[80] 2.

Si, Mimnermus uti censet, sine amore jocisque

Nil est jucundum, vivas in amore jocisque.

Horat.


Hier auf des Brockens Höhen
Im zaubrischen Revier
Schreib' ich dies Briefchen dir,
Du reizendste der Feen,
Die je die Mainacht hier
Im Negligé gesehen.
Vom rauhen Sturm umbrüllt
Steh' ich auf hoher Warte,
Wo fernhin das Gefild,
Gleich einer Länderkarte,
Sich meinem Blick enthüllt.
Jetzt ist der Landschaft Bild
Von grauem Duft umwoben,
Jetzt scheucht der Stürme Toben
Den Nebelflor hinweg,
Und durch die luft'gen Räume
Baut in das Reich der Träume
Mir Fantasus den Steg.
Besäß' ich jetzt die Grille
Mit Werners Zauberbrille
Ein luftiges Gewühl
Verkörperter Ideen
In jedem leisen Spiel
[81]
Der Schöpfung auszuspähen,
Dann sollte nur Gefühl
Durch meine Saiten wehen;
Der Sturm, der rauh und wild
Der Fichten Haupt zerschmettert
Und Wies' und Hain entblättert,
Er wäre mir das Bild
Der trüben Augenblicke,
Wenn Kummer dich zerreißt,
Und ach, von jedem Glücke
Dein Schmerz mich fliehen heißt.
Des Nebels Truggebilde,
Die bald sich um's Gefilde
Mit grauer Dämmrung ziehn,
Bald nahen, bald entfliehn,
Sie würden mich erinnern,
Wie schnell in deinem Innern
Sich Laun' auf Laune drängt,
Wie Alles jetzt dich kränkt,
Was dir noch kaum gefallen,
Und wie dein Herz an Allen
Und wie an Nichts es hängt;
Und diese Felsenhöhen,
Die schon von Ewigkeit
Den Kampf mit Kunst und Zeit
Unwandelbar bestehen,
Würd' ich in dem Symbol
Nicht deine Treue sehen?
Ach Liebchen, sollte wohl
Der Berg noch lange stehen?
Auch wär' ich fast bereit
In's graue Nebelkleid
[82]
Der Mystik mich zu hüllen,
Und deine leere Zeit,
Um aller deiner Grillen
Und jener Härte Willen,
Die stets das Herz mir bricht,
Wär's auch mit Thränen nicht,
Mit Gähnen doch zu füllen:
Allein du zagst zu früh.
Der Flug zu höh'ren Sphären
Ist der gedankenleeren
Romantiker Regie,
Die, wie natürlich, nie,
Als Meister der Magie,
Sich an den Weltlauf kehren,
Und Geister dort beschwören,
Wo Menschen nöthig wären.
Ein wenig Phantasie
Ist Alles, was mit Müh
Die Götter mir bescheren,
Und läßt von Zeit zu Zeit
Der Geist der Zärtlichkeit
Durch meinen Mund sich hören,
So muß ich dich verehren,
Du hast durch süße Lehren
Zum Dichter mich geweiht.
Doch wenn im Rosenkleid
Der Gott der Fröhlichkeit
Aus seinem Lustgebiete
Mir zarte Küsse beut,
Und manche holde Blüthe
Auf meine Pfade streut,
Und meine Lebenszeit
Zum Paradiese weiht
[83]
Durch ewige Genüsse,
So sag' ich ohne Scheu,
Daß ich für jene Küsse
Mein eigner Schuldner sey.
Drum, Liebliche, verzeih,
Daß deine Phantasei
Die heißen Lavaflüsse
Erhabner Schwärmerei
In diesem Brief vermisse;
Denn wenn ich, frank und frei
Vom Band der Tändelei,
Mit schäumendem Gebisse
Den kühnen Pegasus
Durch hohe Wolken risse,
So hielte voll Verdruß
Wohl mancher Kritikus
Die glühenden Ergüsse
Des hohen Genius
Für nichts als – taube Nüsse.
Drum fort mit Sturm und Drang,
Du Pathos, flieh von hinnen!
Mein scherzender Gesang,
Sucht nur die Huldgöttinnen
Und Amorn zu gewinnen,
Nicht finstrer Grübler Dank.
Laß andre Thoren schwärmen,
Und an erzwungner Gluth
Den kalten Geist erwärmen,
Und dann, im trunknen Muth,
Mit höh'ren Welten spielen
Und Niegefühltes fühlen,
Und bald daß heiße Blut
[84]
In kalter Wasserfluth,
Wie Ikarus, zu kühlen;
An süßen Banden hält
Mich diese Erdenwelt,
Und in die graue Weite
Schaut meine Träumerei,
Und sehnt nur dich herbei,
Und seufzt: O wäre heute
Die erste Nacht im Mai!
Doch wie, du scheinst zu schmählen,
Daß sich mein Lied erfrecht
Dich zu dem Trupp zu zählen,
Der hier, sein altes Recht
Am ersten Mai zu hegen,
Mit Satan tanzt und zecht?
O, sey nicht ungerecht!
Kannst du mich widerlegen,
So schwör' ich beim Apoll,
Bei des Peliden Groll,
Bei Ast und bei dem Besen,
Der Endors Hexe trug,
Nie will ich mehr ein Buch,
Ist's nicht von Arnim, lesen!
Was treibt so schnell das Blut
Mir durch die blassen Wangen?
Woher die trunkne Gluth,
Woher das zarte Bangen,
Wenn dich mein Aug' erblickt?
Was läßt mich jetzt entzückt
Dir rasch entgegeneilen,
Doch plötzlich wieder weilen,
Von Scham und Angst umstrickt?
[85]
Doch wenn dein Mund mir lächelt,
Und sanft, wie Westeswehn,
Dein Auge meinem Flehn
Gewährung zugefächelt,
Was läßt so schnell und kühn
Zur Hoffnung in mir keimen,
Was selbst in süßen Träumen
Mir sonst unmöglich schien?
Und wenn an deinen Wangen,
An deines Mundes Sammt
Dann meine Lippen hangen
Und glühendes Verlangen
Mir durch die Seele flammt,
Was läßt mich plötzlich zittern,
Als wagt' ich jetzt zu viel?
Was läßt das süße Spiel
Durch Reue mich verbittern?
Welch eine heil'ge Scheu
Wirft mich zu deinen Füßen,
Mein Wagestück zu büßen,
Als ob es Sünde sey,
Durch zarte Tändelei
Sein Leben zu versüßen;
Ist das nicht Zauberei?
Erwähl' ich fern von dir,
Den Kummer zu beschwören,
Der alten Weisen Lehren
Zum Zeitvertreibe mir,
So winkt auf allen Blättern
Mir zauberisch dein Bild,
Und jede Zeile füllt,
Anstatt der todten Lettern,
[86]
Sich nur mit Liebesgöttern.
Der weise Sokrates
Kniet dann, sich selbst zum Hohne,
Vor Cythereens Throne
Trotz Alcibiades,
Und eine Myrtenkrone
Weiht Cypris schlauem Sohne
Selbst Aristoteles.
Wenn ich dich längst vermisse,
Doch der Erinnrung Fest
Mich alle deine Küsse
Noch einmal küssen läßt,
Wer macht den Geist entstehen,
Der dann von goldnen Höhen
Zu mir herniedertaucht,
Und der Begeistrung Wehen
In meine Seele haucht?
Empor fühl' ich mich schweben,
Ich seh' ein frisch'res Grün,
Und zart're Lüfte beben,
Und schön're Blumen blühn;
Und wo der West die Schwingen
Mit süßern Düften füllt,
Wo Rosen sich verschlingen,
Wo Nachtigallen singen,
Und wo, von Moos umhüllt,
Die Quellen frischer springen,
Da seh' ich für dein Bild
Altäre sich erheben,
Und jede Laube scheint
Für dich und deinen Freund
Ein Heiligthum zu weben,
[87]
Wo still die Schwärmerei
An deinen Lippen lausche,
Wo Geist um Geist sich tausche,
Und wo, von Fesseln frei,
Trotz ihrem kühnsten Rausche,
Die Liebe heilig sey;
Ist das nicht Zauberei?
O lies nur die Geschichten,
Worin uns Hamilton,
Wieland und Crebillon
Vom Feenreich berichten,
Ich wette, was es gilt,
Du siehst auf jeder Seite
Dein wahres Ebenbild.
So sanft und zärtlich heute
Und morgen kalt und hart,
Nur treu der Gegenwart
Und jedes Eindrucks Beute,
Lebst du in ew'gem Streite
Mit dir und mit der Welt;
Vergißt schon morgen flüchtig,
Was jetzt dich fesselnd hält,
Und eilst zu dem, was nichtig,
Wenn du es hast, zerfällt.
Jetzt, wie Vestalen züchtig,
Scheint dir ein Kuß so wichtig,
Als gält' es einen Thron,
Nach Stunden rufst du schon:
Der Tag ist Null und nichtig,
Der ohne Lieb' entflohn!
Heut rühmst du mir Sonette
Und morgen Home's Kritik,
[88]
Entschläfst an der Toilette,
Und wachst noch spät im Bette
Bei Roßdorf, Ast und Tiek.
Wobei seit manchem Jahre
Sich Spleen und graue Haare
Der Grübler Schwarm erzeugt,
Das ewig Wandelbare
Du hast es schnell und leicht,
Als wär's ein Spiel, erreicht.
Und doch, wer sollt' es wähnen,
So sehr mit Schmerz und Thränen
Du dein Gelächter treibst
Und treu nur Jenen bleibst,
Die, gleich den Schmetterlingen
Schlau und veränderlich,
Mit eignen Waffen dich,
Du Flatternde bezwingen,
So kann doch nie ein Herz
Aus deinen Banden fliehen,
Die Thränen selbst und Schmerz
Nur immer fester ziehen.
Ach, wenn des Lenzes Kleid
Enthüllte Rosen schmücken,
Wer wollte sie nicht pflücken,
Weil er den Stachel scheut?
Es haschen ja im Leben
Sich ewig Freud' und Gram,
Und dem, der jene nahm,
Wird dieser auch gegeben,
Drum zag' ich wahrlich nicht
Den größern Schmerz zu leiden,
Wenn nur mit süßern Freuden
[89]
Mein Kummer sich verflicht.
Nichts oder Alles wählte
Mein Herz sich auf's Panier,
Doch wenn auch Alles mir
Noch an dem Allen fehlte,
Stets macht mit schlauer Kunst
Dein süßes Wort mich wähnen,
Daß deine zarte Gunst
Schon meinem kühnsten Sehnen
Voran geflogen sey;
Ist das nicht Zauberei?
In Karls des fünften Buch
Kannst du die Worte lesen;
Wer je sich mit dem Bösen
Um Seel' und Leib vertrug,
Der soll vom ew'gen Fluch
Durch Feuersgluth sich lösen.
Drum, Liebchen, wollt' ich itzt
Wie Voiture und Marino
Mit einem Concettino
Gut oder schlecht gespitzt,
Um den Geschmack zu höhnen,
Des Briefchens Ende krönen,
So könnt' ich ohne Scheu
Zu ew'gen Liebesflammen
Dein armes Herz verdammen:
Doch Witz und Schwärmerei
Paart Wahnsinn nur zusammen;
Drum schaut die Träumerei
Hinüber in die Weite
Und seufzt: O wäre heute
Die erste Nacht im Mai!

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Schulze, Ernst. Gedichte. Episteln. 2. [Hier auf des Brockens Höhen]. 2. [Hier auf des Brockens Höhen]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-04ED-8