3. Bild des Menschlichen Lebens

Ich neulich früh am Morgen,
Zu edler Frühlingszeit,
War losgemacht von Sorgen,
Von aller Last befreit;
Da sah ich in dem Garten
Erblüht ein Blümlein zart,
Das wollt' ich gerne warten,
Bis es vollkommen ward.
Die Morgenröt' verschwunde,
Weil ihren Purpurschein
Der helle Tag umwunde
Mit großer Klarheit sein.
Die Sonn' mit sanften Strahlen
Das Blümlein übergoß,
All' Blättlein sie tät malen,
Tief in den Blütenschoß.
Nun es gar lieblich blickte,
Und süß Geruch ausstreut,
Die Leiden es erquickte,
Die Sterbenden erfreut.
Ein Lüftlein lind von Atem
Rührt an das Blümelein,
Da schwebts wie an dem Faden
Gebundnes Vögelein.
Auf feinem Stiel im Mute
Sich wendt' es hin und her,
Voll Kraft und Lebensblute
Als käm' der Tod nie mehr.
O Blümlein schön ohn' Maßen
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Bist du in deiner Zier;
Will nun von dir nicht lassen
Bis auf den Abend hier.
Ei, wer mag dann aussprechen
Dein Schön und Lieblichkeit;
In dir weiß kein Gebrechen,
Bist voller Zierlichkeit.
Ja Salomon, der mächtig,
War nicht so schön bekleid't,
Wann er schon leuchtet prächtig
In Pomp und Herrlichkeit.
Um dich die Bienlein summen
Und Honig sammeln ein,
Zu saugen sie da kummen
Dein' zarte Wängelein.
Der Menschen Kind imgleichen
Mit Lust dich schauen an;
All' Schönheit muß dir weichen,
Dein freut sich jedermann.
Wohl magst du nun stolzieren.
Du Gartensternelein,
Mußt endlich doch verlieren
All' dein gefärbten Schein;
Zu bald wirst dich entfärben,
Gestalt wird reißen ab;
Noch heute mußt du sterben,
Denk zeitlich nur zum Grab.
Ich zwar will dich nicht brechen,
Von mir wird's nicht geschehn,
Die Sonne wird dich stechen,
Wirst nicht mehr lange stehn.
Ach, halt, soll's dann schon werden? –
Verdoppelt schießt den Strahl
Die Sonne her zur Erden
All' Glut und Feuers Qual.
Ach was will nun beginnen
So zartes Gartenblut,
Die Blättlein gar entrinnen
Von heißer Sonnenglut.
Da neigt es sich zur Stunde,
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Das jetzt noch aufrecht stunde
Verwelkt und sinket hin,
Mit also stolzem Sinn.
Das Blümlein jung an Tagen,
Sein Häuptlein niedersenkt,
Ach, ach, sollt' ich nicht klagen,
Was mich im Herzen kränkt.
O weh der kurzen Stunden,
O weh, da schläft es ein,
Jetzt liegt es überwunden
Mein zartes Blümelein.

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TextGrid Repository (2012). Schlegel, Friedrich. Gedichte. Trutznachtigall. 3. Bild des Menschlichen Lebens. 3. Bild des Menschlichen Lebens. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-D86D-3