Coras Abreise

Wie die Vakanz gar gewesen ist, da hat meine Mutter gesagt, das gute Kind muß uns leider verlassen, und sie hat die Cora gemeint. Die Engländerin, die mit ihr hergefahren ist, hat geschrieben, daß sie wieder hinfahrt, und da muß die Cora mit.

Es sind bloß mehr acht Tage gewesen, und es ist traurig gewesen. Schon in der Frühe ist es traurig gewesen, wenn wir Kaffee getrunken haben. Wenn die Cora bei der Türe hereingekommen ist, da ist unser Ännchen hingelaufen und hat sie geküßt und hat sich eingehängt, und meine Mutter hat einen Seufzer gemacht und hat gesagt, in Gottes Namen, es sind bloß mehr acht Tage. Und dann hat ihr Ännchen den Kaffee eingeschenkt, und wie die Cora gesagt hat, er ist ein bißchen schwarz, hat Ännchen furchtbar geweint und hat gesagt, sie hat es nicht mit Fleiß getan, und die Cora darf ihr nicht bös sein. Und meine Mutter hat ihr den Zucker hineingetan und hat zwei zuviel genommen und hat gefragt, ob er süß genug ist, und sie hat noch einen hineingetan.

Und Ännchen hat Butterbrot gestrichen, und meine Mutter hat Honig darauf gepappt, und sie haben alles der Cora hingelegt, und sie haben selber gar nichts gegessen.

Aber sie haben bloß immer mit dem Löffel in ihre Tassen herumgerührt, und meine Mutter hat gesagt, ach Gott, in acht Tage schwimmt das Kindchen schon bald auf dem Meere.

Die Cora hat gesagt, sie muß nicht glauben, daß es gefährlich ist, aber meine Mutter hat gesagt, es ist schon gefährlich. Sie ist einmal auf dem See gefahren, wo das Schiff stark geschaukelt hat, daß sie sich gefürchtet hat, und es war doch unser Papa dabei.

[122] Die Cora hat gesagt, ihr Schiff ist viel größer; es ist dreimal so groß wie unser Haus; da kann kein Unglück nicht passieren.

Meine Mutter hat gesagt, man muß es hoffen, und dann hat sie gefragt, ob die Cora gerne hier war.

Die Cora hat gesagt, sie ist gerne hier gewesen, und meine Mutter war so lieb zu ihr und Ännchen und alle Leute, und es war so lustig, und sie muß es ihrem Vater erzählen, wie es in der kleinen Stadt war, und wie die Leute vor dem Fenster singen und dabei der Mond auf ihre Glatze scheint.

Da hat Ännchen gelacht, aber bloß ein bißchen. Und sie ist den ganzen Tag bei der Cora eingehängt gewesen, und beim Gut Nacht sagen hat meine Mutter der Cora einen Kuß gegeben und hat gesagt, in Gottes Namen, morgen sind es bloß mehr sieben Tage. Alle Leute haben es gewußt, daß die Cora fort muß.

Im Wochenblatt ist es gestanden, daß eine junge Dame von unserer Stadt scheidet und in die Heimat der Braminen geht, und daß man allgemein Glück für diese interessante Weltreisende wünscht.

Meine Mutter ist ganz stolz gewesen, daß die Cora in der Zeitung steht, und sie hat gesagt, man muß es ausschneiden.

Aber sie hat auch geweint, weil es heißt: in die Heimat der Braminen, und es ist furchtbar weit.

Der Buchbinder Stettner, bei dem man die Schulhefte kauft und die Pulverfrösche und die Knallerbsen, hat mich gefragt, ob es wahr ist, daß die Cora hin will. Ich habe gesagt, es ist schon wahr.

Da hat er aber gelacht und hat gesagt, man muß es nicht glauben, daß sie hingeht. Ich habe gesagt, ich weiß es gewiß, und sie hat schon eine Kajüte bestellt, wo man in der Hängematte drin liegt.

Er hat gesagt, sie glaubt es bloß, und sie kehrt wieder um. Er weiß es ganz genau, weil er auch einmal bis Frankreich gewollt hat und ist bloß bis Stuttgart gekommen, aber da ist er umgekehrt.

Ich habe gesagt, sie weint doch schon, und wenn sie nicht fort will, muß sie doch nicht weinen.

Da hat er den Kopf geschüttelt und hat gesagt, jetzt weiß er es ganz gewiß, und mit Weinen fangt es immer an, daß man umkehrt.

[123] Der Kaufmann Schwaiger hat mich im Laden vor alle Leute gefragt, wann es losgeht.

Ich habe gesagt, in sechs Tage, und da hat er gesagt, ich muß daheim ausrichten, er empfehlt dem Fräulein den Weg über Suez, weil es näher ist als über Kapstadt, und sie muß beim Roten Meer Obacht geben auf die Hitze, aber dann wird es wieder kühler.

Ich glaube, er hat es bloß gesagt, daß die Leute recht schauen, und die Magd vom Notar hat gleich gefragt, ob er schon dort war.

Er hat gesagt, er war beinah dort, aber er weiß es so genau von seine Pakete, die man ihm schickt.

Wie es bloß mehr fünf Tage war und noch viel trauriger, sind wir nach dem Essen im Zimmer gesessen, und die Lampe hat schon gebrannt. Meine Mutter hat zu der Cora gesagt, sie muß die Namen aufschreiben von alle Orte, wo sie hinkommt, daß man es auf der Landkarte sehen kann, wo sie ist. Ich habe gesagt, ich hole meinen Atlas, und ich bin hinaus. Da habe ich auf einmal dem Franz seinen Pfiff gehört, und ich habe den Atlas nicht geholt, sondern ich bin in den Garten hinunter.

Der Franz ist beim Brunnen gestanden, und es war ganz dunkel, und ich habe gefragt, bist du es?

Er ist näher zu mir gegangen und hat schnell gefragt, geht sie wirklich fort?

Ich habe gesagt, ja, am Samstag.

Da hat er meine Hand furchtbar stark gedrückt und hat gefragt, ob sie ganz fortgeht, daß man sie nicht mehr sieht. Ich habe gesagt, der Buchbinder Stettner glaubt, sie kehrt wieder um, aber ich glaube es nicht.

Da ist er auf den Brunnen gesessen und hat gesagt, er weiß es auch. Sie geht ganz fort, und niemand kann mehr hören, wie sie durch den Garten singt, und niemand kann mehr hören, wie sie lacht.

Ich habe gesagt, ich muß auch Zeitlang haben nach ihr, und ich habe gar nicht gedacht, daß man nach einem Mädchen Zeitlang haben muß.

Da hat er meinen Kopf gestreichelt und hat ganz still gesagt, ja, Ludwig, man muß Zeitlang haben nach ihr.

Auf einmal ist er fort gewesen, und ich habe es gar nicht gesehen, [124] weil es so finster war. Wie ich im Bett gelegen bin, habe ich gedacht, warum die Cora fortgeht, wenn alle nicht wollen; und ich habe gedacht, warum der Franz nichts sagt, daß er sie heiraten mag. Wenn er sie heiratet, bleibt sie noch lange bei uns, und sie fahrt bloß mit meiner Mutter fort, daß sie die Einrichtung kaufen, wie es bei unserer Marie gewesen ist. Und dann ist die Hochzeit zuerst in der Kirche, und dann in der Post, und es gibt Schampanier, und um vier Uhr sind der Franz und die Cora auf einmal nicht mehr da, und meine Mutter sagt, daß die beiden lieben Kinder in der Bahn sitzen und der liebe Gott sie begleiten muß. Aber die andern bleiben noch sitzen, und der Onkel Pepi kriegt einen Schwips und lacht furchtbar und fragt die Rosa, ob sie auch bald in der Bahn sitzen mag. Und dann wird getanzt. Es wird furchtbar lustig, aber der Franz traut sich nicht, und er hat es doch gesagt, wie wir hinter dem Holzstoß waren, daß er sich traut. Jetzt sind bloß mehr vier Tage, und vielleicht kriegt die Cora ihr Billet, und dann muß sie fort, weil es sonst ungültig wird.

Da ist mir eingefallen, daß ich es ihr sage, und ich bin ganz lustig geworden, und dann bin ich eingeschlafen.

In der Früh beim Kaffee haben sie wieder nichts gemocht, und die Cora auch nicht. Ännchen hat rote Augen gehabt und hat immer die Cora angeschaut, und wenn die Cora den Mund aufgemacht hat, hat sie ihr drauf geküßt.

Ich habe gedacht, wie sie anders sind, wenn sie auf einmal hören, die Cora bleibt da, und der Franz heiratet sie auf der Post. Aber ich habe mir noch nichts merken lassen. Nach dem Kaffee hat meine Mutter gesagt, Ännchen muß auf den Markt gehen und einkaufen. Ännchen hat gesagt, sie bittet die Cora, daß sie mitgeht, aber die Cora hat gesagt, sie muß ihre letzten Sachen einpacken, weil es Nachmittag abgeholt wird.

Da ist Ännchen ganz traurig hinaus, und ich habe aber zu der Cora geblinzelt. Sie hat gefragt, ob ich ihr was will, und meine Mutter hat mich angeschaut.

Da habe ich gesagt, ich will ihr nichts, und warum sie es glaubt. Weil du so merkwürdig mit die Augen machst, hat sie gesagt. »Ich?« habe ich gefragt.

Aber meine Mutter hat gesagt, ich habe überhaupt so dumme Angewohnheiten; vielleicht war es eine.

[125] Ich habe gedacht, sie wird es bald erfahren, und ich habe gewartet, bis sie hinaus war.

Da habe ich zu Cora gesagt, ich will ihr schon etwas.

Sie hat ein bißchen gelacht und hat gesagt, sie hat es gleich gedacht. Vielleicht habe ich wieder ein schlechtes Gewissen, und sie will mir zum Abschied gerne helfen, wenn sie kann.

Ich habe gesagt, es ist gar nichts wegen mir, sondern wegen ihr.

Wegen ihr? hat sie gefragt.

Jawohl, habe ich gesagt, und sie muß noch warten mit dem Einpacken, daß sie keine Arbeit nicht hat mit dem Auspacken. Sie hat gesagt, sie versteht mich gar nicht; ich soll es geschwind sagen.

Ich habe gesagt, ich kann es da nicht sagen, und ich komme zu ihr, wenn sie in ihrem Zimmer ist. Sie hat den Kopf geschüttelt und hat gefragt, was ich für merkwürdige Geheimnisse mache, aber da ist meine Mutter wieder herein, und ich habe geblinzelt und bin hinaus.

Oben auf dem Gang habe ich gepaßt, bis die Cora zu sich hinein ist. Da bin ich auch hinein.

Sie hat wieder ein bißchen gelacht und hat gesagt, sie muß um Entschuldigung bitten wegen die Unordnung, denn es ist alles voll Sachen, die in den Koffer müssen.

Ich habe gesagt, sie kann die Sachen in den Schrank tun, und der Koffer muß wieder auf den Dachboden.

Mit was sie dann reisen muß, hat sie gefragt.

Mit nichts nicht, habe ich gesagt.

Da hat sie gesagt, ich muß nicht solche Rätsel machen, weil sie kein so gescheiter Junge ist, wie ich, sondern bloß ein Mädchen, das kein Rätsel nicht auflösen kann.

Ich habe gesagt, ich erkläre es gleich, und sie muß zuerst sagen, ob sie gerne hier bleibt, oder ob sie lieber fahrt.

Sie hat gesagt, daß man nicht fragt, ob sie mag, sondern sie muß zu ihrem Papa.

Ich habe gesagt, kein Mädchen bleibt bei ihrem Papa, wenn es heiratet, sondern es fahrt mit der Eisenbahn fort, und die Mädchen tun bloß so, als ob sie bei dem Papa bleiben mögen, aber sie sind doch froh, daß sie fortfahren dürfen, wenn die Hochzeit vorbei ist.

[126] Da hat die Cora auf einmal gelacht, als wie früher, und sie hat sich auf den Koffer gesetzt und hat mich angeschaut, und sie hat gesagt, es ist großartig, was ich für gute Kenntnisse habe.

Ich habe gesagt, ich weiß es genau, weil ich schon dabei war. Unsere Marie hat auch geheult, wie sie mit dem Bindinger fort ist, aber in ein paar Tage hat meine Mutter gesagt, daß sie einen furchtbar glücklichen Brief geschrieben hat und da hat man gemerkt, daß sie froh war. Die Cora hat noch immer gelacht, und sie hat gesagt, ich bin der feinste Junge von dem alten Europa, und es ist furchtbar nett, daß ich sie heiraten will, bloß daß sie bleibt, aber es geht nicht, weil ich noch zehn Jahre warten muß, und so lange kann sie nicht mit die Vorbereitungen hier bleiben.

Da habe ich gesagt, ich will sie gar nicht heiraten.

Sie hat gesagt, das ist schade, und sie hat sich umsonst gefreut, aber sie versteht gar nicht, warum ich dann so rede.

Da habe ich ihr gesagt, daß sie den Franz heiraten darf und keine zehn Jahre nicht warten muß.

Sie ist ganz rot geworden und hat das Lachen aufgehört. Und sie hat gefragt, ob es der Herr Reiser weiß, daß ich mit ihr so was rede.

Ich habe gesagt, er weiß es nicht; ich habe ihm nichts gesagt, aber wenn es vorbei ist, da ist er froh.

Du hast es ganz auf deine Rechnung gemacht? hat die Cora gefragt.

Jawohl, habe ich gesagt. Ich habe mich schon getraut, weil ich weiß, wie es geht, aber der Franz traut sich nicht. Er möchte es furchtbar gern sagen, aber wenn er dich sieht, versteckt er sich hinter dem Holzhaufen. Da ist sie wieder ein bißchen rot geworden und sie hat gesagt, sie muß denken, ich will bloß, daß sie nicht fortgeht, und ich bin ein guter Bengel.

Ich habe gesagt, ich will auch, daß der Franz wieder lustig wird. Früher hat er mir gezeigt, wie man einen schnell hinschmeißt und wo man einen hinhaut, daß er keine Luft nicht mehr hat, aber jetzt will er mir nichts zeigen und redet bloß, daß ich lernen soll, bis ich Griechisch kann, weil einen sonst die Mädchen nicht mögen und lieber mit die Apotheker tanzen.

Die Cora ist aufgestanden und ist ganz nah zu mir gegangen und hat in jede Hand mein Ohr genommen, aber sie hat nicht [127] weh getan und sie hat ganz sanft geredet. Sie hat gesagt, es ist wahr, daß ich lernen muß, aber nicht wegen die Mädchen, sondern wegen meine alte Mutter, die so furchtbar gut ist und die so gerne einen Stolz haben möchte mit mir. Ich muß es ihr zum Abschied versprechen und ich bin gewiß ein tapferer Junge, der sein Wort hält.

Ich habe gesagt, ich will es schon probieren, aber warum sie sagt, zum Abschied, wenn sie doch den Franz heiraten darf.

Sie hat gesagt, wir wollen nicht von solchen Sachen reden, oder wir wollen später einmal davon reden, wenn ich groß bin und vielleicht nach Indien komme. Das ist wahr, habe ich gesagt, ich muß hin, weil ich doch einen Tiger schieße.

Aber zuvor muß ich tüchtig lernen, hat sie gesagt, und ich muß ein rechter Mann werden, daß sich die alte Mutter an mich stützen kann und ich muß ihr die Hand darauf geben.

Ich habe sie ihr gegeben, und sie hat einen festen Ruck gemacht, als wenn sie ein Junge ist.

Und dann hat sie gesagt, ich muß jetzt gehen, weil sie einpackt.

Aber bei der Türe bin ich stehen geblieben, und ich habe gesagt, ich fürchte, der Franz wird jetzt ganz traurig.

Sie hat ein bißchen gelacht und hat gesagt, er wird schon wieder lustig, und in einigen Wochen zeigt er mir wieder, wie man einen hinschmeißt, und er wird später gewiß ein Mann, der soviel wert ist, wie der Apotheker, und ich darf es ihm sagen, wenn sie fort ist.

Da bin ich hinaus, und ich habe gedacht, daß es ganz anders war, als wie ich gemeint habe, aber sie ist ein feines Mädchen, und es ist furchtbar schade, daß sie fort muß. Kein Mensch möchte nicht weinen, wenn die Rosa nach Afrika geht; und wenn man weiß, daß sie von einer Riesenschlange kaputt gedrückt wird, möchte man auch nicht weinen. Aber leider, sie geht nicht hin.

Und dann ist der Samstag gekommen, und um zehn Uhr haben wir auf die Bahn müssen, aber um sechs Uhr sind wir aufgestanden.

Ännchen hat ein ganz nasses Gesicht gehabt, und meine Mutter hat auch immer mit dem Sacktuch die Augen gewischt, und die Cora ist blaß gewesen.

[128] Sie hat aber gesagt, man muß nicht traurig sein, sondern man muß sich freuen auf das Wiedersehen.

Da hat meine Mutter den Kopf geschüttelt, und sie hat gesagt, sie ist so alt, und man kann nicht denken, daß sie noch einmal die Cora sieht.

Ich kann es nicht aushalten, wenn sie solche Worte macht, und ich habe es jetzt auch nicht ausgehalten, sondern ich habe furchtbar geweint. Und da ist es um den ganzen Tisch angegangen, und Ännchen hat es gestoßen, und über der Cora ihre Backen sind die Tränen gekugelt, aber ich habe am lautesten getan. Da hat meine Mutter gesagt, es ist nicht recht, daß wir der Cora ihr Herz schwer machen, und sie fahrt doch heim zu ihrem lieben Papa.

Die Cora hat sich gewischt, und sie hat probiert, ob sie nicht ein bißchen lachen kann, und sie hat sich hinübergesetzt auf das Kanapee neben meiner Mutter und hat ihr die Hand geküßt. Sie hat gesagt, sie will ihrem Papa erzählen, wie schön es in dem alten Deutschland ist, und noch gerade so schön, als wie er dagewesen ist. Die Sonne scheint darüber, und die Bäume machen Musik im Wald, und der Bach lauft durch die Wiesen und ist so lustig und so klar, als wenn es nicht vierzig Jahr später ist. Und mitten in dem lieben Deutschland sitzt seine Schwester und hat ein bißchen graue Haare, aber kein altes Herz nicht, und das Herz schlägt recht stark für den Mann, der so weit weg ist, und wenn die Sonne hinuntergeht, gibt sie ihr aus dem kleinen Zimmer einen Gruß mit, und die Sonne bringt ihn mit, wenn sie drunten aufgeht.

Ja, hat meine Mutter gesagt, und allen Segen von der alten Heimat. Es ist furchtbar, was sie für Worte gemacht haben, daß man nicht hat aufhören können zum Weinen.

Aber dann hat meine Mutter zu Ännchen gesagt, ob sie das Schinkenbrot eingewickelt hat, und die Flasche Wein, und das Obst. Und sie hat zu Cora gesagt, sie darf nicht am offenen Fenster sitzen in der Eisenbahn, und sie muß den Rotwein trinken, und wenn sie im Hotel ist, muß sie die Türe zusperren und unter dem Bett schauen, und sie darf in keinem Eisenbahnwagen allein sitzen, sondern immer wo Leute sind.

Die Cora hat es versprochen, und sie hat auch versprochen, daß sie überall schreibt, ob sie gut hingekommen ist, und Ännchen [129] hat gesagt, sie will jeden Tag genau aufschreiben, wie es gewesen ist, und es der Cora schicken.

Auf einmal ist die Magd gekommen und hat gesagt, der Wagen ist da, und über die Stiege ist der Kutscher gegangen und hat gefragt, ob man keinen Koffer nicht hat.

Die Magd hat die zwei Koffer geholt, und Cora ist mit Ännchen hinauf, und sie haben eine Tasche geholt. Aber meine Mutter ist im Zimmer geblieben, weil sie nicht mit auf die Bahn ist. Die Cora hat sie lang gebittet, daß sie nicht mitgeht; sie hat gesagt, sie mag von meiner Mutter nicht vor fremde Leute auf der Bahn Abschied nehmen, und sie will, daß meine Mutter beim Fenster hinausschaut, wenn sie sich noch einmal umdreht und das liebe Haus, wo sie gewohnt hat, zum letztenmal sieht.

Da hat meine Mutter gesagt, sie will es tun.

Aber jetzt sind sie wieder heruntergekommen mit die Koffer und der Tasche, und die Cora ist zuerst in das Zimmer.

Meine Mutter ist langsam von dem Kanapee aufgestanden, und sie hat gesagt, in Gottes Namen, es muß sein.

Die Cora ist schnell zu ihr, und sie hat sie umarmt, und sie hat gesagt, liebe, liebe Mutter. Ich habe geglaubt, meine Mutter weint jetzt, und wir müssen auch.

Aber meine Mutter hat nicht geweint, und ihre Stimme war ganz still, und sie hat gesagt, leb wohl, mein gutes, stolzes Kind.

Und da hat sich die Cora gebückt und hat ihre Stirne auf die Hand von meiner Mutter gelegt und ist schnell fort. Und draußen hat sie gesagt, jetzt kommt, und sie ist voran über die Stiege.

Vor unserm Haus sind viele Leute gewesen. Der Sattler Weiß ist dagestanden und der Kaufmann Schwaiger und der Buchbinder Stettner und der Kollerbräu und die Bräuburschen, und viele Frauen und Kinder sind dagewesen.

Sie haben es sehen gewollt, wie es geht, wenn man nach Indien fahrt. Ich bin ganz stolz gewesen, und ich habe vom Bock heruntergeschaut, und der Sattler Weiß hat seinen Hut geschwenkt und hat gerufen, glückliche Reise über dem Meere.

Aber der Stettner ist ganz nah gestanden, und er hat zu mir auf den Bock geblinzelt und hat gesagt, auf Wiedersehen in acht Tagen, und er hat gelacht.

Da hat der Kutscher geknallt, und der Wagen ist fort und [130] hat Spektakel gemacht über das Pflaster, und die Leute haben gerufen.

Die Cora ist aufgestanden und hat mit dem Taschentuch gewunken, und meine Mutter hat beim Fenster hinausgeschaut und hat auch gewunken. Zuerst hat man sie gut gesehen, aber dann hat man bloß mehr ihr weißes Sacktuch gesehen, und dann sind wir um die Ecke gefahren.

Auf dem Bahnhof ist die Tante Theres gestanden mit ihrer Rosa, und der Onkel Pepi war da. Der Seitz und der Amtsrichter Reinhardt ist auch dagewesen, und der Knilling und die Frau Notar und andere Leute.

Ganz hinten habe ich den Franz gesehen, und er hat einen Blumenstrauß in der Hand gehabt.

Die Tante Theres ist hergekommen und hat gefragt, wo meine Mutter ist. Die Cora hat gesagt, sie hat meine Mutter gebittet, daß sie nicht mitkommt.

Da hat die Tante Theres gesagt, so? Und sie hat ihre Rosa angeschaut, daß sie sich es merken muß. Und die Rosa hat ihre Augen herumgehen lassen, daß sie alles sieht und sich merkt.

Dann hat die Tante Theres die Blumen angeschaut, die meine Mutter der Cora gegeben hat, und sie hat gesagt, es sind viele Rosen, und in diese Jahreszeit muß man die Rosen bis von München schicken lassen, weil man hier keine kriegt. Und sie hat wieder ihre Rosa angeschaut.

Und dann hat sie gefragt, also jetzt geht die Reise wirklich fort? Die Cora hat gesagt, ja, und sie hat Ännchen ihr Gesicht gestreichelt.

Die Tante Theres hat gesagt, gewiß freut sich die Cora auf Indien, weil sie es viel besser gewohnt ist wie hier, aber unser Ännchen muß jetzt einsam sein, denn sie ist ja mit gar niemand mehr verkehrt, als mit der Cora, und jetzt ist sie allein.

Da hat aber der Onkel Pepi geredet und er hat gesagt, es ist schade, daß er so alt ist; wenn er noch jung wäre, ließe er die Cora nicht fort, und die jungen Menschen heute sind dumm, weil sie so ein hübsches Mädchen fortlassen.

Die Cora hat zu ihm gelacht und hat ihm die Hand geschüttelt, und der Onkel Pepi hat auch gelacht.

Aber die Tante Theres hat die Rosa angeschaut, daß sie es sich merkt.

[131] Jetzt hat der Zug von der nächsten Station abgeläutet, und der Expeditor ist mit seine rote Mütze hergekommen und hat gegrüßt wie ein Offizier und hat dem Stationsdiener gewunken. Er ist hergesprungen, und der Expeditor hat ihm gesagt, er muß das Gepäck hintragen für das gnädige Fräulein, welches bis Indien fahrt.

Die Cora hat ihm gedankt, und er hat gegrüßt wie ein Offizier, und er war furchtbar stolz.

Und der Stationsdiener hat die Koffer genommen und hat sie mitten hingestellt, und er war auch stolz.

Der Seitz und der Reinhardt sind hergegangen, und der Seitz hat gesagt, er ist gekommen für das letzte Lebewohl. Die Cora hat gesagt, er ist sehr freundlich, und sie hat dem Seitz und dem Reinhardt die Hand gegeben.

Der Reinhardt hat die Absätze aufeinander gehaut, und der Seitz hat gesagt, vielleicht versinkt die Erinnerung in den tiefen Ozean und unter die Palmen.

Aber die Cora hat nicht aufgepaßt, und sie hat mit Ännchen geredet, daß sie nicht so weinen muß, und sie bleiben einander gut, und dann hat sie still mit ihr geredet, und sie haben sich oft geküßt.

Die Rosa hat immer hingeschaut, und ich glaube, sie hat es gezählt.

Aber der Onkel Pepi hat geschnupft, und er hat wieder gesagt, der Teufel muß ihn holen, wenn er ein junger Mann sein möchte, darf kein so hübsches Mädchen nicht fort.

Da hat man hinter dem Weberberg einen Rauch gesehen, und es war schon der Zug. Der Stationsdiener ist gelaufen, und er hat geläutet und hat gerufen, daß man einsteigen muß.

Der Expeditor ist wiedergekommen mit seine rote Mütze, und alle Leute sind um die Cora herumgewesen. Ich habe geschaut, ob der Franz nicht kommt, aber er ist hinten gestanden. Da hat ihn die Cora auch gesehen, und sie ist geschwind zu ihm gegangen, und er hat seinen Hut herunter, und in der andern Hand hat er die Blumen gehabt. Die Cora hat gefragt, ob ihr die Blumen gehören.

Er hat gesagt ja, und er ist rot gewesen, als wenn er brennt.

Sie hat die Blumen genommen, und sie hat gesagt, es freut sie, und sie hat ihm die Hand fest geschüttelt und hat gesagt, leben [132] Sie wohl und behalten Sie mich in einem guten Andenken. Dann ist sie weg, und der Franz hat nichts sagen gekonnt und hat sich geschwind umgedreht, daß man nicht sieht, daß er weint.

Aber die Cora ist zu dem Wagen, und es war erste Klasse, und der Stationsdiener hat furchtbar laut dem Kondukteur gerufen, daß er aufmacht für das Fräulein, welches bis Indien fahrt.

Und der Kondukteur hat die Tür aufgerissen, und er hat seine Hand an die Mütze getan, und der Stationsdiener hat die Koffer hineingeschoben. Die Cora hat Ännchen umgearmt, und dann hat sie mich auch umgearmt, und sie hat gesagt, ich bin ein tapferer Junge und halte gewiß mein Wort, und dann hat sie wieder Ännchen geküßt. Der Expeditor ist hergekommen und hat gesagt, man muß entschuldigen, aber der Zug geht.

Da ist die Cora hinein.

Sie hat das Fenster heruntergetan und hat zu mir und zum Ännchen gesagt, lebt wohl und auf Wiedersehen!

Der Seitz hat gerufen, Glück auf in dem Lande der Braminen, aber Ännchen hat bloß geschluchzt, Cora, liebe Cora, und der Zug ist gegangen, und sie ist daneben hergelaufen.

Aber dann ist der Zug schnell gegangen, und beim Bahnwärterhaus hat man noch ihr weißes Tuch gesehen.

Und dann war sie fort.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Thoma, Ludwig. Erzählprosa. Tante Frieda. Neue Lausbubengeschichten. Coras Abreise. Coras Abreise. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-5125-5