[165] Trennung

Ich wußte nicht wie mir geschah
Als von dem Busch ein Blättchen thät ausscheinen,
Ich mußte weinen
Als ich das erste Grün ersah:
Wie mußt du ohne dein Verschulden
Den bösen Frost, die kalten Nächte dulden?
Du meinst es treu und gut,
Du armes Blut,
Und mußt an deiner Lieb und Treu verscheiden;
Du blickst umher mit Liebes-Augen,
Den warmen Schimmer einzusaugen,
Ach! dich wird noch die Frühlingssonne meiden. –
[166]
So ist Blicken,
Händedrücken,
Weit von mir.
Frühlings-Herold, ach! es geht mir so wie dir!
Bleibt, ihr freundlichen Kinder, zurücke!
Bleib in der Erde, du grünes Gras!
Ihr suchet hier oben ein unbekannt Glücke,
Ihr suchet die Liebe und findet wohl Haß.
Aber keiner hört mein Rathen,
Keiner hört mein bittend Flehen,
Sie kümmert's nicht was ihnen mag geschehen,
Sie eilen nur zu den gewohnten Thaten.
Denn die Knospen schon anschwollen,
Durch die Bäume zog die Luft,
Grüner stets und grüner ward der Wald,
Das Lied der wandernden Sommervögel schallt,
Von dem Apfelbaum in vollen
Sternen hängt die Bluth und athmet süßen Duft:
[167]
Und das Frühlings-Gesinde,
Die spielenden Winde,
Die Schmetterlinge
Mit Farbenglanz auf wiegender Schwinge,
Alles, alles, ist zurückgekommen,
Die Wogen, die den Bach hinabgeschwommen,
Lassen keimen schon die Liebes-Augen kleine,
Die mit dem blauen Scheine
Die Fluth sehnsüchtig grüssen.
Ach! alle Kinder sprießen,
Mit denen Sommer spielet,
Es leuchten alle Gartensterne,
Nur sie ist ferne
Und weiß es nicht wie einsam sich mein Herz hier fühlet.
O grünes Laub, o dunkler Wald,
Ich sehe nirgend ihre Gestalt!
Wärt Blümlein ihr zurückgeblieben!
[168]
Ihr mehret nur die Trauer mein,
Wie ich sonst euren zarten Schein
Von ganzem Herzen mußte lieben.
Du Vogelsang,
Du Bächleinklang,
Ihr lacht und kümmert euch um mich nicht mehr.
Ich schau umher:
Was willst du in dem bunten Kleide,
Du Sommer mit dem goldenen Geschmeide?
Der Winter trauerte mit mir in seinem Grimme,
Er fühlte doch mein Weh,
Bedeckte Flur und Wald mit Eis und Schnee,
Ich sprach: wenn Frühling kommt, hör' ich wohl ihre Stimme.
O schadenfrohe, rothe Rose,
Auch du kommst an, muthwillige, du lose?
Ist das mein Dank,
Daß ich so viel zu deinem Ruhme sang?
[169]
Mußt du mir die süßen Lippen zeigen,
Willst den Kuß, den Kuß mir nicht verschweigen?
Und im Uebermuth
Mahlet ihr euch an mit voller dunkler Gluth?
Und die kleinen Knospen sind nicht minder
Dreist und frech, die unerzognen Kinder,
Sie zeigen schon
Des zarten Busens Spitzen mir zum Hohn,
Wenn Kuß und Wollust, liebliches Gekose,
Den ganzen Busen zeigt die wohlerwachsne Rose,
Und angerührt gelinde
In allen Blättern zittert dem verliebten Winde.
Wohin mich retten,
Vor diesen Ketten,
Die Blumen, Frühling, Sterne, Kuß, Verlangen,
Auswerfen mich zu fangen?
O Thränen,
Du himmelsüsses Sehnen,
Verdunkelt doch die Augen mein,
[170]
Daß ich den Frühlingsglanz nicht sehe,
Mir wird von Pracht und Farbenschein
Im Herzen gar zu wehe.
Im Schmerz hält es treu,
Mag Frühling kommen oder Winter kalt,
Stets blühet neu
Und wandelt vor mir hin die lieblichste Gestalt,
Sie ist ein Sommer der nie schwindet,
Ein Blumenglanz der nie erblindet:
Komm, süßes Kind, ich bin so krank,
Auf mich die Blicke dein laß fließen,
Thu auf die zarten Aeuglein blank
Und laß die Küsse sprießen,
In deinen Arm sollst du mich brünstig schließen,
Dann mögen Rosen welken oder blühen,
Der Frühling kommen oder fliehen,
Ich will nicht klagen
Will diesen Sommer auch die Nachtigall nicht schlagen.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Tieck, Ludwig. Gedichte. Gedichte. Erster Teil. Trennung. Trennung. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-56D3-2