[406] 1. Die Appenzeller tagen

Seht! die Gipfel färben sich
Mit der ersten Morgenhelle,
Drunten noch in Nacht gehüllt
Liegt des Abtes feste Zelle,
Wo der finstre Vogt ihm hauset,
Der den Bauern hält als Knecht;
Doch der Herr sitzt in Sankt Gallen
Und verschließt sein Ohr dem Recht.
Aber von den Bergen steigt
Nieder auf den Felsenstegen
Rüstig Sennenvolk ins Thal,
Aus den Hütten hochgelegen;
Und die in der Tiefe wohnen
Harren schon auf grünem Plan;
So, indem der Dränger schlummert,
Bricht der Tag der Freiheit an.
Arme Hintersassen sind's,
Lassen ihrer doch nicht spotten.
Wie sie kommen, Dorf um Dorf,
Stellen sie sich auf in Rotten.
Ohne Namen und Geschlechter,
Ohne Brauch und Obrigkeit,
Doch beginnen sie zu tagen,
Denn sie lehrt's die schlimme Zeit.
Eines Haupt sieht man im Kreis
Ueber andre Häupter ragen,
Der die grausten Locken hat,
Der viel weiß aus alten Tagen,
Der die Freiheit jung gesehen
Drüben ob und nid dem Wald: –
»Ihr sollt die Gemeinde führen«
Ruft das Volk, »Herr An der Hald!«
Und es nimmt der Greis das Wort:
»Wer zu klagen hat, der klage!
Wem der Herr ein Leid gethan,
Wen ein Vogt gekränkt, er sage!
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Was wir schuldig sind zu leisten,
Geben wir dem Abte gern,
Unrecht mögen wir nicht dulden,
Nicht vom Diener, noch vom Herrn!«
Hundert Stimmen wurden laut,
Murrten, wie des Flusses Wellen,
Daß der Vogt im Schlafe dacht':
Ist die Sitter 1 denn im Schwellen?
Doch er schlummert fort im Schlosse,
Und zur Stille mahnt der Greis!
Der nur soll zum Volke reden,
Der gewisse Kunde weiß.
Alsbald hebet Einer an
Wie dort Abt und Probst es treiben:
Gehn auf Fisch- und Vogelfang,
Mögen nicht im Kloster bleiben.
Und ein Andrer hat's gesehen:
Bei den ehrenwerten Frau'n,
Läßt der Abt im heil'gen Münster
Seiner Kammer Metze schau'n.
Anderhalde sprach, der Greis:
»Möget ihr ihn drüber richten?
Solches sündigt er dem Herrn,
Mahn' ihn der an seine Pflichten!
Kümmert's uns, wenn hinter'm Berge
Einer lebt im wilden Braus?
Bleibe rein nur unsre Kammer,
Heilig unser Gotteshaus.
Darum bringet andres vor:
Wem ward Gut und Blut beleidigt?
Wer bedarf's, daß gegen Schmach
Ihn der Brüder Arm vertheidigt?«
Und zween Männer traten klagend
Vor das Volk, in bittrem Leid;
Blut'ge Wunden trug der Eine,
Und der Andr' ein Trauerkleid.
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»Meint ihr,« schrie der Erste laut,
»Daß ich trage Schwertes Wunde?
Vor dem Helfenberger Schloß
Hetzt' auf mich der Probst die Hunde!
Jagen fand er mich im Walde,
Rief erbost: Die Birsch' ist mein,
Und der Bauer soll mir frohnen,
Soll nicht selber Jäger sein.
Und der Edelleute Troß,
Die ihn trotziglich umringen,
Pfeifen seinen Doggen bald,
Daß sie mich zu Boden zwingen.
In der Nacht bin ich geflohen,
Wie ein scheues Wild gejagt;
Macht er uns zum Thier des Waldes?
Das sei Gott und euch geklagt!«
Der im Trauerkleide sprach:
»Rettet mir des Hauses Ehre!
Wer da lebt, der wehret sich,
Tote nur sind ohne Wehre.
Nicht mehr sicher in der Erde
Sind sie vor der Vögte Wut;
Meines Vaters Leiche rufet
Laut, wie dieses Mannes Blut.«
Als im kühlen Boden wir
Gestern ihn mit Leid begraben:
Kömmt der Vogt von Schwendi her,
Will des Alten Leibrock haben.
Ihm gebühret, spricht er trotzig,
Jedes Toten bestes Kleid. –
»Herr! wir haben ihn im Sarge
Mit geschmückt, es ist uns leid!
Und der Grimme geht an's Grab,
In dem Herzen hegt er Arges,
Läßt den Boden wühlen auf,
Zerrt am Deckel seines Sarges,
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Oeffnet, zwingt den starren Vater
Noch einmal ans Tageslicht.
Zieht dem Leichnam ab die Hülle
Vor der Kinder Angesicht!«
Mit Entsetzen horcht das Volk,
Aber eh' den Spruch es waget,
Theilt ein Weib der Männer Kreis:
»Hört mich,« schreit sie, »weil ihr taget!
Wär' ein Bote mir geblieben,
Hätt' ich gern euch den gesandt;
Doch es liegt mein Mann ermordet,
Und mein Söhnlein ist verbrannt!
Frisch und fröhlich war der Mann,
Mocht' ein keckes Wörtlein sagen:
Sieh! von Bußnang kommt der Probst
Grimm zu Roß, läßt ihn erschlagen;
Heißt mich aus der Hütte treiben,
Hinter mir liegt Haus und Kind.
Jetzt erst wirft er drein die Flamme,
Daß die Asche fliegt im Wind!
Gott des Zorns, gieb Manneskraft
Meinem Arm zu meinen Schmerzen,
Oder gieb, barmherz'ger Gott,
Diesen Männern Mutterherzen!
Daß die Väter in dem Lande
Mögen sprechen frei und warm,
Daß die Mütter können lächeln,
Ihre Kinder auf dem Arm!«
Als das arme Weib so sprach,
Huben sie den Arm, den straffen;
Und errötend rief der Greis:
»Männer, sagt, wo habt ihr Waffen?«
»Seid getrost, Herr Anderhalde!
Haus und Stall sind voll davon:
Bickelhauben, Hellebarden,
Panzer harren lange schon!«
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Und er sprach: »So komm' hervor,
Steige hinter unsern Bergen,
Die du Mord und Brand geschaut,
Und den Gräuel an den Särgen,
Zeuge für uns, Gottes Sonne,
Daß der Krieg nicht unsre Schuld,
Denn die wilden Frevel rissen
Aus der Seele die Geduld!«
Bald sind's keine Hirten mehr,
Blanker Harnisch glänzt an allen,
Und der Greis eilt durch den Wald
Zu den Freunden in Sankt Gallen:
Die gen Bußnang, die zur Zelle,
Scharen klimmen hier und dort,
Morgen vor dem Helfenberge
Sagen sie dem Probst ein Wort.

Fußnoten

1 Das Hauptflüßchen Appenzells.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Schwab, Gustav. Gedichte. Gedichte. Größere Dichtungen. 2. Der Appenzeller Krieg. 1. Die Appenzeller tagen. 1. Die Appenzeller tagen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-0913-C