[234] Zweytes Buch

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Die Schöne übersah mit wonnevollen Blicke
Das holde Thal, wohin die Macht
Des Gottes sie im schnellen Flug gebracht.
Wo bin ich? ruft sie voll Entzücken,
Wer wohnt auf dieser Zauberflur?
Wer herrscht hier über die Natur,
Mit Himmelsreiz dies Thal zu schmücken?
Ist dies der Huldgöttinnen Thron?
Hat den Adonis einst Cythere hier gefunden?
Sind Lunen hier der Dämmrung holde Stunden
Einst mit Endymion im süßen Rausch entflohn?
Und sanft und lieblich, gleich wie in Olympus Hallen
Der Grazien und Musen Lieder schallen,
Entbebt den Aetherhöhn ein wonniglicher Ton:
Kalter Reif umzog hier einst die Wälder;
Ew'ger Schnee bedeckte rauh die Felder;
Oed' und traurig war hier die Natur.
Dir zu Lieb' ist Schnee und Eis entschwunden,
Eine Gottheit, die du überwunden,
Formte dir zur Wohnung diese Flur.
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So sprach die Stimm' und schwieg. Der zephyrleichte Wagen
Ward itzt zu einem Schloß getragen,
Das Kunst und Reichthum schwesterlich
Zu einem wahren Göttersitze
Geformt. Doch hoffet nicht, daß ich
Hier die Gelegenheit benütze,
Wie Scudery im Alarich,
Ein Schloß euch zu erbaun, dem nie ein andres glich.
Die Kunst der Perraults und Vitruve
Ist meine Sache nicht. Darum zurück, damit
Mir die Kritik nicht in die Ohren rufe:
Steig nur, so hoch du kannst, und höher keinen Schritt.
Solch ein Pallast hier in des Waldes Mitte?
Denkt Psyche und erstaunt. In diesem holden Thal
Erwartete sie wohl nur eine Schäferhütte,
Bey der ein klarer Wasserfall.
Hernieder rieselte, wo die bemoosten Wände
Des Weines grüne Reb' umwände,
Und wo der müde Gast beym ländlich frohen Mahl
Die Sitten Tempe's wiederfände.
Doch zürnte Psyche nicht, betrogen sich zu sehn;
Denn so getäuscht zu seyn, ist wahrlich immer schön.
Indessen hoben unsichtbare Hände
Vom Wagen sie, und sanft, von Zephyrs Arm umfaßt,
Schwebt sie bey lieblichem Gesang in den Pallast:
Komm herein in deines Schlosses Hallen,
Komm herein, du süße Königin!
Laß dir unsre Dienste wohlgefallen,
Blicke mild auf unser Streben hin!
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Früh, wenn sich Apollons Rosse heben,
Spät, wenn Hesperus die Flur bethaut,
Ewig wollen wir dich treu umschweben,
Komm herein, des Gottes süße Braut!
Mit der Liebe sehnendem Verlangen
Harret zärtlich der Geliebte dein.
Komm herein, ihn wonnig zu umfangen,
Seine holde Königin zu seyn.
Hörst du nicht die Myrten-Kränze wehen?
Hörst du nicht der Harfen süßen Laut?
Komm herein, die Feyer zu begehen!
Komm herein, des Gottes süße Braut!
So sang's. Und Harfentön' und Flöten um die Wette
Begleiteten das wollustvolle Lied.
Die Thüren öffnen sich, und Psyche sieht
In einem Saale sich, wo selbst ein Sybarit
Sein höchstes Gut gefunden hätte.
Dort bot ein sanftes Kanapee,
So weich, wie neu entkeimter Klee,
Mit koischem Geweb' umhüllet,
Den Schooß der süßen Ruhe dar.
Dort lockt' ein goldner Tisch, mit Speisen angefüllet.
Und winkte sie, so eilte unsichtbar
Ein Heer von kleinen, weichen Händen,
Das Köstlichste, das Schönste ihr zu spenden.
Rings wallt ein süßer Nektarduft;
Begleitet von der Laute holden Tönen,
Floß ein Gesang sanft schwellend durch die Luft,
Und wiegt' ihr Herz in namenloses Sehnen.
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Daß jetzt Psycharion, nachdem sie etwas sich
Von ihrer Fahrt erholt, des Schlosses weite Zimmer
Durchirrt, und daß ringsum hier alles königlich
Von Gold und Edelstein gestrahlt, so daß vom Schimmer
Die Augen übergehn, das wißt ihr ohne mich.
Doch jetzt verlaßt mit mir des Reichthums todte Schätze,
Und folgt mir in die lebende Natur.
Dort trifft man häufiger der Musen holde Spur,
Und Amor spannet dort die unsichtbaren Netze.
Schon öffnet sich des Gartens Lustrevier,
Und auch mit uns ist Psyche hier.
Durch Rosen und Jasminengänge
Durchirrte sie den Feenaufenthalt.
Bald führt sie schlangengleich und enge
Der Pfad durch einen dunklen Wald;
Bald schwindet das Gesträuch, und bange
Steht sie an einem Felsenhange,
Der in ein holdes Thal sich scharf hernieder streckt,
Wo mancher See, umkränzt von blühenden Gehegen,
Und mancher Bach, vom Laube halb versteckt,
Das Auge lockt. Auf rauhen Wegen
Klimmt sie herab. Ein wilder Wasserfall
Ergießt sich neben ihr in schäumenden Kaskaden
Und schlängelt hüpfend sich in blumigen Gestaden
Durch's holde Thal, wo manche Nachtigall,
Im duftigen Gesträuch verhüllet,
Mit sanfter Zärtlichkeit der Schönen Herz erfüllet.
Mit blassem Dämmerlicht sah Luna auf die Flur,
Und träufelte, voll süßer Milde,
Des Schlummers Zauber auf's Gefilde,
Und jeder leise Laut erstarb in der Natur.
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Und sieh, es hebt aus dem Gebüsche,
Das bunt und zauberisch des Mondes Licht beglänzt,
Ein Tempel sich empor, von Rosen rings umkränzt.
Die Holde tritt hinein. In einer Marmornische
Steht lächelnd Cytheräens Bild,
Ein Bild, wie Miron einst und Polyklet es schufen.
Der Stein schien von der Kunst zum Leben aufgerufen;
Zu reden schien der Mund. Die Augen lachten mild.
Ein banger leiser Seufzer quillt
Aus Psychens Brust. Ein süßes Ahnen füllt
Ihr sanft das Herz. Ihr Auge schwimmt in Thränen.
Sie scheint sich anders itzt, als sie noch eben war.
Wie ist mir? ruft sie aus. Was bebt so wunderbar
Mir durch dies Herz? Wer schafft dies süße Sehnen?
Wer singt vom ew'gen Glück in leisen Zaubertönen
Mir in die Brust den ach, so holden Wahn?
Hast du dies Wunder, Göttliche, gethan?
O sey dem Opfer hold, das Freud' und Dank dir spenden.
Sie eilt hinaus, nimmt von des Tempels Wänden
Der Kränze schönsten, naht mit schüchternem Gesicht
Der Göttin sich, legt ihn mit bangen Händen
Auf den Altar, sinkt auf die Knie, und spricht:
O nimm sie an, die kleine Gabe!
Ich opf're sie mit reinem Sinn,
Ich opf're alles, was ich habe,
Und gebe mich dir ganz dahin.
Du hast mein Wesen umgestaltet,
Des Lebens holder May beginnt.
Nimm an, du, die so gütig waltet,
Des jungen Lenzes schönstes Kind.
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Kaum war der Kranz geweiht, so werden rings die Hallen
Mit lieblichem Gedüft erfüllt.
Ein schönrer Glanz umfließt der Göttin holdes Bild,
Und Harfentön' und süße Lieder schallen:
Das erste Opfer hast du jetzt gebracht,
Du hast dich ganz Cytheren hingegeben.
O folge stets der süßen Triebe Macht!
Geliebtseyn nur und Lieben sey dein Leben!
So sang's. Und sanft, wie wenn ein leiser West
Ein Rosenblatt, das von des Sommers Schwüle
Schon halb vertrocknet war, ergreift, und in die Kühle
Des klaren Quells es fallen läßt,
Um neues Leben ihm zu spenden,
So ward Psycharion von kleinen weichen Händen
Zu Amors Heiligthum gebracht.
Die schönste Grotte war's, wo eine kleine Quelle
Dem Marmorkrug entsprang. Rings herrschte dunkle Nacht;
Nur stahl zuweilen sich des Mondes sanfte Helle
Durch's duftende Gebüsch. Ein Lager, sanft und kühl,
Zwar nur von Myrtenlaub, doch von den Amoretten
So weich gestreut, wie Eiderbetten,
Empfing die holde Braut. Ein seliges Gefühl,
Wie in Elysiums Blumengründen
Die frommen Seelen es empfinden,
Durchzuckte sie. Ein süßes Ahnungswehen
Flog durch ihr Herz, das hier zu finden,
Was sie bisher in Träumen nur gesehn.
Und plötzlich, horch! ein leises Säuseln
Schlich durch der Grotte Dunkelheit,
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So wie sich sanft des Baches Wellen kräuseln,
Wenn in des Haines Einsamkeit
Sich eine Huldgöttin in kühle Fluthen tauchet.
Es nahet sich, und leise hauchet
Ein unsichtbarer Mund, gleich einer Melodie,
Die bald sich schwellend hebt, bald sanft in Luft verhallet,
So süße Worte aus, wie selbst Cythere nie
Zu ihrem Liebling sprach. Der Schönen Busen wallet
Von süßer Angst, von nie empfund'ner Lust.
Was schadet es, ihm zuzuhören?
Zu grausam wär' es doch, das Reden ihm zu wehren.
Doch halt, das ist zu kühn! Von ihrer holden Brust
Sucht eine weiche Hand den Schleyer wegzuziehen,
Und tausend heiße Küsse glühen
Auf Busen, Mund und Hand. Sie hebt
Sich schnell vom Lager auf, um zu entfliehen;
Doch eine Stimme, die ihr Inneres durchbebt,
Hält sie zurück: Du willst entfliehen?
O du, für die allein nur meine Seele lebt?
Verweile noch! bey jenen Zauberstrahlen,
Womit Selenens Blick zur Erde niederschaut,
Bey jenem Rosenkelch, von Perlennaß bethaut,
Bey jenen Blumen, die im klaren Quell sich malen,
Beschwör' ich dich, verweile, süße Braut!
Wer hätt' es Psychen nicht verziehen,
Daß sie gefesselt ward durch dieses Schwurs Gewicht?
Und dennoch mußte sie entfliehen,
Ruft manche Prüde hier. O laßt zu streng uns nicht,
Nein, laßt uns Menschen menschlich richten.
Setzt euch nur selbst in Psychens Fall hinein.
Denkt in die Grotte euch, vom dichten
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Gebüsche rings versteckt, von Luna's Zauberschein
Mit jener Dämmerung umgossen,
Die, ach! so leicht das Herz zur Zärtlichkeit bewegt;
Denkt eure Sinnlichkeit von Wundern aufgeregt,
Von Götterduft berauscht, euch an die Brust geschlossen
Von einem Wesen, das so süße Worte spricht,
Und dann, versteckt die Wahrheit nicht,
Sprecht, hättet ihr euch losgewunden?
Kurz Psyche blieb. Sie kam, die seligste der Stunden,
Der Schönen holdes Auge bricht
In süßer Lust. Mit heißen Armen
Umfaßt er sie; an ihrer warmen,
Hochangeschwellten Brust fühlt sie die seine glühn.
Ach, sie versucht nicht mehr zu fliehn;
Sie kämpft nur noch mit matten Bitten.
Ihr schwindet und ihm mehrt sich stets der Muth;
Sie weicht; sie sinkt; es mischt sich Gluth in Gluth,
Und die Natur hat ihren Sieg erstritten.
Betäubt vom wonnigen Genuß,
Sank in des Siegers Arm die Schöne.
Ein süßes Schmachten folgt. Nur leise Liebestöne
Und mancher sanft geraubte Kuß
Verkünden ihre Lust. Wie eine reine Quelle
Vom Felsenhang sich schäumend niedergießt,
Doch plötzlich wieder sanft durch ihre Ufer fließt
Und nur zuweilen noch aufhüpfend mit der Welle
Des Randes Blumen netzt, so schmolz der Wonne Glühn
In süße Ruh'. O welche Seligkeiten
Empfand Psycharion! Ein neues Leben schien
Sich reizend vor ihr auszubreiten,
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Ein schönres Leben, wo ein ew'ges Frühlingsgrün
Der Seele lacht, wo in dem Strom der Zeiten
Die Jahre wohl, doch nie die Freuden fliehn,
Wo nie der heitre Aether trübe
Und nie die Flur verödet ist,
Wo man so schnell das Leid, doch nie die Lust vergißt,
Das Leben der beglückten Liebe.
Zwar sah Psycharion im Schooße der Natur
Auch manche Freuden schon entsprießen;
Doch solche Freuden, die man nur
In seinem Innern zu genießen,
An fremder Brust nicht zu ergießen
Vermag, wie arm sind sie! Zwar schön war Tempe's Flur,
Allein das Volk, das sie bewohnte,
Glich den Nomaden noch; noch thronte
Dort nicht der Sittlichkeit verfeinerte Kultur,
Durch die sich Lieb' und Lust zur Göttlichkeit erhöhen.
Noch hatte keiner dort den blühenden Apoll
Durch Hain und Thal der Heerde folgen sehen;
Noch rührte Orpheus nicht, vom Geist der Gottheit voll,
Der Rohen Herz durch süßer Töne Wehen;
Noch sah man nicht der Huldgöttinnen Spur
An des Penëus blumigten Gestaden.
Der launenvolle Pan strich einsam durch die Flur,
Und Demeter, mit goldner Frucht beladen,
Regiert' allein die gütige Natur.
Wie können solche Götter bilden?
Zwar Ceres schließt der Sterblichen Verein;
Doch was gefühlvoll sie und fein
Und liebenswürdig macht, was sie mit milden
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Und holden Sitten schmückt, zu Menschen schafft aus Wilden,
Das geben Musen nur und Grazien allein.
Psycharion war ein zu feines Wesen,
Als daß durch solch ein Volk, so viel
Des Schönen wir von ihm auch im Guarini lesen,
Ihr Herz befriedigt sey. Jetzt hatte sie das Ziel
Von ihrem Wünschen, ihrem Hoffen,
Von alle dem, was einst die jugendliche Brust
Geahnet und gesucht, getroffen.
Wie schmiegte sie sich nicht im süßen Rausch der Lust
An ihres Gatten Herz und sprach in Schmeicheltönen
Der holden Liebeständeley,
Was die entzückte Schwärmerey.
Und ihrer Brust erfülltes Sehnen
In's Herz ihr gab, doch was, wär' er von den Kamönen
Auch selbst erzogen und zum Liebling auserwählt,
Kein Dichter wieder euch erzählt.
Soll ich nicht dein süßes Bild erkennen?
Soll dich nicht bei deinem Namen nennen?
Laß die Hülle, die dich mir entzieht!
Halb ist nur der Liebenden Entzücken,
Wenn nicht wechselnd aus den trunk'nen Blicken
Seligkeit durch beyder Seele glüht.
So sprach Psycharion, von Sehnsucht hingerissen,
Indem sie zärtlich ihn umschlang.
Doch plötzlich fühlte sie bei ihrem heißen Küssen
Des Gatten Augenpaar von Thränen überfließen.
Ein schwerer, leiser Seufzer drang
Aus seiner Brust, und sanft sprach er und bang:
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Forsche nicht! Nur in der Dämm'rung Feyer
Oeffnet sich der Nachtviole Schooß;
Hebt der Tag den zauberischen Schleyer,
Steht sie düfteleer und anmuthlos.
Froh sehn wir die Schmetterlinge fliegen,
Mit der Farben buntem Glanz geziert,
Aber schnell entschwindet das Vergnügen,
Wenn ein rauher Finger sie berührt.
Psycharion vernahm mit Zagen
Das Wort. So schau' ich nie dein lächelndes Gesicht,
Nie deiner Züge Reiz, der Augen holdes Licht?
Ach, mag ein andres Herz es tragen,
Die arme Psyche trägt es nicht!
So hallte lange noch von ihren leisen Klagen
Die dunkle Nacht, bis endlich sanft und süß
Der Schlaf die Flügel ausgebreitet,
Und, von der Träume Schaar im frohen Tanz begleitet,
Auf ihre Wimpern sich voll Milde niederließ.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Schulze, Ernst. Gedichte. Psyche. Zweytes Buch. Zweytes Buch. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-05A6-D