Die Schweden in Rippoldsau

Vor zweihundert Jahren – Wem ist's nicht bekannt? –
Ertobte der Krieg im deutschen Land,
Die Schweden und die vom Wallenstein
Schlugen einander die Schädel ein,
Und dauerte über dreißig Jahr,
Bis die Schlachtenfurie verbrauset war.
Doch das friedliche Rippoldsauer Tal
Blieb verschont von des Krieges Gewitterstrahl,
Und mancher, dem kranken Leib zum Frommen
Ist Heilung suchend zur Quelle gekommen.
Man lebte damals schier so wie jetzt,
Man hat sich mit mancherlei Kurzweil ergötzt,
Ein trefflicher Badwirt sorgte wie heut
Für gute Herberg' und Schnabelweid.
Man schlürfte die Quelle und sprach nur wenig
Von Papst und Kaiser und Schwedenkönig.
Die Alten tranken und rauchten Tabak,
Die Jungen fanden am Ballspiel Geschmack,
Die Damen in Reifrock und hoher Krause
Scherzten und lachten beim Mittagsschmause,
Und abends tanzte man zierlich und nett
Auch ein steif graziöses Menuett.
Die Badmusik war in vorzüglichen Händen,
Sechs Mann mit verschiedenen Instrumenten
Spielten rüstig und unverdrossen drauf los,
Und war schier jeder ein Virtuos.
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Da begab sich's im dreiundvierziger Jahr,
Daß Herr Johann Petzold Baßgeiger war,
Der hing eines Abends im Monat August
Seine Geig' auf den Rücken mit großer Lust,
Und stieg auf die Holzwälder Höhe empor,
Um unbelauscht von der Badgäste Ohr
Ein neues Adagio einzustudieren,
Womit er am Sonntag wollt' exzellieren.
Denn für des Brummbasses dröhnend Walten
Ist's besser, einsame Proben zu halten;
Die Baßgeige lieben viele Personen,
Mögen doch nicht neben dem Baßgeiger wohnen.
Drum kam Herr Petzold mit Cello und Bogen
Hinauf in den luftigen Tannwald gezogen,
Und schaute weit in die Lande hinein
Bis zum Straßburger Münster am glitzernden Rhein,
Er suchte ein schattiges Plätzlein im Moose
Bei Farrnkraut und duftiger Weidenrose;
Hell klang in die Waldesstille und froh
Sein funkelneues Adagio.
Doch wie's so recht voll in den Saiten rauschte,
Da spitzt' er auf einmal die Ohren und lauschte;
»Zum Teufel, was hör' ich, was hat sich gerührt?
Ich werd' aus der Ferne akkompagniert!
Trom trom! trom trom! trari, trara!
Nun hilf uns, heilige Cäcilia!«
Herr Petzold hatte in früheren Tagen
Bei Pappenheims Reitern die Pauke geschlagen;
Seit der Lützner Affäre kannt' er den Ton:
»So trommt und trompetet der Torstenson!
Trom trom! trom trom! trari, trara!
O heil'ge Cäcilie, der Schwed' ist da!«
Herr Petzold hat keine Silb' mehr gesprochen;
Aufsprang er, wie von der Tarantel gestochen,
Und schultert die Baßgeig' und sah nicht mehr um,
Vergaß selbst sein gelb Kolophonium,
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Ließ Noten zurück und Sacktuch und Kapp'
Und sprang wie besessen den Tannwald hinab.
»Gut' Nacht, Adagio und Bademusik!
Gut' Nacht, der Petzold kommt nimmer zurück!«
Im Bad indes hatte niemand Kunde,
Was Herr Petzold erlauscht in jener Stunde,
Es kamen, wie sonst, die Herren und Damen
Im Speisesaal zum Souper zusammen.
Der Expeditor bracht' an Paket und Brief,
Was mit der Wolfacher Post einlief.
Auch von Freiburg der alte Herr Kreispräsident
Erhielt ein gesiegelt Pergament,
Und man bemerkte, daß etwas blaß
Seine Züge wurden, als er es las;
Es scheint, auch in dieser Epistola
Stand was von trom trom und trari trara!
Denn er flüsterte Frau und Tochter was zu
Und rief auch plötzlich den Badwirt herzu
Und sprach: »Ich verreise früh morgen um vier,
Besorgen Sie schnell einen Wagen mir!«
Und wiewohl kopfschüttelnd der Badwirt sprach:
»Sie haben bestellt ja für dreißig Tag'
Die Wohnung und sind erst seit heut im Quartier«,
Erwidert' er: »Dennoch verreis' ich von hier!«
Des andern Morgens früh um vier Uhr
Er mit Extrapost von dannen fuhr.
Auch der Herr von Questenberg von Wien
Nicht mehr, wie sonst, an der Quelle erschien.
Er nahm trotz seinem seidenen Rock,
In derselben Kutsche Platz auf dem Bock.
Um acht Uhr saß alles wie sonst beim Kaffee
Im Hof und unter der Lindenallee,
Doch die Musik schlich traurig heran,
Statt sechsen waren's nur fünf Mann,
Und was sie spielten, war inkomplett,
Daß schier man sie ausgepfiffen hätt'.
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Drum zu den Gästen mit klagender Miene
Sprach entschuldigend die erste Violine:
»Wir sind ruiniert, ein verstimmter Akkord:
Die Baßgeig' mitsamt dem Petzold ist fort!«
Da wurde viel geschwatzt und gesprochen,
Ob Freund Petzold wohl seinen Hals gebrochen,
Oder ob, als leichtfertiger Musikant
Er ohne Abschied von dannen gerannt;
Die Menschheit ist stets geneigt zum Bösen,
Man machte viel boshafte Hypothesen:
Er hab', als Verliebter, im Schatten der Nacht
Einer Wälderin ein Baßgeigenständchen gebracht,
Oder liege, von süßem Weine trunken,
Wohl in jammervolle Träume versunken.
Nur der Flötist sprach mit edlem Mut:
»Der Petzold ist klug und weiß, was er tut!«
Und wieder nahte die Mittagsstunde
Und saßen die Gäste in fröhlicher Runde,
Die Schüsseln dampften – nur auf der Tribüne
Dacht' die Musik mit betrübter Miene:
»Bald kommt der Braten, o schlimmes Signal,
Heut spielen wir nur zu unserer Qual,
Wir sind ruiniert, ein verstimmter Akkord,
Die Baßgeig' mitsamt dem Petzold ist fort!«
Der Braten kam, schon schwirrten die Geigen,
Da flog durch den Saal ein bedeutungsvoll Schweigen,
Die Fenster klirren – o bittres Dessert!
Ein Kanonenschuß vom Kniebis her!
Noch einer – piff, paff! – 's ist nimmer geheuer,
O Gott, Geschütz- und Musketenfeuer!
Und zwischen hinein: trom trom, trara!
Behüt' uns Gott vor der Musika!
Wie wenn der Blitz in ein Taubenhaus schlägt,
Schwirrt alles verstört und bewegt und erregt ...
Dort fällt ein Stuhl – hier zerbricht ein Teller,
Dort verschüttet einer den Muskateller,
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Die Damen schluchzen, die Kinder schrei'n, –
Der taucht sein Biskuit in Senftopf ein –
Der fordert die Rechnung – der Rosse – der Wagen –
Der denkt: jetzt hat meine Stunde geschlagen
Und spricht zur lockigen Nachbarin:
»Ich lieb' Euch! laßt uns zusammen fliehn!«
Der ruft zum Wirt: »Ade, seid geduldig!
Für diesmal bleib' ich die Zeche schuldig!«
Der zupft ihn am Ärmel – der tritt ihm den Fuß:
»Ein Königreich für einen Omnibus!
Auf, auf! helft, helft! schon hört man ganz nah
Trom trom, trom trom, – trari, trara!«
O Rippoldsau, du stilles Tal,
Wie warst du verwandelt mit einem Mal,
Seit der Sündflut hat, in verworrener Flucht,
Keine Gesellschaft so das Weite gesucht.
Hier trug ein Herr auf erhobenem Arm
Eine ohnmächtige Dame durch den Schwarm,
Hier galoppte ein Reiter die Straße hinab,
Dort entfernte ein Hausknecht zu Fuß sich im Trab,
Ja, ein verspäteter Unglückssohn
Ritt auf dem Haushund Sultan davon.
Eine halbe Stunde – und still und stumm
Lag Badhaus und Quelle und alles ringsum,
Nur auf der Galerie der Musik
Blieb ein einzig menschliches Wesen zurück.
Es war der Flötist, er stieg fröhlich und munter
In den menschenverlassenen Saal herunter
Und sprach: »Wozu das unnütze Rennen!
's ist Zeit genug noch, um durchzubrennen,
Doch ein Laufen mit Durst und mit leerem Magen
Das kann kein Flötenspieler vertragen.«
Er setzte sich an den verlassenen Tisch
Und tat sich noch gütlich mit Braten und Fisch,
An Biskuit und Mandeln, am ganzen Dessert,
Als ob kein Schwed' in der Nähe wär'...
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Auch steckt' er gelassen in seine Taschen
Zwei unversehrte Affentaler Flaschen,
Bis daß auf fünfzig Schritte nah
Es von neuem klang: »Trari, trara!
Trom trom, trom trom, trom trom, hurrra!
Der Schwed' ist da, – der Schwed' ist da!«
Da griff er ruhig zu Flöte und Hut;
»Ich sagt's ja, der Petzold weiß, was er tut.
Jetzt noch ein Glas Wein und das letzte Stück Kuchen,
... Dann will auch ich den Petzold suchen!«

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TextGrid Repository (2012). Scheffel, Joseph Viktor von. Gedichte. Gaudeamus. Lieder aus dem Engeren und Weiteren. Aus dem Weiteren. Die Schweden in Rippoldsau. Die Schweden in Rippoldsau. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-C261-8