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Green

Hier hast du Zweige, Blätter, Früchte, Blumenspenden
Und hier mein Herz, es schlägt ja einzig dir allein.
Zerreiss' es nicht mit deinen feinen, weissen Händen:
Dir Schönen möge lieb die schlichte Gabe sein.
Noch ganz bedeckt von klarem Tau will ich dich grüssen,
Der meine Stirn erfrischt im kühlen Morgenwind.
Lass den Ermatteten ausruhn zu deinen Füssen,
Dass seine Müdigkeit in sel'gem Traum zerrinnt.
Und lass mein Haupt an deinem jungen Busen liegen,
Mein Haupt, das noch von deinen letzten Küssen bebt;
Mag nach dem freien Sturm mein Herz in Ruh sich wiegen
Und schlummern, da auch dich ein leiser Schlaf umwebt.

[73] Spleen

Aus dem schwarzen Efeu grüsste
Der Rosen leuchtendes Rot,
Sobald du dich wendest, Süss'ste,
Fasst mein Herz die alte Not.
Mir waren die Lüfte, die zarten,
Zu licht und die See zu grün.
Furcht fasst mich und banges Erwarten,
Du möchtest mich grausam fliehn.
Mich lockt nicht der Blätter Glänzen
Und des Buchsbaums schimmernde Zier,
Nicht das weite Land ohne Grenzen,
Und nichts mehr, nichts, ausser dir!

[74] Streets

Tanzt mir den Reigen!
Ich liebt' ihr holdes Augenpaar,
Das heller als ein Stern mir war,
Ich liebt' die Augen spöttisch-klar,
Tanzt mir den Reigen!
Sie plagte ihren Freund so lieb,
Dass sie ihn zur Verzweiflung trieb
Und immer doch entzückend blieb.
Tanzt mir den Reigen!
Doch ist das Süss'ste, was sie bot,
Der Kuss von ihrer Lippen Rot,
Jetzt, da sie meinem Herzen tot.
Tanzt mir den Reigen!
Noch denke sehnend ich zurück
An ferne Zeit, an Wort und Blick,
Und dieses ist mein höchstes Glück.
Tanzt mir den Reigen!
[75]

Paddington

Sieh den Fluss die Stadt durchgleiten,
Fremd und seltsam längs der breiten,
Fünf Fuss hohen Wand von Stein.
Wie dort durch die ruhevollen
Gassen still die Fluten rollen,
Dunkel, aber dennoch rein.
In dem breiten Bett wälzt blasser
Als ein Leichnam sich das Wasser,
Trostlos, weil nur Nebelgrau'n
Spiegelt in den trägen Fluten,
Leuchten auch des Frührots Gluten
Auf der Hütten Gelb und Braun.

[76] Child Wife

Ach meine Einfalt, armes Kind, du sahst sie nicht,
Du hast mich nicht gekannt,
Mit flatterhaftem Sinn und zornigem Gesicht
Dich fliehend abgewandt.
Dein liebes Auge, das nur Süsse spiegeln darf,
Mild wie ein blauer See,
Ward, jammervolle arme Schwester, falsch und scharf
Und tut zu sehn mir weh.
Und wild bewegtest du die Arme zart und schwach
Im bösen Streit, es schrie
Die Stimme grell und laut, die einstens, ach
Nichts war als Melodie.
Du fürchtetest des Wetters Toben und mein Herz
Und bist im Sturm verzagt,
Du warst wie ein verlornes Lamm, das voller Schmerz
Mit seiner Mutter klagt.
Du sahest nicht der Ehre hellen Sonnenblick,
Den starke Liebe bot,
Freudig im bangen Leid, voll stillem Ernst im Glück
Und jung bis in den Tod.

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Verlaine, Paul-Marie. Aquarelle. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-74BD-4