William Shakespeare
Titus Andronicus

[6] Personen

Saturninus, Sohn des letzten römischen Kaisern, späterhin selbst Kaiser

Bassianus, dessen Bruder, Liebhaber der Lavinia

Titus Andronicus, ein edler Kölner und Heerführer wider die Goten

Marcus Andronicus, Volkstribun, des Titus Bruder

Lucius

Quintus

Mutius

Marcius, Söhne des Titus Andromcus

Der jüngere Lucius, Lucius' Sohn. Titus' Enkel

Publius, Sohn des Marcus Andronicus

Ämilius, römischer Patrizier

Alarbus

Chiron

Demetrius, Söhne der Tanwra

Aaron, ein Mohr, Tamoras Geliebter

Ein Hauptmann

Ein Tribun

Ein Bote

Ein Bauer

Tamora, Königin der Goten

Lavinia, Tochter des Titus Andronicus

Eine Wärterin

Ein Mohrenkind

Senatoren, Tribunen, Gerichtsdiener, Kriegsleute und andres Gefolge


Szene: Rom und die umliegende Gegend

[6]

Erster Aufzug

Erste Szene
Rom. Vor dem Kapitol.

Trompetenstoß. Es erscheinen oben auf der Bühne Senatoren und Tribunen, wie zur Versammlung; dann von der einen Seite Saturninus mit seinem Gefolge, von der andern Bassianus mit dem seinigen. Trommeln und Fahnen.

SATURNINUS.
Edle Patrizier, Schirmer meines Rechts,
Verteidigt meinen Anspruch mit dem Schwert;
Und ihr, Mitbürger, Freunde wert und treu,
Werbt mit den Waffen um mein erblich Recht!
Ich bin des Erstgeborner, den zuletzt
Geschmückt Roms kaiserliches Diadem:
So folge mir des Vaters Würde nach!
Kränkt meinen Vorrang nicht durch diese Schmach!
BASSIANUS.
Römer, Gefährten, Förd'rer meines Rechts!
Wenn je zuvor Bassianus, Cäsars Sohn,
Roms königlichem Auge wohlgefiel,
Besetzt den Zugang hier zum Kapitol,
Und duldet nicht, daß Unwert dürfe nahn
Dem Kaisersitz, der Tugend stets geweiht,
Dem Recht, der Mäßigung, dem Edelmut:
Laßt Stimmenmehrheit das Verdienst erhöhn,
Und, Römer! kämpft für Freiheit eurer Wahl! –

Marcus Andronicus oben auf der Bühne, mit der Krone.
MARCUS.
Ihr Prinzen, die durch Anhang und Partei'n
Ehrgeizig strebt nach Herrschaft und Gewalt:
Es grüßt das röm'sche Volk, für das wir stehn
Mit unsern Freunden, durch einmüt'gen Ruf
Nach seinem Wahlrecht, als des Reiches Fürst
[7]
Andronicus, der Fromme zubenamt,
Für sein vielfach und groß Verdienst um Rom. –
Ein beßrer Krieger, ein getreu'rer Mann
Lebt nicht zu dieser Stund' in unsrer Stadt;
Er ist zurückberufen vom Senat
Aus heißem Kampf mit den barbar'schen Goten;
Er mit den Söhnen, unsrer Feinde Schreck,
Bezwang dies starke, kriegsgewohnte Volk.
Zehn Jahre sind es nun, seit er zuerst
Roms Sache führt' und strafte mit dem Schwert
Der Feinde Hochmut; fünfmal kehrt' er heim
Blutig, nach Rom, die tapfern Söhne führend
Auf Bahren aus dem Feld;
Und nun, zuletzt, geschmückt mit Ruhmstrophäen,
Zieht dieser wackre Titus heim gen Rom,
Andronicus, der edle Waffenheld.
Wir bitten euch, bei seines Namens Glanz,
Den ihr für würdig achtet eures Throns,
Und den ihr im Senat und Kapitol
Zu ehren denkt und vor ihm hinzuknien, –
Entfernt euch jetzt, entsagt der Übermacht,
Schickt heim die Freund', und wie's Bewerbern ziemt,
Verfolgt in Fried' und Demut eu'r Gesuch!
SATURNINUS.
Wie schön spricht, mich zu sänft'gen, der Tribun!
BASSIANUS.
Marcus Andronicus, ich trau' so sehr
Auf deinen unbestechbar graden Sinn,
Dich und die Deinen ehr' und lieb' ich so,
Den edlen Bruder Titus, seine Söhne,
Und sie, der unser Sinn in Demut neigt,
Die reizende Lavinia, Zierde Roms, –
Daß ich heim sende meiner Treuen Schar,
Und meinem Glück und unsers Volkes Gunst
Vertraun will zur Entscheidung mein Gesuch.

Die Soldaten des Bassianus gehn ab.
SATURNINUS.
Freunde, die so bereit mein Recht geschirmt,
Ich dank' euch all'n, und all' entlass' ich euch;
[8]
Und meines Vaterlandes Lieb' und Gunst
Vertrau' ich hier mich selbst und mein Gesuch. –
Rom, sei gerecht und so gewogen mir,
Als ich mit vollem Zutraun neige dir;
Öffnet das Tor und laßt mich ein!
BASSIANUS.
Auch mich, Tribunen, mit bescheidnem Flehn!

Alle gehn in das Senatsgebäude.
Zweite Szene
Daselbst.

Ein Hauptmann tritt auf.

HAUPTMANN.
Römer, macht Platz! Andronicus, der Held,
Der Tugend Vorbild, stärkster Kämpfer Roms,
Sieger in allen Schlachten, die er focht,
Ist heimgekehrt, an Glück und Ehre reich,
Von wo er unterwarf mit seinem Schwert
Die Feinde Roms und unters Joch sie führte.

Trommeln und Trompeten. Dann treten auf Mutius und Marcius; nach ihnen zwei Männer, die einen schwarzverhängten Sarg tragen; hierauf Quintus und Lucius. Dann folgt Titus Andronicus; nach ihm Tamora mit Alarbus, Chiron, Demetrius und andern gotischen Gefangnen, Soldaten und Gefolge. Der Sarg wird niedergesetzt, und Titus spricht.
TITUS.
Heil dir, o Rom! Siegprang' im Trauerkleid!
Sieh, wie das Schiff, das ablud seine Fracht,
Mit teurer Ladung heim zum Hafen kehrt,
Wo es zuerst die Anker lichtete, –
So kommt Andronicus, im Lorbeerkranz;
Mit Tränen grüßt er seine Heimat neu,
Mit Tränen wahrer Lust des Wiedersehns. –
Du großer Schirmherr dieses Kapitols,
Sieh gnädig auf des heil'gen Opfers Brauch!
Von fünfundzwanzig tapfern Söhnen, Rom,
Hälfte der Zahl von König Priams Stamm,
Schau hier den armen Rest, lebend und tot! –
Mit Lieb' empfange Rom euch Lebende;
[9]
Euch Toten, die zur letzten Ruh'statt gehn,
Schenk' es ein Grab in ihrer Ahnen Gruft;
Hier gönnt der Got' erst Ruhe meinem Schwert.
Titus, unliebend, sorglos für dein Blut,
Was duld'st du, daß noch grablos dein Geschlecht
Umschweben muß des Styx grau'nvollen Strand?
Geh, bette sie bei ihren Brüdern hin! –

Das Grab wird geöffnet.

Dort grüßt euch schweigend, wie's der Toten Brauch;
Schlaft friedlich, die ihr starbt fürs Vaterland! –
O meiner Kinder heiliges Gewölb',
Geliebtes Wohnhaus echten Edelsinns,
Wie manchen Sohn hast du mir schon entrafft,
Und hältst ihn ewig hier in finstrer Haft! –
LUCIUS.
Gib der gefangnen Goten stolzesten,
Daß wir, die Glieder stümmelnd, seinen Leib
Ad manes fratrum opfern in der Glut,
Vor diesem ird'schen Kerker ihres Staubs! –
Auf daß nicht ungesühnt ihr Schatten sei,
Noch uns bedräu' auf Erden ihr Gespenst!
TITUS.
Ich geb' ihn euch, der Feinde trefflichsten:
Den Erstgebornen dieser Königin. –
TAMORA.
Halt, röm'sche Brüder! Gnadenreicher Held,
Siegreicher Titus, sieh die Tränenflut,
Die einer Mutter Gram dem Sohne weint!
Und liebtest du jemals die Söhne dein,
Ach, denk', was muß ein Sohn der Mutter sein! –
Genügt dir's nicht, daß man nach Rom uns führte,
Als deines Einzugs und Triumphes Schmuck,
Gefangne dir und deinem Römerjoch?
Mußt du den Sohn noch schlachten auf dem Markt,
Weil er fürs Vaterland mit Mut gekämpft?
Oh, dünkt der Streit für König und für Volk
Euch fromme Pflicht, so ist er's diesem auch:
Titus, beflecke nicht dein Grab mit Blut;
Und willst du der Natur der Götter nahn,
Nah' ihnen denn, indem du Gnade übst:
[10]
Denn gnädig sein gibt echten Adel kund.
O schone, Titus, meinen ältsten Sohn! –
TITUS.
Ergib dich, Fürstin, fass' dich in Geduld! –
Hier stehn die Brüder derer, die dein Volk
Lebend und tot sah; den Erschlagnen heischt
Ein Totenopfer frommes Pflichtgefühl;
Dem ist dein Sohn bestimmt; sein Tod versöhnt
Der heimgegangnen Schatten Klageruf.
LUCIUS.
Hinweg mit ihm! Ein Feuer zündet schnell;
Auf einem Holzstoß laßt uns mit dem Schwert
Die Glieder ihm zerhaun, bis sie verbrannt!

Mutius, Marcius, Quintus und Lucius gehn mit Alarbus ab.
TAMORA.
O grauser, gottverhaßter Totenbrauch! –
CHIRON.
War Scythien halb so blutig je gesinnt?
DEMETRIUS.
Vergleiche Scythien nicht dem stolzen Rom!
Alarbus geht zur Ruh', wir leben noch,
Und zittern vor des Titus zorn'gem Blick.
So faßt Euch, Mutter, aber hofft zugleich,
Derselbe Gott, der Trojas Königin
Gelegenheit zu bittrer Rache gab
An Thraziens Wüt'rich in dem eignen Zelt, –
Gönnt Tamora, der Gotenkönigin
(Wenn Goten Goten, Ihr die Königin! –),
Daß sie die Blutschuld tilgt an ihrem Feind.
Lucius, Quintus, Marcius und Mutius kommen zurück.
LUCIUS.
Seht, Herr und Vater, treu befolgten wir
Den röm'schen Brauch: Alarbus ward zerstückt,
Sein Eingeweide nährt die Opferglut,
Daß Dampf, dem Weihrauch gleich, die Luft durchwürzt.
Nun fehlt nur noch, die Brüder zu bestatten,
Und hier in Rom der laute Freundesgruß.
TITUS.
Also gescheh' es, und Andronicus
Sagt ihrem Geist sein letztes Lebewohl.

Trompetenstoß, die Särge werden in die Gruft gestellt.

Schlaft, meine Söhne, hier in Fried' und Ruhm!
Roms mutigste Verteid'ger, ruht allhier,
[11]
Geschirmt vor Leid und Wechsel dieser Welt!
Hier lauert kein Verrat, hier schwillt kein Neid,
Wächst kein verhaßter Zwist, kein Sturm für euch,
Kein Lärm: nur Schweigen und ein ew'ger Schlaf;
In Fried und Ruhm liegt, meine Söhne, hier! –

Lavinia tritt auf.
LAVINIA.
In Fried' und Ruhm, Held Titus, lebt noch lang'! –
Mein teurer Vater, für die Ehre lebt!
An diesem Grab bring' ich der Tränen Zoll
Den Brüdern dar, als letzte Huldigung:
Und weine knieend dir zu Füßen auch
Der Freude Tränen, weil du heimgekehrt.
O segne mich mit deiner Siegerhand,
Die Besten Roms erfreun sich ihrer Tat.
TITUS.
O güt'ges Rom, das liebreich aufbewahrt
Die Stärkung meines Alters, mir zum Trost!
Lavinia, überleb' als Preis der Tugend
Den Vater in des Nachruhms ew'ger Jugend!
MARCUS.
Lang' lebe Titus, mein geliebter Bruder!
Als hohen Triumphator grüßt ihn Rom.
TITUS.
Dank, mein Tribun, mein edler Bruder Marcus!
MARCUS.
Willkommen, Neffen, aus glorreicher Schlacht,
Ihr, die noch lebt, und ihr, die schlaft in Ruhm!
Ihr Tapfern, die für eures Landes Wohl
Das Schwert gezückt, – eu'r Los ist völlig gleich!
Doch sichrern Glanz beut dieser Leichenpomp,
Der das erreicht, was Solon Glück genannt,
Und das Geschick im Bett des Ruhms besiegt. –
Titus Andronicus, das röm'sche Volk
(Des Freund du warst von je nach strengem Recht)
Schickt dir durch mich, als Anwalt und Tribun,
Dies weiße Kleid von unbeflecktem Glanz,
Und nennt für dieses Reiches Kaiserwahl
Dich nebst den Söhnen unsres letzten Herrn.
Sei Candidatus dann, und leg' es an,
Und hilf zum Haupte dem hauptlosen Rom!
TITUS.
Ein beßres Haupt gebührt so edlem Leib
[12]
Als meins, das längst von Schwäch' und Alter wankt.
Wie trüg' ich dies Gewand euch zur Beschwer?
Ihr wähltet heut mit lautem Beifall mich,
Und morgen gäb' ich Kron' und Leben auf
Und schafft' euch allen neue Sorg' und Not!
Ich war dein Krieger, Rom, an vierzig Jahr,
Und führte meines Volkes Macht mit Glück,
Legt' einundzwanzig tapfre Söhn' ins Grab;
Im Kampf erhöht zu Rittern, fielen sie
In tapfrer Feldschlacht für des Landes Wohl. –
Gebt einen Ehrenstab mir altem Mann,
Kein Szepter reicht mir, das der Welt gebeut;
Eu'r letzter Kaiser führt' es grad' und fest.
MARCUS.
Titus, das Reich erhalt' und fordre du! –
SATURNINUS.
Stolzer Tribun, Ehrsücht'ger, sagst du das?
TITUS.
Geduld, Prinz Saturnin!
SATURNINUS.
Rom, schaff' mir Recht! –
Patrizier, zieht eu'r Schwert und steckt's nicht ein,
Bis Saturninus Kaiser ward in Rom!
Andronicus, zur Hölle fahre hin,
Eh' du des Volkes Herzen mir entziehst! –
LUCIUS.
Du stolzer Saturnin! du störst das Wohl,
Das Titus hochgesinnt dir zugedacht.
TITUS.
Sei ruhig, Prinz, dir lenk' ich wieder zu
Des Volkes Gunst, daß sie den Willen wandeln.
BASSIANUS.
Andronicus, nicht schmeichl' ich jemals dir,
Doch ehr' ich dich, und will es bis zum Tod.
Stärkst du mit deinen Freunden meine Macht,
Werd' ich höchst dankbar sein, und Dank erscheint
Dem edlen Mann als ehrenwerter Lohn.
TITUS.
Ihr, Römer, und ihr Volkstribunen hier,
Ich bitt' um eure Stimm' und gült'ge Wahl:
Schenkt ihr sie freundlich dem Andronicus?
MARCUS.
Dank weihend unserm trefflichen Andronicus,
Und feiernd seine Heimkehr hier in Rom,
Wird den das Volk annehmen, den er nennt.
TITUS.
Habt Dank, Tribunen! So ersuch' ich euch,
Daß ihr erwählt des Kaisers ältsten Sohn,
[13]
Prinz Saturnin; des Tugend, hoff ich, Rom
Bestrahlen wird, wie Titans Licht die Welt,
Und Recht und Sitte reifen hier im Staat.
Drum, wenn ihr wählen wollt nach meinem Rat,
Krönt ihn und ruft: »Lang' lebe Saturnin!« –
MARCUS.
Mit Ruf und Beifallszeichen aller Art,
Patrizier und Plebejer, grüßen wir
Prinz Saturnin als Roms erhabnen Herrn,
Und jubeln: »Heil dem Kaiser Saturnin!« –

Ein langer Trompetenstoß, während die oben Versammelten herabsteigen.
SATURNINUS.
Titus Andronicus, für diese Gunst,
Betreffend unsre Wahl am heut'gen Tag,
Erteil' ich dir den Dank, den du verdienst,
Und will durch Taten lohnen deine Huld.
Und jetzt zum Anfang, Titus, zu erhöhn
Dein ehrenwert Geschlecht und eignen Ruhm:
Nenn' ich Lavinia meine Kaiserin,
Roms edle Herrin, Herrin meiner Brust,
Mir anvermählt im heil'gen Pantheon.
Nun, Titus, sag: gefällt dir dieses Wort?
TITUS.
Es freut mich, würd'ger Fürst, und im Gemahl
Bin ich durch Eure Gnade hoch geehrt.
Und hier, im Auge Roms, dem Saturnin,
Dem König und Gebieter unsers Staats,
Der weiten Welt Regenten, weih' ich nun
Schwert, Siegeswagen und Gefangene,
Wohl würd'ge Gaben, Roms erhabnem Herrn.
So nimm sie denn als schuldigen Tribut,
Die Ruhmstrophä'n, zu Füßen dir gelegt!
SATURNINUS.
Dank, edler Titus, Vater meines Glücks! –
Wie stolz ich sei auf dich und dein Geschenk,
Erfahre Rom; und wenn ich je vergaß
So unbegrenzter Dienste kleinsten Teil,
Dann, Rom, vergiß die Treue gegen mich!
TITUS
zu Tamora.
Dem Kaiser, Fürstin, seid Ihr jetzt Gefangne,
[14]
Der, Eures Rangs und Standes eingedenk,
Euch und den Dienern mild begegnen wird.
SATURNINUS.
Welch reizend Weib! Ihr kann der Preis nicht fehlen:
Hätt' ich zu wählen noch, sie würd' ich wählen. –
Verscheucht der Stirne Wolken, schöne Frau:
Warf Kriegesglück auch Euer Glück herab,
Doch kommt Ihr nicht nach Rom zu Spott und Schmach;
Und königlich sollt Ihr gehalten sein.
Traut meinem Wort, laßt nicht Melancholie
Den Mut Euch dämpfen; der Euch tröstet, hebt
Wohl höher Euch als auf den Gotenthron. –
Lavinia, Euch mißfällt nicht, was ich sprach?
LAVINIA.
O nein, mein Fürst; dein adliges Gemüte
Bürgt mir für deines Herzens wahre Güte.
SATURNINUS.
Dank, Jungfrau! Römer, laßt uns also gehn;
Frei ohne Lösung geb' ich die Gefangnen. –
Trompet' und Trommeln künden meine Wahl! –
BASSIANUS
Lavinien fassend.
Titus, vergönnt, die Jungfrau nenn' ich mein!
TITUS.
Wie, Prinz? Sprecht Ihr im Ernste dieses Wort?
BASSIANUS.
Ja, edler Titus, und bin fest gewillt,
Auf meinem Recht und Anspruch zu bestehn.

Man sieht den Kaiser in stummem Spiel freundlich mit Tamora tun.
MARCUS.
Suum cuique, spricht des Römers Recht:
Nach Recht verlangt der Prinz, was ihm gebührt.
LUCIUS.
Er wird's und soll's, solange Lucius lebt!
TITUS.
Verräter, fort! Wo ist des Kaisers Wacht?
Verrat, mein Fürst! Lavinia wird entführt!
SATURNINUS.
Entführt? Wer wagt es?
BASSIANUS.
Der, nach Recht und Fug
Die Braut verteid'gend, sie von hinnen trug.

Bassianus mit Lavinien ab.
LUCIUS.
Helft ihm, ihr Brüder, ungekränkt entfliehn!
Mit meinem Schwert beschütz' ich dieses Tor.
TITUS.
Folgt nur, mein Fürst, ich führ' sie bald zurück.
MUTIUS.
Halt' ein, o Vater!
[15] TITUS.
Frecher Knabe, fort!
Sperrst mir in Rom den Weg?
MUTIUS.
Hilf, Lucius, hilf! –

Titus ersticht den Mutius.
LUCIUS.
Ihr tut nicht recht, mein Vater; schlimmer noch,
Ihr schlugt den Sohn im ungerechten Streit! –
TITUS.
Nein, weder du noch er sind Söhne mir;
Kein Sohn von mir entehrte mich so sehr! –
Verräter, schaff' Lavinia deinem Kaiser!
LUCIUS.
Tot, wenn Ihr wollt, doch nimmer als sein Weib,
Die eines andern längst verlobte Braut! –
SATURNINUS.
Nein, Titus, nein! Der Kaiser braucht sie nicht;
Nicht sie, noch dich, noch einen Eures Stamms. –
Dem könnt' ich traun, der einmal mich verhöhnt;
Dir nicht, noch deinen falschen, stolzen Söhnen;
Ihr alle seid im Bunde mir zur Schmach.
War keiner sonst in Rom zum Ziel des Spotts
Als Saturnin? Recht wohl, Andronicus,
Stimmt dieses Tun zu deinem Prahlerwort,
Daß ich von deiner Hand das Reich erfleht! –
TITUS.
Entsetzlich! Solchen Vorwurf sprichst du aus?
SATURNINUS.
Nur zu! Laß dies leichtfert'ge Weib nur ziehn
Mit jenem, der sein Schwert für sie geschwenkt!
Ein tapfrer Eidam wird dir so zu teil,
Mit deiner Söhne zügellosem Troß
Unfug zu treiben im Gebiet von Rom! –
TITUS.
Wie Stacheln trifft dies Wort mein wundes Herz!
SATURNINUS.
Drum, holde Tamora, der Goten Fürstin,
Die gleich der stolzen Phöbe unter Nymphen
Weit überstrahlt die schönsten Römerfrau'n: –
Wenn dich so schnell getroffne Wahl vergnügt,
Wähl' ich dich, Tamora, als meine Braut,
Und grüße dich als Kaiserin von Rom.
Sprich, Gotenfürstin, lobst du meine Wahl?
Dann schwör' ich dir, bei allen Göttern Roms,
Weil Priester und geweihtes Wasser nah,
Die Fackel flammt, und jeder heil'ge Brauch
[16]
Für Hymenäus' Feier steht bereit:
Ich will nicht wiedersehn die Straßen Roms,
Noch des Palastes Schwelle, führ' ich nicht
Als anverlobte Braut dich heim von hier.
TAMORA.
Und vor des Himmels Antlitz schwör' ich Rom,
Wenn Saturnin die Gotenfürstin krönt,
Dann wird sie seiner Wünsche Sklavin sein
Und seiner Jugend Pflegerin und Mutter.
SATURNINUS.
Hinauf zum Pantheon, schönes Weib! Ihr Herrn,
Folgt euerm Kaiser und der holden Braut,
Die mir der Himmel selber zugesandt,
Des Ratschluß ihr ein beßres Glück verhängt:
Alldort vollziehn wir der Vermählung Brauch.
Alle gehn ab, außer Titus.
TITUS
allein.
Mich rief er nicht, zu folgen dieser Braut!
Titus, wann wandeltest du einsam je,
Also entehrt und überhäuft von Schmach?

Marcus Andronicus, Lucius, Quintus und Marcius treten auf.
MARCUS.
O Titus, sieh, o sieh den bösen Lohn! –
Um schnöden Zwist schlugst du den edeln Sohn! –
TITUS.
Nein, törichter Tribun, nicht war's mein Sohn,
Noch du, noch diese Stifter jener Tat,
Die unserm ganzen Stamm zur Schmach gereicht! –
Unwürd'ger Bruder! Und unwürd'ge Söhne! –
LUCIUS.
Doch woll'n wir ihn bestatten, wie sich's ziemt;
Laßt Mutius ruhn in seiner Brüder Grab! –
TITUS.
Verräter, nein! Nicht hier in diesem Grab!
Fünfhundert Jahre stand dies Monument,
Das ich mit reichem Schmuck mir neu erbaut;
Hier ruhn in Ehren tapfre Krieger nur
Und Diener Roms, kein schnöd' im Zank Erschlagner. –
Begrabt ihn, wo ihr wollt, hier weigr' ich's euch.
MARCUS.
Mein Bruder, dies ist gottvergeßner Sinn:
Für meinen Neffen Mutius spricht sein Tun,
Er ruh' im Grab mit seinen Brüdern.
DIE SÖHNE DES TITUS.
Das soll er, oder alle folgen ihm!
[17] TITUS.
Er soll? Wer war der Schurke, der so sprach?
QUINTUS.
Der's allenthalb behauptet, außer hier.
TITUS.
Was? willst du ihn bestatten, mir zum Trotz?
MARCUS.
Nein, edler Titus, doch von dir erflehn
Verzeihung deinem Mutius und ein Grab! –
TITUS.
Marcus, feindselig trafst auch du mein Haupt,
Kränkst meine Ehre gleich den Knaben hier.
Ihr alle habt als Feinde mich verletzt;
Stört mich hinfort nicht mehr, entfernt euch jetzt!
LUCIUS.
Er ist nicht bei sich selbst: so laßt uns gehn!
QUINTUS.
Nicht ich, bis Mutius hier bestattet ruht.

Der Bruder und die Söhne knieen.
MARCUS.
Bruder! denn mit dem Namen fleht Natur!
QUINTUS.
Vater! auch in dem Namen ruft Natur! –
TITUS.
Schweig', wenn ich auf die andern hören soll!
MARCUS.
Erhabner Held, mehr denn mein halbes Ich ...
LUCIUS.
O Vater! Unser alle Seel' und Mark ...
MARCUS.
Hier in der Tugend Wohnsitz, Bruder, laß
Dem edlen Neffen mich ein Grab erflehn,
Der für die Ehr' und für Lavinien starb! –
Du bist ein Römer, sei denn kein Barbar:
Die Griechen, ausgesöhnt, begruben Ajax,
Der sich entleibt; Laertes' kluger Sohn
Sprach mildgesinnt für seine Totenfeier;
Drum weigre Mutius hier den Eintritt nicht,
Dem, der dein Liebling war!
TITUS.
Marcus, steh auf! –
Das ist der trübste Tag, den ich erlebt,
Entehrt von meinen Söhnen hier in Rom! –
Begrabt ihn denn; der nächste sei ich ihm!

Sie legen die Leiche in das Begräbnis.
LUCIUS.
Hier ruh' mit deinen Freunden, süßer Mutius,
Bis wir dein Grab geziert mir Kriegstrophä'n! –
ALLE
knieend.
Nicht einer wein' um unsern edlen Mutius;
Wer für die Tugend starb, der lebt in Ruhm.
MARCUS.
Bruder, – so trübe Schwermut zu zerstreun, –
[18]
Wie hat die schlaue Gotenkönigin
So schleunig sich den Weg gebahnt in Rom?
TITUS.
Ich weiß nicht, Marcus, weiß nur, daß es ist;
Ob plangemäß, ob nicht, wird einst enthüllt.
Doch ist sie nicht verpflichtet jenem Mann,
Der so weit her zum Glück sie hat geführt? –
Ja, und sie gibt ihm einst auch edlen Lohn! –

Trompetenstoß.

Von der einen Seite kommen der Kaiser, Tamora, Chiron, Demetrius und Aaron, der Mohr; von der andern Bassianus und Lavinia mit Gefolge.
SATURNINUS.
Bassianus, Ihr gewannt im Spiel den Preis;
Gott schenk' Euch Freud' an Eurer schmucken Braut!
BASSIANUS.
Und Euch an Eurer, Herr; mehr sag' ich nicht,
Noch wünsch' ich minder; und so lebt nun wohl!
SATURNINUS.
Verräter! Gilt Gesetz, gilt meine Macht,
Du und dein Anhang büßen diesen Raub.
BASSIANUS.
Raub nennt Ihr, Herr, nahm ich mein Eigentum,
Die mir verlobte Braut, und jetzt mein Weib? –
Doch laßt entscheiden unser röm'sches Recht;
Besitz' ich doch nun schon, was mir gehört.
SATURNINUS.
Vortrefflich, Herr! Ihr seid sehr kurz mit uns;
Doch, leb' ich, sind wir ganz so scharf mit Euch.
BASSIANUS.
Herr, was ich tat, muß ich, so gut ich's kann,
Vertreten, kostet's auch das Leben mir.
Nur dies noch sag' ich deiner Majestät:
Bei allen Pflichten für mein Vaterland,
Den würd'gen Mann, den edlen Titus hier,
An Ehr' und Namen hast du ihn gekränkt!
Denn nur um dir Lavinien zu befrein,
Erschlug er selber ja den jüngsten Sohn
Aus edlem Eifer und von Zorn erfüllt,
Weil Einspruch hemmte, was er frei geschenkt;
Drum nimm ihn auf zu Gnaden, Saturnin,
Der sich in allem Tun durchaus bewährt
Als Freund und Vater gegen dich und Rom.
TITUS.
Prinz Bassianus, sei mein Anwalt nicht;
Du bist's und jene dort, die mich entehrt;
[19]
Rom und der ew'ge Himmel richten mich,
Wie treu ich ehrt' und liebte Saturnin!
TAMORA.
Mein edler Herr, wenn je dein fürstlich Aug'
Mit Wohlgefallen blickt' auf Tamora,
So höre jetzt mein unparteiisch Wort,
Und, Liebster, alles, was geschehn, vergib!
SATURNINUS.
Was? offenbar mißhandelt und entehrt,
Soll ich die Kränkung dulden ungerächt?
TAMORA.
Nicht also, Herr! Das woll'n die Götter nicht,
Daß ich, dich zu entehren, sollte flehn!
Nein, meine Ehre setz' ich dir zum Pfand,
Den wackern Titus find' ich ohne Schuld;
Sein unverstellter Zorn spricht seinen Schmerz:
Drum mir zur Liebe sieh ihn gnädig an;
Nicht bring' ein Wahn dich um den tapfern Freund,
Noch trüb' ein finstrer Blick sein edles Herz! –

Beiseit.

Nimm Rat an, mein Gemahl; gib endlich nach,
Verbirg nur alle Kränkung, allen Gram;
Du bist erst neu gepflanzt auf deinen Thron;
Deshalb, damit nicht Roms Senat und Volk
Nach beßrer Einsicht Titus' Anhang mehrt
Und von dir abfällt deines Undanks halb
(Den Rom als schwere Sünde stets gehaßt),
Gib nach den Bitten, laß die Sorge mir:
Ich will sie all' ermorden, find' ich Zeit,
Vertilgen ihren Stamm und ganz Geschlecht,
Den wüt'gen Vater und die grimmen Söhne,
Die ich um meines Kindes Leben bat;
Dann sehn sie, was es sei, wenn Königinne
Im Staube knien und Gnade nicht gewinnen. –

Laut.

Komm, teurer Kaiser, komm, Andronicus, –
Heb' auf den guten Greis, tröst' ihm sein Herz,
Das hinwelkt in dem Sturme deines Zorns!
SATURNINUS.
Auf, Titus! Meine Kais'rin hat gesiegt.
TITUS.
Dank deiner Hoheit, gnäd'ger Fürst, und ihr.
Dein Wort, dein Blick beleben mich aufs neu'.
TAMORA.
Titus, ich bin jetzt einverleibt in Rom,
Als Römerin nun glücklich anerkannt,
[20]
Und muß dem Kaiser raten für sein Wohl.
Heut sterbe jeder Groll, Andronicus; –
Und sei's mein schönster Ruhm, du tapfrer Held,
Daß ich mit dir die Freunde heut versöhnt! –
Was Euch betrifft, Prinz Bassian, so bürgt
Mein Wort und Pfand dem Kaiser, unserm Herrn,
Daß Ihr nachgiebig milder Euch betragt. –
Getrost, ihr Herrn! Auch Ihr, Lavinia! –
Folgt meinem Rat, und reuig auf den Knie'n
Erfleht Verzeihn von Seiner Majestät!
LUCIUS.
Wir tun's, und schwören hier vor Seiner Hoheit,
Daß wir in guter Absicht nur gestrebt,
Für unsrer Schwester Ehr' und unsre Pflicht.
MARCUS.
Das gleiche hier verbürg' ich auf mein Wort.
SATURNINUS.
Hinweg und schweigt; belästigt uns nicht mehr! –
TAMORA.
Nein, güt'ger Fürst, wir müssen Freunde sein;
MARCUS und seine Neffen knien vor dir:
Ich will nicht Weig'rung. Liebster, komm zurück!
SATURNINUS.
Marcus, für deinen Bruder und dich selbst,
Und meiner holden Tamora zu Gunst,
Verzeih' ich dieser jungen Männer Schuld.
Steht auf!
Lavinia, flohst du gleich mich als 'nen Knecht.
Fand ich doch Gunst und schwur den höchsten Eid,
Ich schied' als Junggesell nicht vom Altar.
Kommt, hat der Palast für zwei Bräute Raum,
Lavinia, mit den Deinen sei mein Gast! –
Heut sei ein Tag der Liebe, Tamora!
TITUS.
Und morgen, wenn es meinem Herrn gefällt,
Mit mir zu jagen Panthertier und Hirsch,
Mit Horn und Hund bring' ich den Morgengruß.
SATURNINUS.
Titus, so sei es, und wir danken dir.

Alle ab.
[21]

Zweiter Aufzug

Erste Szene
Daselbst, vor dem Palast. Aaron tritt auf.

AARON.
Nun, Tamora, ersteigst du den Olymp,
Fortuna unter dir, und thronst erhöht,
Weit überm Donner und der Blitze Glut,
Und außer dem Bereich des blassen Neids.
Wie wenn die goldne Sonne grüßt den Tag,
Ihr Morgenstrahl das Meer mit Licht umglänzt
Und, den Zodiak mit Flammenrädern messend,
Erhabner Berge Gipfel überschaut,
So Tamora.
Der Erde Hoheit beugt sich ihrem Witz,
Und ihrem Zorn erbebt im Staub die Tugend.
Drum, Aaron, stähl' dein Herz und schärf den Geist,
Nachklimmend deiner edlen Kaiserin
Zur steilsten Höh', die du längst im Triumph
Siegreich in Liebesketten hast geführt,
Und fester band'st an Aarons Zauberblick,
Als den Prometheus hielt der Kaukasus.
Hinweg mit Sklaventracht und niederm Sinn!
Schmuck will ich prangen, glühn in Perl' und Gold,
Zu dienen dieser neuen Kaiserin.
Dienen, sagt' ich? Nein, schwelgen mit der Buhlin,
Der Zauberin, Semiramis, Sirene,
Der Göttin, die Roms Saturnin umstrickt
Und ihn zum Schiffbruch lockt, wie seinen Staat. –
Ha! welch ein Lärm ist dies?

Es treten auf Chiron und Demetrius, einander drohend.
[22] DEMETRIUS.
Chiron, fürwahr,
Witz mangelt deiner Jugend, Salz dem Witz,
Und Sitte, in mein Werben dich zu drängen,
Wo Liebe mir vielleicht begegnen mag.
CHIRON.
Demetrius, dich tört dein eitler Sinn,
Daß du mich willst mit Hoffart überschrein!
's ist nicht der kurze Abstand eines Jahrs,
Der mich zurücksetzt, dich beglückter macht:
Ich bin so rüstig, so geschickt wie du,
Dienend der Liebsten Gunst mir zu verdienen:
Und das beweis' ich dir mit meinem Schwert,
Dir's darzutun, ich sei Laviniens wert.
AARON.
He, Knittel, Knittel! Zwei Verliebte zanken!
DEMETRIUS.
Was, Knabe? Weil die Mutter unbedacht
Dir an die Seite steckt' ein Tänzerschwert,
Wirst du so wild und drohst dem Bruder? Geh,
Laß deine Latt' in ihre Scheide leimen,
Bis du sie besser erst regieren lernst! –
CHIRON.
Nun, Freund, dann soll mein bißchen Fechterkunst
Dich gleich belehren, was mein Mut vermag.
DEMETRIUS.
Was, Knabe! Schon so dreist?

Sie ziehn die Schwerter.
AARON.
Ihr Herrn, laßt ab;
So nah des Kaisers Hofburg wollt ihr ziehn,
Und solchen Zwist ausfechten vor dem Volk?
Ich weiß recht wohl den Grund zu all dem Hader:
Nicht möcht' ich wünschen für 'nen Berg von Gold,
Daß die euch hörten, die's zunächst betrifft;
Noch für weit höhern Preis möcht' eure Mutter
Sich so beschimpft sehn an des Kaisers Hof.
Schämt euch! Steckt ein!
CHIRON.
Ich nicht, bis ich mein Schwert
Getaucht in seine Brust, noch bis er schlang
Zurück in seinen Hals den schnöden Hohn,
Mit dem sein Mund entehrend mich geschmäht.
DEMETRIUS.
Dazu bin ich gerüstet und bereit. –
Zanksücht'ger Feigling! dessen Zunge donnert,
Und der das Eisen nicht zu brauchen wagt!
[23] AARON.
Fort, sag' ich euch! –
Nun, bei dem Gott, zu dem die Goten flehn,
Der kind'sche Groll verdirbt uns allzumal.
Was, Herrn, bedünkt's euch nicht gefährlich Spiel,
Mit Füßen treten eines Prinzen Recht?
Wie? Ist Lavinia denn so leichter Art,
Und dünkt Bassianus euch so ganz entherzt,
Daß ihre Gunst der Vorwand solches Zanks,
So ohne Scheu vor Rache noch Gesetz? –
Kindlein, bedenkt: erführ' die Kaiserin
Des Mißtons Grund, sie zürnte der Musik.
CHIRON.
Mir gleich, ob sie's erführ' und alle Welt:
Lavinien lieb' ich mehr als alle Welt.
DEMETRIUS.
Lern' erst bescheidner wählen, junger Bursch:
Lavinia ward des ältern Bruders Ziel.
AARON.
Was, seid ihr toll? Wißt ihr denn nicht in Rom,
Wie wild und eifersüchtig Männer sind,
Und dulden Mitbewerber nimmermehr?
Ich sag' euch, Herrn, ihr schmiedet euern Tod
Durch dies Beginnen.
CHIRON.
Aaron, ich wagte tausend Leben dran,
Die Liebste zu besitzen.
AARON.
Was? besitzen?
DEMETRIUS.
Wie stellst du dich so fremd!
Sie ist ein Weib, drum darf man um sie werben;
Sie ist ein Weib, drum kann man sie gewinnen;
Sie ist Lavinia, drum muß man sie lieben.
Ei, Mann, mehr Wasser fließt vorbei der Mühle,
Als es der Müller denkt; und leicht ja stiehlst du
Vom einmal angeschnittnen Brot ein Stück: –
Ist Prinz Bassianus auch des Kaisers Bruder,
Schon Beßre trugen wohl den Schmuck Vulkans.
AARON.
Ja,

beiseit

und so gute wohl, als Saturnin.
DEMETRIUS.
Wie sollte denn verzagen, wer's versteht
Mit Wort und Blick und mit Geschenk zu werben? –
Wie? traf dein Schuß nicht schon manch fremdes Reh,
Und vor des Försters Nase trugst du's heim? –
[24] AARON.
So scheint's, ein list'ger Streich und rechter Griff
Büßt' eure Lust?
CHIRON.
Ja, lust'ge Buße wär's!
DEMETRIUS.
Aaron, du trafst es.
ARON.
Triff es auch, du Tor,
So steht uns all der Lärm nicht mehr bevor! –
Nun hört nur, hört: seid ihr so kindisch noch,
Euch deshalb zu entzwein? Verdrießt es euch,
Wenn es euch beiden glückt?
CHIRON.
Mich nicht, fürwahr.
DEMETRIUS.
Mich auch nicht, wenn nur ich der eine bin.
ARON.
Seid einig denn, und was euch trennt, versöhn' euch!
Mit List und Politik erreicht das Ziel,
Nach dem ihr strebt, und dies sei euer Plan;
Ihr könnt nicht überreden, wie ihr's wünscht:
So nehmt denn mit Gewalt, wie ihr's vermögt! –
Ich sag' euch, keuscher war Lucretia nicht
Als jetzt Bassianus' Weib Lavinia.
Wir müssen diesmal schnellern Weg ersehn
Als schmachtend Buhlen, und ich fand den Pfad.
Ihr Herrn, ein stattlich Jagen steht bevor:
Da finden sich zu Hauf die Schönen Roms;
Weit und entlegen dehnt der Wald sich aus
Und beut viel unbetretne Räume dar,
Wie auserwählt für Raub und Freveltat.
Dahin lockt einzeln euer schmuckes Reh,
Und fällt es mit Gewalt, wenn nicht mit Gutem;
So könnt ihr Hoffnung hegen, anders nie.
Der Kaiserin und ihrem höll'schen Witz,
Der Rach' und Frevel stets gebrütet hat,
Laßt uns verkünden, was wir jetzt erdacht;
Und unsre Pfeile schärfe sie mit Rat,
Und dulde nicht, daß ihr euch hemmt und kreuzt,
Helf' euch vielmehr zu eurer Wünsche Ziel.
Des Kaisers Burg ist gleich der Fama Haus,
Der Palast voller Zungen, Ohren, Augen:
Der Wald ist fühllos, schrecklich, taub und stumm;
Da sprecht und schlagt, ihr Wackern, beid' im Glück,
[25]
Da büßt die Lust, beschirmt vom dunkeln Wald,
Und schwelget in Laviniens keuschem Schatz!
CHIRON.
Dein Anschlag, Bursch, schmeckt, traun, nach keiner Furcht.
DEMETRIUS.
Sit fas, aut nefas: bis ich fand den Strom,
Der stillt die Glut, den Zauber, der mich kühlt,
Per Styga, per manes vehor. –

Gehn ab.
Zweite Szene
Wald bei Rom. Man sieht in einiger Entfernung eine Hütte.

Es treten auf Titus Andronicus, seine drei Söhne, mit Hunden und Jagdhörnern, und Marcus Andronicus.

TITUS.
Die Jagd ist auf, der Morgen hell und licht,
Die Fluren duftig und die Wälder grün:
Entkuppelt hier! Der Meute lauter Schall
Wecke den Kaiser und sein schönes Weib;
Den Prinzen ruft, beginnt den Jägergruß,
Daß von dem Klang erdröhne rings der Hof! –
Ihr Söhne, habt mir acht, wie's unser Amt,
Den Kaiser treu zu hüten vor Gefahr:
Ich ward im Schlaf erschreckt durch bösen Traum,
Doch bringt mir neuen Trost der junge Tag.

Lautes Gebell der Meute, und Musik von Jagdhörnern. Darauf erscheinen Saturninus, Tamora, Bassianus, Lavinia, Chiron, Demetrius und Gefolge.
TITUS.
Viel guten Morgen deiner Majestät;
Euch Fürsten gleichen Gruß und gleiches Glück! –
Ich hatte Jägergruß euch zugesagt.
SATURNINUS.
Und lustig war das Blasen, werte Herrn,
Nur fast zu früh für neuvermählte Frau'n.
BASSIANUS.
Was sagt Lavinia?
LAVINIA.
Ich sage, nein:
Zwei volle Stunden wacht' ich schon, und mehr.
SATURNINUS.
Frisch auf dann; Roß und Wagen holt herbei,
[26]
Und hin zum Forst; Herrin, jetzt sollt Ihr sehn
Ein römisch Jagdfest!
MARCUS.
Hunde hab' ich hier,
Die scheuchen Euch den wildsten Panther auf
und klimmen zu dem steilsten Vorgebirg'.
TITUS.
Ich Pferde, die, wohin das Wild sie führt,
Wie Schwalben leicht ihm folgen auf dem Plan.
DEMETRIUS.
Chiron, wir jagen nicht mit Roß und Hund,
Wir fahn ein schmuckes Reh im finstern Grund.

Alle ab.
Dritte Szene
Einsamer Platz im Walde. Aaron tritt auf.

AARON.
Wer Witz hat, dächte wohl, er fehle mir,
Weil ich dies Geld hier unterm Baum vergrub,
Von wo mir's niemals wieder aufersteht.
So wisse denn, wer mich so albern wähnt,
Daß dieses Gold mir einen Anschlag münzt,
Der, listig ausgeführt, gebären soll
Ein recht ausbündig wackres Bubenstück:
So ruh' hier Gold, und störe deren Ruhe,
Die Gaben nehmen aus der Kais'rin Truhe!

Tamora kommt.
TAMORA.
Mein süßer Aaron, was bekümmert dich,
Wenn alles rings von Fröhlichkeit erklingt?
Die Vögel singen hell aus jedem Busch,
Die Schlange sonnt sich, aufgerollt im Grün,
Das Laub erzittert in der kühlen Luft
Und malet Schattengitter auf den Grund:
In seinem süßen Dunkel laß uns ruhn!
Horch! Widerhalls Geplauder neckt die Hunde,
Dem vollen Horn antwortend hellen Ruf,
Als tönt' ein Doppeljagen uns zugleich. –
Setz' dich und horch' dem fröhlichen Gebell!
[27]
Und nach verliebtem Kampf (des, wie man wähnt,
Der flücht'ge Held und Dido einst sich freuten,
Als sie ein glücklicher Orkan gescheucht
Und die verschwiegne Höhl' als Vorhang schirmte), –
Laß uns, verschränkt eins in des andern Arm,
Nach unsrer Lust des goldnen Schlafs uns freun,
Weil Hund und Horn und süßer Waldgesang
Uns einlullt wie der Amme Wiegenlied,
Wenn sie ihr holdes Kind in Schlummer singt.
AARON.
Fürstin, wie Venus deinen Sinn beherrscht,
So ist Saturn des meinigen Monarch.
Was deutet sonst mein tödlich starres Aug',
Mein Schweigen, meiner Stirn Melancholie,
Mein Vlies von krauser Wolle, jetzt entlockt,
Recht wie die Natter, wenn sie sich entrollt
Zu schlimmem Biß und gift'gem Überfall?
Nein, Fürstin, das sind Venuszeichen nicht:
Rachsucht erfüllt mein Herz, Tod meine Faust,
Blut und Verderben toben mir im Haupt. –
Hör', Tamora, du Kais'rin meiner Seele,
Die nicht auf andern Himmel hofft, als dich, –
Heut ist des Bassianus Schicksalstag.
Verstummen muß heut seine Philomele,
Es plündern deine Söhne ihre Keuschheit,
Und waschen ihre Hand im Blut Bassians.
Sieh diesen Brief, den nimm zu dir; ich bitt' dich,
Gib deinem Herrn dies Blatt voll Todeslist! –
Nun frage mich nicht mehr: man schleicht uns nach,
Hier kommt ein Teil der hoffnungsreichen Beute:
Sie ahnen nicht, wie nah Vernichtung droht! –
TAMORA.
Ah, süßer Mohr, mir süßer als der Tag!
AARON.
Still, große Königin, Bassianus kommt:
Zeig' dich erzürnt, die Söhne hol' ich her
Zu deinem Beistand, wenn du Streit beginnst.

Ab.

Bassianus und Lavinia kommen.
BASSIANUS.
Wer naht uns hier? Roms hohe Kaiserin,
Vom ziemenden Gefolg' so weit entfernt?
[28]
Wie, oder Diana, so geschmückt wie sie,
Die ihr geheiligt Waldasyl verließ,
Zu schaun die große Jagd in diesem Forst?
TAMORA.
Frecher Nachspürer unsrer Einsamkeit,
Hätt' ich die Macht, die, sagt man, Dianen ward,
Die Schläfen augenblicks umpflanzt' ich dir
Mit Hörnern wie Aktäon, und die Hunde
Verfolgten deine neue Hirschgestalt,
Schamloser, der du hier dich eingedrängt! –
LAVINIA.
Mit Eurer Gunst, huldreiche Kaiserin!
Man sagt, mit Hörnern wißt Ihr umzugehn;
Und wohl verrät sich's, daß der Mohr und Ihr
Zu solcherlei Versuch Euch hier verirrt.
Heut schütze Zeus vor Hunden Euren Gatten,
Denn Unglück wär' es, sähn sie ihn als Hirsch!
BASSIANUS.
Glaubt, Fürstin, dieser nächtliche Cimmerier
Macht Eure Ehre schwarz wie seine Haut,
Befleckt, abscheulich, aller Welt ein Greu'l.
Was stahlt Ihr heimlich vom Gefolg' Euch weg,
Stiegt ab von Eurem schmucken, weißen Zelter,
Und schlicht hieher an diesen finstern Ort,
Von einem schnöden Mohren nur geführt,
Wenn böse Lust Euch nicht verleitete?
LAVINIA.
Und weil er Euch gestört in solchem Spiel,
Versteht sich's, müßt Ihr meinen edlen Herrn
Für Frechheit schelten. – Bitt' Euch, gehn wir fort:
Gönnt ihr des rabenfarb'gen Buhlen Kuß,
Dies Tal ist höchst gelegen solchem Werk.
BASSIANUS.
Dem Kaiser, meinem Bruder, meld' ich dies.
LAVINIA.
Ja, solch Entweichen ward schon längst bemerkt:
Wie gröblich täuscht man dich, du guter Fürst! –
TAMORA.
Wie hab' ich noch Geduld, dies anzuhören? –

Chiron und Demetrius kommen.
DEMETRIUS.
Wie, teure Kaiserin und gnäd'ge Mutter,
Was blickt Eu'r Hoheit so verstört und bleich?
TAMORA.
Was meint Ihr, hab' ich Grund nicht, bleich zu sehn?
[29]
Die zwei verlockten mich in dieses Tal:
Ihr seht, es ist ein wüst abscheul'cher Ort,
Die Bäum', obwohl im Sommer, kahl und dürr,
Erstickt von Moos und tück'schem Mistelwuchs.
Hier scheint die Sonne nie, hier atmet nichts,
Nachteulen nur und unglückdroh'nde Raben.
Und als sie mir gezeigt die grause Schlucht,
Erzählten sie, wie um die Mitternacht
Wohl tausend Geister, tausend Schlangen zischend,
Zehntausend schwell'nde Kröten, Molch' und Igel
Erhüben solch ein furchtbar tödlich Schrei'n,
Daß jeden Sterblichen, der dies vernimmt,
Wahnsinn befällt, wenn er nicht plötzlich stirbt.
Drauf, als sie kaum erzählt die Höllenmär,
Alsbald mich festzubinden drohten sie
An eines grausen Eibenbaumes Stamm,
Daß ich so schnödem Tod verfallen sei.
Dann schalten sie mich Ehebrecherin,
Verbuhlte Gotin, und die herbsten Worte,
Die je ein Ohr im bittern Schmähn vernahm:
Und kamt ihr durch ein Wunder nicht zum Glück,
Sie hätten diese Rach' an mir vollbracht.
Rächt eurer Mutter Leben, liebt ihr mich,
Sonst nenn' ich nimmer meine Kinder euch.
DEMETRIUS
ersticht den Bassianus.
Nimm dies zum Zeugnis, daß ich sei dein Sohn! –
CHIRON
durchsticht ihn gleichfalls.
Der Stoß für mich, zum Zeichen meiner Kraft! –
LAVINIA.
Ja, komm, Semiramis, – nein, wüt'ge Tamora!
Kein Name ziemt dir, als der eigne nur! –
TAMORA.
Gebt mir den Dolch: laßt eurer Mutter Hand
An ihr vergelten eurer Mutter Schmach!
DEMETRIUS.
Halt, Königin, hier ist noch mehr im Werk;
Erst drescht das Korn, und dann verbrennt das Stroh!
Dies Püppchen rühmte viel von ihrer Zucht,
Von ihrem Eh'gelübd' und reiner Treu',
So mit geschminkter Tugend trotzt sie Euch.
Und nähme sie das alles mit ins Grab?
[30] CHIRON.
Wenn dies geschieht, müßt' ich ein Hämling sein.
Schleif' ihren Gatten einer Höhle zu:
Sein toter Leib sei Pfühl für unsre Lust!
TAMORA.
Doch ward der Honig euer, den ihr wünscht,
Laßt nicht die Wesp' am Leben, uns zu stechen!
CHIRON.
Ich schwör' Euch, Fürstin, ruhig sollt Ihr sein! –
Kommt, Dame, jetzt gewaltsam rauben wir,
Was Ihr so spröd' und ängstlich habt bewahrt.
LAVINIA.
O Tamora, du trägst ein weiblich Antlitz –
TAMORA.
Ich will sie nicht mehr hören, führt sie weg! –
LAVINIA.
O liebe Herrn, ein Wort nur laßt mich sprechen!
DEMETRIUS.
Vernehmt sie, schöne Frau! Sei's Euer Ruhm,
Sie weinen sehn: doch bleib' Eu'r Herz so hart
Wie Kiesel, fühllos bei des Regens Guß.
LAVINIA.
Wann lehrte je des Tigers Brut die Mutter?
Oh, lehr' sie keinen Grimm, sie lehrt' ihn dich!
Die Milch, die du gesogen, ward zu Marmor;
Schon an der Brust empfingst du Grausamkeit. –
Zu Chiron.

Doch sind nicht jeder Mutter Söhne gleich:
Fleh' du zu ihr um Mitleid für ein Weib! –
CHIRON.
Was! sollt' ich selber mich zum Bastard stempeln?
LAVINIA.
's ist wahr, der Rabe brütet Lerchen nicht,
Doch hört' ich einst – (oh, fänd' ich's nun bewährt!),
Bewegt von Mitleid ließ der Löwe zu,
Daß man die königlichen Klau'n ihm stumpft;
Der Rabe, sagt man, füttre Waisenkindlein,
Derweil im eignen Nest sein Junges darbt.
Oh, sei du mir, sagt auch dein Herz dir Nein,
Wenn auch so mild nicht, etwas doch gerührt! –
TAMORA.
Ich weiß nicht, was das heißt; hinweg mit ihr!
LAVINIA.
Ich lehr' es dich: um meines Vaters halb,
Der dir, dem Tod verfallen, Leben schenkte,
Sei nicht verstockt; öffne dein taubes Ohr! –
TAMORA.
Und hätt'st du selber nimmer mich gekränkt,
Um seinetwillen bin ich mitleidlos.
Gedenkt nur, Knaben, wie ich weint' umsonst,
Vom Opfer euern Bruder zu befrein;
Doch nimmer gab der grimme Titus nach!
[31]
Drum schafft sie fort, verfahrt mit ihr nach Lust;
Je schlimmer, um so besser mir geliebt!
LAVINIA.
O Tamora, ich preise deine Huld,
Wenn du mit eigner Hand mich hier erschlägst:
Nicht um mein Leben fleht' ich ja so lang',
Ich Arme starb, als Bassianus fiel.
TAMORA.
Was batst du denn? Hinweg, du töricht Weib! –
LAVINIA.
Den schnellsten Tod erfleh' ich, und noch eins,
Was Frauenmund nicht auszusprechen wagt:
Hemm' ihre mehr als mörderische Lust! –
Oh, senke mich in eines Sumpfes Pfuhl,
Wo nie ein menschlich Auge mich erspäht;
Das tu', und sei barmherz'ge Mörderin!
TAMORA.
So brächt' ich meine Söhn' um ihren Ruhm?
Nein, laß sie nehmen, was ihr Eigentum!
DEMETRIUS.
Fort, schon zu lange hielt'st du uns zurück.
LAVINIA.
Kein Mitleid? Keine Scham? O viehisch Weib!
Feindin und Schmach für unser ganz Geschlecht!
Vernichtung fall' ...
CHIRON
schleppt sie fort.
Dann stopf' ich dir den Mund. – Bring' du den Gatten;
In diese Höhle hieß ihn Aaron bergen.

Sie gehn ab.
TAMORA.
Geht, Söhne, schafft sie mir in Sicherheit:
Und wahrlich, nimmer soll mein Herz sich freun,
Bis Titus' ganzer Stamm hinweggetilgt.
Zu dir nun, liebster Mohr, will ich mich wenden,
Indes die Knaben jene Dirne schänden.

Ab.
Vierte Szene
Daselbst.

Es treten auf Aaron, Quintus und Marcius.

AARON.
Kommt, wackre Herrn, folgt mir in schnellster Eil',
Ich bring' euch zu der finstern Grube gleich,
Wo ich den Panther fest im Schlafe sah.
QUINTUS.
Was es auch deute, trübe ward mein Blick.
[32] MARCIUS.
Und meiner wahrlich auch: schämt' ich mich nicht,
Ich ließe gern die Jagd und schliefe hier.

Marcius fällt in die Grube.
QUINTUS.
Was, fielst du? Welche tück'sche Gruft ist dies,
Der wild Gesträuch die Mündung ganz bedeckt,
Auf dessen Blättern jüngst vergoßnes Blut
So frisch wie Morgentau im Blütenkelch?
Mir scheint, voll böser Ahnung ist der Ort! –
Sag, Bruder, fühlst du Schmerz nach deinem Fall?
MARCIUS.
O Bruder, durch das schrecklichste Gesicht,
Des Anblick je ein Herz zum Jammer zwang.
AARON
beiseit.
Den Kaiser hol' ich jetzt, sie hier zu finden.
Daß er nach äußerm Schein vermuten muß,
Sie seien's, die den Bruder ihm erschlagen.

Ab.
MARCIUS.
Was tröstest du mich nicht, und hilfst mir fort
Aus dieser schnöden, blutbefleckten Gruft?
QUINTUS.
Ohnmächtig bin ich durch seltsame Furcht,
Die Glieder zittern kalt im Todesschweiß,
Mein Herz argwohnt mehr, als mein Aug' erspäht.
MARCIUS.
Damit du siehst, du hab'st ein ahnend Herz,
Aaron und du, seht in die Höhl' herab,
Und schaut ein gräßlich Bild von Blut und Tod!
QUINTUS.
Aaron ist fort, und mein beängstigt Herz
Gestattet meinem Auge nicht zu sehn,
Was in der Ahnung ihm entsetzlich dünkt.
O sag mir, was es sei, denn nie zuvor
War ich ein Kind, zu scheun ich weiß nicht was.
MARCIUS.
Prinz Bassianus liegt in Blut getaucht
Am Boden da, wie ein geschlachtet Lamm,
In der verfluchten dunkeln Gruft des Mords! –
QUINTUS.
Wenn's drin so dunkel, wie erkennst du ihn?
MARCIUS.
Am blut'gen Finger trägt er einen Ring
Von seltnem Preis, der rings die Höhl' erhellt,
Wie eine Kerz' in dunkler Totengruft
Auf seiner Leiche fahles Antlitz scheint,
Und zeigt der Grube scheußlich Eingeweide.
So bleich auch schien der Mond auf Pyramus,
[33]
Als er gebadet lag in Mädchenblut!
O Bruder, hilf mir mit kraftloser Hand –
(Wenn Furcht dich kraftlos machte, so wie mich, –),
Der bösen Mörderhöhle zu entfliehn,
So gräßlich, wie Cocytus' trüber Schlund!
QUINTUS.
Gib mir die Hand, daß ich dir helf empor;
Und reicht die Kraft nicht aus, dir beizustehn,
Fall' ich wohl selbst in dieses tiefen Pfuhls
Verhaßten Schoß, der Bassian verschlang. –
– Ich bin zu schwach, zum Rand dich aufzuziehn! –
MARCIUS.
Und ich erklimm' ihn ohne Beistand nie!
QUINTUS.
Nochmals die Hand: ich lass' dich nicht mehr los,
Bis du hinaufsteigst, oder ich hinab:
Du kommst zu mir nicht, so komm' ich zu dir! –

Er fällt in die Grube.

Saturninus und Aaron kommen.
SATURNINUS.
Heran, mir nach: ich will die Höhle sehn,
Und wer es war, der eben sprang hinab: –
Sag an, wer bist du, der sich hier verbarg
In diesen gähnend offnen Rachen: sprich? –
MARCIUS.
Des alten Titus jammervoller Sohn,
Zuhöchst unsel'ger Stund' hieher geführt,
Bassianus, deinen Bruder, tot zu sehn.
SATURNINUS.
Mein Bruder tot? Ich weiß, es ist nur Scherz:
Er und Lavinia sind im Jagdgezelt,
Im Norden dieses heitern Waldreviers;
Noch keine Stund' ist's, seit ich dort sie ließ.
MARCIUS.
Wir wissen nicht, wo Ihr ihn lebend saht,
Doch weh! wir fanden ihn ermordet hier! –

Tamora mit Gefolge, Andronicus und Lucius treten auf.
TAMORA.
Wo ist mein Herr, der Kaiser?
SATURNINUS.
Hier, Tamora, von Todesgram betrübt.
TAMORA.
Wo ist dein Bruder Bassian?
SATURNINUS.
Nun trafst du meiner Wunde tiefsten Grund;
Der arme Bassian liegt hier ermordet.
TAMORA.
Dann allzu spät erhältst du dieses Blatt,
Den Plan des übereilten Trauerspiels.
[34]
Ich staune, wie ein menschlich Antlitz barg
In sanftem Lächeln so tyrann'schen Mord.

Sie gibt dem Saturninus einen Brief.

SATURNINUS liest:
»Verfehlten wir, nach Wunsch ihm zu begegnen
(Bassianus meinen wir), dann säume nicht,
Sein Grab zu graben, wackrer Jägersmann;
Du weißt, wie wir's gemeint. – Du find'st den Sold
Unter den Nesseln am Holunderbaum,
Der jener Grube Mündung überwölbt,
Wo ich Bassianus dich begraben hieß.
Dies tu' und kauf' dir unsern ew'gen Dank!«
O Tamora! Vernahmst du Gleiches je?
Dies ist die Gruft, dies der Holunderbaum;
Seht, Herrn, ob ihr den Jäger finden mögt,
Der hier Bassianus frech ermordete!
AARON
bringt den Beutel.
Mein gnäd'ger Fürst, hier ist der Beutel Gold!
SATURNINUS
zu Titus.
Zwei Hunde deines tück'schen blut'gen Stamms,
Sie gaben meinem Bruder hier den Tod.
Fort, zieht sie aus der Gruft mir in den Kerker,
Und laßt sie schmachten, bis ich Strafen fand
Von unerhörter, neuer Folterqual.
TAMORA.
Was? sind sie in der Gruft? O wundervoll!
Wie leicht wird jeder Mord doch offenbar!
TITUS.
Erhabner Fürst, auf meinem schwachen Knie,
Mit Tränen, schwer vergossen, fleh' ich dich,
Daß meiner frevelhaften Söhne Tat –
Frevelnd, wenn diese Tat erwiesen ward –
SATURNINUS.
Erwiesen ward? Ihr seht, sie ist gewiß!
Wer fand den Brief! Warst du es, Tamora?
TAMORA.
Andronicus hob selbst den Zettel auf.
TITUS.
Das tat ich, Herr; doch laßt mich Bürge sein:
Ich schwör's bei meiner Väter heil'gem Grab,
Auf deiner Hoheit Wink sind sie bereit,
Mit ihrem Blut zu zahlen den Verdacht.
SATURNINUS.
Du sollst nicht Bürge sein: gleich folge mir!
[35]
Ihr nehmt den Toten, ihr die Mörder mit:
Laßt sie nicht reden, ihre Schuld ist klar;
Denn wahrlich, gäb' es härtre Straf als Tod,
Die Strafe ließ' ich alsobald vollziehn.
TAMORA.
Andronicus, ich will um Gnade flehn:
Nicht fürcht' um deine Söhn', es wird noch gut.
TITUS.
Komm, Lucius, weile nicht, sie anzusprechen! –

Sie gehn von verschiedenen Seiten ab.
Fünfte Szene
Daselbst.

Demetrius und Chiron kommen mit der geschändeten Lavinia; ihr sind die Hände abgehauen und die Zunge ausgeschnitten.

DEMETRIUS.
So melde nun, wenn's deine Zunge kann,
Wer dir die Zung' ausschnitt und dich entehrt!
CHIRON.
Schreib' nieder, was du meinst, und hilf dir so:
Vermögen's deine Stumpfen, laß sie schreiben!
DEMETRIUS.
Wie gut sie noch mit Wink und Zeichen grollt!
CHIRON.
Geh, fordre frisches Wasser, wasch' die Hände!
DEMETRIUS.
Fordr' ohne Zunge, wasch' dich ohne Hände;
Und somit wandl' in stiller Einsamkeit! –
CHIRON.
Wär's mir geschehn, ich ging' und hängte mich.
DEMETRIUS.
Ja, hätt'st du Hände, dir den Strick zu knüpfen!

Demetrius und Chiron ab.

Marcus kommt zu Lavinien.
MARCUS.
Wer ist's? Die Nichte, die so eilend flieht?
Muhme, ein Wort! Wo ist dein Gatte? Träum' ich,
O hülfe all mein Gut mir dann zum Wachen!
Und wach' ich, schlüg' ein Blitzstrahl auf mich ein,
Daß ich fortschlummern mög' in ew'gem Schlaf! –
Sag, süßes Kind, wes mitleidlose Hand
Trennt' ab und hieb so frech von deinem Stamm
Der beiden Zweige süße Zier, die Laube,
In deren Schatten Kön'ge gern geruht
Und nimmer ein so reizend Glück erstrebt
[36]
Als halb nur deine Gunst? Was sprichst du nicht?
Weh mir! ein Purpurstrom von warmem Blut,
Gleich einem Springquell, den der Wind bewegt,
Hebt sich und fällt dir zwischen ros'gen Lippen,
Und kommt und geht mit deinem süßen Hauch.
Gewiß, ach! hat ein Tereus dich entehrt,
Und, Strafe fürchtend, raubt' er deine Zunge.
Ach, wend'st du jetzt dein Antlitz weg aus Scham?
Und trotz des vielen Bluts, von dir verströmt
Wie aus dem Brunn', dem mancher Strahl entquillt,
Flammen die Wangen dir, wie Titan glüht,
Wenn er errötend mit den Wolken kämpft?
Soll ich statt deiner reden? Ist es so?
Kennt' ich dein Herz? O kennt' ich den Verruchten,
Daß ich ihm fluchen könnte, mir zum Trost!
Gehemmter Schmerz, wie ein verstopfter Ofen,
Verbrennt zu Asche die verschloßne Brust.
Verlor doch Philomele nur die Zunge,
Und wirkt' in trauriges Geweb' ihr Leid:
Doch, liebstes Kind, dir ward die Hülf entrissen,
Dein Tereus übte list'ger seinen Raub:
Er hat die zarten Finger abgehaun,
Die schöner wohl gestickt als Philomele.
Oh, sah der Unhold diese Lilienhand
Wie Espenlaub auf einer Laute zittern,
Daß sie mit Lust die Silbersaiten küßten, –
Nicht für sein Leben hätt' er sie berührt!
Und hört' er je die Himmelsharmonie,
Die jener süßen Zunge sonst entströmt, –
Sein Dolch entfiel' ihm, und ersänk' in Schlaf,
Wie Cerberus zu Orpheus' Füßen schlief!
So gehn wir! Und dein Vater werde blind:
Der Anblick muß ein Vaterauge blenden.
In einer Stund' ersäuft der Sturm die Matten:
Was bringt ein Jahr von Tränen Vateraugen?
O komm! All unser Schmerz ist dir geweiht:
Könnt' unser Schmerz doch mildern so viel Leid! –

Sie gehn ab.
[37]

Dritter Aufzug

Erste Szene
Rom. Eine Straße.

Richter und Senatoren. Marcius und Quintus werden gebunden zum Richtplatz geführt; vor ihnen geht Titus und spricht zu den Richtern.

TITUS.
Hört, Senatoren! Ihr Tribunen, weilt!
Denkt meines Alters, dessen Jugend schwand
In wildem Krieg, weil ihr in Ruhe schlieft;
Des Bluts, im großen Kampf von mir verströmt;
Der eis'gen Nächte, die ich durchgewacht;
Und dieser bittern Träne, die mir jetzt
Die alten Runzeln meiner Wangen füllt:
Seid meinen Söhnen mild, – obzwar verdammt,
Doch frei der Sünd', um die sie angeklagt.
Um zweiundzwanzig Söhne weint' ich nie,
Sie schlafen auf des Ruhms erhabnem Bett;
Für diese, diese schreib' ich in den Staub
Des Herzens Gram, der Tränen Jammerflut;

Andronicus wirft sich zu Boden; die Richter gehn an ihm vorüber.
Ihr Tränen, löscht der Erde trocknen Durst,
Die scheu im Blut der Söhne würd' erröten!
O Staub, mit noch mehr Regen feucht' ich dich,
Der aus den beiden alten Höhlen strömt,
Als junger Lenz mit allen seinen Schauern;
In Sommers Dürre netz' ich dich mit Tropfen,
Im Winter schmilzt der Schnee dem heißen Tau,
Und ew'gen Frühling schaff' ich deinem Antlitz,
Wenn du nicht trinkst der teuren Söhne Blut.

Die Richter sind weggegangen; Lucius kommt mit gezogenem Schwert.

[38]
O würdige Tribunen! Teure Greise,
Befreit sie, ruft zurück den Todesspruch,
Und laßt mich sagen, der noch nie geweint,
Daß meine Tränen gute Redner sind!
LUCIUS.
O edler Vater, jammre nicht umsonst:
Es hört dich kein Tribun, kein Mensch steht hier,
Und einem Stein erzählst du deinen Gram.
TITUS.
Ach, Sohn, für deine Brüder red' ich hier: –
Weise Tribunen, hört mich noch einmal!
LUCIUS.
Mein Vater, kein Tribun vernimmt dich mehr!
TITUS.
Es ist ja eins, mein Knabe; hörten sie,
Sie würden's nicht beachten; täten sie's,
Es wär' umsonst, sie blieben ungerührt.
Drum klag' ich meinen Gram den Steinen vor,
Die, ob sie gleich bei solchem Jammer stumm,
Mir dennoch lieber, als Tribunen sind,
Denn keiner unterbricht die Rede mir;
Und wenn ich weine, mir zu Füßen still
Empfahn sie meine Tränen, weinen mit,
Und, hüllten sie sich nur in ernst Gewand,
Rom hätte nicht Tribunen diesen gleich. –
Ein Stein ist weich wie Wachs, Tribunen hart wie Steine;
Ein Stein ist schweigend und betrübt uns nicht, –
Tribunenzunge spricht das Leben ab! –
Doch weshalb stehst du mit gezücktem Schwert?
LUCIUS.
Von ihrem Tod die Brüder zu befrein;
Und den Versuch bestrafte das Gericht,
Indem sein Spruch auf ewig mich verbannt.
TITUS.
O Glücklicher! Begünstigt wurdest du!
Kurzsicht'ger Lucius, dünkt dich Rom denn nicht
Wie eine Wüstenei, von Tigern voll?
Tiger sind da zum Raub; Rom hat an Raub
Nur mich und euch; wie glücklich bist du dann,
Von den Verschlingenden verbannt zu sein! –
Doch wer naht mit dem Bruder Marcus hier?
Marcus kommt mit Lavinia.
[39] MARCUS.
Bereit zu weinen sei dein edles Aug';
Wo nicht, zerspringe dir das edle Herz!
Ich bringe deinem Alter tödlich Leid! –
TITUS.
Wird es mich töten? Wohl, so laß mich's schaun!
MARCUS.
Dies war dein Kind!
TITUS.
Und ist es jetzt noch, Marcus!
LUCIUS.
Weh! Dieser Anblick tötet mich!
TITUS.
Schwachherz'ger Knabe! auf, und sich sie an!
O sag, mein Kind, durch wes verfluchte Hand
Kommst du so handlos vor des Vaters Blick?
Wer ist der Tor, der Wasser trug ins Meer
Und Holz in Trojas hellentflammten Brand?
Mein Gram stand auf dem Gipfel, eh' du kamst:
Jetzt, gleich dem Nil, bricht er die Schranken durch. –
Ein Schwert! Auch meine Hände hau' ich ab!
Sie fochten ja für Rom, und ganz umsonst!
Wenn sie mich nährten, pflegten sie dies Leid;
Vergeblich im Gebet erhob ich sie,
Und ohne Segen hab' ich sie gebraucht! –
Nun sei ihr letzter Dienst von mir begehrt,
Daß mir die eine helf' abhaun die andre!
's ist gut, Lavinia, daß du ohne Hand;
Denn Rom zu dienen helfen Hände nicht!
LUCIUS.
Sprich, holde Schwester, wer dich so gemartert?
MARCUS.
Ach! der Gedanken lieblich Instrument,
Das süße Redekunst so hold geplaudert,
Riß man aus seines zarten Käfigs Haft,
Wo's wie ein süß melod'scher Vogel sang,
Im Wechselton entzückend jedes Ohr!
LUCIUS.
Statt ihrer sprich! Wer hat die Tat vollbracht?
MARCUS.
So fand ich sie, ach! schweifend in dem Forst,
Besorgt, sich zu verbergen wie ein Reh,
Das eine unheilbare Wund' empfing!
TITUS.
Sie war mein Reh, und der die Wund' ihr schlug,
Tat weher mir, als hätt' er mich durchbohrt.
Nun steh' ich wie ein Mann auf einem Fels,
Umgeben von der weiten, wüsten See,
Der Wog' auf Woge schwellen sieht die Flut,
[40]
Und stets erwartet, ob ein neid'scher Schwall
In seine salz'gen Tiefen ihn begräbt.
Zum Tod hier gingen meine armen Söhne;
Hier steht mein andrer Sohn, aus Rom verbannt,
Und hier mein Bruder, weinend um mein Weh;
Doch was am schärfsten meine Seele spornt,
Ist mein geliebtes Kind, mein liebstes Herz. –
Und hätt' ich nur dein Bildnis so gesehn,
Ich fiel' in Wahnsinn: was denn soll ich tun,
Erblick' ich deinen holden Körper so?
Ohn' Hände, deine Tränen abzutrocknen,
Noch Zunge, zu erzählen, wer dich quälte!
Tot ist dein Gatte, und um seinen Tod
Verurteilt deine Brüder, jetzt enthauptet!
Sieh, Marcus! ach, Sohn Lucius, sieh sie an!
Als ich die Brüder nannte, netzte gleich
Die Wange frisches Naß, wie Honig taut
Auf die gepflückte, fast gewelkte Lilie!
MARCUS.
Vielleicht weint sie, weil jene ihn getötet;
Vielleicht, weil sie die Brüder schuldlos weiß!
TITUS.
Wenn sie ihn töteten, dann sei vergnügt,
Denn schon zur Strafe zog sie das Gesetz.
Nein, nein! sie übten nicht so arge Tat:
Das zeugt der Gram, der ihre Schwester beugt.
Mein holdes Kind, die Lippen küss' ich dir;
Ein Zeichen gib, wie ich dir irgend helfe:
Willst du, daß Lucius und dein guter Ohm
Und du und ich um einen Quell uns setzen,
Und, niederschauend, unsre Wangen sehn
Entstellt und feucht, gleich Wiesen, noch nicht trocken
Vom Schlamm, mit dem die Flut sie überschwemmt?
Und soll'n wir starren in den Quell so lang',
Bis sich des Wassers süße Klarheit trübt,
Und salzig wird durch unsre bittern Tränen?
Soll'n wir die Hand uns weghaun so wie dir,
Die Zung' abbeißen, und mit stummen Zeichen
Verhaßter Tage Überrest verbringen?
Was soll'n wir tun? Laßt uns, die Zungen haben,
[41]
Ein Jammerspiel entwerfen fernern Elends,
Daß wir ein Wunder werden künft'ger Zeit!
LUCIUS.
Mein Vater, weint nicht mehr; bei Euerm Gram,
Seht, wie die arme Schwester schluchzt und stöhnt! –
MARCUS.
Still, Nichte! – Titus, trockne dir die Augen!
TITUS.
Ah, Marcus, Marcus! Oh, ich weiß, mein Bruder,
Dein Tuch kann keine meiner Tränen fassen,
Du hast es mit den eignen schon ertränkt.
LUCIUS.
Ach, Schwester! deine Wangen trockn' ich ab!
TITUS.
Sieh, Marcus, ihre Zeichen merk' ich wohl;
Fehlt' ihr die Zunge nicht, jetzt spräche sie
Zu ihrem Bruder, wie ich sprach zu dir;
Sein Tuch, von frommen Tränen ganz durchnetzt,
Ist ihrer Wange nun zu keinem Dienst! –
Wer fühlte Leid und Sorgen je, wie diese,
Von Hülfe fern, wie Höll' vom Paradiese?

Aaron kommt.
AARON.
Titus Andronicus, mein Herr, der Kaiser,
Entbeut dir: wenn dir deine Söhne lieb,
Soll Marcus, Lucius, wer es sei von euch,
Oder du, Alter, selbst, abhaun die Hand,
Und sie dem König senden; alsobald
Schickt er die Söhne lebend dir zurück;
Das soll die Buße sein für ihre Schuld.
TITUS.
O gnäd'ger Kaiser! O huldvoller Mohr!
Sang je ein Rabe so der Lerche gleich,
Die süße Zeitung gibt vom Morgenrot?
Mit Freuden send' ich gleich dem Kaiser meine Hand;
Willst du sie abhaun helfen, lieber Mohr?
LUCIUS.
Halt, Vater! diese edle, tapfre Hand,
Die sonst so manchen Feind zu Boden warf,
Sollst du nicht senden: meine bring' ich dar;
Der Jüngre mißt wohl eh'r sein Blut als du,
Und deshalb zahl' ich für der Brüder Haupt.
MARCUS.
Wes Hand von euch hat Rom nicht Schutz verliehn
Und hoch im Kampf die blut'ge Axt gezückt,
Vernichtung schreibend auf der Feinde Helm?
[42]
Oh, keine, die nicht höchsten Ruhm erfocht,
Und meine war nur müßig; diene sie,
Vom Tod die beiden Neffen zu befrein,
Dann hab' ich sie zu würd'gem Zweck bewahrt.
AARON.
Nun, einigt euch, wes Hand soll mit mir gehn,
Daß sie nicht sterben, eh' die Rettung kam.
MARCUS.
Nehmt meine Hand!
LUCIUS.
Beim Himmel, deine nicht!
TITUS.
Nicht fürder streitet; welkes Kraut, wie dies,
Ist gut, es auszuraufen: nehmt denn meine! –
LUCIUS.
Mein Vater, wenn dein Sohn ich heißen soll,
Laß mich die Brüder retten von dem Tod!
MARCUS.
Um unsres Vaters, unsrer Mutter willen,
Heut laß mich zeigen, wie ein Bruder liebt!
TITUS.
So tret' ich denn zurück: vereint euch drum!
LUCIUS.
Ich geh' und hol' die Axt.
MARCUS.
Und ich gebrauche sie.

Lucius und Marcus gehn.
TITUS.
Komm hieher, Mohr, betrügen will ich sie;
Leih' mir die Hand, und meine geb' ich dir.
AARON beiseit:
Wenn das Betrug heißt, will ich ehrlich sein,
und keinen so betrügen, das ist klar.
Doch ich betrüg' euch wohl auf andre Art,
In einer halben Stunde sollt ihr's sehn.

Er haut Titus' Hand ab. Lucius und Marcus kommen zurück.
TITUS.
Nun laßt den Streit: was sein muß, ist getan. –
Mein guter Mohr, dem Kaiser gib die Hand;
Sag, dies war eine Hand, die ihn geschützt
Manch tausendmal; begraben soll er sie,
Sie hat wohl mehr verdient, dies gönn' er ihr.
Und meine Söhne, sag ihm, acht' ich nun
Wie Edelsteine, wohlfeil mir erkauft,
Und dennoch teu'r, weil ich gekauft, was mein.
AARON.
Ich geh', Andronicus; für deine Hand
Mach' dich bereit, die Söhne bald zu sehn; –

[43] beiseit

Der Buben Häupter mein' ich. – Wie der Streich,
Wenn ich dran denke, mich ergötzt und weidet! –
Laß Narr'n und Weiße fromm um Gnade werben,
Mag Schwarz mir Antlitz so wie Seele färben!

Geht ab.
TITUS.
Hier heb' ich auf die eine Hand zum Himmel,
Zur Erde beug' ich diese schwache Trümmer:
Gibt's eine Macht, die meine Träne rührt,
Die fleh' ich an.

Zu Lavinia.

Was, willst du mit mir knien?
Tu's, liebes Herz; der Himmel muß uns hören!
Sonst hauchen wir die Luft mit Seufzern trüb,
Die Sonne schwärzend, wie die Wolken tun,
Wenn sie in ihrer feuchten Brust sie bergen.
MARCUS.
O Bruder, sprich von Möglichkeiten doch,
Und stürz' dich nicht in solches Wahnsinns Tiefe!
TITUS.
Ist denn mein Gram nicht tief und bodenlos?
So sei die Leidenschaft auch ohne Boden!
MARCUS.
Doch laß Vernunft regieren deinen Schmerz!
TITUS.
Gab' es vernünft'gen Grund für solches Leid,
Dann schlöss' ich wohl in Grenzen all dies Weh.
Ersäuft das Feld nicht, wenn der Himmel weint?
Schäumt, wenn der Sturmwind rast, das Meer nicht auf
Und droht dem Firmament mit schwell'ndem Antlitz?
Und willst du Gründe noch für solche Wut?
Ich bin das Meer, hör' ihre Seufzer wehn!
Sie ist die Luft in Tränen, ich das Land;
So schwellen ihre Seufzer denn mein Meer,
Und ihrer Tränen Sündflut überschwemmt
In stetem Regen strömend mein Gefild';
Denn, wie? mein Innres faßt nicht ihren Schmerz,
Und ich, gleich einem Trunknen, spei' ihn aus.
Drum laßt mich frei; Verlierern steht ja frei,
Sich Luft zu machen durch den bittern Fluch.

Ein Bote kommt und bringt zwei Häupter und eine Hand.
BOTE.
Würd'ger Andronicus, schlimm zahlt man dir
Die gute Hand, die du dem Kaiser gabst.
Sieh hier zwei Häupter deiner edlen Söhne;
Hier deine Hand, zum Hohn zurückgeschickt:
[44]
Dein Schmerz ihr Spott, und dein Entschluß verhöhnt,
So daß mir's weh ist, denk' ich deines Wehs,
Mehr als Erinn'rung an des Vaters Tod.

Geht ab.
MARCUS.
Nun werde kalt, Siziliens heißer Ätna,
Und sei mein Herz ein glüh'nder Flammenpfuhl!
Solch Elend ist zu viel für Menschenkraft!
Mitweinen mit den Weinenden ist Trost,
Doch Schmerz, so frech verhöhnt, dreifacher Tod.
LUCIUS.
Oh, daß der Anblick solche Wunden schlägt
Und schreckt verhaßtes Leben nicht hinweg!
Daß Tod dem Leben seinen Namen leiht,
Wo Leben nur verweilt als Atemzug!

Lavinia küßt ihn.
MARCUS.
Ah, armes Herz, der Kuß ist ohne Trost,
Wie hartes Eis dem frosterstarrten Wurm.
TITUS.
Wann endet dieser fürchterliche Schlaf?
MARCUS.
Nun, Schmeichelei, fahr' hin: nun, Titus, stirb;
Du schliefst nicht; sieh die Häupter deiner Söhne,
Sieh deine Hand, sieh dein verstümmelt Kind,
Den landverwies'nen Sohn, durch diesen Anblick
Betrübt und bleich; mich, deinen Bruder, sieh,
Wie ein versteinert Bildnis, kalt und starr!
Ach, nimmer recht' ich jetzt mit deinem Schmerz!
Rauf' nur dein Silberhaar, mit deinen Zähnen
Zerfleisch' die andre Hand: dies grause Bild
Sei deiner armen Augen letzte Schau!
Nun ist es Zeit zum Sturm, was schweigst du still?
TITUS.
Ha! ha! ha!
MARCUS.
Was lachst du? Solcher Stunde ziemt es nicht!
TITUS.
Nun, blieb mir denn noch eine Träne übrig?
Und dann ist auch dies Weinen selbst mein Feind,
Der mir die feuchten Augen wohl zerstörte,
Bis sie erblindet von der Tränen Zoll;
Wie aber fänd' ich dann der Rache Höhle?
Denn diese Häupter reden ja zu mir,
Und drohn mir, ewig nicht erlang' ich Ruh',
Bis all dies Elend ward zurückgezahlt,
[45]
Zurück in deren Schlund, die's ausgesandt.
Still! Laßt mich sehn, was nun mein Tagewerk:
Ihr Volk des Jammers, stellt euch um mich her,
Daß ich zu jeglichem mich wende hin
Und schwör' auf meine Seel', ich räch' eu'r Leid
Ich hab's gelobt. – Jetzt, Bruder, fass' ein Haupt,
In dieser Hand halt' ich das andre fest;
Lavinia, hilf uns auch in diesem Werk:
Mit deinen Zähnen, Kind, halt' meine Hand! –
Du, lieber Sohn, entferne dich von hier,
Du bist verbannt und darfst hier nicht verweilen:
Fleuch zu den Goten, wirb dir dort ein Heer,
Und willst du folgsam meinen Willen tun,
Küss' mich und geh – uns bleibt noch viel zu tun.

Alle gehn ab bis auf Lucius.
LUCIUS.
Leb wohl, Andronicus, mein edler Vater,
Der jammervollste Mann, den Rom gesehn!
Leb wohl, o Rom! Bis Lucius wiederkehrt,
Läßt er dir Pfänder, teurer als sein Blut.
Leb wohl, Lavinia, du edle Schwester:
O wärst du wieder, was du warst zuvor!
Denn Lucius und Lavinia leben jetzt
Nur in Vergessenheit, in Gram und Haß.
Wenn Lucius lebt, vergilt er deine Schmach;
Der stolze Saturnin und sein Gemahl
Soll'n an den Toren betteln, wie Tarquin.
Jetzt zieh' ich zu den Goten, werb' ein Heer
Und räche mich an Rom und Saturnin.

Geht ab.
Zweite Szene
Zimmer in Titus' Hause.

Ein Bankett. Titus, Marcus, Lavinia und der junge Lucius, ein Knabe, treten auf.

TITUS.
So, so; nun sitzt; gebt acht und eßt nicht mehr,
Als was nur eben uns in Kraft erhält,
[46]
Rache zu nehmen für dies bittre Weh.
Marcus, entknüpf' den gramgeschlungnen Knoten!
Der Nicht' und mir, uns Ärmsten, fehlen Hände,
Wir können nicht gebärden unsre Qual,
Die Arme kreuzend. Diese schwache Rechte
Blieb mir, tyrannisch meine Brust zu schlagen;
Und wenn mein Herz, von Jammer ganz verwirrt,
An dieses Fleisches hohlen Kerker klopft,
Dann stoß' ich's so hinab. –

Zu Lavinien.

Du Spiegel alles Wehs, in Zeichen redend,
Wenn dir dein Herz mit wildem Pochen stürmt,
Kannst du's durch Streiche nicht beruhigen!
Mit Seufzern triff, mit Ächzen töt' es, Kind,
Fass' dir ein spitzig Messer mit den Zähnen,
Und bohr' am Herzen eine Wunde dir,
Daß jede Träne deiner armen Augen
Der Gruft zufließt, und, wenn sich's vollgesaugt,
Im bittern Salz der arme Narr ertrinke!
MARCUS.
Pfui, Bruder, pfui! Lehr' sie gewaltsam nicht
Die Hand anlegen ihrem zarten Leib!
TITUS.
Wie, hat dich Kummer schon verrückt gemacht?
Ich, Marcus, darf allein im Wahnsinn sprechen.
Gewaltsam Hand anlegen sollte sie?
Ach, warum nanntest du den Namen Hand?
So mußt' Äneas zweimal Rede stehn,
Wie Troja brannt' und er ins Elend kam.
Handhabe nichts, wo man von Händen spricht,
Nicht stets zu mahnen, daß wir keine haben! –
– Pfui! wie im Fieber klingt es, was ich sprach;
Als dächten wir an unsre Hand nicht mehr,
Wenn Marcus unsrer Hände nicht erwähnt! –
Kommt, fangt nun an! Iß dies, mein süßes Mädchen, –
– Hier fehlt zu trinken. – Hör' doch, was sie spricht:
All ihre Marterzeichen merk' ich leicht:
Sie sagt, sie kennt nur Tränen als Getränk,
Ihr Becher sei die Wang', ihr Aug' die Kelter.
Sprachlose Klag'! Ich forsche deinen Sinn,
Dein stummes Reden lern' ich so verstehn,
[47]
Wie bettelnde Einsiedler ihr Brevier.
Du sollst nicht seufzen, nicht zum Himmel sehn,
Nicht winken, nicken, Zeichen machen, knien,
Daß ich daraus nicht füg' ein Alphabet
Und still mich übend lerne, was du meinst.
KNABE.
Großvater, laß die Klagen herb und wild:
Erheitre meine Muhme durch ein Märchen!
MARCUS.
Der zarte Knabe, ach! bewegt von Mitleid,
Weint, so in Schwermut seinen Ahn zu sehn! –
TITUS.
Still, zarter Sproß; du bist geformt aus Tränen,
Und Tränen schmelzen bald dein Leben hin!

Marcus schlägt mit dem Messer auf den Teller.

Wonach schlugst du mit deinem Messer, Marcus?
MARCUS.
Ich traf und schlug sie tot; 'ne Fliege war's.
TITUS.
Schäme dich, Mörder; du erschlugst mein Herz;
Mein Aug' ist übersatt von Tyrannei:
Ein Mord, an dem unschuld'gen Tier geübt,
Ziemt Titus' Bruder nicht: – steh auf und geh!
Ich seh', du taugst für meinen Umgang nicht.
MARCUS.
O Lieber! Eine Flieg' erschlug ich nur! –
TITUS.
Wenn nun die Fliege Vater hatt' und Mutter?
Wie senkt' er dann die zarten goldnen Schwingen,
Und summte Klag' und Jammer durch die Luft!
Harmloses, gutes Ding,
Das mit dem hübschen, summenden Gesang
Herflog, uns zu erheitern; und du tötest sie!
MARCUS.
Vergib; 'ne schwarze, garst'ge Fliege war's,
Ganz wie der Kais'rin Mohr; drum schlug ich sie.
TITUS.
Oh, oh, oh,
Ja, dann vergib mir, wenn ich dich gescholten,
Denn eine Tat der Gnade übtest du.
Gib mir dein Messer, ich will sie zerhaun,
Mir schmeicheln, diesen Mohren hätt' ich hier,
Der eigens herkam, um mir Gift zu streun.
Das nimm für dich! und dies für Tamora!
Ah, Bube!
Ich denke doch, so sind wir nicht herunter,
[48]
Daß wir am Tisch hier nicht 'ne Flieg' erschlügen,
Die kohlschwarz wie ein Mohr sich zu uns drängt!
MARCUS.
Ach, armer Mann! Er hält, von Gram zerstört,
Trügliche Schatten für ein wahres Ding! –
TITUS.
Kommt, räumt nun auf: Lavinia, geh mit mir,
Ich folg' dir in dein Zimmer, lese dir
Leidvolle Märchen vor aus alter Zeit.
Komm, Knabe, folge mir; dein Aug' ist jung,
Und du sollst lesen, wenn sich meines trübt.

Sie gehn ab.
[49]

Vierter Aufzug

Erste Szene
Vor dem Hause des Titus.

Der junge Lucius, mit Büchern unterm Arm, läuft vor Lavinien, die ihm nachfolgt. Dann kommen Titus und Marcus.

KNABE.
Großvater, hilf! Muhme Lavinia
Verfolgt mich allenthalb, weiß nicht warum.
Sieh, Oheim Marcus, sieh, wie schnell sie kommt!
Ach, liebste Muhm', ich weiß nicht, was du willst!
MARCUS.
Komm zu mir, Lucius, fürchte nicht die Muhme!
TITUS.
Sie liebt dich, Kind, zu sehr, dir Leid zu tun.
KNABE.
O ja, als noch mein Vater war in Rom! –
MARCUS.
Was deuten diese Zeichen, teure Nichte?
TITUS.
Fürchte nicht, Lucius: etwas meint sie jetzt; –
– Sieh, Lucius, sieh, wie viel sie von dir hält;
Sie will, daß du ihr dorthin folgen sollst.
Ah, Kind, Cornelia las mit ihren Söhnen
So eifrig nie, als sie mit dir studiert
Die Poesie und Tullius' Redekunst.
[MARCUS.]
Errätst du nicht, was sie von dir begehrt?
KNABE.
O Herr, ich weiß nicht, noch errat' ich es,
Wenn nicht ein schneller Wahnsinn sie ergriff:
Denn oftmals hört' ich vom Großvater schon,
Den Geist verwirr' ein Übermaß des Grams;
Und las, wie die trojan'sche Hekuba
Toll ward durch Kummer: das erschreckte mich,
Obschon ich weiß, die edle Muhme liebt
So zärtlich mich, als meine Mutter tat,
Und nur im Fieber könnte sie mich schrecken.
So warf ich denn die Bücher hin und lief,
[50]
Vielleicht um nichts: doch, Muhme, seid nicht bös!
Und, Base, wenn mein Oheim Marcus folgt,
Dann will ich mit Euch gehn, wohin es sei.
MARCUS.
Das will ich, Lucius.
TITUS.
Wie nun, Lavinia? Was bedeutet dies?
Hier muß ein Buch sein, das sie wünscht zu sehn:
Von diesen, welches? Knabe, schlag' sie auf:
Doch du hast mehr und andre Schrift gelesen;
Komm, wähl' in meinem ganzen Büchersaal,
Und so vergiß dein Leid, bis das Geschick
Enthüllt den argen Stifter dieser Tat. –
Was hebt sie wechselnd ihre Arm' empor?
MARCUS.
Sie meint wohl, denk' ich, daß noch mehr als ein
Verschworner mitgewirkt: – Gewiß, so war's: –
Wo nicht, ruft sie des Himmels Zorn herab.
TITUS.
Lucius, welch Buch ist das, woran sie stößt?
KNABE.
Herr, des Ovid Metamorphosen sind's:
Die Mutter gab sie mir.
MARCUS.
Aus Liebe zur Verstorbnen
Wählte sie's aus der Menge wohl hervor.
TITUS.
Still, still! wie emsig sie die Blätter dreht!
Helft ihr:
Was sucht sie doch? Lavinia, soll ich lesen?
's ist Philomelens tragische Erzählung,
Des Tereus böse List, Gewalt und Raub;
Und Raub war, fürcht' ich, Wurzel deiner Marter.
MARCUS.
Sieh, Bruder! Merk', das Blatt bezeichnet sie.
TITUS.
Wardst du so überrascht, mein süßes Kind,
Beraubt, entehrt, wie Philomele ward?
Geschwächt im wüsten, mitleidslosen Wald?
Seht, seht! –
Ja, solch ein Tal ist dort, wo wir gejagt
(Oh, hätten wir doch nie, nie dort gejagt!), –
Genau, wie uns der Dichter Kunde gibt,
Von der Natur geprägt zu Raub und Mord.
MARCUS.
Wie schuf so wüsten Talgrund die Natur,
Wenn Götter der Tragödien sich nicht freun?
TITUS.
Gib Zeichen, Kind, – hier sind ja Freunde nur –,
[51]
Wer ist der Römer, der die Tat gewagt?
Schlich Saturnin heran, wie einst Tarquin,
Als er vom Heer sich zu Lucretien stahl?
MARCUS.
Setz' dich, Lavinia; – Bruder, setz' dich her! –
Apollo, Pallas, Jupiter, Merkur,
Erleuchtet mich, den Täter zu erspähn! –
Bruder, sieh her, – geliebte Nichte, sieh;

Er schreibt seinen Namen mit seinem Stabe, den er mit dem Munde und den Füßen führt.

Hier auf dem ebnen Sande, wenn du kannst,
Schreib' du, wie ich jetzt meinen Namen zog,
Ganz ohne Hülf' und Beistand unsrer Hände.
Verfluchtes Herz, das zu dem Spiel uns zwingt!
Schreib', süßes Kind! und zieh ans Licht zuletzt,
Was unsrer Rach' entdecken will der Himmel:
Lenk' ihre Feder, Gott! ihr Leid zu schreiben,
Tu' uns den Frevler und die Wahrheit kund! –

Sie nimmt den Stab in den Mund, führt ihn mit den verstümmelten Armen, und schreibt.
TITUS.
O Bruder! Lies, was sie geschrieben hat!
Stuprum – Chiron – Demetrius.
MARCUS.
Was? Tamoras verbuhltes Knabenpaar
Vollbringer dieser blut'gen, schwarzen Tat?
TITUS.
– Magne dominator poli,
Tam lentus audis scelera? tam lentus vides?
MARCUS.
Oh, ruhig, teurer Bruder, – schrieb sie gleich
Mehr als zu viel auf diesen Boden hin,
Die Sanftmut selbst zur Notwehr zu empören
Und Kinder aufzustürmen zum Entschluß! –
Knie' mit mir nieder, Bruder, Nichte, knie',
Und Knab', auch du, des röm'schen Hektors Trost:
Schwört mir (wie dem unsel'gen Gatten einst
Und Vater der entehrten keuschen Frau
Held Brutus bei Lucretiens Leiche schwur) –,
Ausüben wollen wir nach bestem Rat
Tödliche Rach' an jenen tück'schen Goten,
Sie morden, oder selbst als Feige sterben.
[52] TITUS.
Recht schön von dir, wenn du nur wüßtest, wie?
Doch triffst du nur die Jungen, dann gib acht:
Du weckst die Alte; wittert sie den Streich,
Ei, mit dem Löwen ist sie eng im Bund,
Und wiegt ihn ein, auf ihrem Rücken spielend,
Und schläft er erst, dann tut sie, was sie will.
Du bist zur Jagd noch jung, drum laß es gut sein!
Wart' nur! ein Täflein hol' ich her von Erz,
Und grabe drauf mit scharfem Stahl die Namen,
Und berg' es: sonst verweht der tück'sche Nord
Wie der Sibylle Blätter diesen Sand,
Und dann, wie ständ's um unsre Lektion?
Was sagst du, Knabe?
KNABE.
Ich sage, teurer Herr, wär' ich ein Mann,
Nicht ihrer Mutter Schlafgemach beschützte
Dies Knechtsgezücht, das röm'sche Ketten trug.
MARCUS.
Recht, wackrer Knab'! Oft tat dein Vater schon
Das Gleiche für sein undankbares Volk.
KNABE.
Und leb' ich, Oheim, tu' ich so wie er.
TITUS.
Komm, geh mit mir in meinen Waffensaal:
Lucius wird ausgestattet; und mein Knabe
Soll gleich von mir den Söhnen Tamoras
Geschenke bringen, die ich senden will.
Komm, du bestellst die Botschaft; willst du nicht?
KNABE.
Großvater, ja; mein Dolch für ihre Brust!
TITUS.
Nein, Kind, nicht so; ich lehr' dich andern Weg.
Lavinia, komm; Marcus, geh in mein Haus!
Lucius und ich, wir setzen's durch bei Hof,
Ja traun, das tun wir, und wir finden Gunst.

Sie gehn ab bis auf Marcus.
MARCUS.
Götter! Könnt ihr den Guten weinen sehn,
Und lenkt nicht ein, und hegt kein Mitgefühl?
Marcus, verlass' ihn nicht in diesem Wahnwitz;
Mehr Narben trägt sein gramverwundet Herz,
Als Feindesscharten sein zerstoßner Schild;
Und doch so treu, daß er nicht Rache sucht;
Rächt, Götter, denn den Greis Andronicus!

Ab.
[53]
Zweite Szene
Ein Zimmer im kaiserlichen Palast.

Von der einen Seite treten auf Aaron, Chiron und Demetrius; von der andern der junge Lucius und ein Knabe, der ein Bündel Waffen trägt, um welches Verse geschrieben stehn.

CHIRON.
Demetrius, hier ist des Lucius Sohn,
Der eine Botschaft uns bestellen soll.
AARON.
'ne tolle Botschaft wohl vom tollen Alten!
KNABE.
Ihr Herrn, mit aller schuld'gen Demut meld' ich
Titus Andronicus' ergebnen Gruß; –

Beiseit.

Und fleh' die Götter Roms, euch zu verderben.
DEMETRIUS.
Hab' Dank, mein art'ges Kind! Was Neues gibt's?
KNABE beiseit:
Daß wir euch beid' entlarvt, das Neue gibt's,
Als räuberische Schurken. –

Laut.
Edle Herrn,
Mit Vorbedacht schickt mein Großvater euch
Die schönsten Klingen seines Waffensaals
Als eurer würd'gen Jugend Lust und Schmuck,
Der Hoffnung Roms: denn also sagt' er's mir,
Und so bestell' ich's jetzt, und liefr' euch ab
Sein Gastgeschenk: daß, wenn ihr's einst bedürft,
Ihr stattlich seid gerüstet und bewehrt. –
Und somit lass' ich euch,

beiseit

als blut'ge Schurken.

Ab.
DEMETRIUS.
Nun, was ist dies? Ein Blatt, rundum beschrieben?
Laßt sehn:
Integer vitae, scelerisque purus,
Non eget Mauri jaculis, neque arcu.
CHIRON.
Der Vers steht im Horaz, ich kenn' ihn wohl;
Ich las ihn in der Schul' als Knabe schon.
AARON.
Jawohl, das schreibt Horaz, Ihr traft es gut.

Beiseit.

Nun sieht man doch, ein Esel hat kein Arg!
Dies ist kein Scherz; der Alte hat's entdeckt,
Und schickt mit solcher Aufschrift sein Geschoß,
Die, ohne daß sie's ahnen, trifft ins Herz.
Wär' unsre witz'ge Kaiserin wohlauf,
Sie klatschte Beifall Titus' spitzem Wort:
Doch mag sie ruhn, unruhig wie sie ist. –

[54] Laut.

Nun, junge Herrn, war's nicht ein gut Gestirn,
Das uns als Fremde hergeführt nach Rom,
Ja als Gefangne, zu so hohem Glück?
Es tat mir wohl, als ich am Burgtor trotzte
Im Beisein seines Bruders dem Tribun.
DEMETRIUS.
Und mich ergötzt noch mehr, daß solch ein Held
Uns fröhnt in Demut und Geschenke beut.
AARON.
Hatt' er's nicht Ursach', Prinz Demetrius?
Gingt ihr nicht freundlich mit der Tochter um?
DEMETRIUS.
Ich wollt', wir hätten tausend röm'sche Frau'n,
Auf gleichen Kauf uns wechselnd zu erfreun.
CHIRON.
Ein liebevoller Wunsch! Ein fromm Gebet!
AARON.
Wär' eure Mutter hier, sie spräche Amen.
CHIRON.
Das täte sie für zwanzigtausend mehr.
DEMETRIUS.
Kommt, gehn wir; und zu allen Göttern fleht
Für unsre Mutter, die in Wehen liegt.
AARON
beiseit.
Zu Teufeln fleht; kein Gott will von uns wissen.

Man hört Trompeten im Palast.
DEMETRIUS.
Was blasen die Trompeten im Palast?
CHIRON.
Vielleicht erfreut den Kaiser jetzt ein Sohn.
DEMETRIUS.
Still da! Wer kommt? –

Eine Wärterin kommt mit einem schwarzen Kinde.
WÄRTERIN.
Gott grüß' euch, liebe Herrn!
O sagt mir an, wo Aaron ist, der Mohr?
AARON.
Aaron ist hier; was soll's mit Aaron sein?
WÄRTERIN.
O lieber Aaron! Alles ist vorbei! –
Nun hilf, sonst komme Fluch auf dich hinab!
AARON.
Was gibt's? Was soll der Zeter, das Geschrei?
Was wickelst und verhüllst du in dein Tuch?
WÄRTERIN.
Oh, was ich vor der Sonne gern versteckt',
Der Kais'rin Schmach, des großen Roms Entehrung!
Sie ist entbunden, Herrn, sie ist entbunden.
AARON.
Von welchem Eid?
WÄRTERIN.
Sie kam ins Wochenbett.
AARON.
Nun denn, der Himmel
Geb' ihr 'ne gute Nacht! Was schickt' er ihr?
[55] WÄRTERIN.
Einen Teufel.
AARON.
Eines Teufels Mutter? Welch erwünschter Sproß!
WÄRTERIN.
Verwünschter, schnöder, schwarzer, wüster Sproß!
Hier ist das Kind, so widrig wie ein Molch
Bei weißen Kreaturen unsres Lands.
Dein Siegel, deinen Abdruck schickt sie dir,
Und mit des Dolches Spitze tauf' ihn jetzt!
AARON.
Geh mir, du Hur'! Ist Schwarz so schlimme Farbe?
Du Dickkopf bist 'ne schöne Blüte, gelt?
DEMETRIUS.
Schurk', was hast du gemacht?
AARON.
Gemacht, was du
Nicht kannst zunichte machen.
CHIRON.
Unsre Mutter
Hast du vernichtet!
AARON.
Nein, verpflichtet, Schurke!
DEMETRIUS.
Und eben dadurch, Höllenhund; vernichtet! –
Fluch dieser Tat! Fluch ihrer ekeln Wahl!
Verflucht der Sprößling solches schnöden Teufels! –
CHIRON.
Er soll nicht leben!
AARON.
Sterben soll er nicht.
WÄRTERIN.
Aaron, er muß, und seine Mutter will's.
AARON.
Was muß er? Nun, so soll kein Mann als ich
An meinem Fleisch und Blut den Spruch vollziehn.
DEMETRIUS.
Auf meinen Degen spieß' ich gleich den Molch:
Gib mir ihn her, so ist es abgetan.
AARON.
Eh' wühlt dies Schwert in Euern Eingeweiden! –
Halt, Mörder! Euern Bruder schont ihr nicht?
Nun bei dem Sternenglanz des Firmaments,
Der lustig schien, als ich den Schelm gezeugt, –
Der stirbt durch meines Säbels scharfen Stahl,
Der meinem ältsten Sohn und Erben naht.
Ich sag' euch, Burschen, nicht Enceladus
Mit seiner droh'nden Schar aus Typhons Brut,
Noch Herkules, noch selbst der Gott des Kriegs,
Raubt diese Beut' aus seines Vaters Hand.
Was? Ihr blutdürst'gen Buben, schalen Geistes,
Weißkalk'ge Wände, bunte Bierhauszeichen:
Kohlschwarz gilt mehr als jede andre Farbe;
[56]
Denn alle Wasserflut im weiten Meer
Wäscht nicht des Schwanes schwarze Füße weiß,
Obschon er stündlich sie im Meere spült. –
Sag du der Kais'rin, ich sei alt genug,
Was mein, zu schützen; trag' sie's, wie sie mag! –
DEMETRIUS.
So willst du deine Herrin frech verraten?
AARON.
Herrin ist meine Herrin; dies ich selbst,
Das Mark und Abbild meiner Jugendkraft;
Dies ist mir teurer als die ganze Welt,
Dies will ich retten trotz der ganzen Welt,
Sonst glaubt noch mancher dran von euch in Rom.
DEMETRIUS.
Dies bringt auf unsre Mutter ew'gen Schimpf!
CHIRON.
Rom wird sie schmähn um diese Mißgeburt! –
WÄRTERIN.
Des Kaisers Wut wird sie dem Tode weihn!
CHIRON.
Ich muß erröten, denk' ich diese Schmach! –
CHIRON.
Da seht das Vorrecht, das euch Schönheit bringt!
Pfui, feiges Weiß, das durch Erröten meldet,
Was in geheim das Herz beschließt und fühlt! –
Hier ist ein Bursch, geprägt aus anderm Ton:
Seht, wie der schwarze Schelm anlacht den Vater,
Als wollt' er sagen: »Alter, ich bin dein!«
Der ist eu'r Bruder, Prinzen: frisch genährt
Vom selben Blut, das euch das Leben gab;
Aus jenem Schoß, wo ihr gefangen wart,
Ist er entfesselt und ans Licht gebracht:
Eu'r Bruder von der sichern Seite, traun,
Obgleich sein Antlitz meinen Stempel trägt.
WÄRTERIN.
Aaron, was meld' ich nun der Kaiserin?
DEMETRIUS.
Bedenk' dich, Aaron, wie zu helfen sei,
Und wir sind alle deinem Rat geneigt:
Rette das Kind, wenn du uns all' errett'st!
AARON.
Setzen wir uns, und überlegt mit mir!
Mein Sohn und ich, wir sind hier außerm Schuß,
Bleibt dort; nun, wie's euch gut dünkt, sprecht von Rettung!

Sie setzen sich auf die Erde nieder.
DEMETRIUS.
Wie viele Frauen sahn dies Kind von ihm?
AARON.
Seht, liebe Herrn, wenn wir uns einig sind,
[57]
Bin ich ein Lamm: doch bietet Trotz dem Mohren,
Und Aaron stürmt, wie das empörte Meer,
Wie Eber wild und Löwen im Gebirg'. –
Nun sag noch einmal, wie viel Frauen sahn's?
WÄRTERIN.
Cornelia, die Hebamme, und ich selbst;
Sonst kein' als die entbundne Kaiserin.
AARON.
Die Kais'rin, – die Hebamme, – und du selbst?
Zwei schweigen wohl, ist nur die Dritte fort:
Geh hin zur Kais'rin, sprich, dies sagt' ich dir! –

Er ersticht sie.

Quiek, quiek! So schreit das Ferkel, das man spießt.
DEMETRIUS.
Was meinst du, Aaron? Warum tatst du dies?
AARON.
Nun, meiner Treu, aus weiser Politik;
Ließ' ich sie gehn, verriet' sie unser Spiel,
Die schwatzende Gevatt'rin! Nein, ihr Herrn;
Und nun erfahrt den Plan, den ich ersann:
Mein Landsmann Muliteus lebt nah von hier,
Des Weib erst gestern in die Wochen kam;
Der gleicht das Kind und ist so weiß wie ihr.
Geht, kartet's ab und gebt der Mutter Gold,
Und beiden sagt den Hergang recht genau,
Und wie ihr Kind hiedurch zu Ehren kommt,
Und als des Kaisers Erbe gelten wird,
Und an die Stelle tritt des meinigen,
Den Sturm zu sänft'gen, der am Hofe droht;
Der Kaiser mög' es herzen dann als seins.
Hört nun: Ihr seht, ich gab ihr Arzenei,
Und ihr müßt jetzt ihr Totengräber sein.
Das Feld ist nah, ihr seid ein rüstig Paar;
Dies wohl besorgt, verliert mir keine Zeit,
Schickt die Hebamme mir im Augenblick:
Hebamm' und Wärterin beiseit geschafft,
Dann laßt die Weiber schwatzen, wie's beliebt!
CHIRON.
Aaron, ich merke, nicht einmal der Luft
Vertraust du.
DEMETRIUS.
Daß du so der Mutter schonst,
Muß sie, wie ihre Söhne, herzlich danken.
Chiron und Demetrius gehn ab.
[58] AARON.
Nun zu den Goten schnell wie Schwalbenflug!
Dort bring' ich diesen Schatz in Sicherheit
Und grüß' der Kais'rin Freunde insgeheim. –
Komm, du breitmäul'ger Schelm, ich trag' dich fort,
Denn du hast uns in all die Not gebracht.
Mit Wurzeln füttr' ich dich und wilden Beeren,
Mit Rahm und Molken; Ziegen sollst du saugen,
In Höhlen wohnen; so zieh' ich dich auf
Zum tapfern Kriegesmann und General.

Ab.
Dritte Szene
Straße.

Titus, der alte Marcus, der Knabe Lucius und andre treten auf mit Bogen; Titus trägt die Pfeile, an deren Enden Briefe befestigt sind.

TITUS.
Komm, Marcus, komm; Vettern, hier ist der Ort.
Nun, Kleiner, zeig' mir deine Bogenkunst;
Seht, daß ihr wacker spannt, so trefft ihr's wohl.
Terras Astraea reliquit; –
Denk' dran, mein Marcus, sie ist fort, entflohn;
Du nimm dir dein Gerät; ihr, Vettern, müßt
Das Meer ergründen und die Netze werfen,
Ihr findet sie vielleicht dann in der See.
Doch da wohnt Recht so wenig als am Land! –
Nein, Publius und Sempronius, ihr müßt's tun;
Ihr grabt mir mit dem Spaten, mit dem Karst,
Dringt vor bis zu der tiefsten Erde Kern;
Dann, wenn ihr kamt in Plutos Region,
Ich bitt' euch, reicht ihm diese Bittschrift ein;
Sagt ihm, Gerechtigkeit und Hülfe fehlen,
Und daß euch sandte Greis Andronicus,
Von Gram gebeugt im undankbaren Rom.
Ah, Rom! Ja, ja, ich führte dich ins Elend,
Damals, als ich des Volkes Stimme warb
Für ihn, der jetzt mich heimsucht als Tyrann.
Geht, geht! Ich bitt' euch, habt mir acht und forscht,
Und laßt mir ja kein Kriegsschiff undurchsucht: –
[59]
Falls sie der Kaiser über Meer geschifft,
Dann, Vettern, pfeift nur nach Gerechtigkeit!
MARCUS.
O Publius! Ist das nicht ein Trauerfall,
Den edlen Oheim so im Wahnsinn sehn?
PUBLIUS.
Deshalb, o Herr, ist unsre nächste Pflicht,
Ihm Tag und Nacht getreulich nah zu sein
Und seiner Laune freundlich nachzugeben,
Bis Zeit ein heilsam Mittel ihm gewährt. –
MARCUS.
Kein heilsam Mittel hilft für solchen Gram! –
Stoßt zu den Goten, und ein Rachekrieg
Bringe Ruin dem undankbaren Rom,
Und Rache am Verräter Saturnin!
TITUS.
Nun, Publius? Nun, liebe Herrn,
Sagt mir, traft ihr sie schon?
PUBLIUS.
Nein, teurer Herr! Doch Pluto läßt erwidern,
Wollt Ihr von ihm die Rache, schickt er sie;
Gerechtigkeit sei in Geschäften oben,
Er meint, beim Jupiter, – vielleicht wo anders –,
So daß Ihr Euch durchaus gedulden müßt. –
TITUS.
Er kränkt mich, hält er mich mit Zögern hin!
Ich tauche selbst in jenen Flammensee,
Und zieh' sie bei den Fersen aus dem Styx.
Marcus, wir sind nur Sträuche, Zedern nicht,
Nicht Riesen nach Zyklopenart geformt;
Zwar Erz, mein Marcus, Stahl bis an den Nacken,
Doch leidgebeugt, mehr als der Nacken trägt.
Und weil kein Recht auf Erden, noch im Orkus,
Woll'n wir zum Himmel, zu den Göttern flehn,
Uns Recht herab zu senden, uns zum Trost.
Kommt, Hand ans Werk! Hier, Marcus, wackrer Schütz,

Er verteilt die Pfeile.

Ad Jovem, den nimm du; hier ad Apollinem, –
Ad Martem, diesen nehm' ich selbst. –
Hier, Knab', an Pallas; – der hier an Merkur,
Saturn und Coelus: nicht an Saturnin, –
Das wär', als schösst' ihr gegen Sturm und Wind! –
Nun, Knabe, frisch; sowie ich winke, schießt!
[60]
Verlaßt euch drauf, ich schrieb es mit Bedacht; –
Da ist kein Gott, zu dem ich nicht gefleht.
MARCUS.
Vettern, schießt alle Pfeil' ihm in den Burghof;
Verwunden laßt uns dieses Kaisers Stolz!
TITUS.
Nun zieht die Sennen! –

Sie schießen.

Wohlgetroffen, Lucius! –
Brav, Knab'! In Virgos Schoß; nun hilf Minerva!
MARCUS.
O Herr, weit übern Mond schoß ich hinaus,
Eu'r Brief muß jetzt beim Jupiter schon sein.
TITUS.
Ha, Publius, Publius! Was hast du vollbracht?
Sieh, eins von Taurus' Hörnern abgeschossen!
MARCUS.
Titus, das war der Spaß: als Publius schoß,
Ward Taurus wild, gab Aries solchen Stoß,
Daß sein Gehörn herabfiel in den Hof;
Wer, meint Ihr, fand's, als Tamoras Gesell?
Sie lacht' und rief dem Mohren, augenblicks
Dem Kaiser es zu bringen als Geschenk.
TITUS.
So paßt sich's recht! Gott geb' Eu'r Hoheit Freude!

Ein Bauer tritt auf, der einen Korb mit zwei Tauben trägt.

Nachricht vom Himmel, Marcus! Sieh den Boten!
Was bringst du, Freund? Sind Briefe da für uns?
erscheint uns Recht? Was sagt der Lenker Zeus?
BAUER.

Holla! Was der Henker Neues sagt? Er sagt, er hat den Galgen noch nicht in Ordnung, denn der Mensch soll erst nächste Woche hängen.

TITUS.
Still! Was erwidert Zeus, ich frag' es nochmals?
BAUER.
Ach, Herr, Euern Zeisig kenn' ich nicht, mit dem hab' ich all meine Lebtage nicht getrunken.
TITUS.
Wie! Bist du sein Briefträger nicht, Gesell?
BAUER.
Meine Tauben habe ich hergetragen, Herr, sonst nichts.
TITUS.
So kommst du nicht vom Himmel?
BAUER.

Vom Himmel? Ach, gnädiger Herr, da bin ich nie gewesen; Gott behüte mich, daß ich so dreist sein sollte, und mich in meinen jungen Tagen in den Himmel eindrängen. Seht, ich gehe mit meinen Tauben zu dem Tribunalplebs, weil ich einen Zank zwischen meinem Vetter und einem von Seiner Kaiserlichkeit Bedienten schlichten helfen will.

[61] MARCUS.

Seht, Bruder, das kommt uns so gelegen wie möglich, um Eure Supplik zu unterstützen; laßt Ihr dem Kaiser die Tauben in Euerm Namen bringen!

TITUS.
Sag mir, kannst du dem Kaiser eine Supplik mit einiger Grazie einreichen?
BAUER.
Nein, bewahre Gott, Herr, mit dem Gratias habe ich all meine Tage nicht fertig werden können.
TITUS.
Freund, komm heran, mach' nicht viel Wesens hier;
Gib deine Tauben in des Kaisers Hand,
Ich schaffe dir Gerechtigkeit von ihm;
Wart' noch, hier hast du Geld für deine Müh'!
Gebt mir Papier und Feder!
Reichst du mir die Supplik mit Grazie ein?
BAUER.
Ja, Herr.
TITUS.

Hier also ist ein Gesuch für dich. Und wenn du vor ihm erscheinst, mußt du beim ersten Eintritt knien, dann ihm die Füße küssen, dann deine Tauben überreichen, dann deinen Lohn erwarten. Ich werde in der Nähe sein, Bursch; sieh zu, daß du deine Sache gut machst!

BAUER.
Seid unbesorgt, Herr, laßt mich nur machen!
TITUS.
Hast du ein Messer, Bursch? Komm, zeig' es mir!
Hör', Marcus, falt' es in die Bittschrift ein;
(Du schriebst ja wie ein armer Bittender, –)
Und wenn du sie dem Kaiser überreicht,
Klopf' an mein Tor, und sag mir, was er sprach!
BAUER.
Gott befohlen, Herr, ich will's tun.
TITUS.
Komm, Marcus, gehn wir; folg' mir, Publius!

Alle ab.
Vierte Szene
Im Palast.

Es treten auf der Kaiser, die Kaiserin und ihre Söhne; der Kaiser hält die von Titus abgeschossenen Pfeile in seiner Hand.

SATURNINUS.
Wie dünkt euch solche Kränkung? Bot man je
Roms kaiserlichem Herrscher solchen Trotz,
Belästigt und erzürnt ihn? – Höhnt ihn so,
[62]
Weil er das Recht erfüllt, den Spruch vollzog?
Ihr wißt es, Herrn, gleich den allseh'nden Göttern, –
(Was auch die Störer unsrer Ruh' dem Volk
Ins Ohr geraunt –), daß nichts entschieden ward
Wider des alten Titus frechen Stamm,
Als nach Gesetz und Recht. Und ob nun auch
Der Kummer seine Sinne so zerstört,
Darf seine Rachgier, Fieberhitz' und Zorn
Und seine Bitterkeit uns so bedrohn?
Nun schreibt er an die Götter um Ersatz:
Seht, hier an Jupiter, dies dem Merkur,
Dies an Apollo, dies dem Gott des Kriegs: –
Recht saubre Zettel für den röm'schen Markt!
Heißt das nicht Läst'rung wider den Senat,
Verdammung unsres ungerechten Sinns?
Ein angenehmer Scherz, nicht wahr, ihr Herrn?
Als wollt' er sagen, Rom kennt kein Gesetz!
Doch, wenn ich lebe, soll verstellter Wahnsinn
Ihm keinen Schutz für diesen Hohn verleihn;
Er soll erfahren, daß Gerechtigkeit
Noch lebt in Saturnin, die, schläft sie gleich,
Jetzt so erwachen wird, daß ihre Wut
Vernichten soll den stolzesten Verschwörer.
TAMORA.
Mein gnäd'ger Fürst, geliebter Saturnin,
Herr meines Lebens, Herrscher meines Sinns,
Sei mild, vergib dem alterschwachen Greis:
Ihn tört der Gram um seine tapfern Söhne,
Der ihm ins Mark dringt und die Brust durchbohrt.
Erleichtre lieber sein unselig Los,
Als daß du strafst den Niedern oder Höchsten
Für solche Kränkung!

Beiseit.

Also, schlau gewandt,
Muß Tamora mit jedem freundlich tun;
Doch Titus, dir verwundet' ich das Herz,
Und traf dein Leben; ist nur Aaron klug,
Geht alles wohl, im Hafen ankern wir.

Der Bauer kommt.
Was gibt's, mein Freund, bringst du uns ein Gesuch?
[63] BAUER.
Ja freilich, wenn Euer Wohlgeboren kaiserlich sind.
TAMORA.
Ich bin die Kaiserin; dort sitzt der Kaiser.
BAUER.

Das ist er? Gott und Sankt Stephan geben Euch einei guten Abend; ich habe Euch einen Brief gebracht und ein Paar Tauben.


Der Kaiser liest den Brief.
SATURNINUS.
Führt ihn hinweg und hängt ihn alsogleich!
BAUER.
Wie viel Geld krieg' ich?
TAMORA.
Geh, Freund, du wirst gehängt.
BAUER.
Gehängt! Meiner Seel', so nimmt mein Hals ein saubres Ende. Ab.
SATURNINUS.
Schmachvoll und unerträglich! Welcher Hohn!
Ich weiß, von wem der ganze Einfall stammt;
Ich trag' es nicht! Als ob die Frevlerbrut,
Gefällt nach Recht für unsres Bruders Mord,
Von mir geschlachtet wäre wider Recht!
Geht, schleppt den Schurken bei den Haaren her:
Nicht Alter, Würde sei ein Vorrecht ihm:
Für diesen Spott will ich sein Schlächter sein;
Verstellt wahnwitz'ger Hund! zur Krone halfst du,
In Hoffnung, über Rom und mich zu herrschen! –

Ämilius tritt auf.

Was gibt's, Ämilius?
ÄMILIUS.
Zu den Waffen, Herr! Rom hatte nie mehr Grund:
Es naht ein Gotenheer; mit einer Macht
Entschloßner Krieger, die nach Beut' entflammt,
Ziehn sie heran in schnellem Marsch, geführt
Von Lucius, dem Sohn Andronicus',
Der droht, in seiner Rache zu erfüllen,
So viel als jemals Coriolan vollbracht.
SATURNINUS.
Der tapfre Lucius führt das Gotenheer?
Die Zeitung sticht; und wie die Blum' im Frost,
Wie Gras geknickt vom Sturm häng' ich das Haupt.
Ja, nun beginnt die Sorge mir zu nahn:
Er ist es, den der Pöbel stets geliebt;
Ich selber hörte klagen unterm Volk
(Wenn ich umherging wie ein Bürgersmann),
[64]
Daß Lucius widerrechtlich sei verbannt,
Und wie sie Lucius sich zum Kaiser wünschten.
TAMORA.
Was fürchtet Ihr? Ist unsre Stadt nicht fest?
SATRUNINUS.
Ja, doch die Bürger sind dem Lucius hold,
Und fallen ab von uns, ihm beizustehn.
TAMORA.
Sei wie dein Name kaiserlich gesinnt!
Verfinstert auch die Sonn' ein Mückenschwarm?
Der Adler duldet kleiner Vögel Sang,
Ganz unbekümmert, was ihr Zwitschern meint.
Er weiß, wie mit dem Schatten seiner Flügel
Er nach Gefallen sie zum Schweigen bringt:
So kannst auch du die Schwindelköpfe Roms.
Drum Mut gefaßt! Denn wisse, mein Gemahl,
Ich will bezaubern den Andronicus
Mit Worten, süßer und gefährlicher
Als Wurm dem Fisch und Honigklee dem Schaf:
Da jenem mit dem Wurm der Hamen droht,
Und diesem Krankheit bringt die süße Kost.
SATURNINUS.
Doch nimmer bittet er für uns den Sohn!
TAMORA.
Wenn Tamora ihn bittet, wird er's tun;
Denn schmeicheln kann ich, und sein Ohr erfüllen
Mit goldner Hoffnung, daß, wär' auch sein Herz
Fast unangreifbar, taub sein altes Ohr,
Doch meine Zung' ihm Herz und Ohr besiegt. –
Geh du voran, sei Abgesandter uns,
Sag, daß der Kaiser ein Gespräch begehrt
Vom tapfern Lucius; laß den Ort bestimmen!
SATURNINUS.
Ämilius, führ' die Botschaft würdig aus,
Und wünscht er Geiseln ihm zur Sicherheit,
So nenn' er selbst, welch Unterpfand er heischt!
ÄMILIUS.
Den Auftrag werd' ich alsobald vollziehn.

Ab.
TAMORA.
Jetzt eil' ich zu dem Greis Andronicus:
Mit allen meinen Künsten täusch' ich ihn,
Daß er den Lucius abruft von dem Heer.
Nun, teurer Kaiser, sei vergnügten Muts,
Und alle Furcht begrab' in meiner List!
SATURNINUS.
So geh nun augenblicks und wirb um ihn!

Sie gehn ab.
[65]

Fünfter Aufzug

Erste Szene
Lucius tritt auf mit gotischen Hauptleuten. Trommeln.

LUCIUS.
Bewährte Krieger, Freunde, treu erprobt,
Botschaft erhielt ich aus dem großen Rom,
Wie sehr dem Volk der Kaiser jetzt verhaßt,
Und wie's in Sehnsucht unsrer Ankunft harrt.
Drum, edle Herrn, seid, wie ihr Anspruch habt,
Kräftig im Zorn, unduldsam jener Schmach;
Und wie euch damals Rom erniedrigte,
So nehmt euch jetzt dreifältigen Ersatz!
GOTE.
Du tapfrer Zweig von Titus' großem Stamm,
Des Ruhm einst unser Schreck, jetzt unser Trost,
Des hohe Taten und erhabnen Glanz
Herzlos mit Hohn und Undank Rom vergilt, –
Vertrau' auf uns: wir folgen, wo du führst,
Wie Bienen stechend, wenn der Weiser sie
Am heißen Mittag ruft ins Blumenfeld,
Und zücht'gen die verhaßte Tamora.
ALLE.
Und wie er sprach, so spricht das ganze Heer.
LUCIUS.
Ich dank' ihm ehrfurchtsvoll; euch allen Dank! –
Wer naht? geführt von einem rüst'gen Goten?

Ein Gote führt den Aaron, der sein Kind auf dem Arm trägt.
GOTE.
Ruhmvoller Lucius, ich ging ab vom Heer,
Ein wüst verfallnes Kloster zu betrachten;
Und als ich aufmerksam den Blick gewandt
Auf die zerstörten Mauern, – plötzlich, Herr,
Hört' ich ein Kind im Steingewölbe schrein.
Ich ging dem Laute nach, da hört' ich bald
[66]
Den schrei'nden Wurm gestillt mit dieser Rede:
»Schweig', brauner Schelm! halb ich, halb deine Mutter!
Wenn nicht die Farbe sprach, wes Brut du seist,
Gab dir Natur nur deiner Mutter Weiß, –
So konnt'st du Schurke wohl ein Kaiser werden.
Allein wo Stier und Kuh milchweiß von Farbe,
Da zeugten sie noch nie ein schwarzes Kalb.
Still, still, du Schelm« (so schalt er jetzt das Kind),
»Zu einem wackern Goten bring' ich dich,
Der, wenn er weiß, du seist der Kais'rin Blut,
Dich wert wird halten deiner Mutter halb. –«
Drauf mit gezücktem Schwert sprang ich heran,
Ergriff ihn augenblicks und schleppt' ihn her,
Daß du mit ihm verfährst, wie dir's bedünkt.
LUCIUS.
O Freund, dies ist der eingefleischte Teufel,
Der Titus seiner tapfern Hand beraubt,
Die Perle, die der Kais'rin Aug' ergötzt;
Dies seiner schnöden Lust verdammte Frucht.
Felsäug'ger Sklav', wem wolltest du vertraun
Dies künft'ge Abbild deiner Mißgestalt?
Wie, sprichst du nicht? Was, taub? Nein, nicht ein Wort;
Ein Strick, Soldaten; hier am Baum geschwind
Hängt ihn mir auf mit seinem Bastardkind!
AARON.
Rührt nicht das Kind! Es ist aus Königsblut!
LUCIUS.
Dem Vater allzu gleich, drum nimmer gut:
Erst hängt den Sohn; er mag ihn zappeln sehn,
So sterb' er hin in Vaterschmerz und Wehn!
Schafft eine Leiter! –
AARON.
Lucius, laß das Kind,
Und send' es an die Kaiserin von mir!
Ich melde Wunderdinge, wenn du's tust,
Die dir zu wissen höchsten Vorteil bringt.
Willst du es nicht, wohlan, mir gilt es gleich,
Ich schweige jetzt, doch Pest und Fluch auf euch! –
LUCIUS.
So sprich denn, und gefällt mir, was du sagst,
So lebt dein Kind, ich lass' es auferziehn.
AARON.
Wenn dir's gefällt? Nein, das beteur' ich, Lucius,
Es wird dein Herz zerreißen, was du hörst.
[67]
Ich muß von Totschlag reden, Mord und Raub,
Von nächt'gen Taten und verruchtem Greu'l,
Verrat, fluchwürd'gem Anschlag, Missetat,
Betrübt zu hören, kläglicher erlebt;
Und dies begräbt auf ewig dir mein Tod,
Wenn du nicht schwörst, du rettest mir mein Kind.
LUCIUS.
Sprich, was du weißt, ich sag' dir, es soll leben.
AARON.
Das schwöre mir, und gleich beginn' ich dann.
LUCIUS.
Schwören? Bei wem? Du glaubst ja keinen Gott;
Ist das, wie kannst du glauben einem Eid?
AARON.
Und wenn ich's nie getan? Ich tu's auch nicht!
Doch weil ich weiß, du hältst auf Religion,
Glaubst an das Ding, das man Gewissen nennt,
Und an der Pfaffen Brauch und Observanz,
Die ich dich sorgsam hab' erfüllen sehn, –
Deshalb fordr' ich den Eid von dir. Ich weiß,
Ein Dummkopf hält 'nen Schellenstab für Gott,
Und ehrt den Eid, den er dem Gotte schwur;
Drum fordr' ich ihn. Deshalb gelobe mir
Bei jenem Gott, – gleichviel, was für ein Gott, –
Zu dem du betest und den du verehrst, –
Mein Kind zu schonen und es zu erziehn;
Und weigerst du mir das, entdeck' ich nichts.
LUCIUS.
Bei meinem Gotte schwör' ich dir, ich will's.
AARON.
Erst wiss', ich zeugt' es mit der Kaiserin.
LUCIUS.
O unersättliches, verbuhltes Weib!
AARON.
Pah, Lucius, das war nur ein Liebeswerk,
Mit dem verglichen, was du hören sollst. –
Ihre zwei Söhn' ermordeten Bassianus;
Sie schändeten Lavinien, schnitten ihr
Die Zung' und ihre beiden Hände ab,
Und schmückten sie heraus, wie du's gesehn.
LUCIUS.
Das nennst du schmücken, gift'ger Bösewicht?
AARON.
Gewaschen, zugestutzt und aufgeschmückt,
Ein schmucker Spaß zugleich für alle drei! –
LUCIUS.
O wilde, vieh'sche Buben, wie du selbst!
[68] AARON.
Nun ja, ich war der Lehrer zu der Tat.
Die hitz'ge Ader stammt von ihrer Mutter,
So wahr 'ne Karte je den Satz gewann;
Die blut'ge Neigung lernten sie von mir,
So wahr ein Bullenbeißer packt von vorn. –
Nun zeuge meine Tat von meinem Wert:
Ich lockte deine Brüder in die Gruft,
Wo des Bassian erschlagner Körper lag.
Ich schrieb den Brief, den drauf dein Vater fand,
Und barg das Gold, des jener Brief erwähnt,
Im Bund mit Tamora und ihren Söhnen.
Und was ist je geschehn, das dich verletzt,
Wo ich zum Unheil nicht die Hand geboten?
Ich spielte falsch um deines Vaters Hand,
Und als ich ihn betört, trat ich beiseit,
Erstickend fast vor unerhörtem Lachen.
Ich duckte mich an einer Mauer Spalt,
Als er die Hand gab für der Söhne Häupter;
Sah, wie er weint', und lachte dann so herzlich,
Daß mir die Augen tränten so wie ihm;
Und als ich Tamora den Spaß beschrieb,
Erstarb sie fast, so lieb war ihr die Mär,
Und gab mir zwanzig Küsse für die Zeitung.
GOTE.
Das alles sprichst du, und errötest nicht?
AARON.
Ja, wie ein schwarzer Hund, so heißt das Sprichwort.
LUCIUS.
Und reun dich diese Freveltaten nie?
AARON.
Ja, daß ich nicht noch tausend mehr verübt! –
Noch fluch' ich jedem Tag – (und glaube doch,
Nicht viele stehn in dieses Fluchs Bereich),
Wo ich besondre Bosheit nicht beging:
Jemand erschlug, wo nicht, die Anstalt traf;
'ne Dirn' entehrt, wo nicht, den Plan geschmiedet;
Unschuldige verklagt auf falschen Eid;
Todfeindschaft unter Freunden angeschürt;
Den Herden armer Leute brach den Hals;
In Scheun' und Schober Kohlen warf bei Nacht,
Und rief dem Eigner: »Löscht den Brand mit Tränen!«
[69]
Oft grub ich tote Körper aus dem Grab
Und stellte sie vor lieber Freunde Tür,
Recht wenn ihr Kummer fast vergessen war;
Und wie auf Baumesrind' in ihre Haut
Ritzt' ich mit meinem Dolch in röm'scher Schrift:
»Eu'r Kummer lebe fort, obgleich ich starb!« –
Gelt, tausend Greuel hab' ich ausgeübt,
So leichten Sinns, als einer Fliegen fängt;
Und nichts, in Wahrheit, geht mir so zu Herzen,
Als daß mir nicht zehntausend noch gelingen.
LUCIUS.
Den Teufel fort! Sein Tod muß sich verlängen,
Zu kurze Qual wär' ihm ein schnelles Hängen.
AARON.
Wenn's Teufel gibt, möcht' ich ein Teufel sein,
In ew'gem Feu'r zu leben und zu brennen,
Hätt' ich dich zur Gesellschaft all die Zeit,
Dich stets zu martern mit der bittern Zunge.
LUCIUS.
Hör' auf mit Lästern, stopft ihm seinen Mund!

Ein Gote tritt auf.
GOTE.
Feldherr, es ist ein Bote hier aus Rom,
Der fragt, ob er vor dir erscheinen dürfe.
LUCIUS.
Führt ihn herein! –

Ämilius wird hereingeführt.

Willkomm', Ämilius! sag, wie steht's in Rom?
ÄMILIUS.
Glorreicher Lucius, und ihr Gotenfürsten,
Der röm'sche Kaiser grüßet euch durch mich;
Und weil er hört, ihr steht in Waffen hier,
Wünscht er Gespräch in eures Vaters Haus;
Und fordert ihr, daß er euch Geiseln stellt,
Dann augenblicklich sendet er sie her.
GOTE.
Was sagt mein Feldherr?
LUCIUS.
Ämilius, Geiseln stelle Saturnin
An meinen Vater wie an meinen Ohm,
So kommen wir. – Zieht weiter!

Alle ab.
[70]
Zweite Szene
Tamora, Demetrius und Chiron treten verkleidet auf.

TAMORA.
So nun, in dieser fremden, düstern Tracht
Will ich begegnen dem Andronicus;
Die Rache nenn' ich mich, der Höll' entsandt,
Mit ihm vereint sein schrecklich Leid zu schlichten.
Klopf' an die Zelle, wo er weilen soll,
Entwürfe seltsam wilder Rache brütend;
Sag, Rache sei gekommen, ihm vereint
Zu wirken seiner Feinde Untergang.

Sie klopfen unten; Titus öffnet sein Studierzimmer und spricht von oben.
TITUS.
Wer stört mich hier in meinem ernsten Werk?
Ist's eure List, daß ich auftu' die Tür,
Damit die finstern Pläne weg mir fliegen
Und all mein Sinnen ohne Wirkung sei?
Ihr irrt euch; denn was ich zu tun beschloß,
Seht her, in blut'gen Zeilen schrieb ich's hin,
Und was ich aufgezeichnet, soll geschehn.
TAMORA.
Titus, mit dir zu reden kam ich her.
TITUS.
Nein, nicht ein Wort. Kann ich mit Anmut reden,
Da eine Hand mir zur Gebärdung fehlt?
Du bist zu sehr im Vorteil, drum laß ab!
TAMORA.
Wenn du mich kenntest, sprächest du mit mir.
TITUS.
Ich bin nicht toll; dich kenn' ich nur zu gut:
Bezeug's der arme Stumpf, die Purpurschrift,
Bezeug's dies Antlitz, tief von Gram gefurcht,
Bezeug's der traur'ge Tag, die lange Nacht,
Bezeug' es alles Weh, – ich kenne dich
Als unsre stolze Kais'rin Tamora.
Nicht wahr, du kommst um meine zweite Hand?
TAMORA.
Unsel'ger, wiss', ich bin nicht Tamora;
Sie haßt dich, ich bin freundlich dir gesinnt:
Ich bin die Rach', entsandt dem Höllenreich,
Dein Herz zu heilen von des Geiers Biß
Durch blutige Vergeltung an dem Feind. –
[71]
Komm und begrüß' mich auf der Oberwelt,
Zieh' mich zu Rat nun über Tod und Mord!
Denn keine Höhle gibt es, kein Versteck,
Kein ödes Dunkel, kein umnebelt Tal,
Wo Raub und Schandtat und verruchter Mord
Sich scheu verbergen, – dennoch find' ich sie,
Und nenne meinen grausen Namen »Rache«,
Der die verworfnen Sünder zittern macht.
TITUS.
So bist du Rache? Bist mir zugesandt,
Um allen meinen Feinden Qual zu sein?
TAMORA.
Ich bin's; drum komm herab, begrüße mich!
TITUS.
Tu' einen Dienst mir, eh' ich dir vertrau', –
Sieh, dir zur Seite seh' ich Raub und Mord:
Nun gib Beweis, daß du die Rache bist;
Erstich sie, schleif' sie an des Wagens Rädern,
Dann will ich kommen und dein Fuhrmann sein,
Und rasch mit dir hinbrausen um die Welt.
Schaff' dir zwei wackre Renner, schwarz wie Nacht,
Dein rächend Fuhrwerk fortzuziehn im Sturm;
Such' Mörder auf in ihrer schuld'gen Schlucht;
Und ist dein Karrn von ihren Häuptern voll,
Dann steig' ich ab und trab' am Wagenrad
Gleich einem Knecht zu Fuß den ganzen Tag,
Früh von Hyperions Aufgang dort in Ost,
Bis wo er abends spät sich taucht ins Meer:
Und Tag für Tag tu' ich dies schwere Werk,
Wenn du mir Raub und Mord allhier vertilgst.
TAMORA.
Sie sind mir Diener und begleiten mich.
TITUS.
Die beiden dienen dir? Wie nennst du sie?
TAMORA.
Sie heißen Raub und Mord, also genannt,
Weil sie heimsuchen solche Missetat.
TITUS.
O Gott! wie gleichen sie der Kais'rin Söhnen! –
Und du der Kais'rin! – Doch wir ird'schen Menschen
Sehn mit armsel'gen, blöden, falschen Augen.
O süße Rache, nun komm' ich zu dir,
Und wenn dir eines Arms Umfahn genügt,
Schließ' ich dich an die Brust im Augenblick.

Titus kommt von oben herab.
[72] TAMORA.
Ihm so sich fügen, paßt für seine Tollheit!
Was ich ersann, zu nähren diesen Wahn,
Das stärkt und unterstützt durch euer Wort!
Jetzt glaubt er fest, ich sei die Rache selbst,
Und wie er gläubig solchem Traumbild folgt,
Soll er zu Lucius senden, seinem Sohn,
Und während ich beim Schmaus ihn selber halte,
Ersinn' ich einen list'gen Anschlag wohl,
Die leichtbetörten Goten zu zerstreun,
Wo nicht, sie mind'stens feindlich ihm zu stimmen.
Sieh da, er kommt; nun spiel' ich meine Rolle.
Titus tritt auf.
TITUS.
Lang' war ich weit, weit weg; und nur nach dir. –
Willkommen, Furie, in mein Haus des Wehs!
Ihr, Raub und Mord, seid gleichfalls mir willkommen!
Wie gleicht ihr Tamora und ihren Söhnen!
Ihr wärt vollkommen, fehlt' euch nicht ein Mohr;
Gab's nicht im ganzen Abgrund solchen Teufel?
Wahrlich, nie schweift die Kaiserin umher,
Daß nicht ein Mohr in ihrer Nähe sei;
Und wollt ihr recht der Kön'gin Bild uns stellen,
So wär' es gut, ihr hättet solchen Teufel. –
Doch, wie ihr seid, willkommen! – Was zu tun? –
TAMORA.
Was soll'n wir für dich tun, Andronicus?
DEMETRIUS.
Zeig' mir 'nen Mörder, und ich greif' ihn an.
CHIRON.
Zeig' mir 'nen Räuber, der Gewalt geübt:
Ich bin gesandt, ihn vor Gericht zu ziehn.
TAMORA.
Zeig' tausend mir, durch die dein Recht gekränkt:
Mein Amt ist, alle vor Gericht zu ziehn.
TITUS.
Durchsuch' die frevelhaften Straßen Roms,
Und findst du einen Menschen, der dir gleicht,
Den töte, guter Mord, er ist ein Mörder.
Geh du mit ihm, und wenn's auch dir gelingt,
'nen andern aufzufinden, der dir gleicht,
Den töte, Raub, er ist ein Weiberschänder.
Geh du mit ihnen; an des Kaisers Hof
Lebt eine Kön'gin, und mit ihr ein Mohr,
[73]
Die magst du, als dein Abbild, leicht erkennen,
Denn ganz, von Kopf zu Füßen, gleicht sie dir.
Ich bitt' dich, diesen gib grausamen Tod,
Sie waren grausam meinem Stamm und mir.
TAMORA.
Du hast uns wohl belehrt; wir wollen's tun.
Doch nun ersuch' ich dich, Andronicus,
Sende zu Lucius, deinem tapfern Sohn,
Der jetzt auf Rom mit mut'gen Goten zieht:
Zu einem Schmause lad' ihn in dein Haus,
Und wenn er hier ist, recht zu deinem Fest,
Bring' ich die Kais'rin dir und ihre Söhne,
Den Kaiser selbst und alle, die dir feind;
Und dir zu Füßen soll'n sie knieend flehn,
Und deines Herzens Ingrimm treffe sie!
Was sagt Andronicus zu diesem Rat?
TITUS.
Marcus, heraus! der traurige Titus ruft.

Marcus kommt.

Geh, Marcus, geh zu deinem Neffen Lucius,
Im Gotenheere sollst du ihn erfragen;
Sag, daß er zu mir kommt und mit sich bringt
Noch einige der tapfern Gotenfürsten.
Heiß' ihn, die Krieger lagern, wo sie stehn;
Sag ihm, den Kaiser und die Kaiserin
Erwart' ich hier zum Fest und so auch ihn.
Dies tu' zu Liebe mir, er tu' es auch,
So wert ihm ist des alten Vaters Leben.
MARCUS.
Das tu' ich gleich, und kehre schnell zurück.

Ab.
TAMORA.
Nun geh' ich augenblicks an mein Geschäft
Und nehme meine Diener mit hinweg.
TITUS.
Nein, nein, laß Raub und Mord doch hier bei mir,
Sonst ruf' ich meinen Bruder wieder heim,
Und halte mich allein an Lucius' Rache.
TAMORA
zu ihren Söhnen.
Was sagt ihr, Söhne? Bleibt ihr wohl mit ihm,
Bis ich dem Kaiser, meinem Herrn, erzählt,
Wie uns der wohlerdachte Scherz gelang?
Folgt seiner Laune, sprecht ihm freundlich zu,
Und weilt mit ihm, bis ich zurückgekehrt!
[74] TITUS beiseit.
Ich kenn' euch all', obschon ihr toll mich wähnt,
Und fang' euch in dem selbstgestellten Garn,
Euch junge Höllenbrut samt eurer Mutter.
DEMETRIUS
beiseit.
Geht nach Gefallen, Fürstin, laßt uns hier!
TAMORA.
Titus, leb wohl; die Rache geht zu Taten,
Dir alle deine Feinde zu verraten.
TITUS.
Das hoff' ich, teure Rache; leb denn wohl!

Tamora geht ab.
CHIRON.
Nun, Alter, sprich, was gibst du uns zu tun?
TITUS.
O still! ich schaff' euch Arbeit überg'nug.
Auf, Cajus, Publius und Valentin!

Publius und Diener kommen.
PUBLIUS.
Was wollt Ihr?
TITUS.
Kennst du die zwei?
PUBLIUS.
Die Söhne, denk' ich, sind's
Der Kais'rin, Chiron und Demetrius.
TITUS.
Pfui, Publius, wie gröblich du dich irrst!
Der ein' ist Mord, des andern Nam' ist Raub.
Drum binde sie mir fest, mein Publius;
Cajus und Valentin, legt Hand an sie!
Oft hab' ich diese Stunde mir gewünscht;
Nun fand ich sie: drum bindet sie recht fest,
Stopft ihnen auch den Mund, sobald sie schrein!

Ab.
CHIRON.
Schurken, laßt ab! Wir sind der Kais'rin Söhne!
PUBLIUS.
Und deshalb tun wir, was uns auferlegt. –
Stopft ihren Mund, gönnt ihnen nicht ein Wort;
Ward er auch fest gebunden? Schließt sie gut!

Titus kommt zurück mit einem Messer und Lavinia mit einem Becken.
TITUS.
Lavinia, komm, die Feinde sind im Netz!
Stopft ihren Mund, kein Wort gestatt' ich mehr.
Doch laßt sie hören meinen grimmen Spruch:
O Schurken, Chiron und Demetrius!
Hier ist der Quell, den ihr getrübt mit Schlamm,
Der holde Lenz, durch euern Frost erstarrt.
Ihr schlugt ihr den Gemahl; für diesen Greu'l
Sind ihrer Brüder zwei zum Tod verdammt.
[75]
Mir ward die Hand geraubt zu frechem Spott,
Ihr Händ' und Zunge, ja, was teurer ist
Als Zung' und Hand, – die unbefleckte Keuschheit,
Herzlose Buben! raubtet ihr mit Zwang. –
Was spräch't ihr jetzt, wenn ich euch reden ließ'? –
Ihr dürftet nicht aus Scham um Mitleid flehn.
Hört, Buben, welche Qual ich euch ersann:
Die Hand blieb, euch die Gurgel durchzuschneiden,
Indes Lavinia mit den Stümpfen hält
Dies Becken, das eu'r schuldig Blut empfängt.
Die Kaiserin, wißt ihr, will zum Schmaus mir kommen,
Und nennt sich Rache, wähnt, ich sei verrückt:
Nun hört mich! Eu'r Gebein reib' ich zu Staub
Und knet' es ein zu Teig mit euerm Blut;
Und aus dem Teige bild' ich eine Rinde,
Drin einzubacken eure Schurkenhäupter;
Dann soll die Metze, eure hünd'sche Mutter,
Der Erde gleich die eigne Brut verschlingen:
Dies ist das Mahl, zu dem ich sie beschied,
Und dies der Schmaus, an dem sie schwelgen soll.
Denn mehr als Philomel' erlitt mein Kind,
Und mehr als Prokne nehm' ich Rach' an euch.
Jetzt reicht die Gurgeln her! – Lavinia, komm,
Fang' auf den Strahl; und wenn ich sie entseelt,
Zerstampf' ich ihr Gebein in feinen Staub,
Und feucht' es an mit dem verhaßten Blut,
Die Häupter einzubacken in den Teig.
Kommt, seid mir alle jetzt zur Hand, dies Mahl
Zu rüsten, das viel grimmer werden soll
Und blutiger, als der Centauren Schmaus.

Er durchschneidet ihre Kehlen.

So!
Nun tragt sie hin, ich mache selbst den Koch,
Sie anzurichten, bis die Mutter kommt. –

Alle gehn ab.
[76]
Dritte Szene
Ein Gezelt mit Tischen und andern Sachen.

Lucius und Marcus treten auf; Goten führen den Aaron gefangen ins Lager.

LUCIUS.
Wohl, Oheim Marcus, da mein Vater heischt,
Daß ich gen Rom mich wende, folg' ich dir.
GOTE.
Wir stehn dir bei, es gehe, wie es will.
LUCIUS.
Oheim, verwahrt mir den grausamen Mohren,
Den wüt'gen Tiger, den verfluchten Teufel;
Laßt ihm nicht Nahrung reichen, fesselt ihn,
Bis er der Kais'rin gegenüber steht,
Als Zeugnis ihres höchst verworfnen Wandels.
Dann sorgt, daß stark sei unser Hinterhalt;
Der Kaiser, fürcht' ich, ist uns schlimm gesinnt.
AARON.
Ein Teufel flüstre Flüche mir ins Ohr,
Und helfe meiner Zung', hervor zu sprühn
Die gift'ge Wut, die mir im Herzen schwillt! –
LUCIUS.
Hinweg, verruchter Hund! Ungläub'ger Sklav'!
Aaron wird von den Goten weggeführt. Man hört Trompeten blasen.

Ihr Herrn, helft unserm Ohm, ihn zu geleiten;
Trompeten melden, daß der Kaiser naht.

Saturninus, Tamora, Tribunen und Gefolge treten auf.
SATURNINUS.
Was? hat der Himmel mehr als eine Sonne?
LUCIUS.
Was frommt es dir, daß du dich Sonne nennst?
MARCUS.
Roms Kaiser und du, Neffe, brecht nun ab:
In Ruhe muß der Streit verhandelt sein.
Das Mahl ist fertig, welches Titus sorglich
Geordnet hat zu ehrenwertem Zweck,
Für Frieden, Lieb' und Bündnis, Rom zum Heil! –
So tretet denn heran und nehmet Platz!
SATURNINUS.
So sei es, Marcus!

Hoboen. Eine Tafel wird gebracht; Titus, als Koch gekleidet, stellt die Speisen auf den Tisch; Lavinia folgt ihm verschleiert.
TITUS.
Willkommen, Herr! Willkommen, Kaiserin! –
Willkommen, tapfre Goten; willkommen, Lucius!
[77]
Willkommen all'! Ist gleich das Mahl gering,
Doch wird's den Hunger stillen. Wollt ihr essen?
SATURNINUS.
Weshalb in dieser Tracht, Andronicus?
TITUS.
Um recht gewiß zu sein, daß nichts mißlang,
Eu'r Hoheit und die Kais'rin zu bewirten.
TAMORA.
Wir sind Euch hoch verpflichtet, wackrer Titus.
TITUS.
Kennt' Eure Maj stät mein Herz, Ihr wärt's. –
Mein gnäd'ger Kaiser, löst die Frage mir:
War's recht getan vom heftigen Virginius,
Sein Kind zu töten mit der eignen Hand,
Weil sie entführt, entehrt, geschändet ward? –
SATURNINUS.
Das war's, Andronicus.
TITUS.
Eu'r Grund, erhabner Kaiser?
SATURNINUS
Weil das Mädchen
Nicht überleben durfte solche Schmach
Und seinen Gram erneun durch ihre Nähe.
TITUS.
Ein Grund, nachdrücklich, streng und voll Gehalt,
Ein Vorgang, Mahnung und gewicht'ge Bürgschaft
Für mich Unsel'gen, gleiche Tat zu tun: –
Stirb, stirb, mein Kind, und deine Schmach mit dir,
Und mit der Schmach auch deines Vaters Gram!

Er ersticht Lavinien.
SATURNINUS.
Was tatst du, unnatürlicher Barbar?
TITUS.
Ich schlug, um die mein Aug' erblindet war.
Ich bin so leidvoll als Virginius einst,
Und habe tausendmal mehr Grund als er
Zu solchem Mord; – und jetzt ist es vollbracht.
SATURNINUS.
Ward sie entehrt? Wer hat die Tat verübt?
TITUS.
Wie, eßt Ihr nicht? Nehmt, Hoheit, wenn's beliebt!
TAMORA.
Wie kam's, daß Vaterhand sie morden muß?
TITUS.
Sie mord'ten Chiron und Demetrius,
Die sie entehrt, die Zung' ihr ausgeschnitten,
Durch die sie all dies bittre Leid erlitten.
SATURNINUS.
Vor uns erscheinen sollen sie sogleich!
TITUS.
Nun wohl! hier sind sie schon, zerhackt zu Teig,
Von dem die Mutter lüstern hat genossen,
[78]
Verzehrend, was dem eignen Blut entsprossen.
's ist wahr! 's ist wahr! Bezeug's mein scharfer Dolch!

Er ersticht Tamora.
SATURNINUS.
Wahnwitz'ger, stirb! Nimm das für deinen Hohn!

Ersticht den Titus.
LUCIUS.
Des Vaters blutig Ende rächt der Sohn:
Hier Lohn um Lohn, Mord für des Mörders Hohn! –

Ersticht den Saturninus.
MARCUS
oben auf der Bühne.
Leidvolle Männer, Volk und Söhne Roms,
Getrennt durch Aufruhr, wie ein Vögelschwarm,
Zerstreut durch Sturm und starken Wetterschlag, –
O hört, wie ihr von neuem binden mögt
In eine Garbe dies zerstreute Korn,
In einen Körper die zerstückten Glieder,
Daß Rom sich nicht am eignen Gift vernichte!
Das Reich, dem mächt'ge Szepter sich geneigt,
Ehrlosen, ausgestoßnen Sündern gleich
Nicht Mord, verzweifelnd, an sich selbst vollziehe!
Wenn meine Furchen, meines Alters Schnee
(Ehrwürd'ge Bürgen reifer Urteilskraft)
Euch nicht bewegen, meinem Wort zu traun,
Sprich du, Roms teurer Freund (gleich unserm Ahn,
Als er in Feierworten Kunde gab
Der liebekranken, leidgebeugten Dido
Vom Schicksal jener wilden Flammennacht,
Als Priams Troja sank durch Griechentrug) –:
Sag, welch ein Sinon unser Ohr berückt,
Wer uns das böse Werkzeug hergeführt,
Das unserm Troja, unserm hehren Rom
Die Bürgerwunde schlägt? –
Mein Herz ist nicht gestählt wie Fels und Erz,
Noch find' ich Worte für so bittern Gram,
Daß nicht in Tränen meine Red' erstickt,
Und mir die Stimme bricht, wenn sie zumeist
Euch rühren sollt' und euer Ohr gewinnen,
Und eure Hülf' und liebreich Mitgefühl. –
[79]
Hier ist ein Feldherr, der's erzählen mag:
Eu'r Herz wird weinen, hört ihr seine Rede.
LUCIUS.
Dann, meine edlen Hörer, sei euch kund:
Der schnöde Chiron und Demetrius,
Sie waren's, die Bassianus mordeten,
Sie waren's, die Lavinien frech entehrt;
Für ihre Tat fiel unsrer Brüder Haupt,
Ward Titus' Gram verhöhnt, ihm frech entwandt
Die gute Hand, die oft den Streit für Rom
Ausfocht und ihre Feinde sandt' ins Grab;
Zuletzt ward ich im Zorn verbannt, man schloß
Die Tore mir und stieß mich weinend aus,
Mitleid zu suchen bei den Feinden Roms;
Mit meinen Tränen löscht' ich ihren Haß,
In ihren offnen Armen fand ich Trost.
Und ich, den Rom verstieß, das sei euch kund,
Mit meinem Blut hab' ich sein Wohl erkauft,
Von seinem Haupt gewandt der Feinde Schwert,
Auffangend ihren Stahl in meine Brust.
Ihr alle wißt, ich bin kein Prahler; nein,
Bezeugt's, ihr Narben (ob ihr stumm auch seid),
Daß mein Bericht getreu und ohne Falsch.
Doch halt! Mich dünkt, ich schweifte schon vom Ziel,
Anpreisend mein geringes Tun; verzeiht,
Man rühmt sich selber, ist kein Freund uns nah.
MARCUS.
Nun ist's an mir, zu reden. Seht dies Kind:
Dies war's, das Tamora zur Welt gebracht;
Sein Vater jener gottvergeßne Mohr,
Hauptstifter und Begründer unsers Wehs.
Der Schurk' ist lebend noch in Titus' Haus
(Obgleich verdammt), zum Zeugnis, dies sei wahr.
Nun sprecht, ob Titus Grund zur Rache hatte
Für solche Kränkung, unaussprechlich, herb,
Weit mehr, als irgend wohl ein Mensch ertrüge!
Jetzt, da ihr alles wißt, was sagt ihr, Römer?
Ist hier zu viel geschehn, dann zeigt, worin, –
Und von dem Platz, auf dem wir vor euch stehn,
Woll'n wir, des Titus' armer Überrest,
[80]
Häuptlings hinab uns werfen, Hand in Hand,
Am scharfen Stein zerschmetternd unser Hirn,
Und so vereint austilgen unsern Stamm.
Sprecht, Römer, sprecht: sagt ihr, es soll geschehn,
So sollt ihr Hand in Hand uns stürzen sehn.
ÄMILIUS.
Komm, komm, du ehrenwerter Römergreis,
Führ' unsern Kaiser freundlich bei der Hand,
Lucius, den Kaiser: denn mit Zuversicht
Erwart' ich, was des Volkes Stimme spricht.
MARCUS.
Lucius, Glück auf, Roms kaiserlicher Herr!
Geh in des alten Titus leidvoll Haus,
Und den ungläub'gen Mohren schlepp' hieher;
Ihm werd' ein grauser, blut'ger Tod erkannt,
Als Strafe für sein höchst gottloses Tun.
RÖMER
verschiedene Stimmen.
Lucius, Glück auf, huldreicher Herrscher Roms! –
LUCIUS.
Dank, edle Römer! Meiner Herrschaft Streben
Sei, Rom nach so viel Leiden Trost zu geben.
Doch, werte Freund', ein Weilchen gönnt mir noch,
Denn schwere Pflicht erheischt Natur von mir.
Steht alle fern! – Du, Oheim, komm herab;
Laß uns dem Toten fromme Tränen weihn; –
Den kalten Lippen diesen heißen Kuß,

küßt den Titus

Dem blut'gen Antlitz diesen Tau des Grams,
Des treuen Sohnes letzte Huldigung! –
MARCUS.
Ja, Trän' um Trän', und Liebeskuß für Kuß
Beut hier dein Bruder Marcus deinem Mund!
Und wär' die Summe, die ich zahlen soll,
Unendlich, namenlos, doch zahlt' ich sie.
LUCIUS.
Komm, Knabe, komm! Komm her, wir lehren dich
In Tau zerschmelzen. Ach, er liebte dich!
Wie oft ließ er dich tanzen auf dem Knie,
Sang dich in Schlaf, sein liebend Herz dein Pfühl!
Wie viel Geschichten hat er dir erzählt,
Für deine Kindheit sinnreich ausgewählt!
Des sei gedenk, und als ein liebreich Kind
Geuß ein'ge Tropfen auch aus zartem Auge:
Mitleidig gab Natur uns dies Gebot,
[81]
Der Freund soll weinen um des Freundes Not!
Sag ihm Lebwohl, geleit' ihn an sein Grab,
Die Pflicht erfüll' und scheide dann von ihm!
KNABE.
Großvater! ach, Großvater! Möcht' ich doch
Für dich gestorben sein, und du noch lebend!
O Gott, vor Weinen kann ich ihm nichts sagen,
Ich stick' in Tränen, öffn' ich meinen Mund. –

Aaron wird von einigen Römern hereingeführt.
RÖMER.
Trau'rge Androniker, hemmt euern Gram:
Sprecht diesem gift'gen Bösewicht sein Recht,
Der jener schwarzen Frevel Stifter war!
LUCIUS.
Begrabt ihn bis zur Brust, daß er verhungre;
Da steh' er dann und wüt' und schrei' um Brot:
Wer irgend Beistand ihm und Mitleid schenkt,
Der stirbt für solche Tat; dies unser Spruch.
Geht ihr, sorgt, daß er eingegraben werde!
AARON.
Wut, warum schweigst du? Zorn, was bist du stumm?
Ich bin kein feiges Kind, noch mit Gebet
Bereu' ich die Verbrechen, die ich tat;
Zehntausend, schlimmer noch, als ich vollbracht,
Möcht' ich begehn, hätt' ich die Freiheit nur;
Und tat ich je ein einzig gutes Werk,
Von ganzem Herzen wünsch' ich's ungeschehn.
LUCIUS.
Tragt ein'ge jetzt den Kaiser mir hinweg,
Und senkt ihn ein in seines Vaters Gruft!
Mein Vater und Lavinia soll'n demnächst
In unserm Monument bestattet ruhn.
Doch jener grimmen Wölfin Tamora
Gönnt keinen Grabbrauch, keinen Trauerflor,
Kein frommes Läuten, keinen Leichenzug:
Den Vögeln werft sie hin, dem Raubgetier!
Ihr Lebenslauf war viehisch, ohne Mitleid,
Und eben deshalb find' auch sie kein Mitleid!
Vollzieht den Spruch an dem verdammten Mohren,
Dem frechen Stifter unsrer schweren Trübsal!
Dann ordnen wir mit Weisheit unsern Staat:
Gleich schlimmen Ausgang hemme Kraft und Rat!

Alle gehn ab.
[82]

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