[260] Viertes Buch

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Doch jetzt, ihr Freunde, setzt mit mir
Euch in den zauberischen Wagen
Der Phantasie, und laßt Euch hin nach Cypern tragen.
Seht, in die Lüfte schweben wir
Schon hoch hinauf. In grauer Tiefe ragen
Der alten Troja Thürm' empor.
Jetzt flieht das Land. Hört, wie an euer Ohr
Der Wogen dumpfe Donner schlagen!
O zittert nicht! Seht ihr den holden Götterort?
Der Wagen sinkt; wir stehn in Cytheräens Lande.
Seht ihr die Göttin, wie sie dort
Im losen, flatternden Gewande
Auf jenem Throne sitzt? Voll Kummer ist ihr Blick,
Und unbekränzt und ordnungslos umfließen
Die Locken Hals und Brust. Gebeugt zu ihren Füßen
Liegt der Chariten Chor; entflohn ist alles Glück
Von Paphos gold'ner Flur; die zarten Amoretten
Sehn freudenlos sich an; kein süßes Lied erschallt;
Oed' ist es auf der Flur und öd' im duftgen Wald.
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Gefesselt an des Grames Ketten
Liegt alle Lieb' und Lust. Was ist es für ein Schmerz,
Der Cypris trauren macht, der Freud' und heitern Scherz
Von des Vergnügens Flur verscheuchet?
Und alles senkt den Blick, und jede Wang' erbleichet,
Und alles ruft: Wir klagen Cypris Sohn!
Der Gott der Lieb' ist uns entflohn!
Schon mancher Tag war jetzt entschwunden,
Seit Amor Cypria verließ.
Ach, in der Liebe Paradies,
Im süßen Rausch der holden Schäferstunden,
Wie konnt' auch ein Gedanke nur.
An seines Reiches gold'ne Flur,
An seiner Mutter Angst, an der Chariten Schmerzen,
In seiner Brust entstehn? Er, der so viele Herzen
Mit seinem bittern Pfeil besiegt,
Der stolze Gott, er unterliegt
Dem eigenen Geschoß, und als sein Glück entfliegt,
Als Psyche ihn verräth, kann er den Gram nicht tragen;
Er flieht und birgt betrübt sich in die tiefste Kluft
Des Kaukasus, und seine lauten Klagen
Verhallen fruchtlos in der Luft.
Ein Freund der fliehenden Najaden,
Der gern, wenn unbesorgt sich holde Nymphen baden,
In dichtem Laube sich versteckt,
Und lüstern seinen Hals durch die Gebüsche reckt,
Ein Faun, der grad' ein Mädchen jagte,
Das ihm entfloh, kam in die Einsamkeit,
Wo Cypris Sohn, dem Grame nur geweiht,
Sein schmerzliches Geschick beklagte
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Das Faunenvolk lauscht gar zu gern;
Drum birgt auch dieser sich nicht fern
Vom Orte, wo die Tön' erschallen,
In ein Gebüsch, und horchet lauschend zu.
Wo bist du hin, du holde Ruh,
Rief Amor weinend aus, die in den Myrtenhallen
Von Paphos mich beglückt? Wo bist du, heitrer Sinn,
Der mich so oft im Hain der Nachtigallen,
Wenn ich mit einer Huldgöttin
Auf jungen Blumen saß, belebte?
Ach Psyche! Süße Braut, mit dir, mit dir entschwebte
Mir jede Lust und jedes Glück,
Und ehe dich mir das Geschick
Nicht wieder giebt, kehr' ich nach Paphos nicht zurück,
Und nicht zum Göttersaal. Beym Styr sey es geschworen.
Der Satyr wackelt mit den Ohren,
Als er das Wort vernimmt. Da ist er ja, der Sohn,
Denkt er, den Cypria verloren.
Die Nachricht bringet mir ein gutes Botenlohn,
Ein Küßchen oder zwey. Nur nicht zu sehr gezaudert!
Denn Ohren hat der Wald, und Ohren hat die Flur.
Leicht könnt' es seyn, daß, eh' ich Armer nur
Cytherens Land erreicht, ein Andrer schon geplaudert.
So spricht er und enteilt, und nach zwey Stunden schon,
Die Götter reisen schnell, ist er vor Cypris Thron.
O Göttin, die du oft, wenn Amor dir entlaufen,
So sprach der Faun, die frohe Nachricht dir
Von seinem Aufenthalt mit Küssen zu erkaufen
Versprochen hast, was giebst du mir
Für meine tröstungsvolle Kunde?
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Zwey Küßchen nur und noch ein drittes in den Kauf
Für meiner Füße schnellen Lauf
Zur Stärkung von dem Rosenmunde!
Du siehst, daß fast der Athem mir gebricht.
Was thut die Mutterliebe nicht!
Auch Cypris, welcher sonst ein Küßchen zu verdienen
Kaum einer schön genug von allen Göttern war,
Sie reichte jetzt mit holden Mienen
Dem Faun die Rosenlippen dar,
Und der erzählt, halb taumelnd vor Entzücken,
Was er gehört. Doch wie erstaunt er nicht,
Als mit des Unmuths düstern Blicken
Die Liebesgöttin zürnend spricht:
Deswegen flieht er mich, der stolze, eitle Knabe?
Um eine Sterbliche verläßt er Paphos Hain,
Verläßt er mich, die ich im Schooß gewiegt ihn habe,
Und meiner Huldgöttinnen Reihn?
Um eine Sterbliche, die kaum ein Tausendtheilchen
Der niedrigsten von meinen Nymphen gleicht?
Fällt ihm Cytherens Zorn so leicht?
Es ginge noch, wär's nur ein kurzes Weilchen,
Doch treu zu seyn! O Amor, schäme dich!
Wo ist das Mädchen, welches mich
Und meine Nymphen so beleidigt?
Wir wollen sie doch sehn. Sucht sie, und bringt sie her!
Weh' ihr, wenn sie sich nicht, so wie ich will, vertheidigt!
Sie fühle dann, der Götter Zorn sey schwer!
Nein, solcher Rachsucht ist Cythere,
Die Lächelnde, nicht fähig, spricht
Wohl mancher Hörer hier. O traut dem Scheine nicht!
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Verletzt das sanfteste Geschöpf an seiner Ehre,
An seiner Eitelkeit, schnell wird es zur Megäre,
Die Eitelkeit regiert die Welt;
Sie macht aus Frommen Bösewichter;
Sie schafft Minister, Fürsten, Dichter;
Und ehe sie den Busen ihm geschwellt,
Ward mancher ernste Sittenrichter
Oft als ein Schelm und Dieb am Pranger ausgestellt.
Indeß Cythere nun in die entferntsten Lande
Verschlagne Boten schickt, die Feindin zu erspähn,
Irrt diese in dem dürren Sande
Der Wüst' umher. Rings war kein Baum zu sehn,
Kein kühler Quell, die Lippen zu erfrischen;
Kein Beerchen an den Dornenbüschen
Bot sich zur kargen Labung dar.
Ach, wie so ganz verschieden war
Das Jetzt vom Jüngst, da sie an Göttertischen
Ambrosia gespeist, und sanft von zauberischen
Gesängen eingelullt, auf Rosenbetten schlief.
O arme, arme Psyche! rief
Sie weinend aus. So sollst du hier vergehen,
Und nie der Heimath trauten Hain,
Nie deine Aeltern wiedersehen?
O fänd' ich einen Fluß, ich stürzte mich hinein,
Doch ach, zu schrecklich ist des Schmachtens lange Pein!
Indem sich so ihr Schmerz in lauter Klag' ergießet,
Hört sie ein Rieseln, silberrein,
Wie wenn durch Klippen und Gestein
Ein rascher Quell herniederfließet.
Sie eilt dem holden Tone nach,
Sie naht, und denkt euch ihr Entzücken,
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Ein tiefer, wilder Felsenbach
Wälzt sich mit rascher Fluth vor ihren frohen Blicken.
O süßer Tod! ruft sie erfreut,
O süßer Tod, so darf ich dich umarmen!
Du schaust mich an, mit Blicken voll Erbarmen;
Der Fackel Gluth erlischt, und mit ihr alles Leid!
Sie ruft's, und will herab sich stürzen;
Doch eine starke Hand hält plötzlich sie zurück.
Sie steht erstaunt. Vor ihrem Blick
Schmückt blühend sich die Flur, und tausend Düfte würzen
Die reine Luft, und aus der Fluthen Grund
Hebt eine Nymphe sich, von Götterglanz umschienen.
Sie schauet Psychen an mit wundersüßen Mienen,
Und wie Gesangeston entbebt aus ihrem Mund:
Höre auf zu klagen und zu weinen!
Meinen nicht, nur Buße frommet hier.
Erst nach langer Prüfung wird mit dir
Wiederum dein Gatte sich vereinen.
Traue meiner Rede freudig nur.
Künft'ges gab ein Gott mir zu verkünden.
Willst du deinen Gatten wiederfinden,
Gehe hin nach Paphos Blumenflur.
Zwar wird dort, nach Cypris strengen Willen,
Manches Leiden grausend dich bedrohn.
Harre muthig aus! Groß ist dein Lohn,
Herrlich wird dein Schicksal sich enthüllen.
So spricht der süße Ton. Die holde Nymphe sinkt
In die geschwollne Fluth, die steigend sie umringt.
Wie wenn auf holde Au'n, wo lang des Sommers Schwüle
Heiß und verzehrend rings geweht,
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Und jeder Baum verdorrt, und welk die Blume steht,
Aus Wolken plötzlich sich die lebensvolle Kühle
Des milden Regens nieder senkt,
Und jeden Baum erfrischt und jede Blume tränkt,
So fühlte Psyche schnell mit Tröstung sich erfüllet.
Der Schwermuth düstrer Schleyer schwand,
Der sie vorher mit grauser Nacht umhüllet.
Vor ihrem Geiste lag ein schönres, beßres Land,
Voll grüner Au'n und blüh'nder Triften,
Durchweht von nektarsüßen Düften,
Voll Quellenlaut und Liebesharmonie.
Mit welcher Sehnsucht strebte sie
Nach diesem Lande hin! Zwar manche rauhe Pfade
Sind noch davor und manche steile Höhn;
Doch o, wie kühlet nicht am glücklichen Gestade
Der Liebe Palmenkranz so schön!
Nur Muth, mein Herz! Bald ist der Sieg erstritten;
Bald langst du froh im frischen Hafen an.
Süß schlummerst du im Arm des Gatten dann,
Und fühlst den Gram nicht mehr, den du zuvor erlitten.
So ruft Psycharion in süßer Schwärmerey,
Und eilt, um Paphos zu erreichen.
Verschwunden ist nun sie, die grause Wüsteney;
Rings blüht die schönste Flur, besät mit Duftgesträuchen,
Benetzt von Quellen, die durch Veilchenthäler schleichen,
Begränzt von blüh'nden Höhn. Voll süßer Träumerey,
Getrieben von des Herzens Sehnen,
Irrt Psyche, nicht gedenk der Thränen,
Die sie erwarten, durch die Flur.
Bald folgt sie eines Bächleins Spur,
Der eine duft'ge Au mit sanfter Fluth bespület,
Bald ruhet sie, vom Hauch des Wests gekühlet,
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Von Duft umweht, im dunklen Myrtenhain,
Und hört den Liedern zu, die durch die Zweige schallen;
Und wenn der Mond mit Silberschein
Die Fluren deckt, schläft sie, umtönt von Nachtigallen,
Auf weichen Blumenbetten ein.
O holdes Land, wo Göttern nur zu wallen
Vergönnt ist, holdes Land der Unschuld und Natur,
Fänd' ich doch einst in dir den langersehnten Frieden!
O wohnt' ich doch auf einer Feenflur,
Durch ferne Meeresfluth vom Sturm der Welt geschieden,
Wo, von des eisernen Berufs Geschäften frey,
Aus keinem süßen Traum die strenge Pflicht mich schreckte,
Wo ewig schön und ewig neu,
Der junge Morgen mich zum jungen Leben weckte,
Wo ich an der Geliebten Hand,
Wie in Endymions Traum, mein Daseyn froh verlebte,
Bis es zuletzt in ein noch schönres Land,
Wie Aeolsharfenklang langsam verhallend, schwebte!
Doch ach, zu schöner Traum, entflieh!
Mich setzte das Geschick auf irdische Gefilde,
Und deine holden Luftgebilde,
Sie herrschen nur im Reich der Phantasie.
Zum Loos ist Thätigkeit den Sterblichen beschieden;
Drum sey auch Thätigkeit des Menschen höchstes Ziel.
Verletzt auch oft das Unglück euren Frieden,
So denkt, die Erde hat der Freuden doch so viel.
Wie schön ist nicht das lohnende Gefühl
Nach der vollbrachten That! Wie süß der Dank für Leiden,
Die ihr gemildert! Wenn die Freuden
Der Liebe euch beseligen,
Wenn Freundesherzen treu an eurem Herzen schlagen,
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Dann könnt ihr froh und muthig sagen:
Auch ich bin in Arkadien!
Indeß naht Psyche schon des Meeres hohem Strande,
Und ungewiß und zweifelsvoll
Steht sie jetzt da und sinnt, wer sie nach Cypris Lande
Auf wilder Fluthen Bahn hinüber bringen soll.
Indem sie so auf's Meer herniedersieht, erspähet
Sie einen Kahn, der wie ein Blatt, das leicht
Ein sanfter West durch blaue Lüfte wehet,
Dem Ufer naht. Kein Schiffer zeigt
Sich drin. So hat ein Gott zu dem, was ich geflehet,
Ein gütig Ohr herabgeneigt?
Ruft Psyche aus, und muthig steigt
Sie in den schmalen Kahn. Ein lauer Zephyr blähet
Das Segel auf, und wie beflügelt streicht
Das Schifflein durch die Fluth. Von Psyche's Reiz betrogen,
Glaubt der Gewässer Volk, Cytheren hier zu sehn.
Delphine heben sich aus den getheilten Wogen
Und schwärmen um das Schiff, und Nymphen, wunderschön,
Umtanzen froh den Bord und singen süße Lieder.
Der Schwan mit glänzendem Gefieder
Läßt sanfte Töne durch die stillen Lüfte wehn.
Froh sitzt Psycharion, umhüpfet
Von manchem holden Traumgesicht,
Und keine schwarze Ahnung schlüpfet
In ihre sichre Brust. Sie denkt der Zukunft nicht,
Da mit so holdem Rosenlicht
Die Gegenwart sich zeigt. Unglückliche, es eilet
Der Kahn so schnell dahin! Das Land
Cytherens zeigt sich schon; schon weilet
Das Schiff an deiner Leiden Strand.
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Sie steigt hinaus, und schnell durchdringet
Ein tobendes Geräusch ihr Ohr.
Scheu und erstaunt blickt sie empor,
Und sieht von Faunenvolk und Nymphen sich umringet,
Die sie mit schmäh'ndem Spott und Hohn,
Zum Chor vereinigt, überschütten.
Man fesselt sie; nichts helfen ihre Bitten,
Nichts hilft ihr Trotz. Mit wildem Drohn
Reißt man sie fort, von blinder Wuth erhitzet,
Und bringt sie an den Platz, wo auf erhabnem Thron,
Als strenge Richterin, der Liebe Göttin sitzet.

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TextGrid Repository (2012). Schulze, Ernst. Gedichte. Psyche. Viertes Buch. Viertes Buch. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-0504-C