[64] IX.
Die Aufforderung.

Hirte.
Hirtengesang mir erhoben! Du, Daphnis, singe zuerst was,
Singe zuerst dein Lied, und knüpfe Menalkas daran denn,
Wann ihr die Kälber gemischt mit den Kühen, die Stier' mit den Gelsen.
Lasset zusammen sie weiden und mögen sie schweifen im Lande;
Nimmer verlaufen sie sich; du aber erhebe Gesang mir,
Du als Erster und dir geb' Antwort d'rauf der Menalkas.
Daphnis.
Freudig ertöne das Kalb und freudig ertönet die Kuh auch,
Freudig, die Syrinx, freudig der Kuhhirt, freudig ich selber.
Dort am kühlenden Bach ist mein Laubbett, mächtig gethürmet
Hab' ich die glänzenden Felle der schneeigen Kühe, die sämmtlich,
Als sie vom Hagbaum rupften, der Föhn von dem Felsen geworfen.
Mehr nicht, wahrlich, beacht' ich die dörrende Hitze des Sommers,
Als der Verliebte auf Worte von Vater und Mütterchen hin hört.
Hirte.
So sang Daphnis mir zu, und so sang nach ihm Menalkas.
Menalkas.
Aetna, mein Muttergebirg', auch mir zum Haus ist die Höhle
Tief im Felsengeklüft, und habe da, was nur im Traume
Irgend erscheint, viel Schafe und viel auch hab' ich der Ziegen,
[65] Deren Gehäut' mir liegt zu den Häupten und unter den Füßen,
Und das Gekrös kocht mir in den Gluten der Eich', in den Gluten
Knattert die trockene Buche im Winter; nicht macht mir der Frost mehr
Bang als die Nuß Zahnlosen, wenn nahe dem Munde der Brei ist.
Hirte.
Klatschend belobte ich Beide, und sogleich reicht' ich die Preise.
Daphnis gab ich den Stab, auf dem Felde des Vaters gewachsen,
Freies Gebild' der Natur, das kaum ein Künstler mir schälte;
Jenem ein Muschelgehäuse, ein zierlich gewundnes, deß Fleisch wir,
Wo ich's gefangen, verspeis't, auf hykarischer Klippe zu Fünfen
Fünffach es unter uns theilend. Und laut in die Schnecke denn blies er.

Musen des Hirtengesangs, o Heil euch, bringet das Lied jetzt,
Welches ich selbst damals vor den Hirten gesungen, den nahen:
Nimmer ein Blätterchen soll an der Spitze der Zunge mir wachsen!

Einer Cikad ist lieb die Cikad', Ameisen die Ameis'.
Falken auch ist es der Falk, mir aber das Lied und die Muse.
Voll sei ihrer mein Haus, mein ganzes, denn immer der Schlaf ist,
Nimmer der plötzliche Lenz was Süßeres, nimmer den Bienen
Blumen so werth, wie mir es die Musen sind: welchen sie ansah'n
Freudigen Blicks, dem wird selbst Kirke's Getränk nicht verderblich!

N.

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TextGrid Repository (2012). Theokrit. Lyrik. Idyllen. 9. Die Aufforderung. 9. Die Aufforderung. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-4F80-2