Frankenberg bei Aachen

In des Maien linden Tagen
Hört' ich die alte Sage,
Dort wo bei warmen Quellen
Die sanften Hügel grünend schwellen,
Von dem Wunderringe,
Der Kaiser Karol konnte zwingen,
In Lieb' ihn binden,
Daß er nach Aachens heitern Gründen
Sich wie zur Heimat sehnte,
So weit sein Reich sich dehnte,
Vor allen Burgen, Landen,
Gebunden hier, wo süße Lieb' ihn bannte.
Spiegelhelle Seen,
Ringsum die Büsche stehen
Sah ich auf der Hügel Rücken,
Wo zwischen Gängen, kleinen Brücken,
Bäche durch den Wiesengrund hinfliehen,
Schwäne auf den stillen Wassern ziehen,
[355]
Kühl' und warme Wellen
Aus einem Boden quellen,
Kinder an dem Brunnen spielen,
Die laue Luft so lind zu fühlen.
Dort wo sich die Mauern zeigen,
Trümmer aus dem See aufsteigen,
Von grünem Schilf und Moos umgeben;
Da hat das Wunder sich begeben,
Daß durch mag'sche Kraft gebunden,
Karl nicht eher Ruh' gefunden,
Wie alte Sage uns berichtet,
Bis er hier die Burg errichtet,
Wovon die Spur wir froh noch schauen,
Jedweden Frühling in den stillen Auen.
In süßer Lust gefangen,
Den sehnenden Schmerzen nachzuhangen,
Bezaubert alle Sinne,
Zwingt Karlen holde Minne,
Dem tiefen Sehnen sich ergebend,
Einzig sein Leben liebend, in Liebe lebend.
Doch nimmer ward noch Minne
Selig der sel'gen Schätze inne.
Tod will mit Minne streiten,
Ein bittres Ende süßer Lust bereiten,
So muß auch Karles Herz vergehen,
Die Huldin sterben sehen.
Auch tot noch will er sich von ihr nicht trennen,
Wähnt, das sie wieder ihn wird kennen.
Das Grabmal zu durchschauen,
Läßt er von Glas den Sarg erbauen,
Und brünstig noch zu lieben
Den süßen Körper fühlt er sich getrieben.
An dem Sarge festgebunden,
Schwinden ihm die schnellen Stunden.
Nicht Durst noch Hunger fühlend,
Spricht er mit seinem Schmerz nur spielend.
Die Diener sehn mit Trauern
Immer den wilden Wahn noch dauern;
Da naht Turpin der Weise,
[356]
Öffnet den Sarg so leise,
Weil Karl, des Ohr wohl Zauber trafen,
Auf einen Augenblick entschlafen,
Und zieht den Ring vom Finger
Der schönen Leiche, den Bezwinger
Von Karles Herzen,
Das frei nun wird von Schmerzen.
Der Zauber ist verschwunden,
Von dem Wahn entbunden,
Will Karl schon entfliehen,
Einsam auf Berge ziehen.
Da sieht er stille Seen
Vor seinen Augen stehen.
Sind die Schmerzen gleich verschwunden,
Fühlt er sich dennoch fest gebunden.
Das stille Wasser ohne Wog' und Wellen
Erregt im eignen Aug' die Quellen
Gelinder Tränen;
Unendliches Sehnen
Will in die Tief' ihn ziehen,
Er kann nicht fliehen.
Hier hat den Zauberring versenket
Der Weise, der auf seine Rettung denket;
Drum nach den stillen Seen
Muß sein Auge immer sehen.

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TextGrid Repository (2012). Schlegel, Friedrich. Gedichte. Romanzen und Lieder. Frankenberg bei Aachen. Frankenberg bei Aachen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-D7DA-8