[113] Glossen

[116] Am 16ten Januar 1816

Du holder Geist der Lieder, den hienieden
Zum Troste mir ein milder Gott verliehn,
Du Einziger, der nie von mir geschieden,
Der freundlich oft, bekränzt mit Immergrün
Und angethan mit träumerischem Frieden,
Ein rettend Licht im Sturme mir erschien,
Noch einmal laß in wunderbaren Weisen
Durch dich dich selbst und, die dich weckt, mich preisen!
Verworren liegt das unbeständ'ge Leben
Vor unserm Blick und ungestaltet da,
Und Keiner kann's entwirren und entweben,
Wer nicht die Welt in deinem Spiegel sah.
Du machst das Harte mild, das Rauhe eben,
Das Dunkle hell, das Weitentfernte nah
Und weißt allein in lieblichen Gestalten
Den kurzen Traum des Schönen festzuhalten.
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So führtest du in jenen holden Tagen,
Als noch das Glück sich freundlich mir gesellt,
Den Irrenden auf leichtem Zauberwagen
Mit raschem Flug durch deine Wunderwelt.
Und wie ein Blatt, das linde Lüfte tragen,
Der Silberflor des Herbstes flatternd hält,
So kettet' ich, noch eh die Bilder schwanden,
Die Lächelnden mit zarten Liedesbanden.
Doch wie gemach bey flücht'ger Weste Scherzen
Die keusche Ros' im heil'gen Glanz entglüht,
So war auch mir im leichtbewegten Herzen
Ein sel'ges Bild allmählig aufgeblüht.
Tief wogte jetzt in Freuden und in Schmerzen,
In Wahn und Wunsch das träumende Gemüth,
Und nur in dir konnt' ich das Leid enthüllen,
Die Lust verstehn, die glüh'nde Sehnsucht stillen.
Da nahten sich des Lebens trübste Stunden,
Und eisern hielt das Schicksal sein Gericht.
Heiß bluteten die nie geschloßnen Wunden,
Und nächtlich sank der Jugend heitres Licht.
Die Treue, die mein Herz in sich gefunden,
Die fand es jetzt in andern Herzen nicht,
Und dessen Hand, den alles Glück verlassen,
Nicht wagte sie der Glückliche zu fassen.
Nur du, der sonst mit jedem Hauch entflogen,
Der nur am Scherz, am Spiele sich erfreut,
Du bliebst allein dem Traurenden gewogen
Und theiltest gern des Freundes Einsamkeit.
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Und wie der Wein, der grün den Baum umzogen,
Dem welken selbst der Jugend Anmuth leiht,
So sah ich dich um mein erstorbnes Leben
Zum ew'gen Schmuck holdblüh'nde Kränze weben.
Und wenn der Herbst mit ungestümem Wehen
Mir jedes Glück erschüttert und entlaubt,
Dann ließest du dein Frühlingsreich mich sehen,
Dem keine Zeit die hellen Blüthen raubt.
Wie fühlt' ich dann so bald den Schmerz vergehen,
Wie ruhte süß in deinem Schooß mein Haupt!
Mein wundes Herz, von langem Kampf ermattet,
Es schlummerte von deinem Grün beschattet.
Und Jene selbst, die, jedem Flehn verschlossen,
Ein strenges Herz in zartem Busen trägt,
Selbst sie erschien, wenn mich dein Traum umflossen,
Dem Hoffenden zu holderm Sinn bewegt.
Und wie die Sonn' an winterlichen Sprossen
Betrügerisch oft grüne Knospen pflegt,
So sah auch ich mir heitre Tage blühen,
Die nicht das Glück, nein, welche du verliehen.
So führe denn im bunten Zauberreigen
Noch einmal mich durch deine schöne Welt;
Und wird auch sie ihr Herz mir nimmer neigen,
Bleibt ewig auch der Kummer mir gesellt,
Doch will ich ihr nur heitre Bilder zeigen,
Weil Frohes nur der Fröhlichen gefällt.
O mög' ihr oft das leichte Lied enthüllen:
Den du betrübst, der lächelt deinetwillen!
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Schon öffnen sich die buntgeschmückten Pforten,
Der Sänger tritt mit hellem Blick hinein.
Aus alten Zeiten füllt, aus fernen Orten,
Mit Bildern sich der wunderbare Hain,
Und Alles muß, gebannt von Zauberworten,
Zum langen Zug um meinen Pfad sich reihn.
Dem Monde gleich, der tausend Sterne leitet,
So wandl' ich jetzt von meiner Schaar begleitet.
Und sieh, den Hain, der wunderbar verschlungen,
Sich endlos dehnt, durchzieht das bunte Heer;
Bald rasten wir in kühlen Dämmerungen,
Bald führt der Sturm uns sausend über's Meer.
Jetzt wird zum Spiel der leichte Pfeil geschwungen,
Und jetzt zum Kampf in tapf'rer Hand der Speer:
So führ' ich sie auf immer neuen Wegen
Durch Lust und Leid dem fernen Ziel entgegen.
Denn richtend harrt, auf blüh'nden Thron erhoben,
Die Königin der weitgereisten Schaar.
Mit Rosen ist ihr zartes Kleid durchwoben,
Als Krone schmückt die Ros' ihr wallend Haar.
Den wird sie tadeln, jenen freundlich loben,
Dem beut sie Lohn und dem Verzeihung dar.
Dann neigt sie sich mit anmuthsvollen Blicken,
Den reichen Kranz auf meine Stirn zu drücken.

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TextGrid Repository (2012). Schulze, Ernst. Gedichte. Poetisches Tagebuch. Glossen. Am 16ten Januar 1816. Am 16ten Januar 1816. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-0630-D