[106] Botzen

Welche Wonne!
Unten liegt ein Himmelsthal
Im Glanz der reinen Sonne.
Wie der Weg sich senkt
Rücken neue Hügel, Berge vor –
Rundum Glanz und Farbenpracht;
Am Wege hohe Hecken
Von blühenden Granaten,
Gluth auf Gluth gedrängt.
Wie voll, wie frisch, wie lachend
Hier Kuß an Kuß
Und Liebesgruß
In grünen Zweigen winkt.
[107]
Die Geführten wandeln jubelnd,
Und werfen die rothen Blüthen
Lachend dem Kranken zu.
Plötzlich ertönt,
So scharf und voll
Betäubend fast
Ein Chor von grillenden, schrillenden Stimmen.
Das ist der Cicadengesang,
So oft von alten Dichtern gepriesen,
Doch wehe!
Kein andrer Ton dringt in mein Ohr,
Kein Baumgeflüster,
Kein Vogelgesang,
Und wiederhallen
Die Felsen rings
Das klanglose taube Gezirpe.
Doch eben so plötzlich
Als es begann
[108]
Verstummt es jetzt.
Und ein lieblich Schweigen
Dehnt sich wollüstig
Liebeathmend
Durch den Raum des blauen Himmels,
Durch das blühende Thal
Und über die lachenden Gebirge hin.
Und meine Seele
Strebt vergeblich
Worte zu finden,
Ihr stilles Entzücken
Sich und andern zu sagen.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Tieck, Ludwig. Gedichte. Gedichte. Dritter Teil. Reisegedichte eines Kranken. Botzen. Botzen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-5317-6