[370] Reisende, meidet Bayern!

In politisch unselbständigen Ländern, wie in Persien, genügt es, den Häuptlingen unzuverlässiger Stämme einige Aktien zu schenken, um sie durch Geldinteressen von der Zerstörung industrieller Anlagen abzuhalten.

Sidney Jessen: ›Die Weltinteressen der englischen Petroleumindustrie‹


Die Bayern, diese schlampigen Preußen, sind erstaunt, daß keine Fremden mehr zu ihnen kommen. Ihre Winterhotels stehen leer, die Verpflegungspreise sind weit heruntergesetzt worden, aber das gute Publikum ist in diesem Jahr nach der Schweiz gegangen, weil sie billiger, schöner, nahrhafter und gastfreier ist. Und das ist rechtens geschehen: denn man reist selbst in Afrika bequemer und gefahrloser als in Bayern – ganz abgesehen von der dort herrschenden Zivilisation.

Die Fremdenverkehrsvereine Bayerns haben gewaltige Eingaben an ihre Regierung gemacht: so weit dürfe man mit der vaterländischen Überzeugung nun doch nicht gehen, daß man etwa den Berlinern, den Sachsen, den Preußen, den Juden und den Bolschewisten nicht mehr gestatte, ihr Geld im Lande zu lassen. Nach unzähligen Beflegelungen aller ›nichtbayerischen Deutschen‹ (ein verfassungswidriger Begriff) ist eine Bevölkerung, die von den Fremden lebt, erstaunt, daß ihre Ware ausbleibt. Das gebärdet sich ganz als Eigentümer, Verwalter und Nutznießer der bayerischen Berge, für deren Schönheit die Bewohner wirklich nichts können. So wenig wie mancher für sein Ehrenwort. Und weil sie nun die anständigen Reisenden hinausgeekelt haben, treiben sie Propaganda.


Zum Beispiel so:

»Palast-Hotel Sonnenbichl, Garmisch

Euer Hochwohlgeboren!

Die politischen Ereignisse in Bayern vom 8. und 9. November sind in einem Teile der auswärtigen Presse wahnsinnig aufgebauscht worden, sodaß mancher frührer Gast unsres Werdenfelser-Landes vielleicht Bedenken hat, in diesem Winter nach Bayern, bezw. Garmisch-Partenkirchen zum Winteraufenthalt zu reisen.

Demgegenüber möchten wir feststellen, daß der unselige Putsch innerhalb wenigen Stunden in sich selbst zusammenbrach, und Ruhe und Ordnung in jeder Weise gewährleistet ist.

Ebenfalls sind die Gerüchte über die antisemitische Hetze kolossal [370] übertrieben und wird besonders im hiesigen Gebiet von allen Teilen der Bevölkerung jegliche Garantie übernommen, daß die Besucher unsres Wintersportplatzes, sowohl auf Straßen und Plätzen, wie in den Hotels unbehelligt bleiben.

Wir würden uns daher erlauben unsre lieben alten Gäste zum Besuche für den kommenden Winter einzuladen, und würden wir wie immer für tadellosen Aufenthalt und erstklassige Verpflegung und Beheizung besorgt sein.

Bezüglich der Preise haben wir uns vereinbart, unser Äußerstes zu tun und trotz der enormen Unkosten die Pensionspreise incl. Heizung unter die Friedenspreise (11 – 16 Goldmark) herabzusetzen, um unsern Gästen den Aufenthalt zu ermöglichen und mit dem Ausland konkurrenzfähig zu sein.

Wir bitten Sie uns in dieser schweren Zeit Ihre Geneigtheit nicht zu entziehen und uns wieder zu beehren.

Falls Sie selbst nicht beabsichtigen in diesem Winter zu reisen, würden wir bitten, uns in Ihrem Bekanntenkreise empfehlen zu wollen, und gestatten wir uns zu diesem Zwecke einen kleinen Prospect beizulegen.

Auch seitens der Kurverwaltung sind alle Schritte unternommen, um auch bezüglich Unterhaltung und Sport, den Aufenthalt möglichst angenehm zu gestalten.

In der angenehmen Hoffnung, daß diese Zeilen Sie und Ihre geschätzte Familie gesund antreffen, sehe ich geneigten Nachrichten mit Vergnügen entgegen, und zeichne mit ergebenster Hochachtung.«


Für die meisten, die es wirklich anging, hatte es solches Schreibens gar nicht bedurft. In einem Sommer der tiefsten bayerischen Schande saßen einundfünfzig sozialistische und kommunistische Reichstagsabgeordnete während ihres Sommerurlaubs in den bayerischen Bergen, weil man ja Politik und Privatleben nicht vermengen darf. Eisner war ermordet, Landauer zertreten und gefleddert. Toller eingesperrt, Mühsam gequält, Fechenbach ruiniert – diese einundfünfzig und Tausende von deutschen Juden, Republikanern und Oppositionellen aller Schattierungen gaben den Bayern Geld zu verdienen.

Bis die so dumm waren, durch immer gröbere Schikanen jeden Fremdenverkehr zu unterbinden. Sie verlangen von den eignen deutschen Landsleuten einen Paß, welches Verlangen abzulehnen ist. Sie kontrollieren in aller Herrgottsfrühe die Hotels, die Polizisten sind unhöflich und grob; einen mir bekannten Herrn, der mit seiner Frau reiste und seine Heiratspapiere nicht ans Chemisett angehängt hat, rettete nur die Tatsache, daß sein Ehering nicht vom Finger zu ziehen war (denn in den Schwänken, die sich die Beamten angesehen haben, geht das so zu). Diese amtlichen Lümmeleien in Pensionen und Hotels [371] sprechen sich herum, erfreulicherweise am meisten unter den valuta-starken Ausländern, die Zug–, Grenz- und Paß-Schikanen mehren sich – es hilft alles nichts: die Fremden bleiben aus.

Das Propagandaschreiben ist so weit ganz gut. Der Putsch, den man vorher zweimal am Tage als einen Vorschuß auf die Seligkeit gepriesen hatte, heißt jetzt ›unselig‹, weil er das Geschäft verdirbt, und was das freundliche Versprechen anbetrifft, zahlende Sportsleute vom Eis nicht ins Haberfeld zu treiben, so dürften die befehdetsten unter ihnen mit dem Ausruf: »Bedankt sollen sie sein!« reagieren. Ja, und wie will die Kurverwaltung ihr Versprechen wahr machen, Unterhaltung und Sport zu bieten, wenn die bodenständigen Abarten dieser Beschäftigung: Judenhetze und Abgeordnetenmorde nicht steigen sollen? Man hats gar nicht leicht.

Aber der Reklamewisch hatte doch eine kleine Wirkung, von der sich der Absender nichts hätte träumen lassen. Einer der berliner Empfänger setzte sich nämlich hin und schrieb eine Antwort. Einen Brief, wie man ihn hier gar nicht gewohnt ist. Nämlich diesen:

»Für Ihre Zuschrift und Einladung, den Winter in Garmisch zu verbringen, danke ich Ihnen bestens, muß Ihnen aber mitteilen, daß weder ich noch jemand aus meinem Bekanntenkreis die Absicht hat, vorläufig nach Oberbayern zu reisen. Wir alle lieben zwar das Land wegen seiner Schönheiten ungemein, können aber unmöglich eine Bevölkerung unterstützen, die in ihrer Mehrheit Bestrebungen fördert, die den Interessen des deutschen Reiches zuwiderlaufen. Insbesondere können preußische Staatsbürger jüdischen Glaubens nicht in eine Gegend reisen, in der der Hitler zur Zeit sich aufhält, wo also dauernd die Gefahr besteht, daß man des Landes verwiesen wird oder sogar körperlichen Schaden erleidet. Ich betone wiederholt, daß wir alle die gegenwärtigen Zustände in Bayern, als Freunde dieses herrlichen Landes, sehr bedauern, daß wir aber dort nicht Gäste sein können, wo man uns als Menschen zweiten Ranges betrachtet. Wenn die Zeiten sich ändern sollten, werden wir mit großer Freude im Sommer und im Winter die oberbayerische Bevölkerung durch unsre Besuche wieder unterstützen.«


Und bekam postwendend diese Antwort:


»Erhielt eben Ihren Brief vom 13. und möchte nicht verfehlen darauf zurückzukommen.

Wenn heute in Sachsen beispielsweise ein Ministerpräsident sitzt, der sich als Lump entpuppt so kann man doch dafür nicht die ganze Bevölkerung von Sachsen verantwortlich machen.

Was ist in der ganzen Hitlerbewegung in Bayern, einem Juden [372] passiert? Mir ist ein einziger, bedauerlicher Vorfall erinnerlich, von Herrn Kommerzienrat Fränkl. Eine solche Anrempelung könnte aber genau so in Berlin auch vorkommen.

Der Hitler-Putsch ist in kürzester Zeit niedergeschlagen worden, wäre überhaupt nicht zum Anfang gekommen, wenn nicht durch einen großen Schwindel in die Kreise der Bevölkerung die Meinung getragen worden wäre, die rechtmäßige Regierung sei mit Hitler einig in dem Bestreben das deutsche Volk zu nationalem Selbstbewußtsein aufzurütteln. Die Kämpfe zwischen der Bayrischen Regierung und Berlin haben doch sicher auch in Berlin Anhänger zugunsten von Bayern. Bayern will doch keine Trennung von Berlin sondern nur Herstellung geordneter Zustände. Noch vor ganz kurzer Zeit sagten Berliner, sie gehen gerne nach Bayern, weil dort Ordnung herrscht.

Wieviele Zusammenstöße sind seit der Revolution in Berlin vorgekommen. Ich kann mich nicht erinnern, daß die Leute deswegen nicht doch wieder nach Berlin gegangen sind. In München war außer der kurzen Räte-Republik noch der mehrstündige Hitlerputsch, dann war es wieder Schluß, und Ruhe und Ordnung kehrten zurück.

Bevor wir uns überhaupt schlüssig wurden ob wir unsern Betrieb im Winter aufmachen, waren wir schon in einer Kommission (ich war auch dabei) bei allen zuständigen Regierungsstellen um uns der Ruhe und Sicherheit für unsre Gäste zu versichern, was uns in jeder Weise und in jeder Instanz genehmigt wurde.

Ich kann ja begreifen, daß momentan mancher Berliner besonders wenn er noch israelitisch ist, nicht gut auf Bayern zu sprechen ist. Bei ruhiger Überlegung müssen Sie sich aber sagen, daß unser schönes Hochgebirge und ganz besonders Garmisch-Partenkirchen nichts dafür kann, und daß in Wirklichkeit hier die beste Gewähr besteht einen Winteraufenthalt ohne Sorge für Unruhe oder Belästigung, und würden wir Einwohner von Garmisch-Partenkirchen, jederzeit imstande sein, den Schutz unsrer Gäste bis aufs äußerste zu übernehmen.

Vielleicht haben Sie die Güte in Ihren Bekanntenkreisen doch noch ein gutes Wörtchen für uns einzulegen, und entschließen sich vielleicht schon früher unser herrliches Werdenfelser-Land mit Ihrem Besuche zu beehren.«


Auf den bayerischen Brief ist zu antworten:

Weder Zeigner noch irgendein Sachse hat die Fremden schikaniert. Bayerische Ordnung ist keine deutsche Ordnung. Der ›bedauerlichen Vorfälle‹ sind nicht nur viele – sondern sie bleiben alle ungesühnt. Wie soll das auch anders sein, wenn die gesamte Verwaltung und die [373] Justiz sich in Händen von Männern befindet, die als zuverlässig nicht angesehen werden können?

Berliner, die auch noch israelitisch sind, Fremde, die eine Erholungsreise und keinen Guerillakrieg unternehmen wollen, Ausländer, die ihre Ruhe wünschen – sie alle werden sich hüten, von Bayern, die auch noch Verwaltungsbeamte sind, sich die Reise verderben zu lassen. Der Herr von Kahr hat ja erst neulich einer kleinen Gesellschaft, die mit Tänzerinnen Sekt trank, klar gemacht, daß außereheliche Abendvergnügungen dem Deutschen nur dann zustehen, wenn er ein Gut in Mecklenburg oder ein Schloß in Oberbayern hat, daß dagegen das nächtliche Bei- und Zutrinken sowie -schlafen in öffentlichen Gasthäusern mit Frauenspersonen zu unterbleiben hat. Er ließ die Auto-Insassen wegen ›Prasserei‹, oder wie dieser Papierausdruck sonst heißt, verhaften, die Tänzerinnen ins Arbeitshaus bringen und ähnlichen Unfug verüben.

Das haben die Fremden satt.

Es kann Deutschen und vor allem ausländischen Gästen von einem Besuch Bayerns nicht genug abgeraten werden. Der Fremde ist in Bayern eine Art bedingt Begnadigter. Es war einmal eine Pflicht anständig Gesinnter, der oberbayerischen Bevölkerung durch Gebirgsreisen zu helfen, die man ebenso gut hätte ins Ausland unternehmen können. Davon kann heute keine Rede mehr sein. Heute hat man die Pflicht, den Sinn dieser Bevölkerung auf die Hebung ihrer heimischen Viehzucht und auf die bessere Belieferung der deutschen Kinder mit Milch zu lenken. Denn die Zustände haben sich noch nicht gebessert: der Fremde ist in Bayern rechtlos und unterliegt nach wie vor zahllosen Beschränkungen und Plackereien.

Ein Herz scheinen die deutschen Brüder da unten nicht zu haben. Aber ein Portemonnaie haben sie in den treudeutschen Hosen. Hier ist die Stelle, wo sie sterblich sind. Wenn in aller Stille heute schon daran gearbeitet wird, die Bayern wieder zur Vernunft zu bringen: für die Fremden ist von dieser segensreichen Arbeit vorläufig noch nichts zu merken.

Und so ist denn noch immer zu rufen: Reisende, meidet Bayern!


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TextGrid Repository (2012). Tucholsky, Kurt. Werke. 1924. Reisende, meidet Bayern!. Reisende, meidet Bayern!. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-68C2-6