[117] Juliens Grab

Dieser öde Winkel, dieser kalte Stein
Soll das Grabmal seyn
Jener Liebesblüthe,
Die des Dichters himmlisches Gemüthe,
So rührend nah, vertraut bekannt
An unser Herz mit tausend Leiden band?
Braucht der Sage holder Traum
Zeit und Raum?
Fernab baut sie nur aus Lichtern
Und aus Schattendunkel,
Ihre Bühne: weh den Dichtern,
Wenn so kalte nackte Wände,
Ohne Schmuck und Zier
Bieten dürre Todtenhände,
Starr entgeistert stehen wir.
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Alles widerstrebt, was Phantasie
Uns gezeigt und vorgespiegelt,
Dieses war der Kirchhof nie,
Der die Liebenden im Tod vereint,
Wo noch Romeo geweint,
Und ein Kuß den letzten Schmerz versiegelt.
Alte Sagen gehn und kommen,
Orient und Occident
Oft zu einem bunten Licht zusammenbrennt:
Hat die Mähre Platz genommen
Und tönt von des Volkes Munde,
Sucht der Freund dann Zeit und Stunde,
Haus und Raum
Lügenhaft dem süßen Traum;
Vor Gerippe wird man hingestellt:
Diese waren,
Heißt es dann, vor Jahren
Einst die Schönheitsmuster aller Welt.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Tieck, Ludwig. Gedichte. Gedichte. Dritter Teil. Reisegedichte eines Kranken. Juliens Grab. Juliens Grab. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-55B7-E