[108] Minna an der Harfe

Elastisch fliegt
Ihr Finger durch die Silbersaiten,
Und Engelharmonieen gleiten,
Aus ihrer Seele Harmonie gewiegt,
In mein entzücktes Ohr,
Und tragen mich zu Gottes Chor
Auf Fittichen des Hochgefühls empor.
Von ihrem Mund
Sinkt aus des frommen Herzens Fülle
In meine Brust geweihte Stille,
Und um mich her ruht tief das Erdenrund:
Die trunkne Seele lauscht,
Wenn sie durchs Tongewebe rauscht,
Und um Empfindung sanft Empfindung tauscht.
[109]
Wenn ihr Gesang,
Wie junger West am Rosenstrauche,
Der Harfe folgt mit Flötenhauche,
Wird meine Seele lauter lauter Dank,
Und heiße Rührung steigt,
Wenn jede Erdenrührung schweigt,
Hinauf, wo sich der Seraph bethend beugt.
Ihr Feuerschwung,
Wenn schwebend ihrer Lieder Wellen
Empor zu Gottes Lobe schwellen,
Hebt meinen Busen zur Begeisterung,
Und froh der Welt entrückt,
Steh ich am Throne, wo entzückt
Des Lichtes Engel sich mit Lichte schmückt.
Ihr Lautenton
Spielt in dem hingegebnen Herzen
Mit süßer Wollust süßen Schmerzen,
Und adelt magisch jeden Erdensohn
Im seligsten Genuß
Zu hohem göttlichen Entschluß,
Wie auf dem Berg' Eloahs Morgengruß.
[110]
Das Paradies
Glüht um sie her, wenn ihre Saiten
Der Tugend Hochgesang begleiten,
Schön wie es Gott in Edens Gärten wies:
Die ganze Schöpfung lacht
Wie nach des Mayes schönster Nacht,
Wenn Florens Hauch durch ihre Harfe facht.
Sie führet mich
Mit Zauber fort in ihrem Spiele
Durch Labyrinthe der Gefühle,
Und meine Seele kettet freundlich sich
Auf ihrer Zauberbahn,
Jetzt sanft hinab, jetzt wolkenhoch hinan,
Mit leisem Zug an ihre Seele an.
Mit starker Hand
Läßt sie in langen Feuerbächen
Den Donner aus den Saiten brechen,
Und webet dann ein glühendes Gewand
Gebietend um die Flur:
Es schmelzen ihre Töne nur
Und Ruhe sinkt herab auf die Natur.
[111]
Melancholie
Zieht durch der Leidenschaften Stille
Um meinen Geist die Trauerhülle,
Wenn feyerlich die Klagemelodie
Ihr von der Lippe sinkt,
Und ihrer süßen Schwermuth winkt,
Die dann mein Herz zum Götterfrieden trinkt.
Die Liebe spricht,
Wenn sie mit holder Freude lächelt,
Wie Zephyr um die Blumen fächelt,
Mit allem Reitz von ihrem Angesicht;
Und schweigend nah' ich mich,
Und schwöre still und feyerlich
Dem Göttermädchen: Ja, ich liebe dich!
Und wenn erfreut
Mein Geist sich an ihr Antlitz hänget,
Und auf Gefühl Gefühl sich dränget,
So lehret mich ihr Blick Unsterblichkeit,
Und Überzeugung schau,
Hell wie den Glanz im Morgenthau,
Ich fest in ihres Auges Himmelblau.
[112]
Die Freude quillt
Durch lange tiefgegrabne Schmerzen
Bey ihrem Ton in wunde Herzen,
Wenn er in Gluth zu hoher Andacht schwillt;
Die Klagen werden stumm,
Und zauberisch wird rund herum,
Wo ihre Lieder wehn, Elysium.
Ruf du mir zu,
Gieß du mir, Minna, mit Gesange
In meine wogende und bange
Und öde Seele deines Himmels Ruh,
Wenn über Gott und Welt,
Wo Laster steigt und Tugend fällt,
Der Zweifel mich mit Angst gefangen hält.
Von deiner Hand
Strömt durch der Weisen Irrgewimmel
Mir Glaube zu an Gott und Himmel,
Mir Glaube zu ans beßre Vaterland.
Die Dunkelheit wird Licht,
Wenn deine Seele Hymnen spricht;
Dann beth' ich mit, und beth' und zweifle nicht.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Seume, Johann Gottfried. Gedichte. Gedichte. Minna an der Harfe. Minna an der Harfe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-0A38-1