Der kaiserliche Statthalter

Die Figur des hölzernen Hindenburg wird abgebrochen und als Altmaterial verkauft.

Zeitungsnachricht 1919


Dem in allen Intrigen wohl erfahrenen Herrn von Tirpitz ist es gelungen, Herrn von Hindenburg zur Annahme des Kandidatenpostens zu bewegen. Die Komik, die darin liegt, daß der alte Offizier sich erst die Zustimmung seines obersten Kriegsherrn zu diesem politischen Schritt einholt, tötet nur in Deutschland nicht – die Kandidatur wird durchaus ernst genommen. Und sie wird mit falschen Mitteln bekämpft.

Es mag ja bei der Sentimentalität der Deutschen vielleicht angebracht sein, nicht unnötigerweise Gefühle zu reizen, womit man erfahrungsgemäß nur dem Angegriffenen nützt – aber was da von dem Marx-Block gegen Hindenburg ausgesagt wird, das gibt doch zu schweren Bedenken Anlaß. Man geht scheu wie die Katze um den heißen Brei herum – und sagt nicht das Wahre.

Da wird nämlich so getan, als ziehe diese Kandidatur eine hehre Menschengestalt in den Alltag herunter, es wird geradezu bedauert, daß dieses unverrückbar feststehende Idol der Politik so nahe gebracht wird – es fehlt nur noch das Wort Entweihung. So stehts denn aber doch nicht.

Es scheint mir Pflicht des anderen Deutschland, darauf hinzuweisen:

Die Eigenschaften des Herrn von Hindenburg, die als »preußische Tugenden« ausgegeben werden, sind Fehler schlimmsten Grades. Seine Sturheit, seine Unbildung, sein völliger Mangel an Welterfahrung machen ihn vielleicht zu einem Ideal einer Kadettenanstalt – mit dem besseren Teil Deutschlands hat diese Gestalt überhaupt nichts zu schaffen. Und es ist recht bedauerlich, daß auch auf Seiten der Linken der Kampf so geführt wird, daß man da hört: »So national wie der Herr von Hindenburg, sind wir schon lange – auch wir schwärmen für das größere Deutschland (auf Kosten der ›Feinde‹) – auch wir wollen unsern Platz an der Sonne erkämpfen. Aber: wir stören Ihnen nicht das Geschäft! Wir sind moderner, ruhiger, diskreter, gerissener. Wir wollen die internationale Anleihe – daher muß unser Nationalismus nicht so säbelklirrend auftreten, wir können warten.«

Das ist Opportunismus – und nicht einmal ein kluger. Es ist traurig, daß die Oberregierungsräte, die die deutsche Propaganda leiten und für das Geld, das zum Beispiel für die Beteiligung an der Kunstgewerbeausstellung in Paris nicht da war, lächerliche Heftchen in die Welt senden, daß diese Beamten immer nur mit Menschen zusammenkommen, die vor ihnen katzbuckeln, oder vor denen sie katzbuckeln, aber niemals mit freien, natürlichen Männern. Hätten sie diesen Verkehr, so würden sie nicht den schlimmsten deutschen Fehler begehen, [95] der einem Ausländer gegenüber möglich ist, und den der so übel nimmt: ihn für dumm zu halten. Das verzeiht man keinem. Und mit diesem Opportunismus, der gar keiner ist, wird nichts geschafft werden.

Aber es ist doch traurig zu sehen, wie wenig diese sogenannte Revolution eigentlich bewirkt hat. Da ist kaum einer bei den Demokraten, da sind wenige in der Zentrumspartei (im Gegensatz zur katholischen Jugend) – wenige bei den Sozialdemokraten, die grade den geistigen Typus Hindenburg ablehnen, soweit da überhaupt noch von Geistigkeit gesprochen werden kann. Die bewußt und mutig das ablehnen, was man für ihn plakatiert: seinen absoluten Gehorsam, seine Überdisziplin, seine Liebe zum Staat, die die Heimat nicht ehrt, seine Befangenheit in der Auffassung vom Kriege, seinen Stand, dem er angehört. Hieran wagt sich kaum einer. Man muß die Verehrung in den Stimmen zittern hören, wenn von ihm gesprochen wird . . . ! Wie leise ist dieser Kampf, wie vorsichtig, auf Zehenspitzen gehen die Kämpfer . . . Das ist nichts.

Tatsache ist:

Es gibt heute in Deutschland unter den jungen Leuten eine Schicht, die sieh ehrlich müht, aus den Wirrnissen dieser Zeit nach Klarheit zu suchen und zur Wahrheit zu kommen. Auch dies sind Deutsche – Menschen, die den Boden lieben, auf dem sie aufgewachsen sind, die ihre Sprache lieben, ihre deutschen Freunde. Herr von Hindenburg hat das Deutschtum nicht gepachtet – und es ist völlig gleichgültig, wen er und seine Offiziere für einen ›guten Deutschen‹ erklären und wen nicht. Daß die Universitätsprofessoren, um die sich das geistige Leben Deutschlands längst nicht mehr gruppiert, daß die Landwirte des Ostens und Viele Baumeister, Zahnärzte, Oberlehrer, Bankbeamte, die das Kostüm des Reserveoffiziers nicht vergessen können, dem Mann und seinem System anhangen, ist gewiß. Daß die vorsichtig abwägende Industrie, soweit sie an Auslandsgeschäften interessiert ist, abbremst, ebenso. Daß aber der menschliche Typus Hindenburg – und gerade der menschliche – unter dem Mittelmaß liegt, daß dieser Typus, ein schlechtes Derivat der großen deutschen Seele, dazu beigetragen hat, den Wert des Landes in allen Beziehungen herabzumindern, daß dieser Typus ein kümmerliches und dünnes Konglomerat einiger selbstverständlicher und banaler Eigenschaften ist, unter gleichzeitiger Verkümmerung aller wertvollen Qualitäten des deutschen Volkes – das sollte der Marx-Block seinen Wählern und Hindenburgs Wählern offen sagen.

»Man soll die Gegner nicht unnötig aufbringen.« Und was habt ihr mit dieser Taktik erreicht? Die völlige Niederlage eurer Ideen, die Vertrocknung aller revolutionären Gedanken, dieses Parlament und diese Regierung.

Gegenüber der selbstverständlichen Zurückhaltung, die man einem alten Mann schuldig ist – eine Zurückhaltung, die niemals von der andern [96] Seite ausgeübt worden ist – ist schärfste sachliche Klarheit am Platz. Was an Hindenburg nichts taugt, ist grade das, was ihm die andern noch nachmachen.

Hindenburg ist: Preußen. Hindenburg ist: Zurück in den Gutshof, fort aus der Welt, zurück in die Kaserne. Hindenburg bedeutet: Krach mit aller Welt, unaufhörliche internationale Schwierigkeiten, durchaus begründetes Mißtrauen des Auslandes, insbesondere Frankreichs gegenüber Deutschland. Hindenburg ist: Die Republik auf Abruf. Hindenburg bedeutet: Krieg.

Man soll nicht nur gegen ihn stimmen. Man soll auch aussprechen was ist, und eine Gesinnung verwerfen, die schon einmal den geistigen Niederbruch des Landes herbeigeführt hat.


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TextGrid Repository (2012). Tucholsky, Kurt. Werke. 1925. Der kaiserliche Statthalter. Der kaiserliche Statthalter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-5C70-E