie links und lehnt sich da über die Brüstung – so wie Rübezahl vorhin.

RÜFFEL.
Nicht freuen! Ich meinte, sie wird sich ärgern. Wir ärgern uns ja alle – wies scheint.
10. Auftritt
Zehnter Auftritt
Rübezahl. Quiwi. Rüffel; der auch jetzt unsichtbar bleibt.

QUIWI.

Grade freuen werde ich mich! Warum sollte ich mich über »Menschen« ärgern? Lieber Rüffel, wir wollen – uns nicht – mehr ärgern. Rübezahl will sich – auch nicht mehr ärgern. Er geht uns mit gutem Beispiel voran. Ich hörte schon, dass die drei Menschen – Rübezahls Hass nicht gesteigert – sondern vernichtet haben.

RÜBEZAHL.
So ist es.
QUIWI.
Aber ich freue mich darüber. Warum sollte ich mich ärgern?
RÜFFEL.

Freut mich ebenfalls! Das vom Aerger entschlüpfte mir so wider Willen. Ich fürchte, dass ich momentan der einzige bin, der sich ärgert. Ja – die Quiwi!

RÜBEZAHL.
So lass mich mal erst mit der Quiwi allein reden; ich komme nachher zu Dir.
RÜFFEL.
Freut mich ebenfalls.
QUIWI.
Soll ich hinunter kommen?
RÜBEZAHL.
Fällt es Dir schwer?
QUIWI.
Ja – augenblicklich – sehr.
RÜBEZAHL.

Dann bleibe nur oben. Höre nur: Du sagtest mir neulich, dass es oben auf der Erdrinde schon einzelne Menschen gäbe, deren Blick sich weitet.

QUIWI.
Das hab – ich – allerdings – gesagt.
[46]
RÜBEZAHL.

Und nun will ich diese einzelnen Menschen auf der Erdrinde aufsuchen und in ihren Bemühungen unterstützen.

QUIWI.
Oh weh!
RÜBEZAHL.
Was ist Dir?
QUIWI.
Ich leide so.Aber bleib da – Du kannst mir nicht helfen.
RÜBEZAHL.
Wirklich nicht?
QUIWI.
Nein – geh nur zum Rüffel!
RÜBEZAHL.

Arme Quiwi! Na – ich gehe, komme bald zurück. Es eilt – auch mit den armen Menschen. Wenn Raxer kommt – so wartet hier. Ab unten rechts.

11. Auftritt
Elfter Auftritt
Quiwi. Raxer der durch die Holztüre kommt, die gleich wieder hinter ihm von innen zugemacht wird.

QUIWI.
Lieber Raxer, bleib da stehen.

Sie geht hinunter zu ihm, sodass beide im Folgenden dicht vor der Holztüre stehen.
RAXER.
Du siehst so verstört aus! Du hast doch gesiegt!
QUIWI
leise-eindringlich-rasch.

Nein! Er will jetzt grade bei den Menschen bleiben – sein Hass ist urplötzlich in Mitleid verwandelt. Bei seinem Eigensinn ist Alles möglich. Ich hab ihm leider gesagt – sagen müssen – dass einzelne – Menschen – jetzt schon – einen weiteren Blick bekommen. Und diesen Einzelnen will er jetzt – förderlich – und nützlich sein. Jetzt, lieber Raxer, musst Du helfen – ein Andrer kanns nicht – Du musst ihm auch die Guten – so zeigen – dass er – sie nicht mehr – mag.

RAXER.
Könntest Du ihm nicht offen erklären –
QUIWI.

Das könnte doch Alles verderben. Er lässt sich nicht lenken, wenn er entschlossen ist. Sein Eigensinn – oh!

RAXER.

Dann will ich tun, was ich kann. Sie kommen nach vorn, Raxer setzt sich an den Tisch rechts vom Mittelgange, Quiwi an den Tisch links vom Mittelgange.

[47]
12. Auftritt
Zwölfter Auftritt
Rüffel. Quiwi. Raxer. Rübezahl.

RÜBEZAHL
mit Rüffel von rechts unten kommend setzt sich an den Tisch, der ganz rechts steht, während sich Rüffel an den setzt, der ganz links steht.
Raxer, kannst Du uns Menschen zeigen, deren Blick sich weitet?
RAXER.
Ja! Aber allzu weit sind die Blicke noch nicht.
RÜFFEL.
Raxer kann doch Alles.
RÜBEZAHL.
Was hätten wir zu tun?
RAXER
nach kurzer Pause.
Wir müssten uns wie Wegelagerer kleiden und Waffen mitnehmen. Ich werde Euch führen.
RÜBEZAHL
steht auf, die andern tuns auch.
Leb wohl, Quiwi! Sehen wir uns wieder?
QUIWI.
Einen Tag und eine Nacht hab ich noch vor mir.
RÜBEZAHL
während Raxer an die Holztüre klopft, die von den Zwergen gleich geöffnet wird.

Dann sehen wir uns noch! Ab mit Rüffel und Raxer durch die Holztüre, die offen bleibt, während die Zwerge auf der unteren Galerie und ganz unten neben der Quiwi sich aufhalten, da sie denken, dass die Quiwi auch durch die Holztüre gehen wird.

13. Auftritt
Dreizehnter Auftritt
Quiwi. Zwerge. Zum Schluss eine von den Feen.

QUIWI
sieht durch die offene Tür den Dreien nach und horcht, die Zwerge legen die Hand ans Ohr und horchen auch.

Lasst die Tür offen. Ich – fürchte mich so. Fasst einen Zwerg an die Hand. Sprecht kein Wort! Lasst niemand heran! Lasst die Tür auf! Mit geschlossenen Augen. Die Einsamkeit ist zu gross. Bleibt bei mir. Steht ganz still. Horcht! Sie gehen hinauf – zu den Menschen – verkleidet. Aber da – da kommen die grossen Geister – sie kommen auf mich zu! Ich verstehe nicht, was sie wollen[48] – und ich fühle – mich – Schreiend. ganz allein! Die Geister – sie sind so gross – und ich bin allein – im Granit. Der Granit ist hart – und ganz kalt. Da – da – ein grässliches Gesicht – kommt näher! Eine Fee erscheint oben rechts auf der oberen Galerie und blickt hinunter – gleich nachher ist sie rechts auf der unteren Galerie und blickt da auch mit grossen Augen über die Brüstung. Bringt das entsetzte – Gesicht – fort! Nein – bleibt hier – dass ich nicht allein bin. Da – da – noch mehr Gesichter – ich hab Angst – Angst – schreckliche Angst. Ich fürchte mich. Bricht weinend auf der Bank zusammen – sie hat so lange gestanden. Ich fürchte mich – vor der furchtbar grossen – Einsamkeit Leise unheimlich. Ich fürchte mich vor dem Grossen – vor der furchtbaren Grösse – der grossen – furchtbar grossen – Welt. Zusammengekauert, ohne die Hand des einen Zwerges, der auf die Knie fällt, loszulassen. Ich fürchte mich. Heftig und mit schriller entstellter Stimme. Lasst die Tür auf!


Vorhang.

4. Akt

1. Auftritt
[49] Erster Auftritt
Rübezahl. Rüffel. Raxer. Alle Drei als Wegelagerer gekleidet mit Flinten, Dolchen und Pistolen. Grosse Mäntel und grosse Schlapphüte. Karierte Reisetücher über der Schulter.

RÜBEZAHL
geht nach links vorn zu den beiden Baumstümpfen, während Rüffel und Raxer auf dem Landwege rechts stehen bleiben und in die rechte Seitenkulisse hineinblicken.

Hier oben auf der Erde kann man, wenn man müde ist, sich nicht einmal hinsetzen, wo man will. Man kann es eigentlich den Menschen nicht übel nehmen, wenn sie zuweilen über die verblüffenden Unbequemlichkeiten des irdischen Daseins ungehalten werden.

RÜFFEL.

Rübezahl denkt sich so ins Menschenleben hinein, dass er uns auch verblüffende Unbequemlichkeiten bereiten könnte.

RÜBEZAHL
während die beiden Andern in die Mitte kommen.
Hier habe ich aber zwei Baumstümpfe gefunden.
RÜFFEL.
Auf den Dingern kann man sich aber nicht hinsetzen.
RAXER
nach rechts den Fahrweg hinunterdeutend.

Warten wir einen Augenblick. Verbergen wir uns.Mit Rüffel nach vorne rechts, während Rübezahl sich vorne links auf seine Flinte stützt.

RÜBEZAHL.
Zwei Schwarze kommen langsam näher.
RÜFFEL.

Rübezahl, weisst Du auch, was unter den Menschen sehr oft aus denen wird, die Andern immer helfen wollen?

RÜBEZAHL.
Na sags nur.
RÜFFEL.
Wuchrer werden sehr oft aus solchen hilfsbereiten Leuten.
RAXER.
Still! Rührt euch nicht!
[50]
2. Auftritt
Zweiter Auftritt
Rübezahl. Rüffel. Raxer. Ein Schornsteinfeger mit seinem Sohne. Jeder von diesen Beiden mit einer Leiter – der Sohn mit einer kleineren. Der Alte trägt einen Zylinder und raucht eine Zigarre.

DER JUNGE SCHORNSTEINFEGER
lacht, erschrickt und steht still.
Vater, da steht ein Räuber!
DER ALTE SCHORNSTEINFEGER.
Dummer Junge, uns werden sie nichts nehmen. Guten Abend, Herr Hauptmann! Zigarre gefällig?

Reicht dem Rübezahl eine Zigarre.
RÜBEZAHL.
Nehmt lieber von meinen und gebt mir Feuer.

Beides geschieht.
RAXER.
Und verkauft uns Eure Leitern.
DER JUNGE SCHORNSTEINFEGER.
Vater, das sind garkeine Räuber!
DER ALTE SCHORNSTEINFEGER.
Naseweiser Schlingel, wirst Du wohl still sein. Gib Deine Leiter her.

Nimmt beide Leitern zusammen und gibt sie dem Raxer.
RAXER
gibt ihm zwei Goldstücke und legt die grosse Leiter über die Baumstümpfe und dann Decken darauf, während die kleine Leiter rechts liegen bleibt.
So, mein lieber Rübezahl, jetzt setz Dich.
DER JUNGE SCHORNSTEINFEGER
herumspringend und Beine schwenkend.
Siehst Du, Vater! Ich hab doch recht. Das ist der alte Rübezahl.
DER ALTE SCHORNSTEINFEGER
während die drei Geister lachen.
Mein Sohn, wenn Du jetzt nicht still bist, so gibts was.
RÜBEZAHL
sitzend, während Raxer und Rüffel auf dem Landwege nach beiden Seiten mit der Hand über den Augen hinausblicken.
Alter Schornsteinfeger, gehörst Du zu den Leuten, die einen weiten Blick haben?
DER ALTE SCHORNSTEINFEGER.
Ih! Ihr wollt wohl wissen, ob ich andern Leuten in den Geldschrank sehen kann.

Raucht hastig.
[51]
RÜBEZAHL.

Nein – ich meine, ob Ihr einen Blick habt, der über alles Unglück und über alles Leiden hinwegblicken kann.

DER JUNGE SCHORNSTEINFEGER.
Das kann der Vater.
DER ALTE SCHORNSTEINFEGER
gibt dem jungen eine Maulschelle.

Das ist der naseweise Schornsteinfeger, mich nennt man den weisen – und ich habe wohl den Blick, von dem Ihr sprecht.

RÜBEZAHL.
Was denkt Ihr Euch dabei?
DER ALTE SCHORNSTEINFEGER.

Ich denke, wenn ich Unglück sehe oder selber habe, an den alten Sensenmann. Der alte Herr, der kein Fleisch hat und zuletzt kommt, macht Alles wieder gut. Und das tröstet mich.

RÜBEZAHL.
Und weiter seht Ihr nicht?
DER ALTE SCHORNSTEINFEGER.
Wozu weitersehen wollen, wenn man getröstet ist!
RÜBEZAHL.
Ich möchte Euch aber so gerne weiter – helfen.
DER ALTE SCHORNSTEINFEGER.

Sie mir helfen? Sie? Was wissen sie denn von dem, was nach dem Tode kommt? Komm, mein Sohn! Gib mir Deine Hand. Der junge Schornsteinfeger tut es. Der Herr will sich über uns lustig machen. Dazu suchen Sie sich nur einen Andern, mein lieber Herr! Ich brauche Sie nicht. Ab mit Sohn links.

3. Auftritt
Dritter Auftritt
Rübezahl. Raxer. Rüffel.

RÜFFEL
auf dem Landwege nach rechts blickend.
Das war jedenfalls ein wirklich guter Mensch.
RÜBEZAHL.
Leider war sein Blick nicht weit genug.
RÜFFEL.
Und solchen Leuten willst Du helfen?
RAXER.
Die können sich nach ihrer Meinung so gut selber helfen.
RÜBEZAHL.
Ob er sich auch für klüger halten würde, wenn er wüsste, dass ich kein Mensch bin wie er.
RAXER
nach links rufend.

He! Schornsteinfeger! Glaubst Du, [52] dass der alte Rübezahl klüger ist als Du selbst? Schallendes Gelächter aus der Ferne von links her – mit Echo.

RÜBEZAHL.
Der hält sich ganz bestimmt für den klügsten Menschen aller Zeiten. Beinah beneidenswert!
RÜFFEL.
Und glaubt garnicht an den alten Rübezahl. Nach rechts. Da kommt ein Schlitten ohne Pferd.
RAXER.

Diese Dorfphilosophen darf man um alles in der Welt nicht merken lassen, dass man irgend etwas besser wissen könnte; jede Meinung, die sie nicht selber aussprechen, ist ihnen ein Greuel – sie glauben oft, dass sie das Denken Andrer für eine Kränkung ihrer Ehre halten müssten – – sie denken doch und das genügt doch.

RÜFFEL.
Wozu die Rede?
RAXER.

Ein Beitrag zur Schulstubenpotentatenpsychologie. Ich sammle doch auch so was und kann doch auch mal von meinen Sachen reden.

4. Auftritt
Vierter Auftritt
Rübezahl. Raxer. Rüffel. Ein Milchmann. Erster Tourist. Die beiden Letzteren ziehen und schieben einen kleinen Schlitten, auf dem ein toter Esel liegt – neben leeren Milchkannen, die klappern.

MILCHMANN.
Mein Esel ist tot.

Bleibt stehen, sodass der Schlitten in der Mitte der Bühne bleibt.
RÜFFEL.
Das ist wohl ein grosser Verlust für Dich, nicht wahr?
MILCHMANN.

Ach, wenn man nur nicht die gute Laune verliert. Er ist etwas angetrunken. Und deshalb seh ich immer in die Zukunft – ganz tief – in die Zukunft hinein. Dass mein Esel mal sterben würde, das hab ich immer vorausgesehen. Und wie viel ich noch mal trinken werde, das seh ich auch voraus. Mein Leben ist eine grosse Allee, in der rechts und links volle Biergläser statt der Bäume dastehen. Und ich muss all die vollen Gläser austrinken; es bleibt mir nichts Andres übrig. Aber das [53] erhält mir die gute Laune. Das Gestrüpp der Schnäpse in den Chausseegräben muss ich auch austrinken. Wer so wie ich immer den Blick in die Zukunft ....

RÜBEZAHL.
Wieviel willst Du für Deinen toten Esel und für Deinen Schlitten haben?
MILCHMANN.
Eine neue Allee oder sonen kleinen Seitenweg.
RÜBEZAHL.
Hier hast Du zweihundert Mark Gibt ihm zwei Scheine. Jetzt geh rasch ins nächste Wirtshaus.
MILCHMANN.

Ich danke Ihnen, mein Herr! Ich sehe wieder in die Zukunft. Lebe wohl, mein liebes, gutes Tierchen. Streichelt des Esels Kopf und geht ab nach links.

5. Auftritt
Fünfter Auftritt
Rübezahl. Raxer. Rüffel. Erster Tourist.

RÜBEZAHL.
Raxer, wozu haben wir unsre Waffen?
RAXER.
Damit wir harmlos aussehen und nicht zu erkennen sind.

Legt die kleine Leiter mit dem einen Ende auf den hinteren Baumstumpf und mit dem andern Ende auf den Schlitten und setzt sich auf die kleine Leiter. Rübezahl sitzt auf der grossen Leiter.
ERSTER TOURIST
setzt sich auf den Schlitten.
Meine Herren, Sie scheinen sehr viel Geld zu haben.
RÜFFEL.
Das brachte Keinen weiter. Setzt sich neben Raxer – auch auf die kleine Leiter.
RAXER.
Der tote Esel wird auch Keinen weiterbringen.
ERSTER TOURIST.
Der Esel hat Manchen rauf- und Manchen runtergebracht – was heisst aber: weiterbringen?
RÜBEZAHL.
Können Sie gut sehen?
ERSTER TOURIST.
Oh ja!
RÜBEZAHL.
Weiter als Andre?
ERSTER TOURIST.
Ja! Sehr weit!
RÜBEZAHL.
Was sehen Sie?
ERSTER TOURIST.

Soweit ich sehen kann, sehe ich nur, dass überall [54] in allen Welten nur Jammer und Elend ist – und dass es geradezu lächerlich wirkt, wenn jemand glauben möchte, paradiesische Zustände könnten jemals entdeckt werden.

RÜBEZAHL.
Das Unglück ist aber nur dazu da, den Menschen zu höheren Lebensinteressen – zu erziehen.
ERSTER TOURIST.

Schöne Erziehung! Man wird doch grade durch die Not des irdischen Lebens von den höheren Lebensinteressen abgelenkt – und nicht zu ihnen hingelenkt. Wer hat denn heute soviel Zeit ....

RÜBEZAHL.
Sagen Sie mal: Sie wollen weiter sehen als Andre?
ERSTER TOURIST.
Gewiss! Ich sehe weiter.
RÜBEZAHL.

Also: die Menschen haben heute keine Zeit, an ein grösseres Leben zu denken? Man zwingt die Menschen, das Elend so ohne Weiteres nur auf der elenden Seite zu betrachten? Zwei andere Touristen erscheinen rechts. Man ist wirklich der Meinung, das jedes Elend nur die eine – die jämmerliche Seite besitzt? Aber meine Herren, jedes Ding hat doch zwei Seiten.

6. Auftritt
Sechster Auftritt
Rübezahl. Rüffel. Raxer. Drei Touristen.

ZWEITER TOURIST.
Sie entschuldigen, meine Herren! Wissen Sie, ob hier in der Nähe ein Wirtshaus ist?
RÜFFEL.

Setzen Sie sich, meine Herren! Benutzen wir den toten Esel als Fusswärmer! Er wirft den Esel mit dem Kopf nach vorn vor den Schlitten und setzt sich neben Rübezahl auf die grosse Leiter – doch so, dass Rübezahl der Lampenreihe zunächst sitzt. Der zweite Tourist setzt sich neben Raxer auf die kleine Leiter, der dritte Tourist auf den Schlitten neben den ersten Touristen.

RÜBEZAHL.
Raxer, gib uns einen Kognak

Raxer schenkt im Folgenden öfters in kleine silberne Becher Kognak ein – und gibt mal diesem und mal jenem.
RÜFFEL.
Jetzt sehe ich auch in die Zukunft.
[55]
RÜBEZAHL.
Was siehst Du?
RÜFFEL.
Ich sehe, dass Rübezahl auch den Geschmack an den besseren Menschen verlieren wird.
DRITTER TOURIST.
Ah, wir habens mit Herrn Rübezahl zu tun?
ZWEITER TOURIST.
Sehr erfreut, Sie kennen zu lernen, Herr Rübezahl!
RÜBEZAHL.
Ich möchte mich auch freuen, Sie kennen zu lernen.
ZWEITER TOURIST.
Dürfen wir unsre Namen..
RÜBEZAHL.
Behalten Sie nur Ihre Namen. Sagen Sie lieber, ob Sie ihr Leben sehr hoch schätzen – oder nicht.
DRITTER TOURIST.

Sehr drollige Frage! Na – ich führe schon seit vielen Jahren ein Leben, in dem ich immerzu den Tod sehe – überall. Und was ich tue, tu ich mit dem Messer am Halse. Und dem entsprechend bemerke ich überall nur Wutkrämpfe. Und so, wie's auf der Erde ist, ist es auch in der ganzen, unendlichen Welt.

ZWEITER TOURIST.
Und das mal ich – das ist die neue Kunst.
ERSTER TOURIST.

Da haben Sies, Herr Rübezahl! Wir leben alle in den Armen des Todes, sollen wir da das Leben sehr hochschätzen?

ZWEITER TOURIST.
Das wäre beinahe leichtsinnig, deswegen möchten wir auch – Räuber werden.
DRITTER TOURIST.

Jawohl – denn es ist gleichgiltig, wie man lebt. Wesen, die immerzu mit Vernichtung bedroht werden, müssen naturgemäß auch zu Vernichtern werden.

RÜBEZAHL.

Wut und Verzweiflung! Glauben Sie denn, dass das menschliche Leben nur deshalb so lächerliche und beängstigende Formen annimmt, um Sie und die Menschheit einfach zu Tode zu quälen?

DRITTER TOURIST.
Ja – das glaube ich. Soweit ich sehe, finde ich das bestätigt.
ZWEITER TOURIST.
Ich glaube, dass nur diejenigen, die geistig beschränkt sind, daran nicht glauben.
RÜFFEL.
Wie unvorsichtig! Glauben kann man an Alles.
[56]
RÜBEZAHL.

Wir wollen nicht schimpfen. Hören Sie: nehmen Sie mal an, Sie befänden sich in Ihrer Haut sehr wohl – würden Sie da mal raus wollen? Würden Sie sich, wie man so sagt, um Gott und die Welt bekümmern? Nein! Sie würden bleiben, wo Sie sich wohl fühlen – in dem engen Kreise Ihrer kleinlichen Lebensverhältnisse. Und darum muss es Ihnen schlecht gehen in diesen kleinlichen Lebensverhältnissen, damit Sie rauskommen und grosse Lebensverhältnisse kennen lernen – in weiten, himmelgrossen Sternwelten – und in erhabenen Geisterwelten. Beide wären Ihnen verschlossen für ewig, wenns Ihnen ewig gut ginge in – Ihrer Haut.

DRITTER TOURIST.
Sehr lustig! Sehr lustig!
ZWEITER TOURIST.
Und der Tod? Was sagt der dazu?
RÜBEZAHL.
Ja – Sie leben doch noch! Kümmern Sie sich doch nicht um den drohenden Tod. Drohen Sie wieder.
ERSTER TOURIST.
Der Humor zieht nicht mehr – damit machen Sie nichts besser.
DRITTER TOURIST.
Der Humor ist verletzend geworden.
RÜBEZAHL.

Ja glauben Sie, dass die Todesangst nicht mit derselben Absicht wie alle anderen Uebel an Sie herantreten möchte? Sie sollen Ihren Blick von der Kleinlichkeit abkehren – Sie sollen weiter und grösser werden. Und dann! Was wissen Sie vom Tode? Sie können niemals beobachten, wie es ist, wenn Sie abends einschlafen – ist das nicht Zeichensprache genug? Glauben Sie, dass Sie empfinden werden, wie es ist, wenn Sie sterben? Sie sind rings von Wundern umgeben, und Ihr Leben ist so, dass es Sie blos immer wieder in andere grössere Kreise hinausdrängen soll. Ist das nicht so natürlich? Wenn plötzlich die Sterne des Himmels in irdischer Sprache, die Sie verstehen, zu reden begännen, dann würden Sie vor Staunen nicht zu atmen wagen. Aber – dass Sie schlafen können und träumen – ist das nicht ein noch viel grösseres Wunder? Wenn Sterne reden, so reden doch nur Lebewesen, die grösser sind als Sie. Wenn Sie aber schlafen und träumen – dann leben Sie plötzlich in Ihrem Leben noch gleich ein andres – ein noch viel grösseres Leben. Ist das nicht ein Ungeheuerliches für Sie? Ebenso gut [57] wie Sie sich vor dem Tode fürchten, ebensogut könnten Sie sich auch vor dem Schlafe fürchten. Die Todesfurcht ist eins der stärksten Mittel, Sie zu einem höheren, grösseren, gewaltigeren Lebensgenuss hinzureissen – Sie sollten also die Todesfurcht jedesmal mit Entzücken willkommen heissen.

7. Auftritt
Siebenter Auftritt
Die Vorigen. Der junge Schornsteinfeger.

DER JUNGE SCHORNSTEINFEGER
kommt hastig von links.

Herr Rübezahl, entschuldigen Sie nur – aber ich wollte nur fragen, ob Sie mir nicht noch eine gute Lehre mit auf den Weg geben könnten?

RÜBEZAHL.

Ja, mein Sohn! Wenns Dir schlecht geht, so sieh Dir eine halbe Stunde ohne Unterlass den Himmel an – ohne auf die Erde runterzublicken. Dann wirds Dir immer gut gehen.

DER JUNGE SCHORNSTEINFEGER.
Das will ich tun. Ich danke auch schön, Herr Rübezahl.
8. Auftritt
Achter Auftritt
Die Vorigen. Der alte Schornsteinfeger.

DER ALTE SCHORNSTEINFEGER.

Du Schlingel, was machst Du hier? Was für Lehren hast Du hier anzunehmen? Bei mir bist Du in der Lehre.


Ohrfeigt ihn.
DER JUNGE SCHORNSTEINFEGER.
Vater, ich will mir blos eine halbe Stunde den Himmel ansehen.
DER ALTE SCHORNSTEINFEGER
haut ihn wieder, dass er heult.

Dummer Junge, nach Hause kommst Du. Bei überspannten Stadtleuten hast Du nichts zu suchen – die wollen sich blos über uns lustig machen.

DER JUNGE SCHORNSTEINFEGER.
Vater, der da drüben ist der alte [58] Herr Rübezahl.
DER ALTE SCHORNSTEINFEGER.
Lass Dich nicht auslachen. Geht mit seinem Sohne links ab.
9. Auftritt
Neunter Auftritt
Rübezahl. Raxer. Rüffel. Die drei Touristen.

ERSTER TOURIST.

Wenn man aber von ewigen Sorgen gequält wird und nicht weiss, wie mans machen soll – dann hat man doch keine Zeit ...

RÜBEZAHL.

Mein lieber Freund, Sie können doch nicht verlangen, dass ich das, was ich sagte, wiederhole! Zieht den toten Esel zu sich, hebt seinen Kopf auf und streichelt ihn – auch im Folgenden.

ERSTER TOURIST.

Na – zwischen dem Leben in der Phantasie und dem Leben in der Wirklichkeit – ist doch noch ein grosser Unterschied.

RÜFFEL.
Wenn Sie das im Ernste behaupten, so ist ihre Bildung nicht weit her.
RAXER.

Was Sie Wirklichkeit nennen, ist doch ebenfalls nur eine Konglomerat von Sinneseindrücken – wie die Phantasiewelt.

ERSTER TOURIST.
Das will ich ja zugeben – aber ...
RÜFFEL.
Mit Ihrem Aber! Was man sich denken kann, das erlebt man auch.
DRITTER TOURIST.
Aber durch Philosopheme ist doch noch kein Mensch glücklich geworden.
ZWEITER TOURIST.

Ach, wir habens hier doch nicht mit Philosophemen – sondern mit burlesker Lebensweisheit zu tun. Herr Rübezahl meint so: Wenn ein Mensch bemerkt, dass ihm all sein Geld gestohlen worden ist, so muss sich dieser Bestohlene gleich trösten und sich sagen, dass das nur gestohlen wurde, um ihm, dem Bestohlenen, Gelegenheit zu geben, stille Betrachtungen über die Grossartigkeit der unendlichen Welt [59] anzustellen. Und wenn ein andrer Mensch plötzlich den Fuss bricht und ein halbes Jahr zu Bett liegen muss, so sagt er sich dasselbe wie der Bestohlene. Und wenn sich Einer über die Verwahrlosung der modernen Gesellschaft beklagt, so muss er sich auch das sagen, was sich der Bestohlene sagen musste. Und wenn Dir der Arzt sagt, dass Du morgen sterben musst, so sagt er Dir das blos, damit Du die Grandiosität alles Daseienden mit gefalteten Händen anbetest und herrlich findest – bis zum letzten Tag. So kann also passieren, was da will und wie es will – Hungersnot und Pest – Erdbeben und Zahnweh – Krieg und Tyrannei – Dynamitattentate und Bankrotts – tiefster Lebensüberdruss und höchste Langeweile – das Alles ist blos dazu da, damit der einzelne Mensch seine Gedanken vom Irdischen abkehre und höheren kosmischen Träumen ein verklärtes Angesicht zuwende.


Die drei Touristen lachen.
RÜBEZAHL
zum Eselskopf.

Mein lieber, scheinbar nicht mehr lebendiger Freund! Du lebst für mich – ich seh es. Du sprichst zu mir – ich hör es. Du behauptest also, dass Du nicht berechtigt bist, ein grosses grosses Weltleben zu geniessen? Das behauptest Du? Aber Grauchen! Wie? Wie? Du behauptest, dass Du immer wieder blos grüne Weide, Disteln und Stroh beanspruchen darfst? Du lehnst alles Grosse Unbeschränkte Freie feierlich ab? Du sagst, Du möchtest keine Organe haben – für die überspannten Ideen der modernen Stadtmenschen? Aber Grauchen! Wenn Du so grob bist – hör ich nicht mehr auf Dich! Er lässt den Esel fallen und trinkt einen Kognak.

RÜFFEL.

Aber Raxer, gib doch den drei Herren auch einen Kognak Es geschieht, die drei Touristen danken sehr höflich und trinken einander zu.

10. Auftritt
Zehnter Auftritt
Die Vorigen und der kleine Schornsteinfeger mit scheuer Dorfjugend im Hintergrunde.

[60]
DER KLEINE SCHORNSTEINFEGER.
Ach, Herr Rübezahl, könnten Sie mir nicht den toten Esel schenken?
RÜBEZAHL.
Ja, mein Sohn! Nimm auch Deine Leiter mit und den Schlitten auch.

Der kleine Schornsteinfeger springt vor Vergnügen, die Touristen und Raxer stehen von Schlitten und kleiner Leiter auf und schlagen mit den Armen um sich, um sich warm zu machen.
DER KLEINE SCHORNSTEINFEGER.
Ich danke auch schön, Herr Rübezahl!
RÜBEZAHL
während der Esel auf den Schlitten gepackt wird.
Was macht denn Dein Vater?
DER KLEINE SCHORNSTEINFEGER.
Der trinkt mit dem Milchmann Bier und Schnaps – und feine Zigarren rauchen sie dazu.

Ab mit Esel, Leiter, Schlitten und Dorfjugend.
RÜBEZAHL.
Grüsst vom alten Rübezahl.
DER KLEINE SCHORNSTEINFEGER
mit Dorfjugend schon hinter der Szene.
Danke schön! Ich wünsch auch einen schönen guten Abend.
11. Auftritt
Elfter Auftritt
Rübezahl. Rüffel. Vorn links auf der grossen Leiter sitzend. Raxer und die drei Touristen stehend und trinkend.

RÜBEZAHL.

Ihr drei Menschen seid von der Unermesslichkeit der Welt überzeugt – einen weiten Blick habt Ihr schon – das ist nicht zu bestreiten. Aber Ihr denkt noch garnicht daran, die unermessliche Welt grossartig zu finden – und denkt auch garnicht daran, dass diese grossartige Welt es wert sein könnte, durch ein bischen Unglück und Unbequemlichkeit umkrustet zu sein – zum Schutze – damit nicht jeder Hansnarr so ohne weiteres an das Grosse rankann. Ihr wagt es, ganz einfach zu verzweifeln. Ihr wagt es.

RAXER.
Bei den Menschen entwickelt sich Alles sehr sehr langsam.
[61]
RÜBEZAHL.
Der weite Blick nutzt ihnen also noch nichts?
RAXER.
Man merkt noch nicht viel vom Nutzen.
RÜFFEL.
Wie willst Du da den Menschen helfen?
RAXER.

Sie leben noch immer blos im Augenblick – und vergessen Alles so schnell wie die lieben Tiere auf der grünen Weide.

DRITTER TOURIST.
Meine Herren, wir verstehen Sie garnicht.
RÜFFEL.

Das merkt man. Die drei Geister lachen, plötzlich aber steht Rübezahl auf und geht in die Mitte des Bühnenraumes – in die Mitte des Landweges.

RAXER.
Der Lebensrausch wirkt bei Ihnen immer blos so wie ein Kognak, nicht wahr?

Giesst noch ein Mal für die Drei ein.
RÜFFEL
auch aufstehend.

Meine Herren, Sie begreifen also immer noch nicht, dass alles Unglück und alles Unbequeme nur ein Segen für Sie sein soll?

RAXER.
Sie begreifen schliesslich wohl Alles – aber sie können nichts damit anfangen.
RÜFFEL.
Dann fehlt ihnen die Praxis.
RÜBEZAHL.

Raxer! Rüffel! Stellt Euch neben mich! Es geschieht und die Touristen kommen in den Vordergrund mit dem Rücken gegen das Publikum. Ihr drei Menschen, Ihr seid es garnicht wert, dass ich Euch helfe. Und die ganze Menschheit ist es nicht wert, dass ich mich um sie bekümmere!

RAXER.
Die Menschen sind zu weit ab.

Es wird ziemlich dunkel; die roten Wolken hinter den Bäumen sind schon vorher verschwunden.
RÜFFEL
freudig erregt.
Rübezahl! Mein Rübezahl!Berührt leise seine Schulter.
RÜBEZAHL.

Jetzt will ich Euch aber zeigen, wie erbärmlich Ihr seid! Kniet nieder! Wir werden Euch totschiessen. Die drei Geister legen die Flinten an und bleiben in dieser Stellung. Kniet nieder! Kein Wort! Die drei Menschen sinken zitternd rechts links und in der Mitte auf beide Kniee – mit dem Rücken gegen das Publikum. Wisst Ihr, wozu Ihr so oft eine furchtbare Traurigkeit empfindet, ohne zu wissen, wie's kam? Es sollte [62] auch in Eurer Brust ein Weltleben entstehen. Ihr aber seid es nicht wert – und noch zu unreif dazu. Und deshalb sollt Ihr sterben. Die drei Menschen heben ängstlich die Arme auf. Ja – jetzt – sehen wir – dass Ihr Euch nicht aufraffen könnt! Aber ich – ich will Euch – nicht mehr helfen. Erde! Erde! Heilige Erde! Tu Dich auf! Sehr laut. Feuer! Flammen schlagen rings um die drei Geister aus dem Erdboden, und die drei Geister versinken sehr schnell. Die drei Menschen springen erschrocken auf, während die Flammen hoch emporlodern.


Vorhang.

5. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt
Quiwi. Zwerge.

QUIWI
sitzt auf dem Diwan und liest aus einem Buche vor.

Die Zwerge ringsum auf dem Fussboden – liegend oder sitzend. Da hatten die alten Leute grosse Angst und wollten alle nicht sterben. Aber der starke Riese lachte. Und wie er lachte, mussten auch alle Kinder lachen. Und da fragte der starke Riese die Kinder, ob sie auch Angst vor dem Tode hätten. Aber die Kinder lachten und schüttelten mit dem Kopfe. Da waren die alten Leute empört über die Kinder. Doch der starke Riese sagte freundlich: die Kinder wissen nicht, wie das Sterben tut, darum haben sie keine Furcht vor dem Tode. Aber Ihr alten Leute wisst auch nicht, wie das Sterben tut, warum habt Ihr denn Furcht?

EIN ZWERG
mit der Hand am Ohr.

Rübezahl kommt! Die Zwerge stehen langsam auf und gehen zur Mitteltreppe, vor der sie unregelmässig Spalier bilden; die Quiwi macht das Buch zu.

[63]
2. Auftritt
Zweiter Auftritt
Quiwi. Zwerge. Rübezahl. Rüffel. Raxer. Die drei Letzteren gekleidet wie im vierten Aufzuge.

RÜBEZAHL
der langsam von Rüffel und Raxer gefolgt die Mitteltreppe runterkommt – schweigend in die Mitte – während Quiwi auf dem Diwan sitzen bleibt.

Ja, Quiwi! Es gibt schon Menschen, deren Blick allmählich weiter wird – aber sehr grossartig ist nicht das Panorama, das vor ihnen auflebt.

QUIWI
hastig.
Erregen sie Dein Mitleid?
RÜBEZAHL.
Die mich verhöhnen, soll ich bemitleiden?
RÜFFEL.
Expansion! Expansion!

Setzt sich rechts auf einen Fellstuhl.
RAXER.
Das Wort haben die Menschen noch nicht ordentlich begriffen.
RÜFFEL.
Vielleicht begreifen sie's in tausend Jahren.
QUIWI
aufstehend – sehr erregt.

Da drüben – auch hier – Sterne – lachende – die sprühen – Glanz – heissen Glanz durch alle – Geister – Welten. Ich fühls! Die Furcht – da unten – krümmt sich – zuckt – flammt auf – und zerfliesst – wie – plätschernde Quellen. Meine Furcht – zerfliesst so. Heissen Glanz – den sprühen – rings umher – die grossen – lachenden – Sterne. Ich fühls!


Setzt sich wieder und blickt scheu zu Boden.
RÜBEZAHL
setzt sich auch rechts auf einen Fellstuhl, während Raxer hinten links von der Türe stehen bleibt.

Die Zwerge an verschiedenen Stellen – bewegungslos. Die – bessern Menschen ahnen nicht blos die Grösse kosmischer Verhältnisse – sie sind sogar von der Unermesslichkeit des Grossen fest überzeugt – und dabei brechen sie doch bei jeder Kleinigkeit zusammen – wie arme Würmer. Von der Erkenntnis bis zu dem Leben, das der Erkenntnis entspricht, ist doch ein verflucht weiter Weg.

RÜFFEL.
Wie gesagt: Spaziergang für tausend Jahre.
RÜBEZAHL.

Ich glaube, die Menschen ahnen noch nicht einmal, dass sie eigentlich ebensolche Geister sind wie wir; die Menschen halten sich immer noch für weniger.

[64]
RÜFFEL.
Eine ihrem sonstigen Wesen ganz entgegengehende Selbstverkleinerungssucht.
RAXER.

Das ist mir eigentlich recht sympathisch. In dem Sichkleinfühlen liegt so viel Empfangendes – Freundliches.

RÜFFEL.

Was man Dir – aber nicht den Menschen nachsagen darf. Du willst nicht schaffen – Du willst nur aufnehmen und aufbewahren – das, was Andre hervorgebracht haben.

RAXER.
Viel Mangel an eigenem Willen.
RÜFFEL.
Der Mangel ist Dir aber selber angenehm.
QUIWI.

Raxer tut – was ich – will. Dafür danke – ich – ihm. Jetzt aber – müsst Ihr – eilen. Ich – muss – fort.

RÜBEZAHL.
So wollen wir Dich denn hinunterlassen.
QUIWI.

Nein! – Nein! – Die drei Menschen, die ich – durch Raxer hierher – bringen liess – müssen erst raus – raus aus diesem – Palast.

RÜBEZAHL
schickt ein paar Zwerge, denen er was zuflüstert, nach links ab.
Was haben sie getan?
QUIWI.

Dieser Schmalz will mich oben heiraten, der Paschke will mir oben die vornehmsten Liebhaber verschaffen – und die Betty will mir überall helfen – überall helfen – sodass sie mich beinah – an Rübezahl erinnert, der auch immer überall helfen will.

RÜBEZAHL.
Schöner Vergleich.
QUIWI.
Aber ich weiss ja, lieber Rübezahl – jetzt willst Du den Menschen nicht mehr helfen, nicht wahr?
RÜBEZAHL.
Nein.
QUIWI.
Den Menschen helfen jetzt nur noch ihre Schmerzen. Würdest Du jetzt nur mir helfen wollen?
RÜBEZAHL.
Ja!
3. Auftritt
Dritter Auftritt
Die Vorigen. Von Schmalz. Paschke. Betty.
Die drei Menschen kommen von hinten links und bleiben hinter der hinteren Schmalseite des Diwans stehen.

[65]
RÜBEZAHL.
Ihr drei Menschen, merkt Ihr, dass Ihr verzaubert seid?
DIE DREI MENSCHEN
leise.
Ja!
RÜBEZAHL.
Na – ich will Euch wieder befreien – von dem Zauber. Herr von Schmalz, treten Sie vor.
VON SCHMALZ
in die Mitte.
Ich stehe zu Diensten. Verfügen Sie über mich.
RÜBEZAHL.
Ah, Sie wollen mein Apostel sein? Ein Apostel meines geistigen Potentatentums wollen Sie sein?
VON SCHMALZ.
Sie haben zu befehlen – ich gehorche.
RÜBEZAHL
holt seinen Knotenstock aus einer Ecke hervor und nimmt ihn szepterartig in die Hand.

Ich wollte die Entwicklung des Menschengeschlechtes beschleunigen. Aber es ging nicht, weil ich den Herrn von Schmalz noch nicht kannte. Er hat mir erst klar gemacht, dass es den Menschen immer noch viel zu gut geht. Wenn die Menschen tatsächlich weiter kommen wollen, müssen sie noch viel mehr Jammer und Elend geniessen. Jammer und Elend sind die besten Freunde der Menschheit. Alle Grandiosität wuchs aus der Armseligkeit heraus. Hier. mein Schmalz, hast Du meinen Knotenstock! Regiere mit ihm im eben angeführten Sinne! Wenn Du diesen Zauberstab hoch hältst, wird er zum Szepter und zwingt allen Menschen den Kopf runter – bis zum Fussboden Gibt ihm den Stock. Zwerge, leitet den Herrn hinaus.


Von Schmalz verbeugt sich vor Rübezahl, die Zwerge verbeugen sich vor Herrn von Schmalz, und einzelne von den Zwergen leiten ihn auf der Mitteltreppe nach oben. Schmalz hebt den Stock hoch und verschwindet, während die vier Geister lächeln.
4. Auftritt
Vierter Auftritt
Die vier Geister. Zwerge. Paschke. Betty.

QUIWI.
Ein böser Geist ging fort.
RÜFFEL.
Der böse Geist des geistigen Potentatentums.
[66]
RÜBEZAHL.

Paschke, komm näher! Hier hast Du ein langes Messer. Gibt es ihm. Wenn Du das scheuerst, werden die Menschen auf einander böse – selbst die ältesten Freundschaften kriegen einen unheilbaren Knax. Die Zwerge, die Herrn von Schmalz fortbrachten, kommen schon wieder eilig die Treppe hinunter. Somit bist auch Du mein Apostel. Du wirst den Menschen auch noch mehr Jammer und Elend bereiten. Jammer und Elend fördern die Entwicklung der Menschheit am allerbesten – besser als alle Kobolde und Märchenprinzen.

PASCHKE.
Das Messer wird mir gute Dienste leisten. Ich danke Ihnen, Herr Rübezahl!
RÜBEZAHL.
Zwerge, leitet auch diesen Menschen an die Luft der Erdrinde zurück!

Paschke wird abgeführt wie der Herr von Schmalz.
5. Auftritt
Fünfter Auftritt
Die vier Geister. Zwerge. Betty.

BETTY
vortretend.
Mein edler Prinz!
RÜBEZAHL.

Seien Sie ganz still! Es geht hier wie im Märchen zu. Sie bekommen auch was! Hier – einen Fingerhut! Gibt ihn. Wenn Sie den drehen, wird Jeder, auf den Sie's gemünzt haben, in wahnsinniger Liebe zu Ihnen entbrennen. Sie werden, wenn Sie fleissig sind, den Menschen eine sehr grosse Portion Jammerbraten zubereiten – ich weiss es. Sie können den Fingerhut auch verleihen.Betty dreht den Fingerhut. Ach nein, meine Leibe! Der Fingerhut hat nur oben auf der Erdrinde Wirkungskraft.

BETTY.
Oh! Das tut mir leid.
RAXER.
Sie wären wohl noch gerne hier unten geblieben – wie?
BETTY.
Ich gäbe mein Leben dafür, wenn ich bleiben könnte.
RÜFFEL.
Wann?
QUIWI.
Das ist – ein altes – Lügenmaul.
[67]
BETTY
zu Quiwi.
Hab ich das – verdient? Weint.
RÜBEZAHL.

Zwerge, bringt sie schnell fort, sonst glauben wir schliesslich noch, dass sie ihr apostolisches Amt da oben nicht gut verwalten könnte.


Die Zwerge tun wie bei den beiden andern Menschen.
6. Auftritt
Sechster Auftritt
Die vier Geister. Zwerge.

RAXER.
Die wird wohl den Fingerhut garnicht nötig haben.
QUIWI.
Ist doch ein Talisman! Da kennst Du die Frauen schlecht.
RÜFFEL.
Dass die Betty gerne hier geblieben wäre, schien mir doch sehr natürlich.
RÜBEZAHL.
Quiwi! Ich habe Dir jetzt alle Deine Wünsche erfüllt.
QUIWI.
Da kennst Du meine Wünsche schlecht.
RÜFFEL.
Jetzt bin ich neugierig.
RÜBEZAHL.
Ich auch.
QUIWI.

Rübezahl – was willst Du – jetzt – mit Deinem Palast – hier oben – in der Nähe der Menschen? In der Nähe der Menschen hast Du doch nichts mehr, was Dich halten könnte.

RÜBEZAHL.
Ganz richtig!
RÜFFEL.
Quiwi, Du bist grossartig. Zwerge von oben zurück – sehr behutsam auftretend.
QUIWI.
Muss ich denn noch mehr sagen, lieber – lieber – Rübezahl?
RAXER.
Rübezahl, hast Du noch immer nicht gemerkt, worauf Alles hinauswill?
RÜBEZAHL.
Habt Ihr denn ein Komplott gegen mich geschmiedet?
QUIWI.
Gegen Dich? Gegen Dich, den wir alle vergöttern?
RÜBEZAHL.
Ah so – also für mich.
QUIWI.
Verstehst Du nun meinen letzten Wunsch?
[68]
RAXER.
Sie fürchtet die Einsamkeit.
RÜBEZAHL.

Ich verstehe schon – verstand wohl schon längst. Raxer, führe den Palast hinunter – in den Granit – wir wollen – tausend Jahre – unten – in Quiwis Nähe wohnen. Sie soll sich nicht – so einsam fühlen.


Raxer geht langsam hinten links ab.
7. Auftritt
Siebenter Auftritt
Zwerge. Rübezahl. Rüffel. Quiwi.

RÜBEZAHL
gibt den Zwergen seine Waffen und seine Räuberkleidungsstücke, sodass er wieder so gekleidet ist wie am Anfange des ersten Aufzuges.
Die Zwerge gehen mit den Sachen links ab und kommen nicht wieder.
8. Auftritt
Achter Auftritt
Rübezahl. Rüffel. Quiwi.

RÜFFEL.
Jetzt wirds herrlich.
QUIWI.
Und ich – ich habe – nicht mehr Furcht – vor der ungeheuren Grösse – der Welt.
RÜBEZAHL.
Du hast Furcht gehabt?
RÜFFEL.
Du – und Furcht?
QUIWI.
Ja – wie Ihr weg wart – nach oben gegangen – da hatte ich – Furcht – vor dem – Grossen. Es ist wahr.
RÜBEZAHL.
Und jetzt?
QUIWI.

Rübezahl – ich kann Dir nicht – mehr deutlich machen – wie herrlich jetzt Alles in mir rauscht. Ich danke Dir – auch nicht – für Deine Freundlichkeit. Ich fühle nur den Dank – und sags nicht. Es taumelt in mir – und wogt – und etwas ist schon weit – weit über mir – ganz fern – hinter vielen vielen Schleiern.

RÜFFEL.

Jetzt wirds herrlich. Rübezahl kümmert sich nicht mehr [69] um die Menschen und baut – die Weltenträume – selber aus.

QUIWI.
Verlangt es nicht mehr – von Andern.
RÜFFEL.

Das geistige Potentatentum bleibt da oben bei Herrn von Schmalz. Ich gehe – neue Organe schaffen! Rübezahl – besuch mich bald. Quiwi! Du hast Alles grossartig durchgeführt. Jetzt wirds herrlich. Schnell hinten links ab.

9. Auftritt
Neunter Auftritt
Rübezahl. Quiwi.

QUIWI
während die Treppe plötzlich verschwindet und an ihrer Stelle Licht- und Farbenerscheinungen furchtbar rasch von unten nach oben schiessen – brennend rotes Glutlicht kommt am häufigsten im Folgenden durch.
Wir versinken! Rübezahl! Komm näher!

Feines fernes Summen und Sausen, Rübezahl setzt sich auf einen Fellstuhl, der nicht weitab vom Diwan steht.
RÜBEZAHL.

Der Rüffel nimmt jetzt alles einfach – und dabei stellt er gelegentlich die Einfachheit als eine Art von höherer Niedrigkeit hin.

QUIWI.

Er hat den Kopf – so voll. Lass ihn! An mich – denkt er – auch nicht mehr – nicht mal – Abschied – nahm er. Seine neuen Organe – die gehn – ihm – über Alles.

RÜBEZAHL.

Als obs nicht auch – Schöpferträume gäbe Das Summen und Sausen wird für ein paar Augenblicke heftiger als sonst. die blos – aus dem Daseienden – ganz leicht – was Andres machen möchten! Ich schaffe nicht das Neue – wie Rüffel. Ich hänge mich an das, was ist – oder zu sein scheint – ich biege daran und drücke daran und ziehe daran – sodass es langsam anders wird.

QUIWI.
Und – willst Du – unten – das grosse Weltganze – so biegen – drücken – ziehen?
RÜBEZAHL.
Nicht das ganze Weltganze – nur das eine – in das wir[70] – hineinragen.
QUIWI.

Ich muss fort! Steht auf. Aber – wir Beide – tun – ein Aehnliches. Ich – nehme nur – das Ganze – in das ich als Stein – so tief – hineinrage – in mich auf – und – fühls.

RÜBEZAHL.
Das ist beinah genug.
QUIWI.
Nein, nein! – Bleib Dir treu – biege – drücke – ziehe daran.

Die Lichterscheinungen verlöschen und an Stelle der Treppe ist ein Gang und tiefe Dunkelheit. Auch von den Lampen im Zimmer brennen nur wenige. Rechts steigt Raxer aus der Tiefe und lehnt sich über den Stein wie im Anfange des ersten Aufzuges.
10. Auftritt
Zehnter Auftritt
Rübezahl. Quiwi. Raxer.

RÜBEZAHL.
Wir sind im Granit.
QUIWI
während sie aufsteht und nach hinten in den dunklen Gang hineingeht, in dem sie sehr bald unsichtbar wird, während ihre Stimme einen ganz anderen Klang erhält, der sehr stark – aber so wie aus weiter Ferne klingt – auch stellenweise etwas Rauhes und Hartes bekommt.

Rübezahl dreht sich auf seinem Stuhle um und starrt der Quiwi nach – Raxer bleibt rechts und horcht nur. Es ist jetzt ganz still. Mächtige Wellen kommen heran – sie umrauschen mich – ziehen mich nieder – ich versinke. Ich fühle – Welten – die gross sind – so gross – so ohne Erbarmen – gross. Und ich – fürchte mich nicht mehr. Rübezahl! – biege! – drücke! – ziehe! Es ist sehr schwer. Der Stein lastet auf mir, als wollt er uns Alle zerdrücken! Aber ich fühle – schon – ganz anders! – alle Sternwelten – und alle Geisterwelten – ungezählte – ich fühle sie alle. Jetzt wird die Brust mir – frei – nicht mehr gepresst – jetzt jauchze ich – raus – hinaus – hinüber. Fest gehen alle Weltadern und die Weltsehnen – durch einander – und schlingen sich – mächtig – krallig – rauh um meinen Hals – dass ich – nicht mehr – reden kann. [71] Rübezahl! Biege sie – biege sie – all die starken Adern und Sehnen der Welt! Bleib Dir treu, Rübezahl! Tausend Jahre biege dran – zerre dran – verändre sie – drehe sie – dann sprechen – wir – weiter – über – das – Weite! – Weiter – hinein! – Das Starre – macht – nicht mehr – Furcht.


Man hört hinten in der Tiefe längere Zeit ein leises Knirschen – wie von Felsen, die fernab in einander gehen.
Vorhang.
[72]

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Scheerbart, Paul. Drama. Revolutionäre Theaterbibliothek. Band I. Rübezahl. Rübezahl. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-C178-D