[222] Die Warnung

Romanze.


Es tritt ein Wandersmann herfür
An eines Dorfes Schenke,
Er setzt sich vor des Hauses Thür
Im Schatten auf die Bänke;
Legt sein Bündel neben sich,
Bittet den Wirth bescheidentlich,
Mit einem Trunk ihn zu laben.
Da zechen an dem nächsten Tisch
Zwei wilde rohe Buben.
Heda, Herr Wirth! und gebt uns frisch:
Was kauzt ihr in den Stuben?
Diese Nacht so durchgeschwärmt,
Heute von Morgens früh gelärmt!
Wir wollen nicht nüchtern werden.
Ha, Bruder, war das nicht ein Spaß,
Es geht mir nichts darüber.
Und lieb' ich schon das volle Glas,
Hab' ich doch Unfug lieber.
Ach wie wird verwundert sein
All die werthe Christengemein!
Wie wird der Pfaffe nicht toben!
[223]
Da draußen erst den Nepomuk
Mit seinen sieben Sternen,
Ich schob ihn an den Rand zuruck,
Bald muß er schwimmen lernen,
Schüttert was, so plumpt er 'nein,
Rudert wohl mit dem Jesulein,
Den hält der Narr in den Armen.
Alsdann hinunter längs dem Thal
Der Wallfahrt Stationen,
Die dreizehn Steine allzumal
Mit Christi Passionen,
So beschmiert, verziert auf's Fest,
Daß das Lachen kein Einz'ger läßt,
Wenn sie zum Beten da knieen.
Der Andre sprach: Wenn's Prahlen gilt,
So steh' ich alle Wetten.
Der Schnurrbart am Marienbild,
Und dann die Kron' aus Kletten,
Die ich ihm zu Nacht bescheert,
Sind wohl deine Geschichten werth,
Und es ist noch nicht das beste.
Dort auf dem Fels am hohen Kreuz,
Statt Christi leid'ger Fratze,
Hängt nun – o in der Seel' erfreut's! –
Des Nachbars todte Katze.
Wenn sie nun auf ihrer Bahn
Ziehn die Stufen zur Kirch' hinan,
Das wird was erbauliches werden.
[224]
Der Wandersmann schaut ernst und still,
Da sie die Red' erhuben.
Sie achten erst nicht, was er will,
In ihrem Rausch, die Buben.
Beide riefen dann zugleich:
Kümmert euch, Tuckmäuser, um euch!
Was soll das Gaffen und Horchen?
Der Wandersmann sagt nicht ein Wort,
Und schaut nur unbeweglich,
Und ihnen wurde fort und fort
Sein Blick mehr unerträglich.
Wenn ihr nicht die Frechheit laßt,
Sagten sie, solchen Heuchler-Gast,
Den muß man mit Schlägen verjagen.
Mich schlägt ein Andrer wohl als ihr,
Ihr mögt kein Haar mir kränken.
Ich bin auf kurze Frist nur hier,
Doch sollt ihr mein gedenken.
Junges Blut hat Frevelmuth:
Thut nicht ferner, so wie ihr thut,
Und laßt bei Zeiten euch warnen.
Sonst schließt ihr einen Bund der Treu
Mit Judas falscher Rotte:
Den Heiland kreuzigt ihr auf's neu
Mit solchem kecken Spotte. –
Ja doch, da geschäh' ihm recht,
Weil sich der einfältige Knecht
Das erstemal kreuzigen laßen. –
[225]
Ich weiß gewiß, ihr sprächt nicht so,
Wärt ihr einst mitgegangen;
Ihr hättet nicht, der Qualen froh,
Am Kreuz ihn sehen hangen,
Wie aus bittern Wunden quoll,
Aller Lieb' und Erbarmung voll,
Sein heilig göttliches Leben.
Wie um ihn, ewig hoffnungslos,
Die Freund' und Mutter standen,
Und er im Busen trug ihr Looß,
Bei grimmen Todesbanden;
Neigt sein Haupt in Finsterniß,
Durch die Himmel geschieht ein Riß,
Und innerlich schauert die Erde. –
Ei seht, der macht uns glauben gar,
Er wär' dabei gewesen.
Was er erzählt, kann man fürwahr
In alten Tröstern lesen.
Sagt uns doch, wie alt ihr seid,
Daß ihr sah't, was vor ew'ger Zeit
Und nimmer vielleicht ist geschehen? –
Ich bin nicht alt, ich bin nicht jung,
Mein Leben ist kein Leben.
Wie rastlos kreiß't der Sonnen Schwung,
Muß ich hier unten schweben.
Greiser wird das Haar mir nicht,
Nicht gerunzelter mein Gesicht,
Das niemals lachet noch weinet.
[226]
Ich war wie ihr von frechem Muth
In meinen ersten Tagen.
An mir that keine Lehre gut,
Kein Warnen half noch Sagen.
Als der Hohenpriester Amt
Heuchlerisch nun den Christ verdammt,
Da wollt' ich mein Müthchen auch kühlen.
Und als mit schwerer Kreuzeslast
Zum Thor ihn schleppt die Menge,
Da hatt' ich vor den andern Hast,
Und stieß ihn im Gedränge.
Matt und lechzend, ohne Schrei'n,
Wollt' er rasten auf einem Stein,
Da schlug ich ihn mit den Fäusten.
Geh, rief ich, Jesus! fort mit dir!
Zum Tod dich endlich schicke!
Der Heiland sah sich um nach mir,
Und sprach mit stillem Blicke:
Ich zwar gehe bald zur Ruh,
Aber wandern sollst nun du,
Und warten, bis ich komme.
Dieß Wort, dieß Wort, dieß Eine Wort
War Heil mir und Verderben.
Es schirmt mich vor der Seele Mord,
Doch wehrt's mein leiblich Sterben.
Und mich treibt's von Land zu Land,
Und bin manchem zum Grau'n bekannt,
Der ewige wandernde Jude.
[227]
Der Fremdling sprach es alles aus
Mit unbewegter Miene,
Doch brennend durch die Stirn heraus
Ein blutroth Kreuz erschiene.
Als die Zwei das Zeichen sahn,
Fällt sie an der Verzweiflung Wahn,
Sie glaubten sich schon in der Hölle.
Und eh sie Seel' und Leibeskraft
Und Sinne wiederfunden,
Hat er sein Bündel aufgerafft,
Und ist schon weit verschwunden.
An des letzten Hügels Rand,
Sehn sie noch, den Stab in der Hand,
Die irre Gestalt hinwanken.
1Zu spät zerknirscht sie's und gereut's,
Gott läßt mit sich nicht scherzen;
Es brennt das feurig blut'ge Kreuz
In den lieblosen Herzen.
Kirchentrost ward nicht gespart,
Buße, Gebet und Pilgerfahrt,
Doch lebten die Spötter nicht lange.

Fußnoten

1 Die folgende Strophe steht nicht in dem ursprünglichen Gedichte und fehlt ihm auch nicht.

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TextGrid Repository (2012). Schlegel, August Wilhelm. Gedichte. Lieder und Romanzen. Die Warnung. Die Warnung. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-D1D5-2