[3] Elegie

Geschrieben auf einem Dorfkirchhofe

Aus dem Englischen des Herrn Gray


Die Abendglocke tönt den Tag zur Ruh,
Die Herde schleichet blökend vom Revier;
Der Pflüger rudert schwer der Hütte zu,
Und läßt die Welt der Dunkelheit und mir.
Der Glanz der Gegend schmilzt nun Zug für Zug,
Und tiefe Feyerstille hält die Luft;
Der Käfer dröhnt nur dort noch seinen Flug,
Wo Schlummerklang zum fernen Pfürche ruft.
Nur dort tönts noch durch alte Rudera,
Wo es der Eule Murrsinn Lunen klagt,
Daß noch ein Wandrer, ihrer Grotte nah,
Ihr ödes Heiligthum zu stören wagt.
[4]
An dieser Ulme, diesem Eschenbaum,
Wo sich der Grund in Moderhügeln hebt,
Ruhn rohe Ahnen in dem engen Raum,
Die in dem kleinen Dörfchen einst gelebt.
Des Morgens Balsamduft am Lindengang,
Vom Binsendach der Schwalbe Wirbellauf,
Des Hahnes Krähn, des Hornes Wiederklang
Weckt sie nicht mehr vom kleinen Lager auf.
Für dich brennt nun der gute Herd nicht mehr;
Kein Hausweib sorgt für deinen Abendgruß;
Kein Knabe lauscht des Vaters Wiederkehr,
Und klimmt mit Neid am Knie um einen Kuß.
Oft sank das Korn in ihrer Eisenhand,
Oft riß das Brachfeld unter ihrem Pflug:
Wie fröhlich trieb ihr Fuhrwerk über Land!
Wie fiel der Wald, wenn ihre Sehne schlug!
Verspotte nie der Ehrgeitz ihre Müh,
Ihr unbekanntes Glück, ihr kleines Fest;
Hohnlächle nie die Größe über sie,
Wenn sie das Buch der Armuth lesen läßt.
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Der Wappen Prahlerey, der Pomp der Macht,
Was je der Reichthum und was Schönheit gab,
Sinkt unerlöslich hin in Eine Nacht;
Der Pfad der Ehre führet nur ins Grab.
Ihr Stolzen, rechnet es nicht ihnen an,
Wenn auf ihr Grab nicht Fama Marmor hebt,
Wo durch das Chorgewölbe himmelan
Des Lobes Note schwellend wieder bebt!
Ruft je der Urne, ruft der Büste Laub
Mit Künstlergeist den fliehnden Hauch empor?
Belebt des Ruhmes Stimme je den Staub?
Rührt Schmeicheley des Todes altes Ohr?
Vielleicht in diesem dunklen Winkel ruht
Ein Herz, auch einst vom Götterfeuer warm;
Und Hände für der Laute Freudenglut,
Und für des Scepters Schwung ein Heldenarm.
Doch Wissenschaft entrollt ihr großes Buch,
Reich von der Zeiten Raub, nicht ihrem Blick:
Der starre Mangel hemmt den Kraftversuch,
Und drängt der Seele Schöpferstrom zurück.
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Des Meeres fadenloser Boden hält
So manche Perle, deren Farbe glüht;
Und manches Lenzes schönste Blume fällt,
Die ungenossen in der Wildniß blüht.
Hier schläft vielleicht ein Hampden, dessen Muth
Dem kleinen Dorftyrannen widerstand;
Ein stummer Milton unbekannter Gluth,
Ein Cromwell, schuldlos an dem Vaterland!
Ihr Loos war nicht des Beyfalls Jubelton,
Nicht in den Schmerzen stolze Apathie;
Sie sahn sich nicht im Blick der Nation,
Der ihre Weisheit Überfluß verlieh.
Ihr Tugendflug, ihr Lasterlauf begränzt,
Verboth ihr Loos den Weg zu einem Thron,
Der von dem Blute der Erschlagnen glänzt,
Oft allem wahren Menschensinne Hohn.
Gewissensangst war ihnen Strahlenlicht
Erstickt war nie die Röthe holder Scham;
Sie opferten dem Stolz der Schwelger nicht
Mit Weihrauch, den man frech der Muse nahm.
[7]
Fern von des Thorenhaufens niedern Zank,
Verirrte nie sich ihre Nüchternheit;
Geräuschlos wandelten sie ihren Gang
Durchs kühle stille Thal der Lebenszeit.
Ein kleines Denkmahl, das als Ehrenschild
Nur ihren Staub vor Schmähsucht decken soll,
Ein harter Reim, ein schlecht geformtes Bild
Verlangen eines Seufzers leichten Zoll.
Ihr Nahm', ihr Jahr von ungelehrter Hand,
Ist ihnen mehr als Ruhm der Dichtung werth;
Und ländlich zieht die Muse rund am Rand
Den Spruch der Bibel, welcher sterben lehrt.
Am Freunde hing der Geist noch, als er schied,
Die Zähre that noch dunkeln Augen gut;
Auch aus dem Grabe ruft Natur ihr Lied,
Und in der Asche lebt die alte Gluth.
Von mir, der ich von meinen Brüdern hier
Ganz ohne Kunst das kleine Lied gesagt,
Wenn einsam in Betrachtungen nach mir
Einst eine reinverwandte Seele fragt,
[8]
Von mir spricht einst vielleicht ein greiser Mann:
»Oft wenn das Morgenroth am Osten hing,
Sahn wir ihn, wie er schnell den Berg hinan
Der Morgensonn' im Thau entgegen ging.
Dort wo die Buche, deren Wurzel weit
Und hoch sich windet, an dem Ufer nickt,
Lag er am Mittag mit Behaglichkeit
Lang über jenen Kieselbach gebückt.
Verächtlich lächelnd schlich er dort herum
Am Walde, Grillen murmelnd und betrübt,
Wehmüthig, wie verloren, bleich und stumm,
Wie einer, welcher ohne Hoffnung liebt.
Einst sah ich früh ihn an dem Hügel nicht,
Nicht auf der Heide, nicht am Lieblingsbaum;
Noch mißt' ich ihn am zweyten Morgenlicht
An seinem Bach, und an des Waldes Saum.
Den dritten Tag erschien ein Leichenzug,
Der langsam ihn den Kirchengang herab
Mit Todtenmelodie zur Ruhe trug:
Komm, lies; dort deckt ein kleiner Stein sein Grab.«

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Seume, Johann Gottfried. Elegie auf einem Dorfkirchhofe. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-0A60-7