II. Wassergeister.

§. 7. Wesen der Wasserfrauen.

Die Wasserfrauen sind höhere weibliche Wesen, welche im Wasser ihre Wohnung haben, ohne gerade auf dieses Element allein beschränkt zu seyn, undganz, oder zur Hälfte menschliche Gestalt in vollendeter Schönheit an sich tragen: damit ist zugleich auch der Unterschied der Sirene von derNixe gegeben.

Die Wasserfrauen, welche oben schönes Weib, unten in Fisch- oder Schlangengestalt ausgehen, sind die wälschen Sirenen, welche auf deutschem Boden nicht wurzeln, sondern von dem Auslande, dem Romanischen, herübergenommen sind. Dagegen gehört die Wasserfrau, die Nixe, welche ganz als Weib erscheint, ursprünglich dem germanischen Glauben an und ist Gegenstand der lieblichsten Sagen. Selbst das Volk kennt diesen Unterschied und hält ihn noch fest, indem es jene Meerfräulein oder Seejungfrauen, Mirfral, diese bloß Wasserfräulein, Wasserfral, benennt.

Die Sirene zeichnet das Volk zumeist als trügerisch, verlockend, grausam, während die Nixe ihm die anmutigste Erscheinung ist und nur aus Rache grausam werden kann. Beyde haben gemein, daß sie nach der [190] Liebe schöner Männer trachten, und diese entweder zu sich in das nasse Element hinab, in ihre Wohnungen, ziehen, oder selbst zu ihnen auf das Land sich begeben, um dort zu verweilen. Die Sirene sucht in der Männerliebe Erlösung, die Nixe Jugend, Schönheit und höheres Alter zu gewinnen. Denn die Nixe verfällt dem Tode, sey es, daß sie die ihr bestimmte Reihe von Jahrhunderten durchlebt, oder durch Ungehorsam die Rache der Wassergottheit, des Wasserkönigs, gereizt hat. Erscheinen sie hier abhängig, so ist es ein merkwürdiger Zug der Sage, daß ihnen hinwieder die Wasserzwerge dienstbar sind. – Gewöhnlich endet aber eine solche Verbindung zum Unheile, so für den Mann, der die Treue bricht, wie für die Nixe, welche in Liebe zu dem Gatten oder ihren Kindern befangen, den Gesetzen ihres Reiches zu gehorchen vergißt. Die Kinder aus solchen Ehen nehmen Theil an beyden Naturen, doch wiegt die des Vaters zuletzt vor, da sie zur Erlösung gelangen können. Das Uebermenschliche, welches ihnen von Seite der Mutter anhängt, zeigt sich nur in schwachen Spuren am Fusse, an der Schwimmhaut zwischen den Zehen, oder darin, daß sie im Wasser nicht naß werden. Doch kann die Mutter, wenn sie ein bestimmtes Kind der Wassergottheit zum Opfer bringt, für die anderen Kinder das Band mit dem Wasser lösen.

Die Nixen sind Elben: sie leben in Gemeinschaft, und ergötzen sich in fröhlichen Reihen, während die Sirene vorzüglich durch ihren Zaubergesang berühmt ist.

Insoferne die Sage berichtet, daß sie den Vorüberziehenden [191] zu trinken bietet, nimmt die Wasserfrau auch einen Zug der Walküren, welche in Walhalla Mundschenkenamt verrichten, in sich auf. Den Uebergang Beyder vermitteln die Schwanjungfrauen, welche an drey Elementen, Luft, Wasser, Erde, Theil haben.


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TextGrid Repository (2012). Schönwerth, Franz. 7. Wesen der Wasserfrauen. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-E01A-D