[10] Meinem Freunde Rothe in Leipzig, zu seinem drey und sechzigsten Geburtstage

Wär' ich ein Harfner, wie Sanct Ossian,
Der alten und der neuen Harfner Meister,
Ich sänge, wie allein der Mann der Felsenbahn
Ein Lied auf goldnen Saiten singen kann,
Und rührend, wie die Stimme seiner Geister.
Mein Ton ist rauh, und ungelehrt die Hand,
In meinem Busen strömt kein Götterfeuer;
Und kommt mir auch ein Strahl aus seinem Geisterland,
So hallt, was schnell wie Blitz die Brust empfand,
Nur schwach zurück von der verstimmten Leyer.
[11]
Freund, nimm mich hin, so bieder, fest und schlicht,
Wie du mich schon vor langen Jahren kanntest;
Und hintergeht dich je mein ehrliches Gesicht,
Verklage mich einst vor dem Weltgericht,
Und spotte deß, den du sonst redlich nanntest.
Der große Harfner, der die Sphären stimmt,
Wenn Halleluja seine Geister glühen,
Vor dessen Flammenthron die Welt der Sonnen glimmt,
Beschenke noch, eh dich die Parze nimmt,
Dich, lieber Freund, mit schönen Harmonien.

License
Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).
Link to license

Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Seume, Johann Gottfried. Meinem Freunde Rothe in Leipzig. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-0A75-A