Wir

In den Heeresberichten der großen Zeit, in ihren Journalen, Zeitungen, Kloaken und Broschüren findet sich des öftern der Ausdruck: Wir. In dieser Bedeutung: »Wir unternahmen einen Vorstoß gegen Saloniki.« – »Wir verschmähen es, das Mitleid der Welt anzurufen.« – »Wir haben uns gezwungen gesehen, die englischen Zivilisten einzusperren . . . « Wir? Wer?

Die andern, was die Taten anbetrifft. Die Schreiber bejahten nur die Gesinnung. ›Wir‹ eroberten dreizehn leichte Geschütze . . . Wer? Die reklamierten Redakteure sicherlich nicht. Sie wurden ja bezahlt und verschont, damit sie ein Zusammengehörigkeitsgefühl manifestierten, [388] das längst nicht mehr vorhanden war. Oh, wie wohl war ihnen allen, daß sie nicht zum Stamme jener ›Wir‹ gehörten! Nein – ›wir‹ schlugen den Feind gar nicht aufs Haupt, ›wir‹ nicht.

Aber ›wir‹, was die Politik, was die Gesinnung angeht – doch. Das stimmte. Es stimmte ja nicht, wenn man bedenkt, wie unendlich die große graue Masse unter diesem eisernen Regiment der ›Wir‹-Leute litt – aber hatte denn diese Masse überhaupt eine Gesinnung? Sie diente. Aus. Wir . . .

Wir waren uns wohl einig. Denn es ist ja nicht wahr, daß ein Volk jahrhundertlang eine Regierung haben kann, die ihm nicht vollkommen adäquat ist. Das gibt es nicht und hat es nie gegeben. (Sonst würden ja die Vernünftigen oder gar die Radikalen regieren.) Nein: ›wir‹ waren uns schon einig. Wir waren uns einig im U-Boot-Krieg und in andern Mordtaten, wir waren uns in Lille, in Rumänien, in Polen und in Finnland allemal einig. ›Wir‹!

Es ekelte einen die Gemeinschaft, wenn mans las. Uns – die andern ›Wir‹ – ekelte es. Es war so wie eine fettig-warme Brühe, in der man da umherschwimmen mußte. Wie sollte man damals die Gemeinschaft abschütteln? Wer hats getan?

So viel Unterschiede gab es im Frieden – eine Oberstleutnantsgattin war immer mehr wert als die andre und ein Landrat immer rangälter als sein Kollege – doch wenn sie im Krieg sich fanden, da verstanden sie sich gleich. Es war ein glorioses Familienbad.

»Wir haben den Krieg nicht gewollt. Wir stehen auch heute noch auf dem Standpunkt, daß die sogenannten Sieger uns schmählich überfallen haben, und daß alles Unrecht auf ihrer Seite ist. Wir haben niemals . . . « Wir?

Ach, bitte: Ihr.


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TextGrid Repository (2012). Tucholsky, Kurt. Werke. 1920. Wir. Wir. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-6149-5