[204] Ernst Schulze
Reise durch das Weserthal
Am Ende des Septembers 1814

[205] [207]Zueignung

Umtönte mich der wilde Lärm der Schlacht,
Dann sah ich dich an meiner Seite stehen;
Du hast mit mir auf wald'gen Bergeshöhen,
Dem Feinde nah, bei nächt'ger Gluth gewacht.
Und lockte mich des Lenzes blüh'nde Pracht,
Der reife Herbst, durch Berg und Thal zu gehen,
Stets hab' ich nur dein holdes Bild gesehen,
Dein hab' ich stets in Freud' und Leid gedacht.
[207]
So nimm auch jetzt, was aus dem bunten Leben
Auf irrer Fahrt die Muse mir gegeben,
Des Herzens Ernst, der Bilder leichtes Spiel.
Mag streng und kalt dein Blick sich von mir wenden,
Nie soll mein Hoffen, nie mein Streben enden;
Schön ist die Müh' auch um ein nicht'ges Ziel.

[208] Celle

Unendlich dehnt sich rings die graue Haide,
Und dunkel liegt der öde Fichtenhain;
Doch leise schwimmt im heitern Sonnenschein
Um's finstre Bild ein stiller Strahl der Freude.
Wohl flimmern hell am bunten Feyerkleide
Die Thränen oft wie köstliches Gestein;
Doch kann auch Tod am Leben sich erfreun?
Naht Lächeln auch dem Ernst und Lust dem Leide?
O sey getrost! Es giebt ein ew'ges Licht!
Nicht Tod noch Schicksal kann die heil'ge Gabe
Der eignen Kraft der reinen Seele rauben.
Wohl darfst du weinen; zagen darfst du nicht;
Denn menschlich ist die Thrän' am frischen Grabe;
Doch göttlich ist's, zu lächeln und zu glauben.

[209] Hameln

O Strom, was krümmst du, wunderbar gebogen,
Dich rasch dahin durch deinen schönen Strand,
Zur Seite bald und bald zurückgewandt,
Vom Ufer jetzt und jetzt durch dich betrogen?
Gern grüßten wohl noch einmal deine Wogen
Der ersten Kindheit holdes Vaterland;
Doch willenlos in's enge Thal gebannt,
Wirst du von stärkrer Macht hinabgezogen.
Stets tiefer wird und breiter deine Fluth;
Es regt der Mensch auf deinem glatten Spiegel
Sich kräftig rings im Sorgen und Erwerben;
Doch dir versiegt des Lebens frischer Muth;
Kein Wald bedrängt dich mehr, kein lust'ger Hügel,
Bis fern im Meer die matten Wellen sterben.

[210] Hehlen

Hier ruh' ich weich, vom Laubgeweb' umstrickt,
Am leisen Spiel der duftig frischen Quellen,
Und seh' hinab, wie zu den glatten Wellen
Das stolze Schloß so freundlich niederblickt.
Mit Anmuth hat die Würde sich geschmückt,
Das Dunkle mischt sich lieblich mit dem Hellen,
Und biegsam wird, wenn sanft die Wogen schwellen,
Das Bild bewegt, doch immer fortgerückt.
Was ringst du dich empor mit kühnem Schweben,
Und willst den Pfad der niedern Erde fliehn,
Ein fernes Ziel, ein fremdes zu erstreben?
O komm herab in's menschlich warme Leben!
Wenn Lieb' und Huld auf ihren Spuren blühn,
Wird schöner sich die große That erheben.

[211] Luisenhöhe

Hier, wo der Wald mich träumerisch umhüllt,
Soll zwiefach Laub die Stirne mir umwinden;
Das welke soll mein Leben dir verkünden,
Das grünende sey meiner Liebe Bild.
Denn so wie oft auf herbstlichem Gefild
An einem Zweig sich Tod und Leben finden,
So muß auch ich ein doppelt Seyn empfinden,
Da Schmerz und Lust aus einem Quell mir quillt.
Was mir des Todes heißen Wunsch gegeben,
Das schmückt allein, nur das erhält mein Leben,
Und was mich flieht, das wohnt in meiner Brust.
Schon kann ich längst nicht mehr die Gränz' erkennen,
Wo Thrän' und Lächeln, Furcht und Wunsch sich trennen –
O süßer Schmerz! o thränenreiche Lust!

[212] Bodenwerder

Nicht wandl' ich gern den Pfad durch niedre Auen,
Den Menschensinn nach Maaß und Schnur erdacht;
Viel süßer ist's, der irren Laune Macht
Auf eigner Bahn sich wagend zu vertrauen.
Drum schweif' ich hier, wo kühne Geyer bauen,
Auf schroffem Fels durch dunkle Waldesnacht,
Und wenn auch oft die Menge mich verlacht,
Mir sagt mein Herz: Du wirst das Schöne schauen.
Und irr' ich auch auf unbetretner Bahn,
Stets lassen mich des Stromes helle Fluthen
Den sichern Pfad zum Ziele wiederfinden.
Wohl ist der Mensch verstrickt in Schuld und Wahn;
Doch kann der Strahl des Schönen und des Guten,
Wenn auch umwölkt, ihm nimmer ganz entschwinden.

[213] Polle

Entschwunden ist der Pfad, den ich erkohr;
Der Wald verschränkt sich stets mit dichtern Zweigen;
Kein Ausgang aus der Wüste will sich zeigen,
Und finstrer sinkt der nächt'ge Wolkenflor.
Und tret' ich oft auch aus dem Hain hervor,
Dann seh' ich schroff den Fels hinab sich neigen;
Tief unten ruht die Flur im dunklen Schweigen,
Und murmelnd schallt die Woge nur empor.
So ging ich längst, umhegt von Noth und Sorgen,
Von schwarzem Gram umschattet und verborgen,
O harte Lieb', auf deiner Bahn dahin;
Und mocht' auch rings sich Alles freun und schmücken,
Ich konnte nichts als Nacht und Tod erblicken,
Dem Leben fremd und fremd dem eignen Sinn.

[214] Holzminden

Der Nebel wogt mit wandelbarem Walten,
Jetzt dicht verwebt, vom Winde jetzt zerstreut.
Stets wechseln Berg und Thal ihr luftig Kleid,
Und formlos ruhn im Schleyer die Gestalten.
Wird's freundlich oder feindlich sich entfalten?
Noch weiß ich's nicht; es schwankt von Lust zu Leid,
Von Nacht zu Licht mein Herz im ewgen Streit
Und will umsonst die flücht'gen Bilder halten.
Doch schon zerrinnt die rege Zauberwelt;
Schon zeigt der Berge Stirn sich minder trübe,
Schon läßt die Flur im bunten Glanz sich schauen.
Wohl starrt vom nächt'gen Reif das weite Feld;
Doch freundlich steigt der Sonnenstrahl der Liebe
Am Himmel auf und wärmt die kalten Auen.

[215] Corvey

Vom Morgenglanz ist Berg und Thal erhellt;
Wie Silber scheint der glatte Strom zu gleiten,
Und Glockenklang durchtönt die duft'gen Weiten,
Verhallend bald, bald schallend fortgeschwellt.
Von freud'ger Menge wogt das bunte Feld,
Und Mann und Weib seh' ich vorüber schreiten;
Verlobte gehn vereint mit ihren Bräuten;
Den Aeltern sind die Kinder jugesellt.
Ich seh sie fort zum alten Kirchlein wallen;
Schon hör' ich fern das fromme Lied erschallen;
Die Orgel tönt, die Herzen sind entzückt.
Was säum' ich noch, auf meine Knie zu fallen,
Hier, wo so schön die weiten Tempelhallen
Der Ewige mit jeder Pracht geschmückt?

[216] Hörter

Du reiches Thal' du Zeuge deutscher Macht,
Mit stiller Scheu bettet' ich deine Schranken.
Hier blitzt' es einst von muthigen Gedanken
Und kühner That in heil'ger Waldesnacht.
Heil uns! Vergolten ist die Sachsenschlacht!
Gebrochen ist der stolze Hohn der Franken
Durch deutsches Schwert. Die alten Eichen sanken;
Doch Wittekind und Herrmann Sind erwacht.
Wie um's Gebirg die grauen Nebel schweben,
So stehn sie hoch auf ihren Felsenzinnen
Und schaun hinab in's freie deutsche Land.
Im Thale blüht ein wunderbares Leben,
Es grünt der Wald, die hellen Bäche rinnen,
Und fröhlich prangt der Herbst im Lenzgewand.

[217] Fürstenberg

Entfaltet läßt die weite Flur sich sehn
Und zeigt mir fern den Weg, den ich gegangen,
Doch ahnungsvoll, mit dunkelm Arm umfangen,
Den künft'gen Pfad, die wald'gen Bergeshöhn.
Die Luft ist blau und leichte Winde wehn,
Ein frischer Duft umsäuselt meine Wangen,
Fort zieht es mich mit brennendem Verlangen,
Auf neuer Bahn zum neuen Ziel zu gehn.
Mit Thränen hängt mein Auge jetzt am Schönen;
Die süße Ruh' erregt mir wildes Sehnen;
Was sonst ihn stillte, weckt mir jetzt den Schmerz.
Drum muß ich rasch in's Thal hernieder eilen;
Mag dort die Lust, mag dort der Kummer weilen;
Nur immer fort, du hartbedrängtes Herz!

[218] Carlshafen

Wie eng auch rings dich Wald und Fels umfahn,
Wie seltsam auch die Thäler sich verschlingen,
Du strömst heran, dir Freiheit zu erzwingen,
Gewalt'ger Strom, und brichst dir deine Bahn.
Und muß auch oft das Herz mit Furcht und Wahn,
Der edle Geist mit Glück und Leben ringen,
Kein Schicksal hemmt der freien Kraft die Schwingen,
Wo du es suchst, da muß das Heil dir nahn.
Was säumst du lang und zagst und bebst zur Seite,
Und schaust zurück und schwankst im ew'gen Streite,
Und willst nicht nahn, nicht weilen, nicht entfliehn?
Dort ist der Pfad! und sey's durch Kampfgetümmel,
Durch Flamm' und Fluth; nur dieser führt zum Himmel!
Sieg oder Schmach, was wählst du? – Laß uns ziehn.

[219] Göttingen

O laß dich still mit langem Kuß begrüßen,
Du heil'ges Thal, mein zweytes Vaterland!
Wo ich zuerst die Wunderblume fand,
Die früher schon die Träume mir verhießen.
Wie manche Thräne mußt' ich hier vergießen!
Wie bräutlich hielt die Lust mich oft umspannt!
O Freud' und Schmerz, wie seyd ihr nah verwandt!
Wie muß so oft eins aus dem andern sprießen!
Du, die schon lang das dunkle Grab verhüllt,
Dir muß ich nahn und liebend dich umfassen,
Und mich mit Trost am bittern Gram erfüllen.
Denn, wehe mir! das warme, blüh'nde Bild,
Das einz'ge Heil, das mir dein Tod gelassen,
Es ist zu stolz, die Thränen mir zu stillen.

Notes
Erstdruck in der vorliegenden Ausgabe der Sämtlichen Poetischen Schriften, Bd. 3, Leipzig (Brockhaus) 1819.
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TextGrid Repository (2012). Schulze, Ernst. Reise durch das Weserthal. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-05AE-E