s.

Vor längerer Zeit kamen einmal zwei Strumpfhändler nach Holle. Der eine logierte in Schmers Hause (später Brands Haus), der andere in einem benachbarten Hause, genannt Jan Klas Haus (später Harm Hayes Haus). Als nun der in Schmers Hause sich zur Ruhe begeben hatte, schlich sich sein böser Wirt zu ihm und goß ihm, um sich nachher seiner Habe bemächtigen zu können, geschmolzenes Blei in den Hals. Als sein Kamerad den nächsten Morgen ihn aufsuchte, fand er ihn tot. Man hatte Schmers sofort in Verdacht des begangenen Mordes; er aber wollte von nichts wissen und sprach den Fluch aus: »Wenn ich den Mord begangen habe, will ich bis an den jüngsten Tag schreien.« Kurz darauf starb Schmers. Kaum aber hatte er die Augen geschlossen, so ging er wieder und zwar als »schreiend Ding«. Das schrie nun bald hier bald dort [264] in Schmers Hause, auf der Landstraße, auf dem Fußpfade, auf dem Roggenmoor, in der Heide, und oft so laut, daß die Bleifenster des Hauses, vor welchem es gerade schrie, davon klirrten. Es erschien als ein kleines Männlein mit grauer Jacke, einen Dreitimpen auf dem Kopf, an dem einen Fuße mit einem Holzschuh, am anderem mit einem Lederschuh bekleidet. Eines Tages kam es mit einem Jäger auf dem Achterdiek, von welchem Oberhausen begrenzt wird, zusammen. Stets ging es neben dem Jäger her; der aber, bald des widrigen Geschreies überdrüssig, legte seine Flinte an dasselbe an und schoß, aber die Flinte versagte, und nun trat es ganz nahe an den Jäger heran und schrie noch viel lauter und furchtbarer. Ein anderes Mal war es auf einem Roggenmoor, als gerade ein Dieb Reis zu Besen von einem Baume abschnitt. Der Dieb indeß zeigte keine Furcht vor dem schreienden Dinge und sagte, er wolle nicht weichen, und wenn es auch so schreie, daß der Baum zittere. Dem Diebe aber ward wunderlich, er ließ das Besenreis im Stiche und suchte das Weite. Mehrere andere Leute von Holle und Oberhausen, die man zum Teil noch mit Namen zu nennen weiß, haben es gleichfalls wiederholt gesehen und schreien hören, so in seinen jungen Jahren Hinrich Suhr in Oberhausen, der zur französischen Zeit 60-70 Jahre alt gewesen sein soll. Dieser Suhr wollte eines Abends (»dat hett he mi sülwst vertellt, un dat wull de ole Suhr woll nich lögen«) die Hirsche, die in jener Zeit nicht selten dort die Felder besuchten und verwüsteten, von seinem Roggenmoor verscheuchen und zündete zu dem Ende auf dem Moore ein Feuer an. Da sah er denn deutlich das schreiende Ding neben sich hergehen und hörte es gleich darauf auch schreien. Sein Geschrei ist stets so eigentümlicher Art gewesen, daß es niemand und nichts hat nachahmen können, und deshalb ein Zweifel über den Ursprung des Geschreies nicht wohl möglich gewesen ist. – In dem Schmersschen Hause trieb es, außerdem daß es darin noch schrie, auch allerlei Unfug; so schlug es mit einer Peitsche vom Unterschlag herab in die Eßkumme, wenn die Hausgenossen um den Tisch beim Essen saßen. Es schleppte das Zeug, das die Hausbewohner am Abend ausgezogen hatten, auf die Hille, oder versteckte es anderswo. Es band nachts das im Stalle stehende Vieh los, und der Knecht, der aufgestanden, um nach dem Vieh zu sehen, hat das Ding hinter den Kühen stehen sehen, und wenn er darüber schalt, [265] hat jenes höhnisch gelacht. Wenn aber der Knecht auf eine besondere Art, mittelst eines kleinen Hölzchens, einen doppelten Knoten in die Stricke geschlagen hat, dann hat das schreiende Ding den Knoten nicht öffnen und also auch das Vieh nicht losbinden können. Als man es endlich im Hause vor Unruhe nicht mehr aushalten konnte, forderte man den lutherischen Prediger auf, es fortzuschaffen, allein der vermochte es nicht. Nun holte man einen katholischen Pater herbei, und dem gelang es durch seine Bannsprüche und geheimen Künste, es zu bändigen und sich untertänig zu machen. Derselbe wollte es nun mit einem Wagen mit zwei Pferden in die Heide fahren lassen, aber die beiden Pferde blieben damit stecken. Darauf ließ er vier Pferde anspannen, und diese brachten den Wagen, wenngleich nur mit genauer Not, fort. Der Pater fuhr selbst mit, befahl aber den Fuhrleuten, ja nicht umzusehen, als bis er es ihnen erlaube, denn sonst behalte er es nicht in der Gewalt. Als sie eine Strecke gefahren waren, sagte der Pater: »Jetzt seht euch mal um!« Das taten die Fuhrleute, da brannte das schreiende Ding lichterloh, brannte zur Strafe, wie ein Bund Stroh brennt, wenn man es anzündet. In der Heide setzte der Pater es ab mit der Aufgabe, hier die Heide zu zählen. Damit war es aber so schnell fertig, daß der Pater es bei der Rückfahrt auf Schmers Straße schon wiederfand, und zwar mit ausgespannten Beinen, die ganze Straße der Breite nach bestreitend, von einem Weidenstamme bis zum gegenüberstehenden. Da brachte es der Pater zum zweiten Male weg und zwar nach der Sager Heide und gab ihm auf, die Heide zu zählen und immer wieder von vorn anzufangen, so oft er fertig sei. Seitdem ist es noch nicht wiedergekommen, aber es heißt, daß es mit jedem Jahre einen Hahnenschritt näher an Sage herankomme, und wenn es dort ankomme, dann hätten wir den jüngsten Tag.


Vgl. 181c. Eine mustergiltige Erzählung von einem verdammten und gebannten Geiste s. noch 553g.

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TextGrid Repository (2012). Strackerjan, Ludwig. Sagen. Aberglaube und Sagen aus dem Herzogtum Oldenburg. Erster Band. Erstes Buch. Fünfter Abschnitt. 183. [Verdammt sind vorzugsweise die Wiedergänger, welche ein schweres]. s. [Vor längerer Zeit kamen einmal zwei Strumpfhändler nach Holle.]. s. [Vor längerer Zeit kamen einmal zwei Strumpfhändler nach Holle.]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-3166-D