§. 6. Muttersorge.

Ist das Kind zur Welt gekommen, so fragt die Mutter mit prüfendem Blicke, ob es wohl gerathen sey, seine geraden Glieder habe, ob es stark und gesund und fähig zum Leben sey. Sind diese Fragen glücklich gelöst, so beginnt eine neue Sorge der Mutter, daß ihr nichts widerfahre, was seinem leiblichen wie geistigen Wohle schaden könnte, daß alles vermieden werde, was bösen Einfluß üben, alles in Anwendung komme, was für jetzt und die Zukunft sein Heil und Glück befördern möchte. Mit Bangen wird Alles erforscht, was auf Freude oder Kummer deutet, und kein Mittel unversucht gelassen, das böse Schicksal des Kindes, so es anzeigt wäre, zum Guten zu wenden.

So geräth die Mutter von Sorge in Sorge um das Kind, das ein Theil des eigenen Ichs, Fleisch von ihrem Fleische ist und an ihrer Brust genährt wird, von dem Tage an, wo es zur Welt kam, bis zur Stunde, wo die Mutter aus dem Leben scheidet, und selbst aus dem Jenseits reicht die Muttersorge noch herunter auf das Kind, das sie zurückgelassen, als ob Nichts in der [178] Welt einen Ersatz bieten könnte für die Liebe und die Sorge, die ein Mutterherz empfindet.

Wer sollte also tadeln, wenn ich in Nachstehendem mich etwas weitläufiger darüber verbreite, was in die ser Beziehung alte Sitte geheiliget hat, wenn es gleich dem Geschmacke der Neuzeit nicht zusagt.

1.

Die Nachgeburt wird in einen neuen Hafen gethan, unter das Bett gestellt und nach Sonnenuntergang unter einem fruchttragenden Baume vergraben, wodurch das Kind fruchtbar an Tugenden und Wissen wird. Fronau.

2.

Die Nabelschnur bleibt dem Kinde, bis es dreymal gebadet ist, dann fällt sie weg und wird in ein Buch gelegt, damit das Kind gemerkig werde, leicht auffasse und behalte; wird nun das Kind sieben Jahre alt, so gibt man ihm die Nabelschnur, damit es die Knoten auflöse und so gemerkig werde. Fronau.

3.

Ist das Kind zum erstenmal gebadet, so schüttet man das Badwasser unter einen Rosenstock, damit es recht blühend werde. Fronau.

4.

Ein neugebornes Kind wird nach der Geburt sogleichgewogen, um zu erfahren, ob es ausgetragen ist; es muß daher neun Pfund wenigstens wiegen, je ein Pfund auf den Monat.

Die Knaben wiegen meistens mehr. Wiegt das Kind unter neun Pfund, so stirbt es inner den sechs Wochen. Rötz.

5.

Zu Bärnau wird bey der Geburt eines Kindes sogleich der Kalender zur Hand genommen, um zu [179] erfahren, in welchem Himmelszeichen es geboren ist. Unglücklich ist das Zeichen der Jungfrau oder des Skorpions, weil ein solches Kind nicht ein ganzes Jahr alt wird. Ebenso in Roding.

Das Zeichen des Krebses deutet darauf, daß bey dem Kinde Alles den Krebsgang gehen wird; das des Löwen auf Glück.

6.

Wenn das Kind gleich nach der Geburt die Augen öffnet, wird es einstens leichtsinnig und zum Bösen geneigt; behält es aber die Augen geschlossen, so wird ein überlegender gescheider Mensch daraus. Fronau.

7.

Wenn die Hebamme aus dem Hause ist, hängt man dem Kinde gegen die Gelbsucht ein Stück Elfenbein, Schwefel und gelben Borten in ein Säckchen genäht um. Neukirchen.

8.

Bringt das Kind ein Mal zur Welt, so muß die Mutter früh bey abnehmendem Monde von einem Apfelbaume, der zum erstenmal trägt, einen Apfel nehmen, diesen mit einem Bindfaden zerschneiden, das Mal mit den Flächen des Schnittes abreiben, sodann aber die beyden Hälften mit dem Faden zusammen binden und den Apfel unter den Baum, von dem er genommen ist, vergraben, so wird das Mal abnehmen, wie der Apfel verfault. Rötz. – Kommt es zur Welt mit einem blaulichen Streifen von einem Auge über die Rase zum anderen, wird es nicht über zwey Jahre alt. Fronau.

9.

Hat das Kind die Mundfäule, so streicht man ihm mit einem eben gebrauchen Messer vom Schinder[180] kreuzweise dreymal über die Zunge in Gottes Namen, so wird es gesund. Amberg. Rötz.

10.

Hat das Kind den Pfizwurm, so bindet man ihm einen lebenden Schmerlfisch auf den Nabel: fault dieser auf der Seite, wo er aufliegt, so hat ihn der Wurm gefressen. Amberg.

11.

In den sechs Wochen dürfen die Windeln nicht unter die Bank geworfen werden, sonst bekömmt das Kind kein Ansehen. Neustadt.

12.

Ein Kind zum Fenster hineingegeben, wird nicht mehr größer.

Dasselbe ist der Fall, wenn man über ein Kindschreitet oder springt; man bannt damit dessen Wachstum; um ihn zu lösen, muß man wieder über dasselbe zurückschreiten. Fronau.

13.

Ein Kind darf man unter Einem Jahre nicht abregnen lassen, damit es nicht Sommersprossen bekomme, besonders nicht, wenn die Sonne in den Regen scheint. Amberg. Fronau.

14.

Vor Einem Jahre soll man auch ein Kind nicht in denSpiegel schauen lassen, indem es hiedurch leichtfertig wird. Tiefenbach.

15.

Damit das Kind eine schöne helle Stimme zum Singen erhalte, gibt man ihm ein Lercheney zum ausschlürfen. Altdorf.

16.

Gibt man einem Kinde unter Einem Jahre nüchtern das gekochte Herz eines Staaren zu essen, so wird es gelehrig und gemerkig. Fronau.

17.

Ein Kind unter Einem Jahre soll man nicht [181] riechen lassen, sonst lernt es in seinem Leben nicht unterscheiden, was gut oder übel riecht. Fronau.

18.

Trägt man ein Kind zum erstenmal in ein Haus, sey es arm oder reich, zu befreundeten oder fremden Leuten, so gibt man ihm dort ein weisses Ey, das Kloberey, und hat man keines zu Hause, schickt man es ihm nach; um Neunburg ist es mit Honig oder Rahm bestrichen, damit das Kind daran lecke und bald reden, klappern oder plappern lerne. – Um Altdorf erhält das Kind zwey Eyer zum Geschenke, und mit dem einen reibt man den Mund des Kindes, damit es gut zahne.

So wie dort das Kind zum erstenmal aus dem älterlichen Hause getragen wird, gibt man der Wärterin drey Eyer mit den Worten mit: »Sobald die Henn' gackert, soll das Kind reden!«

19.

Das Haar des Kindes wird dick und schön, wenn man ihm den Kopf mit Wasser wäscht, welches aus der Wurzel des Wintergrünes gewonnen worden. Tiefenbach.

20. Unglückliche Geburtstage.

In der Walpurgi-Nacht soll die Mutter nicht entbinden, das Kind gehört den Hexen. Amberg.

Erstickt das Kind, welches am Gründonnerstag zur Welt kommt, nicht schon in der Geburt, so stirbt es auf dem Schaffot.

Ein Kind, geboren am 1. April, dem Tage des Judas Ischarioth, kommt unter den Strang, ebenso das am 1. August geborene, weil an diesem Tage die[182] bösen Engel in die Hölle verstossen worden sind, insofern es nicht früher durch Elend und Armut zu Grunde geht.

Am 1. Dezember ging Sodoma und Gomorrha unter; an diesem Tage Geborene kommen in Wasser um. Waldmünchen.

Auch jeder siebente Tag des Monates ist verhängnißvoll: der siebente Tag ist ein Judastag; am siebenten hat Judas den Herrn verrathen. Solche Kinder werden Siebenerlinge, Judasse, falsche Leute. Amberg.

21.

Wenn ein Kind das erstemal zur Schule geht, soll man es mit Wintergrün auf den Kopf schlagen und dazu sprechen: »Gehe zu und lerne was!« Die Wurzel der Pflanze wird dem Kinde in einem Säckchen angehängt, damit es aufmerksam und gescheid werde. Tiefenbach.

22.

Große Vorsicht hat die Mutter zu beobachten, wenn sie dem Kinde die Brust reicht, daß sie nicht zornig, aufgeregt sey, damit nicht das Kind mit der Milch die leidenschaftliche Gemütsart hineintrinke. Neukirchen.

So lange die Mutter das Kind an der Brust hat, darf sie ohne dasselbe nicht verreisen: sonst bekommt das Kind bey der Mutter Heimkehr die gestandene Milch und wird zum Brettensteiger. Amberg. Vor der Taufe darf aber die Mutter das Kind nicht trinken lassen, es würde nichtsnutzig. Neuhaus.

23.

Das Kind liegt die ganze Zeit in der Wiege; je mehr es schläft, desto braver ist es; damit es aber ja recht viel schlafe, wird es fleissig gewiegt, von der [183] Bäuerin oder einem kleineren Kinde, bis es von der schaukelnden Bewegung betäubt die Augen schließt.

Will es aber durchaus nicht ruhen, zum großen Leidwesen der beschäftigten Mutter, so wird es in ein Kissen eingebüschelt und herumgetragen, wo möglich aber auch da in wiegender Bewegung erhalten.

Die Sorge des Kindes bey Tag und bey Nacht ist ganz der Mutter überlassen, selbst während des Essens, wo das Kind in der Wiege zur Rechten der Mutter am Tische kommt. Nachts steht die Wiege am Bette der Mutter, etwa um einen Schritt entfernt, und ein Tuchende geht davon zur Mutter hinauf, damit sie das Kind, wenn es unruhig wird, wiegen könne.

So lange das Kind die Augen auf hat, steckt ihm der Schnuller im Munde; sein Trunk ist gesottene Milch, seine übrige Nahrung der bekannte Kindsbrey.

Mit Einem Jahre wird das Kind entwöhnt von der Mutter. An dem Tage, wo dieses geschieht, gehen Vater und Mutter zur Danksagung auf die Bergkirche, um Gebet und Opfer darzubringen.

Ist das Kind zwey Jahre alt, so hört auch das Wie gen auf, und es wechselt Laufen mit Tragen; nun hat das Kind auch das rothe Rockerl an. Bärnau.

24.

Eine der größten Sorgen der Mutter in späterer Zeit ist die, daß der Sohn, wenn militärpflichtig, sich nicht hineinlose.

Damit er also beim Losen keinen Treffer ziehe, bindet sie ihm das Chriaselhemd, welches er als Kind um [184] hatte, um den Hals, wodurch seine Hand eine glückliche wird, oder steckt ihm ihren Brautring an den Finger der Hand, womit er das Loos zieht. Falkenstein.


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TextGrid Repository (2012). Schönwerth, Franz. 6. Muttersorge. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-DC21-9