Eine Stimme

Manchmal, sehr manchmal, wenn es nachts ganz still ist und ich grade so nachdenke, warum ich nicht lieber schliefe . . . dann höre ich eine Stimme. Ich sehe niemand – ich höre nur die Stimme. Es klingt wie: »Schuttz –!« Das kann man nicht verstehn; ich aber weiß, wer das ist.

Es ist dein seliger Kaiser. Er zog sich doch am Tage etwa dreiunddreißig Mal um; vormittags war er Fußfanterist, nachmittags Kavallerist, aufs Klosett ging er wahrscheinlich als Pionier, und im Badezimmer hatte er eine Admiralsuniform und eine Torpedopfeife statt einer Klingel . . . nun lacht nur nicht: in den ›Fliegenden Holländer‹ ist er ja historischerweise als Seeoffizier gegangen. Nun gut, das ist vorbei. Nein: der ist vorbei.

Und er hatte einen Kammerdiener, der zog ihn an und aus und legte ihm seine Kostüme zurecht, in denen er auftrat. Schulz hieß der Kammerdiener, der alte Schulz. Und ob das nun von den zahlreichen Memoiren kommt, die unsereiner so lesen muß, oder wovon sonst: manchmal fühle ich, wie sich der Kaiser umzieht, den Raum sehe ich nicht, ihn sehe ich auch nicht . . . aber ich höre ihn. »Schulz!« ruft er. Kurz. Wie ein Schuß.

Der Kammerdiener ist nebenan – gleich wird er antworten und hereingeknallt kommen, eine Bewegung zwischen . . . »Mit einer Verbeugung, die ein Mittelding zwischen Kratzfuß und Todesangst war«, hat Eulenburg einmal einen Hofrat beschrieben, der Bismarck die Post vorlegte. So ähnlich wird der Kammerdiener hereinkommen, die Angst nur gemildert durch langjährige Gewohnheit, eine Art Tierbändiger-Gemütlichkeit. Aber was er sagt, das höre ich nicht mehr.

Merkwürdigerweise rieche ich die Szene. Jede Zeit hat ja ihren bestimmten Geruch, so, wie jedes Land – schade, daß man nicht ein Pröbchen Kriegsluft hat aufbewahren können. Der Kaiser war ein körperlich sauberer Mann, aber man mag ihn nicht riechen. Um ihn ist übrigens jene Atmosphäre von Herrengeruch der neunziger Jahre . . . etwas Strenges, Leder, Zigarettenrauch, ein Parfum und die Körper der Herren . . . ja. So riecht die Stimme, ich höre sie mit der Nase. »Schuttz!«


50000 Mark im Monat. Von deinen Steuern.


Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Tucholsky, Kurt. Werke. 1930. Eine Stimme. Eine Stimme. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-5F46-9