[320] Der Frommen Wiedersehn

Der Trennung Last liegt schwer auf mir;
Ich liebe sie, die Meinen.
Laß, meines Herzens Gott! vor dir
Mich diese Frage weinen:
Werd' ich nach meinem Tode gleich,
Werd' ich in Christus Königreich
Die Meinen wiedersehen?
Vielleicht! O Gott, ich höre schon
Des Geistes Stimme wehen;
Sie lispelt mir, wie Harfenton:
Du wirst sie wiedersehen,
Bist du nur fromm, sind sie nur gut,
Sind sie aus Wasser, Geist und Blut
Gezeugt zum ew'gen Leben.
Die fromme Seele trennt sich nicht
Von gleichgestimmten Frommen,
Sie werden all' in Gottes Licht
Aufs neu' zusammenkommen,
Von keinem Tode mehr getrennt;
Denn Gottes Engel, der sie kennt,
Versammelt die Erwählten.
Die Einfalt sieht den Biedermann,
Der Christ den Christen wieder,
Das Weib trifft ihren Gatten an,
Der Bruder seine Brüder.
Die fromme Mutter küßt ihr Kind;
Denn alle gute Seelen sind
In Gottes Stadt beisammen.
Elias der Thisbite kam
Im Wettertod zu Mose;
Ein Lazarus zu Abraham,
Zu ruhn in seinem Schoße.
Der Schächer hört das große Wort:
Im Paradiese wirst du dort
Noch heute mit mir leben.
[321]
Und dennoch sollten Christen sich
In ihrem Tode grämen?
Sprach nicht der Herr so brüderlich:
Ich will euch zu mir nehmen,
Damit ihr alle bei mir seid,
Zu schauen meine Herrlichkeit,
Und ewig mit mir herrschet. –?
Zum Berge Zion kommen wir!
Zu Gottes Stadt im Himmel!
Wo Engel stehen, Herr, vor dir
Im jauchzenden Gewimmel!
Zu der Gemeinde Strahlenchor!
Zu Geistern steigen wir empor
Vollendeter Gerechten!
Und ach, zu Gott! zu Gott! zu Gott!
Dem Herrscher über alle!
O komm nur, Tod, komm, süßer Tod!
Damit ich niederfalle
Am Thron und meinen Vater seh',
Und meinen Mittler Jesum seh',
Und mich sein Blut besprenge.
Drum bitt' ich euch mit hoher Hand,
Seid fromm und gut, ihr Meinen!
Dann wird uns Gott im Vaterland
Auf ewiglich vereinen.
Wie wird's uns sein, wenn wir uns
Wenn wir uns froh entgegen gehn
Und uns am Halse weinen.
Da wollen wir vor Gottes Thron
Einander alles sagen,
Was wir auf dieser Welt für Hohn
Und Ungemach ertragen;
Uns freuen, daß des Lebens Zwist
Und Fährlichkeit vorüber ist,
Und Gott mit Thränen danken.
[322]
Doch Frommen nur wird's Freude sein,
Wenn sie sich wiedersehen.
Gottlose häufen nur die Pein
Mit ihrer Brüder Wehen.
Dort fühlt der Lüstling sein Gericht,
Und er verlangt die Brüder nicht
Zu sehn in gleichen Qualen.
Drum bitt' ich dich durch Christi Blut,
Erbarmer in der Höhe:
Mach meine Lieben fromm und gut,
Daß ich sie wiedersehe.
Auch mich erhalte dir getreu;
Dann, Vater, bin ich auch dabei,
Wenn sich die Lieben finden.
Weltrichter, welch ein Tag für dich,
Ein Festtag voll Erbarmen,
Wenn so viel tausend Seelen sich
Vor deinem Thron umarmen;
Dann bluten Herzen nimmermehr
Und dann versiegt die Abschiedszähr';
Du trocknest ja die Thränen.
Drum weint nicht, Freunde! denn gewiß
Sollt ihr mich wieder finden,
In Gottes Stadt, im Paradies,
Von Fesseln frei und Sünden.
Auch unser Staub wird auferstehn!
O Wiedersehn! O Wiedersehn!
Wie tröstest du die Seele!

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TextGrid Repository (2012). Schubart, Christian Friedrich Daniel. Gedichte. Gedichte. Geistliche Lieder. Die letzten Dinge. Der Frommen Wiedersehn. Der Frommen Wiedersehn. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-0206-D