3.

Ein Ritter hatte viele Güter. Von einer Fahrt in's heilige Land zurückgekehrt in seine Heimat, wohnte er einsam auf einer Burg und dachte an Alles eher, als an seine Verehelichung. Oft erging er sich im Garten des Schlosses und gedachte der thatenreichen [207] Vergangenheit. Eines Abends im Sommer, als der Mond gar so schön herniederblickte, wollte er in die Laube treten, welche am Schloßteiche errichtet war, um seinen Gedanken sich ganz zu ergeben, da war sie besetzt; eine wunderschöne Jungfrau saß darin, umstrahlt vom Mondenlichte. Ueberrascht frug er, woher sie komme, wer sie sey, was sie wünsche. Sie aber schwieg auf alle diese Fragen, und deutete nur leicht an, daß sie die verstossene Tochter adeliger Aeltern sey. So führte er sie in die Burg und übergab sie der Pflege einer alten Muhme, welche dem Hauswesen vorstand. Die Maid aber blieb bleich wie früher, und schien sehr leidend. Eines Abends leuchtete der Mond in den Saal. Sie nahm das Saitenspiel von der Wand und hub so schön und klagend zu singen an, daß alle Leute in der Burg mit der Arbeit inne hielten und der Ritter voll Entzücken ihr seine Hand anbot. Doch setzte sie als Bedingung, daß er nie frage, wer und woher sie sey. Am Hochzeitmorgen brachte er ihr die Brautgeschenke; es bedurfte ihrer nicht: die Braut hatte schon die reichsten Kleider und Schätze vor sich liegen. Er hielt sie für eine Fürstin, und war beruhiget in diesem Glauben. Sechs Jahre nacheinander gebar sie ihm ein Kind; doch war keines der Kinder dem anderen ähnlich; jedes hatte eine andere Farbe der Haut und der Haare. Dieses fiel dem Ritter auf, noch mehr, daß er nie wußte, wann sein Weib zur Entbindung ging. Sie hatte ihm seither jedes Kind beym Erwachen in die Arme gelegt. Als die Frau daher mit dem siebenten Kinde schwanger ging, [208] erholte er sich Rathes bey dem Burgkaplan, welcher ihm etwas Geweihtes um den Hals hing, um damit den Zauber zu bannen. Schon in der dritten Nacht kam er dem Geheimniß auf die Spur. Das Weib schien besonders leidend und schlief nicht; er stellte sich schlafend; sie bog sich über ihn hin, um seinen Schlaf zu prüfen und spritzte ihm dann Wasser aus dem Teiche in's Gesicht. Stäbchen von Binsen und Schachtelhalm dienten ihr zum Wedel. Dazu sprach sie die Worte: »Schlaf', und werde nicht eher wach, als bis du wach werden darfst.« Der Ritter empfand hierauf wohl grosse Müde und Drang zu schlafen: das Geweihte am Halse aber brach den Zauber und erhielt ihn wach. – Nun vernahm er Aechzen und Stöhnen; sein Weib klopfte dreymal an das Bettholz, und herein traten zwölf Zwerge in rothen Röckchen und weißlichten Perrücken, der Erste und Aelteste mit dem Arzneykasten. Sie sprachen zum Weibe: »Dein Mann schläft nicht.« Da bog sich die Frau wieder hinüber zum Manne und prüfte, ob er schliefe. Und die Zwerge traten auch heran und zwickten und krallten ihn, und Einer biß ihn in die Zehen. Der Ritter bestand die Probe. Nun halfen die Zwerge der kreissenden Frau zur Entbindung, und fingen das Kind, ein Knäbchen, auf. Es war schön wie die Mutter, und hatte Schwimmhäute zwischen den Zehen. Die Mutter aber weinte und bat, nur dieses Eine Kind doch ihr zu lassen. Die Zwerge aber behielten es und meynten, es sey zu gefährlich, es ihr zu belassen; der Graf, ihr Gemahl, könnte merken, daß es kein Menschenkind [209] sey. Nun frug sie weiter: »Was machen meine anderen Kinder?« Der Arzt erwiederte: »Das eine macht schon Gold, die anderen helfen ihm dabey, die Mädchen blühen und werden reif.« Damit legten sie ihr ein Menschenkind, welches sie mitgebracht, in die Arme und sagten: »Sieh, hier hast du ein Kind, welches dein Gatte für das Seine erkennen wird. Grosse Mühe kostete uns, es zu rauben: denn es ist schwer ein Weib zu finden, welches in derselben Zeit, wie du, zur Geburt geht. Mit den früheren Kindern ging es leicht: denn die Mütter waren entweder arm oder sorglos. Dieses hier aber ist das Erstgeborene einer jungen reichen Frau, und grosses Leidwesen herrscht in ihrem Hause.« Da rief plötzlich ein Zwerg: »Wehe, dein Mann schläft nicht!« Sie aber beruhigte den Zaghaften und beklagte wieder laut, daß sie ihren Gatten täuschen müsse.

Nun entfernte sich das kleine Völkchen und die Mutter bog sich über den Grafen hinüber und tippte ihn an, und legte das Kind in den Arm. In furchtbarem Zorne aber schleuderte dieser das Kind von sich und fluchte dem Weibe, das ihn so betrog und statt der eigenen Kinder ihm fremde unterschiebe. Aufsprang er aus dem Bette, ergriff Weib und Kind, raste damit die Treppe hinunter in den Garten und stieß beyde hinein in den Teich. Dann holte er die anderen sechs satt, verließ er die Burg und zog in ein fernes Land. Er hatte aber solchen Abscheu vor dem Wasser gewonnen, [210] daß er auf seinem neuen Schlosse alle Brunnen verschütten ließ. Nur Wein kam auf den Tisch; selbst die Rosse wurden mit Bier getränkt. So lebte er einige Jahre dahin; doch ward es ihm bald zu einsam und er nahm ein armes, aber schönes Fräulein zum Weibe.

Als Beyde in der Brautnacht zu Bette lagen, und er mit der Braut koste, da rauschte es plötzlich und die rothseidenen Vorhänge wurden auseinandergezogen. Bleich und seufzend stand die Wasserfrau da, dem Ritter allein sichtbar: »So warst du auch mit mir,« sprach sie, »aber wäre sie nicht rein, würde es ihr ergehen, wie du mir gethan!« Seufzend wich sie. Den Seufzer vernahm die zagende Braut.

Noch vor Jahresfrist gebar sie einen Knaben; er wußte, daß es sein eigen Kind sey, und groß ward seine Freude. Bei der Taufe aber sieht er die Thüre aufgehen, und die Wasserfrau tritt herein und spricht ihn an: »Nach dreyhundert Jahren werden auch jene Kinder, die du von mir hast, erscheinen:denn da werden sie zu Menschen. Deine Familie soll stets gezeichnet seyn, durch blondes Haar und Wasseraugen!«

Darnach wurden dem Grafen noch eilf Knaben geboren, alle schlank und biegsam, alle blond mit Wasseraugen. Nicht mehr gedachte er der Wasserfrau: war sie ja doch nicht wie andere Frauen, war sie ja doch so kühl und ging von ihr oft eine Luft aus wie Wind vom Wasser! Endlich starb er, und als man später seinen Sarg öffnete, war die Leiche verschwunden.

Fort und fort blühte das Geschlecht. Da waren [211] die drey Jahrhunderte um. Der Letzte des Stammes hielt eben Hochzeit und brachte einen Spruch aus auf das Wiedererstarken des absterbenden Geschlechtes. Da sprang die Thüre auf und herein traten sieben Kinder, vier Jünglinge und drey Mädchen, unendlich schön und zart, im Alter zwischen 16 und 24 Jahren, und der Aeltere fing zu reden an und sprach: »Mein Bruder, du hast gesprochen, laß auch mir ein Wort. Kinderlos wirst du sterben; doch stirbt damit der Stamm nicht aus. Wir setzen ihn fort. Wir sind die Kinder deines Urahnherrn aus seiner Verbindung mit der Wasserfrau. Acht Güter besitzest du. Sieben davon mußt du uns abtreten, das Achte behalte!« Verwunderung, Zorn, Ergebung wechselten in dem Herzen des Bräutigams. Er anerkannte die sieben Fremdlinge, und nahm sie auf. Zur Stelle fanden die drey Schwestern drey Freyer; doch bangte diesen noch vor den Kindern der Wasserfrau. Sie hätten zu gerne deren Füsse besehen, und wagten es nicht, davon zu sprechen. Sie führten daher die Jungfrauen hinaus in's Freye, auf Wege, welche über Wassergräben führten: davon sollten die Füsse naß werden, um einen Grund zu haben, die Füsse zu entkleiden. Aber der Fuß der Mädchen wurde im Wasser nicht naß, und die List mißlang. Da erboten sich die Jungfrauen freywillig, ihre Füsse zu zeigen, um die Unruhe zu beseitigen: sie waren wie die Füsse anderer Menschen. Dabey sprachen sie: »Wir haben unseren Zoll bezahlt; dreyhundert Jahre mußten wir im Wasser verweilen. Die Zeit ist um, und wir sind Menschen, doch altern [212] wir nicht und werden im Wasser nicht naß; das allein blieb uns von der Mutter.« Darüber wurden die Freyer auf's neue unruhig, aber gleich wieder getröstet. »Wir bleiben treu, so lange wir leben,« sprachen sie, »dann kehren wir hin, wo wir hergekommen sind: alle dreyhundert Jahre aber ist uns gestattet, ein Menschenalter lang als Menschen zu leben, und auf Erden zu verweilen.«

So ward Hochzeit gehalten. Bedingung aber war, daß jedes zweyte Kind den Wasserfrauen unten im See gehören solle, und so verschwand jedes zweyte Kind augenblicklich nach der Geburt. Der Kinder aber wurden so viele, daß die Gatten sich nicht über die Theilung beschwerten. Auch vermochten die Frauen nicht ohne Hilfe der Zwerge zu entbinden. Und starb eine davon, so starb auch ihr Gatte, und ihre Leichen wurden im Sarge später nicht mehr gefunden.

Gleiches war der Fall, als die vier Brüder sich verehelichten. Die Kinder aber aus diesen Ehen waren und blieben vollkommene Menschen. Das ganze Geschlecht ist kenntlich an dem besonderen Blau der Augen, dem Blond der Haare und einem gewissen Bug an der Nase. Ein Theil davon brachte es zur Fürstenwürde, ja auf den Kaiserstuhl, und noch heute herrscht ein Zweig vom Throne.


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TextGrid Repository (2012). Schönwerth, Franz. 3. [Ein Ritter hatte viele Güter. Von einer Fahrt in's heilige Land]. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-E254-C