Prolog

Gesprochen im Stuttgarter Liederkranze, bei Schillers Todesfeier


den 9. Mai 1825.


Zum edleren Gesang sind wir verbunden,
Zu jenem, den kein böser Mißlaut stört;
Gemeines soll auf immer sein verschwunden,
Das Menschliche, das Reine nur gehört:
Ein Haupt ein Führer ward von uns gefunden,
Den Jedes als den keuschen Sänger ehrt,
Den früher Tod für Alles, was nach oben
Sich sehnlich kehrt, zum Schutzgeist hat erhoben.
Den längst Geschiednen kommen wir zu feiern,
Sein Todestag liegt hinter uns schon weit,
Ja, schon als Nachwelt preisen wir den Theuern,
Der mit uns könnte wandeln in der Zeit;
Indeß wir stimmen unsre matten Leiern,
Säng' er vielleicht das schönste Lied noch heut;
Wir Vielen, die wir fröhlich streben, sprossen,
Wir könnten blühen, seine Zeitgenossen.
Was wäre nicht aus deinem Geist entsprungen,
Was hätte sich, der deutschen Kunst zum Preis,
Nicht deiner königlichen Stirn entschwungen,
Du Herrlicher – noch jetzt ein rüst'ger Greis –
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Wenn du in reifer Fülle fortgesungen,
Enträtselt, dargestellt mit heil'gem Fleiß,
Was in dem Schacht der Zeiten und der Herzen
Verborgen quillt von Leben, Lust und Schmerzen.
Was Gutes ward geglaubt, gewünscht, betrauert,
Das du nicht mitempfunden hättest warm;
Was hätte Treffliches geblüht, gedauert,
An dem nicht mitgeschaffen stark dein Arm?
Wie hätte Mitgefühl dich tief durchschauert,
Wo Hoffnung je verwandelt ward in Harm:
Wie hätte Leid und Freude dich durchdrungen,
Und Lied um Lied sich draus emporgerungen.
Und der du stets das fremde Streben ehrtest,
Nicht stolz und kalt auf deinen Ruhm beschränkt,
O Freude, wenn du Jüngre nun belehrtest,
Dein Aug' auf jeden Blütenkeim gesenkt;
Dem Troß Nachahmender mit Würde wehrtest,
Indeß dein Geist verwandte Geister tränkt:
O wohl dem, der, um seine Stirn geschlagen,
Ein Reis aus deinem Kranze dürfte tragen!
Im Reich des Schönen ist ein Krieg entglommen,
Man wägt, verwirft, lobpreiset und verdammt,
Besonnen hättest du das Wort genommen,
Der Eintracht Herold, die vom Himmel stammt;
Und Ruh' und Milde wär' auf uns gekommen,
Geübet hättest du das Friedensamt:
Und, wenn sich junge Kraft zu viel vermessen,
Den Genius geschirmt, dein selbst vergessen. –
Es braus't die Welt, und um die höchsten Schätze
Des Erdenlebens tobt der Kampf noch laut:
Du kanntest Völker, Sitten und Gesetze,
Sahst, wer auf Felsen, wer auf Sand gebaut;
Du wußtest, was ein Gott ist, was ein Götze,
Du hättest uns manch Warnungswort vertraut;
Dein heller Blick, für Ewigkeiten offen,
Lehrt' uns, nicht Alles von der Stunde hoffen.
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Du aber hättest dich der Zeit bemächtigt,
Und sinnend sie in deinem Haupt bewegt,
Und Niemand hätte dich darob verdächtigt
Wenn sie dein freier Geist uns ausgelegt;
Dein Ernst, dein Treusinn hätte dich berechtigt,
Zu sagen, was die Welt für Wünsche hegt:
Gerungen hättest du mit der Geschichte,
Das Bitterste gemildert im Gedichte.
So ständest jetzo du, in Silberhaaren,
Wie jene Sänger in der alten Zeit,
Ein hoher Lenker ganzer Geisterschaaren,
Und selbst die Höchsten schauten's ohne Neid;
Ein frommer Greis, geläutert, hocherfahren,
Würd'st du befragt um Zeit und Ewigkeit,
Und ernste Denker, edle Künstler, Dichter,
Sie riefen dich als ihres Strebens Richter.
Und ach! vielleicht, jetzt, wo die Abendstunde
Des Lebens nahte, das bei uns begann:
Jetzt sehntest du dich nach des Thales Grunde,
In dem zuerst dein Geist empfand und sann,
In dem zuerst aus dem beredten Munde
Der Dichtung Strom so voll und schäumend rann:
Jetzt würdest du im heimatlichen Schwaben
Des Lenzes Blütenduft geathmet haben.
O reiche Wallfahrt auf den vollen Wegen,
Wenn es nun hieße: heute kommt er, heut!
Wie wollten wir des theuren Hauptes pflegen,
Was kann dich freuen, Meister? sprich, gebeut!
Die alten Freunde bringen wir entgegen,
Daß Ihr der Jugend holden Traum erneu't,
Aus Liederblüten haben wir, die jungen,
Bescheidentlich dir einen Kranz geschlungen.
Du lebst – doch ach! du lebst nur im Gesange,
Dort steht dein Bild, wie es dein Freund uns gab 1;
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Doch du bist fern, du schlummerst ja schon lange,
Dich zog des eignen Liedes Ruf hinab;
Hinab? hinauf, wohin zum Leierklange
Du lenktest, rüst'ger Pilger, deinen Stab,
Dort längst erwacht, vom kurzen Weg nicht müde,
Stehst du und horchest unsrem frommen Liede.
Wir senden dir die Klänge deiner Leier,
Der ewig tönenden, zum Gruß empor,
Sie dringen mächtig durch der Wolken Schleier,
Und rühren droben manch unsterblich Ohr,
Ja, sie verklären unsre schwache Feier,
Ja, sie begeistern unsrer Hörer Chor;
Wie Körner fallen sie ins Herz, und Saaten
Erblühen draus in Liedern und in Thaten.

Fußnoten

1 Die Büste Schillers von Dannecker war in der Versammlung aufgestellt.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Schwab, Gustav. Gedichte. Gedichte. 2. Zeitgedichte. Prolog. Prolog. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-06EE-7