155.

Nicht immer kündigen sich die kommenden Ereignisse so an, wie sie in Wirklichkeit auftreten. Häufig dient ein Nebenumstand als Vorspuk, ohne daß dieser als Vorgeschichte angesehen wird. Erst wenn die Sache »ausgetan« ist, wird man gewahr, daß man es mit einem Vorspuk zu tun hatte.

Auf dem Tische hat eine Schere geklirrt ohne alle erdenkliche Ursache. Nicht lange darauf gibt es im Nachbarhause eine Leiche, jene Schere wird bei Anfertigung des Leichenhemdes gebraucht; und siehe da, wie sie einmal unsanft auf den Tisch gelegt wird, klirrt sie gerade so wie damals. Ein Tisch knackt und knackt wieder, wenn er beim Wohnungswechsel transportiert, [137] oder wenn ein Leiche auf ihn gelegt wird. Teller, Tassen, Messer und Gabeln erklingen unberührt, und bald darauf ist aus freudigem oder traurigem Anlasse eine große Gesellschaft zu bewirten, bei welcher Gelegenheit das Geräusch sich wiederholt. Die Rouleaux, obwohl schon lange niedergelassen, machen ein Geräusch, als ob sie nochmals niedergelassen würden, aber doch etwas ungewöhnlich; einige Tage darauf stirbt ein Kind, und wie der Vater die Rouleaux herabläßt, ertönt das bereits einmal gehörte Geräusch. Ein Spinnrad schnurrt, und nach einiger Zeit wird die Tochter Braut, ihre Aussteuer wird auf dem Spinnrad gesponnen. Die Glocken läuten zur ungewohnten Zeit, oder ein Sturmläuten erschallt aus der Ferne, während doch keine Glocke weit und breit sich gerührt hat, und in einigen Monaten gibt es im eigenen oder im Nachbardorfe Brand, wobei die Glocken wirklich geläutet werden. Man riecht gebrannten Kaffee oder Moschus, obwohl nichts der Art im Hause ist; aber eine Kindtaufe, ein Sterbelager läßt in kurzem denselben Geruch wirklich durch das Haus ziehen.

a.

Es war im vorigen Herbst, am 14. Oktober morgens 4 Uhr, als ich im Erwachen das Rücken des Stuhls hörte, wie es meine Frau fast regelmäßig beim Aufstehen verursacht; ich glaubte auch das Scharren zu vernehmen, wie es sonst von ihren Pantoffeln ausgeht, wenn sie eben hineingetreten ist. Und doch lag meine Frau noch neben mir; ich weckte sie daher mit der Frage: »Was ist das? hörst du das Scharren nicht? Hat vielleicht das im kleinen Bette schlafende Kind durch die Decke den Stuhl in Bewegung gesetzt?« Meine Frau hatte nichts gehört und war nur über die Störung unzufrieden. Ich aber konnte nicht wieder einschlafen. Wir waren um 6 Uhr eben aufgestanden, als der Nachbar uns benachrichtigen ließ, um 4 Uhr sei seine Frau verschieden, und meine Frau ersuchen ließ, ihm jetzt doch zu Hülfe kommen zu wollen, wie sie in dringlichen Fällen sonst wohl getan. Als nun meine Frau wieder in die Kammer kam, um ihr Tuch umzutun, da hörte ich gerade dasselbe Geräusch mit dem Stuhle und wußte nun, was das diesen Morgen zu bedeuten gehabt. (Brake.)

b.

Ein Bäcker erzählte: »Wir waren einmal unserer sechs Gesellen in der Werkstatt, als mit einem Male nebenan auf der Diele ein Lärm entstand, als wenn der Holzstoß, der dort aufgestapelt war, zusammenfalle. Wir erschraken und sahen uns an, und es war uns unheimlich, indessen gingen wir mit Lichtern [138] hinaus, um die Sache zu untersuchen. Aber der Holzstoß war unversehrt und auch sonst keine Ursache des Geräusches zu entdecken. Kurz darauf erkrankte unser Meister und starb. Als er hinausgetragen werden sollte, fand sich, daß der Sarg zu klein war, oder richtiger, daß zu viel Hobelspäne hineingepackt waren. Der Sarg wurde daher auf der Diele wieder niedergelassen und der Deckel abgenommen, um einige Hobelspäne heraus zu legen. Dabei stieß der Deckel an jenen Holzstoß, so daß er zusammenbrach. Wir Gesellen standen in der Nähe und vernahmen dasselbe Geräusch, das wir schon einmal gehört hatten. Wieder erschraken wir und sahen uns an, aber wußten nun auch, was jenes erste Poltern zu bedeuten gehabt hatte.«

c.

In einem Hause zu Varel war das Mittagessen beendet und die Familie saß noch im Gespräch um den Tisch. Da gingen zwei Töchter in die Küche und setzten sich an das Feuer, kamen aber gleich darauf erschrocken und zitternd wieder hereingelaufen und versicherten, in der Stube an der Küche, in welcher doch niemand war, sei so eben laut geweint worden, und mehrere Stimmen hätten laut durcheinander gesprochen. Niemand wußte das Geschehene zu erklären. – Nun geschah es, daß gegen den Herbst hin das kleinere der beiden Mädchen, ein Kind von neun Jahren an der Schwindsucht erkrankte und bis in den Winter hinein elend litt. Endlich war die Krankheit aufs Höchste gestiegen. Das Kind rang mit dem Tode, konnte aber durchaus nicht zur Ruhe kommen, sondern verlangte beständig, in die erwähnte Stube neben der Küche gebracht zu werden. Da es aber starkes Frostwetter war und gerade der Ofen dort nicht gebraucht werden konnte, so durfte der Kleinen nicht gewillfahrt werden. Als sie aber immer und immer wieder davon anfing, mußte man sich endlich entschließen, sie mit Bett und Bettstelle an den gewünschten Ort zu bringen. Kaum war sie da, so wurde sie ruhig und starb. Darüber erhoben Mutter und Geschwister ein Schluchzen und Weinen, und alle Anwesenden sprachen klagend und tröstend laut durcheinander. Später beteuerte die älteste Schwester der Verstorbenen, daß dies Weinen und Durcheinandersprechen genau dasselbe gewesen sei, wie sie und die Verstorbene es im Sommer vorher gehört hätten.

Unsere Magd trat eines Morgens aus ihrer Kammer und klagte, sie habe eine unruhige Nacht gehabt, in dem leeren [139] Zimmer neben ihrer Kammer sei ein Jammern und Stöhnen gewesen, daß sie kein Auge habe zutun können. Mein Vater lachte darüber. Als am selben Tage der Dachdecker kam, um über dem Zimmer, aus dem das Weinen und Jammern gekommen, das Dach auszubessern, rief er ihm zu: »Paß auf, daß du nicht herunterfällst, unsere Minna hat in verflossener Nacht was gehört.« Die Arbeit ging ohne Unfall von statten. Einige Monate später erkrankte unser Vater und starb. Kurz vor seinem Tode wollte er vom Bett herunter, wurde auf ein Sofa gebettet und gab dort seinen Geist auf. Wir trugen die Leiche dann in jenes Zimmer, in welchem die Magd früher die Jammerlaute vernommen. Dort wurde der Entseelte aufgebahrt, während wir Kinder und das übrige Hauspersonal dabei standen und laut klagten und weinten. (Lutten.)

d.

In einem Hause zu Oldenburg wurde einst der Bruder der Frau von der Universität zurück erwartet. Alles war zu seiner Aufnahme bereit, die Stube eingerichtet, aber da seine Reise sich etwas verzögert hatte und er des Nachts ankam, fand er alles zu Bette. Er wußte ohne Störung in das bekannte Haus zu gelangen und legte sich ermüdet zu Bette. Aber bald erwachte er von einem starken Lärm im Hause. Es schien ihm, als wenn alle Möbeln in seiner Stube zum Hause hinausgeworfen würden. Er stand auf, aber nun war alles still. Als er sich wieder zu Bette legte, begann der Lärm von neuem und viel stärker. Er stand nochmals auf, und wieder war alles vorbei. Als er sich zum dritten Male ins Bett gelegt hatte, erhob sich ein so heftiges Poltern und Rumoren, daß er sich nicht mehr dabei beruhigte, sondern seinen Schwager und seine Schwester weckte und ihnen die Geschichte erzählte. Sie wunderten sich über seine unvermutete Ankunft, aber noch mehr über sein Erlebnis, denn sie selbst hatten nichts gehört. – Die nächste Nacht ward er wieder von einem schrecklichen Lärm geweckt und sah nun gleich, daß des Nachbars Haus in vollen Flammen stand. Nun kam es aus, daß alle Sachen des Hauses hinausgeworfen wurden. Er selbst aber kam bei dem Brande, als er mit retten wollte, ums Leben. – In derselben Nacht sind auf dem Klavier seiner Schwester, die auf dem Lande wohnte, viele Saiten gesprungen. Die Schwester soll gesagt haben, nun sei wahrscheinlich einer aus ihrer Familie gestorben, denn das künde sich in ihrer Verwandtschaft immer so an.

[140] Ich wurde nachts wach von einem seltsamen Spektakel im Hause; die Kühe zerrten an den Ketten, die Dreschmühle glaubte ich sich drehen zu hören, Türen wurden geschlagen, Kisten und Kasten verschoben u. dgl. mehr. Ich springe aus dem Bette und eile in die Küche, finde und höre nichts, alles ist ruhig. Das Rumoren wiederholte sich in kurzer Zeit noch drei Mal. Jedesmal, wenn ich aufstand, schaute ich nach der Uhr und sah die Zeiger zwei Uhr anzeigen. Dann kam wieder eine Nacht mit Aufruhr im Hause; ich verlasse mein Lager und sehe, daß das Vieh Grund hat, unruhig zu sein. Die ganze Tenne ist ein Feuermeer. Die Nachbarn eilen herbei, ziehen die Kühe aus den Ställen, tragen die Möbeln aus der brennenden Wohnung und es hört sich alles so an, wie ich es in den verflossenen Nächten vernommen hatte. Auch die Uhr war hinausgeschleppt worden und hatte im Gehen innehalten müssen. Als ich sie später besichtigte, sah ich, daß sie um 2 Uhr stehen geblieben war (Bakum). – Von zuverlässiger Seite übermittelt, ist aber verdächtig, denn die Uhrgeschichte wird auch anderswo erzählt.

e.

N.N. wohnte als junger Mann bei seinem Oheim, dem Pastor Siemer in Bakum. Im Jahre 1842 besuchte er mit der Haushälterin des Pastors den Vechtaer Stoppelmarkt. Bei der Rückkehr werden beide von einem Gewitter überrascht und genötigt, in einem Hause auf dem Gute Vardel Schutz zu suchen. Es ist 1 Uhr nachts, als sie in Bakum anlangen. Sie gehen an der Kirche vorbei, und da hört N.N. in derselben klar und deutlich die Präfation singen, er erkennt sogar an der Stimme des Singenden den Pastor in Oythe. Am andern Morgen erzählt er die Begebenheit seinem Oheim, der gesund und wohl ist. Dieser macht ein erstauntes Gesicht, sagt nichts und begibt sich in seine Stube. Nachmittags ruft der Pastor seine Haushälterin und erklärt ihr, er fühle sich nicht wohl und wolle zu Bett gehen. Er hat das Krankenlager nicht wieder verlassen, hat die Kirche lebend nicht wieder betreten und ist im Frühjahr folgenden Jahres gestorben. Der Pastor von Oythe hielt das Requiem (Totenofficium) und die Leichenrede. (Das Gesicht hat damals viel Aufsehen erregt.)

f.

Auf der Drantumer Mühle (Gem. Emstek) kündigte der Müllerknecht. Der Besitzer fragt nach dem Grunde. »Ich habe,« entgegnete der Müller, »klagende, herzzerbrechende Hilferufe [141] gehört und fürchte, daß mich ein Unglück treffen wird.« Und er blieb bei seiner Kündigung und ging. Bald darauf wurde sein Nachfolger von einem Mühlenflügel getroffen und über die Reeling geschleudert. Im Liegen stieß er Hilferufe aus in der Art, wie sie der abgegangene Müllerknecht gehört hatte.


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TextGrid Repository (2012). Strackerjan, Ludwig. 155. [Nicht immer kündigen sich die kommenden Ereignisse so an, wie sie]. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-325B-3