[189] Musikalische Phantasie

Für Cäcilie.


Die Saite bebt, und horch, mit leisen Wellen
Wiegt friedlich sich der Töne Fluth daher;
Die Woge steigt, und die Akkorde schwellen,
Der Sturm erwacht, und edlos wallt das Meer.
Wie Fluthen sich auf Fluthen wachsend drängen,
So haschen Ton und Ton sich im Entfliehn,
Und rauschend schwillt in fessellosen Klängen
Der volle Strom verwandter Harmonien.
Wohin, wohin auf dunklen Pfaden
Entführst du mich verborgne Macht?
Des Abgrunds Geister sind erwacht,
Der Wind heult an den Felsgestaden,
Laut tobt der Wogen wilde Schlacht,
Und langsam naht, mit Donnersturm beladen,
Verhängnißvoll die wolkentrübe Nacht.
Dumpf zürnet der Orkane Toben,
Wo Ruhe friedlich sonst geschwebt,
Das Leben schweigt, vom Trauerflor umwoben,
Vernichtung herrscht und das Geschöpf erbebt! –
O wilder Sturm, was hat die zarte Blüthe,
Was hat der Schmuck des Lenzes dir gethan?
Sie, die so hold im Strahl des Lebens glühte,
Sie welkt und sinkt im rauhen Herbstorkan.
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Ach, Alles, was des Lebens Kranz mir schmückte,
Was mich erhob, mich stärkte, mich beglückte,
Was ich geliebt, es war ein eitler Wahn!
Du süßes Bild, das gleich der Harfe Tönen
Mein weiches Herz harmonisch einst berührt,
Das meinen Geist zum Göttlichen und Schönen,
Das meine Kraft in's Reich der That geführt,
Wie hielt ich dich mit ewigem Verlangen,
Du süßes Bild, mit ew'ger Scheu umfangen!
Mit heil'ger Gluth umarmte dich mein Herz,
In dir nur war mein Sehnen und mein Hoffen,
In dir mein Glück, mein Lächeln und mein Schmerz,
In deinem Blick sah ich den Himmel offen,
Und was den Geist und was das Herz verklärt,
Ward mir von dir, Holdselige, gewährt!
Jetzt liegst du da im heil'gen Schooß der Stille,
Noch glänzt die Stirn, die Wange noch so mild,
Noch schwebt der Geist um seine theure Hülle,
Und schmückt mit ernstem Reiz das zarte Bild.
Doch ich muß trüb' und weinend fort mich wenden,
Denn ach, der Ruf der kalten Wahrheit spricht:
Es war ein Traum, und jeder Traum muß enden;
Was sterblich ist, das hoff' und zage nicht!
Wohlan, so laß die Segel schwellen,
Vergiß dein hingewelktes Glück,
Auf's hohe Meer entflieh zurück,
Ein Spiel der wandelbaren Wellen;
Der Blitz nur soll die Fahrt erhellen,
Und herrschen soll der Augenblick.
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Wenn wild im Sturm die Wimpel wehen
Und in gewitterschwangrer Nacht
Die Sterne zagend untergehen,
Dann sollst du kühn im Aufruhr stehen
Und trotzen der empörten Macht.
Die Woge rauscht, der Kampf erwacht,
Der Blitz flammt von den schwarzen Höhen,
Des Schicksals Wurf er ist geschehen,
Und die Verzweiflung lacht! –
Ach, ohne Heimath, fern von Allen,
Die freundlich sonst dein Arm umwand,
Von treuer Liebe Brust verbannt,
Ein Spiel, den Wogen heimgefallen,
Irrst du umher von Strand zu Strand.
Kein Gastfreund wird die Hand dir drücken,
Kein Schlaf im friedlichen Gemach
Wird sanft dein müdes Haupt erquicken;
Was dir des Zufalls Götter schicken
Bringt und verzehrt ein kurzer Tag.
Zerrissen von des Sturms Gefieder
Schlingt zürnend dich die Fluth hinab,
Und keine Thräne rinnt hernieder
Auf dein verwehtes Grab! –
O bleib zurück im friedlich heitern Leben,
Wo Alles mild und tröstend zu dir spricht;
Erinnrung wird dir stille Thränen geben,
Wer Thränen hat den faßt Verzweiflung nicht.
Zum Himmel soll dein Auge sich erheben,
Du sollst empor auf Hoffnungsflügeln schweben,
Gewährung wohnt im niegetrübten Licht:
Ach, es ist schön mit ewigem Verlangen,
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Mit ew'ger Treu an einem Traum zu hangen,
Süß ist der Gram der zarte Herzen bricht! –
Umsonst, umsonst, ich muß von hinnen,
Die Woge rauscht, der Sturm erwacht,
Mich faßt des Wahnsinns dunkle Macht.
Dem Schicksal kannst du nicht entrinnen!
Verderblich flammt der Brand der Schlacht
Hoch von des Himmels schwarzen Zinnen!
Sieg oder Tod, Licht oder Nacht,
Stets muß des Unglücks Sklav gewinnen!
Unstäte Qual verfolgt das feige Sinnen,
Doch trotz'ge Ruh die Stunde, die's vollbracht! –
Doch wunderbar und fremd dem Ohr entgleiten
Die Töne jetzt, doch dem Gemüth bekannt;
Dem Klange scheint der Klang zu widerstreiten:
Doch fesselt sie ein räthselhaftes Band.
Ein dunkler Geist empört zum Kampf die Saiten:
Doch leitet ihn des Meisters sichre Hand;
Der Mißklang schmilzt in süße Harmonieen,
Die Sonne steigt und Sturm und Schatten fliehen.
O Schicksal, schwarzes Kind der Nacht,
Still schreitest du auf dunklen Wegen;
Vergebens tritt mit ird'scher Macht
Der Sterbliche dir kühn entgegen,
Du winkst und das Verderben lacht.
Hochlodernd glühn der Zwietracht Flammen,
Der Grund der Throne stürzt zusammen,
Knecht wird der Herr und Herr der Knecht.
Doch ohne Mitleid, ohne Zagen
Und ungerührt bei Dank und Klagen
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Zermalmst du schweigend stets auf deinem ehrnen Wagen
Das hingeschmetterte Geschlecht.
Seht ihr es nahn gleich Ungewittern?
Der Donner hallt, es blitzt der Stahl,
Vom raschen Huf der Rosse zittern
Die Wälder und das stille Thal.
Mit hochgeschwungner Fackel leitet
Die Zwietracht das ergrimmte Heer,
Und an der Schwester Seite schreitet
Der Mord und zückt den blut'gen Speer.
Die Willkühr reißt sich los vom Zügel
Und stampft den Führer in den Staub;
Stahl ist die Brust, das Mitleid taub;
Hohnlachend schwingt der Tod die Flügel
Und überschattet seinen Raub.
Nichts Heil'ges kennt die Tigerhorde,
Der Gruß ist Tod, die Sünde Pflicht;
Das Schwert raucht von des Freundes Morde,
Der Bruder schont des Bruders nicht.
O Menschlichkeit, du schönste Blume,
Die in des Herzens Tiefen blüht,
Du welkst in deinem Heiligthume
Wo jetzt des Hasses Lava glüht.
Ach, deinen Schmuck, den Thau der Zähren,
Worin sich Lieb' und Lust verklären,
Entehrt Verzweiflung jetzt und Wuth;
Dein reiner Kelch, er träuft von Blut! –
Ach, wohl ist der beglückt zu preisen,
Der früh entrafft von Feindes Eisen
Noch ohne Schuld im Staube ruht! –
Doch auf des finstern Mordes blut'ge Spuren
Senkt auch der Thau des Himmels sich herab;
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Die Sonne scheint auch auf zertretne Fluren,
Und lau umschwebt der Frühling Wieg' und Grab.
Ein Königsschloß steigt aus dem Schutt der Hütten,
Um's Schlachtfeld weht verjüngter Blüthen Duft,
Die Freude scherzt, wo wilder Haß gestritten,
Und Liebe kos't auf treuer Liebe Gruft.
Was starrst du hin auf den erschlagnen Lieben,
Verlaßne Braut, mit thränenlosem Blick?
Dir ist dein Herz, die Lieb' ist dir geblieben,
Und nur der Staub sank in den Staub zurück.
Nie kann der Tod das Göttliche dir rauben;
Die Sonne sinkt, doch ewig ist das Licht;
Auf Erden blüht das Schöne nur im Glauben,
Und drüben herrscht das dunkle Schicksal nicht.
Es wohnt ein Gott hoch über unserm Kreise,
Ein Gott der Huld, ein starker Gott der Macht;
Er ist allein der Ordnende, der Weise,
Er wohnt im Licht und weiß, was er vollbracht.
Mag wunderbar das dunkle Schicksal walten,
Er wird es hell und freundlich einst entfalten;
Denn er ist Gott, und unten wohnt die Nacht!
Fühlst du ihn nahn von seinen lichten Höhen?
Er steigt herab im leisen Frühlingswehen;
Hörst du sein Wort? So spricht der Gott der Huld:
Ich bin dein Gott und will dich nicht verlassen,
Du bist mein Werk, ich kann dich nimmer hassen;
Mein ist die Kraft, dein Hoffnung und Geduld!
Aber horch, die Töne schallen
Weich und klagend jetzt mir zu,
Wie der Welle leises Wallen,
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Wie das Lied der Nachtigallen,
Wie das Säuseln linder Ruh.
Freundlich trägt ein stilles Sehnen
In die Ferne mich hinaus,
Und ergriffen von den Tönen
Breitet lächelnd durch die Thränen
Wehmuth ihre Schwingen aus.
Heiter sind des Himmels Auen,
Freundlich glänzt der Sonnenstrahl,
Bunt und fröhlich anzuschauen
Ist das duft'ge Frühlingsthal.
Goldgesäumte Wölkchen gleiten
Gaukelnd durch das blaue Zelt,
Alle Blüthen sind geschwellt,
Düfte wehn und Weste streiten,
Und von künft'gen Seligkeiten
Träumt den Jugendtraum die Welt.
Doch der Lenz wird bald verbleichen;
Von den thauigen Gesträuchen
Sinkt die Blüthe schon herab.
In der Erde dunklen Reichen
Wechseln ewig Wieg' und Grab.
Alles Schöne muß verblühen;
Flüchtig ist der Augenblick:
Doch der Lenz der Phantasieen
Hat dem hingewelkten Glück
Ein verklärtes Seyn verliehen;
Schöner, wenn die Bilder fliehen,
Bringt Erinnrung sie zurück.
Rein wie Thau ist alles Sehnen,
Trüb' und flüchtig der Genuß;
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An der ird'schen Freude Kuß
Kann der Geist sich nicht gewöhnen;
Ewig strebt zum ew'gen Schönen
Der verbannte Genius.
Strahl, dem heil'gen Heerd entglommen,
Funke, durch dich selbst beseelt,
Göttin, mit dem Staub vermählt,
Holde Liebe, sey willkommen!
Was den Sterblichen entehrt
Hast du segnend ihm genommen
Und zum Engel ihn verklärt.
Ach, mit ew'ger Morgenröthe
Schmückst du die geweihte Stäte,
Wo sich dein Altar erhebt.
Deine schönste Blüthe lebt
Nur im friedlichen Verlangen;
Stets vom süßen Wahn umfangen
Träumt die stille Schwärmerei,
Daß sich bald der Schleier hebe,
Und das heil'ge Licht entschwebe,
Und die Hoffnung Wahrheit sey.
Ewig in die duft'ge Ferne
Wendest du dein Angesicht;
Glaub' und Treu sind deine Sterne,
Phantasie dein Sonnenlicht.
Hoffnung mit den milden Schwingen,
Zarte Ros' am Dornenstrauch,
Wenn die Flammen uns umringen
Kühlet uns dein linder Hauch.
Deine lichten Strahlen weben
Gold und schwarzer Wolken Saum;
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Trüb' und schaurig ist das Leben:
Doch der Hoffnung Flügel schweben
Muthig durch den dunklen Traum.
Zartsinn, Thau der ew'gen Milde
In der Menschheit buntem Kranz,
Auf die durstenden Gefilde
Senkst du deiner Perlen Glanz.
Alle Blüthen duften schöner,
Die sich deiner Kühlung freun.
Deine Thränen, sanft und rein,
Sind der Leidenschaft Versöhner
Und der Seele Heil'genschein.
Phantasie, du Frühlingshimmel,
Der das irdische Getümmel
Klar und ruhig überschwebt,
Du, zu deren Wolkenhügeln
Muthig sich mit raschen Flügeln
Der Geweihte nur erhebt!
Tausend Sterne seh' ich glänzen
An dem luftigen Gewand,
Helle Morgenröthen kränzen
Wallend deinen blauen Rand.
Schönheit gießt dein goldner Schimmer
Auf das irdische Gebild;
Deine Sonnen strahlen immer:
Doch dein Wesen hat noch nimmer
Der befangne Geist enthüllt.
Nimm mich auf, du heil'ge Quelle
Meiner Thränen, meiner Lust,
Daß, des Gottes sich bewußt,
Feuriger die Seele schwelle,
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Und des Himmels lichte Helle
Leucht' in der verklärten Brust!
Doch stillen Ernst hör' ich herniederschweben;
Mild zügelt er die luft'gen Phantasien.
Nur Gleiches darf sich friedlich jetzt verweben,
Kein Ton in's Reich des fremden Tons entfliehn.
Allmählig kehrt der Klänge wildes Streben
Zurück zum Quell der ersten Harmonien,
Der Grundakkord ertönt mit tiefem Falle;
Die Träume fliehn, leer ist die ird'sche Halle. –
Wie süß ist deiner Düfte Wehn,
Du Paradies der zarten Träume!
Im Schatten deiner Blüthenbäume
Dort möcht' ich ewig mich ergehn!
Doch ach, es fordern streng die Rechte
Der Welt den Fliehenden zurück;
Die Pflicht ermahnt mit ernstem Blick:
Entnervte Ruh geziemt dem Knechte,
Der Freie strebt für fremdes Glück.
Nicht ward zum Spiel dir Kraft gegeben
Und nicht der Geist zum Schmuck dir bloß;
Was sterblich ist gehört dem Leben,
Der Mensch ist nur im Handeln groß.
Wohlan, so muß ich von euch scheiden,
Mich ruft die strenge Königin,
Fahrt hin, ihr meine süßen Freuden,
Ihr meine Schmerzen, fahrt dahin!
Kalt will ich durch das Leben wandeln,
Will ohne Mitleid prüfend handeln;
Dem Leben ziemt ein harter Sinn;
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Hier gilt nicht, was das Herz gerathen,
Nicht was Begeistrung rasch vollbringt:
Kalt wägt der Richter nur die Thaten,
Und nur des Rechtes Schale sinkt.
Doch schön ist auch das ernste Leben,
Wenn mild zur Harmonie der Pflicht
Die Kräfte friedlich sich verweben;
Kühn wird der Geist im irren Streben,
Doch klar und ruhig wird er nicht.
Der Einklang wohnet nur im Rechte;
Im graden Strahl nur weilt das Licht;
Allein der Blitz erhellt die Nächte
Nur dann, wenn er die Wolke bricht.
Siehst du die Städte fröhlich blühen?
Der Reichthum gießt sein Füllhorn aus,
Des Krieges Eumeniden fliehen,
Fest steht des sichern Bürgers Haus.
Der Eintracht heil'ger Fittig waltet,
Von Reben ist der Speer umhüllt,
Das Schwert zur Pflugschar umgestaltet,
Den Säugling wiegt der rost'ge Schild.
Dem Menschen naht der Mensch sich wieder;
Versöhnt umarmen sich die Brüder;
Der Reue Thränen rieseln mild
Von den beschämten Wangen nieder,
Und still mit kühlendem Gefieder
Umschwebt die Ruh' das holde Bild.
So muß das Leben dir erscheinen,
Ein Band des Einzelnen zum Einen,
Ein Licht das tausend Strahlen lenkt.
[200]
Mag wie er will der Würfel fallen,
Ein heil'ges Ziel es leuchtet Allen,
Und nur ein höchster Wille denkt.
Den Zufall auf den Thron erheben
Kann nur des Wahnsinns blinder Spott;
Wie auch die Töne sich verweben,
Nur ein Akkord regiert das Leben:
Gesetz und Kraft, Gefühl und Gott! –

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TextGrid Repository (2012). Schulze, Ernst. Gedichte. Vermischte Gedichte. Musikalische Phantasie. Musikalische Phantasie. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-04B6-2