Der Schäfer

Der schöne Schäfer zog so nah
Vorüber an dem Königsschloß;
Die Jungfrau von der Zinne sah,
Da war ihr Sehnen groß.
Sie rief ihm zu ein süßes Wort:
»O dürft ich gehn hinab zu dir!
Wie glänzen weiß die Lämmer dort,
Wie rot die Blümlein hier!«
Der Jüngling ihr entgegenbot:
»O kämest du herab zu mir!
Wie glänzen so die Wänglein rot,
Wie weiß die Arme dir!«
Und als er nun mit stillem Weh
In jeder Früh vorübertrieb,
Da sah er hin, bis in der Höh
Erschien sein holdes Lieb.
Dann rief er freundlich ihr hinauf:
»Willkommen, Königstöchterlein!«
Ihr süßes Wort ertönte drauf:
»Viel Dank, du Schäfer mein!«
Der Winter floh, der Lenz erschien,
Die Blümlein blühten reich umher,
Der Schäfer tät zum Schlosse ziehn,
Doch sie erschien nicht mehr.
Er rief hinauf so klagevoll:
»Willkommen, Königstöchterlein!«
Ein Geisterlaut herunterscholl:
»Ade, du Schäfer mein!«
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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Uhland, Ludwig. Gedichte. Gedichte (Ausgabe letzter Hand). Balladen und Romanzen. Der Schäfer. Der Schäfer. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-70A5-B