[235] [237]Der plaudernde Topf auf dem Herde.

Ein Wanderer kam zur späten Abendzeit in einen tiefen, finstern Wald; er fand eine Hütte und trat hinein. Die Hütte war leer, aber auf dem Herde brannte ein Feuer, und ein siedender Topf stand darauf. Ermüdet setzte sich der Wanderer an den Herd, und als er auf das Brodeln und Zischen im Topfe lauschte, vernahm er eine deutliche Stimme, die da sprach:


»Summ, summ –
Brumm, brumm –
Gischt, gischt –
Ischt, ischt –
Ich kann was erzählen
Im Walde geht's um.
Im dunkeln Walde,
Unter dichtem Gezweig
Liegt eine Leich'! –
Im dunkeln Walde,
[237]
Auf Wegen und Stegen
Kommen sich entgegen
Der junge Jäger, des Försters Weib.
Ihr frischer Leib
Wird von ihm umfangen.
Auf Brust und Wangen
Die weißen Zähne
Graben sich ein.
Beim grünen Schein
Im Blätterdachdunkel
Liegt nackt seine Lende,
Liegt nackt seine Hüfte;
Des Auges Gefunkel,
Die brennende Wange,
Die heißen Hände
Umspielen die Lüfte,
Beim Vogelgesange,
Der schallt durch die Hallen,
Durch die rauschenden Hallen
Wie lieblich ist's Drücken,
Wie lieblich das Küssen,
Es will ihnen glücken
Zu immer süßen Genüssen
Sich ineinander zu fügen,
In Kräuter und Moos
[238]
Sich einzuschmiegen.
Er läßt sie nicht los,
Sie läßt ihn nicht frei,
Er stößt in ihren Schoß
Des Jägers Geweih,
Des Jägers Fänger;
Sie schilt so leise
Den harten Dränger.
Ihn kümmert es nicht,
Ihm gefällt die Weise;
Er sieht es so gerne,
Das gebrochene Licht
Der Augensterne –
Den hauchenden Mund,
In dessen Grund
Er Küsse tauchet.
Sein Recht er brauchet,
Und endet nicht eher, als bis zum Ermatten
Im Liebesgeschäfte
Die gesunkenen Kräfte
Nichts mehr gestatten. – –
Da rauscht's im Gezweig –
Der Förster ist es, nicht feig
Legt er das Geschoß an
Auf den glücklichen Mann,
[239]
Doch eh er zum Schuß kommt, bringt jener gut
Ihm einen Schuß bei,
Und der Förster liegt im Blut,
Und mit Geschrei
Entflieht das arme Weib,
Gischt – ischt –
Summ, summ!
Das hab' ich dir erzählt zum Zeitvertreib.« –

Der Topf holte hier etwas Atem und fuhr dann in seiner Erzählung weiter fort, indem er die Begebenheiten alle so darstellte, als wenn sie eben erst sich ereignet hätten.


»Doch laß dir nicht beikommen,
Den Förster zu rächen;
Sein Tod macht stumm
Die Taten, die sonst sprächen.
Hier im Gemach
Steht eine Blutlach',
Sie quillt aus dem Schranke,
Dem großen, mächtigen,
Von Eichenholz prächtigen,
An der Wand, die Ranke
Von Efeu zieht sich heran:
Drin hängt ein toter Mann,
Den der Förster erschlagen,
[240]
Den der Förster beraubt
Noch vor wenig Tagen.
Noch nicht bestaubt
Ist des Mannes Bibel,
Die in der Tasche er trug,
Dort liegt das heilige Buch.
Er war auf der Reise
Nach fremden Meeren,
Und mußte, unweise,
In dieses Haus einkehren,
Nun reiset er nimmer.
Bei des Mondes Schimmer
Sieht man durch den Spalt
Der Schranktür die Gestalt,
Wie sie bleich und voll Blut
In der Tiefe ruht,
Zwischen altem Gerülle,
Und Staub und Moder die Fülle.
Man höret nicht den Sang
Der Vögel im Wald,
Ewig stumm ist's im Schrank,
Ewig schweigt die Gestalt.
Sie haben bei Nacht
Durch Gezweig und Hecken
[241]
Den Förster in den Schrank gebracht;
Da sehn sie mit Schrecken
Den andern Gesellen
Bereits sich drin strecken.
Rasch in dem hellen
Mondlicht tragen Weib und Mann
Die Toten zur Waldschlucht heran,
Werfen sie in die Tiefe mit Graus;
Unbeerdigt liegen sie dort,
Den Raben zum Schmaus.
Ein grausiger Ort! –
Der junge Jäger wird Förster nun
Doch kann er nicht ruhn.
Es treibt ihn in den Wald,
Wo seine Büchse knallt,
Wo das Tier, gehetzt,
Mit heißem Blut
Seine Stirne benetzt –
Das tut ihm gut.
Da atmet er frei,
Da atmet er leicht,
Wenn Todesschrei
Sein Ohr erreicht. –
Daheim sitzt beim Scheine
Der Lampe die Kleine
[242]
Beim Rocken.
Ihre Pulse stocken:
Es will sie bedünken,
Als sah' sie aus dem Schranke
Einen Arm herauswinken,
Als hörte sie zwei Stimmen,
Die gegeneinander ergrimmen,
Die eine spricht: ›Weshalb mich aufhalten
Auf meiner Reise?
Ich bringe den Jungen, den Alten
Himmlische Speise
Göttlichen Worts.‹
›Weshalb mich aufhalten?
Im Hause des Mords‹
So tönt's aus der andern
Ecke, ›gilt nimmermehr Wandern.
So wie ich dich,
So hat man mich
Zum kalten Manne gemacht!
Doch die Rache wacht!‹ – –
Und das Weib hört die Stimmen,
Die gegeneinander ergrimmen,
Und sie flieht aus dem Haus
In die Waldnacht hinaus.
Der Mann holt sie ein,
[243]
Bei der Lampe Schein
Bringt er sie in die Kammer;
Er achtet nicht ihrer Bitten,
Er achtet nicht auf den Jammer.
Seine frechen Sitten
Bringen sie auf;
Er richtet auf ihren schönen Busen
Des Rohres Lauf;
Er schießt sie nieder
Und bedeckt dann die Glieder
Mit Tränen sonder Zahl;
Drauf stürmt er fort ohne Wahl,
Und nie sah man ihn wieder!« –

Der Topf holte wieder tief Atem, brodelte etwas und warf ein wenig Schaum aus, gleichsam wie ein alter Herr, der durch vieles Sprechen einen leichten Anfall von Stickhusten bekommt, dann fuhr er fort:


»Gesühnt ist nun alles.
Verschwunden das Gedächtnis
Und das Vermächtnis
Des Sündenfalles.
Ein junges Weib waltet
Im Kreise der Kleinen
Und schaltet
Im Hause,
[244]
Bei der Arbeit wie beim Schmause,
Beim Rumoren
Der kleinen Toren,
Bei Lachen und Weinen,
Bei diesen Schwänken
Der listigen Buben,
Die mit Hallo! und Hurra!
Durchziehen die Stuben.
Die schlimmsten der Rangen,
Denen vor keiner Strafe tut bangen,
Sperrt man in den Schrank,
Der noch steht im Gemach.
Dann hört man drin Zank,
Im Gerümpel ein Gekrach.
Und Stimmen,
Die gegeneinander ergrimmen,
Und ein Arm tut herauswinken.
Aber die Mutter, die dabei sitzt,
Lacht das Gesindel
Tüchtig aus bei der Spindel.
Es kommt der Mann nach Hause erhitzt,
Dem trocknet sie die Wangen,
Mit schmeichelnden Küssen
Fühlt er sich umfangen;
Auf Knien und Füßen
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Anklettern ihn die Rangen.
Dann geht es zum Schmaus –
Mit Löffel und Messer,
Holen sie tüchtig aus,
Die gewaltigen Fresser –!
Es schwinden die Brocken
Aus Teller und Schüssel,
Und alles wird trocken
Selbst für einen Fliegenrüssel.
So treibt es die Bande.
Dem Vater dünkt's keine Schande,
Denn ehrlich erworben ist alles Gut. –
So bringt die Liebe zurecht,
Was Haß einst bei Nacht
Hier schlimm gemacht. –
Also treibt es das Menschengeschlecht!« –

Der Wanderer, als er diese Erzählung gehört hatte, bedankte sich bei dem siedenden Topfe und wanderte weiter. Die Hütte blieb wieder einsam, der Topf brodelte auf dem Herde: »Wann wird wieder jemand kommen!« rief er bei sich. »Ich weiß noch manche Geschichte, und ich erzähle so gerne.« Aber es kam niemand. Draußen im Forste rauschte der Wind, das Spätrot glitzerte durch die Bäume; der Topf stand am Herde und brodelte.

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TextGrid Repository (2012). Ungern-Sternberg, Alexander von. Märchen. Braune Märchen. Der plaudernde Topf auf dem Herde. Der plaudernde Topf auf dem Herde. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-7278-0