[481] [483]Friedrich Schlegel
Nachträge

[483] [485]An Ritter

O wundersüßes Wunder, heilig Wesen
Der ewigen Gesänge,
Die schon in jeder trunknen Brust erwachen!
Wie leicht mag der vom herben Schmerz genesen
In aller Freuden Fülle,
Dem hold die Musen aus den Augen lachen?
Sich selber anzufachen
Sind wachsam stets die nie verloschnen Flammen,
Und streben froh zusammen:
Auch wenn sie noch verborgen sich entzünden
Soll schon des Sehers Auge sie verkünden.
Kaum hab' ich erst die Schläfen grün umkränzet,
Den Thyrsus kaum geschwungen,
So drängt mich's laut die große Lust zu teilen
Mit dir, deß Haupt schon musenheilig glänzet,
Seit die Natur, bezwungen,
Im Fliehen muß vor deinem Blick verweilen.
Wie rasch Gesichte eilen,
Wenn heitre Lüfte kühl die Stirn uns wehen,
In Andacht wir vergehen,
Hast du in sel'ger Jugend schon erfahren,
Willst es in tiefem Herzen noch bewahren.
Doch laß den Freund dein eigen Bild dir zeigen,
Den Quell der Kunst enthüllend,
Der rein in gottgeweihter Brust dir rauschet,
Wo alle Triebe vor dem einen schweigen,
Der, nie sich selbst erfüllend,
Nach Liebe nur in Tod und Leben lauschet.
Wenn wir uns selbst getauschet
Im innigen Gespräch, schien alles Leben
Gleich dem Gespräch zu schweben,
Wo Frag' und Antwort schön verworren kreisen
Wie Tod und Leben in den ew'gen Gleisen.
[485]
Ein jeglich Wesen will sein Wesen sagen,
Und fühlt sich bald gekettet,
Muß nah dem Ziele dennoch von ihm schwanken.
Im Menschen scheint die Kraft sich selbst zu fragen:
Wer hat mich schnell errettet?
Wie kam das Freie in so enge Schranken?
Im Chaos der Gedanken
Bedarf's nur einen Blick zu jenen Sternen,
Die Zweifel zu entfernen;
So tröstlich glänzen auch des Freundes Augen,
Wo für das kalte Gift wir Heilung saugen.
Es darf das Herz so guten Zeichen trauen,
Und wenn es in sich lodernd
Erbangt' und im Gewühl sich nicht erfreute,
Zu einem nur der beiden Himmel schauen,
Die gute Hülfe fodernd
Wo stets die Jugend sich neugrün erneute.
Drum weh dem, der sich scheute,
Der Menschheit höchste Blume kühn zu brechen,
Die Wahrheit auszusprechen,
Und was er still vernahm am tiefen Orte,
Zu prägen falsch sich schämt in freie Worte.
Der wahre Tag ist Nacht, du wirst nur sterbend
Des Lebens Leben finden,
Und alle Kunst keimt der Natur im Herzen.
Da wo des Daseins Schrecken dich verderbend
Wie Schlangen wild umwinden,
Naht dir die hohe Lust, mit sich zu scherzen.
Dann magst aus eignen Schmerzen
Ein sinnreich künstlich Bild mit eignen Händen
Du kühn und schlau vollenden,
Und zu dir sagen in dir selber sicher:
Wo ist der alte Schreck, wohin entwich er?
O wunderlichte doch verborgne Stelle!
Wer selig dich gefunden,
Dem leuchtet ewig rot ein ew'ger Morgen:
Denn nie versiegt die Kraft aus dieser Quelle,
Wo alle fest verbunden
Die Künste noch in Einer Kunst verborgen.
Bald fliehn die kleinen Sorgen,
Es kann der Meister jeden Leib bezwingen,
Zum Geisterreich sich schwingen;
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Und fühlt er matter einst die alte Stärke,
Erfreun wie Kinder ihn die teuren Werke.
Erfinder zaudern lange.
Heil dem, den tief die sel'gen Schmerzen trafen,
Die tief im Weltall schlafen!
Wes mutig Herz schon fühlt prophet'sche Qualen,
Sieht bald sein Haupt in hellem Lorbeer strahlen.

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TextGrid Repository (2012). Schlegel, Friedrich. Gedichte. Nachträge. An Ritter. An Ritter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-D865-4