[142] Varia

[143][145]

Torquato Tasso

Der Dichter ist ein Tor, in Wagnisse verloren,
Der rastlos träumt von Kampf und sagenhafter Schlacht
Und tausend Taten singt, die er zu eig'nen macht,
Sich und dem künftigen Geschlecht, das er erkoren.
Und später kalt, was ihn für Schmerzen auch durchbohren,
(Olymp'sche Trauer, säum'ger Ruhm und Leidensnacht,)
Fühlt er von allzu kühner Glut sein Herz entfacht,
Und schon sein Name zeigt ihn zur Tortur geboren.
Doch ist sein Name Glück! Ob froh, ob trüb sein Herz
Im Freudenrausch des Tags, spukhafter Nächte Schmerz,
Bis wechselvoll gequält er stirbt an dieser Wunde.
Armida, Leonore, Traum und Wirklichkeit,
Und er ist toll und stirbt für eine flücht'ge Stunde
Und lebt von neuem auf in der Unsterblichkeit!

[145] Ostern

Die Glocken, die von Rom uns gestern kehrten, dröhnen
Zum Himmel Lobgesang in feierlichen Tönen.
Das Echo, das vom Turme mächtig flutend ruft,
Verherrlicht rings die weiten Lande und die Luft.
Der Vogel, der geweiht vom Goldklang heil'ger Grüsse,
Vergisst sein Klagen und stimmt an der Hymnen Süsse.
Und froh sein Halleluja zwitschernd durch die Welt
Singt er auf Busch und Baum, in Wiese, Wald und Feld.
Die Lerche hat mit Festgesang sich aufgeschwungen,
Dem tau'gen Morgen hat die Nachtigall gesungen.
Mit zärtlich süssen Tönen heisser Liebesglut,
Der sonnenhell das Glück in stillem Herzen ruht,
Lebt freudenvoll der Lenz, der gestern neu erstanden,
So selig seufzt Natur, und in den weiten Landen
Von dunklen Türmen manchen altersgrauen Baus
Vom Campanile nieder und vom Königshaus.
Aus allen Städten, da von Festgeläut und Singen
Paris und Moskau, London und Sevilla klingen,
Tönt hell der Jubelruf der Glocken, der uns weiht
Zum gnadenreichen Fest der heil'gen Osterzeit.
[146]
Die Taube streift die Flur, das Lamm blökt im Gehege,
Wem bist, Maria, du, begegnet auf dem Wege?
Gold ist der Fluss, der neu der Sonne Glanz empfing.
Es ist der Herr, der einst in Galiläa ging.
– Was wäscht das öde Herz sich nicht im gold'nen Strome,
Was heiligt nicht den Geist der goldne Klang vom Dome?
Was fleht nicht wie ein Lamm der Seele bang Gebet,
Der weissen Taube gleich, da alles neu ersteht?
Was zieht der Mensch, der einst in göttlichem Vertrauen,
Nicht heute noch den Pfad nach Galiläas Auen?

[147] Erinnerung an den achtzehnten November 1893

Dieppe-Neuhaven.


Mein Herz schwillt bitter wie das Meer,
Vom Liebesweh der Trennung schwer!
Herb ist die See, mein Herz noch mehr.
Mein Haupt ist gleich den tollen Winden,
Da trunken Sinn und Kraft ihm schwinden,
Und wilder ist kein Sturm zu finden.
Von Zorn und Schmerzen übermannt,
Dass leidvoll holde Pflicht mich bannt,
Zu schiffen in das schwarze Land.
Weil's meiner Königin Verlangen,
Mag heiter mich der Kahn empfangen,
Und fort mit allem eitlen Bangen!
Ja, was das schwanke Boot auch tut,
Wie trunken von der Wasserwut,
Ob grabesgleich sich türmt die Flut,
Ob sich die Wellen gähnend neigen,
Lasst furchtlos uns das Schiff besteigen
Und endlich alle Sehnsucht schweigen.
Vom Himmel nieder höllenwärts,
Nie fühlt' das Boot so stolzen Schmerz
Gleichwie die Seeflut und mein Herz.
[148]
Auf denn! Gehorsam meiner Teuern,
Bis glücklich wir die Fahrt erneuern
Und für die Süsse heimwärts steuern
Mit Schmuck, mit Perlen und Gestein.
Nun wiegt ihr Wellen stark und rein
In goldne Träumerein mich ein.

[Von neuem schaute triumphierend ich]

[149]
Von neuem schaute triumphierend ich
Die Stadt, die einst mich hielt in dunklen Schauern
Mein Unglück drückte tief zu Boden mich,
Wer zählt die Seufzer, wer ermass mein Trauern?
Von neuem schaute triumphierend ich
Aus des Vergessens Nacht erstehn die Mauern.
Den weissen Dampf entqualmend fuhr der Zug
Vorbei, wo blutigrot die Wände ragen,
Wo zweimal einen Winter ich ertrug
Und eine Sommerszeit von stillen Tagen,
Den weissen Dampf entströmend fuhr der Zug
Vorbei und führte mich dahin im Wagen.
Ohn' Abenteuer ging der Wintertag,
Und Freuden gab der Sommer mir nicht eine,
Ich, der sie liebe, wie's auch kommen mag,
Im Lärm des Tages wie im Mondenscheine.
Ohn' Abenteuer ging der Wintertag,
Im Sommer war bei mir der Gram alleine.
Undankbar menschlich Herz, erinnre dich,
Du neugeschaffner Gentleman, der flüchtet,
Erinnre dich! Hier hat der Glaube dich
Fern von dem Schmutz der Städte aufgerichtet.
Undankbar menschlich Herz, erinnre dich,
Der Glaube hat dein Weinen hier beschwichtet.
[150]
Der Zug geht weiter, und die Zeit verging,
Doch nie vergesse ich den sel'gen Schimmer
Des grossen Glücks, das ich von Gott empfing,
Der mich gesegnet hat wie andre nimmer.
Der Zug geht weiter, und die Zeit verging –
Die Gnadenstunde bleibt und schlägt noch immer.

Notes
Erstdruck nicht ermittelt. Hier in der Übers. v. Wolf v. Kalckreuth.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Verlaine, Paul-Marie. Varia. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-7415-B