Das Diadem

In drei Bildern.

1.

Auf den Wassern Babylons
Flutet Alexanders Nachen,
Samt den Freunden seines Throns,
Die des Siegers Haupt bewachen.
[210]
Doch er lies't ein trüb Geschick
In dem Flug des Wellenschaumes,
Und in seinem finstern Blick
Schwebt das Mißtraun eines Traumes.
Seines Diademes Pracht
Leuchtet in den braunen Locken;
Dieses schaute jüngst zu Nacht
Er auf fremdem Haupt erschrocken.
Widerfunkelt's aus der Flut
Jetzt im Schimmer der Gesteine:
Doch sein Auge fragend ruht
Auf der Stirn, ob's auch die seine?
In der Woge Spiegel sieht
Er den Himmel dunkler brüten
Schwanke Vögel ohne Lied
Uferweiden traurig hüten.
Und ein Königsgrabmal spült
Ihm die Flut im Bild entgegen,
Rauschende Gezweige fühlt
Er in seinem Haar sich regen.
Und der Nachen schießt vorbei: –
Nun erst merkt der Fürst mit Bangen,
Daß sein Haupt des Schmuckes frei,
Sieht ihn in den Büschen hangen.
Ueber dem zerfallnen Grab
Schwebt die junge Königsbinde,
Sie erreicht mit Speer und Stab
Keiner von dem Hofgesinde.
Von des Helden Seite schwingt
Jetzt ein Freund sich in die Wellen,
Der sich durch die Wogen ringt
Bis sie ihn an's Ufer schwellen.
Und, das Kleinod unbenetzt,
Glänzend, seinem Herrn zu reichen,
Hat er selbst sich's aufgesetzt,
Daß der König muß erbleichen.
[211]
Der erkennt das stolze Haupt,
Wie er es im Traum gesehen;
Aus dem Wasser, flutumstaubt,
Sieht gekrönt er's auferstehen.
Und nun hört er sich in's Ohr
Auch des Sehers Stimme beben:
»Herr! welch Zeichen! sieh dich vor!
Laß den Kronendieb nicht leben!«
Sinnend starr der König sitzt,
Und es jagen sich Gedanken,
Bis ihm's durch die Seele blitzt,
Durch der Bilder wildes Schwanken.
Jenes Freundes Blutgestalt,
Den er längst bei'm Trunk erstochen,
Naht, aus dunklem Aufenthalt
Seines Innern vorgebrochen.
In geheimer Tiefe regt
Sich's von Scham und bittern Schmerzen;
Mit dem blut'gen Schatten pflegt
Stille Zwiesprach er im Herzen;
Jener finstern Ahnung ringt
Er den Stachel aus der Seele,
Den Verdacht er niederzwingt,
Der ihn treibt zu neuem Fehle.
Eben ist der Schwimmer schnell
An dem Nachen aufgeklommen,
Hat den Schmuck sich auf der Stell
Aus gesenktem Haupt genommen.
Und der König sieht's mit Lust,
Wie den Schaum vom Kleid er schüttelt,
Nimmt den Freund an seine Brust,
Los vom bösen Traum gerüttelt.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Schwab, Gustav. Gedichte. Gedichte. 4. Romanzen, Balladen, Legenden. 2. Geschichtliche und halbgeschichtliche Sagen. Das Diadem. 1. [Auf den Wassern Babylons]. 1. [Auf den Wassern Babylons]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-069E-A