[124] Der Zweifel

Mich däucht, Susanne, deine Tugend
War doch wohl nicht so schrecklich auf der Probe,
Als man von dir zum übertriebnen Lobe
Jetzt unsrer lieben Jugend
Im hohen Ton zu sagen pflegt.
Die grämlichen Gesichter fort zu jagen,
Die so unüberlegt
Sich hin zu dir ans Badeörtchen wagen,
Dann wird man doch wohl nicht Wunder sagen.
Wenn aber nun ein junger Mann,
So schön wie Kunst ihn bilden kann,
Schlank wie die Zeder von dem Libanon,
Im Blicke Geist und Harmonie im Ton,
Verführerisch wie Davids Sohn,
Dich glühend angebetet hätte,
Und, hinter einen Rosenstrauch versteckt,
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Die schöne Baderinn entdeckt,
Und auf des Lenzes Blumenbette,
Dich, halb gekleidet, dann um Gnade
Recht rührend angeflehet hätte,
Und zwar allein;
Und hätte dann dein weiches Herz
Des zauberischen Jünglings Schmerz
Mit jedem Pulsschlag heißer mit empfunden,
Und du hättst dann dich losgewunden,
Und zwar allein,
Und bey dem süßen Flehen
Es noch gewagt zu schreyn,
Und zwar allein;
Dann möchte noch die Probe gehen.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Seume, Johann Gottfried. Gedichte. Gedichte. Der Zweifel. Der Zweifel. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-0A58-C