Frühlingslied eines Greisen

Hier in diesem Paradiese
Find ich bald – ach bald mein Grab;
Alt bin ich, und meine Füße
Stützt schon dieser Dornenstab.
Aus der schönen Welt zu scheiden,
Guter Gott, das fällt mir schwer.
Zwar erlebt' ich manches Leiden,
Aber doch der Freuden mehr.
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Athme deine Balsamdüfte
Mir zum letztenmal, Natur.
Spielt, ihr warmen Frühlingsdüfte,
Mit den Silberlocken nur!
Bald werd' ich die grünen Haine
Und die Hecken nimmer sehn!
Gott vergib mir's, wenn ich weine;
Denn die Welt ist gar zu schön.
Nachtigallen im Gesträuche,
Lerchen in der blauen Luft,
Singt nur, singt mir halben Leiche
Todtenlieder in die Gruft.
Doch ich schlafe – Deine Güte
Ist's, du guter Frühling, du!
Decke mich mit Aepfelblüthe
In dem sanften Schlummer zu.

Notes
Entstanden 1774. Erstdruck in: Deutsche Chronik, Augsburg (Stage) 1774.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Schubart, Christian Friedrich Daniel. Frühlingslied eines Greisen. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-0394-5