[54] VII.
Das Erntefest.

Jüngsthin war's, als ich selbst und Eukritos gegen den Haleus
Schlenderten weg von der Stadt und mit uns als Dritter Amyntas
Denn für die Ernte begiengen der Deo Fest Phrasidamos
Und Antigenes, Söhn' des Lykopeus, edel wie Etwas
Das aus der Vorzeit stammt, von der Klytia und von dem Chalkon
Selbst, der einstens Burinna, den Quell, mit dem Fuße hervorzwang,
Mächtig das Knie anstemmend dem Felsblock; her um ihn haben
Zum breitschattigen Hain sich Pappeln verwoben und Ulmen,
Thürmend ein laubig Gewölb' hoch auf aus grünenden Blättern. – –
Noch nicht hatten den Weg wir halb vollendet, noch zeigte
Nicht sich des Brasilas Grab, als wir durch günstige Musen
Einen Kydonier trafen, des Weges erwünschten Genossen.
Lykidas war sein Name, ein Geißhirt; keiner auch hätt' ihn.
Wenn er ihn sah, mißkannt, denn völlig erschien er ein solcher.
Deckte des haarigen doch und dichtdurchzotteten Bockes
Weißliches Fell ihm die Schultern, noch duftend vom Labe, vom frischen;
Rings auch war um die Brust ein verschossen Gewand ihm geschnüret
Mit dem geflochtenen Gurt, und den ölbaumholzenen Krummstab
Hatte die Rechte umfaßt. Da begann er mit freundlichem Spotte,
Lächelnden Aug's (doch hielt er das Lachen zwischen den Lippen):
Nun, Simichides, wohin um Mittag schleppst du die Beine,
Jetzt wo selber die Eidechs schlummert im Dornengehege,
[55] Und nicht Lerchen einmal mit buschiger Haube umherzieh'n?
Eilst du, zum Schmause geladen? wie oder zur Kelter von Einem
Dort aus der Stadt fort jagst du, da unter dem wandelnden Fuß dir
Jeglicher Stein aufschreit, von wuchtigen Schuhen gestoßen?
Und ich erwiederte ihm: Freund Lykidas, Alle behaupten,
Daß in der Syrinx du weit vor sämmtlichen Hirten emporragst,
Und vor den Mähenden weit. Das freut mich recht in der Seele,
Ob ich der Meinung auch bin, ich dürfe mich neben dich stellen.
Aber uns führet der Weg zum Feste der Garben; vertraute
Männer bestellen ein Mahl der Demeter, der prächtig umhüllten,
Erstlinge ihres Ertrags; denn hoch aufsteigenden Maßes
Hat mit ergiebigem Korne die Göttin die Tennen gefüllet.
D'rum wohlan (da gemeinsam der Pfad und gemeinsam der Tag ist),
Singen wir Hirtengesang! Lust bringt wohl Einer dem Andern.
Ward doch ich auch der Musen erklingende Stimme, mich nennen
Alle den besten der Sänger, doch kein Schnellgläubiger bin ich;
Nein fürwahr; denn nimmer, so dünkt mir, trüg' ob dem wackern
Sikelossohn ich's davon, ob dem Samier oder Philetas
In dem Gesange; ein Frosch würd' Kampf mit Cikaten ich wagen.
Also sagt' ich behutsam, doch jener mit freundlichem Lächeln,
Nimm hier, sprach er, den Stab, ich schenk' ihn dir, weil, für die Wahrheit
Du so völlig gewachsen, ein Ausschlag bist aus Kronion.
Wie mir im Herzen verhaßt ist der Zimmerer, welcher sich d'ran macht
Aufzurichten ein Haus wie Oromedon's ragender Bergkulm,
So All' was vom Geflügel der Musen, dem Sänger von Chios
Krächzend den Gegengesang, in vergeblichem Ringen sich abmüht.
Aber wohlan, laß eilig uns Lieder der Hirten beginnen,
Mein Simichid'; ich selbst ..... o sieh, ob dir es gefalle,
Lieber, das Liedchen, so jüngst ich über den Bergen gedichtet.

»Glückliche Fahrt sei gewährt dem Ageanax nach Mitylene,
So wann westlichen Zicklein die triefenden Wogen der Südwind
Zujagt, als wann Orion den Fuß dem Okeanos aufsetzt,
Falls er den Lykidas je aus der sengenden Glut Aphrodite's
Rettet, denn heiß nach Jenem verzehrt mir den Busen die Sehnsucht.
Niedrigen mögen zum Bett Halkyonen die Wogen des Meeres,
[56] Südwind ebnen und Ost, der schüttelt die Tange des Abgrunds;
Halkyonen, am liebsten des Nereus bläulichten Töchtern
Von dem Gevögel zusammt, das Beute sich holt aus der Salzflut!
Sei zur begonnenen Fahrt dem Ageanax nach Mitylene
Alles geneigt, und gelang' er in wohl einlassenden Hafen.
An dem Tag dann werd' ich, von Dill mir oder von Rosen
Oder Levkoien den Kranz um die Schläfe beständig bewahrend,
Den pteleatischen Wein aus dem Kruge, dem mischenden, schöpfen,
Gegen das Feuer gelehnt; drin sei mir die Bohne geröstet,
Armhoch werde daneben das schwellende Lager gethürmet
Aus des Asphodelos Kraut, dem gekräuselten Eppich und Dürrwurz,
Und ich trinke behaglich, Ageanax immer im Sinne,
Stets an dem Kelche die Lippen, hinunter bis tief auf die Hefe.
Flöten auch sollen mir dann zwei Hirten, der Ein' aus Acharnä,
Und aus Lykope der And're; daneben soll Tityros singen,
Wie für Xenea Daphnis in Lieb' einst glühte, der Kuhhirt,
Wie das Gebirg' er umschweifte und mit ihm klagten die Eichen,
Die an des Himera Strom hin wachsenden über den Ufern,
Als er wie Schnee hinschmolz auf den ragenden Höhen des Hämos,
[Oder des Rhodope, Athos, des Kaukasos, welcher die Welt schließt].
Singen auch soll er, wie einst in der Lade den Hirten der Ziegen
Lebend verschlossen gehalten des Hausherrn frevelnder Muthwill',
Wie ihn vom Kleefeld dann stumpfnasige Bienen genähret,
Kommend mit saftigen Blüthen zur würzigen Cedernumsargung,
Weil in den Mund ihm die Musen die Süße des Nektars gegossen.
Einzigbeglückter Komatas, so Wonniges hast du erfahren;
Du in die Lade verschlossen und du von dem Honige, den dir
Bienen gebracht, dich nährend hast so durchdauert den Frühling.
Daß du mit mir noch hättest gezählt in der Lebenden Reihe!
Dir hätt' ich im Gebirge die prunkenden Ziegen geweidet,
Hörend auf deinen Gesang, wie bald an Eichen gelehnet
Bald an Föhren, du süß ihn ausgoß'st, frommer Komatas!«

So viel sprach er und schwieg, und ihm zur Erwiederung nahm d'rauf
Also selbst ich das Wort: Mein Lykidas, anderes Viele
Lehrten die Nymphen auch mich, als die Rinder am Berg ich geweidet,
[57] Treffliches, welches vielleicht zum Throne des Zeus das Gerücht trug;
Aber das Beste von Allem ist das, womit, dich zu ehren,
Jetzt ich beginne; so hör' denn, ein Freund ja bist du der Musen.

»Eros hat wohl genies't dem Simichides! wahrlich der Arme
Sehnt nach der Myrto sich, wie nach Frühling dürstet die Heerde.
Aber dem trautesten Freund von Jenem, Aratos, ist Liebe
Tief in den Busen gedrungen zu lieblichem Knaben; Aristis
Weiß es (der herrliche Mann, der vortrefflichste, welchem Apollon
Selbst nicht schälte das Lied, das kläng' zur Laute am Dreifuß),
Wie durch Mark und Gebein für den Liebling Aratos erglühet.
Diesen, o Pan, du Eigner von Homole's lieblichen Auen,
Dräng' von selbst ungerufen dem Liebenden du in die Arme,
Sei es Philinos, der weich hin Schmelzende, sei es ein And'rer.
Thust du also, mein Pan, dann sollen Arkadia's Knaben
Nimmer mit Zwiebeln des Meers fortan auf Schultern und Seiten
Dich auspeitschen alsdann, wann Fleisches zu wenig vorhanden.
Aber bestimmest du anders, so flamme der Leib von den Nägeln
Ueberall dir zerkratzt; dann schlafe in brennenden Nesseln,
Dann treib' mitten im Winter dich um auf edonischen Bergen
An dem Geströme des Hebros, dem Sterne der Bärin ein Nachbar,
Und im Sommer bezieh' äthiopische äußerste Weiden,
Unter der Blemyer Fels, wo fürder der Nil nicht zu schauen.
Aber verlassend der Byblis und Hyetis holde Gewässer,
Wohner im ragenden Sitze der blondumlockten Dione,
Götter der Liebe, ihr Köpfchen bepurperten Aepfeln vergleichbar,
Trefft mit euern Geschossen den anmuthvollen Philinos,
Trefft ihn, weil sich der Arge nicht meines Genossen erbarmet.
Doch – er ist reifer ja schon als Birnen, es sagen die Mädchen:
›Weh, Weh! armer Philinos, die reizende Blüthe verwelkt dir!‹
Nicht mehr wollen, Aratos, wir wachsteh'n ihm vor der Thüre,
Nicht uns die Füß' ablaufen; der morgenverkündende Hahnschrei
Geb' einen Andern dahin der erquickunglosen Verdumpfung;
Molon allein sei gedrillt, o Bester, in solcherlei Kampfschul':
Uns lieg' Ruh' nur an, und ein Mütterchen komm' uns entgegen,
Die, ausspützend, von uns was unschön wolle verbannen!«
[58] Also sang ich, und er, mit freundlichem Lächeln, wie früher,
Reichte den Krummstab mir als gastliche Gabe der Musen,
Und abbeugend zur Linken verfolgte den Weg er nach Pyxa;
Eukritos doch und ich, als wir nun bei Phrasidamos
Ein uns gestellt mit dem schönen Amyntichos, streckten behaglich
Uns auf schwellende Streu von Blättern des würzigen Mastix
Und auf Weinlaub, frisch aus den Reben geschoren, darnieder.
Aber uns über den Häuptern erzitterten dicht an einander
Pappeln und Ulmen, und laut aus der Grotte der Nymphen herunter
Strömend erklangen uns nahe die Schwalle geheiligten Wassers.
Noch durch schattige Zweige hindurch sich freuend der Sonne
Mühten Cikaden sich ab im Geschwirr', und fern aus der Brombeer'n
Dornigem Dickicht hervor aufschnarrte die Unke im Hohlton!
Goldfink sangen und Lerche zusammen, das Turtelchen girrte,
Bienen mit hellem Gesumm' umflogen die quellenden Wasser.
Ringsum roch es nach Fülle des Sommers und roch nach dem Herbste;
Birnen zu unseren Füßen, zu Seiten uns kugelten Aepfel,
Weithin geschütteter Menge; hinab von duftiger Pflaumen
Schwerem Gewichte gezogen am Boden hin schwankten die Zweige,
Und vierjähriger Kitt ward oben gelös't von dem Fasse.
O ihr kastalischen Nymphen, das Haupt des Parnassos bewohnend,
Hat in der felsigen Höhle des Pholos je einen Becher
Solchen Getränks vor Herakles gesetzt der bejahrete Cheiron?
Hat den gewaltigen Hirten am Ufergestad' des Anapos,
Welcher die flüchtigen Schiffe mit Bergen bewarf, Polyphemos,
Solcherlei Nektar vermocht in den Hürden der Schafe zu tanzen,
Wie ihr Trunk, o Nymphen, gemischt habt an der Demeter
Tennebeherrschendem Altar? Auf's Neu' ihr mög' in den Haufen
Bald ich stecken die Schaufel, die worfelnde, und sie mir lächeln,
Büschel von Aehren und Mohn in den beiden ambrosischen Händen!

N.

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TextGrid Repository (2012). Theokrit. Lyrik. Idyllen. 7. Das Erntefest. 7. Das Erntefest. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-4F83-B