[264] Den Manen Gleims

Nennt man Homers und Ossians Genossen,
Von deren Lippen Honigseim
Und Nectar oft in weisen Lehren flossen,
Nennt man auch einst den alten Gleim.
Froh war als Greis, wie es der Mann gewesen,
Der Harfner mit dem Silberhaar;
Und sein Gesicht ließ seine Seele lesen,
Die hier schon in Verklärung war.
Der Nestor sah in vielen vielen Jahren
Geschlechter Könige zum Ziel,
In Pomp und Schlacht, vor sich vorüber fahren;
Und zählte, wer hier stand, hier fiel.
[265]
Hoch stieg der Ruhm von seines Königs Heere,
Das in dem Sturm die Feinde schlug:
In Gleims Gedicht lebt ihre Heldenehre,
Das sie entglüht zur Nachwelt trug.
Er sammelte mit Weisheit jede Blüthe
Und flocht sie sinnreich in den Kranz,
Und reicht' ihn dann mit Freundlichkeit und Güte
Den Freunden zu dem Reihentanz.
Anakreon sang nicht mit höherm Feuer
Vom Seelenrausch in Lieb' und Wein;
Und Keines Geist war der Betäubung freyer,
So schön ätherisch und so rein.
Hört erst den Spruch, vermeßne Sittenrichter;
Der Mäonide Klopstock nennt
Den Sänger den undurstigsten der Dichter,
Die er am ganzen Pindus kennt.
Und jedem Wort, das nicht vor keuschen Ohren
Ein ächtes Bürgerrecht bekam,
Hatt' er mit Zorn den Untergang geschworen;
Und schalt, wer dann in Schutz es nahm.
[266]
Brecht, denn ihr thuts, ob dem was er gesungen,
Mit eurem Krittlertadel los!
Dem Größten ist nicht jedes Lied gelungen;
Sein reiner Menschenwerth war groß.
Man wird noch oft im Kreise schöner Seelen,
Die still und ernst ihn handeln sahn,
Tief tief herauf der Reihe nach erzählen,
Was einst der alte Mann gethan.
Ich schreibe stolz der Liste der Verehrer
Des Mannes meinen Nahmen ein:
Er war mein Freund, mein Vater und mein Lehrer;
Und soll als Mensch mein Muster seyn.
Fragt nicht, wie oft der Untersucher fehlte;
Des Menschen Handlung ist die Saat.
Der Wage deß, der unsre Stunden zählte,
Wiegt leicht das Wort, und schwer die That.
Ich dacht' an ihn, als über Wolkensitzen
Ich an des Ätna Hölle stand;
An ihn, als ich mich durch die Felsenspitzen
Am Schneehaupt des Adula wand.
[267]
Der Lenz beginnt; bald hofft' ich ihn zu sehen,
Den blinden Sänger, der mir rief;
Da hört' ich ernst die Trauerbothschaft wehen,
Daß er den Schlaf hinüber schlief.
Als rauschte mir sein Fittich aus der Ferne,
Sah in die Welten ich empor:
Einst such' ich dich auf deinem Heimathssterne,
Und finde mehr, als ich verlor.
Ein Andrer mag als Dichter höher fliegen,
Als seine heitre Muse stieg.
Wird einer ihn an Tugend überwiegen?
Und dieses ist der schönre Sieg.
Wenn ich als Greis am Knotenstocke wanke,
Zurück und vorwärts blicke, gibt
Mir Jugendfreude der Gedanke,
Daß Gleim und Weiße mich geliebt.

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TextGrid Repository (2012). Seume, Johann Gottfried. Gedichte. Gedichte. Den Manen Gleims. Den Manen Gleims. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-0AD1-7