Elfte Romanze

Eben las die Seelenmesse
Zu der Christenkämpfer Ehre
Turpin dort im Kriegesfelde,
Kaiser Karol stand daneben;
Eh' das Hochamt noch vollendet,
Wird entrückt des Bischofs Seele.
Singen hört er plötzlich Engel,
Die im Chor gen Himmel kehren;
Da die seinem Blick entschwebet,
Folgt ein wilder Haufe denen
Dunkler Höllenrichter schnelle,
Führen einen Mann gefesselt,
Wie zur Hölle Räuber gehen,
Mit dem Raub in frechen Händen.
Wen sie führen, fragt er; jene
Zu dem frommen Bischof sprechen:
»Den Marsir zur Höll' in Ketten,
Aber den vom Horn, den Helden,
Michael zur Himmelsveste.« –
Da die Messe nun geendet,
Vor den Kaiser Karol tretend,
Hat der Bischof so geredet,
Mit dem Kreuz zuvor sich segnend:
»Kund muß dir, o Kaiser, werden,
Roland ist nicht mehr am Leben.
Michael führte seine Seele
Mit viel andern Christenseelen
Zu des Himmels lichten Welten.
[136]
Den Marsirus aber werfen
Höll'sche Geister, hart gefesselt,
In des Flammenpfuhles Wellen.« –
So noch sprach er; und da sehen
Balduin sie durch die Felder,
Der in Eil absprang vom Pferde,
Alles treu dem Kaiser meldet,
Wie er Roland ließ beim Felsen
Schon im Todeskampfe sterbend.
Ein Geschrei wird da im Heere,
Wie sie hiehin, dorthin gehen,
Bis der Kaiser Karl den Helden
Liegen fand bleich und enseelet,
Kreuzweis auf die Brust geleget
Seine Hände zum Gebete.
Da begann mit tiefem Wehe,
Klagevoll am Leichnam stehend,
Weinend, seufzend, ohne Ende,
Laut vergießend heiße Tränen,
Händeringend und im Schmerze
Haar und Wange sich verletzend,
Karol diese Klagerede:
»O du meines Leibes Rechte,
Ruhm und hohe Zier der Franken,
Schwert des Rechtes, Schirm des Heiles,
Nie bezwungne Heldenlanze!
Du, dem Judas Makkabäus
Ähnlich durch der Tugend Taten,
Saul und Jonathan im Tode,
Simson gleich an Kraft des Armes;
Weh, daß du erschlagen!
O du rastlos wackrer Kämpfer,
Stärkster unter allen Tapfern,
Tod der Heiden, Schirm der Christen,
Königlich von Sinn und Adel!
Du des Klerus hohe Mauer,
Stab der Waisen und der Armen,
Allen hülfreich, Schild der Witwen,
Der nicht Trug noch Lüge kannte;
Weh, daß du erschlagen!
[137]
Warum mußt' ich her dich führen,
Wo dich tot mein Auge sahe?
Konnt' ich denn mit dir nicht sterben?
Warum bleib' ich hier verlassen?
Du zwar magst nun immer selig
In des Märtertumes Kranze
Dich des Paradieses freuen
Mit der heil'gen Engel Scharen.
Aber wir, so wie die Seinen
König David muß bejammern,
Also wir auch ohne Ende,
Roland, müssen um dich klagen;
Weh, daß du erschlagen!«

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TextGrid Repository (2012). Schlegel, Friedrich. Gedichte. Roland. Elfte Romanze. Elfte Romanze. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-D7D1-9