[121] Lebens-Elemente

1. Die Erde

Höher kann der Muth nicht streben,
Wunderbar bin ich besiegt,
Und ich fühle, wie das Leben
Seinem Widerstand erliegt.
Festen Trittes geht mein Sehnen
Auf die Dauer, Sicherheit,
Alle Wünsche, alle Thränen
Zittern vor der Ewigkeit.
Hier auf grüner Flur zu weilen
Nahe dem geliebten Kern,
Mäßig Freud' und Leiden theilen
Will die arme Seele gern.
[122]
Pflanzen kehren balde wieder,
Von den Bäumen fällt das Laub,
Alle Blumen sinken nieder,
Alle Farben löscht der Staub.
Frühling, Herbst und Sommer kommen,
Wie ein Lächeln gehn sie fort,
Und die Flammen sind verglommen,
Liebe flieht, ein eilend Wort.
Willst du tiefer, inn'ger walten
Als um dich die ganze Welt,
Was die tausendfach Gestalten
Bindet und zusammenhält?
Laß entfliehen, laß entfließen,
Dem nicht Dauer ist geliehn,
Demuthsvoll sollst du genießen,
Und im Stolze sollst du büßen,
Alles, alles muß verblühn.

[123] 2. Das Unterirdische

Was will die Angst an meiner Seele?
Was flüchten die Gedanken fort?
Wohin ich fliehe und mich quäle,
Entdeck' ich keinen sichern Ort:
Mein Fuß gehemmt, mein Athem schwer,
Die Brust so voll, das Herz so leer.
Ich will mich tiefer, tiefer gründen,
Unsicher wird die Sicherheit,
Die Kräft' erblinden und entzünden
Sich ringend nach der Ewigkeit,
Der Seele Wurzel streckt sich weit,
Will greifen aus der Zeitlichkeit.
Da kommen Strahlen an, die bunten,
Aus alten Reichen ohne Licht,
Es murren dumpf Gewässer unten.
Entgegen streckt sich ein Gesicht,
Wie bang, wie schwer, es winkt und lockt,
Das Herze bebt, der Athem stockt.
[124]
»Gieb dich gefangen, sey gefangen,
Ich thue auf mein stilles Reich.
Ich kenne dich, dein starr Verlangen,
Mein steinern Herz biet' ich dir gleich,
Manch Edelstein, manch gülden Stück
Giebt dir den kalten Liebesblick.
Von hier die bunten Pflanzen stammen,
Von hier nimmt Baum und Gras die Kost;
Hier schlummern sie die ewgen Flammen,
Die dir erzeugen süßen Most.
Die Berge wie das wüste Meer,
Sie liegen in mir groß und schwer.
Steig nieder hier mit deinen Sinnen,
Mein steinern Herze steigt in dich;
So magst du von mir abgewinnen,
Was mir zur Last und fürchterlich.
O laß es werden deine Lust,
Was mir beschwert die volle Brust.«
[125]
Ha! folg' ich ihm? bleib' ich zurücke?
Mich treibt die Angst zurück und vor.
Die Stimme ruft mir all mein Glücke,
Die fernsten Wünsche in mein Ohr;
Entrissen von den süßen Tönen
Schau' ich krystallene Sirenen.

3. Das Wasser

Blauer, fließender Aether,
Der von der Berge Gipfel
Sich niedertaucht;
Und süß genährt
Von strebenden Kindern,
Die ihm in die Arme stürzen,
Froh lachend an den Busen fliegen,
Daher mit seinen athmenden Fluten zieht.
[126]
Nieder gehst du
In Andacht,
In Demuth,
Entfliehst den Gebirgen,
Den steilen Höhen,
Und senkst dich seelig sanft in stille Thäler.
Fort schlägst du mit lebenden Pulsen
In triumphirender Freude,
Im ungehemmter Bewegung,
In's ewige Meer,
Das große, unergründliche, nie ermeßne.
Dich nähren die Wunder der Tiefe,
Du saugst mit Lebensathem
Die verlassensten, einsamsten Kinder
Zu dir ins lichte Leben herauf.
Deine Herzens-Adern ziehn sich in den Abgrund,
Niemals steigt dein heiliges Blut
Mit seinen hohen Strömen in das Dunkel,
Du verschmähst es.

[127] 4. Die Luft

Holde Sehnsucht, steigst du nieder?
Süßer Strom, der mich ertränkt?
Ew'ge Ruhe, kehrst du wieder,
In die sich das volle Herz so still versenkt?
Deine kühlen Fluten dringen
Tief in's Innre der Natur,
Dir entgegen, Holde, bringen,
Alle Welten ihre Kinder deiner süßen Spur.
Ueberall bist du gebettet,
Nährst und säugst die volle Welt,
Auch an dich mein Lebensstrom gekettet,
Dir entgegen ist mein Herz gestellt.
Wogendes, kreisendes Meer,
Sich selbst gebährend,
Alles ernährend,
Du ruhst in dir mit deinem Stürmen schwer.
[128]
Wann die Wetter sich erzeugen,
Wann sich die knarrenden Eichen beugen,
Und die Wolken flatternd jagen,
Nieder der Blitz sich reißt,
Und sein rothes Auge, glühend
Durch die schwarze Wüste ziehend,
Das Innre der flammenden Welt uns weißt:
Dann erzeugt sich in dem Streite
Nur die stille, liebe Ruh,
Die Empörung geht zur Seite,
Und die Sanftheit deckt mit Flügeln
Auf den Wäldern, Bergen, Hügeln,
Alles schweigend mit dem linden blauen Athem zu.

[129] 5. Das Feuer

Sey mir gegrüßt,
Wonne des Wiedersehns,
Alte Heimath,
Ewige Kunde des vorigen Bundes.
Strebend,
Kämpfend,
Wild verwirrend
Entspringt aus der Unruh Keim
Der Bann der Ordnung.
Der streitende Kreis ringt in sich selber
Und gährt und ängstet sich in die Ruhe zurück,
Vom eignen Widerwillen festgehalten
In enger Gegenwart:
Da wohnt im Innersten,
In heiligster Einsamkeit verschlossen
Die Erinnrung;
Sie reißt sich los,
[130]
Und bricht hindurch
Durch alle Hallen
Und kalten tyrannischen Vorhöfe,
Und schwingt der Freiheit goldnes Panier.
Im Schwinden erblinden die alten Kräfte,
Verbinden, entzünden sich freundliche Mächte,
Und der Vorhang fällt,
Und statt der Leere
Schaut uns das Auge an.

6. Das Licht

Schon grüßt der Vater seinen Sohn,
Schon steht er an der alten Schwelle,
Ihm winkt und lockt die liebe Helle
Das Licht dadrein, ein sanfter Ton.
Hier klopft das Herz, die letzte Wand
Hält Kind und Vater noch zurücke,
[131]
Sie ahnden schon die Liebesblicke,
Was sie getrennet sonst, verschwand.
So öffne denn die letzte Thür;
Willst du noch immer weiter ziehen?
Entflieh hinein, sonst müßt du fliehen,
Dir nach tritt, dem du kaum entgangen,
Mit frischen Wangen
Das falsche Verlangen:
Drum bleibe hier.
So schwinde was einst mein,
Ich werde nun mein eigen seyn
Im dreimalheilig-lichten Schein.

7. Arbeit

Vorwärts wandeln, wiederkehren,
Und das Rohe neu gestalten,
Ordnung in Verwirrung schalten,
Wird auf Erden immer währen.
[132]
Was gewesen, kommt auch wieder,
Zukunft ist dereinst vergangen,
Sterben muß jedwed' Verlangen,
Und die Erde zieht uns nieder.
Menschen, Element, Naturen
Stehn zum Kampfe stets gerüstet,
Alles schreckt und lockt; uns lüstet
Wandeln auf der Erde Spuren.
Jeder weiß, wie es gewesen,
Wenn er Gegenwart beachtet;
Wer sich selber recht betrachtet,
Kann die ganze Erde lesen.
Wie der Streit sich selbst versöhnet,
Friede wird aus Krieg erzeuget,
Wie der Regen hebt und beuget,
So die Erde wird verschönet.
[133]
Alle Mühe rennt zum Ziele,
Zum Genusse wird das Streben:
Also zieht Arbeit und Leben
In der Erde wild Gewühle.

8. Sabbath

Der Himmel lacht in seiner heitern Bläue,
Die Erde grünt in allen ihren Lichten,
Der Adler schwärmt in der azurnen Freye,
Und will den Fittig nach der Sonne richten;
Der Mensch empfängt von oben seine Weihe,
Vom Kreuze nieder will die Seele flüchten,
Der heil'ge Leichnam steigt aus den Gewanden,
Die Lieb' ist nun vom Grabe auferstanden.
[134]
Das neue Herz besucht die lichten Höhen,
Und findet dorten seine Jünger wieder;
Propheten lassen sich von oben sehen,
Mit Trösten lächelnd schauen sie hernieder.
Da sieht man das Panier des Friedens wehen,
Es singen Cherubim die heil'gen Lieder,
Das Kreuz, die Dornenkrone sind verschwunden,
Das Morgenroth entströmt den süssen Wunden.

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TextGrid Repository (2012). Tieck, Ludwig. Lebens-Elemente. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-5681-9