Jules Verne
Die Historien von Jean-Marie Cabidoulin


1. Capitel

[5] Erstes Capitel.
Eine verzögerte Abfahrt.

»Heda, Kapitän Bourcart, wollten Sie denn nicht heute abfahren?

– Nein, Herr Brunel, ich fürchte sogar, es wird auch nicht morgen, vielleicht sogar in acht Tagen noch nicht möglich sein...

[5] – Das ist ja verdrießlich...

– O, sogar beunruhigend, erklärte Bourcart mit Kopfschütteln. Der »Saint Enoch« müßte schon seit Ende vorigen Monats abgegangen sein, um an den Fangplätzen noch zu günstiger Zeit einzutreffen. Wie es jetzt liegt, werden ihm die Engländer oder die Amerikaner zuvorkommen...

– Und das nur, weil Ihnen die beiden Leute noch immer fehlen?...

– Jawohl, Herr Brunel, einer, den ich auf keinen Fall entbehren kann, und ein anderer, auf den ich vielleicht verzichtete, wenn es darüber nicht strenge Vorschriften gäbe, die...

– Den Böttcher meinen Sie damit doch wohl nicht? fragte Brunel.

– Ich bitte Sie... nein... das dürfen Sie getrost glauben! Bei mir an Bord ist der Böttcher ebenso unentbehrlich wie Raaen und Spieren, neue Ruder und Compaß! Bedenken Sie, daß ich im Laderaume zweitausend Fässer habe...

– Und wie viel Mann an Bord, Capitän Bourcart?

– Vollzählig wären wir zweiunddreißig Mann, Herr Brunel. Unter uns gesagt, ist es übrigens weit nützlicher, einen Böttcher zu haben, der sich um die Fässer, als einen Arzt, der sich um die kranken Leute kümmert. Fastagen, na ja, daran giebt's immer etwas zur reparieren... kranke Leute... die reparieren sich schon ganz allein! Und obendrein, möcht' ich noch fragen, wird man denn auf dem Meere überhaupt je ernstlich krank?

– Natürlich sollte das in so ausgezeichneter Luft eigentlich nicht vorkommen, und dennoch, Kapitän, giebt es wohl Fälle...

– Ach was, Herr Brunel, ich habe auf dem »Saint Enoch« noch keinen Kranken gehabt!

– Da kann man Ihnen ja gratulieren, Kapitän! Immerhin, ein Schiff bleibt eben ein Schiff, und als solches ist es der bestehenden Seefahrtsordnung unterworfen. Bei einer gewissen Zahl von Officieren und Matrosen muß es einen Arzt an Bord nehmen, daran ist nichts zu deuteln. Sie haben bis jetzt noch keinen...

– Freilich... freilich; darum eben ist ja der »Saint Enoch« heute noch nicht um das Cap Saint Vincent herum, wie es von Rechts wegen sein müßte!«

Das hier wiedergegebene Gespräch fand zwischen dem Kapitän Bourcart und einem Herrn Brunel statt, und zwar gegen elf Uhr vormittags auf dem etwas erhöhten Theile zwischen dem Semaphor und der Flügelmauer des Molos von Havre.

[6] Die beiden Männer kannten einander schon lange; der eine war ein früherer Küstenfahrer, der jetzt das Amt des Hafenkapitäns verwaltete, der andere der Befehlshaber des Dreimasters »Saint Enoch«, der schon recht ungeduldig darauf wartete, seine Mannschaftsrolle zu vervollständigen, um in See gehen zu können.

Evariste Simon Bourcart war in Havre, seinem Heimathafen, vielleicht der bekannteste aller Kapitäne von der langen Fahrt. Unverheiratet, ohne nahe Angehörige, hatte er von frühester Kindheit in der Marine des Staates als Schiffsjunge, Leichtmatrose, Matrose und als Bootsmann gedient.

Nach vielfachen Reisen als Lieutenant, als zweiter Officier und als erster Steuermann, befehligte er jetzt bereits seit zehn Jahren den »Saint Enoch«, einen Walfischfänger, der ihm und der Firma Gebrüder Morice je zur Hälfte gehörte.

Ein ausgezeichneter, kühner und entschlossener Seemann, bewahrte er, im Gegensatz zu so vielen seiner Collegen, in seinem Auftreten die äußerste Höflichkeit, er fluchte auch niemals und ertheilte seine Befehle stets in der freundlichsten Weise. Das ging natürlich nicht so weit, daß er etwa zu einem Marsgaste gesagt hätte: »Wollen Sie so gut sein, die Reffe des Oberbramsegels nachzulassen!« oder zu dem Steuermann: »Seien Sie so freundlich, das Ruder hart nach Steuerbord zu legen!« – Immerhin galt er, und zwar mit Recht, für einen der höflichsten Kapitäne von der langen Fahrt.

Außerdem verdient es hervorgehoben zu werden, daß der in allen seinen Unternehmungen begünstigte Bourcart bezüglich des Fanges stets sehr glücklich gewesen war und immer sehr gute Fahrten gehabt hatte. Seine Officiere hatten sich nie zu beklagen, und seine Matrosen auch gegen diese nie etwas einzuwenden gehabt. Wenn die Besatzung des »Saint Enoch« heute also nicht vollzählig und es dem Kapitän unmöglich war, die Lücken auszufüllen, so darf man das nicht für ein Zeichen von Mißtrauen und Widerwillen seitens der heuersuchenden Seeleute halten.

Bourcart und Brunel waren an dem metallenen Gerüst der Nebelglocke auf der halbrunden Terrasse am Ende des Hafendammes stehen geblieben. Der Maregraph zeigte gerade die tiefste Ebbe an, und der Signalmast trug weder Flagge noch Wimpel. Kein Fahrzeug schickte sich an auszulaufen, und selbst die Fischerschaluppen hätten bei der Tiefebbe beim Neumond kaum genug Wasser vorgefunden. Aus diesem Grunde fehlte es auch ganz an Neugierigen, die sich bei Hochwasser zu sammeln pflegten. Die Schiffe von Honfleur, Trouville, von [7] Caen und Southampton lagen vertäut an ihren Büllen, und vor der dritten Nachmittagsstunde war keine Bewegung im Außenhafen zu erwarten.

Kurze Zeit schweiften die Augen des Kapitäns Bourcart nach dem offenen Meere hinaus und über die große Wasserfläche zwischen den fernen Anhöhen von Ouistreham und dem felsigen Steilufer vor den Leuchtthürmen des Caps de la Hève hin. Die Witterung war unbestimmt und der Himmel in großer Höhe mit grauen Wolken halb bedeckt. Der Wind wehte aus Nordosten als leichte, unstäte Brise, die mit dem Eintritte der Fluth voraussichtlich auffrischte.

Einzelne Schiffe glitten über die Bucht dahin; hier hoben sich weiße Segel vom östlichen Horizonte ab, dort schwebten lange Rauchsäulen in der schwachbewegten Luft. Natürlich war es ein etwas neidischer Blick, den Bourcart seinen mehr begünstigten Collegen nachsandte, die den Hafen schon verlassen hatten. Selbstverständlich drückte er sich auch auf diese Entfernung hin in der höflichsten Form aus, denn seine angeborene Urbanität hätte es nicht zugelassen jene wie ein gewöhnlicher alter Seebär zu behandeln.

»Ja, ja, sagte er zu Brunel, die wackeren Leute da machen mit dem Winde im Rücken gute Fahrt, während ich noch im inneren Becken liege und die Sorrtaue nicht loswerfen kann! Das nennt man doch wirklich Pech haben, und das ist das erste Mal, daß es dem »Saint Enoch« so schlecht geht...

– Gedulden Sie sich nur, lieber Bourcart, antwortete der Hafenkapitän lachend; wenn Sie jetzt nicht gleich auslaufen können...

– O, hab' ich denn nicht schon seit vierzehn Tagen Geduld gehabt! rief der Kapitän nicht ohne einige Bitterkeit.

– Zugegeben. Ihr Schiff kann aber viel Leinwand tragen, und Sie werden die verlorene Zeit bald einholen. Mit elf Knoten, bei guter Brise, kommt man schon ein Stück vorwärts. Doch sagen Sie mir, Bourcart, geht es mit dem Doctor Sinoquet noch immer nicht besser?


»Ueberlegen Sie sich die Sache, Meister Cabidoulin.« (S. 19.)

– Leider nein, wenn er auch nicht gerade schwer krank ist, der vortreffliche Doctor. Nur rheumatische Schmerzen nageln ihn ans Bett, und davon hat er noch für mehrere Wochen genug. Wer hätte das je geglaubt von einem Manne, der so sehr ans Meer gewöhnt war und der mit mir alle Theile des Großen Oceans besucht hat...

– O, fiel der Hafenkapitän ein, vielleicht sind es gerade die vielen Reisen, durch die er sich sein Leiden zugezogen hat.

[8] – Nein, nein... das gewiß nicht, versicherte der Kapitän Bourcart. Ein Rheumatismus, den sich einer an Bord des »Saint Enoch« geholt hätte!.. Warum denn nicht gleich die Cholera oder das gelbe Fieber?... Nein, wie konnten Sie nur auf einen solchen Gedanken kommen, liebster Brunel?...«

Wie verdutzt durch eine so ungeheuerliche Muthmaßung ließ Bourcart die Arme sinken. Der »Saint Enoch«... ein so musterhaft ausgerüstetes Schiff mit allen Bequemlichkeiten und undurchdringlich für die geringste Feuchtigkeit!... Ein Rheumatismus!... Den holte man sich jedenfalls eher im Sitzungssaale [9] des Rathhauses oder in den Salons der Unterpräfectur, als in den Cabinen oder der gemeinschaftlichen Cajüte des »Saint Enoch«!... Ein Rheumatismus!... Hatte er selbst denn jemals etwas davon gespürt?... Und er verließ doch sein Schiff niemals, weder wenn er irgend einen Platz angelaufen hatte, noch wenn er im Hafen von Havre festlag. Eine Wohnung in der Stadt... ei, das wäre, wenn man sein Unterkommen an Bord hat! Das hätte er nicht mit den prächtigsten Zimmern des Hôtel de Bordeaux oder du Terminus vertauscht... Ein Rheumatismus!... Nein, nicht einmal ein simpler Schnupfen! Wer hätte denn jemals an Bord des »Saint Enoch« einen niesen hören?

Der brave Mann kam allmählich ins Feuer und hätte wohl noch lange in gleicher Weise weiter ge-und widersprochen, wenn ihn der Hafenkapitän nicht unterbrochen hätte.

»Na ja, ich will's ja zugeben, lieber Bourcart, sagte er beschwichtigend, der Doctor Sinoquet wird sich den Rheumatismus von seinem Aufenthalte auf dem Lande zugezogen haben. Thatsache bleibt es freilich, daß er daran laboriert und sich vorläufig nicht einschiffen kann...

– Und das schlimmste dabei ist, erklärte Bourcart, daß ich trotz aller Bemühungen keinen Ersatzmann für ihn aufzutreiben vermag.

– Nur Geduld, wiederhole ich Ihnen, nur etwas Geduld! Sie werden schließlich schon noch einen jungen Mediciner finden, der gern einmal die Welt sehen möchte und nur darauf wartet, reisen zu können. Was käme diesem zum Anfang gelegener, als im Stillen Ocean einmal eine Fahrt zum Walfange mitzumachen?

– Gewiß, Freund Brunel, ich sollte eigentlich nur die Qual der Wahl haben. Leider giebt es deren doch nicht so viele, und ich habe noch immer niemand, das Bistouri und die Lanzette oder den Schlägel und das Breitbeil zu handhaben.

– Es ist aber doch nicht ebenfalls ein Rheumatismus, fragte der Hafenkapitän, der Sie Ihres Tonnenbinders beraubt hat?

– Nein, das freilich nicht; der brave Vater Brulard kann nur seinen linken Arm, scheinbar infolge einer Gelenksteifigkeit, nicht mehr gebrauchen, und er verspürt auch heftige Schmerzen in den Beinen und Füßen...

– Sind denn auch daran die Gelenke angegriffen? erkundigte sich Brunel.

– So scheint es leider; jedenfalls ist Brulard nicht imstande, zur See zu fahren. Sie wissen ja aber, lieber Brunel, daß ein zur Walfischjagd ausgerüstetes [10] Fahrzeug eines Böttchers ebenso wenig wie der Harpuniere entbehren kann, und ich werde einen solchen also um jeden Preis anwerben müssen.«

Brunel fing zwar an zu glauben, daß Vater Brulard von keinem Rheumatismus gelähmt sein werde, da der »Saint Enoch« nach der Versicherung des Kapitäns Bourcart das reine Sanatorium war und seine Besatzung sich der besten hygienischen Bedingungen erfreute. Das änderte freilich nichts an der Thatsache, daß der Doctor Sinoquet und der Böttcher Brulard an dieser Fahrt nicht theilnehmen konnten.

Eben jetzt hörte Bourcart sich anrufen und drehte sich daraufhin um.

»Ah, Sie, Heurtaux, sagte er und reichte seinem zweiten Officier vertraulich die Hand. Es freut mich, Sie zu sehen. Ist's denn ein guter Wind, der Sie hierher geblasen hat?

– Vielleicht, Kapitän, antwortete Heurtaux, denn ich komme, um Sie zu benachrichtigen, daß sich jemand – vor kaum einer Stunde – an Bord eingefunden hatte...

– Ein Böttcher oder vielleicht ein Arzt? fragte Bourcart lebhaft.

– Das weiß ich nicht, Kapitän. Die betreffende Persönlichkeit schien aber durch Ihre Abwesenheit unliebsam enttäuscht zu werden.

– War es ein schon älterer Mann?

– Nein, er sah noch ziemlich jung aus und versprach, bald wiederzukommen. Ich machte mich also auf, Sie zu suchen, und in der Voraussetzung, daß ich Sie auf dem Hafendamme fände...

– Wo man mich immer antrifft, Heurtaux, wenn ich nicht an Bord bin.

– Ja, das wußte ich, und deshalb steuerte ich sofort auf den Signalmast zu.

– Gut gemacht, Heurtaux, erwiderte Bourcart, ich werde zu der Begegnung an Ort und Stelle sein. Lieber Brunel, erlauben Sie also, daß ich mich verabschiede.

– Gehen Sie getrost, bester Kapitän, ich habe so eine Ahnung, daß Sie sehr bald jeder Verlegenheit enthoben sein werden.«

– Wenigstens zur Hälfte, Freund Brunel, doch nur in dem Falle, daß der Besucher ein Arzt oder ein Tonnenbinder war!«

Der Hafenkapitän und der Kapitän Bourcart wechselten noch einen freundschaftlichen Händedruck; dann ging der zweite in Begleitung seines ersten Steuermannes die Mole hinunter, überschritt die Brücke und begab sich nach [11] dem Handelshafen und auf dem Landgange vom Ufer nach dem »Saint Enoch«.

Sobald er an Bord war, zog sich Bourcart in seine Cabine zurück, deren Thür sich nach der gemeinsamen Cajüte und deren Fenster sich nach der Vorderseite der Deckhütte zu öffnete. Nachdem er noch den Befehl ertheilt hatte, ihm das Wiedereintreffen des Besuchers sofort zu melden, wartete er mit einiger Ungeduld und las inzwischen in einem Localblatte von Havre.

Er sollte nicht lange zu warten haben. Schon nach zehn Minuten stellte sich der ihm gemeldete junge Mann wieder an Bord ein und war nach der Cajüte geführt worden, wo der Kapitän ihn aufsuchte.

Wenn der Besucher, allem Anscheine nach, auch kein Böttcher war, so konnte er doch vielleicht ein Arzt... ein junger Mediciner, beiläufig von sechs- bis siebenundzwanzig Jahren sein.

Nach dem Austausche der gewöhnlichen Höflichkeiten – und man darf glauben, daß Bourcart gegenüber der Person, die ihn mit ihrem Besuche beehrte, damit nicht im Rückstande blieb – begann der junge Mann mit den Worten:

»Ich habe aus dem, was man sich an der Börse sagte, gehört, daß der »Saint Enoch« infolge des schlechten Gesundheitszustandes seines gewohnten Arztes am Auslaufen verhindert sei.

– Das ist leider richtig, mein Herr... Herr?...

– Filhiol. Ich bin der Doctor Filhiol, Herr Kapitän, und komme, Ihnen an Stelle des Doctors Sinoquet meine Dienste an Bord Ihres Schiffes anzubieten.«

Der Kapitän Bourcart erfuhr darauf noch, daß der aus Rouen gebürtige junge Mann einer Familie aus den industriellen Kreisen seiner Vaterstadt angehörte, und daß er den Wunsch hegte, seinen Beruf in der Handelsmarine auszuüben. Jedenfalls würde er sich glücklich schätzen, vor dem etwaigen Eintritt in den Dienst der Transatlantischen Gesellschaft an einer Fahrt zum Walfang theilzunehmen und gerade bei der oft beschwerlichen Schiffahrt auf dem Stillen Ocean seine Tauglichkeit zu erproben. Er könne, sagte er, die besten Empfehlungen vorlegen, und der Kapitän brauche sich über ihn nur bei den und den Großkaufleuten und Rhedern von Havre zu erkundigen.

Bourcart hatte den jungen Arzt mit seinem offenen, ansprechenden Gesichtsausdruck aufmerksam angesehen. Ohne Zweifel war er von kräftiger Constitution und entschlossenem Charakter. Auf dergleichen verstand er sich, und der da vor [12] ihm stand, mit gut gebauten Gliedern und strotzender Gesundheit, war gewiß nicht der Mann, der sich bei ihm an Bord einen Rheumatismus zuzog.

»Mein werther Herr, antwortete er also, Sie kommen mir sehr gelegen, was ich nicht verhehlen mag, und wenn meine Erkundigungen – woran ich nicht im mindesten zweifle – für Sie günstig ausfallen, so wäre die Sache so gut wie abgemacht. Sie könnten sich dann schon morgen auf dem »Saint Enoch« häuslich einrichten, und ich denke, Sie würden es nicht zu bereuen haben.

– Davon bin ich überzeugt, Herr Kapitän, erwiderte der Doctor Filhiol, denn ich gestehe, daß ich, bevor Sie über mich Erkundigungen einziehen konnten, mich schon über Sie erkundigt habe...

– Ganz klug und weise, erklärte Bourcart. Wie man niemals ohne Schiffszwieback in See gehen soll, so soll man auch seinen Namen nicht in eine Schiffsrolle einzeichnen, ohne zu wissen, mit wem manspäter zu thun bekommt.

– Das war auch mein Gedankengang, Herr Kapitän.

– Und das ist ganz recht so, Herr Doctor. Wenn ich Ihre Worte richtig deute, so haben Sie über mich wohl keine ungünstige Auskunft erhalten?

– O, im Gegentheil, Herr Kapitän, und ich hoffe, daß die Auskunft, die Sie über mich einholen werden, ebenso günstig ausfällt.«

Kamen sich der Kapitän Bourcart und der junge Arzt an Offenherzigkeit gleich, so hielten sie sich jedenfalls auch bezüglich der Höflichkeit die Wage.

»Nur noch eine einzige Frage, nahm der Kapitän Bourcart wieder das Wort. Sind Sie, Herr Filhiol, schon zur See gewesen?

– Nur auf einigen kurzen Fahrten über den Aermelcanal.

– Und... nicht seekrank gewesen?

– Nein; ich glaube sogar, ich werde das niemals werden.

– Ja, sehen Sie, für einen Schiffsarzt ist das nicht ganz unwichtig.

– Gewiß nicht, Herr Kapitän.

– Ich darf Ihnen dazu auch nicht verheimlichen, daß die Fahrten zum Walfange anstrengend, wohl auch gefährlich sind. Mühsal und Entbehrungen bleiben einem dabei nicht erspart, kurz, es ist eine harte Schule für das Seemannsleben...

– Das weiß ich, Herr Kapitän, doch ich fürchte diese harte Schule nicht...

– Und unsere Fahrten, Doctor Filhiol, sind nicht nur gefährlich, sondern zuweilen auch von sehr langer Dauer. Das hängt von mehr oder weniger [13] günstigen Umständen ab. Wer kann wissen, ob der »Saint Enoch« nicht vielleicht zwei bis drei Jahre braucht, ehe er heimkehrt...

– Er mag heimkehren, wann das auch ist, Herr Kapitän; das wichtigste bleibt es doch, daß alle, die er jetzt hinausführt, mit ihm wieder zurückkommen.«

Bourcart mußte sich von der Lebensanschauung des jungen Mannes entschieden befriedigt fühlen, und er würde sich mit dem Doctor Filhiol jedenfalls in allen Punkten verständigen, wenn die über diesen einzuziehenden Erkundigungen es zuließen, mit ihm einen Vertrag einzugehen.

»Mein Herr Doctor, sagte er zu ihm, ich glaube, ich habe mich nur zu beglückwünschen, mit Ihnen in Beziehung getreten zu sein, und morgen, nachdem ich meine Erkundigungen eingezogen habe, hoffe ich, daß Ihr Name im Schiffsbuche eingetragen werden wird.

– Auf morgen also, antwortete der junge Arzt, und was die Abfahrt betrifft...

– O, die könnte auch noch morgen Abend mit dem ersten Eintritt der Ebbe erfolgen, wenn es mir gelungen wäre, für den Platz des Böttchers ebenso Ersatz zu finden, wie für den des Arztes.

– Ihre Mannschaft ist also noch nicht vollzählig, Herr Kapitän?

– Leider nein, Herr Filhiol, denn es ist ausgeschlossen, auf den armen Brulard zu rechnen.

– Ist der Mann denn krank?

– Nun ja, wenn man es krank sein nennen darf, wenn einer einen Rheumatismus hat, der ihm Arme und Beine lähmt... Sie können mir aber getrost glauben, daß er sich diesen nicht während der Fahrt auf dem »Saint Enoch« geholt hat.

– Da fällt mir ein, Herr Kapitän, bemerkte jetzt der junge Arzt, daß ich Ihnen vielleicht einen Böttcher nachweisen kann...

– Sie?«...

Der Kapitän erging sich seiner Gewohnheit gemäß schon in vorzeitigen Danksagungen gegen den ihm von der Vorsehung gesandten Doctor. Ihm war's, als hörte er im Laderaume schon den Schlägel an die Dauben der Fässer klopfen. Die erste Freude sollte aber nur von kurzer Dauer sein, und er schüttelte ganz kläglich den Kopf, als Filhiol hinzugesetzt hatte:

»Sie haben also wohl gar nicht an Meister Cabidoulin gedacht?...

– An Jean-Marie Cabidoulin in der Tournettesstraße? rief Bourcart.

[14] – Natürlich an diesen. Giebt es denn noch einen zweiten Cabidoulin in Havre oder anderswo?

– Jean-Marie Cabidoulin! wiederholte der Kapitän Bourcart.

– Ja ja, der selbst.

– Woher kennen Sie denn Cabidoulin?

– Daher, daß ich ihn behandelt habe.

– Was... der ist also auch krank?... Da herrscht wohl unter den Böttchern eine reine Epidemie?

– O nein, darüber können Sie ruhig sein, Herr Kapitän. Er hatte nur eine geringfügige Handverletzung, die schon wieder geheilt ist, so daß er recht gut mit dem Breitbeil umgehen kann. Er ist ein kerngesunder Mann von guter Constitution, für sein Alter – kaum fünfzig Jahre – recht kräftig, und ich meine, er werde seine Sache auch gut machen.

– Ganz gewiß... ganz gewiß, antwortete Bourcart, doch, wenn Sie Jean-Marie Cabidoulin kennen, so kenne ich ihn auch, und ich glaube kaum, daß sich irgend ein Kapitän entschließen würde, den Mann an Bord aufzunehmen...

– Warum denn das?...

– O, sein Handwerk versteht er gründlich und hat auch verschiedene Fahrten mitgemacht... die letzte etwa vor fünf bis sechs Jahren...

– Doch warum, Herr Kapitän, will niemand etwas von ihm wissen?

– Weil er ein Unglücksprophet ist, Herr Filhiol, weil er immer nur Unfälle und Katastrophen voraussagt, weil, wenn man eine Reise antritt, das, seinem Reden nach, allemal die letzte sein werde, von der man nicht wiederkehrt. Und dann seine Geschichten von den Seeungeheuern, die er gesehen haben will und auch später wieder antreffen werde. Ich sage Ihnen, Herr Filhiol, der Mann ist imstande, eine ganze Mannschaft zu demoralisieren!

– Sprechen Sie im Ernst, Herr Kapitän?

– Völlig ernsthaft!

– Ja... aber... beim Mangel an einem anderen, und da Sie doch einen Böttcher brauchen...

– Freilich... ich weiß es... mangels eines anderen!... Und doch, an den... gerade an den hätt' ich nimmermehr gedacht!... Indeß, kann man nicht nach Norden steuern, so steuert man eben nach Süden, und wenn Meister Cabidoulin wollte... er wird aber nicht wollen...

[15] – Man könnte es doch versuchen...

– Nein, das ist nutzlos. Uebrigens Cabidoulin... Cabidoulin! wiederholte Bourcart.

– Wenn wir ihn nun aufsuchten?« schlug Filhiol dennoch vor.

Der sich offenbar unklare und etwas betretene Kapitän Bourcart schlug einmal die Arme in- und dann auseinander, er ging mit sich zu Rathe, erwog das Für und das Wider und schüttelte den Kopf, als stände er im Begriffe, sich in eine dumme Geschichte einzulassen. Der Wunsch, möglichst bald in See zu gehen, wog schließlich doch jedes Bedenken auf.

»Nun, gehen wir also!« sagte er.

Schon in der nächsten Minute hatten beide den Handelshafen verlassen und wendeten sich der Wohnung des Böttchers zu.

Jean-Marie Cabidoulin war zu Hause; er befand sich in einem Zimmer des Erdgeschosses im Hofe. Es war ein zweiundfünfzigjähriger, robuster Mann, der sich hier in Cordhosen und Aermelweste zeigte. Auf dem Kopfe trug er eine Otterfellmütze und um die Hüften einen großen, braunen Lederschurz. Arbeit, äußerte er, gäb' es nicht viel, und wenn er nicht einige Sparpfennige besäße, könnte er in dem kleinen Café gegenüber des Abends nicht einmal seine Partie Manille spielen, wozu ihn doch ein alter Marinepensionär, ein früherer Leuchtthurmwächter von la Hève, Tag für Tag erwartete.

Jean-Marie Cabidoulin war übrigens völlig unterrichtet über alles, was in Havre vorging, über Ein-und Ausfahrten von Segel- und Dampfschiffen, von der Ankunft und der Wiederabreise der transatlantischen Dampfer, von den Fahrten der Lootsen und von den Neuigkeiten vom Meere und auch unterrichtet von allen Klatschereien, die zwischen zwei Gezeiten auf dem Hafendamme aufkamen.

Meister Cabidoulin kannte also, und zwar schon lange, auch den Kapitän Bourcart. Sobald dieser bei ihm auf der Schwelle erschien, rief er deshalb auch:

»He, he! Der »Saint Enoch« liegt also immer noch am Quai fest immer noch im Handelshafen eingesperrt, als ob er von Eis umschlossen wäre?...


»He, Alterchen, da bist Du ja!« (S. 24.)

– Noch immer, Meister Cabidoulin, bestätigte Kapitän Bourcart.

– Fehlt's noch an einem Schiffsarzt?

– O nein, der ist zur Stelle.

– Sapperment... Sie sind das doch nicht selbst, Doctorchen?

[16] [19]– Ich selbst, und ich habe den Kapitän Bourcart hierher begleitet, um zu fragen, ob Sie sich mit uns einschiffen wollen.

– Einschiffen? rief der Tonnenbinder, seinen Schlägel schwingend.

– Ja, Jean-Marie Cabidoulin, sagte der Kapitän Bourcart. Hätte es denn für Sie keinen Reiz, so eine letzte Fahrt auf gutem Schiffe und in Gesellschaft tüchtiger, braver Leute?

– Nun wahrlich, Kapitän Bourcart, ein solches Anerbieten hätte ich mir nicht mehr träumen lassen! Sie wissen doch, daß ich mich eigentlich zur Ruhe gesetzt habe. Jetzt segl' ich nur noch durch die Straßen von Havre, wo es keine Zusammenstöße giebt und kein Wogenschlag zu fürchten ist... und Sie... Sie wollten...

– O, überlegen Sie sich die Sache, Meister Cabidoulin. Sie sind doch wahrlich noch nicht so alt, auf Ihrer Ankerboje hocken, oder wie ein alter Ponton ganz hinten im Hafen vertäut zu bleiben!

– Den Anker lichten, Jean-Marie, den Anker lichten!« setzte Doctor Filhiol, um in Uebereinstimmung mit dem Kapitän zu bleiben, lachend hinzu.

Meister Cabidoulin hatte jetzt aber einen Gesichtsausdruck tiefen Ernstes angenommen – wahrscheinlich die Maske des Unglückspropheten – und mit dumpfer Stimme begann er:

»Hören Sie auf meine Worte, Kapitän, und Sie auch, Doctor Filhiol. Ich habe da einen Gedanken gehabt, den ich nie wieder aus dem Kopfe los werde...

– Und der wäre? fragte der Kapitän Bourcart.

– Daß man, wenn man da draußen umherfährt, schließlich früher oder später, doch nothwendigerweise, Schiffbruch erleiden muß. O, ich weiß es, der »Saint Enoch« hat einen vortrefflichen Kapitän, eine tüchtige Mannschaft, er wird auch einen guten Arzt haben, ich habe aber die feste Ueberzeugung, daß mir, wenn ich mit zu Schiffe ginge, widerfahren werde, was mir noch nicht widerfahren ist...

– Ach, ich dächte gar! bemerkte der Kapitän Bourcart dazu.

– Es ist, wie ich Ihnen sage, versicherte Meister Cabidoulin. Deshalb hab' ich mir auch vorgenommen, mein Leben ruhig auf dem festen Lande zu beschließen.

– Das ist ja die reine Einbildung, erklärte Doctor Filhiol; alle Schiffe sind doch wahrlich nicht bestimmt, mit Mann und Maus unterzugehen...

[19] – Nein, das gewiß nicht, gab der Böttcher zu, und doch, mich verläßt die Ahnung nicht, wenn ich noch einmal zur See führe, würde ich davon nicht zurückkommen...

– O, ich bitte Sie, Jean-Marie Cabidoulin, versetzte der Kapitän Bourcart, das kann doch unmöglich Ihr Ernst sein!

– Mein völliger Ernst, und obendrein, doch das unter uns, meine Neugier ist für diese Welt befriedigt. Hab' ich nicht alles gesehen, während ich zur See fuhr: die heißen Länder und die kalten Länder, die Inseln des Atlantischen und Großen Oceans, die Eisberge und das Packeis, die Seehunde, die Robben und die Walfische...

– Alle Achtung, Sie sind wirklich zu beneiden, unterbrach ihn Filhiol.

– Und wissen Sie denn, was ich noch zu guter Letzt sehen werde?

– Nun, was denn, Meister Cabidoulin?

– Was mir noch niemals vor Augen gekommen ist, ein furchtbares Meerungeheuer... die große Seeschlange...

– Die Sie nie zu sehen bekommen werden! versicherte der Doctor Filhiol.

– Warum denn nicht?...

– Sehr einfach, weil's überhaupt keine giebt. Ich habe alles gelesen, was man über diese fabelhaften Seeungeheuer geschrieben hat, und ich wiederhole Ihnen, Ihre Riesenschlange existiert nicht!

– I, das wäre!« rief der Böttcher mit so überzeugtem Tone, daß es nutzlos erschien, über diesen Gegenstand mit ihm zu verhandeln.

Kurz, nach drängenden Gesuchen und schließlich durch den hohen Lohn, den der Kapitän Bourcart ihm bot, umgestimmt, entschloß sich Jean-Marie Cabidoulin, eine letzte Reise auf den Walfang mitzumachen, und noch an demselben Abend schleppte er seinen Reisesack an Bord des »Saint Enoch«.

[20]

2. Capitel

Zweites Capitel.
Der »Saint Enoch«.

Den nächsten Tag, den 7. November, verließ der »Saint Enoch« Havre im Schlepptau des »Herkules«, der ihn zur Zeit des höchsten Wasserstandes hinausbugsierte. Das Wetter war ziemlich schlecht. Tiefliegende und zerrissene Wolken flogen, von einer starken Nordwestbrise getrieben, am Himmel hin.

Das Fahrzeug des Kapitäns Bourcart maß gegen fünfhundertfünfzig Tonnen und war mit allen Geräthen ausgestattet, die bei dem schwierigen Fange der Walfische in den fernen Gewässern des Großen (oder Stillen) Oceans allgemein benützt werden. Obwohl die Zeit seines Baues jetzt schon um zehn Jahre zurücklag, erwies es sich unter allen Verhältnissen als völlig seetüchtig und als guter Segler. Seine Mannschaft war auch immer beschäftigt, Rumpf und Segelwerk in tadellosem Zustande zu erhalten, und eben jetzt war es frisch gekielholt und ausgebessert worden.

Der »Saint Enoch«, ein ziemlich breit gebauter Dreimaster, führte Focksegel, Großsegel und Brigantine, Mars- und Vormarssegel, Bram- und Oberbramsegel, Kreuzbramsegel, großes und kleines Klüversegel, Außenklüver und endlich Lee- und Stagsegel. In Erwartung der Abfahrt, hatte Bourcart alle Geräthe und Hilfsmittel zum Aufwinden oder Drehen der Walfische bestens instand setzen lassen. Vier Boote lagen an Ort und Stelle fertig... an Backbord die des Obersteuermanns und des ersten und zweiten Lieutnants, an Steuerbord das des Kapitäns. Vier weitere (Reserve-)Boote standen auf dem Deck vertheilt. Zwischen Fock- und Großmast und vor der großen Luke hatte man den zum Schmelzen des Walfischspecks dienenden Ofen oder Herd aufgebaut. Dieser enthielt zwei eiserne Töpfe dicht aneinander und war mit einem Mantel aus Ziegelsteinen umschlossen. An dessen Hinterseite befanden sich zwei Oeffnungen für den Abzug des Rauches und an der Vorderseite unter den Töpfen zwei Roste für die Feuerung.

Wir führen hier den Bestand an Officieren und Mannschaften auf, die auf dem »Saint Enoch« eingeschifft waren:

[21] Der Kapitän Bourcart (Evariste Simon), fünfzig Jahre.

Der Obersteuermann Heurtaux (Jean François), vierzig Jahre.

Der erste Lieutenant Coquebert (Yves), zweiunddreißig Jahre.

Der zweite Lieutenant Allotte (Romain), siebenundzwanzig Jahre.

Der Bootsmann Ollive (Mathurin), fünfundvierzig Jahre.

Der Harpunier Thiébaut (Louis), siebenunddreißig Jahre.

Der Harpunier Kardek (Pierre), zweiunddreißig Jahre.

Der Harpunier Durut (Jean), zweiundreißig Jahre.

Der Harpunier Ducrest (Alain), einunddreißig Jahre.

Der Doctor Filhiol, siebenundzwanzig Jahre.

Der Böttcher Cabidoulin (Jean-Marie), zweiundfünfzig Jahre.

Der Schmied Thomas (Gille), fünfundvierzig Jahre.

Der Zimmermann Ferut (Marcel), sechsunddreißig Jahre.

Acht Matrosen.

Elf Leichtmatrosen.

Ein Tafelmeister.

Ein Koch.

Zusammen vierunddreißig Köpfe... die gewöhnliche Menge Mannschaft für einen Walfänger vom Tonnengehalte des »Saint Enoch«.

Die Besatzung bestand nahezu zur Hälfte aus normannischen und bretonischen Matrosen. Nur der Zimmermann Ferut war aus Paris gebürtig, und zwar aus der Vorstadt Belleville; früher war er an verschiedenen Theatern der Hauptstadt als Maschinist thätig gewesen.

Die Officiere hatten auf dem »Saint Enoch« schon mehrere Fahrten mitgemacht und verdienten das beste Lob. Sie hatten alle Eigenschaften, die ihr Beruf erforderte. Im vergangenen Jahre waren die nördlichen und die südlichen Theile des Stillen Oceans abgesucht worden. Eine im ganzen glückliche Reise, wenigstens insofern, als sie ohne jeden ernsteren Unfall verlaufen war, obgleich sie nicht weniger als zweiundvierzig Monate gedauert hatte, doch auch eine einträgliche Reise, da die von dem Schiffe mit heimgebrachten zweitausend Fässer Thran zu recht annehmbaren Preisen verkauft werden konnten.

Der Obersteuermann Heurtaux verstand sich vortrefflich auf jede Einzelheit des Dienstes an Bord. Nachdem er als Hilfs-Flaggenofficier in der Kriegsmarine gedient hatte, war er zur Handelsmarine übergegangen und fuhr jetzt nur in Erwartung eines eigenen Befehlshaberpostens. Er galt mit Recht [22] für einen sehr tüchtigen Seemann, der auf strenge Mannszucht zu halten gewöhnt war.

Von dem ersten Lieutenant Coquebert und dem zweiten, Allotte – zwei übrigens auch recht guten Officieren – wäre nur ihr außerordentlicher, zuweilen selbst unkluger Eifer bei der Verfolgung von Walfischen zu erwähnen; beide wetteiferten in Schnelligkeit und Kühnheit; sie suchten einander gern zu überholen, unbekümmert ob sie – trotz der Warnungen und ernstlichen Einschärfungen des Kapitäns Bourcart – dabei ihre Boote aufs Spiel setzten oder nicht. Der Eifer des Fischers beim Fischfang wiegt eben den Eifer des Jägers bei der Jagd auf... er reißt, eine instinctive Leidenschaft, unwiderstehlich mit sich fort. Die beiden Lieutenants steckten damit auch mehr als nöthig ihre Leute an, vor allem Romain Allotte.

Nur wenige Worte seien dem Bootsmanne Mathurin Ollive gewidmet. Der kleine, hagere und sehnige, jeder Anstrengung gewachsene Mann, der eifrig seines Amtes waltete, auch gute Augen und gute Ohren hatte, besaß die besonderen Eigenschaften, die man an einem Kammerunterofficier der Marine zu sehen gewöhnt ist. Von allen Leuten an Bord war er unzweifelhaft der, der sich am wenigsten für die Einbringung von Walfischen interessierte. Mochte ein Schiff eigens für diesen Zweig des Fischfanges ausgerüstet oder zur Beförderung von Frachtgut beliebiger Art von einem Hafen zum anderen bestimmt sein: Meister Ollive bekümmerte sich nur um das, was unmittelbar mit der Navigation zusammenhing. Der Kapitän Bourcart schenkte ihm das größte Vertrauen, und er rechtfertigte dieses glänzend.

Was die acht Matrosen angeht, so hatte die Mehrzahl davon schon die letzte Reise des »Saint Enoch« mitgemacht, und sie bildeten eine ebenso zuverlässige wie geübte Mannschaft. Unter den elf Leichtmatrosen waren sechs, die die rauhe Lehrzeit des großen Fischfanges zum erstenmale erprobten. Die jungen Leute, im Alter von vierzehn bis zu siebzehn Jahren, sollten im Vereine mit den Matrosen bei der Bemannung der Boote Verwendung finden.

Die übrigen, der Schmied Thomas, der Böttcher Cabidoulin, der Zimmermann Ferut, der Koch und der Tafelmeister gehörten, mit Ausnahme des Böttchers, alle seit drei Jahren zur ständigen Mannschaft und waren mit ihren Obliegenheiten vollkommen vertraut.

Es sei noch hinzugefügt, daß Meister Ollive und Meister Cabidoulin schon alte Bekannte und wiederholt zusammen zur See gefahren waren. Der [23] erstgenannte, der schon wußte, was von der Manie des zweiten zu erwarten war, hatte diesen gleich in vertrauter Weise begrüßt.

»He, Alterchen, da bist Du ja!

– Jawohl, in eigener Person, sagte der zweite.

– Du willst es wirklich noch einmal wagen?...

– Wie Du siehst.

– Und immer mit der verwünschten Idee, daß es schlecht ablaufen werde?

– Sogar sehr schlecht, antwortete der Böttcher ernsthaft.

– Na gut, fuhr Mathurin Ollive fort, ich hoffe aber, daß Du uns mit Deinen Geschichten verschonen wirst...

– Das möcht' ich denn doch nicht versprechen.

– So halt' es, wie Du willst; wenn uns jedoch ein Unglück zustößt...

– Ist's eben ein Beweis, daß ich mich nicht geirrt habe!« erklärte Jean-Marie Cabidoulin.

Wer weiß, ob der Tonnenbinder nicht jetzt schon bedauerte, auf das Angebot des Kapitäns Bourcart eingegangen zu sein.

Als der »Saint Enoch« über die Hafendämme hinausgekommen war, wurde, da der Wind zum Auffrischen neigte, Befehl gegeben zum Beisetzen der Marssegel, in die der Bootsmann zwei Reffe schlagen ließ. Sobald der »Herkules« sein Schlepptau losgeworfen hatte, wurde das ausgeführt, ebenso auch das kleine Klüversegel entfaltet, und der Kapitän ließ nachher noch den Fockmast ausrüsten. Unter diesen Verhältnissen konnte der Dreimaster – ein Barkschiff – gegen den Nordost aufkreuzen, um die vorspringende Spitze von Barfleur zu umsegeln.

Der »Saint Enoch« mußte sich sehr dicht am Winde halten, trotzdem glitt er aber mit der Geschwindigkeit von zehn Knoten dahin.

Drei Tage lang machte sich das Kreuzen nöthig, dann erst konnte der Lootse bei la Hougue ausgeschifft werden. Von nun an ging die Fahrt den Canal la Manche hinunter in gewöhnlicher Weise weiter. Die günstige Brise, die bisher geherrscht hatte, verwandelte sich bald zu einem frischen Winde. Kapitän Bourcart, der deshalb auch hatte Bram-, Oberbram-und Stagsegel setzen lassen, konnte sich überzeugen, daß der »Saint Enoch« seine guten nautischen Eigenschaften noch immer entwickelte. In der Voraussicht einer sehr weiten Reise, bei der die Schiffe oft viel Ungemach aushalten müssen, war dessen Takelage übrigens fast vollständig erneuert worden.

[24] »Schönes Wetter, freundliche See, guter Wind, sagte Bourcart zu Doctor Filhiol, der mit ihm auf dem Deck umherging. Unsere Fahrt läßt sich ja recht gut an, und das ist eine Seltenheit, wenn man um diese Zeit des Jahres durch den Aermelcanal segelt.

– Ich gratuliere Ihnen, Kapitän, antwortete der Doctor, wir stehen jetzt aber erst am Anfang der Reise...

– O, das weiß ich wohl, Herr Filhiol. Es genügt nicht, eine solche gut anzufangen, man muß sie auch gut zu Ende führen. Doch... keine Sorge, wir [25] haben ein gutes Schiff unter den Füßen, und wenn's auch nicht erst gestern vom Stapel gelaufen ist, so ist es doch an Rumpf und Takelwerk nicht minder solid. Ich behaupte sogar, es ist noch vertrauenswürdiger, als ein ganz neues Schiff, und Sie können mir glauben, daß ich seinen Werth aus Erfahrung kenne.

– Gewiß, Herr Kapitän, daran zweifle ich nicht, doch handelt es sich nicht allein um eine ohne Unfall verlaufene Fahrt, diese muß vielmehr auch etwas ordentliches abwerfen, und das hängt weder vom Schiffe selbst ab, noch von seinen Officieren oder seiner Mannschaft...


»Nun, meine Herren...« versicherte Kapitän Bourcart. (S. 28.)

– Wie Sie sagen, fiel der Kapitän Bourcart ein. Der Walfisch kommt oder er kommt nicht. Das liegt, wie bei allen Dingen, am günstigen Zufall, und dem Zufall kann man nicht befehlen. Natürlich: man fährt mit gefüllten Fässern heim oder mit leeren. Der »Saint Enoch« ist jetzt aber, seit er aus der Werft von Honfleur hervorging, auf seiner fünften Fahrt, und bisher ist jede zu seinem Vortheil ausgefallen.

– Das läßt ja das beste hoffen, Herr Kapitän. Denken Sie wohl mit dem Fange zu warten, bis wir den Großen Ocean erreicht haben?

– O nein, Herr Filhiol, wir werden jede Gelegenheit benützen, und wenn wir im Atlantischen Ocean vor der Umschiffung des Caps Walfische antreffen, so werden unsere Boote nicht säumen, auf sie Jagd zu machen. Es kommt dabei nur darauf an, daß sie nicht in zu großer Entfernung auftauchen, und daß man sie am Schiffe festlegen kann, ohne zu weit aus dem Curse zu kommen.«

Einige Tage nach der Abfahrt aus Havre ordnete der Kapitän Bourcart den Wach- und Ausguckdienst. Zwei Männer sollten sich stets auf den Marsen, der eine auf dem Fock-, der andere auf dem Großmast aufhalten. Diese Aufgabe fiel den Harpunieren und den Matrosen zu, die Leichtmatrosen sollten auf dem Deck bleiben.

Um für alle Fälle bereit zu sein, erhielt jedes Boot eine Anzahl von Spieren, nebst den zum Walfang nöthigen Geräthen. Wurde dann ein Wal in der Nähe des Schiffes gemeldet, so brauchten die Boote nur aufs Wasser gesetzt zu werden, was nur wenige Minuten in Anspruch nahm. Auf eine solche Gelegenheit war indeß nicht eher zu rechnen, als bis der »Saint Enoch« sich draußen auf dem Atlantischen Meere befand.

Nachdem das letzte Land an den Seiten des Aermelcanals erreicht war, schlug der Kapitän Bourcart einen Curs nach Westen ein, um Ouessant in [26] größerer Entfernung zu umschiffen, und in dem Augenblicke, wo das französische Land außer Sicht kam, wies er den Doctor Filhiol darauf hin.

»Auf Wiedersehen!« sagten beide Männer.

Als sie der Heimat diesen letzten Gruß entboten, fragten sie sich jedenfalls wie viele Monate, vielleicht Jahre vergehen würden, ehe sie sie wiedersehen sollten.

Da der Wind stetig aus Nordosten wehte, brauchte der »Saint Enoch« nur seine Schoten nachzulassen, um in die Richtung nach dem Cap Ortegal, der nordwestlichsten Spitze Spaniens, abzufallen. Es erschien nicht nothwendig, erst in das biscayische Meer einzulaufen, das für Segler oft große Gefahr bringt, wenn ein starker Westwind aufkommt und sie gegen die Küste treibt. Wie häufig müssen da nicht Fahrzeuge, die nicht gegen den Wind segeln können, in einem der französischen oder der spanischen Häfen eiligst Schutz suchen.

Saßen der Kapitän und die Officiere zur Essenszeit beisammen, so sprachen sie, wie erklärlich, über die eben unternommene Fahrt. Diese fing ja unter günstigen Umständen an. Das Schiff würde voraussichtlich noch zur besten Zeit in den Fischgründen eintreffen, ja der Kapitän Bourcart zeigte in dieser Hinsicht eine solche Vertrauensseligkeit, daß er auch die ärgsten Zweifler umstimmte.

»Hätte sich nur unsere Abfahrt, erklärte er eines Tages, nicht um vierzehn Tage verzögert, so könnten wir jetzt schon auf der Höhe von Ascension oder Sanct Helena sein, und wir thäten unrecht, klagen zu wollen...

– Vorausgesetzt, meinte der Lieutenant Coquebert, daß der Wind uns einen Monat lang einigermaßen günstig bleibt, dürften wir den Zeitverlust sogar bequem einholen...

– Gleichwiel, setzte Heurtaux hinzu, es bleibt doch bedauernswerth, daß der Doctor Filhiol den vortrefflichen Gedanken, sich auf dem »Saint Enoch« einzuschiffen, nicht weit früher gehabt hat.

– Das bedauere ich ebenfalls, erwiderte der Arzt vergnügt lächelnd, denn ich hätte doch nirgends einen besseren Empfang und eine bessere Gesellschaft finden können.

– Da hilft nun kein Klagen und Bedauern mehr, meine Herren, erklärte Bourcart. Die guten Gedanken kommen nicht, wenn man es will...

– So wenig wie die Walfische, rief Romain Allotte. Selbst wenn sie auftauchen, muß man sofort bei der Hand sein, die plumpen Gesellen anzugreifen...

– Uebrigens, unterbrach ihn der Doctor Filhiol, fehlte dem »Saint Enoch« nicht nur der Schiffsarzt, sondern auch der unentbehrliche Böttcher.

[27] – Ganz recht, stimmte der Kapitän Bourcart ein, wir wollen auch nicht vergessen, lieber Filhiol, daß Sie es waren, der mir von Jean-Marie Cabidoulin sprach. Ohne Ihr Dazwischentreten hätte ich niemals daran gedacht, mich gerade an den Mann zu wenden.

– Nun kurz, er ist jetzt an Bord, ließ sich Heurtaux vernehmen, und das ist doch die Hauptsache. So weit ich ihn aber kenne, Kapitän, hätte ich nimmermehr geglaubt, daß er zustimmen würde, seine Werkstatt und seine Tonnen zu verlassen. Wiederholt hatte er schon, trotz verlockender Angebote, abgeschlagen, noch einmal in See zu gehen, und Sie müssen viel Ueberredungskunst angewendet haben...

– Na, ich habe nicht gerade zu viel Widerstand gefunden, meinte der Kapitän. Seinem Reden nach war er des Seefahrens überdrüssig. Er hatte Glück gehabt, sich ohnehin schlecht und recht durchzuschlagen. Warum das Schicksal herausfordern?... Man trägt dabei doch schließlich die Haut zu Markte... nein, man muß sich zur rechten Zeit zurückzuziehen verstehen, und so weiter... Sie kennen ja die Litaneien des wackeren Mannes! Und dann noch die Behauptung, daß er schon alles gesehen habe, was man bei einer Fahrt zum Walfange irgend sehen könne!

– Alles hat man niemals gesehen, erklärte der Lieutenant Allotte, und ich für meinen Theil erwarte noch immer etwas Unvorhergesehenes, Außerordentliches...

– Nun, meine Herren, versicherte der Kapitän Bourcart, etwas Außerordentliches wäre es, was jedoch ganz unwahrscheinlich ist, wenn sich das Glück von dem »Saint Enoch« abwenden sollte, wenn diese Reise nicht den vorhergegangenen gleich käme, die uns allen einen hübschen Nutzen eingebracht hatten. Das wäre es, wenn uns irgend ein Unfall beträfe, oder wenn unser Schiff nicht die gewohnte volle Ladung an Thran und Fischbein heimbrächte! Doch darüber bin ich beruhigt. Die Vergangenheit bürgt für die Zukunft, und wenn der »Saint Enoch« in den Handelshafen wieder einläuft, wird er auch seine zweitausend bis zum Spundloche gefüllten Fässer mitbringen!«

Wahrlich auch Jean-Marie Cabidoulin würde, wenn er diese von unerschütterlichem Vertrauen getragenen Worte gehört hätte, sich vielleicht gesagt haben, daß man wenigstens auf dieser Fahrt keinerlei Gefahr zu fürchten habe, so vom Glücke begünstigt war ja das Schiff des Kapitäns Bourcart. Nachdem im Südosten die Höhen des Caps Ortegal gepeilt waren, wendete sich der [28] »Saint Enoch«, von günstigen Wetterverhältnissen unterstützt, auf Madeira zu, um zwischen den Canarien und den Azoren hindurchzugehen. Sobald der Wendekreis, vor den Inseln des Grünen Vorgebirges, überschritten war, traf die Besatzung auf ein vortreffliches Klima mit mittelhoher Temperatur.

Ein wenig verwunderte es freilich den Kapitän, seine Officiere und seine Matrosen, daß bis jetzt noch kein Walfisch aufgetaucht war, den man hätte verfolgen können. Waren auch zwei bis drei zu sehen gewesen, so hielten sie sich doch so entfernt, daß an ein Flottmachen der Boote gar nicht zu denken gewesen war. Zeit und Mühe wären dabei rein verschwendet gewesen, und alles in allem erschien es rathsamer, die eigentlichen Fangbezirke, entweder auf dem jener Zeit schon recht ausgebeuteten Meerestheile bei Neuseeland oder die im nördlichen Stillen Ocean, so schnell wie möglich zu erreichen. Es galt vorläufig also, unterwegs keine Verzögerung zu erleiden.

Wenn sich die Schiffe aus europäischen Häfen nach dem Stillen (oder Großen) Ocean begeben wollen, so können sie das – die Fahrstrecke ist ziemlich gleichlang – entweder thun, indem sie das Cap der Guten Hoffnung an der Südspitze Afrikas umschiffen oder um das Cap Horn an der Südspitze Amerikas herumgehen, und so wird es auch bleiben, so lange der Panamacanal noch nicht eröffnet ist.

Was den Weg um das Cap Horn aber betrifft, so erfordert dieser ein Hinuntergehen bis zum fünfundfünfzigsten Grade südlicher Breite, wo oft recht schlimmes Wetter herrscht. Ein Dampfer kann sich zwar in die vielen Windungen der Magellanstraße hineinwagen, womit er den Stürmen des Caps entgeht, ein Segler könnte das aber nur auf die Gefahr unberechenbarer Verzögerungen hin thun, vorzüglich wenn es sich darum handelt, die Meerenge von Osten nach Westen zu passieren.

Im allgemeinen ist es also vortheilhafter, die Südspitze Afrikas aufzusuchen und den Fahrstraßen des Indischen und des Südlichen Meeres zu folgen, wobei die zahlreichen Häfen an der Küste Australiens und bis nach Neuseeland hin leicht erreichbare Zufluchtsstätten bieten.

Wie der Kapitän Bourcart diesen Weg bei seiner früheren Fahrt eingeschlagen hatte, so sollte er auch bei der jetzigen eingehalten werden. Er brauchte bei der unverändert aushaltenden Brise auch nicht weit nach Westen auszuweichen, und nach der Vorüberfahrt an den Inseln des Grünen Vorgebirges bekam er Ascension, und wenige Tage darauf Sanct Helena in Sicht.

[29] Zu dieser Zeit des Jahres herrscht auf dem Atlantischen Oceane jenseits des Aequators ein lebhafter Verkehr. Es vergingen auch kaum achtundvierzig Stunden, ohne daß der »Saint Enoch« irgend einem, mit voller Kraft dahineilenden Dampfer oder einem der schlanken Klipper begegnete, die mit jenen sich an Geschwindigkeit fast messen können. Der Kapitän Bourcart hatte aber nicht Muße genug, einen oder den anderen »anzusprechen«. Meist hißten die anderen auch nur die, ihre Nationalität anzeigende, Flagge oder begnügten sich zu signalisieren, daß sie keine Nachrichten zu geben und zu erwarten hätten.

An der Ostseite der Insel Ascension vorüberfahrend, hatte der »Saint Enoch« die diese beherrschenden vulcanischen Gipfel nicht zu Gesicht bekommen, und bei Sanct Helena angelangt, ließ er dieses an Steuerbord in drei bis vier Seemeilen Entfernung liegen. Von der ganzen Besatzung war der Doctor Filhiol der einzige, der diese Insel noch nicht gesehen hatte, und wohl eine Stunde lang konnte der junge Arzt seine Blicke von dem Pic de Diane, über der Schlucht mit dem ehemaligen Gefängnisse von Longwood, nicht loßreißen.

Das trotz der Beständigkeit der Windrichtung recht veränderliche Wetter begünstigte doch das Vorwärtskommen des Schiffes, das, ohne die Halsen umzuholen, höchstens seine Segelfläche zu verkleinern oder zu vergrößern hatte.

Die Ausguckleute hielten immer sorgsam Wacht. Walfische zeigten sich aber nicht, diese hielten sich wahrscheinlich weiter im Süden, einige hundert Meilen vom Cap, in größerer Zahl auf.

»Alle Teufel, Kapitän, sagte der Böttcher wiederholt, das war auch nicht die Mühe der Anmusterung werth, da ich an Bord gar nichts zu thun habe!

– Das wird noch kommen... wird schon kommen, suchte ihn der Kapitän dann zu beruhigen.

– Oder es kommt auch nicht, fuhr der Böttcher kopfschüttelnd fort, und wenn wir bei Neuseeland sind, werden wir noch kein Faß gefüllt haben.

– Kann wohl sein, Meister Cabidoulin, das besorgen wir aber dort. An Arbeit wird es Ihnen nicht fehlen, verlassen Sie sich darauf!

– O, ich habe aber auch Zeiten gesehen, wo es im Atlantischen Meere von Spritzwalen wimmelte.

– Ja, ja, das weiß ich; sicherlich werden sie immer seltener, und das ist recht bedauernswerth!«

Thatsächlich konnten die Wachposten nur zwei bis drei Wale melden, wovon einer eine recht beträchtliche Größe hatte. Leider tauchten diese aber allzunah[30] am Schiffe auf und, dadurch scheu gemacht, auch sofort wieder unter, so daß man sie nicht weiter sehen konnte. Bei der ihnen eigenen, außerordentlichen Geschwindigkeit können diese Cetaceen große Strecken durchschwimmen, ehe sie wieder nach der Oberfläche des Wassers herauskommen. Die Boote niederzulassen und die Thiere zu verfolgen, das hätte unverhältnißmäßige Anstrengung gekostet, ohne daß dafür ein Erfolg vorauszusehen gewesen wäre.

Das Cap der Guten Hoffnung wurde gegen Mitte December erreicht. Jener Zeit war das Meer in der Nähe der afrikanischen Küste stark belebt von Schiffen, die der wichtigen englischen Colonie zusteuerten, und nur selten erblickte man keine Rauchsäule eines Dampfers am Horizonte.

Bei seinen früheren Reisen hatte Bourcart den Hafen von Capetown schon wiederholt angelaufen, wenn der »Saint Enoch« auf der Rückfahrt und schon hier einige Aussicht war, einen Theil seiner Ladung zu verwerthen.

Jetzt lag also keine Veranlassung vor, das Land zu berühren. Der Dreimaster umsegelte deshalb ohne Aufenthalt die südlichste Spitze Afrikas, deren äußerste Höhen sechs Seemeilen nach der Backbordseite liegen blieben.

Es war nicht unbegründet, daß man das Cap der Guten Hoffnung ursprünglich das Cap der Stürme genannt hatte. Auch jetzt rechtfertigte es wiederum seine alte Bezeichnung, obwohl es gerade Hochsommerzeit war.

Der »Saint Enoch« hatte furchtbare Windstöße auszuhalten, die ihn zwangen, sich ihnen gerade entgegenzustellen. Er kam aber doch mit einer mäßigen Verzögerung und so unbedeutenden Havarien davon, daß Jean-Marie Cabidoulin diese kaum als ungünstige Vorzeichen deuten konnte. Nachdem dann noch die antarktische Strömung, die nach Osten verläuft, bis sie in der Nähe der Kerguelen-Inseln abweicht, bestens ausgenützt worden war, ging die Fahrt unter recht günstigen Verhältnissen weiter.

Am 30. Januar, kurz vor Sonnenaufgang war es, wo einer der Wachposten von den Fockmastraaen hinunterrief:

»Land unter dem Winde!«

Nach dem Besteck des Kapitäns auf dem sechsundsiebzigsten Grade östlicher Länge von Paris und auf dem siebenunddreißigsten Grade südlicher Breite, d. h. in der Nachbarschaft der Inseln Saint Paul und Amsterdam.

Zwei Meilen von der ersten entfernt, braßte der »Saint Enoch« auf. Die Boote des Obersteuermanns Heurtaux und des Lieutenants Allotte wurden, mit Schnüren und Netzen ausgerüstet, bis ziemlich dicht ans Land geschickt, denn an [31] den Küsten dieser Insel ist der Fischfang im allgemeinen recht ergiebig. Wirklich kamen die beiden Boote am Nachmittage mit einer reichen Beute an leckeren Fischen und nicht minder guten Heuschreckenkrebsen zurück, die für mehrere Tage den Bedarf des Mittagstisches deckten.

Von Saint Paul aus segelte der »Saint Enoch« schräg abwärts dem vierzigsten Breitengrade zu, immer begünstigt durch eine Brise, die ihm eine Geschwindigkeit von siebzig bis achtzig Lieues in vierundzwanzig Stunden verlieh, und am Morgen des 15. Februars bekam er die Snares, an der Südspitze Neuseelands, in Sicht.

3. Capitel

Drittes Capitel.
An der Ostküste von Neuseeland.

Etwa seit dreißig Jahren beuten die Walfänger die Umgebung von Neuseeland aus, wo der Fischfang sich immer reichlich gelohnt hat. Zur Zeit war das wohl der Theil des Großen Oceans, wo sich die Walfische noch in größter Zahl aufhielten. Doch auch hier kommen sie nur verstreut vor, und es ist immerhin selten, ihnen nahe dem Schiffe zu begegnen. Die Ausbeute von den hiesigen Walen ist aber so vortheilhaft, daß die Kapitäne die Mühen und Gefahren nicht scheuen, die mit dem Fange der Cetaceen verknüpft sind.

Darüber sprach sich Bourcart dem Doctor Filhiol gegenüber aus, als der »Saint Enoch« in Sicht von Tawaï-Punamu, der großen südlichen Insel der neuseeländischen Gruppe, ankam.

»Wohl könnte ein Schiff wie das unsere, setzte er hinzu, unter Umständen hier seine volle Ladung binnen wenigen Wochen erbeuten. Dann müßte aber immer gutes Wetter sein, und an diesen Küsten ist man leider täglich Windstößen preisgegeben, die zuweilen außerordentlich heftig werden.

– Giebt es denn hier keine leicht erreichbaren Nothhäfen? fragte der junge Arzt.

– O, gewiß, lieber Doctor; an der Ostküste allein liegen von solchen – um nur die hauptsächlichsten zu erwähnen – Dunedin, Oamaru, Akaroa, [32] Christchurch und Blenheim. Freilich tummeln sich die Spritzfische nicht in den Häfen umher, man muß sie vielmehr einige Meilen vor der Küste aufsuchen.


Neuseeländer.

– Denken Sie trotzdem in einen jener Häfen erst einmal einzulaufen, Herr Kapitän, ehe Ihre Mannschaft an die eigentliche Arbeit geht?

– Das ist meine Absicht... zwei bis drei Tage lang... um einen Theil unseres Proviants, vorzüglich an frischem Fleisch, zu erneuern und in die gewohnte Pökelfleischkost einige Abwechslung zu bringen.

– Und an welchem Küstenplatze soll der »Saint Enoch« vor Anker gehen?

[33] – Im Hafen von Akaroa.

– Wann werden wir da eintreffen?

– Morgen zeitig am Vormittage.

– Haben Sie sich daselbst schon aufgehalten?

– Mehrere Male. Ich kenne die hineinführenden Fahrstraßen und weiß, daß wir darin bei zu grober See schützende Unterkunft finden.«

So gründlich der Kapitän Bourcart aber die Wasserverhältnisse vor Akaroa auch kannte, sollte er den Hafen doch nur mit großer Schwierigkeit erreichen. Als er in Sicht des Landes war, hatte der »Saint Enoch« Gegenwind und mußte bei ziemlich steifer Brise dagegen aufkreuzen. Gerade als er nur noch zwei Schläge zu machen hatte, um in den Eingangscanal einzulaufen, brach ihm der Ausholer des großen Klüversegels, und das nöthigte ihn, wieder nach dem freien Wasser zurückzukehren.

Außerdem frischte der Wind noch mehr auf und verursachte einen so schweren Seegang, daß es auch am Nachmittage unmöglich war, Akaroa zu erreichen.

Da der Kapitän Bourcart die Nacht über nicht zu nahe am Lande liegen bleiben wollte, ließ er bis sechs Uhr des Abends mit Rückenwind wieder seewärts steuern und das Schiff dann scharf gegen den Wind legen, um nun unter kleiner Segelfläche den Tag abzuwarten.

Am Morgen des 17. Februar konnte der »Saint Enoch« endlich den schmalen, vielfach gewundenen und auf beiden Ufern von ziemlich hohen Hügelketten begleiteten Canal erreichen, der nach Akaroa hineinführt. Auf dem Uferlande zeigten sich einzelne Farmen, und an den Hügelabhängen weideten zahlreiche Ochsen und Kühe.

Nachdem der »Saint Enoch« eine Strecke von achtundeinhalb Meilen immer kreuzend hinausgefahren war, ließ er kurz vor Mittag den Anker fallen.

Akaroa gehört zur Halbinsel Banks, die von der Küste Tawaï-Punamu unterhalb des vierundvierzigsten Breitengrades ins Meer hinausragt. Sie bildet ein Anhängsel der Provinz Canterbury, einer der großen Abtheilungen der Hauptinsel. Jener Zeit war die jetzige Stadt nur noch ein Dorf an der rechten Seite der Meerenge oder des Fjords und gegenüber der staffelförmigen Hügelkette, die sich bis über Sehweite hinaus erstreckte. Auf dieser Seite wohnten die Eingebornen, die Maoris, inmitten prächtiger Tannenwaldungen, die vorzügliche Masten und Stengen für Seeschiffe lieferten.

[34] Das Dorf wiederum bestand aus drei kleinen Colonien von Engländern, Deutschen und Franzosen, die 1840 von dem Dampfer »Robert de Paris« hierhergebracht worden waren. Die Regierung trat den Ansiedlern damals eine gewisse Strecke Land ab und überließ ihnen, daraus Nutzen zu ziehen, soviel sie könnten. So lagen denn jetzt Kleestücke und Gärten rings um die zahlreichen, aus Planken erbauten Häuser auf dem Uferlande, das außerdem Gemüse und Obst, vor allem saftige Pfirsiche in Ueberfluß hervorbringt.

An der Stelle, wo der »Saint Enoch« vor Anker lag, breitete sich eine Art Lagune aus, in deren Mitte ein unbewohnter Holm emporragte. Daran lagen einige Schiffe, unter anderen ein amerikanisches, der »Zireh Swif«, der schon einige Wale erbeutet hatte. Bourcart begab sich an Bord dieses Fahrzeuges, um eine Kiste Tabak einzuhandeln, an dem sein Vorrath schon bedenklich vermindert war. Ueberhaupt wurde die Zeit des Hafenaufenthaltes benutzt, frisches Trinkwasser und Holz einzunehmen und den Rumpf des Schiffes zu säubern. Das Süßwasser entnahm man einem kleinen Bache in der Nähe der englischen Ansiedlung. Das Holz sollte von dem von den Maoris bewohnten Ufer geholt werden. Die Eingebornen wollten das aber nicht zulassen, ohne eine Entschädigung zu er halten. Es erschien also rathsamer, sich mit Holz am anderen Ufer zu versorgen, wo dieses nichts kostete, als die Mühe des Fällens und des Zersägens der Baumstämme. Frisches Fleisch konnte der Koch ohne Schwierigkeit erhalten, und als die Abfahrt herankam, wurden mehrere lebende und auch ausgeschlachtete Ochsen eingeschifft.

Am zweitfolgenden Tage der Ankunft des »Saint Enoch« lief in den Hafen von Akaroa noch ein französischer Walfänger ein, der an der Gaffel seine Flagge zeigte. Eine Höflichkeit ist die andere werth. Als aber der Kapitän auch seine Flagge hissen wollte, bemerkte er, daß sie ganz schwarz von dem Holzkohlenstaub war, den man über Kisten und Kasten im Schiffe verstreut hatte, um die Ratten zu vernichten, die, seit der Abfahrt von Havre bedenklich vermehrt, das ganze Schiff verpesteten.

Marcel Ferut behauptete freilich, man solle sich hüten, diese intelligenten Nagethiere zu vertilgen.

»Und warum das? fragte eines Tages einer der Leichtmatrosen.

– Weil sie uns, wenn der »Saint Enoch« Gefahr liefe, zu Grunde zu gehen, das vorher anzeigen würden.

– Die Ratten?...

[35] – Jawohl, die Ratten... indem sie sich zu retten suchten...

– Doch wie denn?...

– Sapperment, schwimmend, natürlich schwimmend!« antwortete der lustige Zimmermann.

Im Laufe des Nachmittags schickte Bourcart, der so viel wie sonst einer auf Höflichkeit hielt, den Obersteuermann Heurtaux an Bord des »Caulincourt«, um sich zu entschuldigen, daß er dessen Salut mit seiner Flagge, die aus einer dreifarbigen zu einer einfarbigen und noch dazu zu einer schwarzen geworden wäre, nicht habe erwidern können.

Der Aufenthalt des »Saint Enoch« währte vier Tage. Außer den Arbeitsstunden hatte es der Kapitän Bourcart für angezeigt gehalten, die Matrosen – trotz der Gefahr von Desertionen – ans Land gehen zu lassen. Diese Gefahr kommt daher, daß hier ein sehr einträgliches Gewerbe, die Brettschneiderei, betrieben wird.

Die Wälder der Umgegend sind nahezu unerschöpflich, was dazu anreizt, von Bord wegzubleiben. Diesmal fand sich jedoch die ganze Mannschaft zur bestimmten Stunde wieder ein, und kein Mann fehlte beim Aufruf am Tage der Abfahrt. Fehlte es den Matrosen auch stark an Geld, so hatten sie sich wenigstens umsonst an den Pfirsichen, die die französischen Ansiedler ihnen nach Belieben zu pflücken gestatteten, erlaben können, und obendrein waren sie von den Landsleuten noch mit einem aus jenen Früchten gewonnenen leichten Weine bewirthet worden.

Am 17. Februar ließ Bourcart alles zur Abreise bereit machen. Er gedachte nach dem Ankerplatze in Akaroa nicht zurückzukehren, außer wenn ihn gar zu schlechtes Wetter dazu nöthigte und sein Schiff sich draußen nicht mehr halten könnte.

An diesem Morgen sprach er noch mit dem Obersteuermann, den beiden Lieutenants, dem Doctor Filhiol und dem Tafelmeister.

»Unsere Fahrt, sagte er, wird, wenn keine widrigen Umstände es vereiteln, zwei Theile umfassen. Zuerst werden wir fünf oder sechs Wochen den Walfang in den neuseeländischen Gewässern betreiben. Nachher soll der »Saint Enoch« nach den Küsten von Niederkalifornien steuern, wo es dann voraussichtlich leicht sein wird, unsere Fracht zu vervollständigen.

– Sollte es denn nicht gelingen, bemerkte Heurtaux, schon auf den Meeren von Neuseeland volle Ladung zu bekommen?

[36] – Das glaub' ich kaum, antwortete Bourcart. Ich habe mit dem Kapitän des amerikanischen Schiffes darüber gesprochen. Seinen Wahrnehmungen nach ziehen sich die Wale schon jetzt mehr nach den nördlichen Meerestheilen zurück.

– Mögen sie gehen wohin sie wollen, rief der Lieutenant Coquebert. Ich verbürge mich dafür, ihnen so viel Leine nachschießen zu lassen, wie die Burschen irgend brauchen.

– Und Sie können darauf rechnen, Kapitän, setzte der Lieutenant Allotte hinzu, daß ich hinter meinem Kameraden nicht zurückstehen werde.

– Ich rechne, meine Herren, erwiderte Bourcart, vor allem darauf, daß Ihr Uebereifer Sie nicht verführen werde, eine Unklugheit zu begehen. Es bleibt also dabei: nach den Gewässern von Neuseeland die von Niederkalifornien, wo ich mehr als einmal sehr guten Fang gemacht habe. Das weitere wird sich nach den Umständen richten. Was denkst Du darüber, Meister Ollive?

– Ich denke, Kapitän, meinte dieser, der »Saint Enoch« segelt, wohin es Ihnen beliebt, ihn zu führen, und wenn das bis nach dem Behringsmeere wäre. Was die Walfische angeht, wünsche ich sie Ihnen zu Dutzenden. Das ist aber Sache der Bootsführer und der Harpuniere, nicht die des Bootsmannes.

– Ganz recht, alter Reisekamerad, erwiderte Bourcart lächelnd, und da das Deine Ansicht ist, so bleibe bei Deinem Fache, wie Jean-Marie Cabidoulin bei dem seinen. Wir werden deshalb nicht schlechter fahren!

– Das meine ich auch, erklärte Ollive.

– Doch beiläufig, Du und der Böttcher, Ihr liegt ja doch immer im Streite?

– Fast immer, Kapitän. Mit seiner Manie, ewig Unglück zu prophezeien, kann er einen bald umbringen! Ich kenne ihn ja schon lange und sollte eigentlich daran gewöhnt sein. Es ist um so thörichter von ihm, als er bei allen seinen Seereisen doch mit heiler Haut weggekommen ist. Freilich, er hätte vielleicht noch besser gethan, in seiner Werkstatt zwischen den Tonnen verankert zu bleiben.

– Laß ihm nur seinen Zungenschlag, Ollive, antwortete der Kapitän Bourcart. Es sind ja nur leere Worte! Jean-Marie Cabidoulin ist deshalb doch ein tüchtiger Kerl!«

Am Nachmittage lavierte der »Saint Enoch« bei günstiger Brise etwa vier Meilen vor Akaroa, als von dem Harpunier Louis Thiébaut der erste Walfisch gemeldet wurde. Es war gegen zwei Uhr; die große Cetacee trieb in geringer Entfernung ihren Schaumstrahl in die Höhe.

[37] Bourcart ließ sofort gegenbrassen. Dann wurden zwei von den vier Booten ausgesetzt, das des ersten Lieutenants Coquebert und das des zweiten Allotte. Die beiden Officiere stiegen hinein und nahmen auf dem Hintertheile Platz. Die Harpuniere Durut und Ducrest standen vorn auf dem gedeckten Bootstheile. Einer der Matrosen ergriff das Steuer, die anderen handhabten die Ruder.

Bei dem Feuereifer, der sie erfüllte, kamen die beiden Lieutenants dem Walfisch fast gleichzeitig nahe genug, ihn angreifen, d. h. die Harpune nach ihm werfen zu können.

An der Harpune ist eine ungefähr dreihundert Faden lange Leine befestigt, die sorgfältig gerollt mitschiffs in einer Balje liegt, so daß sie ohne Hinderniß ablaufen kann.

Die beiden Harpuniere schleuderten ihre Harpunen, die die linke Seite des Wales trafen; das verwundete Thier entfloh mit größter Geschwindigkeit. Da verwickelte sich trotz aller Vorsichtsmaßregeln die Leine des Lieutenants Coquebert, so daß sie eiligst gekappt werden mußte. Romain Allotte blieb also allein in Verbindung mit dem Meeresriesen, dessen Verfolgung sein Kamerad zu dessen größtem Bedauern aufgeben mußte.

Widerstandslos fortgerissen, flog das zweite Boot über die Wellen hin, während das Wrickruder es gegen Gierschläge geschützt hielt. Als der Wal verschwand, d. h. zum erstenmale untertauchte, ließ man ihm, in der Erwartung, daß er doch bald wieder auf der Wasserfläche erschiene, die Leine nachschießen

»Achtung! Achtung! rief der Lieutenant Allotte. Sobald der Bursche wiederkommt, schleudern Sie, Ducrest, eine Lanze und ich eine zweite!

– Es ist alles bereit, Lieutenant,« antwortete der Harpunier, der auf dem kleinen Vordeck zusammengekauert saß.

An Bord dieser Jagdboote hält man allgemein auf Steuerbord gleichzeitig mit zwei Reserveharpunen drei wie Rasiermesser scharfe Lanzen in Bereitschaft. Auf Backbord liegen dagegen ein Bootshaken und ein Handbeil, das dazu dient, die Verbindung mit dem Walfisch zu zerschneiden, wenn dieser mit so großer Schnelligkeit dahinschießt, daß es unmöglich wird, sich von ihm schleppen zu lassen, ohne die Sicherheit des Bootes und seiner Insassen zu gefährden. Dann sprechen die Leute vom Fache von einem »mit der Lanze arbeiten«.

Als der Wal in geringer Entfernung wieder auftauchte, schlich sich das Boot an ihn heran. Der Lieutenant und der Harpunier schleuderten jeder gegen[38] seine Seite eine Lanze. Da diese aber keine lebenswichtigen Organe des Seesäugethiers getroffen hatten, spritzte dieses statt eines blutigen, noch immer einen weißschaumigen Strahl aus und suchte nach Nordosten hin zu entweichen. Es lag also deutlich auf der Hand, daß der Wal nicht unmittelbar tödtlich verwundet war.

An Bord des »Saint Enoch« verfolgten der Kapitän Bourcart und die übrige Mannschaft mit gespanntem Interesse den Verlauf dieser Jagd, die sich offenbar zu verlängern drohte, obwohl es so gut wie unmöglich war, daß das Thier noch mehrere Stunden lang zu entfliehen vermöchte. Bourcart ließ jetzt sein Schiff in den Wind legen, um sich der von diesem zwei gute Seemeilen entfernten Pirogue zu nähern.

Dieses Boot glitt mit außerordentlicher Schnelligkeit dahin. Soweit man den zweiten Lieutenant kannte, wußte man auch, daß er seine Beute sich auf keinen Fall entgehen lassen werde, trotz aller Ermahnungen zur Vorsicht, die ihm zutheil geworden waren.

Auch Yves Coquebert, der seine Leine wieder entwirrt hatte, schickte sich jetzt an, dem Kameraden zu helfen.

Eine halbe Stunde später zeigte es sich schon deutlich, daß der Walfisch der Erschöpfung nahe war. Er tauchte nur noch für wenige Minuten unter, ein Beweis, daß es ihm an Athem zu fehlen anfing.

Romain Allotte, der sich die langsamere Fortbewegung des Thieres sofort zunutze machte, ließ seine Leine einholen, und in dem Augenblicke, wo das Boot des Lieutenants Coquebert herankam, gelang es schon seinem Harpunier Ducrest, eine der Flossen des Walfisches mit dem Beile abzuhacken und dem Thiere noch weitere Beilhiebe zu versetzen. Nach einem letzten Untertauchen erschien es aufs neue und peitschte jetzt das Wasser so furchtbar, daß eines der Boote dem Kentern nahe kam. Endlich stieg der Kopf des Wales höher über das Wasser empor, und aus ihm spritzte – ein Zeichen des bevorstehenden Endes – ein blutgefärbter Schaumstrahl auf.

Immerhin galt es noch bei den letzten Zuckungen des mächtigen Thieres auf seiner Hut zu sein. Gerade dabei sind die Jagdboote am schlimmsten gefährdet, denn ein einziger Schlag mit dem Schwanze genügt, sie zu zerschmettern. Diesmal glückte es den beiden Lieutenants, einem solchen Schlage aus dem Wege zu gehen, und nachdem sich der Walfisch auf die Seite gedreht hatte, blieb er regungslos auf der Meeresfläche liegen.

[39] Eben jetzt befanden sich die beiden Boote etwa anderthalb Meilen vom »Saint Enoch« entfernt, der im Heransegeln war, um diesen den Weg abzukürzen. Der Seegang wurde bei nordwestlicher Brise allmählich etwas lebhafter. Uebrigens war der erbeutete Walfisch so groß, daß die Leute viel Mühe gehabt hätten, ihn an das Schiff zu schleppen.

Zuweilen kommt es vor, daß die Boote mehrere Meilen weit von ihrem Schiffe verschlagen oder richtiger weggezogen werden. Steht dann gar eine widrige Strömung, so sind sie genöthigt, sich mittels eines kleinen Wurfankers am Walfische festzulegen, und man nimmt diesen erst, wenn die Strömung sich umgekehrt hat, ins Schlepptau.

Heute war es nicht nöthig, damit zu warten. Gegen vier Uhr hatte sich der »Saint Enoch« bis auf wenige Kabellängen genähert. Die beiden Boote fuhren auf ihn zu, und noch vor fünf Uhr war der todte Wal schon an der Seite des Schiffes festgelegt.

Der Lieutenant Allotte und seine Begleiter wurden von der ganzen Besatzung freudig beglückwünscht. Das Thier war wirklich von sehr ansehnlicher Größe, denn es maß – bei den südlichen Walen eine Seltenheit – zweiundzwanzig Meter in der Länge bei zwölf Metern Umfang hinter den Brustflossen, was etwa ein Gewicht von siebzigtausend Kilogramm erwarten ließ.

»Meinen Glückwunsch, Allotte, meinen Glückwunsch! rief Bourcart wiederholt, das ist ja ein schöner Anfang, und wir brauchten nur wenige Wale von solcher Größe, unsere Thranfässer zu füllen. Was meinen Sie, Meister Cabidoulin?

– Ich? antwortete der Böttcher. Na, so an hundert Fässer Thran wird Ihnen der Bursche schon einbringen, und sollt' ich mich dabei vielleicht um ein Dutzend Fässer irren, so liegt das daran, daß ich das Abschätzen seit längerer Zeit etwas verlernt habe.«

Jean-Marie Cabidoulin verstand sich darauf aber jedenfalls noch so weit, daß er wenigstens einen größeren Schätzungsfehler gewiß nicht beging.

»Heute, erklärte dann der Kapitän Bourcart, ist es schon zu spät. Der Seegang nimmt ab und der Wind auch, so können wir also unter kleiner Segelfläche liegen bleiben. Legt nur den Walfisch ordentlich fest an, morgen mag dann dessen Zerlegung beginnen.«


Der Wal spritzte noch immer einen weißschaumigen Strahl aus. (S. 39.)

Die Nacht blieb still und der »Saint Enoch« brauchte nicht zu lavieren. Sobald dann die Sonne über den Horizont heraufstieg, ging die Mannschaft an [40] [43]dei Arbeit, und zunächst wurden die Lauftaue um das erbeutete Thier gelegt, um dieses mit Hilfe des Spills beliebig drehen zu können.

Dann zog man eine Kette unterhalb der einen äußeren Flosse hindurch, die oben mit einem Tauring geschlossen wurde, um ihre Lage zu sichern. Sobald die Harpuniere dann die andere Flosse abgehackt hatten, begannen die Matrosen die Stangen des Gangspills in Bewegung zu setzen, um das Thier näher an Bord heranzuziehen. Dazu war es nur nöthig, dieses um sich selbst zu drehen, was nach den getroffenen Vorbereitungen keine Schwierigkeiten machte.

Zuerst wurden nun die Weichtheile des Kopfes in Angriff genommen: die Unterlippen wurden abgeschnitten und an einem ungeheueren Haken aufgehängt; dann kamen die Zunge und andere Theile des Rachens daran, die zusammen über die Reling auf Deck befördert wurden, und hierauf der Theil des Maules, woran die Barten sitzen, deren niemals weniger als fünfhundert vorhanden sind.

Dieser Theil der Arbeit erforderte die meiste Zeit, denn um das letzte Stück des Kopfes zu gewinnen, mußte der sehr dicke und harte Knochen, der ihn mit dem Rumpfe verbindet, mühsam durchgesägt werden.

Uebrigens überwachte Meister Cabidoulin diese Arbeit als Sachverständiger, und auch die Leute aus der Mannschaft waren darin keine Neulinge mehr.

Sobald diese vier Theile vom Kopfe nach dem Deck geschafft waren, begann man mit dem Abhäuten des Specks. Die Haut des Wales war zu diesem Zwecke durch Einschnitte in einen Faden breite und zwischen acht und neun Fuß lange Streifen zertheilt worden.

Als sich der größte Theil des Specks an Bord befand, schnitten die Matrosen den mächtigen Schwanz des Thieres ab, der mit anderen nutzlosen Theilen des Rumpfes ins Wasser geworfen wurde. Andere Theile des Thieres wurden zur Ablösung des Specks an Bord genommen, weil diese Arbeit hier bequemer war als vorher, wo das große Seesäugethier noch angeseilt neben dem Schiffe lag.

Der ganze Vormittag ging, obwohl man keinen Augenblick rastete, mit dieser nicht gerade angenehmen Beschäftigung hin, und Bourcart ließ sie erst gegen ein Uhr, nach dem Mittagsessen, wieder aufnehmen.

Die Matrosen gingen nun daran, den Kopf selbst vollends zu zerlegen. Als die Harpuniere daraus vier Theile gemacht hatten, lösten sie mit der Axt die Barten los, die je nach ihrer Dicke mehr oder weniger lang sind. Von diesen faserig-hornigen Gebilden sind nämlich die vordersten kurz und schmal, [43] sie nehmen dann nach der Mitte des Rachens hin an Größe zu und werden im hinteren Rachentheil wieder kleiner. In vollkommener Regelmäßigkeit angeordnet und mit den Wurzeln in einander gefügt, bilden sie eine Art Gitterwerk oder Reuse, die die winzigen Wasserbewohner, die Myriaden kleiner Gliederthiere, mit denen die Spritzwale sich ernähren, gut zurückhalten.

Als die Barten losgelöst waren, ließ Jean-Marie Cabidoulin sie nach dem Hintertheile, neben die Deckcajüte schaffen. Hier sollten sie geschabt werden, um sie von dem walrathähnlichen, aus dem Zahnfleisch abgesonderten, verhärteten Schleime zu befreien. Das im oberen Theil des Kopfes enthaltene Fett wurde herausgeschält und vorläufig zurückgelegt. Nachdem dann der Kopf von allem nutzbaren Inhalte befreit war, wurden dessen Ueberreste einfach über Bord geworfen.

Das Ende des Tages und den ganzen folgenden widmete die Mannschaft dem Schmelzen des Specks. Da von den Wachhabenden nichts über das Auftauchen eines zweiten Wals gemeldet wurde, brauchten die Boote nicht wieder ausgesetzt zu werden, und alle Leute konnten sich an der, eine gewisse Beschleunigung erfordernden Arbeit betheiligen.

Meister Cabidoulin ließ eine ziemliche Anzahl Baljen (Schiffskübel) zwischen dem Großmast und dem Vordercastell aufstellen. In diese warf man den zu kleinen Stücken zerschnittenen Speck, setzte ihn darin einem starken Drucke aus und verwandelte ihn dadurch in so kleine Stückchen, daß diese in die Töpfe des Schmelzofens eingelegt werden konnten, worin sie unter der Wirkung der Hitze schmolzen.

Was dann von dem Speck übrig blieb, die sogenannten Grieben oder Griefen, diente dann selbst wieder zur Unterhaltung der Feuerung für die Zeit, wo der Ofen in Betrieb erhalten wurde, d. h. so lange, bis der gesamte vorhandene Speck zu Thran verwandelt war. Nach Vollendung dieser Operation brauchte jener nur noch in die im Frachtraume aufgestellten Fässer abgelassen zu werden.

Das verursacht keine besonderen Schwierigkeiten. Man läßt den Thran einfach durch eine kleine Luke des Decks durch einen mit Hahn versehenen Hanfschlauch nach einer im Innern aufgestellten Balje ablaufen und von dieser aus wird er in die Fässer gefüllt. Damit ist die Arbeit beendigt und sie beginnt wieder in ganz gleicher Weise, wenn von den Booten weitere Wale neben die Schiffswand geschleppt worden sind.

[44] Am Abend dieses Tages und als der Thran in die Fässer gefüllt war, fragte Bourcart den Meister Cabidoulin, ob er sich nicht über die von dem Thiere gelieferte Ausbeute getäuscht habe.

»Nein, Kapitän, erklärte der Böttcher, der Bursche hat uns hundertfünfzehn volle Fässer eingebracht...

– Wie... soviel? rief der Doctor Filhiol, das muß man gesehen haben, um es zu glauben!

– Ja freilich, meinte Heurtaux, doch das war auch der größte Walfisch, den wir je harpuniert haben.

– Ein glücklicher Wurf des Lieutenants Allotte, setzte Kapitän Bourcart hinzu, und wenn der sich so ein dutzendmal wiederholt, hätten wir fast schon unsere ganze Ladung.«

Man sieht aus diesen Worten, daß die günstigen Erwartungen Bourcart's doch den Sieg über Jean-Marie Cabidoulin's ungünstige Prophezeiungen davontrugen.

Die Meeresgegenden bei Neuseeland sind mit Recht sehr gesucht. Vor dem Eintreffen des »Saint Enoch« hatten mehrere englische und amerikanische Schiffe schon einen recht guten Fang gehabt. Die sogenannten Glattwale sind leichter zu erbeuten als die anderen; sie haben ein weniger feines Gehör und man kann sich an sie heranschleichen, ohne ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Leider wüthen hier häufige Stürme und oft auch mit solcher Gewalt, daß die Fahrzeuge fast jede Nacht unter kleiner Besegelung auf dem offenen Meer bleiben müssen, um sich der Gefahr, an die Küste geworfen zu werden, nach Möglichkeit zu entziehen.

In den vier Wochen, die Bourcart in den Gewässern hier verweilte, wurden von der Besatzung elf Wale erbeutet. Zwei davon fing der Obersteuermann Heurtaux, drei der Lieutenant Coquebert, vier der Lieutenant Allotte und zwei der Kapitän selbst. Sie erreichten aber keiner die Größe des ersten, und die Ausbeute davon fiel natürlich auch minder ergiebig aus. Außerdem zogen sich die Spritzfische jetzt schon mehr nach den höheren Breiten zurück. Auch der »Saint Enoch«, der bisher nur neunhundert Fässer voll hatte, mußte nun andere Jagdgründe aufsuchen.

Bourcart gedachte aber vorher noch die Bai des Iles, eine englische Colonie an der Ostküste von Ika-Na-Maui, anzulaufen. An der im Norden der Gruppe gelegenen Insel hoffte er seine Ladung zu vervollständigen, ehe die [45] Fahrt nach den Westküsten Amerikas angetreten wurde. Dort konnte der »Saint Enoch« überdies seine Vorräthe an Kartoffeln ergänzen, und zwar leichter als in der Umgebung von Akaroa, wo diese Knollenfrucht nicht in größerer Menge angebaut wird.

Der Dreimaster lichtete am Abend des 29. März die Anker und am übernächsten Tage bekam er die Bai des Iles in Sicht.

Hier wurde in geringer Entfernung vom Lande geankert. Im Hafen lagen noch mehrere Walfischfänger, die sich bereit machten, von Neuseeland abzusegeln

Gleich nachdem der Kapitän Bourcart beigelegt hatte, erkundigte er sich nach dem Orte, wo er sich mit Kartoffeln versorgen könnte. Man verwies ihn nach einer ein Dutzend Seemeilen vom Hafen im Innern gelegenen Farm. Die Boote der beiden Lieutenants gingen sofort in Begleitung eines als Führer angenommenen Engländers dahin ab.

Sie fuhren einen, sich zwischen hohen Hügeln hinschlängelnden Fluß hinauf. Längs des Ufers standen aus Holz errichtete Maoriwohnungen inmitten von Gärten, deren Erzeugnisse die Eingebornen gern gegen Kleidungsstücke europäischer Herkunft umtauschen. Am Ende der befahrbaren Strecke des Flusses erreichten die Boote eine Farm, wo es Kartoffeln in Ueberfluß gab, mit denen mehrere Binsensäcke gefüllt wurden. An demselben Abend noch an Bord zurückgekehrt, brachten die Boote daneben noch einen hübschen Vorrath vortrefflicher Austern mit, die an den Felswänden des Ufers gesammelt worden waren – ein Labsal für die Officiersmesse wie für die gemeinschaftliche Wohnung.

Am nächsten Tage konnte sich der Tafelmeister des »Saint Enoch« auch eine Menge Zwiebeln aus den Gärten der Maoris verschaffen. Sie wurden wie die Kartoffeln in hergebrachter Weise mit Hosen, Hemden und Stoffen bezahlt, wovon das Schiff zu diesem Zwecke einen großen Ballen mit sich führte.

Uebrigens zeigten sich die Eingebornen, wenigstens in der Umgebung der Bai des Iles, recht entgegenkommend. An anderen Stellen der Inselgruppe kam es jener Zeit freilich leider zu häufigen unruhigen Auftritten. Die Colonisten mußten sich oft gegen die Neuseeländer vertheidigen, und gerade an jenem Tage war ein englischer Aviso aus dem Hafen ausgelaufen, um einige feindliche Stämme zu züchtigen.

Die Officiere und die Matrosen des »Saint Enoch« hatten sich dagegen über den hiesigen Aufenthalt in keiner Weise zu beklagen. Ueberall gastfreundlich empfangen, besuchten sie die Hütten der Eingebornen, wo ihnen Erfrischungen [46] – freilich keine Limonade und kein Bier, denn dergleichen kennen die Eingebornen nicht – in Gestalt vorzüglicher Wassermelonen angeboten wurden. Von solchen strotzte es geradezu in den Gärten, ebenso von nicht minder guten Feigen, unter deren Last die Zweige der Bäume zu brechen drohten.

Bourcart verweilte nur drei Tage in der Bai des Iles. Da er wußte, daß die Wale jetzt diese Gegend verließen, traf er die nothwendigen Maßnahmen für eine lange Fahrt, die sich über viertausend Seemeilen erstrecken sollte.

An der Küste Niederkaliforniens, nahe der Bai Sainte Marguerite war es nämlich, wo der »Saint Enoch« seine so glücklich begonnene Fangreise fortsetzen und voraussichtlich beendigen sollte.

Das durfte man freilich vor dem Böttcher nicht aussprechen.

»Der Anfang ist nur der Anfang, murmelte dann Jean-Marie Cabidoulin. Warten wir erst das Ende ab...

– Ja, ja, das wollen wir gern abwarten,« antwortete darauf Meister Ollive, indem er geringschätzig die Achseln zuckte.

4. Capitel

Viertes Capitel.
Durch den Großen Ocean.

Am Morgen des 3. April verließ der »Saint Enoch« seinen Ankerplatz in der Bai des Iles. In seinen Proviantvorräthen mangelte es nur an Cocosnüssen. Geflügel und an Schweinen. Da es dem Kapitän Bourcart an den beiden letzten Halteplätzen in Neuseeland nicht gelungen war, seinen Bedarf daran zu decken, beschloß er, noch eine der Schifferinseln anzulaufen, wo es an jenen Nahrungsmitteln nicht fehlte.

Der Wind hielt sich in günstiger Richtung, und die neunhundert Meilen, die Ika-Na-Maui vom Wendekreise des Steinbocks trennen, wurden mit Rückenwind und unter Backbordhalfen binnen kaum acht Tagen zurückgelegt.

An diesem Tage, dem 12. April, sagte Bourcart auf eine von Doctor Filhiol an ihn gerichtete Frage:

[47] »Ja, es dürfte wohl an dieser Stelle, an der Kreuzung des dreiundzwanzigsten Breitengrades mit dem hundertfünfundsiebzigsten Längengrade sein, wo der Stille Ocean seine größte Tiefe erreicht. Durch Sondierungen, die an Bord des »Pinguin« ausgeführt worden sind, hat man viertausendneunhundert Faden Leine ablaufen lassen, ohne den Meeresgrund zu erreichen.


Längs des Ufers standen aus Holz errichtete Maoriwohnungen. (S. 46.)

– Ich glaubte immer, bemerkte Doctor Filhiol, daß sich die bedeutendsten Tiefen in den japanischen Meeren fänden...

[48] – Das ist ein Irrthum, erklärte der Kapitän Bourcart, hier übertreffen sie jene um zweihundertfünfundvierzig Faden, das ergiebt im Ganzen eine Tiefe von neuntausend Metern.


Der Hai warf sich auf den Rücken und wollte nach dem Beine des Mannes schnappen. (S. 53.)

– Ah, rief der Doctor Filhiol, das ist ja die Höhe, die die mächtigsten Bergriesen der Erde, die Gipfel des Himalaya, erreichen: achttausendsechshundert Meter der Dhawalagiri in Nepal, und neuntausend der Chamalari in Butan!

– In der That, erwiderte Bourcart, eine Nebeneinanderstellung von Zahlen, die höchst lehrreich ist.

[49] – Sie lehrt, Herr Kapitän, daß die größten Erhebungen der Erde wohl ihren größten Abgründen gegenüber noch zurückstehen. Zur Zeit ihrer Entstehung, als unsere Erdkugel eben ihre bleibende Gestalt annahm, haben ihre Tiefpunkte schon ihre Höhenpunkte übertroffen, und vielleicht werden sich die ersten niemals mit genügender Zuverlässigkeit messen lassen.«

Drei Tage später, am 15. April, tauchte vor dem Walfänger das zu den Schifferinseln gehörige Samoa auf, und der »Saint Enoch« ging eine Kabellänge vor der Insel Savai, einer der umfänglichsten der Gruppe, vor Anker.

Ein Dutzend Eingeborne, die ihren König begleiteten, begaben sich mit einem als Dolmetscher dienenden Engländer an Bord. Die noch sehr uncivilisierten Eingebornen gingen fast völlig nackt, und Seine Majestät zeigte sich kaum mehr bekleidet, als seine Unterthanen. Ein Indianerinnenhemd, womit der Kapitän Bourcart ihn beschenkte und durch dessen Aermellöcher der Empfänger zunächst mit aller Gewalt die Beine stecken wollte, verhüllte bald die Blöße der königlichen Glieder.

Die auf den Rath des Engländers ans Land geschickten Boote brachten von da eine volle Ladung eben von den Bäumen gebrochener Cocosnüsse mit.

Gegen Abend, als es zu dämmern anfing, wendete der »Saint Enoch«, um nicht zu nahe am Lande zu bleiben, und kreuzte die ganze Nacht über umher.

Mit Tagesanbruch kehrte der Kapitän Bourcart nach der früheren Ankerstelle zurück. Die Eingebornen lieferten dem Tafelmeister etwa zwanzig Schildkröten recht guter Art, ebensoviele kleine Schweine, und Geflügel in großer Menge. Bezahlt wurde dieser Proviant mit Gegenständen aus dem Tauschwaarenballen, auf die die Samoaner besonderen Werth legen, meistens mit geringwerthigen, das Stück zu sechs Sous eingekauften Messern.

Drei Tage nach der Wiederabfahrt meldeten die Wachen eine Gruppe Pottfische, die sich vier bis fünf Seemeilen von Backbord umhertummelte. Die herrschende schwache Brise brachte den »Saint Enoch« eben kaum vorwärts. Es war schon spät, fast fünf Uhr. Der Kapitän Bourcart wollte sich aber doch die Gelegenheit nicht entgehen lassen, einem oder mehreren jener Thiere nachzustellen.

So wurden denn eiligst zwei Boote klar gemacht, das Heurtaux' und das Coquebert's. Die beiden Officiere, ihre Harpuniere und ihre Matrosen nahmen darin Platz. Mittels der Riemen – das Meer zeigte nur eine lange, sanfte Dünung – glitten sie auf die Pottfischherde zu.

[50] Von dem vordersten Deck aus verfolgten der Kapitän Bourcart und der Doctor Filhiol nicht ohne Interesse den Verlauf des Fischfangs.

»Dieser ist schwieriger als der des Walfischs, bemerkte Bourcart, und liefert auch geringere Ausbeute. Sobald ein solcher Pottfisch harpuniert ist, muß man meist sofort die Leine eiligst nachschießen lassen, denn er pflegt dann sehr tief zu tauchen und das obendrein sehr, sehr schnell. Hat sich das betreffende Boot jedoch während des ersten Tauchens bei klarer Leine erhalten können, so hat man fast die Gewißheit, das Thier zu fangen. Kommt es erst einmal wieder nach der Oberfläche herauf, so bleibt es da, und Beil und Lanze machen ihm bald ein Ende.«

So geschah es auch im vorliegenden Falle. Die beiden Boote konnten sich nur eines einzigen Pottfisches von mittlerer Größe bemächtigen, während es auch solche giebt, die den Walfisch an Länge übertreffen. Da schon die Nacht herannahte und sich im Osten Wolken erhoben, wäre es unklug gewesen, sich noch länger aufzuhalten. Die Mannschaft begnügte sich also, das Thier an das Schiff heranzuholen.

Am nächsten Morgen konnte von einer Fortsetzung der Jagd keine Rede sein. Die Pottfische waren verschwunden, und der »Saint Enoch« nahm bei frischer Brise seine Fahrt nach Nordosten wieder auf.

An diesem Tage tauchte auch ein anderes Schiff auf, das drei bis vier Meilen unter dem Winde die gleiche Richtung einhielt. Es war eine dreimastige Bark unter vollen Segeln, deren Nationalität man auf jene Entfernung hin nicht bestimmt erkennen konnte. Nach der Gestalt des Rumpfes und gewissen Einzelheiten des Segelwerkes ließ sich jedoch annehmen, daß es ein englisches Fahrzeug wäre.

Gegen Mittag desselben Tages machte der Wind eine jener plötzlichen Drehungen von Westen nach Osten, die durch ihre Heftigkeit, wenn nicht durch ihre Dauer, höchst gefährlich sind und schon manches Schiff zu Grunde gerichtet haben, das auf einen solchen Umschlag nicht vorbereitet war.

Binnen kürzester Zeit rollten mächtige Wogen heran und Ströme von Wasser stürzten sich über Bord. Der Kapitän Bourcart mußte gerade gegen den Wind hin wenden lassen, um sich mit Mars-, Fock-und Klüversegel in dem Sturme zu halten. Bei diesem Manöver war einer der Matrosen, Gastinet, nach dem großen Klüversegel hinausgeklettert, um eine etwas verschlungene Schote wieder klar zu machen, er rutschte dabei aber ab und stürzte hinunter.

[51] »Mann über Bord!« rief sofort einer seiner Kameraden, der ihn vom Vordercastell aus im Wasser hatte verschwinden sehen.

Alle Welt war sofort auf den Beinen, und Bourcart eilte nach dem Hinterdeck, um die Rettungsversuche zu leiten.

Hätte Gastinet nicht sehr gut schwimmen können, so wäre er jetzt verloren gewesen. Die Wellenberge überstürzten sich mit solcher Gewalt, daß es ganz unmöglich war, ein Boot auszusetzen. Es blieb also nichts anderes übrig, als dem Verunglückten Rettungsbojen zuzuwerfen.

Leider war aber Gastinet an einer Seite hinuntergestürzt, wo ihn, da das Schiff abtrieb, die Bojen nicht erreichen konnten. Der Mann suchte sich daher nur kräftigen Armes schwimmend zu erhalten.

»Das große Fock- und das Kreuzsegel nachlassen!« befahl der Kapitän Bourcart.

Mit schneller Wendung näherte sich der »Saint Enoch« dem Verunglückten, der in einer halben Kabellänge Entfernung mit den Wogen kämpfte. Gastinet ergriff jetzt eine der ihm zugeworfenen Bojen, und wenn er sich daran festhalten konnte, mußte er in kurzer Zeit gerettet sein.

Da nahm die Sachlage plötzlich eine erschreckende Wendung.

»Ein Haifisch!... Ein Haifisch!« riefen einige Matrosen, die hinten an der Schanzkleidung standen.

Einer der furchtbaren Haie erschien und verschwand abwechselnd in den Wellen unter dem Winde vom Schiffe, an dessen Hintertheil er vorübergeschwommen war.

Die außerordentliche Gefräßigkeit und die erstaunliche Kraft dieser Ungeheuer – die, wie man mit Recht sagt, fast nur aus Maul und Magen bestehen – sind ja allgemein bekannt. Und wenn der Hai dem Unglücklichen in den Weg kam, wenn dieser nicht schon vorher hinaufgehißt war...

Obwohl der Hai nun kaum hundert Fuß von ihm entfernt war, hatte Gastinet ihn doch nicht bemerkt. Er hatte nicht einmal die Ausrufe von oben auf dem Hintertheile gehört und war ohne jede Ahnung der ihm drohenden Gefahr.

In diesem Augenblicke krachten zwei Flintenschüsse. Der Obersteuermann Heurtaux und Romain Allotte hatten in aller Eile ihre Gewehre von dem Rechen in der Cajüte geholt und auf das Thier abgefeuert.

Ob sie es gut getroffen hatten?... Niemand konnte das sagen. Jedenfalls tauchte es unter und sein Kopf kam nicht wieder über die Wellen herauf.

[52] Mit so weit wie möglich umgelegtem Steuer begann das Fahrzeug anzuluven. Würde es bei so grobem Meere aber wirklich weit genug herumkommen? Wenn es nicht vollständig beidrehte, was unter diesen ungünstigen Verhältnissen zu befürchten war, so war das ganze Manöver nutzlos.

Einen Augenblick überwältigte alle die furchtbarste Angst. Einige Secunden schien der »Saint Enoch«, dessen flatternde Segel laut an die Takelage anklatschten, still zu stehen. Da fingen aber die Bramsegel Wind und das Schiff wendete durch diesen, doch unter so starker Seitenneigung, daß die Speigatten ins Wasser tauchten.

Als jetzt die Schoten straff angezogen wurden, hielt es sich scharf am Winde und glitt nach der Rettungsboje hin, an der der Matrose sich anklammerte. Nun konnte man ihm ein Tauende zuwerfen, das er mit kräftiger Faust ergriff, und daran wurde er gerade zur Höhe der Schanzkleidung emporgehißt, als der Hai, sich mit gähnendem Rachen auf den Rücken werfend, eben nach dem Beine des Mannes schnappen wollte.

Als Gastinet auf dem Deck niedergelegt worden war, verlor er das Bewußtsein. Jedenfalls war er aber gerettet, und dem Doctor Filhiol machte es auch wenig Mühe, ihn wieder zu beleben.

Inzwischen hatte der Harpunier Ducrest dem Ungeheuer einen Haken mit einem Stück Rindergerippe als Köder zugeworfen.

Vielleicht war der Hai aber entflohen, denn man sah ihn nicht mehr.

Plötzlich erfolgte ein heftiger Ruck, der die Leine mit fortgerissen hätte, wäre sie nicht fest um eine der Baken der Reling geschlungen gewesen.

Das Thier war gefangen. Der in den Schlund eingedrungene Haken ließ es nicht wieder los. Sechs Mann packten die starke Leine und zogen es aus dem Wasser heraus. Dann wurde eine Schlinge über seinen Schwanz weggezogen und mit Hilfe eines Flaschenzuges brachte man den »Advocaten des Meeres« vollends an Bord, wo ihm mehrere Beilhiebe bald den Garaus machten.

Die Matrosen sind gewöhnlich neugierig zu sehen, was der Magen eines solchen Ungeheuers wohl enthalte, eines Geschöpfes, dessen französischer Name Requin angeblich nichts anderes sein soll, als eine Veränderung des lateinischen Wortes Requiem.

Im Bauche des Haies, worin auch der arme Gastinet noch Platz gehabt hätte, wurden nun folgende, ins Meer geworfene oder hineingefallene Gegenstände[53] vorgefunden: Eine leere Flasche, drei ebenfalls leere Conservedosen, mehrere Faden Schiemannsgarn, ein Stück Schwabber (Schiffsbesen), Knochenreste, eine Tafel Wachsleinwand, ein alter Schifferstiefel und eine Stange aus einem Hühnerkäfig.

Begreiflicherweise interessierte dieses Inventar vor allen den Doctor Filhiol.

»Das ist ja die reine Müllgrube des Meeres!« rief er.

Man hätte wirklich kaum eine treffendere Bezeichnung dafür finden können.

»Nun ist ja wohl weiter nichts zu thun, fügte der junge Arzt hinzu, als das Thier wieder ins Wasser zu werfen?

– O nein, lieber Filhiol, entgegnete Bourcart.

– Was wollen Sie denn mit dem Hai beginnen, Herr Kapitän?

– Ihn zerlegen und ausweiden, um alles Nutzbare davon zurückzubehalten. Eines davon berührt auch Ihr Fach, Doctor; man gewinnt aus diesen Haifischen ein niemals gerinnendes Oel, das alle arzneilichen Eigenschaften des besten Dorschleberthrans hat. Die Haut dient, wenn sie getrocknet und geglättet ist, den Bijouteriefabrikanten zur Erzeugung mannigfaltiger Phantasiegegenstände, die Buchbinder benutzen sie zu Buchdeckeln, die Tischler als eine Art Holzraspeln...

– Wollen Sie nicht auch gar sagen, Herr Kapitän, unterbrach ihn der Doctor Filhiol, daß man den Haifisch sogar essen kann?

– Gewiß, und seine Flossen sind auf den Märkten des Himmlischen Reiches so gesucht, daß man die Tonne davon gern mit siebenhundert Francs bezahlt. Da wir aber nicht genug Chinesen sind, uns daran zu erlaben, bereiten wir aus dem Fleische wenigstens einen Fischleim, der zum Klären des Weines, des Bieres und der Liköre sogar den aus dem Stör (die Hausenblase) übertrifft. Wen der etwas thranige Geschmack nicht anwidert, der soll auch ein Haifischfilet recht eßbar finden. Sie sehen also, der Bursche hier ist sein Gewicht in Gold werth!«

Am 25. April hatte Bourcart ins Schiffsjournal einzutragen, daß er die Linie passiert habe.

An diesem Tage hatte er um neun Uhr morgens bei klarem Wetter eine erste Beobachtung mit dem Sextanten und dem Chronometer ausgeführt, um die geographische Länge, d. h. die Ortszeit, zu erfahren, und diese Beobachtung sollte zu Mittag, wenn die Sonne durch den Meridian ging – unter Berücksichtigung der mittels des Logs gemessenen, bis dahin zurückgelegten Strecke – [54] vervollständigt werden. Zu Mittag zeigte ihm die zweite Beobachtung die geographische Breite durch die Höhe der Sonne über dem Horizonte, und er bestimmte mittels des Chronometers genau die Stunde (d. h. in diesem Falle die Pariser Zeit).

Das Wetter war günstig, die Luft rein und klar. Bourcart konnte also die Ergebnisse seiner Beobachtungen für hinreichend genau halten, und er erklärte deshalb auf Grund seiner Berechnungen:

»Eben haben wir den Aequator überschritten, liebe Freunde; der »Saint Enoch« ist damit nach der nördlichen Halbkugel der Erde zurückgekehrt.«

Obwohl der Doctor Filhiol, als der einzige an Bord, der die Linie noch nicht passiert hatte, schon bei der Fahrt über den Atlantischen Ocean der bekannten »Taufe« nicht unterzogen worden war, verschonte man ihn doch auch diesmal mit der nicht gerade angenehmen Ceremonie. Die Officiere begnügten sich, in ihrer Messe, ebenso wie die Matrosen im Volkslogis, auf den guten Erfolg der Fahrt ein Glas zu leeren. Die Mannschaft hatte eine doppelte Ration Branntwein bekommen, wie das auch jedesmal geschah, wenn ein Walfisch eingebracht worden war.

Trotz seines Knurrens und Brummens mußte sich sogar Jean-Marie Cabidoulin bequemen, mit dem Meister Ollive einmal auf einen Schluck anzustoßen.

»Eine gute Anfeuchtung für die Kehle... so etwas kann man nicht ablehnen, hatte sein Kamerad ihn angerufen.

– Nein, gewiß nicht, antwortete der Böttcher, doch das ändert nichts an meiner Anschauungsweise der Dinge!

– Ganz nach Belieben, Alterchen, doch trinke nur einmal mit!«

Gewöhnlich herrschen zu jetziger Jahreszeit auf diesem Theile des Stillen Oceans sehr schwache Luftströmungen, und der »Saint Enoch« gerieth gar in eine fast vollständige Windstille. Wie lang erscheinen dann die Stunden! Ohne von der Stelle zu kommen, ist ein Schiff dann vom Abend bis zum Morgen und vom Morgen bis zum Abend der Spielball des Seegangs. Die Seeleute suchen sich deshalb durch Lectüre oder durch Plaudern die Zeit zu verkürzen, wenn sie nicht schlafen, um bei der erdrückenden tropischen Hitze die qualvollen Stunden zu vergessen.

Am Nachmittage des 27. April saßen Bourcart, seine Officiere, der Doctor Filhiol und auch der Meister Ollive nebst dem Meister Cabidoulin [55] unter dem Sonnendache auf dem Hinterdecke und plauderten von dem und jenem. Da wandte sich der Obersteuermann an den Böttcher mit den Worten:

»Na, Cabidoulin, gestehen Sie denn nicht zu, daß es für den Anfang einer Fangreise recht vielversprechend ist, schon neunhundert Faß Thran im Raume zu haben?

– Neunhundert Faß, Herr Heurtaux, erwiderte der Böttcher, das sind noch lange keine zweitausend, und die fehlenden elfhundert werden nicht so leicht voll werden, wie man in der Cambüse seine Tasse füllt.

– Das heißt wohl, fiel der Lieutenant Coquebert lachend ein, daß uns kein einziger Walfisch mehr in den Weg kommt...

– Und daß die große Seeschlange sie alle verzehrt hat, setzte der Lieutenant Allotte in gleichem Tone hinzu.

– Vielleicht... meinte der Tonnenbinder, der sich zu scherzen hütete.

– Meister Cabidoulin, fragte hierauf der Kapitän Bourcart, Sie glauben wohl noch immer an diesen Ausbund von Ungeheuern?

– Ob er daran glaubt, der Dickkopf! erklärte Meister Ollive. Er hört auch nicht auf, auf dem Vordercastell davon zu schwätzen...

– Und wird auch später davon ebenso sprechen! versicherte der Böttcher.

– Schön, sagte Heurtaux. Für die Mehrzahl unserer Leute hat das ja keine Bedeutung, sie geben so wie so nichts auf Cabidoulin's gruselige Geschichten. Was dagegen die Leichtmatrosen betrifft, liegt die Sache anders, und ich weiß doch nicht, ob diese sich nicht schließlich zu fürchten anfangen.

– So halten Sie also Ihre Zunge im Zaume, Cabidoulin! befahl der Kapitän.

– Ja, warum denn? antwortete der Böttcher. Mindestens werden die Leute dann unterrichtet sein, und wenn sich die Seeschlange oder ein anderes Seeungeheuer sehen läßt...

– Wie? fragte Heurtaux. Sie denken gar, daß wir der berüchtigten Seeschlange begegnen könnten?

– Daran ist doch nicht zu zweifeln.

– Und warum?

– Ja, sehen Sie, Herr Heurtaux, das ist nun einmal meine Ueberzeugung, und die Späße des Meister Ollive werden diese nicht erschüttern.

– Ich bitte Sie aber, während aller Fahrten im Laufe von vierzig Jahren auf dem Atlantischen und dem Stillen Oceane haben Sie, soviel ich weiß, dieses phantastische Thier noch niemals zu sehen bekommen...


[56]
Die Schlange spielte scheinbar eine Zeitlang mit ihrem Opfer (S. 61.)

– Und ich rechnete darauf, daß das auch in Zukunft nicht der Fall wäre, da ich auf dem Lande Anker geworfen hatte. Nun hat mich aber unser Kapitän noch einmal vom Stapel laufen lassen, und diesmal wird es mir nicht geschenkt bleiben!

– O, ich wäre wahrlich nicht böse, dem Unthier zu begegnen! rief der Lieutenant Allotte.

– Sagen Sie das nicht, Lieutenant, sagen Sie das nicht! ermahnte der Böttcher den jungen Mann ernsten Tones.

[57] – Oho, Jean-Marie Cabidoulin, fiel jetzt Bourcart ein, das kann nicht Ihr Ernst sein!... Die große Seeschlange!... Ich wiederhole Ihnen zum hundertstenmale: Niemand hat sie bisher gesehen und niemand wird sie zu Gesicht bekommen... aus dem einfachen Grunde, weil sie nicht existiert und nicht existieren kann...

– Sie existiert dennoch, Herr Kapitän, antwortete hartnäckig der Böttcher, der »Saint Enoch« wird ihre Bekanntschaft schon noch vor Beendigung seiner Reise machen... und wenn das nur nicht deren vorzeitiges Ende herbeiführt!«

Jean-Marie Cabidoulin sprach mit dem Tone so felsenfester Ueberzeugung, daß nicht nur die Leichtmatrosen an Bord, sondern auch die befahrenen Matrosen den bedrohlichen Prophezeiungen des Böttchers Glauben zu schenken anfingen. Wer konnte wissen, ob es dem Kapitän gelänge, dem Unglückspropheten den Mund zu stopfen!

Bei dieser Gelegenheit fragte Bourcart den Doctor Filhiol, was ihm wohl von der fabelhaften Seeschlange bekannt sei, und darauf berichtete der junge Arzt folgendes:

»Nun ich habe wohl fast alles gelesen, was man darüber geschrieben hat, und kenne auch die Spöttereien, die der »Constitutionel« damals über sich ergehen lassen mußte, als er alle die Fabeln als Wahrheiten hinstellte. Erinnern Sie sich auch, Kapitän, daß die Geschichte nicht neueren Datums ist. Ihre Anfänge findet man schon zu Beginn der christlichen Zeitrechnung. Schon damals dichtete die Leichtgläubigkeit der Menschen den Achtfüßern, Tintenfischen, den Kopffüßlern und anderen Geschöpfen riesige Größenverhältnisse an, obgleich diese alle in der Länge, ihre Fühlfäden eingerechnet, kaum mehr als siebzig bis achtzig Centimeter messen. Das bleibt doch weit zurück gegen die angeblichen Ungeheuer mit dreißig, sechzig, ja mit hundert Fuß langen Armen, Riesenthiere, die überhaupt nur in der Einbildung gelebt haben. Hat man doch sogar von einem eine halbe Lieue langen Kraken gefaselt, der ganze Schiffe in die Tiefen des Oceans hinunterziehen sollte!«

Meister Cabidoulin lauschte gespannt den Worten des Doctors, schüttelte aber dessen Versicherungen gegenüber immer verneinend den Kopf.

»Nein, fuhr Filhiol fort, reine Fabeln, an die die Alten vielleicht glaubten, denn schon von Plinius' Zeiten her ging die Rede von einer amphibischen Schlange mit großem Hundekopfe, nach rückwärts stehenden Ohren und mit gelblich schimmernden Schuppen bedecktem Leibe, die sich auf kleinere Schiffe [58] stürzte und sie zu Grunde richtete. Zehn oder zwölf Jahrhunderte später berichtete dann der norwegische Bischof Pantoppidan von einem Seeungeheuer, dessen Hörner mit Raaen ausgerüsteten Masten glichen, und wenn die Fischer sich auf tiefem Wasser zu befinden glaubten, fanden sie oft schon einige Fuß tief Grund, weil jenes Thier unter dem Kiel ihrer Schaluppe hinschwamm. Ja man verstieg sich sogar zu der Behauptung, das Thier habe einen ungeheuer großen Pferdekopf, schwarze Augen und eine weiße Mähne, bei seinem Untertauchen aber verdränge es eine so große Menge Wasser, daß das Meer in eine den Wirbeln des Maëlstroms gleichende Bewegung gerathe.

– Und warum sollte man das nicht ausgesprochen haben, wenn man es doch beobachtet hatte? bemerkte der Böttcher.

– Beobachtet... oder geglaubt, es beobachtet zu haben, mein armer Cabidoulin, antwortete der Kapitän Bourcart.

– Ueberdies, setzte der Doctor Filhiol hinzu, widersprachen sich jene guten Leute mehrfach, denn die einen behaupteten, das Thier habe eine spitze Schnauze und werfe das Wasser durch ein Spritzloch aus, und die anderen blieben dabei, es habe Flossen gleich den Ohren des Elefanten. Dann war wieder von dem großen weißen Walfisch an der Küste Grönlands, dem berühmten Maby Dick, die Rede, dem die schottischen Walfänger über zwei Jahrhunderte lang nachspürten, ohne ihn je gesehen zu haben, geschweige denn zu erreichen...

– Was doch nicht verhinderte, an sein Vorhandensein zu glauben, fiel Bourcart lachend ein.

– Natürlich nicht, bestätigte Filhiol, ebenso wie an das der nicht weniger sagenhaften Schlange, die vor einigen vierzig Jahren zuerst in der Bai von Glocester und ein zweitesmal dreißig Meilen seewärts von Boston in amerikanischen Gewässern zum Entsetzen aller »Zeugen« ihr Unwesen trieb.«

Der Doctor mochte aber predigen, so viel er wollte, Cabidoulin beharrte doch auf seiner eingewurzelten Anschauung. Was diese Wunderthiere anging, meinte er, daß das Meer, sowie es ganz außergewöhnliche Pflanzengebilde, z. B. achthundert bis tausend Fuß lange Algen enthalte, doch auch Ungeheuer von riesigen Größenverhältnissen verbergen könne, die ihrer Organisation nach in großer Tiefe lebten und nur selten einmal auftauchten.

Als glaubhaft wird ja berichtet, daß die Yacht »Concordia« 1819 etwa fünfzehn Seemeilen seitwärts von Race-Point einer Art Schlange begegnet sei, die fünf bis sechs Fuß über die Wasserfläche hervorragte und einen Pferdeoder [59] richtiger einen Reptilienkopf gehabt haben soll, doch nur fünfzig Fuß lang, also noch nicht einmal so lang war, wie viele Wale und Pottfische.

Im Jahre 1848 glaubte die Mannschaft an Bord des »Peking« ein ungeheueres, über hundert Fuß langes Thier zu sehen, das sich an der Meeresoberfläche hin bewegte. Eine genauere Untersuchung zeigte aber, daß es sich nur um eine außergewöhnlich lange, mit Seeparasiten aller Art bedeckte Algenmasse handelte.

Im Jahre 1849 behauptete der Kapitän Schielderup in der schmalen Wasserstraße, die die Insel Osterssen vom Festlande trennt, eine schlafend auf dem Wasser liegende, mindestens sechshundert Fuß lange Schlange bemerkt zu haben.

Im Jahre 1857 meldeten die Ausguckposten des »Castillan« das Erscheinen eines Ungeheuers mit dickem, tonnenförmigem Kopfe, dessen Gesammtlänge auf zweihundert Fuß geschätzt wurde.

Ferner berichtete 1862 der Commandant Beyer, der Führer des Avisos »Alecton«...

»Entschuldigen Sie hier eine Unterbrechung, Herr Filhiol, ließ sich da Meister Cabidoulin vernehmen, ich kenne nämlich einen Matrosen, der dort mit an Bord war.

– An Bord des »Alecton«? fragte Bourcart.

– Jawohl!

– Und Sie wollen sagen, Cabidoulin, jener Matrose habe gesehen, was der Commandant damals berichtete?

– Gesehen, wie ich Sie sehe, und es war ein leibhaftiges Ungeheuer, das die Mannschaft bei jener Gelegenheit an Bord gehißt hat...

– Gut, antwortete Doctor Filhiol, es handelte sich aber nur um einen unmäßig großen, krebsrothen Kopffüßler mit hoch am Kopfe liegenden Augen, einem papageischnabelähnlichen Maule, spindelförmigem, in der Mitte wie aufgeblähtem Körper und zwei aus abgerundeten, fleischigen Lappen bestehenden Flossen an dessen unterem Theile, während vom Kopfe selbst recht lange Fangarme ausgingen. Die gesammte weiche Fleischmasse wog nicht weniger als zweitausend Kilogramm, obwohl das Thier vom Kopf bis zum Schwanze nur fünf bis sechs Meter maß. Das war also keine Seeschlange...

– Wenn es aber derartige Ungeheuer giebt, meinte der Bötther, so möcht' ich doch fragen, warum es nicht auch die Seeschlange geben soll.«

[60] Wir fügen hier noch die Wahrnehmungen an, die in späterer Zeit bezüglich der Ungeheuerarten gemacht worden sind, welche die Meerestiefe beherbergt.

Im Jahre 1864 stieß, einige hundert Seemeilen von San Francisco, das holländische Schiff »Cornelis« mit einem Octopus (Achtfüßer) zusammen, von dem ein mit Saugnäpfen versehener Fangarm das Wasserstag des Bugspriets gepackt hatte und dieses fast bis zur Wasserfläche hinunterzerrte. Nach der Abtrennung des Fangarmes durch Beilhiebe klammerten sich zwei andere Arme (oder Füße), der eine an die Jungfernblöcke der Wandtroffen des großen Focksegels, der andere an das Gangspill an; nach deren Abtrennung mußten noch acht weitere Tentakeln abgehackt werden, die das Schiff sehr merkbar nach Steuerbord neigten.

Einige Jahre darauf beobachtete man im Meerbusen von Mexiko ein Seeungeheuer mit Froschkopf, hervorstehenden Augen und mit zwei meergrünen Armen, deren breite Hände sich auf die Bordwand eines größeren Bootes gelegt hatten. Sechs Revolverkugeln genügten kaum, das riesige Reptil zum Rückzuge zu zwingen. Das war eine sogenannte »Manta«, deren Arme mit dem Körper mit einer Art Haut, wie bei den Fledermäusen, verbunden sind, und die jener Zeit überall auf dem Meerbusen einen nicht geringen Schrecken hervorrief.

Im Jahre 1873 war es der Kutter »Lida«, der in dem Sunde von Sleat, zwischen der Insel Skye und dem Festlande, in seinem Kielwasser eine lebende, plumpe Masse entdeckte; ferner der »Nestor«, der zwischen Malacca und Penang nahe an einem Ungeheuer des Meeres vorüberkam, das der Schätzung nach zweihundertfünfzig Fuß lang und fünfzig Fuß breit gewesen sein soll. Es hatte einen viereckigen, gelb und schwarz gestreiften Kopf, ähnlich einem Salamander, dessen gewaltige Masse die Officiere und die Passagiere des Schiffes deutlich sehen konnten.

Endlich glaubte 1875 der Befehlshaber der »Pauline«, Georg Drivor, zwanzig Meilen vom Cap San Roque, der Nordostspitze Brasiliens, eine ungeheuere Schlange wahrzunehmen, die sich um einen Walfisch gelegt hatte, gegen den sie gleich einer Boa Constrictor ankämpfte. Diese Schlange, deren Farbe mit der des Meerwals übereinstimmte, sollte hundertsechzig bis hundertsiebzig Fuß lang gewesen sein. Sie spielte scheinbar eine Zeitlang mit ihrem Opfer und zog es endlich mit ins Meer hinab.

Das sind die Beobachtungen, die sich seit dreißig Jahren in den Berichten verschiedener Kapitäne angegeben finden. Ein Zweifel an dem Vorkommen [61] gewisser, wenigstens höchst merkwürdiger Meergeschöpfe kann danach kaum noch aufrecht gehalten werden. Selbst wenn man alle Uebertreibungen ausscheidet und nicht anerkennt, daß die Oceane von Ungeheuern bewohnt seien, die die größten Walfische an Körpermasse um das zehn- oder gar das hundertfache übertreffen, muß man den vorher angeführten Angaben doch wohl einigen Glauben schenken.

Nicht zuzustimmen ist dagegen der Behauptung Jean-Marie Cabidoulin's, daß das Meer Geschöpfe – Schlangen oder Kopffüßler – von solcher Größe und Stärke beherberge, daß sie Fahrzeuge von größerem Tonnengehalt zum Kentern bringen könnten. Wenn gar viele Schiffe verschollen sind, so daß man von ihnen also niemals nur das geringste wieder gehört hat, so kommt das daher, daß sie durch Collision zu Grunde gegangen, auf Rissen gescheitert und geborsten oder unter Segel im Wüthen der Orkane untergegangen sind. Für Schiffbrüche giebt es genug, leider zu viele Ursachen, ohne daß man, wie der starrköpfige Tonnenbinder, dafür noch Pythonschlangen, Wunderthiere und übernatürliche Hydren heranzuziehen braucht.

Die Windstille zog sich zum großen Verdruß der Officiere und Mannschaften des »Saint Enoch« auffallend in die Länge. Ihr Ende war kaum abzusehen, und erst am 5. Mai stellte sich ein plötzlicher Witterungsumschlag ein. An diesem Tage sprang eine steife Brise auf, mit deren Hilfe das Fahrzeug seine Reise nach Nordosten fortsetzte.

Gleichzeitig tauchte auch ein Schiff auf, das schon vorher denselben Curs steuernd gesehen worden war, und das sich jetzt etwa bis auf eine Seemeile näherte.

Niemand an Bord bezweifelte, daß es ebenfalls ein Walfänger wäre. Entweder hatte es mit dem Walfang noch nicht begonnen oder war dabei nicht vom Glück begünstigt gewesen, denn es schien noch ohne Ladung zu sein, da sein Rumpf ziemlich hoch emporragte.

»Ich möchte wohl wissen, sagte Bourcart, ob dieser Dreimaster, ebenso wie wir, die Küsten von Niedercalifornien aufsucht und vielleicht ebenfalls der Bai Marguerite zusteuert.

– Das wäre ja möglich, antwortete Heurtaux, und wenn es zutrifft, könnten wir ja mit ihm in Gesellschaft segeln.

– Ist es ein Amerikaner, ein Deutscher, ein Engländer oder ein Norweger? fragte der Lieutenant Coquebert.

[62] – Nun, wir können ihn ja ansprechen, meinte der Kapitän Bourcart. Hissen wir unsere Flagge, so wird er die seinige zeigen, dann wissen wir sofort, woran wir sind.«

Eine Minute darauf flatterten die Farben Frankreichs an der Besangaffel des »Saint Enoch«. Das andere Fahrzeug war aber unhöflich genug, nicht zu antworten.

»Ah, kein Zweifel, rief Romain Allotte, das ist ein Engländer!«

An Bord waren auch alle übrigen der Ansicht, daß ein Fahrzeug, das die französische Flagge nicht grüßte, nur ein »English aus England« sein könne.

5. Capitel

Fünftes Capitel.
In der Bai Marguerite.

Nach dem Wiederaufwachen eines günstigen Windes nahm Bourcart mit Recht an, daß der »Saint Enoch« von den in der Nähe des Wendekreises des Krebses so häufigen Windstillen nichts mehr zu fürchten haben werde. Voraussichtlich erreichte er vielmehr die Bai Marguerite ohne weitere Verzögerungen, wenn auch erst gegen Ende der Fangzeit. Die Walfische sammeln sich in dieser Bai gewöhnlich nur in der Jahreszeit, wo ihre Jungen geboren werden, dann ziehen sie wieder nach dem Norden des Großen Oceans hinaus.

Da der »Saint Enoch« seine halbe Thranladung schon gefaßt hatte, lag die Wahrscheinlichkeit vor, daß er sie hier werde um mehrere Hundert Fässer vervollständigen können. Hatte das angetroffene englische Schiff aber seine Campagne, wie es den Anschein hatte, noch nicht begonnen und sollte das, wie man ebenfalls annehmen durfte, erst in der Bai Marguerite geschehen, so war bei der schon vorgeschrittenen Fangzeit zu vermuthen, daß es hier keine volle Last werde einnehmen können.

Die amerikanische Küste tauchte am 13. Mai, etwa in der Höhe des Wendekreises, vor dem französischen Walfänger auf. Zuerst kam da das Cap Lucas in Sicht, das die Südspitze der Halbinsel des alten Californiens einnimmt. [63] Die Halbinsel begrenzt den gleichnamigen schmalen Golf, dessen andere Seite von der Küste des mexikanischen Sonora gebildet wird.

Längs der (westlichen) Küste der Halbinsel und nicht weit von dieser mit leichter Südwestbrise hinaufsegelnd, kam der »Saint Enoch« an mehreren Inseln vorüber, die ausschließlich von einer Ziegenart, von Robben und von Seevögeln in unzähligen Scharen bewohnt waren. Ein Boot, das mit Heurtaux, einem sehr geschickten Jäger, ans Land ging, kam denn auch nicht leer zurück. Die Robben wurden abgehäutet, um deren Felle aufzubewahren, und die Ziegen ausgeschlachtet, um deren Fleisch zu gewinnen, das ein beliebtes und ausgezeichnetes Nahrungsmittel bildet.

Auf der weiteren Fahrt längs der Küste ließ der »Saint Enoch« die Schildkrötenbucht an Backbord liegen. Tief im Innern dieser Bai sah man mehrere Schiffe vor Anker liegen, die jedenfalls auf See-Elefanten Jagd machten.

Am 17. Mai gegen sieben Uhr abends kam der Kapitän Bourcart vor der Bai Marguerite an, in der er vor Anker zu gehen gedachte. Da es bald dunkel werden mußte, ließ er aus Vorsicht mit dem Bug seewärts beidrehen und lavierte in kurzen Schlägen in der Weise, daß er mit Sonnenaufgang des nächsten Tages wieder am Eingange der in die Bai führenden Wasserstraße lag.

Die Strömung lief jetzt dem Winde entgegen, wodurch ein Anklatschen der Wellen entstand, wie ein solches häufig das Vorhandensein von Untiefen andeutet, so daß man wohl fürchten konnte, auf zu geringe Wassertiefe zu stoßen. Bourcart ließ deshalb auch zwei Boote mit Sonde und Schnur aussetzen, die genaue Tiefenmessungen vornehmen sollten. Zu seiner Beruhigung ergaben diese aber eine Tiefe von fünfzehn bis zwanzig Faden. Das Schiff steuerte also in die Fahrstraße hinein und gelangte bald nach der Bai Marguerite.

Den englischen Dreimaster hatten die Wachen nicht wieder gemeldet. Wahrscheinlich sachte dieses Schiff andere, von den Walfischen noch mehr bevorzugte Fangplätze auf. Uebrigens bedauerte niemand, nicht in Gesellschaft mit ihm fahren zu müssen.

Da die Bai mehrfach Sandbänke enthält, konnte der »Saint Enoch« nur mit größter Vorsicht weiter hineindringen. Das erste Mal war es heute zwar nicht, daß Bourcart diese Bai besuchte, da die Sandbänke aber ihre Stelle wechseln, war es von Wichtigkeit, die fahrbare Straße sicher zu erkennen. Vorläufig wurde einmal in einer kleinen, gut geschützten Bucht Anker geworfen.


[64]
Ein Boot, das ans Land ging, kehrte denn auch nicht leer zurück. (S. 64.)

Sobald die Segel eingebunden waren und der Anker sicher gefaßt hatte, begaben sich die drei Backbordboote ans Land, um Palurden, eine vortreffliche, auf Steinen und dem Strande hier in Ueberfluß vorkommende Muschelart, zu holen. Im Wasser wimmelt es hier obendrein von Fischen verschiedener Art, wie von Meeräschen, Lachsen, Hornfischen und anderen. Ferner fehlt es weder an Robben, noch an Schildkröten, freilich auch nicht an gefräßigen Haifischen. Holz konnte man sich leicht beschaffen, denn vielfach reichen dichte Wälder bis an die Küste heran.

[65] Die Bai Marguerite mißt dreißig bis fünfunddreißig Seemeilen, also etwa sechzig Kilometer. Um sie ohne Havarie zu befahren, muß man ihrer ganzen Länge nach einer Art Canal folgen, der zwischen Sandbänken oder Felsblöcken zuweilen nur vierzig bis fünfzig Meter breit ist.

Um daraus nicht abzuweichen, ließ der Kapitän Bourcart größere Steine einsammeln, um die ein dünnes Tau geknüpft wurde, dessen anderes Ende mit einer gut verschlossenen leeren Tonne verbunden war. Das ergab ebensoviele Baken, die die Mannschaften an jeder Seite des Canals auslegten, um dessen Windungen sichtbar zu machen.

Nicht weniger als vier Tage wurden nöthig – da die Ebbe in je vierundzwanzig Stunden zweimal zum Ankern zwang – eine mindestens zwei Lieues tiefe Lagune zu erreichen.

Wenn das Schiff still lag, begab sich Heurtaux in Begleitung der beiden Lieutenants ans Land, um in der Umgebung zu jagen. Sie erlegten dabei einige Ziegenpärchen und auch mehrere Schakale, die in der Waldung zahlreich vorkamen. Die Matrosen holten inzwischen Vorräthe höchst schmackhafter Austern oder beschäftigten sich mit Fischfang.

Am 21. Mai langte der »Saint Enoch« endlich an seinem dauernden Ankerplatze an.

Diese Stelle lag drei Kabellängen von dem Hintergrunde einer Bucht, die an der Nordseite von bewaldeten Hügeln begrenzt war. Von den anderen flachen und in einem sandigen Strande endenden Ufern traten zwei abgerundete, mit schwärzlichen Steinblöcken von sehr hartem Korn bestreute Landzungen heraus. Die Bucht selbst öffnete sich am Westufer der Lagune, und darin stand, selbst bei ganz niedriger See, immer soviel Wasser, daß das Schiff nicht Gefahr lief, auf dem Sande zu sitzen. Wie überhaupt in diesem Theile des Stillen Oceans, war der Gezeitenunterschied hier nicht sehr groß. Weder bei Voll- noch bei Neumond ergab sich eine größere Veränderung des Wasserstandes als eine von zweiundeinhalb Faden zwischen der Springfluth und der Nippebbe.

Der Liegeplatz war recht glücklich gewählt. Die Mannschaft hatte nicht weit zu gehen, um Holz zu holen. Ein zwischen den Hügeln sich hinschlängelnder Bach lieferte eine mehr als ausreichende Menge Süßwasser.

Selbstverständlich hatte sich der »Saint Enoch« hier nicht für die ganze Zeit des Aufenthalts unverrückbar festgelegt. Wenn die Boote entweder in der Lagune oder weiter draußen einem Walfisch nach stellten, war er immer schnell [66] zur Abfahrt bereit, um die Jagd zu unterstützen, im Fall ein irgend günstiger Wind wehte.

Achtundvierzig Stunden nach seinem Eintreffen erschien vier Meilen sec »wärts ein Dreimaster, den man leicht als das englische Schiffe erkannte, das schon einmal gesehen worden war. Wie man später erfuhr, war es der »Repton«, Kapitän King, aus Belfast, der eben mit dem Fange begonnen hatte.

Dieser Walfänger suchte keinen Ankerplatz in der Bucht auf, wo der »Saint Enoch« lag. Er steuerte vielmehr nach dem Hintergrunde der Lagune, wo er den Anker fallen ließ. Da er aber kaum zwei Seemeilen weit festlegte, blieb er für das französische Fahrzeug immer in Sicht.

Diesmal hatte ihn die französische Flagge aber nicht begrüßt, als er vorübersegelte.

Andere Fahrzeuge, meist amerikanischer Nationalität, kreuzten an verschiedenen Theilen der Bai Marguerite, woraus sich schließen ließ, daß die Wale diese noch nicht endgiltig verlassen hatten.

Schon vom ersten Tage an hatten sich, da noch keine Gelegenheit war, die Fangboote auszusetzen, Meister Cabidoulin, der Zimmermann Ferut und der Schmied Thomas in Begleitung einiger Matrosen ans Ufer begeben, um Bäume zu fällen. Die Erneuerung des Holzvorrathes war dringend nöthig geworden, ebenso um den Bedarf der Küche zu decken, wie um für den zur Feuerung des Schmelzofens gerüstet zu sein. Das ist eine sehr wichtige Arbeit, die die Kapitäne der Walfischfänger niemals vernachlässigen. Das Fällen der Bäume ging trotz der herrschenden starken Hitze recht schnell von statten. Daß es so heiß war, kann nicht wundernehmen, wenn man bedenkt, daß die Bai Marguerite ziemlich genau unter dem fünfundzwanzigsten Breitengrade liegt, und auf der nördlichen Halbkugel entspricht das der Lage des südlichen Italiens und nördlichen Afrikas.

Am 25. Mai, eine Stunde vor Sonnenuntergang, bemerkte der Harpunier Kardek, der auf dem Besanmaste Ausguck hielt, etwa zwei Seemeilen von der Bucht entfernt mehrere Walfische, die ohne Zweifel seichtere, für ihre Jungen geeignete Stellen suchten. Es wurde daraufhin beschlossen, daß die Boote morgen in den ersten Tagesstunden klar gemacht sein sollten, denn jedenfalls bereiteten sich auch noch andere Fahrzeuge auf den Fang der Thiere vor.

An diesem Abend fragte Filhiol den Kapitän Bourcart, ob der Fang in gleicher Weise wie bei Neuseeland vor sich gehen werde.

[67] »Nicht ganz so, lieber Doctor, erhielt er zur Antwort, hier bedarf es etwas größerer Vorsicht. Wir werden es nämlich mit weiblichen Thieren zu thun haben, die zwar mehr Thran liefern, doch auch gefährlicher sind, als die männlichen. Bemerkt ein solches Weibchen, daß ihm eine Verfolgung droht, so wendet es sich sofort zur Flucht. Das Thier verläßt dann nicht allein die Bai, um überhaupt nicht zurückzukehren, sondern es verlockt auch die anderen zum Verschwinden, und dann soll sie einer draußen im Großen Ocean einmal zu finden suchen!

– Wenn aber ihre Jungen bei ihnen sind, wie dann, Kapitän?

– Dann ist es für die Boote, antwortete Bourcart, weit leichter, an sie heranzukommen. Der weibliche Wal, der dem Spiele seines Jungen folgt, versieht sich keiner Gefahr. Man kann dann so nahe heranrudern, daß das Thier mit der Axt an den Flossen verletzt wird. Hat es die Harpune verfehlt, so genügt es, dem Thiere, und wäre es mehrere Stunden lang, mit den Booten zu folgen. Der junge Walfisch verzögert sein Entkommen, denn dieser ermüdet bis zur Erschöpfung. Da die Mutter nun das Kleine nicht verlassen will, eröffnet sich die Aussicht, sie unter Verhältnissen anzutreffen, wo man von der Lanze Gebrauch machen kann.

– Doch sagten Sie, Herr Kapitän, nicht eben, daß die weiblichen Wale gefährlicher wären als die männlichen?

– Jawohl, Herr Filhiol, der Harpunier muß sich deshalb sorgsam hüten, den jungen Wal zu verletzen. Dessen Mutter würde wüthend werden und großen Schaden anrichten, denn sie geht dann auf die Boote los und schlägt so furchtbar mit dem Schwanze, daß sie diese meist zertrümmert. Das hat schon viele schwere Unfälle veranlaßt. So ist es auch nach einer Fangsaison gar nichts seltenes, in der Bai Marguerite zahlreiche Trümmer solcher Boote treiben zu sehen, und schon viele Menschen haben die Unklugheit oder das Ungeschick des Harpuniers mit dem Leben bezahlt!«

Schon vor sieben Uhr morgens war alles bereit, zur Verfolgung der gestern gesehenen Cetaceen aufzubrechen. Außer den dazu mitgeführten Harpunen, Lanzen und Beilen, hatten sich der Kapitän Bourcart, der Obersteuermann und die beiden Lieutenants noch mit Gewehren zum Lanzenwerfen ausgerüstet, deren man sich beim Angriffe auf die hier in Frage kommende Art von Walfischen stets mit Vortheil bedient. Eine halbe Meile von der Bucht zeigte sich ein Weibchen, dem sein Junges folgte, und die Boote hißten die Segel, um an das Thier heranzukommen, ohne seine Aufmerksamkeit zu erregen.

[68] Natürlich war Romain Allotte den anderen auch heute voraus und langte zuerst auf sieben Faden Entfernung bei dem Thiere an. Dieses war eben dabei, den Grund auf seine Tiefe zu untersuchen und mußte das Boot jetzt jedenfalls bemerken.

Sofort schwang Ducrest seine Harpune und schleuderte sie mit solcher Gewalt, daß sie bis an den Anfang des Schaftes in den Körper des Walfisches eindrang.

Jetzt kamen auch die anderen drei Boote heran und wollten das Thier umkreisen, um es mit Tauen weiter zu fesseln. Infolge eines – übrigens nicht seltenen – Unfalles zerbrach aber die Harpune und der Wal konnte mit seinem Jungen entweichen.

Alle bemühten sich nun mit größtem Eifer, der Cetacee zu folgen, die den Booten bald um sechzig bis achtzig Faden voraus war. Ihr ausgestoßener Strahl – ein Dampf von zu seinem Regen condensiertem Wasser – stieg acht bis zehn Meter hoch empor, doch mit ganz weißer Farbe, ein Beweis, daß das Thier nicht tödtlich verletzt war.

Die Matrosen strengten sich mit den Riemen aus Leibeskräften an. Zwei Stunden lang war es unmöglich, dem Walfisch nahe zu kommen, ihn nochmals harpunieren zu können. Vielleicht wäre bei einem solchen Versuche das junge Thier getroffen worden, und das wollte der Kapitän Bourcart jedenfalls vermieden wissen.

Der Doctor Filhiol, der alle Einzelheiten dieser Jagd zu beobachten wünschte, hatte in Bourcart's Boote Platz genommen. Auch ihm hatte sich das eifrige Verlangen mitgetheilt, das alle übrigen erfüllte, und er gab der Befürchtung Ausdruck, daß die Kräfte der Leute erlahmen würden, ehe diese an das Thier herankämen.

Der Wal entfernte sich in der That noch immer mit großer Schnelligkeit und tauchte und erschien wieder je nach einigen Minuten. Er hatte sich übrigens von der Bucht nicht weit, höchstens drei bis vier Seemeilen, entfernt und näherte sich dieser jetzt wieder noch mehr. Auch seine Geschwindigkeit schien abzunehmen, da sein Junges jetzt nicht mehr hinter ihm zurückblieb.

Gegen elfeinhalb Uhr wurde von Heurtaux' Boote aus eine zweite Harpune geworfen.

Diesmal hatte man nur wenig Leine zum Nachschießenlassen zur Hand. Die anderen Boote kamen deshalb, doch auf der Hut, von keinem Schlage des[69] Schwanzes getroffen zu werden, heran. Sobald sie dem Thiere mit der Lanze und dem Beil zu Leibe gegangen waren, warf dieses einen blutigen Strahl aus und verendete auf der Meeresoberfläche, während sein Junges im Wasser verschwand.

Da die Strömung günstig war, wurde der Wal ohne große Mühe nach dem »Saint Enoch« geschleppt wo der Kapitän alles in Stand setzen ließ, ihn am Nachmittage abzuhäuten.

Am nächsten Tage kam ein Canot mit einem Spanier, der den Kapitän zu sprechen wünschte. Es war einer der Leute, die das Geschäft eines »Restausschlachters« betreiben und denen man den Speck überläßt, der noch im Innern des Thiergerippes sitzt.

Als der Fremde den an der Seite des Fahrzeuges festgelegten Wal näher besichtigt hatte, sagte er:

»Das ist wahrhaftig einer der größten, die seit drei Monaten hier in der Margueritebai gefangen worden sind...

– War denn die Saison im allgemeinen eine gute? fragte ihn Bourcart.

– Nur etwa mittelmäßig, antwortete der Spanier, ich habe auch kaum ein halbes Dutzend Gerippe zur Bearbeitung bekommen. Ich bitte Sie also, mir die Reste von Ihrem Fange hier zu überlassen.

– Recht gern!«

Die folgenden achtundvierzig Stunden blieb der Spanier gleich mit an Bord und half bei allen Arbeiten zur Schmelzung des Speckes. Der Wal lieferte übrigens nicht weniger als hundertfünfundzwanzig Faß vorzüglichen Thranes. Das Gerippe mit den sonstigen Ueberbleibseln schafften Eingeborne nach dem Etablissement des Spaniers, das zwei Meilen von der Bucht entfernt lag.

Als der Mann weg war, wendete sich der Doctor Filhiol an den Kapitän:

»Ist Ihnen denn bekannt, Herr Bourcart, wie viel Thran der Spanier aus den Resten des Walfisches gewinnen mag?

– O, höchstens einige große Krüge voll, Doctor...

– Da irren Sie denn doch, denn ich habe aus seinem eigenen Munde gehört, daß dieses Ausweiden ihm zuweilen fünfzehn Faß davon liefert.

– Wie?... So viel? rief Bourcart. Na, schön, das soll auch zum letztenmal gewesen sein, daß ich mich so übervortheilen lasse. In Zukunft weiden wir den Rumpf der Thiere hübsch selber aus!«

Der »Saint Enoch« verweilte in der Bai Marguerite bis zum 17. Juni, ehe er seine Ladung voll machen konnte.

[70] In diesem Zeitraum erbeuteten die Mannschaften noch mehrere Wale, darunter einige Männchen, die nur sehr schwer und obendrein recht gefährlich zu harpunieren waren, denn sie gebärdeten sich wilder, als man es zu sehen gewöhnt ist.

Der eine davon wurde vom Lieutenant Coquebert am Eingang der Bucht gefangen. Es bedurfte aber eines Tages und einer Nacht, ihn tiefer hinein zu schleppen. Während der Dauer der widrigen Strömung, die das Einbringen verhinderte, hatten sich die Boote mittels kleiner Anker an dem Thiere festgelegt und die Mannschaften schliefen in Erwartung des Eintrittes der Fluth.

Selbstverständlich vernachlässigten auch die anderen Schiffe keineswegs die Verfolgung von Cetaceen, oft bis tief in die Bai Marguerite hinein. Vor allen waren die Amerikaner mit den Ergebnissen ihrer Jagd zufrieden.

Der Kapitän eines dieser Schiffe, des »Iving«, von San Diego, stattete Bourcart auch einen Besuch an Bord des »Saint Enoch« ab.

»Kapitän, sagte er, nachdem die beiden Männer einige Minuten geplaudert hatten, ich sehe, daß Sie schon an den Küsten Neuseelands einen recht guten Fang gemacht haben.

– Jawohl, bestätigte Bourcart, und ich hoffe, hier die diesjährige Campagne bald zu beschließen. Dann kann ich eher als erwartet nach Europa zurückkehren und vielleicht schon vor Ablauf von drei Monaten in Havre eintreffen.

– Meinen Glückwunsch, Kapitän, doch warum wollen Sie bei den bisherigen guten Erfolgen unmittelbar nach Havre zurücksegeln?

– Was wollen Sie damit sagen?

– Ich meine, Sie könnten Ihre Ladung auch recht vortheilhaft verwerthen, ohne den Großen Ocean zu verlassen. Das gestattete Ihnen dann, den Walfang bei den Kurilen oder im Ochotskischen Meere – und das gerade in den günstigsten Monaten – noch einmal aufzunehmen.

– Erklären Sie sich etwas näher, Kapitän. Wo könnte ich meine Ladung verkaufen?

– In Vancouver.

– In Vancouver?

– Ja, auf dem Markte von Victoria, wo jetzt von amerikanischen Häusern starke Nachfrage nach Thran ist und Sie Ihre Vorräthe zu gutem Preise absetzen könnten.

[71] – Wahrhaftig, antwortete Bourcart, das wäre ein Gedanke, ohne Zweifel ein vortrefflicher Gedanke! Ich danke Ihnen für Ihre Anregung, Kapitän, und werde mir sie wahrscheinlich zu nutze machen.«

Die in amerikanischem Gewässer, in der Höhe des englischen Columbien gelegene Insel Vancouver ist, nördlich von der Bai Marguerite, etwa um fünfundzwanzig Breitengrade entfernt. Bei günstigem Winde konnte der »Saint Enoch« sie binnen vierzehn Tagen bequem erreichen.

Offenbar lächelte das Glück dem Kapitän Bourcart und Jean-Marie Cabidoulin kam um seine Geschichten und Unglücksprophezeiungen. Nach dem Fange bei Neuseeland und in der Bai Marguerite noch eine Fangreise nach den Kurileninseln und ins Ochotskische Meer... und das alles in demselben Jahre!

Nach Vancouver begaben sich jedenfalls auch die amerikanischen Walfänger und der »Repton« wahrscheinlich ebenfalls, wenn sie ihre volle Ladung Thran hatten, denn dieser stand dort eben hoch im Course.

Als Bourcart den Kapitän des »Iving« fragte, ob er mit dem »Repton« irgendwie in Beziehung getreten wäre, lautete die Antwort verneinend. Das englische Schiff hielt sich immer abseits und vielleicht salutierte es das Sternenbanner der Vereinigten Staaten ebensowenig wie die französische Tricolore.

Mehrmals ereignete es sich dennoch, daß die englischen und französischen Boote, sei es auf der Lagune oder inmitten der Bai, bei der Verfolgung von Walfischen einander ziemlich nahe kamen. Zum Glück jagten sie da nicht denselben Cetaceen nach, denn das hätte, wie es zuweilen geschieht, zu Streitigkeiten führen können. Bei der Gemüthsverfassung, in der sich beide Theile befanden, wären solche Streitigkeiten gewiß recht übel abgelaufen. Bourcart ermahnte seine Leute auch wiederholt und dringend, jede Berührung mit der Mannschaft des »Repton« zu vermeiden, auf dem Wasser ebenso, wenn beide in derselben Gegend kreuzten, wie auf dem Lande, wenn die Boote ausgefahren waren, um Holz zu holen oder Trinkwasser zu fassen.

Uebrigens erfuhr man nicht, ob der »Repton« mit dem Fange Glück hatte, und eigentlich kümmerte sich auch niemand darum. Der »Saint Enoch« war ihm bei der Ueberfahrt von Neuseeland nach der amerikanischen Küste begegnet, und wenn er die Bai erst verlassen hatte, bekam er den Engländer jedenfalls nie wieder zu Gesicht.


Der Fremde besichtigte den an der Seite des Fahrzeuges festgelegten Wal. (S. 70.)

Unter den erbeuteten Cetaceen befand sich ein Pottfisch, den Romain Allotte drei Meilen außerhalb der Lagune gefangen hatte. Es war das der [72] größte, auf den man bisher getroffen war. Diesen hatte auch der »Repton« gesehen, und seine Boote stießen zur Verfolgung des Thieres ab, doch war es schon zu spät, als sie in dessen Nähe kamen.

Um den Pottfisch nicht aufmerksam zu machen, glitt das Boot bei günstiger schwacher Brise so still an ihn heran, daß es das Thier nicht aufscheuchte. Als der Harpunier aber in passender Wurfweite war, tauchte es unter, und nun hieß es warten, bis es wieder auf der Oberfläche erschien. Fünfunddreißig Minuten waren seit seinem letzten Untertauchen verflossen – ebenso lange [73] blieb es jetzt voraussichtlich unter Wasser, und nun galt es nur, scharf Acht zu geben.

Nach der angenommenen Zeit kam es wirklich wieder zum Vorschein, jetzt aber sieben bis acht Kabellängen vom Boote, das ihm nun mit größter Geschwindigkeit nachsegelte.

Der Harpunier Ducrest stand auf dem kleinen Vorderdeck und der Lieutenant Allotte hielt sich mit dem Beile bereit. In diesem Augenblicke aber peitschte der Pottfisch, der eine Gefahr ahnen mochte, das Meer mit solcher Gewalt, daß eine Woge über das Boot hereinbrach und es zur Hälfte anfüllte.

Da die Harpune das Thier an der rechten Seite unterhalb der Brustflosse getroffen hatte, tauchte es unter, und die Leine wurde mit so großer Geschwindigkeit nachgezogen, daß man sie begießen mußte, um ihr Anbrennen zu verhüten.

Als der Pottwal wieder erschien, blies er Blut in die Höhe und einige Lanzenstiche machten ihm bald ein Ende.

Nach der Schmelzung des Speckes verzeichnete Meister Cabidoulin weitere achtzig Faß von dem Pottfische herrührenden Thran.

Man stand noch drei Tage vor der auf den 17. Juni festgesetzten Abfahrt. Bourcart hatte sich, dem Rathe des Amerikaners folgend, entschlossen, nach der Insel Vancouver zu segeln. Der »Saint Enoch« hatte jetzt siebzehnhundert Faß Thran und fast fünftausend Kilogramm Walfischbarten im Frachtraume. Nach deren Veräußerung in Victoria wollte der Kapitän sofort zur zweiten Fangreise im Nordosten des Stillen Oceans aufbrechen. Hundertfünfzig Tage waren seit der Abfahrt von Havre verflossen und der Aufenthalt an der Bai Marguerite hatte vom 13. Mai bis zum 19. Juni gedauert. Rumpf und Takelage des Schiffes befanden sich im besten Zustande, und in Vancouver konnte leicht neuer Proviant angeschafft werden.

Am zweiten Tage vor der Abreise ereignete sich da noch ein Zwischenfall, der die Mannschaften mit den Leuten vom »Repton« in Berührung brachte, und zwar unter folgenden Umständen:

Die Boote des Obersteuermanns und des Lieutenants Coquebert waren ans Land geschickt worden, um einen Rest schon gefällten Holzes zu holen und noch einmal Süßwasser mitzubringen.

Heurtaux, Coquebert und die Matrosen hatten bereits den Strand betreten, als einer von ihnen »Ein Walfisch!... Ein Walfisch!« rief.

[74] Wirklich schwamm eben eine halbe Meile vor der Bucht und auf dem Wege nach dem Hintergrunde der Bai ein ziemlich großes weibliches Thier mit seinem Jungen vorüber.

Natürlich bedauerten alle lebhaft, seine Verfolgung nicht aufnehmen zu können. Die zu ganz anderem Zwecke ausgesendeten Bote waren darauf aber nicht vorbereitet und hatten weder Harpune noch Leine mitgenommen. Nicht anders stand es an Bord des »Saint Enoch«, auf dem die Lauftaue schon eingezogen und die zum Drehen der Wale an der Schiffsseite dienenden Apparate weggeschafft waren, da das Fahrzeug sozusagen schon zum Abfahren bereit lag.

Da kamen übrigens auch plötzlich zwei Boote um einen der Landvorsprünge in der Bucht hervor, die bisher unsichtbar gewesen waren.

Es waren Boote vom »Repton«, die auf den gemeldeten Wal zusteuerten.

Da sie sich dem Lande genähert hatten, offenbar um dem Thiere von der Rückseite her beizukommen, konnte man leicht alles beobachten, was weiter vorging.

Die beiden Boote glitten rasch und geräuschlos dahin, doch waren sie gut durch eine Seemeile von einander getrennt, da das eine offenbar erst nach dem anderen abgefahren war. Das vordere hatte am Heck seine Flagge entrollt, ein Zeichen, daß es seine Absicht war, die Cetacee zu fangen.

Der »Repton« selbst wartete, mit wenigen Segeln an den Raaen, drei Meilen weiter im Osten.

Heurtaux, Coquebert und deren Leute bestiegen eine kleine Anhöhe hinter dem Bache, von der aus sie die ganze Lagune übersehen konnten.

Es war gegen zweieinhalb Uhr, als der Harpunier des ersten Bootes sich nahe genug befand, seine Harpune zu schleudern.

Der mit seinem Jungen spielende Walfisch hatte den Mann noch nicht bemerkt, als dessen Waffe schon durch die Luft sauste.

Die Engländer wußten es sicherlich auch, daß es gefährlich ist, den jungen Wal zu verletzen. Hier glitt dieser aber gerade am Boote vorüber, und die Harpune bohrte sich in seine Unterlippe.

Es war tödtlich getroffen und lag nach einigen Zuckungen unbeweglich auf dem Meere. Da der Schaft der Harpune sich bei der Umdrehung des Thieres in die Höhe richtete, sah es, wie die Matrosen zu sagen pflegen, so aus, als ob er »seine Pfeife rauchte«, da der Wasserstaub, der ihm aus dem Maule hervordrang, dem Tabaksrauche täuschend ähnlich aussah.

[75] Der weibliche Wal, den jetzt eine plötzliche Wuth packte, wurde nun zu einem höchst gefährlichen Thiere. Sein Schwanz peitschte das Wasser, daß es gleich einer Trombe aufwirbelte. Es stürzte sich dabei auf das Boot. Die Leute darin mochten sich noch so sehr anstrengen, ihm zu entfliehen... vergeblich... sie konnten seinen Angriffen nicht ausweichen. Die Matrosen versuchten auch, freilich ohne Erfolg, ihm eine zweite Harpune entgegenzuschleudern, vergeblich wehrten sie es mit Lanzenstichen und Beilhieben ab, vergeblich feuerte ein Officier sein lanzenwerfendes Gewehr darauf ab.

Das zweite Boot, das noch dreihundert Toisen unter dem Winde entfernt war, konnte nicht schnell genug herankommen, dem ersten Hilfe zu bringen.

Dieses erste wurde von einem so fürchterlichen Schlage mit dem Schwanze getroffen, daß es mit allen Insassen sofort unterging. Kamen auch einzelne davon wieder nach der Oberfläche, so drohte ihnen doch die Gefahr des Ertrinkens, wenn sie überhaupt nicht schon tödtlich verletzt waren. Ob das zweite Boot sie noch auffischen könnte, ließ sich vorläufig auch nicht sagen.

»Einsteigen!... Schnell in die Boote!« rief Heurtaux, der dem Lieutenant ein Zeichen gab, ihm zu folgen.

Die Mannschaften, die hier Menschen, und gehörten sie auch zur Besatzung des »Repton«, in Todesgefahr sahen, beeilten sich, alles zu thun, sie zu retten.

In einem Augenblicke waren Officiere und Matrosen die Anhöhe hinabgestürmt und über den Strand hin geeilt. Die beiden Boote wurden schnellstens frei gemacht, und von kräftigen Ruderschlägen getrieben, kamen sie nach der Unfallsstelle, wo der Walfisch noch immer wüthend umherschoß.

Von den neun Mann in dem zertrümmerten Boote, waren nur sieben auf der Wasserfläche wieder aufgetaucht.

Zwei fehlten... sie waren ohne Zweifel umgekommen.

Eben jetzt traf auch das zweite Boot vom »Repton« ein, doch hätte dieses die sieben Leute ohne Gefahr kaum noch aufnehmen können.

Der weibliche Wal wendete sich seinem Jungen zu, das in einer Kabellänge unter dem Winde dahin trieb und von der Strömung fortgetragen wurde. Als er dieses erreicht hatte, verschwand er mit ihm in der Tiefe der Lagune.

Heurtaux und der Lieutenant waren schon bereit, mehrere von den Engländern aufzunehmen, als der Obersteuermann des »Repton« mit verächtlichem Tone rief:

»Jeder sorgt für sich!... Wir brauchen keine Hilfe!... Vorwärts... abstoßen!«

[76] Wenn der Mann wahrscheinlich den Verlust der zwei Leute beklagte, so beklagte er es jedenfalls eher noch mehr, daß ihm die schöne Beute entgangen war.

Als Heurtaux und Allotte an Bord zurück waren, berichteten sie dem Kapitän Bourcart und dem Doctor Filhiol den Verlauf der Dinge.

Bourcart billigte es, daß sie dem Boote des »Repton« zu Hilfe geeilt waren, doch als er die Antwort des fremden Officiers vernahm, setzte er hinzu:

»Da sehen wir ja: wir hatten uns nicht getäuscht, es waren eben Engländer, und zwar richtig stockenglische Engländer...

– Gewiß, meinte der Oberbootsmann, bis zu diesem Grade braucht man das aber doch nicht herauszustecken!«

6. Capitel

Sechstes Capitel.
Vancouver.

Die an der Westküste Nordamerikas zwischen dem 48. und dem 51. Breitengrade gelegene, fünfhundert Kilometer lange und hundertdreißig breite Insel Vancouver gehört zu dem englischen Columbia, dem Nachbarstaate des Dominiums von Canada, dessen Grenze diesen im Osten abschließt.

Vor einigen Jahrhunderten hatte die Hudson Bai-Gesellschaft an der südwestlichen Spitze der Insel, nahe dem alten Hafen von Cardoba, dem Camosin der Indianer, eine Handelsniederlassung gegründet. Das bildete also eigentlich schon eine Besitzergreifung der genannten Insel durch die britische Regierung. Im Jahre 1789 kam sie jedoch unter spanische Gewalt. Kurze Zeit nachher wurde sie indeß den Engländern durch einen Vertrag zurückgegeben, der zwischen dem spanischen Officier Quadra und dem englischen Officier Vancouver zustande kam. Nur der Name des zweiten ist dann in die moderne Kartographie übergegangen.

Das ursprüngliche Dorf wuchs bald zur Stadt an, dank der Entdeckung von Goldadern im Becken des Fraser, eines der Wasserläufe der Insel. Unter [77] dem Namen Victoria City bildet es jetzt die officielle Hauptstadt des britischen Columbiens. Später entstanden noch andere Städte, wie z. B. das vierundzwanzig Lieues von Victoria gelegene Nanaimo, ohne den kleinen Hafen San Juan zu erwähnen, der die Südspitze des Landes einnimmt.

Zur Zeit, wo sich unsere Geschichte abspielte, hatte Victoria noch bei weitem nicht die Bedeutung, die ihm heute zukommt. Der Insel Vancouver fehlte damals noch die sechsundzwanzig Kilometer lange Bahnlinie, die jetzt ihre Hauptstadt mit Nanaimo verbindet. Erst im folgenden Jahre, 1864, wurde, zur Vorbereitung des Bahnbaues, von dem Doctor Brow aus Edinburg, dem Ingenieur Leech und Frederic Wymper eine Expedition ins Innere der Insel unternommen. Immerhin fand der Kapitän Bourcart in Victoria schon alle Bedingungen zur Abwicklung seines Handelsgeschäfts, und auch alle Hilfsmittel zur Ausführung seiner zweiten Fangreise. In dieser Beziehung konnte er sich also jeder Sorge entschlagen.

Mit der ersten Tagesstunde hatte der »Saint Enoch« seinen Ankerplatz in der Lagune verlassen. Durch die Ebbeströmung unterstützt, steuerte er den Canal der Bai Marguerite hinunter und dann aufs offene Meer hinaus.

Günstige, aus Ost bis Südost wehende Winde erlaubten es dem Schiffe, längs der Küste unter dem Schutze des Landes, nur einige Seemeilen westlich von der langen Halbinsel Niedercalifornien hinzusegeln.

Bourcart hatte keine Wachen auf die Marsen geschickt, da jetzt keine Jagd auf Walfische beabsichtigt war. Vor allem drängte es ihn, Vancouver zu erreichen, um sich die dortigen guten Marktpreise zu nutze zu machen.

Uebrigens wurden auch nur drei oder vier Walfische, und diese in so großer Entfernung beobachtet, daß es bei dem meist starken Seegange sehr schwierig gewesen wäre, deren Fang zu versuchen. Die Mannschaft begnügte sich also, den Thieren ein »Auf Wiedersehen bei den Kurilen und im Ochotskischen Meere!« zuzurufen.

Man rechnet ungefähr vierzehnhundert Seemeilen bis zur Straße San Juan de Fuca, die die Insel Vancouver von dem Territorium Washington im äußersten Nordwesten der Vereinigten Staaten scheidet. Bei einer mittleren Geschwindigkeit von neunzig Seemeilen in vierundzwanzig Stunden mußte die Fahrt des »Saint Enoch«, der jetzt auch Top-, Lee- und Stagsegel führte, etwa fünfzehn Tage in Anspruch nehmen. Unverändert dauerten die günstigen Verhältnisse an, die bisher die erste Fangreise begleitet hatten.

[78] Nach dem ersten Drittel der Fahrstrecke segelte das Schiff dicht am Winde in der Höhe von San Diego, der Hauptstadt Niedercalifornicus hin. Vier Tage später befand es sich San Francisco gegenüber und inmitten zahlreicher Fahrzeuge, die diesem großen amerikanischen Hafen zustrebten.

»Vielleicht ist es doch bedauerlich, sagte an diesem Tage Bourcart zu dem Obersteuermanne, daß wir unser Handelsgeschäft statt in Victoria, nicht schon in San Francisco erledigen können.

– Ja freilich, antwortete Heurtaux, dann wären wir jetzt schon am Ziele. Doch, je mehr Weg vorher, desto weniger später. Wollen wir noch einmal bei den Kurilen den Fang aufnehmen, so sind wir in Vancouver schon weit oben im Norden.

– Ja, Sie haben recht, Heurtaux, und die Aussagen des Kapitäns vom »Iving« lauteten auch zu verlockend und bestimmt. Seiner Ansicht nach muß der »Saint Enoch« in Victoria leicht so weit wie nöthig ausgebessert und mit allem Proviant für mehrere Monate versorgt werden können.«

Der Wind, der jetzt einige Neigung zum Abflauen verrieth und mehr nach Süden räumte, wehte bald vom hohen Meere her. Die Fahrt des »Saint Enoch« wurde also etwas verlangsamt.

Das verursachte an Bord einige Ungeduld. Länger als achtundvierzig Stunden dauerten diese minder günstigen Verhältnisse aber nicht an, und am 3. Juli morgens meldeten die Wachen schon das Cap Flattery am Eingange der Juan de Fucastraße.

Die Ueberfahrt hatte sechszehn Tage, einen mehr als nach der Berechnung Bourcart's, beansprucht, da das Schiff die mittlere Geschwindigkeit von neunzig Seemeilen nicht ganz erreicht hatte.

»Nun, Alterchen, wendete sich Meister Ollive an Cabidoulin, da wären wir ja an der Einfahrt zum Hafen, und Du jammerst doch immer noch?

– Ich?... erwiderte der Böttcher achselzuckend.

– Jawohl... Du!

– Ich sage ja gar nichts...

– Nein, Du sagst nichts... es ist aber doch nicht anders.

– Wirklich?

– Ja, wirklich... ich hör' es ja, wie Du innerlich brummst...

– Und das werd' ich auch laut thun, wenn es mir paßt!« entgegnete Jean-Marie Cabidoulin.

[79] Nach Erledigung der Sanitäts- und der Zollförmlichkeiten legte der »Saint Enoch« an einem Bollwerke an, von wo aus seine Fracht bequem gelöscht werden konnte.

Auf jeden Fall sollte sein Aufenthalt in Victoria etwa vierzehn Tage dauern. Er konnte nicht wohl weiterfahren, ehe die Mannschaft nicht einige kleine Reparaturen ausgeführt hatte, ob das Schiff sich nun zu einer zweiten Fangreise in die nördlichen Gewässer des Stillen Oceans begab, oder sich zur Rückkehr nach Europa anschickte.

Der Obersteuermann, die beiden Lieutenants und die Deckofficiere würden also Arbeit genug haben, die ihre Zeit voll in Anspruch nahm. Handelte es sich doch darum, siebzehnhundert Faß Thran ans Land zu befördern. Der Kapitän Bourcart mußte hier übrigens auf seine Leute ein scharfes Auge haben. Hier sind immer Desertionen zu gewärtigen, da nicht wenige Goldsucher und Ausbeuter von Fundstätten auf der Insel Vancouver und auf den Ebenen am Caribu im britischen Columbien die Umgegend durchstreifen.

Gerade jetzt lagen im Hafen von Victoria zwei Schiffe, der »Chantenay« aus Nantes und der »Forward« aus Liverpool, die durch das Entweichen einer Anzahl ihrer Matrosen arg in Verlegenheit gesetzt waren.

Bourcart hatte indessen, soweit das möglich war, zu seinen Leuten das beste Vertrauen; wurden sie doch durch die Belohnungen zurückgehalten, die ihnen nach einer für sie wie für die Rheder des »Saint Enoch« so erfolgreichen Reise in Aussicht standen. Immerhin war eine strenge Aufsicht unumgänglich, und Erlaubniß, das Schiff zu verlassen, wurde nur selten ertheilt. Unzweifelhaft erschien es rathsamer, nach harter Tagesarbeit an Bord doppelte Rationen auszutheilen, als die Matrosen nach Schänken und Spelunken laufen zu lassen, wo sie gar zu leicht in schlechte Gesellschaft geriethen.

In erster Linie hatte Bourcart freilich darauf zu achten, daß er seine Ladung am Markte von Victoria absetzte. Sobald er das Land betreten hatte, begab er sich denn auch zu einem gewissen William Hope, einem der bedeutendsten Waarenmäkler des Hafenplatzes.

Der Doctor Filhiol hatte, da an Bord niemand krank war, reichlich Muße, sich die Stadt und deren Umgebung anzusehen. Er hätte die Insel wohl auch in weiterem Umkreise besucht, wenn es nicht zu sehr an Communicationsmitteln gefehlt hätte, doch hier gab es durch die dichten Waldungen keine Straßen, höchstens beschwerliche Fußpfade. Er mußte den Umkreis seiner Ausflüge [80] [83]also wohl oder übel beschränken. Im ganzen machte ihm die Stadt einen interessanten Eindruck, wie die meisten, die auf amerikanischem Boden überraschend schnell aufwachsen und deren Ausdehnung keinerlei Hindernissen begegnet. Regelmäßig erbaut, von einander rechtwinkelig kreuzenden Straßen durchschnitten und von schönen Bäumen beschattet, besaß sie auch noch einen ausgedehnten Park, wie man deren ja in jeder amerikanischen Stadt antrifft. Süßwasser erhielt sie mehr als ausreichend aus einem vier Meilen entfernten Sammelbecken, das aus den besten Quellen der Insel gespeist wurde.


Der »Saint Enoch« konnte leicht mit dem nöthigen Holzvorrath versorgt werden. (S. 86.)

Der im Hintergrunde einer kleinen Bai geschützt liegende Hafen von Victoria nimmt eine sehr vortheilhafte Stelle ein, da sich hier die Juan de Fucastraße und der Königin Charlottensund begegnen. Die Schiffe können ihn deshalb ebensogut von Westen wie von Nordwesten her erreichen. Sein Seeverkehr wird in Zukunft gewiß noch weiter zunehmen und wahr scheinlich die gesammte Schiffahrt eines weiten Umkreises auf sich lenken.

Hier verdient auch erwähnt zu werden, daß der Hafen schon zu jener Zeit reichliche Hilfsmittel bot für die Ausbesserung von Schiffen, die auf der langen und meist beschwerlichen Fahrt hierher irgendwelche Schäden erlitten hatten. Hier fanden sie ein gut ausgestattetes Seearsenal, Waarenniederlagsräume und hatten auch ein Becken zum Kielholen zur Verfügung.

Der Kapitän des »Iving« hatte Bourcart ganz zutreffend berichtet. Der Preis des Thrans war zur Zeit recht hoch und der »Saint Enoch« traf gerade noch rechtzeitig ein, daraus Nutzen zu ziehen. Recht lebhafte Nachfrage herrschte nicht allein in Vancouver, sondern auch in New-Westminster, einer bedeutenden Stadt Columbias am Golfe von Georgien, etwas nordöstlich von Victoria.

Zwei Walfänger, der amerikanische »Flower« und der norwegische »Fugg« hatten ihre Ladung schon verkauft und waren – wie es der »Saint Enoch« beabsichtigte – schon zum Fischfang im Norden des Stillen Oceans weiter gesegelt.

Die Geschäfte des »Saint Enoch« kamen also zwischen dem Mäkler Hope und dem Kapitän Bourcart bald zum Abschluß. Die Ladung wurde zu einem Preise verkauft, der früher noch nie erzielt worden war und auf keinem Markte Europas erreicht worden wäre. Nun handelte es sich also nur noch darum, die Fässer auszuladen und nach der Niederlage zu schaffen, wo sie dem Käufer überliefert werden sollten.

Bourcart begab sich von dem Mäkler sofort an Bord zurück.

[83] »Heurtaux, sagte er hier zu seinem Obersteuermann, das Geschäft ist abgeschlossen und wir können uns wirklich Glück wünschen, den Rath des wackeren Kapitäns vom »Iwing« befolgt zu haben.

– Thran und Barten, Herr Bourcart?...

– Thran und Barten, an eine columbische Firma in New-Westminster verkauft.

– So können unsere Leute also mit dem Löschen beginnen?

– Gleich heute, sie werden tüchtig zufassen müssen, denn unser Schiff, das erst noch gekielholt werden muß, muß binnen einem Monat zur Weiterfahrt bereit sein.

– Alle Mann an Deck!« rief der Obersteuermann, von dem der Meister Ollive die weiteren Befehle empfing.

Siebzehnhundert Faß auszuladen, ist eine Arbeit, die mindestens acht Tage beansprucht, selbst wenn sie gut geregelt und schnell ausgeführt wird. Die Winden wurden also über den Luken aufgestellt, und die Hälfte der Mannschaft begab sich in den Raum hinunter, während die andere Hälfte auf dem Deck thätig sein sollte. Auf den guten Willen und den Eifer der Leute konnte man schon zählen, so daß es nicht nöthig wurde, fremde Hafenarbeiter heranzuziehen.

Wenn hierbei einer tüchtig zu thun hatte, war es gewiß Jean-Marie Cabidoulin. Er ließ kein Faß emporwinden, ohne es sorgfältig untersucht und sich überzeugt zu haben, daß es ganz voll wäre und zu keiner Reclamation Anlaß geben könne. Fortwährend stand er, mit dem Klöpfel in der Hand, an den Aufzugstellen und führte einen kurzen Schlag gegen jedes Faß. Wegen des Thranes selbst brauchte er sich keine Sorge zu machen, der war von ausgezeichneter Qualität.

Die Entladung erfolgte also unter der größten Vorsicht, und die Arbeit wurde eine Woche lang eifrig fortgesetzt.

Mit der Löschung der Fracht waren die Aufgaben des Meisters Cabidoulin freilich noch nicht erledigt. Er mußte an Stelle der früheren, gefüllten auch für leere Fässer zur zweiten Fangreise sorgen. Glücklicherweise fand Bourcart in einer Niederlage von Victoria einen genügenden Vorrath von solchen, den er zu mäßigem Preise erwerben konnte. Immerhin mußten diese Fässer mehrfach ausgebessert werden. Ein schweres Stück Arbeit, wozu die Tagesstunden kaum genügten, und wenn der Tonnenbinder dabei einmal heimlich und das anderemal lauter knurrte und murrte, so geschah das doch immer in Begleitung zahlloser[84] Klöpfelschläge, die von ihm, dem Schmied Thomas oder dem Zimmermann Ferut herrührten.

Als der Frachtraum des »Saint Enoch« vollständig entleert war, ging man daran, diesen selbst und die Wegerung des Innern sorgsam zu reinigen.

Das Schiff war inzwischen vom Bollwerk nach dem Becken zum Kielholen geschleppt worden. Sein Rumpf mußte ja auch äußerlich untersucht werden, ob er nicht vom schweren Seegange hier oder da gelitten hätte. Der Obersteuermann und der Oberbootsmann nahmen diese Besichtigung vor, und auf beide konnte sich der Kapitän Bourcart ruhig verlassen.

Eigentliche ernstere Beschädigungen wurden nicht vorgefunden; es machten sich nur wenige leichtere Ausbesserungen nöthig; so waren zwei oder drei Streifen des Kupferbeschlags zu ersetzen, einige Holzpflöcke an der Bordwand und am Schiffsgerippe zu erneuern, vereinzelte Nahtstellen frisch mit getheertem Hanf zu kalfatern, und endlich erschien ein frischer Anstrich des oberen Theiles der Schiffswände wünschenswerth. Diese Arbeiten wurden mit großer Schnelligkeit ausgeführt. Voraussichtlich verlängerte sich der Aufenthalt in Vancouver also nicht über die dafür vorgesehene Zeit hinaus.

Natürlich gab Bourcart seiner Befriedigung darüber Ausdruck, und der Doctor Filhiol sagte wieder holt zu ihm:

»Sie haben eben Glück, Kapitän, viel Glück... und wenn das anhält...

– Das wird es, lieber Filhiol; ja, wissen Sie, was sogar geschehen könnte...

– Bitte... was denn?

– Daß der »Saint Enoch« in zwei Monaten, nach seiner zweiten Campagne, nach Victoria zurückkäme, um eine neue Ladung zu demselben guten Preise zu verkaufen!... Wenn die Wale bei den Kurilen und im Ochotskischen Meere nicht gar zu wild sind...

– Oho, Kapitän, könnten sie denn eine schönere Gelegenheit finden, sich fangen zu lassen und Ihnen Thran zu vortheilhafteren Preisen zu liefern?

– Ich glaube kaum, antwortete Bourcart lachend, nein, ich glaub' es kaum.«

Es wurde schon erwähnt, daß der Doctor Filhiol seine Ausflüge in der Umgebung der Stadt nicht so weit hatte ausdehnen können, wie er es gewünscht hätte, doch schon in der Nachbarschaft der Küste begegnete er wiederholt einzelnen Eingebornen. Diese gehörten nicht gerade zu den schönsten Vertretern der Rasse der Rothhäute, wie man solche noch immer im Fernen Westen Nordamerikas [85] antrifft. Hier waren es plumpe, im Auftreten tölpelhafte Geschöpfe mit häßlichem Gesichte, großen, mißgebildeten Köpfen, kleinen Augen, mit breitem Munde und widerlich aussehender Nase, deren Flügel sie mit Metallringen oder Holzspeilern durchbohrt hatten. Und als ob die natürliche Häßlichkeit ihnen noch nicht genügte, haben sie außerdem die Gewohnheit, bei religiösen Feiern und bei Festlichkeiten das Gesicht mit einer noch abstoßenderen, hölzernen Maske zu bedecken, die, durch Schnurenzug gleichsam belebt, die abscheulichsten Fratzen schneidet.

In der Nähe Victorias und auch weiter im Innern trägt die Insel prächtige Waldungen, die vor allem reich an Fichten und Cypressen sind. Der »Saint Enoch« konnte deshalb leicht mit dem nöthigen Holzvorrath versorgt werden, da das nur die Mühe des Fällens und des Transportes der Bäume kostete. Auch Wild gab es in großer Menge. Heurtaux gelang es, in Begleitung des Lieutenants Allotte, verschiedenes Damwild zu erlegen, das dem Koch für den Mittagstisch der Officiere und der Mannschaft sehr willkommen war. Daneben gab es in den Wäldern Wölfe, Füchse und die sehr scheuen und schwierig zu erlangenden Hermeline, denen wegen ihres werthvollen Felles gerade besonders eifrig nachgestellt wurde. Endlich hüpften Eichhörnchen mit stark buschigem Schweife in großer Zahl zwischen den Bäumen umher.

Sein längster Ausflug führte den Doctor Filhiol nach Nanaimo, wohin er sich zu Wasser auf einem kleinen Kutter begeben hatte, der eine regelmäßige Verbindung zwischen den beiden Städten unterhielt. Nanaimo war gegenwärtig freilich mehr ein Marktflecken, dessen Hafen vortreffliche Ankerplätze bot.

Sein Handel ist in ununterbrochener Zunahme begriffen. Die Ausfuhr besteht größtentheils in ausgezeichneter Steinkohle, die nach San Francisco, nach allen Häfen im Westen des Stillen Oceans, ja sogar nach China und den Sandwichinseln verfrachtet wird. Die Hudson Bai-Gesellschaft läßt die reichen Kohlenlager schon seit langer Zeit bearbeiten.

Gerade die Steinkohle – mehr als das Gold – bildet den großen, man könnte sagen unerschöpflichen Reichthum der Insel Vancouver. Ohne Zweifel sind auch weitere ergiebige Lagerstätten davon noch nicht entdeckt. Die von Nanaimo bieten der Ausbeutung keine Schwierigkeit und sichern dem Orte ein ferneres Gedeihen.

Die Gewinnung des Goldes in der Gegend des Caribu im britischen Columbien dagegen kommt recht theuer zu stehen, so daß man vielfach sagt, man müsse zwei Dollars aufwenden, um einen Dollar zu gewinnen.

[86] Als der Doctor Filhiol von diesem Ausfluge zurückkam, war der Rumpf des »Saint Enoch« schon mit einem neuen Anstrich bis hinauf zur Deckleiste versehen, die sich als weißer Streifen von der Bordwand abhob. Auch an den Segeln und dem Takelwerk waren einige Ausbesserungen ausgeführt worden, ebenso wie an den Booten, die durch Schwanzschläge von Walfischen zum Theil arg zugerichtet gewesen waren.

Jetzt wurde das Schiff wieder aus dem Becken geschleppt und legte sich mitten im Hafen noch einmal vor Anker. Seine Abreise wurde auf den 19. Juli festgesetzt.

Zwei Tage vor diesem Termine lief noch ein amerikanisches Schiff in die Bai von Victoria ein und ging eine halbe Kabellänge vom »Saint Enoch« vor Anker.

Es war der »Iving«, der aus der Bai Marguerite zurückkehrte. Der Leser erinnert sich wohl der Beziehungen zwischen seinem Kapitän und dem Kapitän Bourcart, die eben so herzlich waren, wie die zwischen den beiderseitigen Officieren und Mannschaften.

Sobald der »Iving« vertäut war, ließ sich dessen Kapitän Forth nach dem »Saint Enoch« übersetzen, wo ihm, schon aus Erkenntlichkeit für seine guten, so vorzüglich bewährten Rathschläge, der beste Empfang zutheil wurde.

Bourcart, der immer gern höflich war, wollte ihn zum Mittagessen zurückbehalten. Die Essensstunde kam heran, und Forth nahm die Einladung mit der Absicht an, sie am nächsten Tage an Bord des »Iving« zu erwidern.

In der Officiersmesse, wo sich Bourcart, Heurtaux, die beiden Lieutenants, der Doctor Filhiol und der amerikanische Kapitän vereinigt hatten, entwickelte sich eine lebhafte Unterhaltung. Diese betraf zuerst die Vorfälle während der Fahrt der beiden Schiffe von der Bai Marguerite nach der Insel Vancouver. Nachdem Bourcart dann mitgetheilt hatte, wie vortheilhaft er seine Ladung veräußert hätte, fragte er den Kapitän des »Iving«, ob der Walfang nach der Abfahrt des »Saint Enoch« wol noch ergiebig gewesen sei.

»Nein, antwortete Forth, es war nur eine mittelmäßige Campagne, und ich für meinen Theil habe nur ein Viertel meiner Fässer füllen können. Die Wale sind dort kaum jemals so selten gewesen...

– Das erklärt sich, fiel Heurtaux ein, vielleicht daraus, daß die jungen Thiere zu dieser Jahreszeit ihrer Mütter nicht mehr bedurften und wie diese die Bai verlassen hatten, um das offene Meer aufzusuchen.

[87] – Gewiß ist das ein, doch nur ein einzelner Grund, erwiderte Forth. Ich habe aber schon oft den Walfang in der Bai betrieben und erinnere mich nicht, sie jemals gegen Ende Juni so verlassen gefunden zu haben. Dieses Jahr vergingen ganze Tage, ohne daß die Boote ausgesendet werden konnten, obgleich das Wetter schön und die See meist ruhig war. Sie können sich Glück wünschen, Herr Bourcart, den Fang schon in den neuseeländischen Gewässern begonnen zu haben. In der Bai Marguerite hätten Sie keine volle Ladung bekommen.

– Jawohl, stimmte ihm Bourcart bei, um so mehr, als wir dort nur mittelgroße Wale zu Gesicht bekommen haben...

– Eigentlich wohl nur kleine, bemerkte Forth. Wir haben Thiere gefangen, die kaum dreißig Faß Thran lieferten.

– Sagen Sie, Kapitän, haben Sie auch die Absicht, Ihre Ladung auf dem Markte von Victoria abzusetzen?

– Gewiß, wenn hier noch gute Preise bezahlt werden.

– Das ist noch der Fall, und die schlechte Saison in der Bai Marguerite wird sie ja auch nicht zum Sinken bringen. Uebrigens erwartet man auch noch keine Zufuhren von den Kurilen, aus dem Ochotskischen Meere oder aus der Behringstraße.

– Natürlich jetzt noch nicht, meinte Heurtaux, da der Fang dort noch sechs Wochen oder zwei Monate fortdauert...

– Und davon erhoffen wir auch noch einen Antheil für uns! erklärte Romain Allotte.

– Sind denn, Kapitän Forth, fuhr der Lieutenant Coquebert fort, die anderen Walfänger in der Bai Marguerite mehr begünstigt gewesen als gerade Sie?

– O, auch nicht mehr, versicherte Forth. Als dann der »Iving« unter Segel ging, rüsteten sich die meisten anderen Schiffe ebenfalls, aufs hohe Meer hinauszugehen.

– Werden diese sich auch nach den Küsten Asiens wenden?

– Ich glaub' es wohl.

– So wird sich da drüben ja eine recht große Flotte ansammeln! rief der Lieutenant Coquebert.

– O, desto besser! jubelte Romain Allotte. Das ist doch erst eine Lust, wenn man zu Zweien oder Dreien hinter einem Walfisch her ist, wenn man sich ins Zeug legt, daß die Riemen zu brechen drohen. Und welche Ehre für das Boot, das dann zuerst an den Burschen herankommt...

[88] – Gemach, lieber Lieutenant, nur gemach! fiel im Bourcart in die Rede. Jetzt ist noch kein Walfisch in Sicht.

– Sie sind also, nahm Forth des Wort, zu einer zweiten Fangreise entschlossen?

– Ganz bestimmt.

– Und wann fahren Sie ab?

– Uebermorgen.

– Schon übermorgen?

[89] – Der »Saint Enoch« braucht nur noch die Anker zu lichten.


Mit Einbruch der Nacht begab sich Forth wieder nach seinem Schiffe. (S. 91.)

– Dann freut es mich desto mehr, sagte Forth, noch rechtzeitig eingetroffen zu sein, unsere Bekanntschaft zu erneuern, Kapitän, und noch einen Händedruck wechseln zu können.

– Und wir beglückwünschen uns ebenfalls, die freundlichen Beziehungen zu Ihnen wieder haben aufnehmen zu können, antwortete Bourcart. Wenn der »Iving« gerade in die Bai von Victoria eingelaufen wäre, während der »Saint Enoch« sie verließ, hätte das bei uns gewiß großes Bedauern erregt.«

Hierauf wurde vom Kapitän Bourcart und von seinen Officieren die Gesundheit des Kapitäns Forth in einer Weise ausgebracht, die deren lebhafte Sympathie für die amerikanische Nation bezeugte.

»Hätten wir uns übrigens, bemerkte dann Heurtaux, in Victoria nicht wiedergesehen, so hätten der »Saint Enoch« und der »Iving« doch vielleicht für die zweite Campagne in den Gewässern der Kurilen in Verbindung bleiben können?

– Ja freilich, Kapitän! sagte Bourcart. Sie beabsichtigen doch wohl auch, im Norden des Stillen Oceans Ihr Glück noch einmal zu versuchen?

– Das wird mir kaum möglich sein, meine Herren, antwortete Forth, der »Iving« würde auf den Fangplätzen jedenfalls zu spät eintreffen. In zwei Monaten beginnt schon die Eisbildung an der Behringstraße und im Ochotskischen Meere, und leider bin ich außer stande, schnell genug wieder in See zu gehen. Die Reparaturen am »Iving« werden voraussichtlich drei Wochen beanspruchen.

– O, das beklagen wir mit Ihnen, Herr Forth, versicherte der Kapitän Bourcart. Ich möchte aber noch auf einen Punkt zurückkommen, den Sie schon erwähnten und der gewiß einer Aufklärung bedarf.

– Was meinen Sie damit, Kapitän?

– Haben Sie nicht in der letzten Zeit unseres Aufenthaltes in der Bai Marguerite bemerkt, daß die Wale auffallend selten wurden und es eilig zu haben schienen, ins offne Meer zu entweichen?

– Ganz gewiß, Kapitän. Die Thiere entflohen unter sonst nicht gewohnten Umständen. Ich glaube annehmen zu dürfen, daß sie eine außergewöhnliche Gefahr witterten, daß sie einer Empfindung des Schreckens folgten, als ob sie von einer Panik ergriffen wären. Sie erhoben sich weiter über die Wasserfläche und gaben Laute von sich, die ich bis dahin niemals gehört hatte.

– Das ist sehr sonderbar, ließ sich Heurtaux vernehmen, und Sie wissen auch keine Erklärung dafür?

[90] – Nein, meine Herren, erwiderte Forth, wenn nicht etwa ein fabelhaftes Ungeheuer...

– Ah, ich bitte Sie, Kapitän, fiel der Lieutenant Coquebert ein, wenn Meister Cabidoulin, unser Böttcher, Sie hörte, rief' er sicherlich gleich: »Sehen Sie... die große Seeschlange...!«

– Ja, lieber Lieutenant, gab Forth zur Antwort, ob es nun eine Schlange war oder nicht, was sie erschreckt hat, jedenfalls haben sich die Wale in größter Eile zu retten versucht.

– Schade, schade, fiel der Lieutenant Allotte ein, daß man den Canal der Bai Marguerite nicht hat zusperren können, um noch ein Dutzend von den Burschen einzufangen!

– Ich muß zugeben: daran hat allerdings niemand gedacht, antwortete Forth. Unsere Boote wären da wohl auch nicht ohne größere Beschädigung, vielleicht nicht ohne Menschenverluste davongekommen. Ich wiederhole aber, irgend etwas Ungewöhnliches ist dabei im Spiele gewesen.

– Da fällt mir ein, fragte jetzt Bourcart... was ist denn aus dem englischen Schiffe, dem »Repton« geworden? Hat es einen besseren Fang gehabt, als die anderen?

– Soweit ich es habe beobachten können, auch nicht, Kapitän.

– Meinen Sie, daß es noch in der Bai Marguerite zurückgeblieben ist?

– Es bereitete sich eben zur Abfahrt, als der »Iving« unter Segel ging...

– Um wohin zu steuern?

– Nach dem, was ich gehört habe, um seine Campagne im Nordwesten des Stillen Oceans fortzusetzen.

– Nun, meinte Heurtaux, ich wünschte wenigstens, es bliebe uns erspart, ihm noch einmal zu begegnen!«

Mit Einbruch der Nacht begab sich Forth wieder nach seinem Schiffe, wo er am nächsten Tage Bourcart nebst seinen Officieren gastlich empfing. Wiederholt kam da die Rede auf Verschiedenes, was sich in der Bai Marguerite zugetragen hatte. Als sich endlich die beiden Kapitäne von einander verabschiedeten, geschah es in der Hoffnung, daß der »Saint Enoch« und der »Iving« in Zukunft auf den Fangplätzen wieder zusammentreffen würden.

[91]

7. Capitel

Siebentes Capitel.
Die zweite Campagne.

Der Kapitän Bourcart fuhr am Morgen des 19. Juli ab. Als der Anker gelichtet war, konnte das Schiff nur mit Mühe aus der Bai hinaussteuern. Der Wind, der eben aus Südosten kam, war ihm außerdem hinderlich und konnte erst ausgenutzt werden, wenn der »Saint Enoch« nach Umsegelung der letzten Spitzen von Vancouver einige Meilen draußen in der offenen See war.

Das Fahrzeug hatte jetzt übrigens nicht die Juan de Fucastraße gewählt, der es beim Einfahren in den Hafen gefolgt war; es steuerte vielmehr in nordwestlicher Richtung durch den Königin Charlottensund und den Georgsbusen. Am zweiten Tage und nachdem es die Nordküste der Insel hinter sich gelassen hatte, steuerte es westwärts und hatte noch vor dem Abend das Land aus dem Gesichte verloren.

Die Entfernung zwischen Vancouver und der Gruppe der Kurilen kann etwa auf fünfzehnhundert Lieues geschätzt werden. Unter günstigen Umständen kann sie ein Segler wohl binnen fünf Wochen zurücklegen. Auch Bourcart hoffte, wenn das Glück ihm günstig blieb, nicht mehr Zeit auf die Ueberfahrt zu verwenden.

Jedenfalls begann die Reise wenigstens unter den günstigsten Verhältnissen. Bei der aufgesprungenen frischen Brise und dem nur von langen, dünungsartigen Wellen bewegten Meere, konnte der »Saint Enoch« alle seine Segel führen. Unter Backbordhalfen glitt er langsam schaukelnd nach Westnordwesten hin. Wurde sein Curs hierdurch auch etwas verlängert, so vermied er dabei doch die Pacifische Strömung, die nach Osten hin und dann längs der Kette der Alëuteninseln verläuft.

Die Fahrt verlief im ganzen ohne jede Widerwärtigkeit. Nur von Zeit zu Zeit waren die Schoten ein wenig anzuziehen oder nachzulassen. Die Mannschaft war also voraussichtlich frisch und bereit für die beschwerliche Fangfahrt, die ihr im Ochotskischen Meere bevorstand.

Die meiste Arbeit an Bord fiel immer Jean-Marie Cabidoulin zu. Er hatte die richtige Aufstellung der Fässer im Frachtraume zu besorgen, die Hilfsapparate nachzusehen und die Schläuche und Baljen zu untersuchen, mittels der [92] der Thran hinuntergeleitet werden sollte. Denn wenn sich die Gelegenheit böte, einen Wal zu erlegen, ehe der »Saint Enoch« an der sibirischen Küste eintraf, wollte der Kapitän Bourcart sich diese nicht entgehen lassen.

»Zu wünschen wär' es wahrlich, Herr Filhiol, sagte er eines Tages zu dem Arzte. Die Jahreszeit ist schon ziemlich vorgeschritten und über mehr als einige Wochen werden wir den Fang im Ochotskischen Meere nicht ausdehnen können. Bald genug dürften sich Eisschollen bilden, die die Schiffahrt doch gar zu sehr erschweren.

– Mich verwundert es immer, bemerkte der Doctor, daß die Walfänger bei der kurzen Zeit, die sie zur Verfügung haben, noch immer in der ursprünglichen alten Weise zu Werke gehen. Warum benützen sie keine Dampfschiffe und Dampfbarcassen und vor allem keine verbesserten Angriffswaffen und Fanggeräthe? Dadurch müßte doch ein weit höherer Ertrag erzielt werden.

– Sie haben ja recht, lieber Doctor, und glauben Sie, das wird schon in Zukunft noch kommen. Wir sind bis jetzt freilich bei unserem alten Schlendrian geblieben. Die zweite Hälfte des Jahrhunderts wird jedoch nicht verstreichen, ohne daß man sich dem Fortschritte, der sich ja in allen Dingen fast aufdrängt, auch hierin fügen wird.

– Das glaub' ich auch, Kapitän; der Fang wird dann mit vervollkommneten Hilfsmitteln betrieben, wenigstens wenn man nicht bei dem Seltenerwerden der Walfische darauf zukommt, sie zu züchten und einzuhegen.

– Ein Walfischgehege! rief Bourcart.

– Nun, ich spreche jetzt im Scherz, gestand der Doctor Filhiol, und doch kannte ich einen, der diesen Gedanken im Ernst ausgesprochen hat.

– Wäre das möglich?

– Jawohl, die Wale in einer Bai einhegen, wie man die Kühe in einem Pferch unterbringt. Da hätte ihre Ernährung nichts gekostet und man hätte sogar ihre Milch mit Vortheil verkaufen können.

– Ihre Milch verkaufen, Doctor?

– Gewiß, denn die ist scheinbar ebenso gut wie die der Kuh.

– Wie sollten die Thiere aber gemolken werden?

– Ja, das wußte mein Bekannter freilich auch nicht, und deshalb hat er den ganzen wunderbaren Plan fallen lassen.

– Und daran sehr klug gethan, erklärte Bourcart herzlich auflachend. Doch, um auf den »Saint Enoch« zurückzukommen, ich habe Ihnen schon [93] erklärt, daß er die Campagne im Norden des Stillen Oceans nicht lange wird fortsetzen können, und daß wir schon Anfang October zur Rückkehr genöthigt sein werden.

– Und wo soll der »Saint Enoch« überwintern, wenn er das Ochotskische Meer verlassen hat?

– Das weiß ich selbst noch nicht.

– Wie... das wissen Sie nicht?

– Nein, das wird von den Umständen abhängen, lieber Doctor. Einen Plan vorzeitig zu entwerfen, das führt oft zu ärgerlicher Enttäuschung.

– Haben Sie nicht auch schon in den Gewässern jenseits der Behringstraße gefischt?

– Jawohl, dort hab' ich aber mehr Robben als Wale gefunden. Der Winter tritt im Arktischen Meere auch überaus zeitig ein, und schon in den ersten Wochen des Septembers wird die Schiffahrt dort durch Eis erschwert. Ich denke also dieses Jahr nicht über den sechzigsten Breitengrad hinauszugehen.

– Einverstanden, Kapitän; doch wird der »Saint Enoch«, wenn sich der Fang im Ochotskischen Meere ergiebig gestaltet hätte, dann nach Europa zurücksegeln?

– Nein, lieber Doctor; meiner Ansicht nach wird es vorzuziehen sein, den Thran in Vancouver zu verkaufen, da er dort jedenfalls noch sehr gut bezahlt wird.

– Und denken Sie ebenda den Winter zuzubringen?

– Wahrscheinlich, schon um zu Anfang der nächsten Saison den Fangplätzen näher zu sein.

– Man muß jedoch alles ins Auge fassen, fuhr der Doctor Filhiol fort. Gedächten Sie, wenn der »Saint Enoch« im Ochotskischen Meere nicht vom Glück begünstigt würde, die Rückkehr der schönen Jahreszeit gleich dort abzuwarten?

– Nein, das nicht... obwohl man in Nikolajewsk und in Ochotsk recht gut überwintern kann. In diesem Falle würde ich mich lieber entschließen, wieder nach der Küste Amerikas oder selbst nach Neuseeland zu gehen.

– Wir können also, Kapitän, auf keinen Fall darauf rechnen, noch dieses Jahr nach Europa zurückzukommen?

– Nein, lieber Doctor; das braucht Sie auch nicht zu wundern. Es ist selten, daß unsere Reisen nicht vierzig bis fünfzig Monate dauerten. Die Mannschaft weiß schon, woran sie in dieser Beziehung ist.

[94] – O, und Sie können glauben, Kapitän, daß auch mir die Zeit nicht lang werden wird. Wie weit sich die Campagne auch ausdehnen möge, ich werde es niemals bedauern, mich auf dem »Saint Enoch« eingeschifft zu haben!«

Selbstverständlich hatten die Wachen von den ersten Tagen an ihre Posten wieder bezogen und das Meer wurde unablässig scharf im Auge behalten. Zweimal des Vormittags und zweimal des Nachmittags begab sich auch der Lieutenant Allotte zum Ausguck nach den Marsen. Manchmal bemerkte man aufsteigende Wassersäulen, die das Vorhandensein von Cetaceen verriethen, doch leider in zu großer Entfernung, als daß Bourcart die Boote hätte danach aussenden können.

Die Hälfte der Fahrstrecke war binnen siebzehn Tagen ohne jeden Zwischenfall zurückgelegt worden, und am 5. August bekam der Kapitän Bourcart die Alëuten in Sicht.

Diese Inseln, die jetzt zu Nordamerika gehören, bildeten jener Zeit noch einen Theil des Russischen Reiches, das damals auch noch die große Provinz Alaska besaß, deren natürliche Fortsetzung die Alëuten bilden. Die lange Inselkette dehnt sich fast über zehn Längengrade aus und enthält nicht weniger als fünfzig vereinzelte Glieder. Man theilt sie allgemein in drei Gruppen, in die eigentlichen Alëuten, die Andreanow und die Lisii. Darauf leben einige tausend Bewohner, meist nur auf den umfänglichsten Inseln des Archipels, wo sie der Jagd und dem Fischfange obliegen und auch Handel mit Pelzfellen betreiben.

Der »Saint Enoch« hatte Umanak, eine der großen Inseln, in fünf Seemeilen Entfernung gepeilt. Von dieser sah man deutlich den neuntausend Fuß hohen Vulcan Chichaldinskoï, der gerade in vollem Ausbruche war. Bourcart hielt es nicht für rathsam, näher heranzusegeln, da er bei dem herrschenden Westwinde fürchten mußte, dort ein stark aufgeregtes Meer anzutreffen.

Die Gruppe der Alëuten schließt im Süden das Behringsmeer ab, das von Amerika mit der Küste von Alaska im Osten und von Asien mit der Küste von Kamtschatka begrenzt wird. Diese Gruppe zeigt die Eigenthümlichkeit, einen mit der convexen Seite nach dem offenen Meere hinaus liegenden, flachen Bogen zu beschreiben... eine Eigenthümlichkeit, die, der geometrischen Anordnung nach, auch bei den Kurilen, den Liu-Khieu, den Philippinen und bei der Landveste Japans angetroffen wird.

Im Verlaufe der Fahrt konnte der Doctor Filhiol mit dem Blicke den launischen Grenzlinien dieses, mit vulkanischen Bergkegeln übersäten Archipels folgen, an dem ein Anlaufen in der schlechten Jahreszeit ernsthafte Gefahren bietet.

[95] Längs seiner Convexität hatte der »Saint Enoch« widrige Winde vermeiden können. Von einer stetigen Brise begünstigt, hatte er nur noch einen der Aeste der Kuro-Sivotrift zu durchschneiden, der mehr in der Nähe der Kurilen in nordöstlicher Richtung nach der Behringstraße zu verläuft.

Als der »Saint Enoch« am letzten Eiland der Alëuten vorübergekommen war, fand er einen nordöstlichen Wind. Das war sehr vortheilhaft für ein Fahrzeug, das einen südwestlichen Curs nach den Kurilen einschlagen wollte. Nachdem diese Gruppe passiert war, rechnete Bourcart darauf, die äußerste Spitze Kamtschatkas etwa in vierzehn Tagen zu erreichen.

An der Oeffnung des Behringsmeeres erhob sich aber plötzlich ein furchtbarer Windstoß, dem ein weniger fest gebautes und weniger geschickt geführtes Schiff vielleicht kaum hätte widerstehen können. An die Aufsuchung einer geschützteren Stelle in einer Bucht der Alëuteninseln war gar nicht zu denken, denn da hätten die Anker schwerlich sicher genug gefaßt und das Fahrzeug wäre an den Klippen daselbst zertrümmert worden.

Der von Blitzen begleitete und mit Regen und Hagel auftretende Sturm hielt achtundvierzig Stunden lang an. In der ersten Nacht wäre das Schiff beinahe auf die Seite gelegt worden, da der Sturmwind aber immer rasender heulte, waren fast alle Segel eingebunden worden und es lief nur noch vor dem Fock-und dem Marssegel.

Während dieses furchtbaren Unwetters lernte der Doctor Filhiol die Kaltblütigkeit des Kapitäns Bourcart und seiner Officiere bewundern, ebenso wie die Gewandtheit und Willigkeit der Mannschaft. Dem Meister Ollive sprach er seine höchste Anerkennung aus für die Schnelligkeit und Sicherheit, womit er alle Manöver leitete. Es hatte übrigens wenig gefehlt, so wären die Boote von Steuerbord, obwohl man die Dävits nach einwärts gedreht hatte, zerschmettert worden, wenn bei den heftigen Gierschlägen das Schiff so weit geneigt wurde, daß die Speigatten ins Meer tauchten.

Natürlich konnte sich der »Saint Enoch« unter diesen Verhältnissen nicht in seinem Curse halten, er mußte vielmehr vor dem Sturme, und zwar einen vollen Tag, vor Topp und Takel fliehen. Doch auch das ist sehr gefährlich, denn einem Schiffe droht dabei, »vom Meere verzehrt« zu werden. Wenn es nämlich vor dem Winde schnell dahinläuft, hat sein Steuerruder keine Wirkung mehr, und es ist sehr schwierig zu verhindern, daß es bald über Steuerbord und bald über Backbord geworfen wird. Dann ist auch das herausstürzende Wasser [96] am meisten zu fürchten, weil es das Schiff nicht an dem zu besserem Widerstande geeigneten Bug, sondern vom Heck her angreift, das gegen den Ansturm der Wogen weniger gerüstet ist.

Wiederholt fegten große Wassermengen gurgelnd und schäumend über das Deck des »Saint Enoch« hinweg. Die Mannschaft hielt sich schon bereit, die Schanzkleidung einzuschlagen, um deren Ablaufen zu erleichtern. Zum Glück genügten dazu die Speigatten, und die Lukendeckel, die sorgsam befestigt waren, wichen nicht von ihrer Stelle. Die am Steuerruder unter der Leitung des [97] Meisters Ollive stehenden Leute, konnten auch die Richtung nach Westen einigermaßen einhalten.

Der »Saint Enoch« kam auch diesmal ohne ernsthaftere Havarien davon. Der Kapitän Bourcart hatte nur den Verlust einer Bugsprietstenge zu beklagen, die man am Hintertheile anzubringen versucht hatte und an der bald nur noch formlose Fetzen hingen, die bei dem Wüthen des Sturmes wie mit Peitschengeknall an das Holz schlugen. Nach diesem vergeblichen Versuche, gegen den Wind aufzukommen, hatte sich der Kapitän erst entschlossen, vor diesem zu fliehen.

In der Nacht vom 10. zum 11. August nahm der Sturm allmählich ab. Fast mit dem Tagesanbruche konnte der Meister Ollive schon einige Segel setzen lassen.


Das Ungeheuer blieb unbeweglich. (S. 103.)

Zu befürchten war nur noch, daß der Wind nach Westen umspringen könnte, wo der »Saint Enoch« jetzt beinahe noch achthundert Seemeilen vom asiatischen Lande entfernt war. Dann hätte das Schiff gegen den Wind anlaufen müssen und seine Fahrt wäre beträchtlich verlangsamt worden. Beim Lavieren lag überdies die Gefahr nahe, in die schnelle Strömung der Kuro-Sivatrift zu gerathen und nach Nordosten verschlagen zu werden, was dann vielleicht die Campagne im Ochotskischen Meere überhaupt in Frage stellte.

Das machte dem Kapitän die meiste Sorge. Konnte er sich auf die Festigkeit seines Schiffes und auch auf die Tüchtigkeit seiner Officiere verlassen, so erfüllte ihn doch die Besorgniß, diesen Umschlag des Windes eintreten zu sehen, was sein Eintreffen an den Kurilen stark verzögert hätte.

»Sollte uns das Glück wirklich den Rücken kehren und die Prophezeihungen des Unglücksvogels Cabidoulin zur Wahrheit werden lassen? wiederholte er mehrmals.

– O, der weiß ja gar nicht, was er schwätzt, erwiderte der Oberbootsmann Ollive, und er würde besser thun, seine Zunge zu verschlucken! Das strömt ihm aber aus dem Munde wie der Strahl eines Walfisches aus den Spritzlöchern! Er wirft nur immer alles blutig gefärbt aus, der Unglücksrabe!«

Der wackere Oberbootsmann fühlte sich im höchsten Grade befriedigt durch diese von ihm gegebene Antwort.

Eine Verzögerung, und wenn sie nur vierzehn Tage betrug, war von großer Bedeutung. Schon Anfang September entstehen im Ochotskischen Meere [98] die ersten Eisschollen, und gewöhnlich halten sich die Walfische in diesem nur bis zum Eintritt des Winters auf.

Als der Sturm vorüber war, vergaßen doch alle schnell, daß der »Saint Enoch« ein- oder zweimal dem Untergange nahe gewesen war, und der Spötteleien über Jean-Marie Cabidoulin wurden immer mehr und mehr.

»Siehst Du, Alterchen, redete Meister Ollive ihn an, das bist Du gewesen, der uns dieses Hundewetter über den Hals gebracht hat, und wenn aus unserer Campagne nichts würde, trägst Du allein die Schuld daran!

– Oh, erwiderte der Tonnenbinder, es hätte ja niemand zu kommen brauchen, mich aus meiner Werkstatt in der Rue des Tourettes herauszulootsen und an Bord des »Saint Enoch« zu schaffen...

– Jawohl, Cabidoulin, hast am Ende recht; doch wenn ich der Kapitän Bourcart wäre, wüßt' ich ganz genau, was ich thäte...

– Und was thätest Du denn?

– Nun, ich bände Dir eine Kugel an jeden Fuß und ließe Dich über Bord werfen...

– Vielleicht könnte mir gar nichts besseres widerfahren! antwortete Jean-Marie Cabidoulin mit ernster, tonloser Stimme.

– Der Teufel zöge ihn doch wieder heraus! rief Meister Ollive. Darum spricht er das so ernsthaft!

– Nein, weil es voller Ernst ist, und Du wirst ja noch sehen, welches Ende die Campagne nimmt!«

Mochte die Zukunft nun Jean-Marie Cabidoulin recht geben oder nicht, jedenfalls kam die Mannschaft während der Fahrt nach den Kurilen nicht dazu, den Schmelzofen anzufeuern. Die Wachhabenden bemühten sich fast ganz vergebens, Cetaceen zu erspähen, denn solche zeigten sich nur sehr selten und obendrein stets in großer Entfernung. Eigentlich hielten sich die Thiere zu dieser Jahreszeit gern an den Zugängen zum Behringsmeere auf; hier tummelten sich sonst riesige Balänopteren (Finnfische), dreißig Meter lange Jubarte, Culammaks und Umgulliks, die gar bis fünfzig Meter lang werden. Was war nun der Grund, daß sie jetzt hier fehlten?

Weder Bourcart noch Heurtaux konnten diese Frage richtig beantworten. Vielleicht waren die Thiere in den arktischen Meeresgebieten gar zu hitzig verfolgt worden und hatten sie, wie es erst später der Fall sein sollte, schon in den antarktischen Meeren Zuflucht gesucht.

[99] »Ach nein... nein! rief der Lieutenant Allotte. Was wir hier nicht vor den Kurilen finden, das werden wir hinter diesen antreffen. Dort drüben im Ochotskischen Meere erwarten uns der Walfische soviel, daß man das ganze Meeresbecken mit ihrem Thran anfüllen könnte!«

Wenn die überschwänglichen Erwartungen des Lieutenants sich vielleicht auch erfüllen sollten, war es doch nicht minder gewiß, daß es jetzt kein einziges Mal Gelegenheit gab, die Fangboote auszusenden. Ja man sah nicht einmal irgend ein anderes Schiff, und doch pflegen die Walfänger die hiesige Gegend im Monat August sonst noch nicht verlassen zu haben. Vielleicht befanden sie sich aber doch schon auf dem Ochotskischen Meere, wo es nach der Ansicht des Lieutenants von Spritzwalen wimmeln sollte. Vielleicht war darunter auch der »Repton«, der nach dem, was der Kapitän Forth gehört hatte, ja die Bai Marguerite verlassen haben und nach den nordwestlichen Theilen des Stillen Oceans gesegelt sein sollte.

»Mag sein, sagten die Matrosen; doch wenn er auch einen guten Fang gemacht hat, alles wird er nicht weggeschnappt haben, und für den »Saint Enoch« werden schon noch einige Walfische übrig geblieben sein!«

Die Besorgniß vor einem Umschlagen des Windes hatte sich zum Glück nicht erfüllt. Nach vierundzwanzigstündiger Stille sprang wieder ein Südostwind auf, der mehrere Tage gleichmäßig anhielt. Schon zeigten sich vereinzelt Seevögel – von den Arten, die bis einige hundert Meilen weit vom Lande hinausschwärmen – in der Nähe des Schiffes und setzten sich zuweilen zum Ausruhen auf die Spitzen der Raaen. Unter Backbordhalfen und mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von acht bis neun Knoten glitt der »Saint Enoch« seines Weges dahin. Die Fahrt verlief in einer Weise, daß der Kapitän Bourcart gewiß keine Ursache zu klagen hatte.

Am 21. August ergab das Besteck nach den zwei Beobachtungen um zehn Uhr und zu Mittag hundertfünfundsechzig Grad siebenunddreißig Minuten der Länge und neunundvierzig Grad dreizehn Minuten der Breite.

Gegen ein Uhr standen der Kapitän und seine Officiere auf dem Hinterdeck beisammen. Leicht nach Steuerbord überliegend, ließ der »Saint Enoch« ein flaches Kielwasser hinter sich, das schnell unter dem Heckbalken hervorwirbelte.

Plötzlich rief der zweite Officier:

»Da... was seh' ich denn da draußen?«...

[100] Alle Blicke wendeten sich luvwärts vom Schiffe hinaus nach einem langen dunkeln Streifen, der eine merkwürdige, kriechende Bewegung zeigte.

Mit Hilfe des Fernrohrs ließ sich erkennen, daß der Streifen zweihundertfünfzig bis dreihundert Fuß lang sein mochte.

»Sapperment! rief der Lieutenant Allotte scherzend, sollte das etwa Meister Cabidoulin's berühmte große Seeschlange sein?«

Zur gleichen Zeit stand auf dem Vorderkastell, die Hand über den Augen, der Unglücksprophet, der Böttcher, und starrte ohne ein Wort zu äußern in derselben Richtung hinaus.

Jetzt kam auch der Doctor Filhiol nach dem Hinterdeck und der Kapitän Bourcart sagte, indem er ihm das Fernrohr hinreichte:

»Bitte... sehen Sie einmal dorthin...

– Das ähnelt ja einem Risse, worüber zahllose Vögel umherschwärmen, meinte der Doctor Filhiol nach aufmerksamer Betrachtung der Erscheinung.

– An dieser Stelle ist mir kein Riff bekannt, erklärte Bourcart.

– Uebrigens, setzte der Lieutenant Coquebert hinzu, unterliegt es keinem Zweifel, daß jener Streifen sich fortbewegt.«

Fünf oder sechs Matrosen umringten den Böttcher, der noch immer stumm blieb.

Da fragte ihn der Oberbootsmann lächelnd:

»Na, Alterchen.. ist sie das etwa?«

Statt jeder Antwort machte Jean-Marie Cabidoulin eine Handbewegung, die offenbar »Vielleicht!« bedeuten sollte.

Das Ungeheuer – wenn es ein solches war –, die Schlange – wenn es eine Schlange war – bewegte sich, nahezu drei Meilen luvwärts vom »Saint Enoch«, wellenartig an der Wasserfläche hin. Sein Kopf – wenn es ein Kopf war – schien mit einer dicken Mähne ausgestattet zu sein, wie sie in norwegischen und anderen Sagen den Kraken, den Calmars (einer Art ungeheuerer Tintenfische) und anderen Wundergeschöpfen des Meeres zugeschrieben wird.

Sicherlich hätte auch der stärkste Walfisch dem Angriffe eines solchen Seeungeheuers nicht widerstehen können. Sein Vorhandensein in dieser Gegend erklärte es vielleicht, daß die Wale von hier schon verschwunden waren. Selbst ein Fahrzeug von fünf- bis sechshundert Tonnen hätte sich der Umschlingung durch ein so wunderbares Geschöpf wohl kaum entwinden können.

Da ertönte wie aus einem Munde von der Mannschaft der Schreckensruf:

»Die Seeschlange!... Die große Seeschlange!«

[101] Alle sahen unverwandt nach dem betreffenden Ungeheuer hin.

»Kapitän, fragte jetzt der Lieutenant Allotte, wären Sie nicht begierig, zu wissen, ob das Thier da draußen ebensoviel Thran liefert wie ein Spritzwal?... Ich wette auf zweihundert Faß, wenn wir es einfangen können!«

Von der Minute an, wo das Thier zuerst bemerkt worden war, hatte es sich jetzt – ohne Zweifel der Strömung folgend – dem Schiffe etwa um eine halbe Seemeile genähert. Man unterschied nun deutlicher seine Ringe, die sich wurmartig fortbewegten, seinen Schwanz, dessen Ende sich abwechselnd hob und senkte, und den mächtigen Kopf mit der struppigen Mähne, aus dem jedoch kein mit Luft gemengter Wasserstrahl, wie aus dem der Cetaceen, hervorsprudelte.

Auf die von dem Lieutenant gestellte und wiederholte Frage, ob die Boote klar gemacht werden sollten, hatte der Kapitän Bourcart noch keine Antwort gegeben.

Da sich Heurtaux und Coquebert aber dem Gesuche des Lieutenants angeschlossen hatten, gab Bourcart, nach leicht erklärlichem Zögern, den Befehl, zwei Boote aufs Wasser zu setzen, doch nicht um das Ungeheuer anzugreifen, sondern es nur mehr in der Nähe zu beobachten, da der »Saint Enoch« sich ihm nur langsam aufkreuzend hätte nähern können.

Als der Böttcher die Leute beschäftigt sah, die Boote niederzulassen, trat er an den Kapitän Bourcart heran und sagte tieferregt:

»Kapitän... Kapitän Bourcart... Sie wollten wirklich...

– Jawohl, Meister Cabidoulin, ich will wissen, woran wir uns zu halten haben.

– Ist das auch klug und weise?

– Gleichviel, es geschieht!

– Gehst Du nicht mit?« fragte Meister Ollive noch den Böttcher.

Dieser begab sich ohne zu antworten nach dem Vorderdeck zurück. Die anderen hatten schon so oft über »seine Seeschlange« gespöttelt, daß er dieses Zusammentreffen, das ihm seiner Ansicht nach recht geben müßte, vielleicht gar nicht bedauerte.

Die beiden Boote, jedes mit vier Matrosen an den Riemen, in dem einen der Lieutenant Allotte mit dem Harpunier Ducrest, in dem anderen der Obersteuermann Heurtaux mit dem Harpunier Kardek, warfen ihre Leinen los und steuerten auf das räthselhafte Thier zu. Der Kapitän hatte aber ausdrücklich befohlen, nur mit äußerster Vorsicht zu Werke zu gehen.

[102] Bourcart, Coquebert, der Doctor Filhiol und Meister Ollive blieben zur Beobachtung auf dem Hinterdeck, während das Schiff jetzt gegengebraßt hatte. Der Böttcher, der Schmied, der Zimmermann, die beiden anderen Harpuniere, der Tafelmeister, der Koch und die noch übrigen Matrosen standen auf dem Vorderdeck. Bei den Leichtmatrosen, die sich auf die Schanzkleidung lehnten, mischte sich die Neugier doch mit etwas ängstlicher Besorgniß.

Alle Augen folgten den Booten. Diese ruderten langsam vorwärts, befanden sich aber doch bald nur um eine halbe Kabellänge von dem merkwürdigen Thiere entfernt, und jedermann erwartete, daß dieses sich plötzlich aufbäumen werde.

Das Ungeheuer blieb unbeweglich, sein Schwanz peitschte nicht einmal das Wasser.

Dann sah man die Boote dicht neben ihm hinstreichen und Leinen darüber werfen, ohne daß es eine Bewegung machte, und schließlich nahmen es die Boote gar ins Schlepptau, um es nach dem Schiffe zu bugsieren.

Es war kein Seethier, sondern ganz einfach eine riesige Alge, deren Wurzeln den vermeintlichen Kopf bildeten, ähnlich dem ungeheueren pflanzlichen Bandstreifen, dem der »Peking« im Jahre 1848 im Stillen Ocean begegnet war.

Da rief der Meister Ollive dem Böttcher spöttischen Tones zu:

»Na, da ist es ja, Dein Ungeheuer... Deine berühmte Seeschlange!... Ein Haufen Pflanzen... eine Sargassomasse!... Wirst Du Deinen Glauben nun nicht endlich ablegen?

– Ich glaube, was ich glaube, entgegnete Jean-Marie Cabidoulin frostig, und Ihr werdet früher oder später schon noch dasselbe glauben lernen!«

8. Capitel

Achtes Capitel.
Das Ochotskische Meer.

Die Kurilen, die an Zahl den Alëuten nachstehen, sind zum größten Theile unbewohnte Eilande. Drei oder vier davon können jedoch als Inseln angesehen werden, nämlich Paramuchir, Owekotan, Uchichir und etwa noch Matua. Ziemlich [103] gut bewaldet, haben diese auch fruchtbaren Boden. Die anderen sind felsig und sandig, zu jeder Cultur ungeeignet, und deshalb ganz unfruchtbar und öde.

Ein Theil der Gruppe gehört zum Kaiserthum Japan als natürliche Fortsetzung seines Gebietes, der nördliche Theil ist ein Zubehör der russischen Provinz Kamtschatka, und seine kleinen, stark behaarten Bewohner sind unter dem Namen Kamtschadalen bekannt.

Bourcart beabsichtigte nicht, sich an dieser Gruppe aufzuhalten, wo er nichts zu thun hatte. Ihn drängte es vielmehr, die das Ochotskische Meer im Süden und Südosten abschließende Inselkette hinter sich zu haben, um seine zweite Campagne beginnen zu können.

Indem der »Saint Enoch« das Cap Lopatka am Ende der kamtschadalischen Halbinsel umschiffte und Paramuchir an Backbord liegen ließ, gelangte er am 23. August durch die Kurilenstraße, von Vancouver nach einer Fahrt von sechsundreißig Tagen, in die sibirischen Gewässer.

Bei dem Passieren der Meerenge kam es zu einem leichten Unfalle, der jedoch auch hätte von weit ernsteren Folgen sein können.

Das Schiff befand sich gerade an der schmalsten Stelle der Straße, als sein Vordertheil unter dem Einflusse der Strömung auf eine Untiefe stieß, deren Lage auf der Karte offenbar unrichtig angegeben war.

Der Kapitän Bourcart befand sich gerade beobachtend auf dem Hinterdeck neben dem Steuermanne, und der Obersteuermann stand an der Schanzkleidung an Backbord.

Sobald der, übrigens leichte Stoß erfolgte, ertönte der Befehl:

»Die Marssegel gegenbrassen!«

Die Matrosen eilten nach den Tauen und stellten die Raaen in der Weise ein, daß der Wind die Segel von der Kehrseite fassen konnte, damit der »Saint Enoch« rückwärts treibend vom Grunde frei kommen könnte.

Der Kapitän überzeugte sich aber sofort, daß diese Maßregel unzureichend war. Es mußte noch rückwärts ein Anker ausgelegt werden, um das Schiff an diesen heran zu winden.

Sofort wurde das kleine Boot mit einem Wurfanker aufs Meer gesetzt. Dem Lieutenant Coquebert nebst zwei Leichtmatrosen fiel die Aufgabe zu, diesen an einer geeigneten Stelle auf den Grund fallen zu lassen.

Der Stoß war, wie gesagt, nicht stark gewesen, und ein so fest gebautes Fahrzeug, wie der »Saint Enoch«, konnte dadurch nicht ernstlich Schaden nehmen.


Ein mit Lanze und Harpune bewaffneter Mann stand Wache. (S. 115)

[104] [107]Ueberdies war das Auflaufen bei Niederwasser erfolgt, so daß das Schiff, das der Anker weiter auf den Sand zu treiben hinderte, mit der Fluth wahrscheinlich allein wieder flott werden mußte.

Bourcart's erste Sorge bei dem Unfall war es gewesen, den Bootsmann und den Zimmermann an die Pumpe zu beordern. Beide überzeugten sich aber bald, daß das Schiff kein Wasser zog. Weder an der Schiffswand noch an dem Gerippe zeigte sich auch nur die kleinste Beschädigung.

Nun galt es also nur, die Fluth abzuwarten, die auch bald eintrat, und nach einigem Schürfen des Kiels auf dem Grunde kam der »Saint Enoch« von der Untiefe los. Sofort wurden seine Segel richtig eingestellt und eine Stunde später lief er auf das Ochotskische Meer ein.

Die Wachen bezogen jetzt wieder ihren Posten auf den Marsen des Groß- und des Fockmastes, um jeden Spritzwal zu melden, der in geeigneter Entfernung auftauchte. Niemand zweifelte hier an einem ebenso guten Erfolge, wie man ihn in der Bai Marguerite und bei Neuseeland gehabt hatte. Vor Ablauf von zwei Monaten hofften alle, der »Saint Enoch« werde wieder in Vancouver eingetroffen sein und seine zweite Ladung zu gleich hohem Preise wie die erste verkauft haben.

Der Himmel war ziemlich klar. Von Südost her wehte eine leichte Brise. Das Meer hob und senkte sich in langen, nicht überbrechenden Wellen, so daß der Lauf des Schiffes in keiner Weise behindert war.

Da und dort zeigten sich verschiedene Fahrzeuge, in der Mehrzahl Walfänger. Wahrscheinlich beuteten sie diese Gegend schon einige Wochen aus und setzten ihren Fang auch noch bis zum Eintritt des Winters fort. Die anderen Schiffe steuerten entweder nach Nikolajewsk, nach Ochotsk oder Ayan, den bedeutendsten der hiesigen Häfen, oder sie kamen daher, in Begriff in See zu gehen.

Schon zu jener Zeit bildete Nikolajewsk, die Hauptstadt der Provinz und nahe der Ausmündung des gleichnamigen großen Stromes, einen wichtigen Platz, dessen Handelsbeziehungen sich von Jahr zu Jahr ausbreiteten. Es hat einen gut geschützten Hafen an der tatarischen Meerenge, die das Festland von der Insel Sacchalin trennt.

Vielleicht erschien die Strandung des »Saint Enoch« Jean-Marie Cabidoulin als Einleitung zu weiteren Unglücksfällen, und wenn das der Böttcher auch nicht geradezu aussprach, so hätte man ihn doch keineswegs darum zu drängen brauchen.

[107] Der Anfang dieser Campagne im Ochotskischen Meere war ja auch thatsächlich kein glückverheißender zu nennen.

Schon am ersten Morgen wurde ein Walfisch – ein Spritzwal – in der Entfernung von zwei Meilen beobachtet, und Bourcart ließ alle vier Boote bemannen, um ihn zu fangen. Seine Verfolgung erwies sich aber als verfehlt, denn es war unmöglich, das Thier, als dieses dreimal untergetaucht war, überhaupt wieder zu entdecken.

Am nächsten Tage der gleiche Versuch mit dem gleichen Mißerfolge. Die Boote kehrten an Bord zurück, ohne daß die Harpuniere ihre Waffe hatten schleudern können.

An Walfischen fehlte es in diesem Meere also offenbar nicht, denn die Wachen meldeten deren bald noch mehrere, nur waren diese sehr wild oder sehr scheu, denn jedenfalls konnte man nicht an sie herankommen. Daß die anderen Schiffe mehr begünstigt wären, ließ sich auch kaum glauben.

Die Mannschaft wurde unter diesen Verhältnissen natürlich recht verstimmt und ärgerlich. Mehr als jeder andere zeterte darüber aber der Lieutenant Allotte, und es war sehr zu befürchten, daß der Hitzkopf sich, trotz der wiederholten Warnungen Bourcart's, gegebenen Falls zu Unklugheiten verleiten lassen möchte.

Der Kapitän beschloß nun, mit dem »Saint Enoch« nach den Chantarinseln zu gehen, wo er sich schon zweimal mit vortrefflichem Erfolge aufgehalten hatte.

Drei Monate früher würden die Walfänger im Ochotskischen Meere noch die letzten Eisschollen des vorigen Winters angetroffen haben, die, noch nicht zerfallen oder geschmolzen, die Schiffahrt außerordentlich erschwert hätten, denn die Fahrzeuge mußten dann längs der Eisfelder hinsteuern, um diese an ihrem Ende zu umschiffen. Dabei vergingen oft zwei bis drei Tage, ehe sie freies Wasser fanden, wo sie in gewünschter Richtung weitersegeln konnten.

Im August dagegen ist hier das Meer, selbst in seinen nördlichsten Theilen, völlig eisfrei. Dagegen war eher schon die Bildung der »Young ices«, des jungen Eises, zu befürchten, ehe der »Saint Enoch« seine zweite Campagne abgeschlossen hätte.

Am 29. kamen die Chantarinseln in Sicht. Sie liegen ziemlich im Hintergrunde einer Bai, des schmalen Einschnittes, der tief durch das Ufer der Amurprovinz eindringt.

[108] Weiterhin öffnet sich noch eine zweite Bai, die Bai Finisto oder des Südwestens genannt, die aber nicht viel Ankergrund bietet. Der Kapitän Bourcart kannte sie jedoch sehr gut und nahm hier seinen alten Halteplatz wieder ein.

Da ereignete sich ein weiterer und leider weit ernsterer Unfall.

Als der Anker den Grund berührte, waren zwei Matrosen gerade dabei, die Raa des kleinen Bramsegels zu erklimmen, um ein etwas verwirrtes Tau des Fockmastes in Ordnung zu bringen.

Als sich dann die Ankerkette straff anspannte, erhielt Meister Ollive den Befehl, die Topsegel einzuziehen. Leider vergaß man dabei, den Matrosen zuzurufen, daß sie sich vorsehen und ordentlich festhalten sollten. In dem Augenblicke, wo beim Nachlassen der Drissen ein Topsegel auf das Eselshaupt des Mastes niedersank, stand der eine Matrose mit einem Bein gerade auf den Wanten und der andere auf der Pertleine der Raa. In dieser Stellung überrascht, hatte der eine nicht mehr genug Zeit, sich mit den Händen an die Wanten zu klammern, er verlor deshalb den Halt und stürzte am Deck auf das Boot des Obersteuermanns und von da aus ins Meer.

Diesmal war der Betroffene – er hieß Rollat und war noch keine dreißig Jahre alt – nicht so glücklich wie jener Kamerad vor ihm, der – der Leser wird sich des Falles erinnern – unter ähnlichen Umständen bei Neuseeland aus dem Wasser wieder gerettet worden war... Rollat sank sofort unter die Wasseroberfläche.

Ohne Aufenthalt wurde ein Boot ausgesetzt und warf man Rettungsbojen über die Reling hinaus.

Jedenfalls hatte Rollat aber schwere Verletzungen erlitten, vielleicht einen Arm oder ein Bein gebrochen, wenigstens kam er nicht wieder zum Vorschein und seine Kameraden bemühten sich vergeblich, ihn aufzuspüren.

Das war das erste Opfer dieser Fahrt des »Saint Enoch«, der Erste »von denen, die nicht immer nach dem Hafen zurückkehren«.

Der Unglücksfall hinterließ einen tiefschmerzlichen Eindruck. Rollat, diesen tüchtigen, braven Matrosen, den seine Vorgesetzten so hoch schätzten und alle aufrichtig liebten... ihn sollte man niemals wiedersehen!

Das veranlaßte den Zimmermann gegen den Hochbootsmann zu äußern:

»Sollte es uns wirklich in Zukunft schlecht gehen?«

Noch mehrere Tage vergingen, und wenn da auch verschiedene Wale auftauchten, war es doch unmöglich, einen davon zu erbeuten. Der Kapitän eines [109] norwegischen Schiffes, der ebenfalls in der Bai Finisto vor Anker gegangen war, erklärte, sich eines so schlechten Fangjahres gar nicht erinnern zu können. Seiner Ansicht nach würde das Ochotskische Meer als Fangplatz wohl bald gänzlich aufgegeben werden.

An diesem Morgen und gerade als ein Schiff im Eingange zur Bai sichtbar wurde, rief der Lieutenant Coquebert plötzlich:

»Da... seht nur... da ist er!

– Wer denn? fragte Heurtaux.

– Der »Repton«!«

Wirklich erschien mit allen Segeln und nach Nordosten steuernd der englische Walfänger in der Entfernung von nicht zwei Seemeilen.

Wie er vom »Saint Enoch« erkannt wurde, mußte ohne Zweifel auch jener den französischen Dreimaster wieder erkannt haben. Der Kapitän King unterließ es jetzt aber ganz wie bei früheren Begegnungen, mit dem Kapitän Bourcart irgendwie in Beziehung zu treten.

»O, so mag er zum Teufel fahren! platzte Romain Allotte heraus.

– Er scheint im Ochotskischen Meere auch nicht mehr Glück gehabt zu haben, als in der Bai Marguerite, bemerkte Heurtaux.

– Ja wirklich, meinte auch der Lieutenant Coquebert, denn schwer hat er nicht geladen, und wenn er ein Viertel von seinen Fässern voll hätte, sollte es mich sehr wundern...

– Man muß nur bedenken, fiel Bourcart ein, daß alle anderen Schiffe dieses Jahr ebenfalls keinen guten Fang gehabt zu haben scheinen. Soll man nun daraus schließen, daß die Walfische aus dem einen oder anderen Grunde diese Gegenden verlassen haben, um niemals wiederzukehren?«

Auf jeden Fall war es zweifelhaft, ob es dem »Saint Enoch« möglich sein werde, vor dem Auftreten des Eises noch eine beträchtlichere Beute zu machen.

An dieser Stelle ist die Küste, abgesehen von einigen daran gelegenen Häfen, keineswegs immer ganz menschenleer. Die Einwohner kommen ziemlich häufig von den Bergen im Innern dahin herunter, und man braucht sich um ihretwillen gar nicht etwa zu beunruhigen.

Wenn die Mannschaften aber ans Land gehen, um z. B. Holz zu schlagen, müssen sie sich, wo sie von Zweifüßlern nichts zu fürchten haben, doch vor manchen sehr gefährlichen Vierfüßlern sorgsam in Acht nehmen. In der Provinz zahlreich [110] vorkommende Bären verlassen oft herdenweise die Wälder der Nachbarschaft, weil sie von den am Strande liegenden Ueberresten ausgeweideter Walfische angelockt werden, für die sie große Vorliebe zu haben scheinen.

Auch die Leute vom »Saint Enoch« bewaffneten sich für die Arbeit auf dem Ufergebiete mit Lanzen, um etwaige Angriffe jener Plantigraden abzuwehren.

Die Russen schlagen in solchen Fällen ein anderes Verfahren ein und entwickeln einem Bären gegenüber eine wirklich staunenswerthe Gewandtheit. Auf der Erde kniend, erwarten sie den Bären festen Fußes und halten dabei mit beiden Händen ein Jagdmesser über dem Kopfe gerade hinausgestreckt. Sobald das Thier über sie herfällt, stürzt es sich selbst in die Klinge und bricht mit aufgeschlitztem Leibe neben seinem muthigen Gegner zusammen.

Fast jeden Tag lichtete der »Saint Enoch« inzwischen die Anker, kreuzte vor der Bai Finisto zur Erspähung von Walen, kehrte aber jeden Abend, ohne Erfolg gehabt zu haben, nach seinem Ankerplatze zurück.

Dann und wann setzte er auch mehr Segel und steuerte – die Wachen auf ihrem Posten und die Boote zum Abstoßen bereit – weiter aufs Meer hinaus. Doch auch dann kam in vierundzwanzig Stunden höchstens ein einzelner Spritzwal in Sicht und obendrein noch in einer Entfernung, die an seine Verfolgung gar nicht denken ließ.

Der »Saint Enoch« kam bei einer solchen Ausfahrt auch in die Nähe von Ayvu, einem kleinen Hafen der Westküste, wo der Pelzfellhandel schon eine große Ausdehnung gewonnen hatte.

Der Mannschaft gelang es da, einen jungen Walfisch mittlerer Größe – von der Art, die die Amerikaner »Krampseß« nennen – an das Schiff heranzubringen. Das Thier war schon todt gewesen und lieferte nicht mehr als sechs Faß eines Thranes, der dem des Pottwals sehr ähnlich ausfiel. Die bisherigen Erfahrungen Bourcart's wiesen also leider darauf hin, daß die Ergebnisse der Campagne im Norden des Stillen Oceans annähernd gleich Null sein würden.

»Hätten wir jetzt schon Winter, sagte Heurtaux gelegentlich zum Doctor Filhiol, so könnte man wenigstens Robben jagen gehen. Vom October an erscheinen diese im Ochotskischen Meere in großer Menge, und ihr Fell bringt immer einen guten Preis.

– Leider, lieber Heurtaux, beginnt der Winter aber erst nach einigen Wochen, also zu einer Zeit, wo der »Saint Enoch« von hier fortgesegelt sein wird.

[111] – Nun dann, Herr Filhiol, kommen wir freilich mit leerem Rumpfe... gleichsam mit leerem Magen zurück.«

Von der Bildung des ersten Eises an kommen verschiedene werthvolle Amphibien, Robben und andere, thatsächlich zu Hunderten, wenn nicht zu Tausenden, auf den Eisfeldern hier zum Vorschein. Während sie sich im Sonnenschein wärmen, sind sie leicht zu erlegen, so lange man die Thiere im Schlafe überrascht. Die Boote segeln dazu möglichst geräuschlos heran. Einige Leute betreten das Eis, packen das Thier an den kurzen Hinterfüßen und schleppen es nach dem Boote. Uebrigens sind diese Pelzrobben sehr scheu und haben sehr seinen Gehör- und sehr scharfen Gesichtssinn. Sobald einer darunter »Alarm schlägt«, kommt die ganze Gesellschaft in Aufruhr und flüchtet pfeilgeschwind unter das Eis.

Am 4. September fand der Lieutenant Coquebert noch einen todten Walfisch, schlang ihm die Schleppleine um den Schwanz und brachte ihn an das Schiff heran, wo er angelegt wurde, um am folgenden Tag ab- und ausgeweidet zu werden.

Der Ofen wurde also wieder geheizt und der ganze Tag auf das Ausschmelzen des Specks verwendet. Auffallend war es, daß das erst vor kurzer Zeit an der Seite verletzte Thier offenbar nicht durch eine Harpune verwundet war. Die Wunde schien vielmehr von dem Bisse eines Haifisches oder ähnlichen Raubfisches herzurühren. Der Wal lieferte übrigens nur fünfundvierzig Faß Thran.

Im Ochotskischen Meere wird der Fang gewöhnlich in anderer Weise betrieben, als in anderen Gegenden. Die von den Schiffen ausgesendeten Boote kommen hier oft erst nach fünf bis sechs Tagen zu diesen zurück. Daraus ist aber nicht zu schließen, daß sie etwa die ganze Zeit über auf dem Meere blieben. Wenn sie nämlich des Abends an eine Küste kommen, werden sie ein Stück aufs Land hinausgezogen, um von der Fluth nicht etwa weggeführt zu werden. Deren Insassen errichten sich dann aus Gezweig eine leichte Hütte, verzehren noch ihr Abendbrod, ruhen dann bis zum Tagesanbruch aus – natürlich immer auf Schutz gegen Bären bedacht – und nehmen schließlich ihre Jagd wieder auf.

Mehrere Tage vergingen, ehe der »Saint Enoch« seinen Ankerplatz in der Finistobai wieder aufsuchte. Er steuerte inzwischen nach Norden bis in die Nähe des Fleckens Ochtosk, der einen vielbesuchten Hafen hat, doch lief das Schiff in diesen nicht erst ein.


[112]
Die auffällige Bewegung des Meeres wußte niemand zu erklären. (S. 117.)

Bourcart, der noch immer einige Hoffnung bewahrte, wollte nach der Seite der Halbinsel Kamtschatka vordringen, wohin die Wale vielleicht abgezogen waren, bis sie durch die Kurilenstraße und andere Wasserwege zwischen den Inseln der Gruppe das hohe Meer aufsuchten.

Dieselbe Absicht hatte den »Repton« hierhergeführt, der bis jetzt nur einige hundert Faß Thran an Bord hatte. Von einer frischen Südwestbrise getrieben, steuerte der »Saint Enoch« nach dem schmalen Theile des Ochotskischen Meeres, der zwischen der Halbinsel und der Küste Sibiriens liegt.

[113] Nachdem er zwei bis drei Seemeilen vom Lande, etwa in der Höhe des kleinen Hafens Yamsk, eine passende Ankerstelle gefunden hatte, kam der Kapitän Bourcart zu dem Entschlusse, drei Boote zur Aufsuchung von Walfischen auszusenden, ohne ihnen einen Zeitpunkt für die Rückkehr zu bestimmen, doch unter der Bedingung, daß sie sich nicht von einander trennen sollten.

Die Boote des Obersteuermanns und der beiden Lieutenants sollten also in Gesellschaft ausfahren und dabei die Harpuniere Kardek, Durut und Ducrest, vier Voll- und zwei Leichtmatrosen mitnehmen. Natürlich wurden sie auch mit den nöthigen Fanggeräthen, mit Harpunen, Lanzen, Beilen u. s. w. ausgerüstet.

Um acht Uhr morgens stießen die Boote ab und fuhren nach Nordwesten längs der Küste hin. Eine leichte Brise trieb sie schnell vorwärts, so daß sie den Ankerplatz hinter einem Landvorsprünge bald aus dem Gesicht verloren.

Den ganzen Morgen über wurde kein Walfisch auf dem Meere beobachtet, so daß sich die Frage aufdrängte, ob diese das Ochotskische Meer nicht aus dem gleichen Grunde verlassen haben möchten, wie vorher schon die Bai Marguerite.

Gegen vier Uhr Nachmittag zeigten sich jedoch, drei Meilen im Nordosten, mehrere aufsteigende Strahlen, die sich in regelmäßigen Zwischenräumen wiederholten. Dort tummelten sich also lebende Walfische auf dem Wasser umher.

Leider war es schon zu spät am Tage, als daß man ihre Verfolgung hätte aufnehmen können. Der Abend wäre herangekommen, ehe an das Werfen einer Harpune nur zu denken war, und die Vorsicht gebot, nicht während der Nacht auf dem Meere zu bleiben.

Heurtaux ließ also die beiden anderen Boote durch Signale herbeirufen, und als alle drei Bord an Bord lagen, gebot er:

»Jetzt ans Land! Morgen mit dem ersten Tagesgrauen fahren wir wieder aus.«

Romain Allotte hätte es wahrscheinlich vorgezogen, die Jagd fortzusetzen, er mußte sich jedoch dem Gebote fügen, das auch gewiß ganz weislich begründet war. Segelte man unter den vorliegenden Verhältnissen weiter, so konnte niemand sagen, wohin die Boote entführt werden könnten. Ueberdies war doch auch den elf bis zwölf Meilen Entfernung Rechnung zu tragen, die sie schon jetzt von dem »Saint Enoch« trennten.

Als sie in einer engen Einbuchtung ans Land gestoßen waren, wurden die Boote auf den Strand gezogen. Um sieben bis acht Stunden an dieser Stelle zu verbringen, hielt es Heurtaux nicht für nöthig, erst noch eine Hütte zu [114] errichten. So aßen denn alle unter einigen dichtbelaubten Eichen in der Nähe des Ufers und streckten sich dann auf die Erde zum Schlafen nieder.

Heurtaux gebrauchte natürlich die Vorsicht, als Wache einen mit Lanze und Harpune bewaffneten Mann auszustellen, der von zwei zu zwei Stunden abgelöst werden und im Nothfall den Lagerplatz gegen einen Angriff von Bären vertheidigen sollte.

»Na, da haben wir's ja, rief der Lieutenant Allotte, statt daß wir Walfische fangen, angeln wir nun Bären!«

Die Nacht wurde in keiner Weise gestört. Nur aus großer Ferne hörte man dann und wann ein dumpfes Brüllen, und beim ersten Tagesscheine waren alle wieder munter auf den Füßen.

Binnen wenigen Augenblicken hatten die Matrosen die drei Boote aufs Wasser geschoben, und bald darauf stießen diese vom Lande ab.

Der Morgen war neblig, wie das unter dieser Breite und in dieser Jahreszeit sehr häufig vorkommt. Man konnte kaum eine halbe Seemeile (926 Meter) weit sehen. Voraussichtlich zerstreute sich der Nebel aber, wenn die Sonne erst einige Stunden über dem Horizonte war.

Diese Aufklärung trat denn auch noch am Vormittage ein, und obwohl der Himmel noch bedeckt blieb, konnte man doch bis zum Horizonte hinaus deutlich sehen.

Die Boote schlugen, jedes ohne in seiner Bewegung beschränkt zu sein, eine nordöstliche Richtung ein, und wie zu erwarten, trieb der Lieutenant Allotte seine Leute so eindringlich an, daß er den anderen immer vorausblieb. Er entdeckte deshalb auch zuerst, in drei Meilen Entfernung, einen Spritzwal, und sofort wurden alle Maßregeln getroffen, diesen zu verfolgen und abzufangen.

Die drei Boote steuerten gemeinschaftlich auf das Thier zu, immer bedacht von ihm nicht vorzeitig bemerkt zu werden. Uebrigens tauchte der Wal auch gelegentlich unter, und dann mußte man sein Wiedererscheinen ruhig abwarten.

Als er schließlich in der Entfernung von kaum einer Kabellänge zum Vorschein kam, war der Lieutenant Coquebert am besten in der Lage, den Angriff zu eröffnen. Der ganz vorn im Boote stehende Harpunier Durut hielt sich – während die Matrosen an den Riemen blieben – bereit, seine Harpune zu werfen.

Die große Balänoptere, deren Kopf nach der Seeseite gewendet war, ahnte offenbar noch keine Gefahr. Als das Thier sich dann wendete, kam es so nahe [115] an dem Boote vorüber, daß Durut es mit zwei Harpunen unterhalb den Brustflossen verwunden konnte.

Der Wal machte darauf aber kaum eine Bewegung, so, als hätte er die Stiche nicht gefühlt. Das war ein Glück zu nennen, denn eben befand er sich fast mitten unter dem Boote, und ein einziger Schlag mit dem Schwanze hätte hingereicht, dieses zu zertrümmern.

Dagegen tauchte er plötzlich unter, und zwar so schnell und in eine solche Tiefe, daß der Lieutenant die Leine nicht mehr führen konnte und kaum die Zeit gewann, deren Ende mit einer Boje zu versehen.

Beim Wiederauftauchen des Thieres befand sich Heurtaux mehr in dessen Nähe. Kardek schleuderte jetzt ebenfalls seine Harpune hinaus, und diesmal wurde es nicht nöthig, erst viel Leine ablaufen zu lassen.

Die beiden anderen Boote eilten herbei. Nun wurden die Lanzen zu Hilfe genommen. Mit den Beilen trennte man eine Flosse des Seesäugethiers ab, das jetzt einen blutigen Strahl ausblies und bald ohne besondere Zuckungen verendete.

Nun handelte es sich darum, die Beute nach dem »Saint Enoch« zu schleppen. Bis zu diesem war es aber ziemlich weit, etwa fünf Meilen; das Bugsieren mußte also viel Mühe machen.

Da wandte sich Heurtaux an den ersten Lieutenant.

»Coquebert, sagte er, machen Sie sich sofort auf und benützen Sie die Brise, nach dem Ankerplatze bei Yamsk zu kommen. Der Kapitän Bourcart wird sich dann beeilen, abzufahren, und er wird uns begegnen, wenn er einen Curs nach Nordosten einhält.

– Ganz richtig, antwortete der Lieutenant.

– Ich meine, Sie können den »Saint Enoch« vor dem Dunkelwerden noch erreichen, fuhr Heurtaux fort. Muß unser Schiff aber bis zum Tagesanbruch liegen bleiben, so erwarten wir es auf jeden Fall. Mit einer solchen Masse im Schlepptau kämen wir in der Stunde doch kaum eine Meile vorwärts.«

Eine bessere Anordnung konnte nicht getroffen werden. Das Boot setzte also seine Segel bei, die Riemen wurden noch daneben ausgelegt, und sofort schlug es den Weg nach der Küste ein.

Die beiden anderen Boote trieben, von einer schwachen Strömung unterstützt, langsam in derselben Richtung hin.

Unter den vorliegenden Verhältnissen war es ausgeschlossen, die Nacht an der gegen mehr als vier Meilen entfernten Küste zuzubringen. Erlitt der [116] Lieutenant Coquebert übrigens keine Verzögerung, so konnte der »Saint Enoch« noch vor Anbruch des Abends eingetroffen sein.

Da fing der Nebel gegen fünf Uhr leider wieder an sich zu verdichten, der Wind flaute gänzlich ab und der Gesichtskreis wurde etwa auf hundert Toisen eingeengt.

»Dieser Nebel wird dem Kapitän Bourcart freilich hinderlich sein, sagte Heurtaux.

– Vorausgesetzt, daß das Boot überhaupt den Ankerplatz gefunden hat, bemerkte dazu der Harpunier Kardek.

– Ja, wir können nichts anderes thun, als hier bei dem Walfisch ausharren, setzte der Lieutenant Allotte hinzu.

– Das ist auch meine Ansicht,« erklärte Heurtaux.

Darauf wurde der Proviant, Pökelfleisch und Zwieback, Trinkwasser und Tafia, hervorgeholt. Die Leute aßen und streckten sich dann aus, um bis zum Tagesanbruch zu schlafen.

Diese Nacht verlief aber nicht vollkommen ruhig. Gegen ein Uhr morgens wurden die Boote plötzlich so arg umhergeworfen, daß ihre an dem Wale befestigten Leinen zu reißen drohten und deshalb verdoppelt werden mußten.

Woher die auffällige Bewegung des Meeres käme, wußte freilich niemand zu erklären. Heurtaux kam auf den Gedanken, es möchte ein großer Dampfer sehr nahe bei ihnen vorüberfahren, was die Besorgniß erweckte, bei der undurchsichtigen Luft vielleicht gar überfahren zu werden.

Sofort gab einer der Matrosen einige Hornsignale, worauf jedoch keine Antwort erfolgte. Man hörte auch nicht das Wirbeln eines Propellers und das Abströmen des Dampfes, die doch jedes in Bewegung befindliche Dampfschiff begleiten, und ebensowenig waren die Signallichter eines solchen zu sehen.

Die heftige Wasserbewegung hielt vierzig Minuten lang an und wurde zuweilen so stark, daß Heurtaux schon daran dachte, die erbeutete Balänoptere aufzugeben.

Allmählich glättete sich jedoch das Wasser wieder und die Nacht endete ohne weitere Störung.

Was die Ursache der auffälligen Erscheinung gewesen wäre, davon hatte weder Heurtaux noch der Lieutenant Allotte eine Vorstellung. Ein Dampfer?... In diesem Falle hätte die Bewegung des Wassers nicht so lange gedauert. Und dann – es schien doch allen so – hatte man ein entsetzliches Schnaufen und [117] ein Dröhnen vernommen, das sich von dem Geräusche ausströmenden Dampfes wesentlich unterschied.

Mit dem wiedererscheinenden Tageslicht stieg der Nebel wie gestern in die Höhe. Der »Saint Enoch« war noch nicht zu sehen; freilich wehte auch nur ein ganz schwacher Wind. Gegen neun Uhr war dieser jedoch frischer geworden, und einer der Harpuniere meldete jetzt das Schiff im Südwesten und in guter Fahrt.

Als es bis auf eine halbe Kabellänge herangekommen war, ließ Bourcart gegenbrassen, und die Boote schleppten den Wal neben die Bordwand, wo man diesem ein Tau um den Schwanz schlang und ihn damit festlegte.

Das Abziehen des Speckes dauerte, da das Thier sehr groß war, fast den ganzen Tag. Am nächsten Morgen wurde der Schmelzofen angefeuert, und nach achtundvierzigstündiger Arbeit konnte der Böttcher Cabidoulin melden, daß hundertfünfundzwanzig Faß Thran gewonnen worden seien.

Einige Tage später suchte der »Saint Enoch« einen anderen Ankerplatz in der Nähe der Küste Kamtschatkas auf. Die Boote gingen wieder zur Aufspürung von Walfischen hinaus. Ihr Erfolg blieb freilich gering: zwei kleine Thiere und drei andere, die schon todt gefunden wurden und die stark verletzte Seiten und zerrissene Eingeweide zeigten. Waren sie einem überaus heftigen Angriffe erlegen? Die Sache erschien höchst räthselhaft.

Offenbar war das Glück dem »Saint Enoch« nicht länger günstig, und ohne den schlimmen Prophezeiungen Jean-Marie Cabidoulin's zu viel Werth beizulegen, deutete doch alles darauf hin, daß diese zweite Campagne ziemlich fruchtlos verlaufen werde.

Die Fangzeit näherte sich schon dem Ende. In den sibirischen Gewässern dehnen sie die Walfänger niemals über den September aus. Schon machte sich der Frost fühlbar und die Mannschaft hatte ihre Winterkleidung anlegen müssen. Die Thermometersäule schwankte um 0 Grad auf und ab. Mit der Erniedrigung der Temperatur setzte im Ochotskischen Meere regelmäßig schlechtes Wetter ein. Längs der Küste begann die Eisbildung, die nach und nach ein ausgebreitetes Ice-field hervorbrachte, und unter solchen Verhältnissen gestaltet sich der Fischfang bekanntlich recht schwierig.

Der »Saint Enoch« war obendrein nicht begünstigt gewesen, doch den übrigen Walfängern konnte es auch nicht besser ergangen sein, soweit der Kapitän Bourcart an den Chantarinseln, in Ayau und in Yamsk etwas darüber gehört [118] hatte. Die meisten Schiffe bereiteten sich auch schon vor, ihr Winterlager aufzusuchen.

Dasselbe war der Fall mit dem »Repton«, dessen Auftauchen die Wachen am Morgen des 31. meldeten. Noch immer ohne größere Ladung, steuerte er unter vollen Segeln nach Osten, also jedenfalls in der Absicht, irgendwo zwischen der Gruppe der Kurilen hinauszugehen. Allem Anscheine nach sollte der »Saint Enoch« auf dem Ochotskischen Meere der letzte sein. Doch auch für ihn war es nun hohe Zeit zur Abfahrt, wenn er nicht Gefahr laufen wollte, durch Eis eingeschlossen zu werden.

Nach den Angaben des Meisters Cabidoulin belief sich die Ladung an Thran noch nicht auf fünfhundertfünfzig Faß, kaum ein Drittel von der, die der Frachtraum aufnehmen konnte.

»Ich denke, sagte Heurtaux, hier ist nun nichts mehr zu unternehmen, und wir dürfen uns wohl nicht noch länger aufhalten...

– Das ist auch meine Ansicht, stimmte ihm Bourcart bei; wir wollen jedenfalls die Zeit benutzen, wo die Wasserstraßen der Kurilen noch offen sind.

– Beabsichtigen Sie, Herr Kapitän, fragte da der Doctor Filhiol, nun nach Vancouver zurückzukehren?

– Wahrscheinlich thun wir das, antwortete Bourcart. Vor dem Antritte der immerhin langen Fahrt wird der »Saint Enoch« aber erst noch in Kamtschatka Station machen müssen.«

Dieser Aufenthalt erschien nothwendig, um den Proviant an frischem Fleisch zu erneuern. Im Nothfall war es ja auch möglich, in Petropawlowsk zu überwintern.

Der »Saint Enoch« segelte also ab und fuhr in südöstlicher Richtung längs der Küste von Kamtschatka hin. Nach Umschiffung des Caps Lopatka wendete er dann nach Norden, und am Nachmittage des 4. Octobers traf er in Sicht von Petropawlowsk ein.

[119]

9. Capitel

Neuntes Capitel.
Bei Kamtschatka.

Kamtschatka, die lange, von dem gleichnamigen Strome bewässerte Halbinsel, dehnt sich zwischen dem Ochotskischen Meere und dem arktischen Eismeere aus. Es hat bei vierhundert Kilometern Breite eine Länge von nicht weniger als dreizehnhundertfünfzig Kilometern.

Zu Rußland gehört die Provinz seit dem Jahre 1808. Anfänglich dem Gouvernement Irkutsk zugeschlagen, bildet sie jetzt eine der acht großen Abtheilungen, in die Sibirien in administrativer Hinsicht zerlegt ist.

Kamtschatka hat verhältnißmäßig eine schwache Bevölkerung, kaum eine Seele auf ein Quadratkilometer, und offenbar nimmt die Bevölkerung auch nicht weiter zu. Der Erdboden erscheint für die Cultur recht ungeeignet, obgleich die Mitteltemperatur hier nicht niedriger ist, als in manchen anderen, blühenderen Theilen Sibiriens. Die Erde ist aber mit Lavastücken übersät, mit porösen Steinen und mit Asche, die alle von vulcanischen Ausbrüchen herrühren. Von Norden nach Süden und mehr in der Nähe des östlichen Ufers durchzieht das Land eine große, vielfach zerrissene Bergkette mit einzelnen, ziemlich hohen Gipfeln. Die Bergkette endet eigentlich nicht an dem an der Südspitze gelegenen Cap Lopatka, denn die Gruppe der Kurilen ist bis nach Japan hin als ihre natürliche Fortsetzung anzusehen.


Im Hafen von Petropawlowsk ging der »Saint Enoch« vor Anker. (S. 120.)

Von der Landenge aus, die Kamtschatka mit der Hauptmasse Asiens verbindet, fehlt es an der Ostküste nicht an Häfen; da liegen: Karajinsk, Chalwesk, Swaschink, Chaljulinsk und Osernowsk, außer dem unzweifelhaft bedeutendsten, dem Hafen von Petropawlowsk, der etwa zweihundertfünfzig Kilometer vom Cap Lopatka entfernt ist.

Hier ging der »Saint Enoch« am 4. October Nachmittag fünf Uhr vor Anker. Er legte sich so nahe an das Land, wie es sein Tiefgang gestattete, und zwar in der Bai Avatcha, die geräumig genug ist, alle Flotten der Erde aufzunehmen.

Auch der »Repton« war hier bereits eingetroffen.

[120] [123]Hatte der Doctor Filhiol jemals davon geträumt, die Hauptstadt von Kamtschatka zu besuchen, so konnte er das jetzt unter den günstigsten Bedingungen wahr machen. Bei dem hiesigen, heilsamen Klima mit sehr reiner, feuchter Luft ist der Himmel freilich selten völlig klar. Als das Schiff aber heute in die Bai Avatcha einlief, konnte man das lange Profil des prächtigen Bergpanoramas zufällig recht gut überblicken.

Die Kette enthält zahlreiche Vulcane, wie den Schiwelusch, den Schiwelz, den Kronosker, den Kortazker, den Asatchinska und endlich, hinter der so malerisch eingerahmten Ortschaft, den schneebedeckten Korialski, dessen Krater mit Flammen vermischte Rauchwolken ausstieß.

Die Stadt selbst, die damals sozusagen noch in den Kinderjahren war, bestand nur aus einer Anhäufung von hölzernen Häusern am Fuße der Berge. Man hätte glauben können, ein Kinderspielzeug vor sich zu sehen, dessen Häuschen ohne jede Ordnung aufgestellt wären. Von den bescheidenen Bauten war der merkwürdigste eine kleine, dem griechischen Cultus geweihte Kirche mit zinnoberrothen Wänden und grünem Dache, deren Glockenthurm fünfzig Schritt weit von ihr aufragte.

Zwei Seeleute, der eine ein Däne, der andere ein Franzose, sind in Petropawlowsk durch Denkmäler verewigt, nämlich Behring und der Commandant Lapérouse, dem ersten hat man hier eine Säule, dem zweiten ein achteckiges, mit Eisenplatten belegtes Bauwerk errichtet.

Dem Ackerbau dienende Gehöfte von einiger Ausdehnung hätte der Doctor Filhiol in dieser Provinz nicht finden können. Dank der stets feuchten Luft, ist der Boden dagegen reich an Weiden und Wiesen, die dreimal im Jahre abgemäht werden können. Getreide giebt es nur wenig, und Gemüsearten gedeihen auch nur mittelmäßig, mit Ausnahme des Blumenkohls, der sich zu ungeheurer Größe entwickelt. Man findet sonst nur Gersten- und Haferfelder, die vielleicht etwas mehr Ertrag liefern, als in anderen Theilen des nördlichen Sibiriens, weil das Klima hier zwischen den beiden, die Halbinsel umspülenden Meeren weniger rauh ist.

Bourcart wollte sich in Petropawlowsk nicht längere Zeit aufhalten, als er zur Beschaffung seines Bedarfes an frischem Fleische brauchte. Die Frage, wo der »Saint Enoch« überwintern sollte, war thatsächlich noch nicht entschieden.

Darüber sprach der Kapitän einmal mit dem Obersteuermanne, da es doch nothwendig wurde, einen endgiltigen Beschluß zu fassen.

Bourcart äußerte sich dabei in folgender Weise:

[123] »Ich glaube auf keinen Fall, daß wir den Winter im Hafen von Petropawlowsk zubringen sollten, obgleich ein Schiff hier vom Eise nichts zu fürchten hat, da die Bai Avatcha selbst bei strengster Kälte stets offen bleibt.

– Doch sollten Sie nicht daran denken, lieber nach Vancouver zurückzukehren?

– Ja freilich, und wär' es nur, um den Thran zu verkaufen, den wir in den Fässern haben.

– Höchstens eine Drittelladung! antwortete der Obersteuermann.

– Das weiß ich wohl, Heurtaux, doch warum sollten wir nicht aus dem hohen Preise dafür Nutzen ziehen, zumal da man nicht wissen kann, ob dieser übers Jahr noch besteht?

– O, der wird schon nicht heruntergehen, Kapitän, wenigstens dann nicht, wenn die Walfische, wie es den Anschein hat, aus diesen Gegenden des nördlichen Stillen Oceans verschwinden.

– Das ist freilich eine ganz unerklärliche Erscheinung, meinte Bourcart, und vielleicht haben die Walfänger bald gar keine Veranlassung mehr, das Ochotskische Meer ferner aufzusuchen.

– Wenn wir aber nach Victoria zurücksegeln, wird der »Saint Enoch« dann den Winter über dort liegen bleiben?

– Das läßt sich erst später entscheiden. Die Fahrt von Petropawlowsk nach Victoria wird, wenn sie ohne Hindernisse verläuft, sechs bis sieben Wochen in Anspruch nehmen, und wer weiß, ob wir nicht unterwegs Gelegenheit finden, zwei oder drei Spritzwale abzufangen. Irgendwo müssen die Burschen doch sein, da man sie weder im Ochotskischen Meere, noch in der Bai Marguerite antrifft.

– Vielleicht haben sie sich nach der Behringstraße zurückgezogen, Kapitän.

– Das wäre wohl möglich, Heurtaux, die Jahreszeit ist aber zu weit vorgeschritten, als daß man sich in so hohe Breiten wagen könnte. Wir würden bald vom Packeis aufgehalten werden. Nein, wir wollen lieber während der Reise versuchen, noch einige Harpunen auszuwerfen.

– Wäre es übrigens, bemerkte der Obersteuermann, nicht noch rathsamer, nach Neuseeland zurückzukehren, als in Victoria zu überwintern?

– Daran hab' ich auch gedacht, antwortete Bourcart. Jedenfalls müssen wir mit der Entscheidung aber warten, bis der »Saint Enoch« in Vancouver eingetroffen ist.

– Von einer Rückkehr nach Europa ist also wohl keine Rede?

[124] – Nein, nicht eher, als bis wir im nächsten Jahre die ganze Fangzeit abgewartet haben.

– Wir werden also, schloß Heurtaux seine Rede, Petropawlowsk wohl sehr bald wieder verlassen?

– Sobald unsere Verproviantierung beendet ist,« antwortete Bourcart.

Die Mannschaft nahm diese vorläufige Entscheidung mit sichtlicher Befriedigung auf... mit der einzigen Ausnahme des Böttchers.

Als ihn dann noch an demselben Tage der Meister Ollive in einer der Schänken des Ortes bei einer Flasche Vodka zurückhielt, fragte er:

»Na, Alterchen, was meinst Du denn zu dem Beschlusse des Kapitäns?

– Meine Ansicht ist, antwortete Jean-Marie Cabidoulin, daß der »Saint Enoch« besser thäte, nicht nach Vancouver zurückzukehren.

– Und warum das?

– Weil der Weg dahin nicht sicher ist.

– Du würdest also lieber in Petropawlowsk überwintern?

– Nein, das auch nicht.

– Ja, was dann?

– Das beste wäre, nach Süden zu steuern und nach Europa heimzukehren.

– Das meinst Du?

– Ja, das ist mein Gedanke... und der ist gut und richtig!«

Der »Saint Enoch« hatte, abgesehen von der Ausbesserung einiger unbedeutender Schäden, nur seine Vorräthe an frischen Nahrungsmitteln und an Brennmaterial zu erneuern. Das letztere war eine unumgängliche Arbeit, die die Mannschaft ohne Zögern in Angriff nahm.

Man bemerkte übrigens, daß der »Repton« dasselbe that, was bei ihm also ähnliche Absichten voraussetzen ließ. Wahrscheinlich segelte der Kapitän King sogar schon in den nächsten Tagen ab. Wohin? Das hatte Bourcart nicht erfahren können.

Der Doctor Filhiol widmete die Mußestunden des hiesigen Aufenthaltes, ebenso wie in Victoria, dem Besuche der Umgegend, nur in noch mehr als da beschränktem Kreise. Bezüglich der Hilfsmittel zum Fortkommen stand Kamtschatka doch noch weit hinter der Insel Vancouver zurück.

Seine Bevölkerung zeigte einen, von dem der Indianer, die in Alaska und dem britischen Columbien siedeln, sehr abweichenden Typus. Die Eingebornen hier haben sehr breite Schultern, hervortretende Augen, eckige Kiefer, wulstige [125] Lippen und schwarzes Haar. Sie sind ein kräftiger Menschenschlag, doch eigenartig häßlich. Wie weise ist aber die Natur gewesen, ihnen so wenig wie möglich Nase zu verleihen, wo hier die in der freien Luft verfaulenden Ueberreste von Fischen einen empfindlichen Geruchsnerven so schwer beleidigen.

Die Männer haben eine gelblichbraune, die Frauen – soweit man sich davon überzeugen kann – eine weiße Gesichtsfarbe. Gewöhnlich bedecken die koketten Geschöpfe das Gesicht nämlich mit aufgeklebten Goldschlägerhäutchen und schminken sich mit einer aus Varec gewonnenen rothen Farbe, die mit Thran gemischt aufgetragen wird.

Was die Kleidung betrifft, so besteht diese aus Fellen, die mit Weidenrinde gelb gefärbt sind, aus leinenen, von Rußland oder Buchara eingeführten Hemden, und aus Beinkleidern, deren sich beide Geschlechter bedienen. Alles in allem ähneln die Kamtschadalen in dieser Beziehung den Bewohnern des hochnördlichen Asiens.

Ueberdies sind die örtlichen Sitten und überhaupt die Lebensweise dieselben wie in Sibirien unter der strengen moskowitischen Verwaltung, sowie sich die Bevölkerung auch zur orthodoxen (griechischen) Religion bekennt.

Erwähnung verdient wohl auch, daß die Kamtschadalen, dank dem heilsamen Klima, sich einer vortrefflichen Gesundheit erfreuen, wie überhaupt im Lande nur wenige Krankheiten vorkommen.

»Hier würden die Aerzte auch nicht reich werden!« mußte sich der Doctor Filhiol sagen, wenn er die kraftstrotzenden Männer und Frauen sah, die auch in Folge ihrer fortwährenden Thätigkeit eine auffällige Gewandtheit der Bewegungen zeigen und vor dem sechzigsten Jahre niemals ergrauen.

Uebrigens erwies sich die Bevölkerung von Petropawlowsk recht freundlich und gastfrei; höchstens könnte man ihr den Vorwurf machen, daß sie gar zu vergnügungssüchtig sei.

Wozu sich aber mit schwerer Arbeit abmühen, wenn man seinen Lebensunterhalt mit so wenigen Kosten bestreiten kann? Fische, vor allem Lachse, von den Tümmlern gar nicht zu reden, giebt es an der Küste in Ueberfluß, und sogar die Hunde ernähren sich davon fast ausschließlich. Die zwar mageren, doch kräftigen Hunde benutzt man zum Ziehen der Schlitten. Ein sicherer Instinkt gestattet ihnen, auch in den hier so häufigen heftigen Schneestürmen den richtigen Weg zu finden. Die Kamtschadalen betreiben nämlich nicht allein den Fischfang, sie widmen sich auch der Jagd auf die zahlreichen Vierfüßler des Landes, wie [126] auf Zobel, Hermeline, Ottern, Renthiere, Wölfe und wilde Schafe. Schwarze Bären kommen ebenfalls häufig in den Berggegenden der Halbinsel vor. Sie sind ebenso gefährlich, wie ihre Verwandten an der Bai von Ochotsk, und man muß vor ihnen immer auf der Hut sein, denn wenn man sich nur wenig von Petropawlowsk entfernt, hat man von den Thieren immer einen Angriff zu befürchten.

Die Hauptstadt von Kamtschatka zählte jener Zeit nicht mehr als elfhundert Einwohner. Unter Nicolaus I. wurde sie mit Befestigungen umgeben, die die vereinigten englisch-französischen Flotten im Kriege von 1855 theilweise zerstörten. Die Befestigungen werden aber jedenfalls wieder hergestellt werden, denn Petropawlowsk ist ein wichtiger strategischer Punkt und es verlohnt sich, die prächtige Bai von Avatcha vor jedem Angriff sicher zu stellen.

Im Hinblick auf eine lange Ueberfahrt, bei der vielleicht einmal ein Walfisch erbeutet werden könnte, sorgte die Mannschaft des »Saint Enoch« auch für die Vervollständigung des Holzvorraths. Die Beschaffung des Brennmaterials war freilich an der Küste von Kamtschatka keine so leichte, wie an der des Ochotskischen Meeres.

Die Leute hatten erst drei bis vier Meilen zurückzulegen, ehe sie einen Wald erreichten, der die unteren Abhänge des Vulcans Karoalski bedeckte. Das nöthigte zur Einrichtung eines Verkehrs mittels Schlitten, die von Hunden gezogen wurden, und auf denen das Holz nach dem Schiffe hin befördert wurde.

Am 6. October bestiegen der Meister Cabidoulin, der Zimmermann Thomas und sechs Matrosen, alle mit Sägen und Aexten ausgerüstet, einen Schlitten oder Schleife, den der Kapitän Bourcart gemiethet hatte und den sein eingeborner Führer mit der Geschicklichkeit eines leibhaftigen Musik lenkte.

Von der Stadt aus folgte das Gefährte einem Wege – mehr einem Fußpfade als einer Straße – der sich zwischen Hafer- und Gerstenfeldern hinschlängelte. Dann führte er über ausgedehnte Weidegründe, wo eben der letzte Schnitt beendigt war und die von zahlreichen Bächen bewässert wurden. Die Hunde trabten unermüdlich schnell vorwärts, und gegen halb acht Uhr wurde der Wald erreicht.

Dieser bestand freilich nur aus einem begrenzten Stück Landes mit Fichten, Lärchen und anderen harzigen, immergrünen Bäumen. Ein Dutzend Walfänger hätte sich hier kaum hinlänglich mit Holz versorgen können.

[127] »Entschieden ist es Kamtschatka nicht, sagte in Bezug hierauf der Zimmermann Thomas, das uns die Feuerung für die Schmelzöfen liefert.


Fischer aus der Gegend von Petropawlowsk.

– O, hier ist mehr Holz vorhanden, als wir verbrennen werden, antwortete Meister Cabidoulin.

– Wieso denn?

– Weil die Walfische zum Teufel gegangen sind, und deshalb ist es recht unnütz, Bäume zu fällen, wenn man unter den Schmelztöpfen kein Feuer zu unterhalten hat.


[128]
Die Fischer wurden durch das Auftauchen eines Meerungeheuers in Schrecken versetzt. (S. 132)

Die Fischer wurden durch das Auftauchen eines Meerungeheuers in Schrecken versetzt. (S. 132)


– Nun ja, nach Deiner Anschauung, erwiderte der Zimmermann; andere Leute sind aber dieser Ansicht nicht und rechnen vielmehr noch auf einige Harpunenwürfe!«

Nahe bei dem Fußwege war übrigens schon eine andere Mannschaft bei der Arbeit: ein halbes Dutzend Matrosen vom »Repton«, die unter Leitung ihres Obersteuermanns Strock schon am Tage vorher mit dem Fällen der Bäume begonnen hatten. Vielleicht sollte das englische Schiff gar ebenso wie der »Saint Enoch« nach Vancouver segeln?

[129] Wenn sich hier nur gegen hundert Bäume vorfanden, mußten die zwei Walfänger ihren Bedarf an Holz reichlich decken können. Die Leute brauchten sich also um keiner Wurzel und keines Astes willen zu streiten, und weder der Schmelzofen des englischen, noch der des französischen Fahrzeuges würde wegen Mangels an Brennmaterial zu feiern genöthigt sein.

Vorsichtigerweise führte der Zimmermann schon seine Arbeiter nicht nach der Seite, wo die Leute vom »Repton« beschäftigt waren. Hatte man auf dem Wasser zwischen einander jeden Verkehr gemieden, so sollte das auch auf dem Lande dabei bleiben. Bourcart hatte auch mit gutem Grunde angeordnet, daß gegebenen Falls jedes Zusammentreffen der beiderseitigen Mannschaften vermieden werden solle. Die Matrosen vom »Saint Enoch« gingen deshalb am anderen Ende des Fußsiegs an die Arbeit, und am ersten Tage wurden schon zwei Stere (Cubikmeter) Holz an Bord gebracht.

Am letzten Tag blieb es, trotz der Warnungen des Kapitäns Bourcart, doch nicht aus, daß die Mannschaft vom »Repton« und die vom »Saint Enoch« zusammentrafen und wegen eines Baumes in Streit geriethen.

Die Engländer kamen leicht in die Hitze und die Franzosen nicht minder, hier befand man sich auch weder in Frankreich noch in England, sondern auf neutralem Boden.

Bald flogen aufreizende Worte hinüber und herüber, und von einem Wortwechsel bis zu einer Schlägerei ist es zwischen Matrosen verschiedener Nationalität bekanntlich niemals weit. Die Leute vom »Saint Enoch« hatten den Groll gegen die anderen ja schon seit einigen Monaten bewahrt.

Während des Gezänkes, das weder Meister Cabidoulin noch Thomas zu beschwichtigen vermochte, erhielt der Matrose Germinet vom Zimmermann des »Repton« einen heftigen Stoß. Der plumpe, von Gin und Whisky halb berauschte Kerl stieß die ganze Reihe von Schimpfworten hervor, die jedem angelsächsischen Munde so geläufig sind.

Sofort gingen die beiden Mannschaften gegeneinander los. Es schien dabei, als ob der Obersteuermann Strock sich nicht im geringsten bemühte, seine Leute zurückzuhalten, und der Streit drohte deshalb in ein Handgemenge auszugehen.

Zuerst stürzte sich Germinet, der nicht gewillt war, den erhaltenen Puff so ruhig hinzunehmen, mit einem Satze auf den Engländer, riß ihm die Mütze vom Kopfe, trat sie mit Füßen und rief dazu:

[130] »Hat der »Repton« auch den »Saint Enoch« nicht salutiert, so soll doch dieser English wenigstens den Hut vor uns ziehen!

– Gut heimgeleuchtet!« riefen seine Kameraden.

Welche von den beiden an Zahl gleichen Mannschaften bei einem Handgemenge den Sieg davontragen würde, ließ sich von vornherein nicht sagen. Die Matrosen, deren Erregung sichtlich zunahm, hatten sich mit Aexten und Messern bewaffnet. Kam es jetzt wirklich zu einem allgemeinen Zusammenstoß, so wäre dieser ohne Blutvergießen, vielleicht ohne Menschenverlust nicht abgegangen.

Der Zimmermann und der Meister Cabidoulin bemühten sich deshalb, ihre Leute, die schon den Angriff beginnen wollten, zu beruhigen. Auch der Obersteuermann Strock schien jetzt den Ernst der Lage einzusehen, und es gelang ihm schließlich, die Mannschaft vom »Repton« zurückzuhalten.

Es blieb also beim Austausch von Schimpfereien, und die Franzosen machten sich wieder an ihre Arbeit. Das Holzfällen nahm übrigens mit diesem Tage sein Ende, und die Mannschaften hatten deshalb keine weitere Gelegenheit zu einem Zusammenstoße.

Zwei Stunden später waren der Böttcher, der Zimmermann und die übrigen Leute mit dem Schlitten an Bord zurück. Als da Bourcart von dem Vorgefallenen hörte, sagte er befriedigt:

»Zum Glück wird der »Saint Enoch« nun sehr bald abfahren, denn die Sache wäre sonst doch schlimm abgelaufen!«

Thatsächlich wäre ja zu befürchten gewesen, daß die mehr und mehr aufgereizten Leute in den Straßen von Petropawlowsk sich in eine Schlägerei verwickelt hätten und von der russischen Polizei vielleicht gar verhaftet worden wären. Um in den Schänken ein Zusammentreffen der Leute mit seinen unausbleiblichen Folgen zu verhindern, ertheilten der Kapitän Bourcart und der Kapitän King keinen Landurlaub mehr.

Der »Saint Enoch« und der »Repton« ankerten freilich kaum eine Kabellänge von einander und die Spott- und Schimpfreden der Mannschaften waren auf beiden Schiffen zu hören. Das Rathsamste war es also jedenfalls, die Vorbereitungen zur Abfahrt zu beschleunigen, den letzten Proviant einzunehmen und so schnell wie möglich abzusegeln, dann, draußen auf dem Meere, einander nicht zu nahe zu kommen, und vor allem, nicht nach demselben Hafen zu steuern.

[131] Da ereignete sich aber noch ein Zwischenfall, der die Abreise des französischen und des englischen Schiffes verzögern sollte.

Am Nachmittage des 8. October, während einer für den Fischfang recht günstigen Seebrise, sah man zu seiner Verwunderung, daß die kamtschadalischen Schaluppen Hals über Kopf dem Hafen zueilten. Die Flucht der Fischer vollzog sich so schnell, daß mehrere sogar ihre Netze am Eingange der Bai von Avatcha im Stich gelassen hatten.

Die Einwohner von Petropawlowsk sollten den Grund der Verwirrung bald genug erfahren.

Eine halbe Meile seewärts von der Bai war die ganze Fischerflottille durch das Auftauchen eines Meerungeheuers von riesiger Größe in Schrecken gesetzt worden. Das Ungeheuer glitt an der Wasserfläche hin, die es mit dem Schwanze mit unglaublicher Gewalt peitschte. Hierbei mußte man wohl der erregten Phantasie und der sehr natürlichen Angst Rechnung tragen, die sich der einsamen Fischer bemächtigt hatte. Ihrer Rede nach war jenes Thier nicht weniger als dreihundert Fuß lang und von fünfzehn bis zwanzig Fuß dick; sein Kopf sollte eine dichte Mähne haben, der Körper in der Mitte wie angeschwollen und, wie einzelne behaupteten, mit fürchterlichen Scheren, wie eine Crustacee, versehen sein.

War das nicht Jean-Marie Cabidoulin's Seeschlange und lief die ganze Sache nicht auf eine Selbsttäuschung hinaus, so war also – kurz vorher oder noch jetzt – der Meerestheil vor der Bai von Avatcha von einem außerordentlich wunderbaren Thiere heimgesucht, das man nicht wohl ins Gebiet der Fabeln verweisen konnte. Daß es nur eine ungeheure Algenmasse von der Art gewesen wäre, wie der »Saint Enoch« jenseits der Alëuten eine solche angetroffen hatte, das ließ sich wohl kaum annehmen. Es handelte sich gewiß um ein lebendes Wesen, wie die fünfzig oder sechzig in den Hafen geflüchteten Fischer übereinstimmend versicherten. Bei einer solchen Größe müßte ihm aber eine Kraft zukommen, der ein Fahrzeug von der Größe des »Repton« oder des »Saint Enoch« nicht widerstehen konnte.

Da fragten sich Bourcart, seine Officiere und seine Leute, ob es nicht die Anwesenheit dieses Ungeheuers im Gewässer des nördlichen Stillen Oceans gewesen sein möge, der die Flucht der Walfische zuzuschreiben wäre, ob nicht dieser Oceansriese sie, wie früher aus der Bai Marguerite, so auch jetzt aus dem Ochotskischen Meere vertrieben habe, derselbe, von dem der Kapitän des »Iving« gesprochen [132] hatte, und der, nachdem er durch diesen Theil des Oceans geschwommen, hier aus dem kamtschadalischen Gewässer gemeldet worden war.

Das fragte sich an Bord des »Saint Enoch« jedermann, und behielt nun nicht Jean-Marie Cabidoulin gegenüber allen recht mit seiner Behauptung, daß es solche ungeheuere Seeschlangen oder andere furchtbare Thiere ähnlicher Art gebe?

In der Messe wie im Volkslogis entspannen sich darüber lange und leidenschaftlich geführte Gespräche.

Hatten die Fischer unter der Herrschaft des Schreckens vielleicht nur zu sehen geglaubt, was sie gar nicht gesehen hatten?

Das war die Ansicht, die Bourcart, der Obersteuermann, der Doctor Filhiol und Meister Ollive vertraten. Die beiden Lieutenants sprachen sich schon weniger bestimmt aus, und was die Mannschaft betraf, wollte deren große Mehrzahl einen Irrthum nicht zugeben. Für sie stand das Auftauchen des Ungeheuers außer allem Zweifel.

»Alles in allem, sagte Heurtaux, halte ich dafür, daß wir, mag die Sache nun richtig oder falsch sein, mag das merkwürdige Thier vorhanden sein oder nicht, unsere Abfahrt nicht verschieben.

– Das meine ich auch, antwortete Bourcart, wir brauchen an unseren Plänen nichts zu ändern.

– Zum Teufel! rief Romain Allotte, das Unthier, und wenn es ein noch so ungeheuerliches Geschöpf wäre, wird den »Saint Enoch« nicht gleich wie der Haifisch eine Speckseite verschlingen!

– Außerdem, bemerkte der Doctor Filhiol, ist es doch schon im Interesse der Allgemeinheit besser, zu wissen, woran man sich hier zu halten hat.

– Ganz meine Ansicht, stimmte ihm Bourcart zu; übermorgen fahren wir ab!«

Der Beschluß des Kapitäns wurde fast von allen gebilligt. Welche Ehre würde es auch für dasjenige Schiff und für diejenige Mannschaft sein, denen es gelänge, das Gewässer hier von einem solchen Ungethüm zu befreien.

»Nun, Alterchen, sagte Meister Ollive zu dem Böttcher, wir fahren trotz alledem ab, und wenn wir das zu bereuen hätten...

– So würde es zu spät sein, fiel ihm Jean-Marie Cabidoulin ins Wort.

– Da sollte man wohl überhaupt nicht mehr draußen umhersegeln?

– Niemals mehr!

[133] – Bei Dir ist's wohl da oben nicht ganz richtig... Alter!

– Wirst Du zugeben, daß von uns beiden ich es gewesen bin, der recht gehabt hat?

– Ich bitte Dich... erwiderte Meister Ollive die Achseln zuckend.

– Ich, sage ich Dir... weil sie da draußen ist... die große Seeschlange...

– Das werden wir ja sehen.

– Nein, das ist gar nicht mehr nöthig!«

Der Böttcher schwebte eigentlich zwischen der Furcht, die ihm das Erscheinen des Ungeheuers einflößen mußte, und der Befriedigung, immer an dessen Vorhandensein geglaubt zu haben.

Im Flecken Petropawlowsk herrschte inzwischen eine tödtliche Angst, und man kann sich wohl vorstellen, daß eine so abergläubische Bevölkerung es gar nicht bezweifelte, daß das Thier sich jetzt in die sibirischen Gewässer verirrt habe. Niemand hätte an eine Augentäuschung der Fischer geglaubt. Das hätten keine Kamtschadalen sein können, die sich den unwahrscheinlichsten, den Ocean betreffenden Fabeln gegenüber als Zweifler erwiesen hätten.

Die Einwohner überwachten also unablässig die Bai von Avatcha, immer in der Angst, daß das schreckliche Thier noch in diese eindringen könnte. Bei jeder hohen Welle, die sich im Ocean aufthürmte, war es das Ungethüm, das ihn bis in seine Tiefen aufwühlte, und wenn sich irgendein auffälliges Getöse hören ließ, rührte es von diesem her, indem es mit dem Schwanze in der Luft umherfuchtelte! Und wenn es nun bis in den Hafen vordrang, wenn es gar gleichzeitig eine Ophidie und ein Saurier war, dann verließ die entsetzliche Amphibie wohl auch noch das Wasser und stürzte sich wüthend auf die Stadt. Gewiß zeigte das Ungeheuer sich auf dem Lande nicht minder gefährlich, als auf dem Meere. Doch wie ihm entgehen?

Der »Saint Enoch« und der »Repton« beschleunigten inzwischen ihre letzten Vorbereitungen. Welche Gedanken die Engländer über das apokalyptische Geschöpf auch haben mochten, jedenfalls wollten sie bald, und allem Anscheine nach an demselben Tage wie das französische Schiff, unter Segel gehen. Da aber der Kapitän King und seine Leute abzureisen nicht zögerten, so konnte doch auch der Kapitän Bourcart nicht umhin, ihrem Beispiele zu folgen.

So kam es denn, daß die beiden Schiffe am Morgen des 10. October zur gleichen Stunde die Anker lichteten, da sie die Ebbeströmung benutzen wollten. Die Nationalflagge an der Gaffel und von einem leichten Landwinde getrieben, [134] glitten sie nach Osten zu durch die Bai von Avatcha, als träten sie vereint die neue Fahrt an

Vielleicht konnten sie bei einem oder dem anderen Unfalle, trotz der herrschenden feindlichen Stimmung, sogar in die Nothlage kommen, einander beizustehen.

Die Bevölkerung von Petropawlowsk aber, immer noch eine Beute des Schreckens, nährte als einzige Hoffnung die, daß das Ungeheuer sich, nachdem es seine Wuth am »Repton« und am »Saint Enoch« ausgelassen hätte, aus den sibirischen Gewässern zurückziehen werde.

10. Capitel

Zehntes Capitel.
Ein Doppelangriff.

Sobald die mit einem Zwischenraume von sechs oder sieben Kabellängen dahinsegelnden Schiffe aufs offene Meer hinauskamen, wurde die Wasserfläche mit ebensoviel Aufmerksamkeit wie Unruhe beobachtet. Jetzt waren freilich schon achtundvierzig Stunden seit der plötzlichen, überhasteten Heimkehr der Fischer verflossen, ohne daß die Ruhe der Bai gestört worden war. Die Angst der Bewohner von Petropawlowsk sollte sich aber noch lange nicht legen. Selbst der Winter, meinten sie, werde sie gegen einen Ueberfall des Ungeheuers nicht schützen, da sich die Bai von Avatcha nie mit Eis bedeckte. Doch wenn sie auch zufror, wäre der Flecken, da sich das Ungethüm auf dem Lande ebenso wie auf dem Wasser bewegen könnte, vor seinem Ueberfalle nicht sicher gewesen.

Thatsächlich bemerkten die Mannschaften des »Saint Enoch« freilich gar nichts verdächtiges, und die des »Repton« sahen gewiß nicht mehr. Mit den Fernrohren wurden der Horizont und die Küste unausgesetzt nach allen Seiten abgesucht, doch nicht ein einziges Mal entdeckte man eine auffällige Bewegung des Wassers. Unter der Wirkung der Brise hob sich das Meer in sanfter Dünung, und auch auf der Seeseite waren kaum stärkere Wellen zu erkennen.

[135] Der »Saint Enoch« und sein Begleitschiff – wenn man dem anderen diesen Namen geben darf – trugen mit Backbordhalsen die oberen und die unteren Segel. Der Kapitän Bourcart befand sich dem Kapitän King gegenüber vor dem Winde, und dadurch, daß er um ein Viertel anlufen ließ, vergrößerte er bald die Entfernung zwischen den beiden Fahrzeugen.

Außerhalb der Bai war das Meer gänzlich verlassen, keine Rauchsäule, kein Segel zeigte sich am Horizonte. Wahrscheinlich vergingen auch noch so manche Wochen, ehe sich die Fischer aus der Bai von Avatcha wieder hinauswagten. Und wer weiß, ob diese Gegend im Norden des Stillen Oceans den ganzen Winter hindurch überhaupt von einem Schiffe aufgesucht wurde

Drei Tage verstrichen. Die Fahrt wurde durch kein bemerkenswerthes Ereigniß, durch keinen Unfall unterbrochen. Die Wachen auf dem »Saint Enoch« bemerkten nichts, was auf die Nähe des Oceansriesen hingedeutet hätte, vor dem es ganz Petropawlowsk so sehr bangte. Und doch hatten die Leute immer scharf Ausguck gehalten, drei Harpuniere auf den Marsen des Fock-, des Groß- und des Besanmastes.

Doch wenn die große Seeschlange sich nirgends zeigte, hatte Bourcart ebensowenig Gelegenheit, seine Boote auszusenden, denn hier gab es weder Pottwale noch Walfische. Die Mannschaft war auch recht mißvergnügt, da sie sich sagen mußte, daß diese zweite Campagne so gut wie fruchtlos verlief.

»Wahrhaftig, sagte Bourcart wiederholt, die Sache ist ganz unerklärlich! Hier liegt etwas zu Grunde, wovon man sich keine Rechenschaft geben kann! In der jetzigen Jahreszeit trifft man im Norden des Stillen Oceans Spritzwale gewöhnlich in großer Menge und jagt sie wohl bis Mitte November. Wir sehen dagegen keinen einzigen, und – so, als ob alle von ihnen entflohen wären – ebensowenig Walfänger wie Walfische.

– Doch wenn die Cetaceen, bemerkte der Doctor Filhiol, nicht hier sind, so werden sie ja anderswo sein, denn ich meine, Sie werden nicht annehmen, daß diese Thierart plötzlich ganz verschwunden sei.

– Wenn sie das Seeungeheuer nicht bis zum letzten aufgezehrt hat! antwortete der Lieutenant Allotte.

– Auf mein Wort, fuhr der Doctor Filhiol fort, bei unserer Abfahrt aus Petropawlowsk glaubte ich schon verzweifelt wenig an die Existenz dieses außerordentlichen Thieres, und jetzt glaub' ich gar nicht mehr daran. Die Fischer sind das Opfer einer Täuschung gewesen. Sie werden höchstens einen [136] [139]Achtfuß an der Wasserfläche gesehen haben und die Furcht hat ihnen diesen ins übermäßige vergrößert. Eine Seeschlange von dreihundert Fuß Länge, das ist eine Fabel, die man dem alten »Constitutionel« (diese Zeitung hatte früher völlig ernsthaft grausige Seeschlangengeschichten gebracht. D. Uebers.) mittheilen sollte.«


Ein solches Thier wäre den scharfen Augen Jean-Marie Cabidoulin's nicht entgangen. (S. 140.)

Allgemein herrschte diese Ansicht an Bord des »Saint Enoch« freilich nicht. Die Leichtmatrosen und der größere Theil der Vollmatrosen lauschten den Worten des Böttchers, der nicht aufhörte, ihnen mit haarsträubenden Geschichten – wie der Zimmermann Ferut sagte – bange zu machen.

Jean-Marie Cabidoulin änderte seine Anschauungen nicht, und seiner Ueberzeugung nach hatten die Fischer von Petropawlowsk keinen Irrthum begangen. Das Seeungeheuer war in der Wirklichkeit vorhanden, nicht nur in der Einbildung jener armen Leute. Der Böttcher brauchte zum Beweise dessen gar kein neues Zusammentreffen mit dem Unthiere, und auf verschiedene an ihn gerichtete Scherzreden antwortete er heute:

»Wenn der »Saint Enoch« das Thier auch nicht zu sehen bekommt, bei seiner Fahrt ihm nicht begegnet, so ändert das doch an der Sache gar nichts. Die Kamtschadalen haben es gesehen, andere werden es noch sehen und wahrscheinlich meist zu ihrem Schaden. Ich glaube auch fest, daß wir selbst...

– Wann denn? fragte Meister Ollive.

– O, weit eher, als Du denkst, erklärte der Böttcher, und zu unserem Unglück...

– Eine Flasche Tafia, Alterchen, daß wir auch kein Schwanzendchen von Deiner Schlange zu Gesicht bekommen, ehe der »Saint Enoch« in Vancouver angelegt hat.

– Du kannst ebenso gut zwei oder drei... ja ein halbes Dutzend verwetten...

– Wieso denn?

– Weil Du sie niemals, weder in Victoria noch anderswo, zu bezahlen brauchst.«

Bei dem starrsinnigen Jean-Marie Cabidoulin bedeutete diese Antwort natürlich daß der »Saint Enoch« auf der jetzigen letzten Reise zu Grunde gehen werde.

Am Vormittage des 13. October verloren sich die beiden Fahrzeuge aus dem Gesicht. Schon seit vierundzwanzig Stunden verfolgten sie nicht mehr die gleiche Richtung, und der »Repton«, der sich dicht am Winde hielt, befand sich in etwas höherer Breite.

[139] Die schöne Witterung dauerte ununterbrochen bei ruhigem Meere an. Der Wind stand abwechselnd aus Südwest und Nordwest, war also der Fahrt nach der Westküste Amerikas immer günstig. Nach seinen Beobachtungen befand sich Bourcart schon vierhundert Meilen von der Küste Asiens, also etwa auf dem Drittel der ganzen Reise.

Der Stille Ocean war vollständig leer, seit der englische Walfänger sich weiter nach Norden gewendet hatte. So weit der Blick reichte, zeigte sich nichts auf der ganzen Kreisfläche des Wassers, das kaum leicht gekräuselt dalag. Auch weit fliegende Vögel verirrten sich nicht bis auf diese Entfernung von der Küste. Hielt der Wind ferner in gleicher Weise an, so mußte der »Saint Enoch« bald die Alëuten in Sicht bekommen.

Hier muß noch erwähnt werden, daß an den nachgeschleppten Angelschnüren seit der Abreise kein einziger Fisch gefangen worden war. Alle Nahrung mußte also den Vorräthen des Schiffes entnommen werden. Gewöhnlich liefert der Fischfang in diesem Theile des Oceans einen reichlichen Ertrag. Zu Hunderten werden da Boniten, Meeraale, Rochen, Hundshaie, Brassen und Goldbrachse erbeutet. Die Schiffe gleiten da zuweilen durch richtige Schwärme von Haifischen, Meerschweinen, Delphinen und Schwertfischen dahin. – Jetzt – gewiß eine seltsame Beobachtung – schien es, als ob alle lebenden Wesen aus dieser Gegend entflohen wären.

Die Wachen meldeten freilich auch nicht das Erscheinen eines durch Gestalt und Größe auffallenden Thieres. Ein solches wäre den scharfen Augen Jean-Marie Cabidoulin's gewiß nicht entgangen. Auf dem Bugspriet an dessen Spur (d. i. der Stelle, wo es auf dem Deck befestigt ist) sitzend und um besser sehen zu können, mit der Hand über den Augen, starrte der Böttcher hinaus und gab keinem, der ihn etwas fragte, Antwort. Was die Matrosen ihn zwischen den Zähnen murmeln hörten, das war nur für ihn selbst, nicht für andere bestimmt.

Am Nachmittage des 13., gegen drei Uhr, ertönte plötzlich, zum Erstaunen der Officiere und der Besatzung, vom Großmast herunter der Ruf:

»Walfisch hinter Steuerbord!«

Der Harpunier Durut hatte eine Cetacee seewärts vom »Saint Enoch« erblickt.

Und richtig, im Nordosten wiegte sich eine schwärzliche Masse auf der an- und abschwellenden Dünung.

Augenblicklich richteten sich alle Fernrohre darauf hin.

[140] Doch hatte sich der Harpunier nicht etwa getäuscht?... Handelte es sich um einen Walfisch oder vielleicht um den Rumpf eines gescheiterten Schiffes? Von einer Seite zur anderen flogen Muthmaßungen über die Sache hin und her.

»Ja, es ist ein Walfisch, meinte der Lieutenant Allotte, und der liegt völlig still.

– Vielleicht, antwortete der Lieutenant Coquebert, ist er gerade im Begriff unterzutauchen.

– Wenn er nicht etwa schläft, bemerkte Heurtaux.

– Nun, jedenfalls müssen wir erfahren, um was es sich handelt, fuhr der Lieutenant Allotte fort, und wenn der Kapitän Befehl geben möchte...«

Bourcart antwortete nicht gleich, sondern beobachtete das Thier, mit dem Fernrohr vor den Augen, noch weiter.

Neben ihm und auf das Vorderkastell gelehnt, sah der Doctor Filhiol ebenso aufmerksam darauf hin und sagte endlich:

»Möglicherweise ist das ein todter Walfisch, wie wir deren schon mehrere gefunden haben.

– Ein todter? rief der Lieutenant Allotte.

– Wenn es überhaupt ein Walfisch ist, bemerkte der Kapitän Bourcart.

– Und was sollte es denn sein? fragte der Lieutenant Coquebert.

– Eine Seetrift... ein verlassenes Schiff.«

Es war ja schwierig, sich bestimmt auszusprechen, da die Masse vom »Saint Enoch« mindestens sechs Meilen entfernt lag.

»Nun, Kapitän? wendete sich Allotte noch einmal an diesen.

– Meinetwegen,« antwortete Bourcart, der ja die Ungeduld des jungen Officiers genügend kannte.

Sofort commandierte er: »Helm luvwärts! Die Schoten anziehen!« – Das Schiff drehte sich langsam und wendete den Bug mehr nach Nordosten.

Vor vier Uhr befand sich der »Saint Enoch« nur noch eine halbe Meile von seinem Ziele entfernt.

Jetzt konnte man sich nicht mehr täuschen: das war nicht der Rumpf eines Schiffes, sondern ein sehr großer Wal, von dem sich nur noch nicht sagen ließ, ob er lebendig oder todt sei.

Heurtaux ließ eben das Fernrohr sinken und erklärte:

»Wenn der Wal da im Schlafe liegt, werden wir ihn ohne große Mühe abfangen.«

[141] Die Boote des Obersteuermanns und der beiden Lieutenants steuerten auf das Thier zu. War es lebendig, so sollte es verfolgt, war es aber todt, nach dem »Saint Enoch« geschleppt werden. Es mußte voraussichtlich gegen hundert Faß Thran liefern, denn Bourcart war selten ein Wal von solcher Größe begegnet.

Die drei Boote waren abgestoßen, während das Schiff beilegte.

Diesmal gaben die Officiere ihrer Eigenliebe nicht nach und suchten keiner den anderen zu überholen. Mit gehißten Segeln glitten die Boote nebeneinander hin und nahmen die Riemen erst zur Hilfe, als sie an den Wal bis auf eine Viertelmeile herangekommen waren.

Dann trennten sie sich, um diesem den Weg abzuschneiden, im Falle daß er zu entfliehen versuchte.

So viele Vorsichtsmaßregeln erwiesen sich jedoch als unnöthig, und der Obersteuermann rief eben:

»Keine Angst! Der entflieht oder taucht nicht mehr!

– Und wacht auch nicht auf, setzte der Lieutenant Coquebert hinzu; der ist todt!

– Ganz entschieden giebt es hier überhaupt keine anderen als verendete Walfische, äußerte Romain Allotte.

– Anseilen wollen wir ihn dennoch, antwortete Heurtaux, das verlohnt schon der Mühe.«

Es war in der That eine gewaltige Balänoptere, deren Zersetzung auch anscheinend noch nicht weit vorgeschritten, und sie konnte wohl kaum schon länger als vierundzwanzig Stunden todt sein, da die schwimmende Masse keinen fauligen Geruch um sich verbreitete.

Da zeigte sich leider, als die Boote um das Thier herumfuhren, ein breiter Riß an dessen linker Seite. Die Eingeweide schwammen daneben auf dem Wasser und ein Theil des Schwanzes fehlte gänzlich. Der Kopf zeigte Spuren einer starken Collision und das weit offene Maul war der Barten beraubt, die, aus den Kiefern gelöst, versunken sein mochten. Der Speck des zerfetzten und von Wasser erweichten Körpers hatte keinen Werth mehr.

– Wie schade, sagte Heurtaux, daß sich aus dem Burschen auch gar nichts mehr gewinnen läßt!

– Da lohnt sich's also wohl gar nicht erst der Mühe, ihn ins Schlepptau zu nehmen? fragte der Lieutenant Allotte.

[142] – Nein, gewiß nicht, antwortete der Harpunier Kardek, er ist in einem solchen Zustande, daß wir unterwegs von dem Burschen noch die Hälfte verlieren würden.

– Also vorwärts! Nach dem »Saint Enoch!« befahl Heurtaux.

Die Boote, die zur Rückfahrt fast Gegenwind hatten, wurden nur mit den Riemen fortbewegt. Da das Schiff sich aber wieder unter Segel näherte, hatten sie es sehr bald erreicht und wurden sogleich an Bord gehißt.

Als Bourcart den Bericht des Obersteuermanns angehört hatte, sagte er:

»Es war also eine Balänoptere?

– Ja, Kapitän.

– Zeigte aber keine Verletzung durch eine Harpune?...

– Nein, gewiß nicht, versicherte Heurtaux, eine Harpune macht nicht derartige Verletzungen. Es sah vielmehr aus, als ob das Thier zerquetscht worden wäre.

– Zerquetscht?... Von wem oder was denn?«

Jean-Marie Cabidoulin hätte man darüber nicht zu fragen brauchen; dessen Antwort ließ sich schon errathen. Hatte er also wirklich allen anderen gegenüber damit recht gehabt, daß diese Meeresgegend durch ein Seeungeheuer von unglaublicher Größe und alles übertreffender Körperkraft verheert würde?...

Die Fahrt ging weiter, und über das Wetter hätte Bourcart sich gewiß nicht zu beklagen gehabt. Kaum je hatte der Wind eine seiner Reisen so dauernd begünstigt, und die jetzige konnte also nur von kurzer Dauer sein. Wenn die atmosphärischen Zustände nicht ins Gegentheil umschlugen, brauchte der »Saint Enoch«, um Vancouver zu erreichen, nur dreiviertel der Zeit, die zur früheren Fahrt von da nach den Kurilen nöthig gewesen war. Wäre sein Fang glücklicher gewesen, so hätte er den Thran auch noch zur Zeit verkaufen können, wo man in Victoria dafür gern hohe Preise bewilligte.

Leider war die Campagne weder im Ochotskischen Meere noch seit der Abfahrt aus Petropawlowsk von erwünschtem Erfolge gewesen. Die Leute hatten den Schmelzofen nicht ein einziges Mal angeheizt und der dritte Theil der Fässer war leer geblieben.

Hier hieß es also, gute Miene zum bösen Spiele zu machen und sich mit der Hoffnung zu trösten, daß man sich nach einigen Monaten in den neuseeländischen Meeren schadlos halten werde.

[143] Meister Ollive predigte auch immer den Leichtmatrosen, denen die Erfahrungen der Vollmatrosen noch fehlten:

»Da seht Ihr's ja, Jungens, das Geschäft ist eben wie es ist! Das eine Jahr hat man Erfolg, das andere nicht, deshalb braucht man sich aber nicht zu verwundern oder gleich alles Vertrauen zu verlieren. Die Walfische laufen nicht den Schiffen nach, sondern das Schiff den Walfischen, und wenn die ins offene Meer ausgewandert sind, dann heißt's, eine seine Nase haben, die Burschen aufzuspüren. Versorgt Euch also mit der nöthigen Geduld, packt sie in Eueren Sack, legt das Schnupftuch drüber und wartet das weitere ruhig ab!«

Das war ja verständig gesprochen, und es lohnte sich mehr, auf den Meister Ollive zu hören, als auf den Meister Cabidoulin, dem gegenüber der erstere jedes Gespräch mit den Worten beendigte:

»Na, die Flasche Tafia gilt doch noch?

– Jetzt und immer!« erwiderte dann der Böttcher.

Thatsächlich schien es freilich, als ob die Dinge, je weiter man hinauskam, Jean-Marie Cabidoulin immer mehr recht geben sollten. Traf der »Saint Enoch« auf keinen Walfisch, so wurden auf dem Meere doch mancherlei Triften, wie Trümmer von Booten und treibende Schiffsrumpfe, entdeckt. Bemerkenswerth war dabei ferner, daß die Schiffe alle durch eine Collision beschädigt zu sein schienen, und wenn sie von ihrer Besatzung verlassen waren, kam das daher, daß sie die See nicht mehr halten konnten.

Im Laufe des 20. October erfuhr die Eintönigkeit der Reise einmal eine Unterbrechung. Endlich bot sich dem »Saint Enoch« nämlich noch eine Gelegenheit, einen Theil der Fässer in seinem Raum zu füllen.

Da der Wind seit gestern merkbar abgeflaut war, hatte Bourcart noch die Topp- und die Stagsegel setzen lassen. Am wolkenlosen Himmel glänzte die Sonne und scharf hob sich die Grenzlinie des Horizontes im ganzen Umkreise ab.

Gegen drei Uhr befanden sich der Kapitän Bourcart, der Doctor Filhiol und die Officiere unter dem Sonnendache des Hinterdecks im Gespräch, als plötzlich der Ruf:


Das war nicht der Rumpf eines Schiffes, sondern ein großer Wal. (S. 141.)

»Ein Walfisch... ein Walfisch!« aufs neue ertönte.

Der Harpunier Ducrest war es, der diesen Ruf von der Mars des Großmastes ausgestoßen hatte.

»In welcher Richtung? fragte ihn sofort der Hochbootsmann.

– Drei Meilen von uns unter dem Winde.«

[144] Diesmal konnte kein Irrthum vorliegen, denn man sah den bekannten Dampf- und Wasserstrahl deutlich aufsteigen. Das Thier war offenbar eben aus dem Wasser emporgetaucht, als Ducrest es bemerkte. Ein zweiter aufsteigender Strahl folgte auch bald dem erstbeobachteten nach.

Da war es denn kein Wunder, daß der Lieutenant Allotte nicht dazu schweigen konnte.

»Endlich... der ist doch nicht todt, der Bursche da draußen! rief er freudig.

[145] – Nein bestätigte Heurtaux, und er kann nicht einmal verwundet sein, da er keinen blutigen Strahl ausbläst!

– Die drei Boote ausgesetzt!« befahl der Kapitän Bourcart.

Kaum jemals hatten so günstige Verhältnisse für eine Jagd vorgelegen, wie heute, denn das Meer war fast glatt, eine leichte Brise schwellte die Segel der Boote und dazu blieb es noch mehrere Stunden hell, was auch eine etwa nöthige, längere Verfolgung gestattete.

Binnen wenigen Minuten schwammen die Boote des Obersteuermanns und der beiden Lieutenants mit der nöthigen Ausrüstung auf dem Wasser, besetzt von Heurtaux, Coquebert und Allotte, je einem Matrosen am Steuer, vier Mann für die Ruderbänke, und von den Harpunieren Kardek, Durut und Ducrest, die im Vordertheile Platz nahmen. Dann segelten sie schnell in nordöstlicher Richtung ab.

Heurtaux empfahl den beiden Lieutenants, die größte Vorsicht zu beobachten, da es von Wichtigkeit war, den Wal nicht zu erschrecken, sondern ihn zu überraschen. Er schien sehr groß zu sein, denn zuweilen spritzte das Wasser von den Schlägen seines Schwanzes auffallend hoch empor.

Der »Saint Enoch« kam unter verminderter Segelfläche langsam nachgefahren.

Die drei Boote schritten in gerader Linie neben einander vor und sollten einer ausdrücklichen Empfehlung Bourcart's nach keines dem anderen vorausfahren, da es gerathener und sicherer erschien, im Augenblicke des Angriffs auf das Thier beisammen zu sein.

Der Lieutenant Allotte mußte also seine Ungeduld zügeln. Das kam ihm aber offenbar schwer genug an, denn von Zeit zu Zeit mußte Heurtaux ihn zurückhalten.

»Nicht so schnell, Allotte, nicht zu schnell! ermahnte er ihn dann. Bleibt, wie sich's gehört, hübsch in Reih' und Glied!«

Als der Walfisch zuerst erblickt worden war, lag er etwa drei Meilen vom Schiffe entfernt, eine Strecke, die die Boote bequem in einer halben Stunde zurücklegen konnten.

Nun wurden die Segel eingezogen und die Maste auf die Bänke niedergelegt, um bei den weiteren Vornahmen nicht hinderlich zu sein. Jeder Harpunier hatte zwei Harpunen – eine zum Ersatz – bei der Hand; ebenso lagen die neugespitzten Lanzen und die frisch geschliffenen Beile in Bereitschaft. Man überzeugte [146] sich noch, daß die in den Balgen aufgerollt liegenden Leinen sich nicht verwickeln und über die mit Blei ausgelegte Einkerbung am Vordertheile leicht ablaufen könnten, sowie, daß sie mit der hinter dem kleinen Vordeck angebrachten Rolle schnell wieder aufzuwinden wären. Wenn das harpunierte Thier dann über das Wasser hin entwich oder unter dieses eintauchte, wollte man ihm die Leine nachschießen lassen.

Es handelte sich hier um eine achtundzwanzig bis neunundzwanzig Meter lange Balänoptere von der Art der Culammaks. Mit den drei Meter langen Brustflossen und dem sechs bis sieben Meter langen dreieckigen Schwanze mochte das Thier wohl gegen hundert Tonnen wiegen.

Ohne die geringste Beunruhigung zu verrathen, ließ sich der Culammak, den Kopf abseits von den Booten gewendet, von der langen Dünung auf und ab wiegen. Jean-Marie Cabidoulin hatte mit Bestimmtheit erklärt, daß er mindestens zweihundert Faß Thran liefern werde.

Die drei Boote, eines an jeder Seite und das dritte hinter diesen etwas zurückbleibend und nun bereit, nach links und nach rechts zu wenden, waren nahe bei dem Wale angelangt, ohne daß er etwas davon bemerkt hatte.

Durut und Ducrest standen schon auf dem kleinen Deck an der Spitze der Boote und schwangen ihre Harpunen in der Erwartung, sie auf den Wal unterhalb seiner Brustflossen zu schleudern, was diesen, wenn er richtig getroffen wurde, gleich tödtlich verwundete. Erreichten ihn die Harpunen von beiden Seiten, so mußte er um so sicherer zu erbeuten sein. Wenn dann auch eine Leine zerriß, hielt man ihn doch noch an der anderen, ohne befürchten zu müssen, ihn während des Untertauchens zu verlieren.

In dem Augenblicke aber, wo der Lieutenant Allotte näher an den Culammak heranfahren wollte, drehte dieser sich, noch ehe der Harpunier seine Waffe auf ihn schleudern konnte, so blitzschnell um, daß das Boot dabei ernstlich in Gefahr kam, und tauchte dann unter mit einem mächtigen Schlage des Schwanzes auf das Wasser, das wohl zwanzig Meter hoch auf spritzte.

»Der verwünschte Bursche! riefen die Matrosen.

– Da geht er uns nun davon!

– Ohne einen Lanzenstich in der Seite!

– Und ohne eine Leine, die ihm nachschösse!

– Wann wird er wohl wieder auftauchen?

– Und wo wird er dann sichtbar werden?«

[147] Gewiß war nur, daß bis dahin eine halbe Stunde, nämlich ebensoviel Zeit wie seit dem ersten Aufsteigen seines Wasserstrahles, vergehen werde.

Nach der heftigen Bewegung infolge des Schlages mit dem Schwanze hatte sich das Meer allmählich wieder beruhigt. Die Boote ruderten näher an einander heran. Heurtaux und die beiden Lieutenants waren fest entschlossen, sich eine so gute Beute nicht entgehen zu lassen.

Zunächst blieb freilich nichts anderes übrig, als das Wiederauftauchen des Culammaks abzuwarten, dem man ja nicht mittels Leine folgen konnte. Zu wünschen war da nur, daß das unter dem Winde der Fall wäre, damit man ihn mit Riemen und Segeln verfolgen könnte.

Weit und breit zeigte sich übrigens keine andere Cetacee.

Kurz nach vier Uhr war es, als der Culammak von neuem sichtbar wurde. Hagelgleich schoß er zwei mächtige Luft- und Wasserstrahlen empor.

»Die Segel hißen... die Riemen einlegen... schnell drauf los!« rief Heurtaux.

Eine Minute später glitten die Boote eiligst in der Richtung nach dem Wale hin.

Dieser entfernte sich jedoch, mit dem Rücken über dem Wasser liegend, mit größter Geschwindigkeit weiter nach Nordosten.

Da der Wind etwas frischer geworden war, kamen ihm die Boote dennoch langsam näher.

Der Kapitän ließ in der Befürchtung, seine Leute könnten sich gar zu weit entfernen, jetzt auch Segel beisetzen, um jene nicht aus dem Auge zu verlieren. Mit der Strecke, die er nach Nordosten zurücklegte, ersparte er den Booten Zeit und Anstrengung, wenn diese mit dem Thiere im Schlepptau nach dem Schiffe zurückkehren wollten.

Die Jagd ging inzwischen unverändert weiter. Der Culammak entfloh noch immer, und die Harpuniere konnten ihm nicht nahe genug kommen, von ihren Harpunen Gebrauch zu machen.

Allein auf ihre Riemen angewiesen, hätten die Boote nicht so lange Zeit so schnell vorwärts kommen können. Glücklicherweise half ihnen dabei der Wind, und das Meer war der Fahrt obendrein günstig. Nur die herannahende Nacht konnte Heurtaux und seine Leute zwingen, nach dem »Saint Enoch« zurückzukehren, da es ihnen an Lebensmitteln fehlte, bis zum nächsten Tage auf dem Meere auszuhalten. War die Balänoptere nicht vor Eintritt der Dunkelheit [148] getödtet und angeseilt, so mußten die Jäger wohl oder übel auf die Fortsetzung der Verfolgung verzichten.

Allem Anscheine nach sollte dieser Fall eintreten, und es war bereits halb sieben Uhr, als der noch auf dem kleinen Deck stehende Durut ausrief:

»Ein Schiff im voraus!«

Heurtaux sprang in dem Augenblicke auf, wo die Lieutenants Coquebert und Allotte das betreffende Schiff zu sehen suchten.

Ein Dreimaster, der unter vollen Segeln sich so dicht wie möglich am Winde hielt, erschien in der Entfernung von vier Meilen im Nordosten.

Daß es ein Walfänger sei, unterlag keinem Zweifel. Wahrscheinlich hatten auch seine Wachen den Culammak entdeckt, der sich jetzt in der Mitte zwischen ihm und den Booten hielt.

Da rief plötzlich Romain Allotte, während er das Fernrohr sinken ließ:

»Das ist der »Repton«...

– Ja wahrhaftig... der »Repton«, bestätigte Heurtaux, er scheint uns den Weg abschneiden zu wollen...

– Er führt auch Backbordhalfen... setzte Yves Coquebert hinzu.

– O, er wird uns nur den Salut entbieten wollen!« sagte der Lieutenant Allotte mit bitterer Ironie.

Acht Tage waren jetzt seit der Trennung des französischen und des englischen Fahrzeuges verflossen, nachdem sie Petropawlowsk gleichzeitig verlassen hatten. Der »Repton« hatte einen mehr nördlichen Curs eingeschlagen, so als ob er nach der Behringstraße segeln wollte, und jetzt tauchte er doch hier auf, ohne die nächsten alëutischen Inseln umschifft zu haben.

Wollte nun der Kapitän King jetzt ebenfalls auf das Thier Jagd machen, das die Boote des »Saint Enoch« schon seit drei langen Stunden verfolgten?

Diese Vermuthung bestätigte sich, denn der Harpunier Kardek meldete Heurtaux:

»Da... jetzt setzen sie ihre Boote aufs Wasser.

– Es ist klar, sie wollen den Wal fangen, erklärte der Lieutenant Coquebert.

– Sollen ihn aber nicht bekommen!« antwortete Romain Allotte entschlossen.

Die übrigen Leute stimmten, das kann ja nicht wundernehmen, dem Lieutenant bei.

[149] Obgleich es über dem Meere schon ziemlich stark dunkelte, schossen die Boote des »Repton« doch mit größter Geschwindigkeit auf den Culammak zu, der jetzt unbeweglich dalag, als wisse er nicht, ob er nach Osten oder nach Westen entfliehen sollte. Die Matrosen vom »Saint Enoch« legten sich jetzt mit Leibeskräften in die Riemen, um den Engländern zuvorzukommen, denn da es windstill geworden war, hatten die Segel eingezogen werden müssen.

»Fest, Kinder, fest!« wiederholten Heurtaux und die Lieutenants, die ihre Leute durch Zurufe und Handbewegungen anfeuerten.

Die Matrosen aber, die sich im Rudern fast selbst überboten, riefen einstimmig:

»Nein, sie sollen ihn nicht bekommen... sollen ihn nicht fangen!«

Die auf beiden Seiten noch zurückzulegende Entfernung war ziemlich gleich groß, und es sah aus, als ob alle Boote die Balänoptere zur gleichen Zeit erreichen würden, wenn diese nicht noch einmal untertauchte.

Jetzt war natürlich keine Rede mehr davon, sich in einer Linie zu halten, wie es Heurtaux vorher angeordnet hatte. Jedes Boot eilte sozusagen auf eigene Rechnung dahin. Wie gewöhnlich hielt sich der Lieutenant Allotte an der Spitze und rief immer wieder:

»Fest, Kinder, fest anziehen!«

Doch auch die Engländer kamen schnell näher und der Culammak schien sich obendrein nach ihrer Seite wenden zu wollen.

Binnen zehn Minuten mußte die Sache entschieden sein; dann war der Wal entweder harpuniert oder von neuem im Wasser verschwunden.

Nach wenigen Augenblicken lagen die sechs Boote einander auf Kabellänge gegenüber, und es war sehr fraglich, was sich bei der gereizten Stimmung beider Mannschaften wohl noch ereignen könnte.

»Der Bursche da will wohl seinen Thran gar den Engländern zutragen?« rief einer der Matrosen aus Coquebert's Boote, als er das Thier sich gegen den »Repton« hin wenden sah.

Doch nein, der Culammak machte halt, als die Boote sich ihm auf hundert Fuß genähert hatten. Um sicherer zu entkommen, wollte er vielleicht noch untertauchen.

In diesem Augenblicke schwang Ducrest auf dem Boote Allotte's seine Harpune und schleuderte sie kräftig hinaus, während der Harpunier von dem zum »Repton« gehörigen Boote Strok's auch die seine hinauswarf.

[150] Der Culammak war getroffen. Aus seinen Spritzlöchern sprang blutiger Schaum in die Höhe, noch einmal schlug er mit dem Schwanze auf das Meer, drehte sich dann auf den Rücken und blieb regungslos liegen.

Welcher von den beiden Harpunieren hatte ihm nun die tödtliche Verletzung beigebracht?

11. Capitel

Elftes Capitel.
Zwischen Engländern und Franzosen.

Wenn jemals die feindselige Stimmung, die die Mannschaften des »Repton« und des »Saint Enoch« erfüllte, Gelegenheit hatte, zu Tage zu treten, so war es, wie jedermann zugeben wird, unter den jetzigen Umständen der Fall.

Daß der Walfisch zuerst von den Wachen auf dem »Saint Enoch« bemerkt worden war, und daß sich die Franzosen zuerst zu seiner Verfolgung aufgemacht hatten – das unterlag ja keinem Zweifel. Unstreitig waren die Boote des Obersteuermanns und der beiden Lieutenants schon vor drei Stunden klar gemacht worden, um den Culammak einzufangen. Wäre er gleich auf der Stelle erlegt worden, so hätte man ihn an Bord des damals noch gar nicht aufgetauchten englischen Schiffes überhaupt nicht bemerken können. Er war aber nach Nordosten zu und dahin ausgewichen, wo zwei Stunden später der »Repton« erscheinen sollte. Dann erst hatte der Kapitän King, obwohl die französischen Boote das Thier schon verfolgten, auch seine Boote aufs Meer setzen lassen.

Doch wenn auch beide Harpunen gleichzeitig geschleudert worden waren, hatte die des Engländers den Culammak nur am hinteren Theile des Körpers, am Anfange des Schwanzes, getroffen, während die Ducrest's, die linke Vorderflosse durchbohrend, bis ins Herz des Thieres eingedrungen war, infolge dessen der Walfisch sofort Blut auswarf.

Auch angenommen, daß es gerechter gewesen wäre, jedem Schiffe die Hälfte des Thieres zu überlassen, hätten sich beide zu diesem Fange beglückwünschen [151] können. Weder der »Repton« noch der »Saint Enoch« hatte in der letzten Fangzeit eine Balänoptere erbeutet, die sich mit dieser hier hätte messen können.

Selbstverständlich kam es bei den Franzosen ebenso wie bei den Engländern niemand in den Sinn, eine Theilung vorzuschlagen. Zweifellos hatte ja die eine Harpune eine solche Wunde hervorgebracht, daß der Tod infolge davon eintrat – es war das ein sehr glücklicher und ungemein seltener Wurf gewesen – die andere hatte das Thier aber ebenfalls getroffen.

Als nun die Leute Heurtaux' gerade Anstalt trafen, ein Schleppseil um den Schwanz der Beute zu schlingen, gingen die Matrosen Strok's daran, dasselbe zu thun.

In einem Kauderwälsch, das die Franzosen hinreichend verstanden, schrien die Engländer dazu:

»Fort mit den Booten vom »Saint Enoch«!«.. Abstoßen!«

Sogleich erwiderte aber der Lieutenant Allotte:

»Nein, schert Ihr euch weg!

– Dieser Walfisch gehört rechtmäßigerweise uns, erklärte der Obersteuermann des »Repton«.

– Nein... uns... er ist für uns eine gute Prise! erklärte dagegen Heurtaux.

– Anseilen!... Anseilen!« rief Strok, ein Befehl, der augenblicklich vom Steuermann des »Saint Enoch« wiederholt wurde.

Gleichzeitig legte sich das Boot des Lieutenants Allotte dicht an das gewaltige Thier und warf ein Seil darüber, was auch von den Matrosen des »Repton« geschah.

Und wenn die drei Boote der Engländer und die drei der Matrosen nun davon ruderten, so konnte das Thier offenbar weder nach dem »Saint Enoch« noch nach dem »Repton« gebracht werden, dagegen mußten durch den doppelten Zug in entgegengesetzten Sinne die Seile leicht zerrissen werden.

Nach verschiedenen gleichzeitigen Versuchen trat das denn auch ein.

Von der Nutzlosigkeit weiterer Anstrengungen überzeugt, verzichteten die Boote auch auf diese Versuche; sie fuhren vielmehr auf einander zu und lagen bald Bord an Bord.

Bei der Geistesverfassung, in der sie sich befanden, konnte man gewiß befürchten, daß die Mannschaften nun handgemein werden könnten. Es fehlte ja beiden Theilen nicht an Waffen, an Reserveharpunen, Lanzen, Beilen, ohne von [152] dem Taschenmesser zu reden, von dem sich ein Matrose doch kaum jemals trennt. Die Streitigkeit drohte also in einen Kampf auszuarten... dann ging es aber ohne Blutvergießen nicht ab, vorzüglich wenn die Schiffe jedes für seine Boote Partei nahmen.

Mit drohender Handbewegung und erregter Stimme wendete sich jetzt Strok, der Heurtaux' Muttersprache vollkommen beherrschte, an seinen Gegner mit den Worten:

»Wollen Sie zu bestreiten wagen, daß dieser Walfisch uns gehört? Lassen Sie sich gesagt sein, daß wir nie zugeben werden...

– Worauf gründen Sie denn Ihren Anspruch? unterbrach ihn Heurtaux, nachdem er den beiden Lieutenants ein Zeichen gegeben hatte, ihn allein sprechen zu lassen.

– Sie fragen, worauf der gegründet sei? antwortete der Obersteuermann vom »Repton«.

– Ja, das will ich wissen!

– Nun, darauf, daß der Walfisch nach unserer Seite kam und daß Sie ihn nicht hätten erreichen können, wenn ihm von uns nicht der Weg versperrt worden wäre.

– Und ich erkläre Ihnen, daß unsere Boote ihm schon länger als zwei Stunden nachgejagt waren.

– O, unsere Boote waren auch schon lange ausgesetzt...

– Doch erst nach den unserigen, Herr... entgegnete Heurtaux.

– Nein! rief Strok trotzig.

– Auf jeden Fall ist er zuerst an Bord des »Saint Enoch« gemeldet worden, denn Ihr Schiff war zu der Zeit noch gar nicht einmal in Sicht.

– Was verschlägt das, da Sie ihm nicht haben nahe genug kommen können, ihn zu harpunieren?

– Das sind leere Worte! erwiderte Heurtaux, der allmählich warm wurde. Kurz: ein Walfisch gehört noch nicht dem, der ihn sieht, sondern dem, der ihn erlegt.

– Vergessen Sie nicht, daß unsere Harpune vor der Ihrigen geworfen worden ist.

– Jawohl... jawohl! brüllten die Engländer ihre Waffen schwingend.

– Nein... nein!« widersprachen die Franzosen, die Leute vom »Repton« bedrohend.

[153] Jetzt hätte Heurtaux ihnen nicht mehr Schweigen gebieten können, vielleicht sollte er nicht einmal imstande sein, sie von einem Angriff abzuhalten.

Thatsächlich waren beide Parteien schon nahe daran, übereinander herzufallen.

In der Absicht, alles mögliche zu versuchen, sagte Heurtaux zum Obersteuermann des »Repton«:

»Angenommen, daß Ihre Harpune – was aber nicht zutrifft – zuerst geworfen worden wäre, so hat sie doch keine tödtliche Wunde erzeugen können, dagegen hat die unsere den Tod des Thieres herbeigeführt.

– Das ist leichter gesagt als bewiesen!

– Sie wollen also nicht weichen?

– Nein!« heulten die Engländer.

Jetzt flammte bei den Mannschaften der Zorn so heftig auf, daß nur noch eine Entscheidung durch die Gewalt übrig blieb.

Ein Umstand setzte die Matrosen vom »Repton« aber so sehr in Nachtheil, daß sie, wenn sie auch den Kampf begannen, doch nicht daran denken konnten, ihn fortzusetzen. Kam es zum Handgemenge, so hätten die Franzosen doch schließlich die Engländer in die Flucht gejagt.

Der in widrigem Winde liegende »Repton« hätte bei der ohnehin schwachen Brise kaum herankommen können. Er lag noch anderthalb Meilen entfernt, während der »Saint Enoch« kaum einige Kabellängen von den Booten schon beidrehte. Das war auch Strok nicht entgangen, und deshalb hütete er sich weislich, es auf einen Kampf ankommen zu lassen.

Als »praktische Leute« begriffen die Engländer, daß sie unter so ungünstigen Verhältnissen doch nicht Sieger bleiben könnten. Die ganze Mannschaft des »Saint Enoch« würde sie überwältigen, ehe der »Repton« ihnen zu Hilfe kommen könnte. Uebrigens hatte der Kapitän Bourcart schon sein viertes Boot aussetzen lassen, und damit war eine Verstärkung um zehn Mann im Anzuge.

Da gab Strok seinen Matrosen, die sich in einer Falle sahen, den Befehl:

»Zurück an Bord!«

Ehe er aber den Walfisch preisgab, setzte er noch mit einer Stimme, worin Wuth und Aerger sich mischten, hinzu:

»Wir werden uns wiedertreffen!

– Wann es Ihnen beliebt«, antwortete Heurtaux.

Seine Leute enthielten sich aber nicht zu rufen:

[154] »Senkt sie in den Grund, die English, versenkt die Kerle!«

Mit Hilfe ihrer Riemen fuhren die Boote Strok's auf den noch eine gute Meile entfernten »Repton« zu.

Nun blieb nur zu wissen, ob Strok leere Drohungen ausgestoßen habe oder ob sich die Angelegenheit nicht in sachlicher Weise zwischen den beiden Schiffen regeln werde.

Der Kapitän Bourcart, der im vierten Boote selbst mit Platz genommen hatte, kam eben heran.

Er wurde sofort von dem Vorgefallenen in Kenntniß gesetzt, und nachdem er von dem Verhalten Heurtaux' gehört hatte, begnügte er sich zu sagen:

»Wenn der »Repton« von dem »Saint Enoch« etwas wissen will, wird der ihm die Antwort nicht schuldig bleiben!... Inzwischen nehmt den Wal in's Schlepptau«.

Das entsprach so vollkommen der allgemeinen Stimmung, daß die Mannschaften laute Hurrahs riefen, die die Engländer noch hören mußten... Der »Repton« hatte ihr Schiff ja nicht salutiert... gut, nun salutierten sie jenen mit Scherzreden, die ebenso salzig waren wie das Wasser des Stillen Oceans.

Die Balänoptere wurde also fortgeschleppt; ihr Gewicht war aber so groß, daß sich die Matrosen aller vier Boote tüchtig ins Zeug legen mußten, sie nach dem »Saint Enoch« zu befördern.

Meister Ollive, der Zimmermann Ferut und der Schmied Thomas standen hier auf dem Vorderkastell. Nach Jean-Marie Cabidoulin's Schätzung sollte der Culammak zweihundert Faß Thran geben. Mit dem, was der »Sait Enoch« schon im Raume verstaut hatte, machte das eine halbe Ladung aus.

»Nun, Alterchen, was sagst Du dazu? fragte Meister Ollive, sich an den Böttcher wendend.

– Ich... ich sage, daß dieser Thran uns beim nächsten Sturme willkommen sein wird, die Wellen damit einigermaßen zu glätten, erwiderte Meister Cabidoulin.

– Ach, ich bitte Dich... uns wird kein Faß davon fehlen, wenn wir in Vancouver eintreffen... Die Flasche gilt doch noch immer?

– Selbstverständlich!«

Einer der Leichtmatrosen schlug eben halb acht Uhr Abend an. Es war also schon zu spät, den Wal erst zu wenden, und man begnügte sich deshalb, ihn an der Seite des Fahrzeuges festzulegen. Nächsten Morgen sollte die Mannschaft [155] frühzeitig mit der Abweidung und mit dem Schmelzen des Speckes beginnen, eine Arbeit, die bis zu ihrer Beendigung immerhin zwei volle Tage beanspruchen würde.

Im ganzen konnte man sich ja beglückwünschen. Die Ueberfahrt von Petropawlowsk nach Victoria ging doch damit aus, daß Bourcart wenigstens eine halbe Ladung mitbrachte. Das war mehr, als man unter den gegebenen Verhältnissen zu hoffen gewagt hatte. Da außerdem anzunehmen war, daß der Marktpreis in Victoria nicht heruntergegangen wäre, lieferte diese zweite Campagne noch einen recht befriedigenden Ertrag.

Uebrigens war dem »Saint Enoch« auch jede schlimme Begegnung erspart geblieben. Statt des Seeungeheuers, von dem die kamtschadalischen Fischer gefabelt hatten, hatte sich dieser prächtige Culammak fangen lassen!

Die Nacht sank herab, die Segel waren eingebunden und der Dreimaster hatte nun nur noch den Aufgang der Sonne abzuwarten.

Schon gegen Abend war der Wind kaum noch fühlbar gewesen und das Meer lag glatt und fast ruhig da. Die leichte Dünung war so gering, daß man wegen der Seile, die den Walfisch hielten, außer Besorgniß sein konnte, während es ein arger Verdruß und ein großer Verlust gewesen wäre, wenn die gute Beute in der Nacht vielleicht verloren ging.

Daneben waren übrigens einige Vorsichtsmaßregeln nicht zu versäumen, wenigstens in Bezug auf strenge Wachsamkeit. Niemand konnte ja wissen, ob der Kapitän King die Drohungen seines Obersteuermannes nicht wahrmachen und den Versuch wagen sollte, unter einem Angriff auf den »Saint Enoch« den Culammak zu rauben.

»Sollte ein so ungerechtfertigter Angriff wirklich zu befürchten sein? fragte der Doctor Filhiol.

– Meiner Treu, antwortete der Lieutenant Coquebert, bei Engländern weiß man niemals, woran man ist...

– Und gewiß ist, setzte Heurtaux hinzu, daß sie sich sehr wüthend zurückgezogen haben.

– Das begreif' ich, rief der Lieutenant Allotte, ein so fetter Bissen, der ihnen vom Munde weg entrissen wurde!

– Ja, meinte Heurtaux, mich sollte es gar nicht wundern, wenn sie kämen.

– Sie mögen nur kommen! erklärte der Kapitän Bourcart. Wir werden zu einem warmen Empfange schon bereit sein!«

[156] Der Kapitän konnte wohl eine so zuversichtliche Sprache führen, da er seiner Mannschaft sicher war. Es wäre ja auch nicht das erste Mal gewesen, daß zwischen Walfängern Streitigkeiten wegen eines von zwei Parteien beanspruchten Walfisches entstanden wären... Streitigkeiten, die oft genug zu den bedauerlichsten Gewaltacten geführt hatten.

Auf dem »Saint Enoch« wurde also ein besonders verschärfter Wachdienst angeordnet, und die betreffenden Mannschaften hielten die Augen gut genug offen. Konnte der »Repton« wegen Mangels an Wind auch kaum an den »Saint Enoch« herankommen, so war doch nicht ausgeschlossen, daß er alle seine Boote aussendete, und darum kam es darauf an, sich in der Nacht nicht überraschen zu lassen.

Die Sicherheit des französischen Schiffes wurde übrigens noch dadurch erhöht, daß sich gegen zehn Uhr ein dichter Nebel auf die See lagerte, so daß es sehr schwierig gewesen wäre, die Stelle zu finden, wo sich der »Saint Enoch« befand.

Die Stunden vergingen ohne jede Beunruhigung. Als die Sonne aufstieg, hätte der Nebel, der sich noch nicht zerstreute, den »Repton« selbst in der geringen Entfernung einer halben Meile nicht entdecken lassen. Vielleicht hatten die Engländer auf die Ausführung ihrer Drohungen doch nicht verzichtet und versuchten einen Angriff, wenn der Nebel mehr aufgestiegen war. Der Wind wäre ihnen jedoch auch dann nicht zu Hilfe gekommen. Noch immer rührte sich kein Lüftchen und im Zustand der Atmosphäre trat überhaupt keine Aenderung ein. Die Mannschaft des »Saint Enoch« konnte ihre Arbeit ungestört aufnehmen.

Bei Tagesanbruch – am 21. October – hatte Bourcart mit der Abweidung des Wales beginnen lassen, die Arbeit aber möglichst zu beschleunigen anbefohlen. Deshalb wurden gleich zwei Winden aufgestellt und die Mannschaften daran lösten einander immer nach kurzer Zeit ab.

Schon vorher hatten der Meister Ollive und einige Matrosen eine Kette so um den Wal gelegt, daß dieser leicht um sich selbst gedreht werden konnte. Zuerst wurde jedoch der Kopf des Thieres abgetrennt, doch machte es große Mühe, diesen auf das Deck zu hissen. Dann ging man daran, die Lippen davon abzuschneiden und die Zunge, sowie die Barten herauszuholen, was dadurch erleichtert war, daß man den Kopf in vier Theile zerlegt hatte.

Dank dem in Petropawlowsk eingenommenen Vorrathe an Holz, konnte der Schmelzofen geheizt werden und der Koch unterhielt das Feuer unter den Schmelztöpfen. [157] Zuerst wurde nun hier das Fett aus dem Kopfe, den Lippen und der Zunge ausgelassen, das die vorzüglichste Sorte Thran liefert. Dann begann man die Abschälung des Rumpfes in sieben bis acht Faden langen Streifen, die zu solchen von zwei Fuß Länge zerschnitten wurden, um in den Ofen eingelegt werden zu können.

Der ganze Morgen und ein Theil des Nachmittags wurde dieser Arbeit gewidmet.

Erst gegen drei Uhr hatte sich der Nebel ein wenig gelichtet. Der mehr in Bläschenform übergegangene Dunst gestattete vom »Saint Enoch« aus jedoch immer nur einen Rundblick auf eine halbe Meile.

Vom »Repton« war nichts zu bemerken. Bei dem Mangel an Wind hätte er sich zwar nicht unter Segel, doch – wenn das auch große Anstrengung kosten mußte – von seinen Booten bugsiert nähern können.

Bourcart ließ in seiner Wachsamkeit indessen nicht nach und schickte sogar das Boot des Lieutenants Allotte ab, um im Nordosten Umschau zu halten. Das kam aber zurück, ohne etwas melden zu können, obwohl es in der bezeichneten Richtung eine halbe Meile weit hinausgefahren war.

Die Mannschaft hätte es vielleicht gar nicht ungern gesehen, sich mit den Engländern zu messen. Das liegt einmal den Franzosen – und eigentlich den Seeleuten aller Nationen – so im Blute. Die Franzosen denken noch immer an eine Revanche für Waterloo. Diesmal würde die Kanone vom Mont Saint-Jean den Mund freilich nicht aufthun und Wellington würde zum Rückzug aufs hohe Meer blasen lassen müssen.

Die Arbeit auf dem Schiffe schritt unter den günstigsten Umständen fort. Bourcart rechnete darauf, daß die Hälfte des Speckes noch an diesem Tage zum Ausschmelzen käme. Er hegte also die Hoffnung, wenn etwas Wind aufspränge, am übernächsten Tage mit zweihundert Faß Thran mehr im Frachtraum absegeln zu können.

Gegen vier Uhr kam es jedoch noch zu einer Art Alarm.

Der im kleinen Canot sitzende Schmied Thomas war gerade beschäftigt, eine leichte Beschädigung am Beschlag des Steuerruders auszubessern, als er ein schwaches Klatschen von Wellen westlich vom Schiffe zu hören glaubte.

Das schien ihm von dem Einschlagen von Riemen ins Wasser herzurühren und deutete auf eine Annäherung der Boote des »Repton«, wonach die Engländer also die Lage des »Saint Enoch« ausgespürt haben müßten.

[158] Der Schmied begab sich eiligst wieder aufs Deck, um Bourcart seine Beobachtung zu melden. Jetzt konnte ja die Stunde gekommen sein, wo die Gewehre von dem Rechen in der Cajüte geholt werden und die Mannschaften sich zu einer Abwehr rüsten mußten.

Die Arbeit wurde unterbrochen und den mit dem Abhäuten beschäftigten Matrosen der Befehl ertheilt, aufs Deck zurückzukehren.

Sehen konnte man inmitten der hin und her wallenden Dunstmassen freilich nichts und mußte sich also gänzlich aufs Gehör verlassen. An Bord herrschte tiefe Stille. Selbst das im Schmelzofen knisternde Feuer war gelöscht worden. Das geringste Geräusch von der See her wäre unbedingt vernehmbar gewesen. Einige Minuten vergingen. Kein Boot erschien, und vom Kapitän King wäre es überhaupt eine Tollkühnheit gewesen, den »Saint Enoch« unter den vorliegenden Umständen anzugreifen. Obgleich der Nebel, wenn er den Engländern hinderlich war, es ihnen vielleicht ermöglichte, sich unbemerkt ziemlich nahe heranzuschleichen, mußten diese sich doch sagen, daß Bourcart auf seiner Hut sein werde. Meister Ollive wiederholte freilich immer:

»O, von Seite der Engländer würde ich mich über gar nichts wundern!«

Bald ergab sich aber doch, daß es sich nur um einen falschen Alarm gehandelt hatte. Das Wellenplätschern konnte nur von einem vereinzelten Lufthauch hergerührt haben, wie sich ein solcher bei Nebel manchmal erhebt, ohne diesen doch zerstreuen zu können. Man bemerkte auch wirklich, daß sich ein Brise erheben zu wollen schien, denn es wehte schon mit Unterbrechungen und bisher noch aus wechselnder Richtung. Frischte der Wind jedoch nicht weiter auf, so blieb der Himmel jedenfalls noch bis zum nächsten Sonnenaufgang verhüllt. Auf derartige Windstillen, die zu jetziger Jahreszeit im Norden des Stillen Oceans übrigens nur selten vorkommen, folgte mit Wahrscheinlichkeit recht grobes Wetter. Es lag also die Befürchtung nahe, daß die Fahrt fernerhin nicht so günstig verlaufen werde, wie seit der Abreise aus Petropawlowsk. Da der Dreimaster aber schon so manche Stürme vortrefflich und ohne jede ernstere Havarie überstanden hatte, wäre Jean-Marie Cabidoulin besser berathen gewesen, wenn er den »Saint Enoch« aus Havre, Kapitän Evariste Simon Bourcart, mit seinen gruseligen Schwarzsehereien verschont hätte.

Das Schiff konnte ja ebensogut noch einmal dasselbe Glück haben, wie bei der ersten Campagne, und noch auf weitere Walfische treffen, so daß es seine Ladung vervollständigen konnte, ehe es in Vancouver vor Anker ging.

[159] Die Stunden des Nachmittags verrannen. Wahrscheinlich herrschte in der kommenden Nacht dieselbe Finsterniß wie in der vorhergegangenen. Immerhin wurden alle Vorsichtsmaßregeln noch beibehalten und die Boote nach der Rückkehr des Lieutenants Allotte aufs Deck gehißt.

Für die noch zu bewältigende Arbeit war es für den »Saint Enoch« erwünschter, noch vierundzwanzig Stunden völlig ruhig zu liegen, wenn ihn dann nur ein günstiger Wind der Küste Amerikas zutrieb.

Plötzlich, es war kurz vor fünf Uhr, zerriß die Luft ein schrilles, heftiges Pfeifen. Gleichzeitig wurde das Meer bis in große Tiefen furchtbar aufgewühlt. Seine Oberfläche kochte und bedeckte sich mit weißem Schaum. Der auf den Rücken einer ungeheueren Woge hinaufgeworfene »Saint Enoch« stampfte und schlingerte auf einmal ganz entsetzlich. Die an den Geitauen hängenden Segel klatschten geräuschvoll gegen das Takelwerk an und die Mannschaft fürchtete schon, daß die Maste über Bord gehen könnten.

Zum Glück wurde der fest an die Schiffswand gekettete Wal dabei doch nicht weggerissen, obwohl das Schiff sich sehr tief zur Seite neigte.

»Was ist denn los?« rief Bourcart, der aus seiner Cabine gesprungen kam.

Sofort begab er sich nach dem erhöhten Hinterdeck, wo sich auch der Obersteuermann und die beiden Lieutenants zu ihm gesellten.

»Das muß eine Hochfluthwelle sein, meinte Heurtaux, ich hab' es noch gesehen, wie der »Saint Enoch« davon gepackt wurde.

– Ja, ja, eine Hochfluthwelle, sagte auch Meister Ollive, denn schon jetzt ist nicht mehr genug Wind, meinen Hut zu füllen.

– Da hier aber doch eine stürmische Bö nachfolgen könnte, fuhr der Kapitän Bourcart fort, lassen Sie alle Segel fest einbinden, Heurtaux. Man darf sich in keinem Falle überraschen lassen!«

Das war nicht nur eine kluge und zweckmäßige, sondern auch eine dringende Maßregel. Schon nach wenigen Minuten nahm die Windstärke so bedeutend zu, daß der Nebel theilweise nach Süden hin vertrieben wurde.

»Schiff hinter Backbord!«

Der Ruf, den ein auf den Wanten des Fockmastes stehender Matrose ausgestoßen hatte, wendete alle Blicke der bezeichneten Richtung zu.

War das dort auftauchende Schiff etwa der »Repton«?

Ja, man erkannte bald das englische Fahrzeug etwa in einer Entfernung von drei Meilen.

[160] [163]»Immer noch an seiner alten Stelle, bemerkte der Lieutenant Coquebert.

– Wie wir an der unseren, antwortete Bourcart.

– Es sieht aus, als wolle es Segel beisetzen, äußerte der Lieutenant Allotte.

– Ohne Zweifel... es rüstet sich zur Abfahrt, meinte Heurtaux.

– Sollte es uns etwa angreifen wollen? fragte der Doctor Filhiol.

– Dem wäre jede Tollheit zuzutrauen! rief Meister Ollive.


Das Meer fing an zu sieden und bedeckte sich mit weißem Schaum. (S. 164.)

– Nun, das wird sich ja zeigen,« begnügte sich der Kapitän zu antworten. Dabei nahm er das Fernrohr auf und richtete es nach dem englischen Walfänger.

Alles ließ erkennen, daß sich der Kapitän King die Brise zu nutze machen wollte, die jetzt aus Osten wehte und ihm ermöglichen mußte, sich dem »Saint Enoch« zu nähern. Man sah die Mannschaft schon an den Raaen beschäftigt. Bald waren Mars- und Focksegel und die Brigantine mit Steuerbordhalsen gehißt, und dann wurde das große und das kleine Klüversegel entfaltet, was das Abkommen des »Repton« erleichterte.

Jetzt entstand die Frage, ob er, dicht am Wind segelnd, seine Fahrt nach Osten fortsetzen werde, um vielleicht einen Hafen des britischen Columbia anzulaufen.

Doch nein, das schien der Kapitän King nicht zu beabsichtigen. Es unterlag bald keinem Zweifel mehr, daß er, statt nach Osten zu steuern, dem »Saint Enoch« den Weg abzuschneiden vorhatte.

»Aha, er will uns zu Leibe gehen! rief Romain Allotte. Er wird seinen Antheil vom Walfisch fordern wollen!.. Wartet nur, kein Schwanzendchen soll er davon bekommen!«

Was der Lieutenant aussprach, das wiederholte die Mannschaft. Griff der »Repton« wirklich den »Saint Enoch« an, so würde er finden, mit wem er es zu thun hätte. Die passende Antwort sollte ihm – doch nur mit Gewehren, Pistolen und Aexten – nicht vorenthalten werden.

Es war jetzt einige Minuten nach sechs Uhr. Die Sonne sank, ein wenig im Südwesten, rasch zum Horizonte hinab. Das Meer war nach der Seite, von der aus der Wind kam, von Dünsten frei. Man verfolgte gespannt jede Bewegung des »Repton«, der mit mittlerer Geschwindigkeit näher kam. Nach kaum einer halben Stunde mußte er bei Einhaltung des bisherigen Curses mit dem »Saint Enoch« Bord an Bord liegen.

[163] Da ein Angriff immerhin nicht ausgeschlossen schien, erging der Befehl, die Waffen zurecht zu machen. Die beiden Drehbassen, die die Walfänger allgemein mitführen, wurden geladen. Wenn der Kapitän King einige fünf- oder sechspfündige Kugeln herüberschickte, so wollte ihm der Kapitän mit ebenso vielen und ebenso schweren darauf Antwort geben.

Nur noch dreiviertel Meile war der »Repton« entfernt, als sich der Zustand des Meeres plötzlich änderte, ohne daß in der Bewegung der Luft ein Wechsel eingetreten wäre. Der Wind war nicht stärker geworden, der Himmel hatte sich nicht bedeckt. Keine drohende Wolke erhob sich am Horizont; in den höheren und niedrigeren Schichten der Luft herrschte fast völlige Ruhe.

Die eben aufgetretene außerordentliche Erscheinung blieb offenbar auf diesen Theil des Oceans beschränkt.

Plötzlich und unter furchtbarem Getöse, dessen Natur und Ursache an Bord des »Saint Enoch« niemand zu durchschauen vermochte, fing das Meer an zu sieden, bedeckte sich mit weißem Schaum und wallte auf, als ob ein unterseeischer Vulcanausbruch seine tiefsten Abgründe aufgewühlt hätte. Die schlimmste Bewegung erfolgte da, wo der englische Walfänger lag, während das französische Schiff nur sozusagen die Ausläufer der unerklärlichen Empörung des Wassers verspürte.

Der Kapitän Bourcart und die Seinen beobachteten überrascht den auf und ab geschleuderten »Repton«, doch was sie erst nur verwundert hatte, wuchs bald zu vollem Entsetzen an.

Der »Repton« wurde erst auf den Kamm einer ungeheueren Woge getragen und verschwand dann völlig hinter dieser. Aus der Woge schossen noch riesige Wasserstrahlen empor, als kämen sie aus den Spritzlöchern eines übermäßig großen Ungeheuers, dessen Kopf zum Theil unter dem Schiffe gewesen wäre und dessen Schwanz das Meer eine halbe Kabellänge, fast hundert Meter, im Umkreise aufwirbelte.

Als das Schiff wieder sichtbar wurde, war es in großem Umfange zerstört, seine Masten waren niedergebrochen, sein Takelwerk zerrissen und über die nach Backbord tief geneigte Schanzkleidung wälzte sich ein gurgelnder Wasserschwall hinweg.

Eine Minute später und nachdem es noch einmal emporgeschleudert und niedergestürzt war, versank es in die Tiefe des Stillen Oceans.

Der Kapitän Bourcart, seine Officiere und seine Mannschaften stießen einen Schreckensruf aus und waren halb gelähmt angesichts dieses unerklärlichen und entsetzlichen Unfalls.

[164] Vielleicht waren aber nicht alle Insassen des »Repton« mit untergegangen, vielleicht hatten einige in den Booten rechtzeitig entfliehen können, um nicht von dem wirbelnden Schlunde beim Versinken des Schiffes verschlungen zu werden. Vielleicht konnte man noch mehrere dieser Unglücklichen retten, ehe die Nacht sich über das Meer ausgebreitet hatte.

Einer solchen Katastrophe gegenüber mußte jede Feindseligkeit verstummen; hier galt es eine Menschenpflicht zu erfüllen, und das sollte im vollen Umfange geschehen.

»Die Boote schnell aufs Wasser!« rief der Kapitän Bourcart.

Erst vor zwei Minuten war der »Repton« gesunken, und jetzt durfte man wohl noch hoffen, die Ueberlebenden von dem Schiffbruche zu retten.

Plötzlich, und noch bevor die Boote niedergelassen waren, erfolgte ein, wenn auch nicht sehr starker Stoß. Am Hintertheile um sieben bis acht Zoll gehoben, neigte sich der »Saint Enoch« nach Steuerbord auf die Seite und blieb dann, als ob er auf eine Klippe aufgefahren wäre, unbeweglich liegen.

12. Capitel

Zwölftes Capitel.
Strandung.

Der Wind, der gegen fünf Uhr abends aus Osten wehte und den der »Repton« hatte benutzen wollen, hielt nicht dauernd an. Nach Sonnenuntergang flaute er ab und legte sich zuletzt gänzlich. Die Bewegung des Wassers verminderte sich bis zum leichten Plätschern an der Oberfläche. Dann trat wieder der dicke Nebel ein, der diesen Theil des Stillen Oceans schon seit achtundvierzig Stunden eingehüllt hatte.

Der »Saint Enoch« war gerade in dem Augenblicke aufgestoßen, wo die Mannschaft die Boote niederlassen wollte. War das ein Unfall von der gleichen Natur wie der, der den Untergang des »Repton« verschuldet hatte, und war das englische Fahrzeug – weniger glücklich als der »Saint Enoch« – auf eine wirkliche Klippe gerannt?

[165] Gleichviel: Wenn der »Saint Enoch« auch nicht gesunken war, so war er doch wenigstens gestrandet. Da ferner die Gefahr vorlag, daß er dennoch untergehen könnte, war es unmöglich, die Boote zur Rettung der englischen Seeleute auszusenden.

Der erste Eindruck, den Bourcart und seine Leute von dem Vorfalle empfanden, war der einer namenlosen Bestürzung.

Wie hatte es überhaupt zu einer Strandung kommen können?... Der »Saint Enoch« hatte ja von der gegen fünf Uhr aufgesprungenen Brise noch kaum etwas verspürt. An einer Klippe konnte er nur auflaufen, wenn er in eine Strömung gerathen war, von der niemand etwas ahnte und die dann auch nicht erkannt worden wäre.

Hier waren gewisse unerklärliche Verhältnisse im Spiele, und doch war es jetzt nicht die Zeit dazu, eine Erklärung zu versuchen.

Der Stoß war, wie gesagt, nur schwach gewesen. Nach wiederholtem Aufstoßen des Hintertheils aber, wobei übrigens nicht einmal das Steuer beschädigt wurde, wälzte sich eine ungeheuere Wassermenge über das Schiff hinweg. Glücklicherweise wurden seine Masten dabei nicht gelockert und die Stagseile und die Wanten blieben ohne Beschädigung.

Da auch der Boden keine Havarie erlitten hatte, schien es nicht, wie der »Repton«, von einem Untergange bedroht zu sein. Vielleicht fehlten ihm überhaupt nur wenige Zoll Wasser, wieder flott zu werden, und kam es mit dem Eintritte der Fluth schon allein wieder los.

Infolge des Stoßes waren nur die den Walfisch haltenden Ketten gesprengt werden, und die Strömung führte die Reste der Beute hinweg.

Jetzt hatte man aber anderes zu thun, als sich wegen eines Verlustes von hundert Faß Thran zu beunruhigen. Da der »Saint Enoch« gestrandet war, galt es zunächst, ihn womöglich aus seiner schlimmen Lage zu befreien.

Bei diesem Unfalle hütete sich der Meister Ollive aber weislich, Jean-Marie Cabidoulin mit Stichelreden zu reizen. Der Böttcher hätte ihm doch nur erwidert:

»Laß es nur gut sein... das ist doch nur der Anfang vom Ende!«

Inzwischen berathschlagten sich Bourcart und der Obersteuermann über die Lage.

»Es giebt doch keine Untiefen in diesem Theile des Stillen Oceans, sagte Heurtaux.

[166] – Mir fehlt es auch an jeder Erklärung, antwortete Bourcart; doch das eine ist gewiß, daß zwischen den Kurilen und Alëuten keine solche eingetragen ist.«

Thatsächlich zeigten selbst die neuesten Seekarten keine Angaben über Untiefen oder Klippen in dem Theile des Oceans, wo der hundertzwanzigste und der hundertsechzigste Meridian den fünfzigsten Breitengrad schneiden. Seit sechzig Stunden hatte der Nebel freilich den Kapitän Bourcart am Aufnehmen eines Bestecks gehindert. Nach seiner letzten Beobachtung befand er sich aber über zweihundert Meilen von den Alëuten entfernt, und es war doch kaum anzunehmen, daß der Wind oder eine Strömung – seit der Lagenberechnung am 19. October – ihn so weit rückwärts verschlagen hätte.

Dennoch hätte er kaum anderswo als an den am weitesten hinausreichenden Klippen der Alëuten auffahren können.

Bourcart begab sich nach der Officiersmesse, breitete hier die Seekarten vor sich aus und studierte sie nach allen Seiten; mit dem Zirkel bestimmte er auch annähernd die Stelle, wo sich, wenn er drei Tage Fahrt in Rechnung zog, sein Schiff jetzt befinden mußte. Doch selbst wenn er einen Irrthum um zweihundert Meilen annahm, traf er in der Richtung nach den Alëuten noch auf keine Risse.

»Könnte denn, warf da der Doctor Filhiol ein, nicht nach der Herstellung dieser Karten an der Stelle, wo wir liegen, ein Aufsteigen des Grundes stattgefunden haben?

– Eine Erhebung des Meeresbodens?«... antwortete Bourcart, der diese Hypothese nicht ganz abzuweisen schien.

War sie denn mangels jeder anderen nicht etwa annehmbar? Warum könnte sich der Meeresboden nicht entweder langsam durch dauernden Auftrieb oder vielleicht auch plötzlich, unter der Einwirkung plutonischer Kräfte, fast bis zur Wasserfläche gehoben haben? An derartigen tellurischen Erscheinungen fehlt es ja nicht in Gegenden, wo noch eine eruptive Thätigkeit herrscht. Die Gegend hier lag obendrein in der Nachbarschaft eines vulcanreichen Archipels. Erst vor dritthalb Monaten hatte man ja auf der Fahrt dahin die Flammen aus dem Chilchaldinskoi auf der Insel Unimak emporlodern sehen.

Obwohl diese Erklärung aber in gewissem Maße annehmbar erschien, wies die Mehrzahl der Mannschaft, wie sich bald zeigen wird, sie doch von sich.

Auf welche Ursache die Strandung des »Saint Enoch« indeß zurückzuführen sein mochte... die Thatsache selbst war unbestreitbar. Beim Sondieren [167] vom Vorder- und vom Hinterdeck aus fand der Meister Ollive nur vier bis fünf Fuß Wassertiefe.

Die erste Sorge des Kapitäns Bourcart war es gewesen, den Frachtraum sorgfältig zu besichtigen. Jean-Marie Cabidoulin und der Zimmermann Ferut hatten sich schon überzeugt, daß die Bordwand kein Wasser zog, daß also infolge des Stoßes kein wahrnehmbares Leck entstanden war.

Jedenfalls mußte man bis zum nächsten Tage warten, ehe die Natur dieses bisher unbekannten Riffs des Stillen Oceans bestimmt werden konnte, und vielleicht gelang es, den »Saint Enoch« vor dem Eintreten schlechteren Wetters davon abzubringen.

Die Nacht schien kein Ende nehmen zu wollen. Weder die Officiere zogen sich in ihre Cabine zurück, noch die Mannschaften ins Volkslogis. Man mußte ja jeden Augenblick auf alles bereit sein. Dann und wann strich der Kiel kratzend über das Riff – konnte er nicht vielleicht unter dem Einflusse der Strömung davon abkommen? Und konnte es nicht möglich sein, daß das Schiff auf der Seite, nach der es geneigt war, weiter abglitt und damit wieder zum Schwimmen kam?

Aus Vorsicht hatte der Kapitän Bourcart übrigens die Boote aufs Meer setzen und sie mit Nahrungsmitteln so reichlich wie möglich beladen lassen, für den Fall, daß es nothwendig würde, den »Saint Enoch« aufzugeben. Man konnte ja immerhin noch in die Zwangslage kommen, sich dieser zu bedienen, um das nächstgelegene Land zu erreichen. Das waren aber die Alëuteninseln, wenn das Schiff nicht durch ganz unbegreifliche Ursachen völlig aus seinem Curs verschlagen worden war. Dieses drohte übrigens nicht zu kentern, was vielleicht zu befürchten gewesen wäre, wenn der Walfisch noch an seiner Seite gehangen hätte.

Außer auf andere Möglichkeiten, durch die der »Saint Enoch« hätte abgebracht werden können, rechnete der Kapitän Bourcart vor allem auf die Fluth, obwohl er wußte, daß der Gezeitenunterschied im ganzen Stillen Ocean nicht eben groß war. Wer konnte aber wissen, ob das Ansteigen des Wassers um wenige Zoll nicht schon ein Wiederflottwerden herbeiführte? Es hatte ja nicht den Anschein, daß das Fahrzeug weit hinauf auf die Klippe gefahren war, an der es eigentlich nur mit der Ferse festhing.

Gegen elf Uhr hatte die Fluth angefangen, sich fühlbarer zu machen, und um zwei Uhr nach Mitternacht mußte Hochwasser sein. Der Kapitän und seine Officiere beobachteten voller Spannung das Steigen des Wassers, das sich [168] durch ein, in der so stillen Nacht leicht hörbares Anschlagen der Strömung bemerkbar machte.

Leider trat, als das Wasser den höchsten Stand erreicht hatte, keine Aenderung ein. Wohl erhielt der »Saint Enoch« einige leichte Erschütterungen und schleifte der Kiel ein wenig auf dem Grunde hin und her, das war aber auch alles. An diesem Datum des Octobers waren die Hochfluthen der Zeit der Tag- und Nachtgleiche schon vorbei, und die Aussicht auf ein Wiederfreikommen verminderte sich mit jedem weiteren Mondumlaufe.

[169] Wenn nun erst die Tiefebbe eintrat, lag ja gar die Befürchtung nahe, daß sich die Verhältnisse noch verschlechtern könnten. Das Schiff neigte sich voraussichtlich, je mehr das Wasser zurücksank, desto mehr auf die Seite, und dann war am Ende sein Kentern doch nicht ausgeschlossen.

Die Besorgniß hierüber wich nicht vor halbfünf Uhr morgens. Uebrigens hatte der Kapitän Bourcart, um auf jede Möglichkeit vorbereitet zu sein, schon die Raaen der Bramsegel niederholen lassen, um sie als Stützen zu verwenden, sie brauchten aber nicht gegen die Schiffswand gestemmt zu werden.


Vorläufig blieb es jedoch unmöglich, etwas zu erkennen. (S. 170.)

Kurz vor sieben Uhr färbte ein röthlicher Schein die Dunstmassen im Osten. Die über den Horizont emporsteigende Sonne vermochte sie noch nicht aufzulösen, und auf das Takelwerk senkte sich ein feuchter Niederschlag.

Natürlich suchten alle, die Officiere auf dem Hinterdeck, die Matrosen auf dem Vorderkastell, etwas durch den Nebel auf der Seite zu erkennen, nach der das Schiff geneigt lag, um möglichst bald mit dem Boot um dieses herumfahren zu können. Jedem lag ja daran, sich zu überzeugen, ob das Riff etwa eine sehr große Ausdehnung habe, ob es nur eine ebene Untiefe bilde oder ob bei niedrigem Wasser vielleicht gar der obere Theil von Felsen frei herausragte.

Vorläufig blieb es jedoch unmöglich, weiter als bis auf einige Meter über die Schanzkleidung hinaus etwas zu erkennen. Jedenfalls hörte man aber auch keine Brandung, die jede Strömung an Gesteinsmassen erzeugt, welche nahe an die Oberfläche des Meeres heranreichen.

Es war also nichts zu thun, ehe der Nebel nicht verschwand, und das geschah vielleicht, wie an den vorhergehenden Tagen, wenn die Sonne sich der Mitagshöhe näherte. Erlaubten es dann die Umstände, so wollte Bourcart versuchen, die Lage des Schiffes mittels Sextanten und Chronometers zu bestimmen.

Noch immer empfahl es sich, den Frachtraum vollständiger zu untersuchen. Meister Cabidoulin und der Zimmermann Ferut, die eine Anzahl Fässer von hinten her weiter nach vorn geschafft hatten, überzeugten sich aufs neue, daß nirgends Wasser eingedrungen war. Weder die Spanten nach die Bordwand hatten bei dem Aufstoßen nachgegeben. Von einer ernsteren Havarie konnte also keine Rede sein. Beim Hervorrollen der Fässer sagte sich der Böttcher aber, daß es wohl nicht zu umgehen sein werde, sie aufs Deck zu hissen und ins Meer zu werfen, um das Gewicht des Schiffes zu vermindern.

Die Morgenstunden vergingen, der Himmel wurde aber noch nicht klar. Eine oberflächliche Untersuchung, die Bourcart und der Obersteuermann im [170] Umkreise einer halben Kabellänge vom »Saint Enoch« vornahmen, gab keinen Aufschluß über Natur und Gestalt des Risses.

Vor allem galt es, nachzuweisen, ob es sich in der Nähe eines Landes befand, woran die Boote landen könnten, wenn es nothwendig würde, das Schiff zu verlassen. Bourcart konnte freilich nicht annehmen, daß ein Festland oder eine Inselgruppe nahe dieser Gegend läge. Der Doctor hatte eben eine diesbezügliche Frage an ihn gerichtet.

»Nein, Herr Filhiol, antwortete er überzeugten Tones, erst vor wenigen Tagen hab' ich, wie ich Ihnen schon sagte, ein zuverlässiges Besteck aufnehmen können. Eben hab' ich meine Rechnungen noch einmal geprüft; sie sind genau, wir liegen ohne Zweifel gegen zweihundert Meilen von der äußersten Landspitze der Kurilen.

– Dann komme ich auf meine Muthmaßung zurück, erwiderte der Doctor Filhiol. Es wird ein Aufsteigen des Meeresbodens stattgefunden haben, auf dem der »Saint Enoch« aufgefahren ist.

– Das wäre wohl möglich, gab Bourcart zu, denn ich kann es nicht glauben, daß ein Irrthum oder ein Fehler im Steuern uns soweit nach Norden zurückverschlagen hätte.«

Es war wirklich ein beklagenswerther Umstand, daß sich kein Wind erheben zu wollen schien. Erstens hätte dieser den Nebel weggefegt und den Himmel klar gemacht, und vielleicht, wenigstens wenn er aus Westen wehte, dem »Saint Enoch«, der dann alle Segel gehißt hätte, von dem felsigen Grunde abgedrängt.

»Wartet nur, Kinder, wartet nur! wiederholte öfters der Kapitän Bourcart, der es wohl bemerkte, daß die Ungeduld und die Unruhe seiner Leute zunahm. Ich hoffe, daß der Nebel am Nachmittage aufsteigen wird, und dann werden wir über unsere Lage bald Aufschluß haben. Voraussichtlich kommen wir ohne großen Schaden davon!«

Als die Voll- und die Leichtmatrosen ihre Blicke aber auf Jean-Marie Cabidoulin richteten, sahen sie, wie er den dicken, buschigen Kopf schüttelte, ein Zeichen, daß er diese frohe Zuversicht nicht theilte, und das war für sie gar nicht beruhigend. Um bei der wieder steigenden Fluth zu verhindern, daß deren von Osten her andringende Welle das Fahrzeug noch weiter auf das Riff schieben könne, wollte Bourcart in Uebereinstimmung mit dem Obersteuermann nach jener Himmelsgegend hin einen Wurfanker auslegen lassen.

[171] Meister Ollive und zwei Matrosen machten eines der Boote klar, um diese weise Maßregel unter der Leitung des Lieutenants Allotte auszuführen.

Das Boot stieß ab, während man ihm die Ankerkette vom »Saint Enoch« aus nachlaufen ließ.

Auf Anordnung des Kapitäns Bourcart ließ der Lieutenant in fünfzig Fuß Entfernung vom Schiffe eine Bleisonde einsinken. Zu seiner größten Ueberraschung aber fand er, selbst als zwanzig Faden Schnur abgelaufen waren, keinen Grund.

Die Sondierungen wurden an dieser Seite an verschiedenen Stellen wiederholt, doch immer mit dem gleichen Erfolge: das Senkblei traf nirgends auf den Boden.

Unter solchen Umständen einen Anker fallen zu lassen, wäre nutzlos gewesen, da er doch keinen Halt gewonnen hätte. Aus dem Befunde aber ließ sich schließen, daß das Riff, wenigstens auf dieser Seite, sehr steil abfiel.

Das Boot kehrte zurück und der Lieutenant Allotte erstattete dem Kapitän seinen Bericht.

Bourcart zeigte sich nicht wenig erstaunt. Seiner Annahme nach mußte das Riff vielmehr sehr sanft abfallende, weit hinausreichende Seiten haben, da die Strandung fast ohne Erschütterung erfolgt war, als wenn das Schiff dabei über einen wenig geneigten Boden hingestrichen wäre. Nun mußten Sondierungen rund um den »Saint Enoch« vorgenommen werden, um so gut wie möglich die Ausdehnung des Riffs und die Tiefe des Wassers über ihm zu erfahren. Jetzt bestieg Bourcart das Boot, und zwar mit dem Obersteuermann, dem Oberbootsmann und zwei Matrosen. Sie hatten zu dem Senkblei eine Leine mitgenommen, die zweihundert Faden lang war. Wie bei dem Versuche des Lieutenants Allotte, zeigte sich auch hier, daß die Leine nicht bis zum Grunde hinabreichte. Man mußte also auf das Auslegen eines Ankers verzichten, mittels dessen man durch Drehung des Spills das Schiff heranzuziehen und vielleicht abzuschleppen gedacht hatte.

»Kapitän, schlug Heurtaux vor, wir thäten wohl besser, nur ganz in der Nähe des Schiffsrumpfes zu sondieren.

– Das ist auch meine Ansicht,« antwortete Bourcart.

Meister Ollive setzte den Bootshaken in eine der Rüsten nach der anderen ein und führte das Boot so, daß es den Rumpf höchstens in fünf bis sechs Fuß Entfernung umkreisen mußte. Von drei zu drei Metern ließ der Obersteuermann [172] die Sonde untersinken. Nirgends erreichte sie, selbst bei zweihundert Faden Leinenlänge, den Boden. Das Riff hatte also einen sehr beschränkten Umfang und ragte bis auf ein oder zwei Toisen unter der Meeresfläche auf. Das bedeutete demnach, daß der »Saint Enoch« auf die Spitze eines bisher unbekannten Felskegels aufgefahren war.

Immer weiter verstrichen die Stunden, nichts deutete aber auf ein bevorstehendes Verschwinden des Nebels Bourcart wollte deshalb versuchen, zur Zeit der höchsten Fluth sein Schiff mit Hilfe der Boote abzuschleppen. Wurde es von rückwärts her gezogen, so war es ja vielleicht möglich, es bei Hochwasser wieder flott zu machen.

Dieses Manöver kam unter den günstigsten Verhältnissen zur Ausführung. Die sechs Boote vereinigten sich zu gemeinsamer Arbeit und die Matrosen ruderten mit allen ihnen zu Gebote stehenden Kräften. Das Schiff rückte ein wenig zurück... kaum um einen Fuß... das war alles, was dabei erreicht wurde, und schließlich verlor die Mannschaft alle Hoffnung, es von dem Riff abbringen zu können.

Was die Boote aber nicht vermocht hatten, was sollte, wenn es jetzt nicht noch durch den Wind zu stande kam, aus dem »Saint Enoch« bei dem ersten schweren Wetter werden? Er wäre auf dem felsigen Grunde hin und her geschleudert worden, und dann konnten von ihm bald nur noch formlose Trümmer übrig sein. Und zu dieser Jahreszeit dauerte es gewiß nicht mehr lange, bis die schweren Stürme ausbrachen, die über diesem Theile des Stillen Oceans oft so furchtbar toben.

Jetzt blieb nur noch eines übrig, wieder flott zu werden. Der Kapitän mußte sich, nach reiflicher Ueberlegung und nachdem er darüber mit seinen Officieren und den Meistern verhandelt hatte, am Ende wohl oder übel dazu entschließen, er verschob die Ausführung jedoch um einige Stunden, da kein Zeichen für einen Witterungsumschlag vorhanden war. Dieses Auskunftsmittel hatte zum Zwecke, das Schiff dadurch zu erleichtern, daß seine Ladung über Bord geworfen wurde. Von acht- bis neunhundert Faß Thran befreit, hob es sich vielleicht weit genug, bei der Fluth abzuschwimmen.

Man wartete in der Hoffnung, daß sich der Nebel heute wie am Tage vorher im Laufe des Nachmittags zerstreuen werde.

Das war auch einer der Gründe, woraufhin Bourcart seinem Plane, die Fracht zu opfern, nicht sofort Folge gab. Wenn das Schiff dadurch auch wieder [173] zum Schwimmen kam, hätte man es doch nicht durch den Nebel steuern können. Daraus, daß die Sondierungen so große Tiefen rings um das Riff ergeben hatten, ging doch noch keineswegs mit Sicherheit hervor, daß sich nicht weitere Risse in der Nähe befanden, an denen der »Saint Enoch« aufs neue stranden konnte. Kaum eine Meile von hier war ja der »Repton« aufgefahren, und das so unglücklich, daß er fast sofort unterging.

Dieser Gedankengang, der sich jedem aufdrängte, erinnerte aufs neue an den englischen Walfänger. Vielleicht waren doch mehrere seiner Insassen dem Schiffbruche entgangen, vielleicht bemühten sich einzelne Boote noch immer, den »Saint Enoch« aufzufinden. Bourcart und die Mannschaften lauschten auf jedes Geräusch.

Doch kein Ruf ließ sich hören, jedenfalls hatte sich also auch nicht einer von den Matrosen aus dem schrecklichen Unfalle retten können.

Wiederum vergingen drei Stunden. Da jetzt Ebbe eingetreten war, konnte man nicht erwarten, daß das Schiff allein wieder flott würde. Uebrigens war der Unterschied zwischen Hoch- und Niedrigwasser nur recht unbedeutend. Das Riff konnte außer zur Zeit der Syzygien gewiß niemals frei hervortreten. Heurtaux hatte sogar nachweisen können, daß das Wasser, wie einige am Schiffsrumpfe angebrachte Merkzeichen ergaben, kaum gesunken war, und wenn ganz in der Nähe des Schiffes sondiert wurde, traf man immer etwa bei fünf Fuß Tiefe auf den unebenen Grund.

Das war also die Sachlage... wie würde sie enden? Sollte der »Saint Enoch« seine Fahrt noch einmal aufnehmen können oder würden seine Insassen sich gezwungen sehen, ihn zu verlassen, ehe ein Orcan ihn zertrümmert hatte? An Bord befanden sich dreiunddreißig Menschen, die mit einem für mehrere Tage ausreichenden Vorrath an Nahrungsmitteln in den Booten alle Platz finden konnten. Doch in welcher Entfernung lag die nächste Küste?... Und wenn nun bis zu dieser mehrere hundert Meilen zurückzulegen waren?

Bourcart entschloß sich jetzt, seine Ladung zu opfern. Um mehrere hundert Tonnen erleichtert, erhob sich das Schiff bei Hochwasser vielleicht so weit, daß es von der Mannschaft abgeschleppt werden konnte.

Als diese Entscheidung getroffen war, machten sich die Matrosen an die Arbeit, freilich mit einigem Murren über das Mißgeschick, mit der Fracht auch ihren Antheil an dem Ertrage der zweiten Campagne verloren gehen zu sehen.

[174] Meister Ollive leitete das traurige Werk. Mittels Flaschenzügen, die über den Luken angebracht wurden, hißte man die Fässer aufs Deck und warf sie dann ins Meer. Einige davon versanken sofort. Andere, die durch den Aufschlag auf das Riff in Stücke gingen, entleerten sich ihres Inhalts, der wieder nach der Wasseroberfläche emporstieg. Der »Saint Enoch« war bald von einer Fettschicht umgeben, als hätte man Oel ausfließen lassen, um die Wellen in einem Sturme zu glätten. Kaum je war das Meer so ruhig wie jetzt gewesen: nicht die leiseste Wellenbildung an seiner Oberfläche oder an den Rändern der Untiefe, obwohl Heurtaux das Vorhandensein einer von Nordosten kommenden Strömung nachweisen konnte.

Die Gezeiten mußten bald wieder wechseln. Die Entlastung des Schiffes konnte ihre Wirkung natürlich erst zeigen, wenn das Wasser wieder seinen höchsten Stand erreicht hatte. Da man bis dahin drei Stunden vor sich hatte, mußte die Arbeit bis zum erwünschten Zeitpunkte beendigt sein. Dann war aber keine Zeit zu verlieren, oder der »Saint Enoch« lag auch noch bis tief in die Nacht hinein fest, und es war doch entschieden besser, bei Tageslicht von dem Risse abkommen zu können. Fast achthundert Faß aus dem Frachtraume herauszuschaffen, das erfordert jedoch geraume Zeit, von der Anstrengung dabei gar nicht zu reden.

Gegen fünf Uhr war die Hälfte der Arbeit gethan. Die Fluth war schon um drei bis vier Fuß gewachsen, und man hätte wohl erwarten können, daß der zum Theil entlastete »Saint Enoch« sich schon aufrichten werde, er blieb aber noch immer unbeweglich.

»Das mag der Teufel wissen, wetterte da Meister Ollive, es sieht aber wahrlich aus, als ob unser Schiff hier auf der Stelle angenagelt wäre.

– Und Du wirst die Nägel auch nicht herausziehen, murmelte Jean-Marie Cabidoulin.

– Was sagst Du, Alter?

– Nichts... gar nichts!« antwortete der Böttcher, der eben ein leeres Faß ins Meer warf.

Auch die Hoffnung, an die man sich immer geklammert hatte, daß der Nebel sich zerstreuen werde, sollte nicht in Erfüllung gehen. Die Finsterniß schien durch die Dunstmassen noch tiefer werden zu sollen. Wenn sein Schiff nun bei der nächsten Fluth nicht flott wurde, wußte der Kapitän Bourcart kaum noch, wie er aus diesem gefährlichen Meerestheile fortkommen sollte.

[175] Kurz nach sechs Uhr, als schon etwas Halbdunkel herrschte, hörte man von Westen her, wo es noch ein wenig heller war, laute Rufe.

Der auf dem Vorderkastell stehende Meister Ollive trat an Bourcart, der sich auf dem Hinterdeck aufhielt, heran.

»Kapitän, sagte er, hören Sie... hören Sie?... Halt... dort draußen.. es scheint...

– Ja, ja, dort rufen Leute,« setzte der Lieutenant Coquebert hinzu.

Unter der Mannschaft machte sich einige Aufregung bemerkbar.

»Ruhe!« befahl Bourcart.

Alle lauschten gespannt.

Wirklich drangen, jetzt noch von fernher, wiederholte Rufe bis aufs Schiff. Ohne Zweifel galten sie dem »Saint Enoch«.

Auf ein Zeichen des Kapitäns wurde darauf Antwort gegeben.

»Ohe!... Ohe!... Hierher!«

Waren das nun Eingeborene, die sich von einer benachbarten Insel auf ihren Piroguen näherten, oder handelte es sich vielleicht um die Ueberlebenden vom »Repton«, deren Boote sich wahrscheinlich schon seit gestern bemühten, trotz des Nebels den französischen Walfänger aufzusuchen?

Diese – an sich auch die wahrscheinlichste – Vermuthung sollte sich bestätigen.

Einige Minuten später lagen, durch die Zurufe und durch Gewehrschüsse auf den rechten Weg geleitet, zwei Boote längseits des »Saint Enoch«.

Es waren die Boote des »Repton« und darin saßen, den Kapitän King eingerechnet, dreiundzwanzig Mann von dessen Besatzung.

Die auch von Anstrengung erschöpften Leute brachen vor Hunger fast zusammen, da sie bei der Schnelligkeit der Katastrophe hatten keine Lebensmittel mitnehmen können. Nach vierundzwanzigstündigem Umherirren waren sie jetzt vor Hunger und Durst fast dem Tode nahe.


Nirgends erreichte die Sonde den Boden. (S. 173.)

Die Ueberlebenden vom »Repton« wurden herausgeholt und von Bourcart mit der Höflichkeit empfangen, die ihm einmal eigen war, obgleich er sich in diesem Falle wegen des Vorhergegangenen gewiß zu beklagen berechtigt war. Ehe er sich mit Fragen an den Kapitän King wandte, ehe er diesen etwas ausforschte, unter welchen Umständen sein Schiff zu Grunde gegangen wäre, und auch ehe er ihm über die Lage des »Saint Enoch« weiteren Aufschluß gab, ließ er den neuen Passagieren vor allem Speise und Trank vorsetzen.

[176] Der Kapitän King wurde nach der Cajüte geführt, seine Leute begaben sich hinunter ins Volkslogis.

Dreizehn Mann fehlten von der Mannschaft des Kapitäns King, dreizehn, die beim Schiffbruche des »Repton« den Tod im Meere gefunden hatten.

[177]

13. Capitel

Dreizehntes Capitel.
Eine bewegliche Klippe.

Als der Kapitän King und seine Leute beim »Saint Enoch« angelangt waren, lag dieser in einem so dichten Nebel, daß jene, wenn die Rufe der Bootsinsassen nicht gehört wurden, jedenfalls an dem Risse vorbeigefahren wären. Steuerten die Engländer nach Süden weiter, so hätten sie weder auf die asiatische, noch auf die amerikanische Küste treffen können. Selbst eine dauernde Zerstreuung des Nebels durch Winde angenommen, wäre es ihnen unmöglich gewesen, noch eine hunderte von Meilen lange Fahrt nach Osten oder Westen auszuführen. Ohne Schiffszwiebak, den Hunger zu stillen, und ohne Süßwasser, den Durst zu löschen, wäre nach achtundvierzig Stunden kein einziger Mann vom »Repton« mehr am Leben gewesen!

An Officieren und Matrosen waren sechsunddreißig Mann auf dem »Repton« gewesen. Dreiundzwanzig hatten sich mittels der Boote gerettet, und diese ergaben nun zusammen mit dem, seit dem Tode des Matrosen um einen verminderten Personal des »Saint Enoch« sechsundfünfzig Köpfe. Wenn es dem Kapitän nun aber nicht gelang, sein Schiff von dem Risse abzubringen, welches Schicksal stand dann ihm selbst und seinen alten und neuen Gefährten bevor? Selbst wenn Land, ein Festland oder eine Insel, in der Nähe gewesen wäre... die Schiffsboote hätten doch nicht alle aufnehmen können. Beim ersten Sturmwind aber – und solche sind in dieser Gegend des Stillen Oceans gar häufig – mußten die hier meist riesengroßen Wogen, die dann am Risse emporbrandeten, den »Saint Enoch« in wenigen Minuten zertrümmern. Man mußte also bereit sein, das Fahrzeug jeden Augenblick zu verlassen. Dann gingen aber die Lebensmittel, die Bourcart in Vancouver zu erneuern gedacht hatte, gewiß vorzeitig zu Ende, sobald sie die durch die Schiffbrüchigen des »Repton« auf das Doppelte gestiegene Zahl der Insassen des Fahreuges ernähren sollten.

Die Schiffsuhren zeigten die achte Stunde. Noch immer deutete nichts auf Wind, als die Sonne hinter dem dichten Nebelschleier versunken war. Die mehr und mehr fortschreitende Nacht sollte voraussichtlich ganz ruhig, doch auch [178] völlig finster sein. Es war kaum zu erwarten, daß das Schiff in der Hochwasserzeit abgehoben würde, vorzüglich auch, weil die nächste Fluthhöhe die vorhergegangene schon nicht mehr erreichte, und es war überdies nicht möglich, das Schiff noch weiter zu entlasten, wenn nicht noch seine Takelage sammt den Masten geopfert werden sollte.

Das erkannte der Kapitän King, als er mit Bourcart, Heurtaux, dem Doctor Filhiol und den beiden Lieutenants in der Cajüte verweilte. Hatten er und seine Leute hier Zuflucht an Bord gefunden, so war ihre Rettung damit nicht gesichert. In naher Zukunft konnte ja dem »Saint Enoch« dasselbe Los, wie vorher dem »Repton«, bescheert sein.

Von Wichtigkeit war es nun zu hören, unter welchen Umständen das englische Schiff zu Grunde gegangen war. Der Kapitän King berichtete darüber Folgendes:

Der »Repton« lag, von der Windstille betroffen, mitten im Nebel, als gestern eine Oeffnung in diesem den »Saint Enoch« drei Meilen unter dem Winde zu erkennen gestattete. Warum der »Repton« dem französischen Walfänger nachgesegelt war, ob etwa in mehr oder weniger feindlicher Absicht und um die Angelegenheit wegen des von den beiden Mannschaften harpunierten Walfisches zum Austrag zu bringen, darüber sprach sich der Kapitän King nicht aus.

Es war auch nicht die geeignete Zeit, Anklagen und Forderungen zu erheben. Er begnügte sich vielmehr zu berichten, daß der »Repton«, als nur noch eine Seemeile die Schiffe trennte, einen furchtbaren Stoß erlitt. Sein Rumpf wurde am Boden der Backbordseite dadurch eingeschlagen und stromweise ergoß sich das Wasser hinein. Der Obersteuermann Stroh und ein Dutzend von der Mannschaft wurden, die einen über Bord geschleudert, die anderen durch die niederbrechenden Masten erschlagen. Der Kapitän King und die übrigen wären ebenso sicher umgekommen, wenn sich nicht gerade zwei Boote schon auf dem Meere befunden hätten, die diese – dreiundzwanzig Mann – aufnahmen. Ueber vierundzwanzig Stunden irrten die Ueberlebenden vom »Repton« aufs Gerathewohl umher und ohne irgendwelche Lebensmittel, nur bemüht, den »Saint Enoch« zu entdecken, und es war ein reiner Zufall, daß sie ihn an seiner Strandungsstelle fanden.

»Doch was ich mir nicht erklären kann, fuhr der Kapitän King, der ganz geläufig Französisch sprach, fort, ist, daß sich in der hiesigen Gegend ein Riff [179] befindet. Ich war von meiner Lage bezüglich der Länge und Breite ganz zuverlässig unterrichtet.

– Wie ich von der meinigen, antwortete Bourcart, und wenn hier keine unterseeische Bodenerhebung stattgefunden hat...

– Das ist offenbar die einzig annehmbare Hypothese, flocht Heurtaux ein.

– Jedenfalls, Kapitän, fuhr King fort, ist der »Saint Enoch« weniger unglücklich gewesen als unser »Repton«..

– Das wohl, gab Bourcart zu, doch wie und wann wird er wieder unter Segel gehen können?

– Er hatte doch keine schweren Havarien erlitten?

– Nein, sein Rumpf ist völlig unversehrt. Es sieht aber aus, als wäre er an das Riff hier festgenietet, denn selbst nach Aufopferung unserer ganzen Last ist er auch bei Hochwasser davon nicht losgekommen.

– Was soll nun da geschehen?« fragte der Kapitän King, dessen Blick sich nacheinander auf Bourcart und dessen Officiere richtete.

Die Frage blieb ohne Antwort. Was die Besatzung bis jetzt versucht hatte, den »Saint Enoch« wieder flott zu machen, war erfolglos geblieben. Würden etwa die Elemente zustande bringen, was die Menschen nicht vermochten? Schiffte man sich in den Booten ein, so ging man dem gewissen Verderben entgegen. Im Norden, wie im Osten und Westen lag eine hunderte von Meilen lange Wasserwüste, die bis zu den Kurilen oder den Alëuten reichte. Schon nahte sich das Ende des Octobers und bald mußte hier die gewohnte schlechte Witterung eintreten. Schwache, unbedeckte Boote waren dieser auf Gnade oder Ungnade preisgegeben, der erste Sturm hätte sie vernichtet. Sechsundfünfzig Menschen fanden darin ohnehin nicht Platz. Welche Aussicht auf Rettung hatten aber die dann noch zurückbleibenden Leute, wenn sie nicht von einem Schiffe aufgenommen wurden, das diesen Theil des Stillen Oceans zufällig kreuzte?

Da stellte der Doctor Filhiol an den Kapitän King folgende Frage:

»Als wir Petropawlowsk zusammen verließen, haben Sie ohne Zweifel gehört, daß die von der See heimkehrenden Fischer von der Anwesenheit eines Seeungeheuers sprachen, vor dem sie eiligst geflohen wären?

– Ja gewiß, antwortete der Kapitän King, und ich muß leider gestehen, daß sich die Mannschaft des »Repton« dadurch sehr in Schrecken jagen ließ.

– Die Leute glaubten also an die Existenz dieses Ungethüms? fragte Heurtaux.

[180] – Sie glaubten, es handle sich um einen Calmar, einen Kraken, einen riesigen Octopus, und ich sehe nicht ein, warum sie nicht etwas dergleichen hätten glauben sollen.

– Nun, einfach deshalb, antwortete der junge Arzt, weil es keine solchen Octopen, keine Kraken und keine Calmare giebt, Herr Kapitän.

– Sprechen Sie sich nicht mit solcher Sicherheit aus, Herr Filhiol, bemerkte Romain Allotte.

– Verstehen wir uns nur recht, lieber Lieutenant. Man hat wohl von derartigen Ungeheuern berichtet, hat auch einzelne davon verfolgt und sie sogar an Bord gehißt. Diese hatten aber niemals die Größe, die man ihnen nachsagte und die auf reiner Einbildung beruht. Riesengeschöpfe ähnlicher Art, die etwa ein Boot zertrümmern könnten, diese mag man zur Noth zugestehen, doch daß die imstande wären, ein Fahrzeug von mehreren hundert Tonnen ins Meer hinunterzuziehen... nein... nein... davon kann keine Rede sein!

– Das ist ganz meine Ansicht, stimmte Bourcart ein. Mit solcher Kraft ausgestattete Ungeheuer gehören zu den Fabelwesen.

– Die Fischer von Petropawlowsk, fiel der Lieutenant Coquebert ein, sprachen aber von einer ungeheueren Seeschlange, die sie selbst gesehen hätten...

– Jawohl, sagte der Kapitän King, und darüber waren sie so entsetzt, daß sie Hals über Kopf nach dem Hafen entflohen.

– Doch sagen Sie, fragte der Doctor Filhiol weiter, ist Ihnen seit Ihrer Abreise aus Petropawlowsk diese Briaree mit fünfzig Köpfen und hundert Armen, dieser Nachkomme des berüchtigten Riesen des Alterthums, erschienen, der den Himmel bedrohte und den Neptun deshalb im Aetna einsperrte?

– Nein, Herr Doctor, gestand der Kapitän King ein. Immerhin hat der »Saint Enoch«, ebenso wie der »Repton« gewiß mancherlei Seetriften angetroffen, wie Trümmer von Booten und todte Walfische, die nicht harpuniert zu sein schienen. Wäre es denn nun nicht möglich, daß das Seeungeheuer, von dem man in Petropawlowsk berichtete, diese Verwüstungen angerichtet hätte?

– Das ist nicht nur möglich, sondern mehr als wahrscheinlich, erklärte der Lieutenant Allotte, wenn es unser Kapitän und der Doctor auch nicht zugeben wollen.

– Ich bitte Sie, Lieutenant! erwiderte der Arzt, so lange ich es nicht gesehen, nicht mit meinen eigenen Augen gesehen habe, glaub' ich nimmermehr daran!

[181] – Jedenfalls, richtete Bourcart das Wort wieder an den Kapitän King, schreiben Sie den Verlust des »Repton« doch nicht dem Angriffe eines Kraken, eines Calmars oder einer Seeschlange zu?

– Nein, antwortete der Kapitän King, nein, ich wenigstens nicht. Und doch soll unser Schiff, nach der Behauptung mehrerer meiner Leute, von riesigen Armen, von furchtbaren Scheren gepackt und dadurch zum Kentern und zum Versinken gebracht worden sein. Die Leute sprachen davon, als wir in den Booten nach dem »Saint Enoch« suchten.

– Oh, fiel Bourcart ein, die Reden Ihrer Matrosen werden wohl auch bei mir an Bord ein Echo finden. Die Mehrzahl unserer Mannschaft hat sich zu dem Glauben bekehren lassen, daß solche Ungeheuer existierten. Der Böttcher hat niemals aufgehört, ihnen allerlei Geschichten darüber vorzupredigen. Seiner Ansicht nach ist die Zerstörung des »Repton« einem ganz außergewöhnlichen Thiere zuzuschreiben, einem Geschöpfe, das halb Octopus, halb Schlange wäre. Bis zum Beweise des Gegentheils beharre ich freilich dabei, daß unsere Fahrzeuge auf neuentstandene Riffe aufgefahren sind, die auf den Seekarten des Stillen Oceans noch nicht eingezeichnet sind.

– Daran ist meiner Ansicht nach gar nicht zu zweifeln, setzte der Doctor Filhiol hinzu, mag Jean-Marie Cabidoulin darüber fabulieren, was und wieviel er will!«

Es war inzwischen neun Uhr abends geworden. Die Hoffnung, daß der »Saint Enoch« in der Nacht loskommen könnte, ließ sich kaum noch aufrecht erhalten. Die Fluth blieb ja, wie schon erwähnt, hinter der vorhergehenden Tide zurück. Um indeß nichts zu vernachlässigen, ließ der Kapitän Bourcart die Boote aussetzen und mit den stärksten Spieren versorgen. Es war ja nutzlos, an eine weitere Erleichterung des Schiffes zu denken, ohne von den Masten die Stengen und die Bramstengen niederzuholen. Das wäre eine schwere Arbeit gewesen, und angenommen, daß der »Saint Enoch« dadurch flott würde, was mußte aus ihm werden, wenn ihn das bevorstehende schlechte Wetter fast entmastet überraschte? Am nächsten Tage jedoch, wenn der Nebel verschwand, wenn die Sonne eine genaue Ortsbestimmung ermöglichte und man die allgemeine Sachlage übersehen konnte, sollte eine weitere Entscheidung getroffen werden.

Uebrigens dachten Bourcart und seine Officiere gar nicht daran, sich Ruhe zu gönnen. Auch die Mannschaften lagen ausgestreckt auf dem Deck, ins Volkslogis hinunter hatte sich keiner begeben. Die Unruhe hielt die Leute wach.

[182] Nur einige der Leichtmatrosen hatten vergeblich gegen den Schlaf angekämpft. Auch Donnerschläge hätten sie nicht erweckt, so wenig wie die meisten Matrosen des »Repton«, die vor völliger Erschöpfung eingeschlafen waren. Der Meister Ollive ging mit großen Schritten auf dem Hinterdeck hin und her, während sich eine Gruppe von fünf bis sechs Matrosen um den Böttcher gesammelt hatte, und was dieser erzählte, das kann man sich ja leicht genug vorstellen.

Die in der Cajüte gepflogene Unterhaltung lief auf das gewöhnliche Ergebniß hinaus, wonach die einen das Vorkommen eines solchen Ungeheuers, wie es gesehen worden sein sollte, hartnäckig behaupteten und die anderen es ebenso bestimmt ableugneten. Der Doctor Filhiol und der Lieutenant Allotte kamen bei dem Gespräch schon ein wenig in die Hitze.

Da fand der Streit unerwarteterweise ein schnelles Ende.

»Achtung!... Achtung! rief Heurtaux, der blitzschnell aufgesprungen war.

– Das Schiff hat sich gehoben, setzte der Lieutenant Coquebert hinzu.

– Es wird flott werden... es schwimmt schon!« versicherte Romain Allotte, dessen Klappsessel, auf dem Fußboden hingleitend, unter ihm fast verschwand.

Der Rumpf des »Saint Enoch« war durch mehrere Stöße erschüttert worden. Es schien so, als ob der auf der Oberfläche des Risses hinstreichende Kiel sich gehoben hätte. – Das Schiff schwankte wiederholt nach Back- und nach Steuerbord und nahm nicht mehr die stark geneigte Lage ein, wie vorher.

In einem Augenblicke waren Bourcart und die Uebrigen aus der Cajüte hinausgestürmt.

Inmitten der schwarzen Nacht, die der Nebel noch mehr verfinsterte, schimmerte nirgends ein Lichtschein und flimmerte kein einziger Stern. Kein Hauch bewegte die Luft. Das Meer hob und senkte sich kaum in einer sanften Dünung, und am Rande der Klippe brandete nicht die kleinste Welle.

Noch ehe Bourcart auf dem Deck erschienen war, hatten sich die Matrosen in aller Eile erhoben. Auch diese sagten sich, als die Stöße bemerkbar wurden, daß das Schiff wohl vom Grunde loskommen werde. Nach wiederholten seitlichen Schwankungen hatte sich der »Saint Enoch« leicht aufgerichtet. Das Steuerruder gerieth so stark in Bewegung, daß Meister Ollive dessen Rad festbinden lassen mußte.

Da mischten sich die Ausrufe der Mannschaft mit denen des Lieutenants Allotte:

»Es schwimmt!... Es schwimmt!« ertönte es von allen Seiten.


Mit solcher Kraft ausgestattete Ungeheuer gehören zu den Fabelwesen. (S. 181.)

Ueber die Schanzkleidung gelehnt, suchten der Kapitän Bourcart und der Kapitän King die dunkle Meeresfläche zu beobachten. Worüber sie aber, und übrigens alle, die sich davon Rechenschaft gaben, am meisten erstaunten, war die Thatsache, daß jetzt gerade Tiefebbe herrschte. Die Aufrichtung des Fahrzeu [183] ges auf seinen Kiel konnte dem Stande des Wassers also nicht zugeschrieben werden.

»Was ist hier geschehen? wendete sich Heurtaux fragend an den Meister Ollive.

– Das Schiff ist jedenfalls infolge seiner Entlastung in Bewegung gekommen, antwortete dieser, und ich fürchte, es wird dabei das Steuer einbüßen.


Eine furchtbare Woge thürmte sich an dem »Saint Enoch« auf (S. 191.)

[184] [187]– Und jetzt?..

– Jetzt, Herr Heurtaux, sitzen wir ebenso fest, wie vorher!«

Bourcart, der Doctor Filhiol und die Lieutenants begaben sich nach dem erhöhten Theile des Hinterdecks, und ein Matrose brachte ein Paar brennende Laternen, so daß man einander wenigstens sehen konnte.

Vielleicht hatte der Kapitän den Gedanken, einen Theil der Leute in die Boote zu beordern, um einen erneuten Versuch zur Abschleppung des »Saint Enoch« zu machen. Da das Fahrzeug aber wieder festlag, sagte er sich, daß das eine vergebliche Mühe sein werde. Jedenfalls erschien es rathsamer, die nächste bei Tageslicht eintretende Fluth abzuwarten und erst, wenn sich die Erschütterungen vielleicht wiederholten, mit einem Abschleppungsversuch zu beginnen.

Welche Ursache und welche Folgen die ersten Stöße gehabt hätten, blieb vorläufig völlig unerklärlich. Ebenso wußte eigentlich niemand, ob sich der Schiffskiel von dem felsigen Grunde ein wenig abgehoben habe oder mit dem Hintersteven jetzt noch fester aufsitze, worauf die drohende Zerstörung des Steuerruders ja hinwies.

»Das letztere muß wohl der Fall sein, äußerte Bourcart gegen den Obersteuermann, denn wir wissen, daß das Meer rings um die Klippe sehr tief ist.

– Vielleicht, Kapitän, meinte Heurtaux, genügte eine Rückwärtsbewegung um wenige Fuß, das Schiff wieder flott zu machen. Doch wie sollten wir eine solche zustande bringen?

– Gewiß ist doch das eine, antwortete Bourcart, daß sich die Lage des Schiffes verändert hat, und wer weiß, ob es nicht noch diese Nacht oder morgen bei der Fluth allein wieder frei kommt?

– Darauf möcht' ich nicht rechnen, Kapitän, denn die Fluthöhe nimmt jetzt mehr ab statt daß sie sich vergrößerte. Und wenn wir erst den Neumond abwarten wollen...

– Müßten wir freilich acht Tage unter den jetzigen Verhältnissen liegen bleiben, Heurtaux. Bei ruhigem Meere liefe der »Saint Enoch« dann ja keine ernstere Gefahr. Freilich wird das Wetter wohl bald umschlagen, und auf solche Nebelperioden folgen meist sehr heftige Stürme.

– Das schlimmste ist noch, bemerkte der Obersteuermann, daß wir nicht einmal wissen, wo wir uns befinden.

– Wenn am nächsten Vormittag die Sonne, und wäre es nur eine Stunde lang, zum Vorschein kommt, werde ich ein Besteck machen, und das wird über unsere [187] Ortslage Aufschluß geben. Immerhin, lieber Heurtaux, können Sie sich darauf verlassen, daß wir zur Zeit der Strandung noch im richtigen Curs waren. Nein, die Strömungen haben uns nicht etwa zu weit nach Norden verschlagen. Ich komme deshalb immer auf die Erklärung zurück, die mir als die annehmbarste erscheint. Da es ganz ausgeschlossen ist, daß die Seekarten nur infolge eines Versehens diese Klippe nicht enthielten, muß sie erst unlängst entstanden sein.

– Das glaub' ich auch, Kapitän, das Unglück ist nur, daß der »Saint Enoch« sich darauf festgefahren hat.

– Ganz wie der »Repton« auf einer ähnlichen Klippe, schloß Bourcart. Gott sei Dank, ist unser Schiff dabei nicht ebenso zu Grunde gegangen, und ich hoffe noch immer, es wieder flott zu bekommen.«

So lautete die Erklärung, die Bourcart gab, und der sich Heurtaux, der Doctor Filhiol, der Bootsmann und wahrscheinlich auch der Kapitän King, willig anschlossen. Die beiden Lieutenants sprachen sich darüber nicht aus. Die Anschauung der Mannschaft aber trat bald unter folgenden Umständen zu Tage:

Um den Fuß des Großmastes gelagert, waren die Leute im Gespräch begriffen. Sie sahen nur eines: daß die Stöße nämlich nicht vom Meere ausgegangen sein konnten, da dieses vollkommen ruhig war, und auch nicht durch die Gezeiten, da während der Ebbe sogar noch weniger Wasser über der Untiefe stand. Die Stöße hatten sich überdies nicht mehr wiederholt, und wenn sich der »Saint Enoch« auch an Backbord ein wenig aufgerichtet hatte, so lag er doch jetzt wieder unbeweglich still. Diese Bemerkungen gingen von dem Harpunier Pierre Kardek aus, der schließlich sagte:

»Dann muß sich eben die Klippe... ja, dann muß sich die Klippe selbst bewegt haben.

– Die Klippe? riefen zwei oder drei seiner Kameraden.

– Sapperment, Kardek, entgegnete der Schmied Gille Thomas, hältst Du uns denn für Landratten, die sich solche Flausen aufbinden ließen?«

Diese Antwort schien den Nagel auf den Kopf zu treffen. Eine Klippe, die sich bewegte wie eine Boje, die wie ein Schiff auf bewegtem Meere schlingerte und stampfte!... Nein, dergleichen durfte man nicht vor wackeren Seeleuten aussprechen, die über alles, was das Meer betraf, unterrichtet waren. Gewiß hätte kein einziger von diesen zugegeben, daß eine unterseeische Bewegung diese Stelle des Stillen Oceans zum Rütteln gebracht habe.

[188] »Das erzähle anderen! rief der Zimmermann Ferut. Ich habe ja in meiner früheren Thätigkeit als Maschinist schon allerlei Wunder gesehen, wir sind hier aber nicht auf der Bühne der Großen Oper oder des Chatelet-Theaters. Zeige mir doch einen, der eine Klippe hin und her schütteln könnte, wenn diese nicht gerade aus Pappe oder bemalter Leinwand besteht!

– Gut abgefertigt, ließ sich der Harpunier Louis Thiébaud vernehmen, nicht einmal ein Leichtmatrose an Bord würde an solche Märchen glauben!«

Ja, Thiébaud mochte wohl recht haben, doch statt diese immerhin natürliche Erklärung anzunehmen, waren die Mannschaften vielmehr für die unwahrscheinlichste zugänglich.

Da sagte der Harpunier Jean Durut, und laut genug, daß es Bourcart auf dem Hinterdeck, wo er sich noch befand, hören konnte:

»Das ist aber noch nicht das wichtigste! Mag die Klippe gewackelt haben oder nicht, uns liegt daran, zu wissen, ob wir von ihr wieder loskommen.«

Damit traf ja Durut, was allen im Kopfe herumging; natürlich konnte darauf aber keine Antwort gegeben werden.

»Alle Wetter, fuhr Ferut spöttisch lächelnd fort, nur nicht alle auf einmal reden? Wird der »Saint Enoch« hier für immer und ewig festkleben, wie die Auster an ihrer Bank?

– Nein, ertönte da eine den Leuten wohlbekannte Stimme.

– Waren Sie es, Meister Cabidoulin, der eben »Nein« rief?

– Jawohl... ich!

– Sie behaupten also, daß unser Schiff schließlich noch flott wird?

– Ja.

– Und wann?

– Wenn das Ungeheuer es will.

– Welches Ungeheuer? riefen gleichzeitig mehrere Voll- und Leichtmatrosen.

– Ei nun, das Ungeheuer, das den »Saint Enoch« gepackt hat und ihn in seinen Armen oder Scheeren festhält... das Ungeheuer, das ihn am Ende fortschleppen wird, wenn's ihn nicht in die Tiefen des Stillen Oceans hinunterzerrt!«

In diesem Augenblicke kam es den Leuten nicht in den Sinn, Jean-Marie Cabidoulin wegen seiner Kraken oder Seeschlangen zu hänseln. Es schien vielmehr, als habe der Böttcher recht gegenüber dem Kapitän Bourcart, dem Doctor Filhiol, überhaupt gegen Alle, die sich bisher gewehrt hatten, seine Anschauung der Dinge zu theilen.

[189] Der Meister Ollive rief aber dennoch:

»Bist Du fertig... alter Schwätzer?«

Darauf erhob sich ein Murmeln... die Mannschaft hielt offenbar zu dem Böttcher.

Allen, die ihm zugehört hatten, erschien seine Rede so gut wie ein Beweis. Ein furchtbares Ungeheuer verwüstete diese Meeresgegend, und jedenfalls dasselbe, das die Fischer von Petropawlowsk in Angst gejagt hatte. Dieses Ungethüm hatte die Boote zerschmettert und die Schiffsrumpfe zerstört, von denen man noch treibende Ueberreste gesehen hatte; es hatte auch die Walfische aufgeschlitzt, die da und dort todt auf dem Meere trieben. Dasselbe hatte sich auch auf den »Repton« gestürzt und ihn hinabgezogen, und hatte auch den »Saint Enoch« gepackt, den es in seinen furchtbaren Banden festhielt.

Bourcart, der Cabidoulin's Worte gehört hatte, fragte sich, ob dessen Erklärungen nicht eine Panik hervorrufen würden. Der Obersteuermann und die Officiere verließen mit ihm den erhöhten Theil des Hinterdecks.

Es war die höchste Zeit... vielleicht gar schon zu spät!

Der Schreck drohte den Mannschaften ihre Kaltblütigkeit zu rauben. Der Gedanke, sich in der Gewalt eines unbekannten, furchtbaren Thiers zu befinden, machte sie aufsässig gegen die Einreden und die Befehle ihres Kapitäns. Sie hörten dann wohl auf nichts mehr und suchten sich schon in die Boote zu retten. Einzelne ihrer Vormänner, die den Kopf verloren hatten, gingen darin mit ihrem Beispiele voran.

»Halt!... Halt!... rief der Kapitän Bourcart. Dem ersten, der das Schiff zu verlassen versucht, zerschmettere ich den Kopf!«

Durch das Fenster seiner Cabine ergriff er einen darin auf dem Tische liegenden Revolver.

Heurtaux und die Lieutenants Coquebert und Allotte schlossen sich ihrem Vorgesetzten an. Meister Ollive mengte sich unter die Matrosen, um die Ordnung aufrecht zu erhalten. Der Kapitän King... auf den hörten seine Leute überhaupt nicht mehr.

Wie sollte man aber die Leute im Zaume halten, die sich vor dem Gedanken entsetzten, durch ein Ungeheuer in die Abgründe des Oceans versenkt zu werden!

Jetzt erfolgten auch neue Stöße, die das Schiff so erschütterten, daß es von einer Seite zur anderen schwankte. Die Masten ächzten und knarrten in ihrer Spur. Einige Pardunen rissen entzwei. Die Ruderpinne wurde so heftig hin und [190] her geworfen, daß eines der Raabänder zersprang, und das Rad drehte sich mit solcher Gewalt, daß es zwei kräftige Männer nicht hätten festhalten können.

»In die Boote!... In die Boote!«

So ertönte der allgemeine Ruf, und doch hätten in den Booten gar nicht alle Platz finden können.

Bourcart sah ein, daß er nicht mehr Herr an Bord sein werde, wenn er gegen den Urheber der Unordnung nicht mit aller Strenge einschritt. Er trat also auf den am Großmast stehenden Böttcher zu.

»Sie sind es, Cabidoulin, donnerte er ihn an, den ich für alles Kommende verantwortlich mache!

– Mich... Kapitän?

– Jawohl. Sie allein!«

Dann wendete er sich an den Meister Ollive.

»Legt ihn in Eisen, und hinunter mit ihm in den Frachtraum!«

Da und dort wurde ein leiser Widerspruch laut. Der Böttcher aber antwortete mit ruhiger Stimme:

»Mich... in Eisen legen... Kapitän? Etwa weil ich die Wahrheit gesprochen habe?

– Die Wahrheit? rief Bourcart.

– Ja, die Wahrheit!« wiederholte Jean-Marie Cabidoulin.

Und wie um seine Worte zu bestätigen, hob sich das Schiff in einer starken Schlingerbewegung eben seiner ganzen Länge nach. Gleichzeitig wurde einige Kabellängen weit im Süden ein entsetzliches Fauchen hörbar, dann thürmte sich eine furchtbare Woge an dem »Saint Enoch« auf, und mit unberechenbarer Geschwindigkeit wurde er über die Meeresfläche hingerissen.

[191]

14. Capitel

Vierzehntes Capitel.
Gen Norden.

Wohin trieb nun, den Bug einmal nach Nordosten, das anderemal nach Nordwesten gewendet, der »Saint Enoch« unter der Wirkung eines Motors von unglaublicher Kraft, der an seine Seiten geheftet war?

Bei der tiefen Dunkelheit ließ sich gar nichts erkennen. Der Kapitän Bourcart und seine Officiere bemühten sich vergebens, sich wenigstens über die Richtung klar zu werden. Die Mannschaft war wie vom Schrecken gelähmt. Kein einziges Boot mehr hing an den Dävits, da deren Seile in dem Augenblick gerissen waren, wo sich das Schiff in Bewegung setzte.

Der »Saint Enoch« flog inzwischen mit so rasender Schnelligkeit dahin, daß die Leute durch den Druck der Luft fast niedergeworfen worden wären. Sie mußten sich deshalb längs der Schanzkleidung ausstrecken, am Fuße der Masten anklammern oder sich an Blöcken halten, und auf dem erhöhten Hinterdeck konnte niemand bleiben, ohne die Gefahr, über Bord geschleudert zu werden. Die meisten Matrosen flüchteten sich aber ins Volkslogis oder suchten unter dem Vorderkastell Schutz zu finden. Bourcart, der Kapitän King, der Doctor Filhiol, der Obersteuermann und die beiden Lieutenants zogen sich in die Cajüte zurück. Auf dem Deck zu verweilen, war mit zu großer Gefahr verbunden, da die Masten herunterzustürzen drohten.

Was wäre jetzt auch zu thun gewesen?... Inmitten der pechschwarzen Nacht sah und hörte man sich fast selbst nicht mehr. Fortwährend ertönte das greuliche Schnaufen und Fauchen, untermischt mit dem scharfen Pfeifen der Luft in der Takelage, obgleich draußen kein Windhauch wehte. Wäre ein so stürmischer Wind aufgesprungen, so hätte er den dichten Nebel zerstreut und durch die Risse der Wolken hätte man dann und wann einen Stern blinken sehen.

»Nein, nein, sagte Heurtaux, das Wetter ist noch so still wie vorher, und die heftige Luftbewegung, die wir empfinden, kommt nur von der Schnelligkeit des Schiffes her.

– Dann muß das Ungeheuer aber, rief der Lieutenant Allotte, ganz unglaubliche Kräfte haben!

[192] [195]– Ungeheuer... Ungeheuer!« murmelte Bourcart für sich hin.

Und trotz des fast auf der Hand liegenden Beweises wollte er, ganz wie der Doctor Filhiol, der Obersteuermann und der Meister Ollive, an die Existenz eines solchen, an eine riesige Schlange oder einen ungeheueren Saurier noch immer nicht glauben, nicht glauben, daß irgendwelches Geschöpf ein Schiff von fünf hundert Tonnen so pfeilgeschwind mit sich wegschleppen könnte.


»Alle Teufel!« rief Meister Ollive. (S. 195.)

Mochte eine Mascaret, eine Riesenwoge, die durch eine unterseeische Bewegung erzeugt wurde, hier im Spiele sein, mochte eine Fluthwelle mit unglaublicher Gewalt dahin stürmen, alles wollte er glauben, nur nicht die sinnlosen Geschichten Jean-Marie Cabidou lin's.

Die Nacht verlief unter gleichbleibenden Verhältnissen. Weder Richtung noch Stellung des Schiffes hatte sich verändert. Beim ersten Morgengrauen wollten sich der Kapitän Bourcart und seine Gefährten über den Zustand des Meeres unterrichten. Hatte der Böttcher doch etwa recht, dann hätte man vielleicht einzelne Theile des Ungethüms sehen oder es vielleicht gar tödten können, um das Schiff aus seiner schrecklichen Umklammerung zu befreien. Doch gehörte es wohl zu jener Art der Cephalopoden, die man als Octopen, als Achtfüßler kennt und die einen Pferdekopf mit Geierschnabel und Fangarme haben, die sich dicht um den Rumpf des »Saint Enoch« geschlungen hatten? Gehörte es nicht vielmehr zu der Klasse von Gliederthieren, die mit einem festen Panzer bedeckt sind, zu den Ichthyosauren, Plesiosauren oder Riesenkrokodilen? Oder war es einer der Calmars, der Kraken oder der »Mantas«, die man in gewissen Gegenden des Atlantischen und des Stillen Oceans gesehen haben wollte, und denen man eine ganz unglaubliche Größe zuschrieb?

Der Tag war angebrochen, ein bleicher Tag mit dickem Nebel. Nichts ließ annehmen, daß dieser sich zerstreuen oder an Durchsichtigkeit gewinnen werde.

Die Geschwindigkeit des »Saint Enoch« war noch immer so groß, daß einem die Luft wie Hagelkörner ins Gesicht schlug, so daß an ein Verweilen auf dem Deck nicht zu denken war. Bourcart und seine Officiere mußten in die Cajüte zurückkehren. Der Meister Ollive, der bis an die Schanzkleidung vordringen wollte, mußte das aufgeben und wurde so gewaltsam zurückgeschleudert, daß er sich bald an der Treppe zum erhöhten Hinterdeck schwer verletzt hätte.

»Alle Teufel! rief er, als die beiden Lieutenants ihn aufgehoben hatten, ich glaubte schon, nicht mehr imstande zu sein, für den alten Querkopf, den Cabidoulin, die verwettete Flasche bezahlen zu können.«

[195] Der Kapitän Bourcart hatte inzwischen bemerkt, daß der der Quere nach gepackte »Saint Enoch« so stark über Backbord geneigt wurde, daß er zu kentern drohte.

Selbstverständlich hatte die Mannschaft das Volkslogis oder den Raum unter dem Vorderkastell noch nicht wieder verlassen. Es wäre, vorzüglich bei dem dicken Nebel, sehr schwierig gewesen, vom Vordertheile des Schiffes nach dessen Hintertheile zu gelangen. Zum Glück enthielt die Cambüse genug Nahrungsmittel an Schiffszwieback oder Conserven, um wenigstens die Ernährung an Bord sicher zu stellen.

»Was beginnen wir nun? fragte der Obersteuermann.

– Das werden wir ja sehen, Heurtaux, antwortete Bourcart. Diese Lage der Dinge kann doch nicht ewig währen!

– Wenn wir nur nicht bis ins Eismeer verschleppt werden, ließ sich der Lieutenant Allotte vernehmen.

– Und wenn der »Saint Enoch« nur zusammenhält!« setzte der Lieutenant Coquebert hinzu.

Zu einem fürchterlichen Schnaufen, das aus dem Ocean heraufzudringen schien, gesellte sich eben ein entsetzliches Krachen.

Der Meister Ollive, der sich mit Aufgebot aller Kräfte bis zur Thür der Cajüte vorarbeitete, rief da hinein:

»Die Maste brechen herunter!«

Jetzt konnte sich kein Mensch auf das Deck wagen. Wanten, Pardunen und Stagseile waren bei dem stoßweisen Stampfen und Schlingern zerrissen. Die Bram-und die Oberbramstengen waren gleich mit allen Raaen heruntergestürzt. Einige davon wurden noch von den Flaschenzügen festgehalten und schlugen gegen das Schiff an, daß dessen Wand zertrümmert zu werden drohte. Nichts hatte mehr Stand gehalten, als die Untermaste mit ihren Marsen, woran die zerzausten Segel so heftig anschlugen, daß sie bald in Fetzen davonflatterten. Das in dieser Weise abgetakelte Schiff verlor aber nichts an seiner Schnelligkeit, und die Trümmer folgten ihm bei seiner rasenden Flucht nach dem Norden des Stillen Oceans.

»Ach, mein armer »Saint Enoch«!« kam es mit einem Seufzer von Bourcart's Lippen.

Bisher hatte er noch immer die Hoffnung bewahrt, daß sein Schiff die unterbrochene Fahrt wieder aufnehmen könnte, wenn es nur erst in normale [196] Verhältnisse gekommen wäre. Selbst die Existenz eines Seeungeheuers zugegeben, lag es doch auf der Hand, daß dieses, so mächtig es auch sein mochte, nicht die Kraft hatte, den »Saint Enoch« unter die Wasserfläche zu ziehen, denn sonst würde das bereits geschehen sein. Es mußte also doch schließlich ermüden und würde nicht so weit kommen, sich selbst und das Schiff an der asiatischen oder der amerikanischen Küste zu zerschmettern.

Ja, Bourcart hatte bis dahin noch gehofft, daß sein Schiff aus dieser unheimlichen Lage unverletzt hervorgehen werde. Doch wozu würde es jetzt noch taugen, wo es keine Obermasten und keine Segel mehr hatte und wo an einen Ersatz dieser schweren Verluste nicht zu denken war?

Wahrhaftig, das war eine außergewöhnliche Lage, und Jean-Marie Cabidoulin hatte recht gehabt, als er einst sagte:

»Auf und von dem Meere hat man niemals alles gesehen, da bleibt immer noch etwas zu sehen übrig!«

Der Kapitän Bourcart und seine Officiere waren jedoch nicht die Leute, sich gleich der Verzweiflung hinzugeben. So lange der Schiffsrumpf unter ihren Füßen noch zusammenhielt, glaubten sie nicht jede Aussicht auf Rettung aufgeben zu sollen. Wenn sie nur etwas gegen die Todesangst ausrichten könnten, die die Mannschaften ergriffen hatte.

Die Chronometer zeigten jetzt die achte Morgenstunde, es waren also gegen zwölf Stunden verflossen, seit der »Saint Enoch« in Bewegung gekommen war.

Offenbar mußte die Zugkraft, welcher Art sie auch sein mochte, eine ungeheuere sein, und ebenso ungeheuer war die Schnelligkeit, womit das Schiff dahingerissen wurde. Uebrigens haben mehrere Gelehrte berechnet – was haben solche nicht schon alles berechnet und was werden sie nicht noch alles berechnen! – wie groß die Kraft einer ausgewachsenen Cetacee sei. Ein dreiundzwanzig Meter langer und etwa siebzig Tonnen schwerer Walfisch soll nach ihnen hundertvierzig Dampfpferdekraft, also soviel wie die Kraft von vierhundert lebenden Pferden, d. h. aber noch mehr haben, als heutzutage die vervollkommnetsten Locomotiven entwickeln.

Vielleicht lassen sich die Schiffe, wie der Doctor Filhiol sagte, dereinst noch von einem Gespann von Walfischen schleppen und die Luftballons von einem solchen von Adlern, Condors oder Geiern ziehen. Legt man aber die genannten Zahlen zu Grunde, so läßt sich leicht abschätzen, wie groß die mechanische[197] Kraft eines Seeungeheuers sein werde, das etwa vier-bis fünfhundert Fuß lang wäre. Als der Doctor Filhiol den Kapitän Bourcart fragte, wie hoch er die Geschwindigkeit des »Saint Enoch«, die sich völlig gleich geblieben zu sein schien, wohl schätze, erwiderte dieser:

»Sie kann nicht unter vierzig Lieues in der Stunde betragen.

– Dann hätten wir binnen zwölf Stunden also fast fünfhundert Lieues zurückgelegt?

– Ja... fast fünfhundert Lieues!«

Wenn das auch überraschend erscheint, so ist es doch gewiß, daß derartige Geschwindigkeiten und selbst noch größere beobachtet worden sind. Gerade aus dem Stillen Ocean wurde vor einigen Jahren von dem Commandanten einer Flottenstation über folgende Erscheinung berichtet:

Infolge eines sehr heftigen Erdbebens an der Küste von Peru wälzte sich von da aus eine ungeheuere Meereswoge bis nach der Küste Australiens. Gegen zwei Lieues lang, durchmaß diese Woge den dritten Theil des Erdumfangs mit einer unglaublichen Geschwindigkeit, der Schätzung nach mit der von hundertachtzig Metern in der Secunde oder sechshundertachtundfünfzig Kilometern in der Stunde. Zunächst gegen die zahlreichen Inselgruppen des Stillen Oceans geworfen und von einer weitreichenden Erschütterung des Meeresgrundes eingeleitet, prallte sie hier mit Donnerkrachen an die Ufer und fluthete, nachdem sie jedes Hinderniß zertrümmert oder aus dem Wege gedrängt hatte, eher noch wüthender weiter.

Bourcart wußte von diesem, seiner Zeit im »Journal du Havre« eingehend geschilderten Naturereigniß, und nach dessen Erwähnung gegen seine Gefährten fügte er noch hinzu:

»Es würde mich also gar nicht verwundern, wenn wir jetzt Zeugen und Opfer eines derartigen Ereignisses wären. Auf dem Grunde des Oceans könnte ein vulcanischer Ausbruch stattgefunden haben und dadurch die unbekannte Klippe entstanden sein, worauf der »Saint Enoch« gestrandet war. Ferner könnte sich, ganz wie bei dem Erdbeben in Peru, eine ungeheuere Woge, eine außerordentliche Fluthwelle gebildet haben, die uns erst von der Klippe losriß und uns nun nach Norden zu trägt...

– Meiner Ansicht nach, erklärte Heurtaux, der auch den Kapitän King diesen Worten zustimmend nicken sah, ist etwas derartiges weit annehmbarer, als das Vorhandensein eines Seeungeheuers...

[198] – Und obendrein, fuhr der Doctor Filhiol fort, eines Geschöpfes, das uns mit der Geschwindigkeit von vierzig Lieues in der Stunde mit sich fortreißen könnte.

– Alles recht schön, meinte der Meister Ollive, doch sagen Sie das nur Jean-Marie Cabidoulin, da werden Sie schon sehen, daß er von seinem Kraken, seinem Calmar oder seiner Seeschlange doch nicht abläßt.«

Es kam ja wenig darauf an, ob der Böttcher bei seinen Meerwundergeschichten blieb oder nicht. Wichtiger wäre eine Aufklärung darüber gewesen, bis zu welcher Breite der »Saint Enoch« an diesem Tage hinaufgeschleppt sein möge.

Bourcart nahm eine Seekarte zur Hand und suchte die Lage des Schiffes zu ergründen. Höchst wahrscheinlich war die tolle Fahrt immer nach Norden zu gegangen. Danach ließ sich annehmen, daß das Schiff, nachdem es seewärts von den Kurilen an deren letzter, nördlichster Insel vorübergekommen war, schon ins Behringsmeer verschlagen sein werde, sonst hätte es ja schon auf jenen Archipel oder, weiter im Osten, auf den der Alëuten treffen müssen. Aus dem Behringsmeere ragte keine Landmasse auf, die ihm hätte ein Hinderniß bieten können. Bei seiner ungeheueren Schnelligkeit konnte das Schiff sogar schon durch die kaum fünfzehn Lieues breite Behringstraße getrieben sein. Dann brauchte es von der Riesenwoge aber nur einige Meilen nach Osten oder Westen verschlagen zu sein, und es hätte gegen das Cap Orient an der Landveste Asiens oder an das Cap Prinz von Gallas an der amerikanischen Seite getrieben werden müssen. Da das nicht der Fall gewesen war, entstand die Frage, ob der »Saint Enoch« sich nun wohl schon im freien Eismeere befinden möge.

Dazu fragte der Doctor Filhiol den Kapitän Bourcart:

»In welcher Entfernung von der Klippe lag wohl das Polarmeer?


Der »Saint Enoch« wurde hoch emporgehoben und auf das Eisfeld geschleudert. (S. 206.)

– Etwa siebzehn Breitengrade weit, antwortete der Kapitän, das ergäbe, den Breitengrad zu fünfundzwanzig Lieues gerechnet, nahezu vierhundertfünfundzwanzig Lieues.

– Dann, ließ sich Heurtaux vernehmen, könnten wir vom siebzigsten Breitengrade also nicht mehr weit entfernt sein!«

Der siebzigste Breitengrad ist der, der, allgemeiner Annahme nach, den Arktischen Ocean begrenzt, und zur jetzigen Jahreszeit mußte das polare Packeis schon ziemlich in der Nähe sein.

Die sechsundfünfzig auf dem »Saint Enoch« befindlichen Männer gingen offenbar einer schrecklichen Katastrophe entgegen: das Schiff verlor sich voraussichtlich [199] in der hyperboräischen Eiswüste. In dieser Breite mußte jenseits der Behringstraße schon unbewegliches Eis stehen, mußten sich Eisfelder, Eisberge und die undurchdringliche Packeiswand vorfinden.

Was sollte dann aus den Insassen des Schiffes werden, wenn sie nicht schon vorher bei einer heftigen Collision verschlungen worden waren? Welches Schicksal erwartete sie, wenn es ihnen auch gelang, auf ein Eisfeld zu flüchten oder selbst eine der Inselgruppen dieser Gegend zu erreichen, wie etwa Wrangelland oder eine andere Gruppe, die mehrere hundert Meilen von der Küste Asiens [200] [203]und Amerikas entfernt lag, oder wenn sie auf sonst ein unbewohntes und unbewohnbares Eiland trafen, wo sie dann doch aus Mangel an Nahrungsmitteln und infolge der furchtbaren Kälte, die vom October an im Eismeere zu herrschen pflegt, elend umkommen müßten? In solcher ungeschützten Lage zu überwintern, wäre nicht möglich gewesen, doch auf welche Weise hätten sie nach dem nordöstlichen Sibirien oder nach Alaska gelangen können?

Im Norden der Behringstraße, wo sich die oceanische Woge weiter ausbreiten konnte, mußten deren Kraft und Geschwindigkeit freilich abnehmen. Außerdem begann der Barometer auch stark zu fallen. Kam dann das Meer in heftige Eigenbewegung, wenn der Wind sich zum Sturm steigerte, so erschöpfte sich vielleicht die Gewalt der Erscheinung und der »Saint Enoch« gewann wieder seine freie Bewegungsfähigkeit. Immerhin fragte es sich, wie weit er, halb entmastet, den Stürmen zu Anfang des arktischen Winters Widerstand leisten könne und was schließlich aus ihm werden würde. Und welch' entsetzliche Aussichten für den Kapitän Bourcart und alle Uebrigen, auf ein Fahrzeug beschränkt zu sein, dessen sie nicht mehr Herr waren und das sich in dieser weltfernen Einöde zu verlieren drohte.

An dieser schrecklichen Sachlage konnten nun weder Thatkraft und Ueberlegung, noch Muth und Waghalsigkeit etwas ändern.


Das Eisfeld erstreckte sich über Sehweite hinaus. (S. 208.)

Der Morgen verging. Noch immer wurde der »Saint Enoch«, jetzt mit der Längsseite, dann wieder mit dem Vorder- oder dem Hintertheile voran, wie eine verlassene Seetrift steuerlos hinausgetragen. Noch schlimmer wurde die Lage dadurch, daß der Nebel jeden Ausblick unmöglich machte. Da ein Aufenthalt auf dem Deck gänzlich ausgeschlossen war, konnten Bourcart und seine Officiere den Zustand des Meeres nur durch die kleinen Fenster der Cajüte beobachten. Sie wußten also niemals, ob das Schiff in der Nähe eines Landes, an den Ausläufern des einen oder anderen Ufers der Behringstraße vorüberkam, oder ob sie irgend welcher Insel der arktischen Archipele zutrieben, an der der außergewöhnliche Wogenschwall, doch mit ihm auch der »Saint Enoch« zerschellen sollte.

Auf jeden Fall konnte das Ende nur ein bald bevorstehender Schiffbruch sein, den voraussichtlich keiner von den Insassen des Schiffes überlebte.

»Geh' doch zum Teufel, verwünschter Nebel, pack dich fort!« rief der Lieutenant Allotte.

Unter dem Einfluß des niedrigen Luftdrucks kam der Nebel am Nachmittage wirklich zum Verschwinden. Die Dunstmassen stiegen empor, und [203] wenn auch die Sonne verhüllt blieb, konnte man doch bis zum Horizont hinaus sehen.

Nachmittag gegen vier Uhr schien sich die Geschwindigkeit des »Saint Enoch« zu vermindern. Sollte er endlich frei kommen? – Freilich wäre er immer nur ein entmastetes Schiff, doch wenn es dem Kapitän Bourcart gelang, ein Nothsegel zu hissen, konnte er auch hoffen, wieder nach Süden zu gelangen.

»Alles... sagte Heurtaux, eher alles andere, als am Packeis elend zerschlagen zu werden!«

Eben wollte der Meister Ollive aus der Cajüte heraustreten, was ihm auch gelang, da der Druck der Luft nicht mehr so stark war. Bourcart, der Kapitän King, der Doctor Filhiol und die beiden Lieutenants folgten ihm nach und begaben sich, Flaschenzüge zum Anhalten ergreifend, nach der Schanzkleidung an Steuerbord.

Jean-Marie Cabidoulin, der Zimmermann, der Schmied, die Harpuniere und ein Dutzend Matrosen, Engländer und Franzosen durcheinander, kamen aus dem Logis hervor und nahmen auf dem Raume zwischen dem Schmelzofen und dem Bordrand Platz, um sich draußen umzusehen.

Der »Saint Enoch« wurde jetzt, den Bug nach Nordnordosten gewendet, auf dem Rücken der großen Woge hinausgetragen, deren Höhe ebenso abnahm, wie ihre Geschwindigkeit sich verminderte.

Nirgends war Land in Sicht.

Das Seeungeheuer, von dem der »Saint Enoch« seit zwanzig Stunden gepackt sein sollte, ließ – der Böttcher mochte sagen, was er wollte – nicht das mindeste von sich sehen.

Nun begannen auch alle wieder Hoffnung zu schöpfen und sich bei den ermuthigenden Worten des Kapitäns Bourcart zu beruhigen. Der Meister Ollive konnte sich schon nicht mehr enthalten, Jean-Marie Cabidoulin wegen seines Krokodil-Octopus-Krakokraken aufzuziehen.

»He... hast Deine Flasche verloren, Alterchen! sagte er, ihm auf die Schultern klopfend.

– Ich habe sie gewonnen, widersprach der Meister Cabidoulin, doch Du und ich werden nicht dazu kommen, sie zu trinken.

– Wie?... Du behauptest doch nicht, daß Dein Ungeheuer...

– Noch immer da ist... ja, wenn man nur gut hinsieht, ist einmal sein Kopf, ein andermal sein. Schwanz zu erkennen.

[204] – Pah... lauter Einbildungen aus Deinem verdrehten Schädel!

– Es hält uns noch in seinen Klauen... es wird uns auch nicht loslassen, und ich weiß sehr gut, wohin es uns verschleppt.

– Dahin, woher wir auch zurückkehren werden, Alter! erwiderte Meister Ollive. Nach der Flasche Tafia noch eine Flasche Rum, daß wir mit heiler Haut davonkommen!«

Jean-Marie Cabidoulin zuckte die Achseln und warf seinem Kameraden einen halb mitleidigen, halb verächtlichen Blick zu. Wenn er sich über die Reling hinausbog, glaubte der Mann thatsächlich, den Kopf des Ungeheuers zu sehen, einen Pferdekopf mit furchtbarem Schnabel, der aus einer dichten Mähne hervortrat, und dann, einige hundert Fuß weiter hin, den fürchterlichen Schwanz, der wüthend auf das Wasser schlug, so daß es in weitem Umkreise aufspritzte und schäumte. Die Leicht- und die Vollmatrosen sahen übrigens dasselbe, allerdings nur durch die Augen des in seinen Glauben verrannten Tonnenbinders.

Wenn sich im Norden auch kein Land zeigte, so trieben doch schon Eisschollen auf der weiten Wasserfläche umher. Kein Zweifel, der »Saint Enoch« befand sich im Polargebiete jenseits der Meerenge; um wie viele Grade über dem siebzigsten Breitengrade... das konnte nur durch eine Beobachtung festgestellt werden, die zu der jetzt zu weit fortgeschrittenen Tageszeit leider unmöglich war.

Kaum zehn Minuten später rief übrigens der Matrose Gallinet, der nach dem Stumpfe des Fockmastes hinaufgeklettert war:

»Eisfeld vor Backbord!«

Ein Ice-field dehnte sich wenigstens auf drei Meilen nach Norden hin aus. Eben und glatt wie ein Spiegel, warf es die letzten Strahlen der Sonne zurück. Weiter hinten zeigte sich die erste Packeismauer, deren höchste Punkte wohl hundert Toisen über die Meeresfläche aufragten. Auf dem Eisfelde schwirrte und tummelte sich eine ganze Welt von Vögeln umher, von Möven, Lummen, Fettgänsen und Fregattvögeln, während zahlreiche Seehundspaare an dessen Rändern lagen.

Das Eisfeld mochte noch drei bis vier Meilen entfernt sein, und der allmählich auffrischende Wind stand gerade darauf zu. Das Meer wogte auch jetzt stärker auf und ab, als es infolge der Brise allein möglich gewesen wäre, und das kam daher, daß die Riesenwelle sich noch immer unter den treibenden Eisflächen [205] fortwälzte. Jedenfalls brach sie sich gänzlich erst an der unerschütterlichen arktischen Packeiswand.

Wiederholt gurgelte auch noch ein mächtiger Wasserschwall über den »Saint Enoch« hinweg, dessen Schanzkleidung an einer Stelle durch den Sturz der Fockmaststenge zertrümmert worden war. Einmal wurde das Schiff dabei so weit auf die Seite geneigt, daß das Wasser bis zur Cajüte vordrang. Wenn jetzt die Lukendeckel des Frachtraumes nicht festgehalten hätten, wäre es dem Untergange geweiht gewesen..

Je weiter der Tag fortschritt, desto stürmischer wurde das Wetter und desto heftigere Windstöße brachen, von Schneetreiben begleitet, über das Schiff herein.

Gegen sieben Uhr abends wurde der »Saint Enoch« noch einmal hoch emporgehoben und dann auf das Eisfeld geschleudert, über dessen glatte Fläche er weiter glitt, bis er gegen die ersten Blöcke des Packeises prallte.

15. Capitel

Fünfzehntes Capitel.
Ende.

Nach welchem Theile des arktischen Meeres mochte der »Saint Enoch« nun seit dem Augenblicke verschlagen worden sein, wo er – ungefähr vor vierundzwanzig Stunden – von der Klippe weggerissen wurde?

Als der Nebel aufstieg, hatte Bourcart beobachtet, daß sein Schiff nach Nordnordwesten trieb. War es seit dem Passieren der Behringstraße aus dieser Richtung nicht abgedrängt worden, so konnten er und seine Gefährten wohl noch auf festes Land, entweder an die sibirische Küste oder nach einer Insel in deren Nähe gelangen. Eine Rückkehr mußte von dort aus weniger mühselig und gefahrvoll sein, als durch das Gebiet des amerikanischen Alaska.

Die Nacht war herangekommen... eine dunkle, eisige Nacht mit einer Temperatur von zehn Grad unter Null.

[206] Bei dem sehr heftigen Anprall waren auch noch die Untermasten gebrochen und der Rumpf des Schiffes aufgesprengt worden.

Es war ein wirkliches Wunder zu nennen, daß dabei – von einigen Quetschungen abgesehen – eigentlich niemand wesentlich verletzt wurde. Die gegen die Bordwand geschleuderten Mannschaften konnten bald auf dem Eisfelde festen Fuß fassen, wohin ihnen Bourcart und seine Officiere schleunigst nachfolgten.

Jetzt galt es nun, den Tag abzuwarten. Statt die langen Stunden aber unter freiem Himmel hinzubringen, erschien es doch rathsamer, einstweilen an Bord zurückzukehren. Der Kapitän gab auch einen bezüglichen Befehl. Wenn es nicht möglich war, die fast ganz zerstörte Cajüte oder das Volkslogis zu heizen, fanden die Mannschaften hier doch wenigstens Schutz gegen den rasenden Schneesturm.

Bei Tagesanbruch wollte Bourcart dann sehen, was weiter zu thun wäre.

Der »Saint Enoch« stand zwar, durch Eisblöcke gestützt, ziemlich gerade aufrecht, hatte aber Beschädigungen erlitten, die jede Ausbesserung ausschlossen. Der Rumpf war unter der Schwimmlinie an mehreren Stellen eingestoßen, die Deckplanken zersprengt oder verschoben und die inneren Wände ebenso von ihrem Platze weggerückt. Die Officiere konnten indeß noch nothdürftig in der Cajüte, die Mannschaften im Frachtraume oder im Volkslogis Unterkommen finden.

Das war also der Ausgang eines unerhörten Abenteuers, soweit dieses der gewaltigen Bewegung des Meeresbodens zwischen dem fünfzigsten und dem siebzigsten Breitengrade zuzuschreiben war.

Was sollte nun aus den Schiffbrüchigen des »Saint Enoch« und des »Repton« werden?

Bourcart und der Obersteuermann hatten unter den Trümmern der Cajüte ihre Seekarten noch wiedergefunden. Beim Scheine einer Laterne suchten sie die augenblickliche Ortslage des »Saint Enoch« zu bestimmen.

»Vom Abend des zweiundzwanzigsten October an bis zum Abend des dreiundzwanzigsten, begann Bourcart, hat uns die Woge dem Nordwesten des Polarmeeres zugetragen...

– Und mit einer Geschwindigkeit, die mindestens auf vierzig Lieues in der Stunde zu schätzen ist, fuhr Heurtaux fort.

– Es würde mich auch gar nicht wunder nehmen, erklärte der Kapitän, wenn wir dabei in die Gewässer des Wrangellandes getrieben worden wären.«

[207] Irrte sich Bourcart hierin nicht und reichte das Eis bis zum nächsten Theile der sibirischen Küste, so war nur die Longstraße zu überschreiten, um nach dem Lande der Tschuktschen zu kommen, dessen äußersten Ausläufer im Eismeere das (asiatische) Nordcap bildet. Vielleicht war es jedoch beklagenswerth, daß der »Saint Enoch« nicht etwas weiter westlich, nach dem Archipel von Neusibirien verschlagen worden war.

Von der Lenamündung aus wäre die Heimkehr unter günstigeren Verhältnissen möglich gewesen, denn in dem vom Polarkreise durchschnittenen Gebiete der Jakuten fehlt es nicht an Dörfern und Flecken.

Alles in allem schien die Lage der Dinge keine verzweifelte zu sein, offenbar winkte den Schiffbrüchigen noch einige Aussicht auf Rettung, wenn diese auch mit den größten Anstrengungen und Entbehrungen, mit Mangel und Elend verbunden war. Zu Fuß hunderte von Meilen über das Eisfeld, ohne jeden Schutz, der Unbill der Winterwitterung des hohen Nordens ausgesetzt... das war nicht gerade verlockend. Ueberdies mußte die Longstraße in ihrer ganzen Breite fest zugefroren sein, um die Küste Sibiriens erreichen zu können.

»Das schlimmste Unglück, äußerte Heurtaux, ist doch, daß die Havarien des »Saint Enoch« nicht auszubessern sind! Es wäre vielleicht möglich gewesen, einen Canal durch das Eisfeld zu brechen, und dann hätten wir auf dem Wasser weiter gelangen können...

– Und dazu, bemerkte Bourcart wie abwehrend, hätten wir nicht einmal ein einziges Boot zur Verfügung gehabt. Wollten wir solche und so viele, daß sie über fünfzig Mann aufnehmen könnten, erst aus den Trümmern des »Saint Enoch« erbauen, so würden unsere Lebensmittel wohl noch vor deren Vollendung verbraucht sein.«

Endlich wurde es wieder hell, die bleiche, fast licht- und wärmelose Scheibe der Sonne stieg aber nur wenig über den Horizont hinaus.

Das Eisfeld erstreckte sich über Sehweite hinaus nach Osten wie nach Westen. Im Süden lag die von Schollen wimmelnde Longstraße; noch hatte der Frost keine ununterbrochene Eisdecke bis zur sibirischen Küste zusammengelöthet. Ehe diese Gegenden aber nicht in ihrer ganzen Ausdehnung fest gefroren waren, konnten Bourcart und seine Gefährten sie nicht durchmessen, um nach dem Festlande zu gelangen.

Alle verließen wieder das Schiff und der Kapitän ordnete eine eingehende Untersuchung des »Saint Enoch« an.

[208] Dabei durfte man sich keiner Illusion hingeben. Nach ihrer Untersuchung berichteten der Zimmermann Ferut und der Schmied Thomas, daß die Bordwand eingedrückt, die Rippen zum Theil zerbrochen, viele Planken abgerissen, der Kiel zum Theil abgesprengt, das Steuer zerstört und der Hintersteven geborsten war... lauter Beschädigungen, an deren Ausbesserung man gar nicht denken konnte. Da blieben nun bloß zwei Auswege übrig:

Entweder brach man noch an demselben Tage auf und führte die noch übrigen Lebensmittel mit sich, um westwärts nach einer Gegend zu wandern, [209] wo das Meer unter der Einwirkung der Polarströmung schon eine feste Eisdecke hatte; oder: man schlug am Rande des Packeises ein Lager auf und wartete, bis die Longstraße so weit zugefroren war, daß sie auch von Fußgängern überschritten werden konnte.


Eine Fahrt auf dem Packeis. (S. 212.)

Die beiden Projecte hatten manches für und manches wider sich. Jedenfalls blieb es ausgeschlossen, hier zu überwintern und die wärmere Jahreszeit abzuwarten. Selbst wenn es gelang, im unteren Theile des Packeises eine Höhlung herzustellen, wie das einige Walfänger wirklich schon gethan haben, wovon hätte man sich sieben bis acht Monate lang ernähren sollen? Hierbei ist nicht zu vergessen, daß es sich um mehr als fünfzig Menschen handelte, die etwa noch für vierzehn Tage Lebensmittel besaßen und damit bei äußerster Beschränkung höchstens drei Wochen ausreichen konnten. Auf die Jagd oder den Fischfang zu rechnen, das wäre zu unsicher gewesen. Einigermaßen wärmen konnten sich die Unglücklichen auch nur durch die Verbrennung der Trümmer vom »Saint Enoch«; wenn diese aber zu Ende gingen, was dann?...

Davon, daß ein Schiff so nahe an das Eis herankäme, konnte auch keine Rede sein, denn sicherlich dauerte es acht volle Monate, bis diese Gegenden wieder befahrbar wurden.

Der Kapitän Bourcart beschloß also aufzubrechen, sobald einige Schlitten hergestellt wären, die freilich wegen Mangels an Hunden von den Leuten selbst gezogen werden mußten.

Hier sei auch eingefügt, daß dieser Plan ebenso von der Mannschaft des »Saint Enoch«, wie ohne jeden Widerspruch von der des »Repton« gebilligt wurde.

Vielleicht wären die Engländer lieber unter sich allein fortgezogen. Aus Mangel an Nahrungsmitteln war das jedoch unmöglich, und unter den gegebenen Umständen hätte sich der Kapitän Bourcart niemals herbeigelassen, ihnen einen Theil seiner Vorräthe abzutreten.

Uebrigens stand es noch gar nicht fest, daß die Schiffbrüchigen über den Ort, wo sie sich auf dem Eisfelde befanden, genau unterrichtet waren. Sie wußten doch nicht bestimmt, ob sie hier in der Nachbarschaft des Wrangellandes waren. Der Doctor Filhiol richtete an den Kapitän auch eine bezügliche Frage.

»Ja, antwortete dieser, ganz zuverlässig kann ich das nicht sagen. Mit meinen Instrumenten hätte ich, wenn diese nicht zerstört wären, wohl darüber Klarheit gewinnen können. Immerhin glaub' ich, daß das Eisfeld hier nicht allzuweit [210] vom Wrangellande liegt, wenn es sich nicht infolge einer Strömung nach Osten oder Westen hin verschiebt.«

Das war jedenfalls möglich. Wie konnte man aber ohne einen Merkpunkt erkennen, ob das Eisfeld unbeweglich still liege oder ob es sich mit dem Packeise zugleich fortbewegte?

Durch diese Gegenden laufen nämlich zwei mächtige Strömungen. Die eine kommt von Nordwesten und fließt um das Cap Orient der tschuktschischen Halbinsel, die andere von Norden her, und diese vereinigt sich mit der ersten, wonach beide längs der Küste von Alaska nach der Barrowspitze zu verlaufen.

Doch wie es sich auch verhalten mochte, der Aufbruch war eine beschlossene Sache. Auf die Anordnung des Kapitäns hin, machten sich der Meister Cabidoulin, der Zimmermann und der Schmied sofort an die Arbeit. Aus den vom »Saint Enoch« entnommenen Planken und Spieren sollten drei Schlitten hergestellt, der Schiffsrumpf aber vorläufig noch als Unterkommen benutzt werden. Brennmaterial, das man so viel wie möglich herbeischaffte, lieferten die Untermasten und Raaen mehr als genug.

Wenn keine Zeit vergeudet würde, sollte die Arbeit binnen drei Tagen vollendet sein. Die Engländer boten sich zur Hilfe an, und Bourcart rechnete darauf, diese unterwegs auch in Anspruch zu nehmen, wo alle Arme doch kaum ausreichten, die schweren Schlitten während einer so langen Wanderung fortzuschleppen.

Wiederholt bestiegen die beiden Kapitäne, die Lieutenants und der Doctor Filhiol die Packeiswand, deren Abhänge ziemlich gut gangbar waren. Von hier, von dreihundert Fuß Höhe aus, dehnte sich der Sehkreis bis auf fünfzig Kilometer hin aus, doch selbst mit den Fernrohren war auch da kein Land zu entdecken.

Im Süden lag das Meer mit treibenden Eisschollen, dort war das Eisfeld also unterbrochen. Man konnte auch voraussetzen, daß noch einige Wochen vergehen würden, ehe die Longstraße ihrer ganzen Ausdehnung nach zugefroren wäre... wenn... ja, wenn es überhaupt die Longstraße war, die man in der betreffenden Richtung vor sich zu haben glaubte.

In den drei folgenden Tagen wurde das Lager von Eisbären nicht belästigt. Zwei oder drei dieser bekanntlich oft recht gefährlichen Thiere hatten sich zwar auf Eisschollen gezeigt, zogen sich aber zurück, ehe sie verfolgt werden konnten.

[211] Am Abend des 26. October war man mit der Herstellung der Schlitten endlich fertig, und sofort wurden sie mit Conservenkisten, mit Fleisch, Gemüsen, Schiffszwieback, einem großen Vorrath von Holz, sowie mit mehreren Packen zusammengerollter Segel beladen, die zur Herrichtung von Zelten dienen sollten, wenn Schneestürme das weitere Vorwärtskommen verhinderten.

Noch eine letzte Nacht des Schlafes im Volkslogis und in den Cabinen, noch eine letzte Mahlzeit an Bord, dann zogen Bourcart mit seinen Begleitern und der Kapitän King mit seinen Leuten von der Unfallstelle fort.

Natürlich fühlten sich bei dem Aufbruche alle tief erregt und schmerzlich beklommen. Auf das Wrack, das der »Saint Enoch« gewesen war, blieben alle Augen gerichtet, bis es unter der Packeismauer verschwand.

Da sagte der immer vertrauensselige Meister Ollive guten Muthes zu dem Tonnenbinder:

»Na, siehst du, Alterchen, wir ziehen uns doch noch aus der Schlinge! Wir werden den Molo von Havre schon wiedersehen!«

– Wir?... Vielleicht... der »Saint Enoch« aber nicht!« begnügte sich Jean-Marie Cabidoulin zu antworten.

Ueber die Einzelheiten der Fahrt über das weite, todtenstille Eisfeld ist nichts besonderes zu berichten. Die größte Gefahr dabei war nur die, daß Lebensmittel und Brennmaterial zu Ende gehen könnten, wenn die beschwerliche Reise sich über Erwarten verlängerte.

In geregelter Ordnung zog die kleine Karawane dahin. Die beiden Lieutenants marschierten an der Spitze. Manchmal entfernten sie sich um ein bis zwei Meilen, um den Weg zu erspähen, wenn Eisblöcke die Fernsicht verhinderten. Dann mußte man zuweilen recht große Eisblöcke umwandern, was die zurückzulegende Wegstrecke natürlich nicht wenig vergrößerte.

Die Lufttemperatur schwankte immer zwischen zwanzig und dreißig Grad unter Null, das ist auch zu Anfang des Winters die gewöhnliche Mitteltemparatur in dieser Breite. So folgte der eine Tag dem anderen; immer unverändert glänzte im Süden des Eisfeldes die noch offene Meeresfläche, auf der nur Eisschollen dahintrieben. Bourcart bemerkte übrigens, daß diese durch eine scharfe Strömung in der Richtung nach Westen, nach der Longstraße zu getragen wurden, deren westlichen Eingang die Schlitten schon hätten passieren können. Im Süden dagegen lag wahrscheinlich der breite Meeresarm, der bis an die Liakhovinseln und an den Archipel von Neusibirien reichte.

[212] Wenn von den möglichen Fährnissen der nächsten Zukunft die Rede war, äußerte der Kapitän Bourcart seinen Officieren gegenüber auch die Besorgniß, daß sie sich gezwungen sehen könnten, bis zu den genannten Inseln hin zu ziehen, die doch vom Festlande Asiens noch mehrere hundert Seemeilen trennten. Die Karawane vermochte aber an einem Tage kaum zwölf Meilen zurückzulegen, und zwölf Stunden mußten täglich unbedingt der Ruhe gewidmet werden. Da ferner die Octobertage in dieser hohen Breite schon sehr kurz waren und die Sonne nur noch einen stark beschränkten Bogen am Himmel beschrieb, verlief die an sich äußerst beschwerliche Wanderung obendrein wenigstens theilweise im Halbdunkel.

Die muthigen Leute ließen trotzdem keine Klage hören. Auch den Engländern, die sich am Ziehen der Schlitten betheiligten, war kein Vorwurf zu machen. Sobald Bourcart das Haltesignal gab, wurden mittels der über Spieren gespannten Segel Zelte aufgeschlagen, die nöthige Nahrung vertheilt und der Ofen angefeuert, auf dem man sich ein warmes Getränk, Grog oder Kaffee, bereitete, und dann legten sich alle nieder und schliefen ruhig bis zum Wiederausbruch des kleinen Zuges.

Doch was hatten dessen Theilnehmer alles auszustehen, wenn der Sturm mit unerhörter Gewalt wüthete, wenn ein Schneetreiben über das Eisfeld hinjagte, und wenn der Marsch unter einem dichten, die Augen blendenden, weißen Staub gar gegen den schneidend kalten Wind ging! Dann konnte einer den anderen kaum noch auf einige Meter weit erkennen. Die einzuhaltende Richtung mußte in solchen Fällen mittels des Compasses festgestellt werden, dessen abgelenkte Nadel auch nur sehr unzuverlässige Auskunft gab. Bourcart nahm schon an – er vertraute das aber nur Heurtaux an – daß sie sich in der grenzenlosen Einöde verirrt hätten. Er sah sich daher, statt geraden Weges nach Süden vorzudringen, genöthigt, am Rande des Eisfeldes hinzuziehen, woran sich oft die Meereswellen donnernd brachen... Wenn sich das Meer hier nun aber ohne Ende ausdehnte...? Blieb dann vielleicht nichts anderes übrig, als Eisschollen zu besteigen, um womöglich auf diesen die sibirische Küste zu erreichen?... Doch nein; mit der weiter sinkenden Temperatur mußten die aneinander gedrängten Schollen ja schließlich zu einem festen Felde im Becken des Polarmeeres zusammenfrieren. Dauerte es freilich noch wochenlang, ehe das Meer genügend fest wurde, so drohten die Nahrungsmittel trotz des sparsamsten Verbrauches zu Ende zu gehen, und das Holz, das doch nur zur Bereitung der Speisen Verwendung fand, schließlich zu fehlen.

[213] Mehrere Leichtmatrosen waren schon jetzt am Ende ihrer Kräfte, und der Doctor Filhiol widmete ihrer Pflege die größte Aufmerksamkeit. Wie viele Mühe und Beschwerde wäre erspart worden, wenn die Schlitten jetzt ein Gespann jener ausdauernden Hunde gehabt hätten, die an die Wege durch die sibirischen und kamtschadalischen Ebenen gewöhnt sind! Mit wahrhaft wunderbarem Instinct begabt, vermögen diese Thiere sich noch beim schlimmsten Schneetreiben zurecht zu finden, wenn ihre Herren längst Weg und Steg verloren haben.

Unter den geschilderten Verhältnissen kam der 19. November heran.

Vierundzwanzig Tage waren seit dem Aufbruche verstrichen. Es war unmöglich gewesen, immer nach Südwesten zu marschieren, dahin, wo Bourcart in der Nähe der Liakhovinseln auf die am weitesten hervorspringenden Spitzen des Festlandes zu treffen gehofft hatte.

Die Nahrungsmittel waren fast erschöpft... vor Ablauf von achtundvierzig Stunden konnte den Schiff brüchigen nichts weiter übrig bleiben, als ein letztes Mal Halt zu machen und da den entsetzlichsten Tod abzuwarten...

»Ein Schiff!... Ein Schiff!«.

Endlich stieß Romain Allotte, es war am Morgen des 20. November, diesen lang erwarteten Ruf aus, und bald sahen auch alle das Fahrzeug, das des Lieutenants scharfe Augen entdeckt hatten.

Es war ein dreimastiges Barkschiff, ein Walfänger, der bei frischer Nordwestbrise mit allen Segeln der Behringstraße zusteuerte.

Bourcart und alle übrigen, die jetzt plötzlich ihre Kräfte wiederfanden, ließen die Schlitten stehen und stürmten nach dem Rande des Eisfeldes.

Hier wurden sofort Signale gegeben und Flintenschüsse abgefeuert.

Auf dem Schiffe hatte man diese bemerkt und die Schüsse gehört. Die Bark legte bei und bald stießen zwei Boote von ihr ab.

Eine halbe Stunde später befanden sich die Schiffbrüchigen an Bord, voll des Dankes für die ihnen durch die Vorsehung gesandte Rettung.

Das betreffende Schiff, die »World« aus Belfast, hatte seinen Fang etwas verspätet beendigt und war auf der Fahrt nach Neuseeland begriffen.

Wir brauchen wohl kaum hervorzuheben, daß der Besatzung des »Saint Enoch«, ebenso wie der des »Repton« der gastlichste Empfang zutheil wurde. Und als die beiden Kapitäne berichtet hatten, unter welch außergewöhnlichen Umständen ihre Schiffe zu Grunde gegangen waren, da mußte man ihnen, trotz mancher Unklarheiten bei dem wunderbaren Vorgange, wohl oder übel glauben.

[214] Nach Verlauf eines Monats setzte die »World« die Ueberlebenden von dem schauerlichen Seeunfalle in Dunedin ans Land.

Da trat der Kapitän King an den Kapitän Bourcart heran, um sich zu verabschieden.

»Sie haben uns, sagte er, an Bord des »Saint Enoch« aufgenommen, und ich habe Ihnen dafür gedankt...

– Wie wir Ihrem Landsmanne, dem Kapitän Morris, Dank schulden, uns an Bord der »World« aufgenommen zu haben, antwortete Bourcart.

– Demnach sind wir also quitt, erklärte der Engländer.

– Ja, wenn es Ihnen beliebt...

– Guten Abend!

– Guten Abend!«

Das war der ganze Abschied.

Trotz der unheimlichen Prophezeiungen, womit Meister Cabidoulin nicht im geringsten geizte, war die »World« doch glücklich genug, während ihrer Fahrt vom Eismeer bis Neuseeland weder einem Kraken, einem Calmar oder Kopffüßler, noch auch einer Seeschlange, oder wie man die eingebildeten Ungeheuer sonst nennen möge, zu begegnen. Ebenso kam von diesen Bourcart und seinen Gefährten auf ihrer Ueberfahrt von Neuseeland nach Europa auch keine Spur zu Gesicht. Die Lieutenants Coquebert und Allotte einigten sich schließlich in der Ueberzeugung, daß es eine ungeheuere, mit rasender Schnelligkeit dahinstürmende Meereswoge gewesen war, die den »Saint Enoch« nach dem Packeis verschlagen hatte.

Jean-Marie Cabidoulin und die Mehrzahl der Mannschaft konnten sich freilich von ihrem Glauben an ein fabelhaftes Seeungethüm noch nicht losreißen.

Auf jeden Fall weiß niemand etwas zuverlässiges darüber, daß die Meere irgendwo derartige Thiere bergen. Und so lange die sachverständigen Ichthyologen ihr Vorhandensein noch nicht bestätigt und noch nicht bestimmt haben, welcher Familie, welchem Geschlechte und welcher Art sie zuzutheilen seien, ist es wohl besser alles, was über sie berichtet wird, ins Gebiet der Fabel zu verweisen.

Der Kapitän Bourcart und seine Gefährten kehrten also nach Havre zurück... Diesmal freilich nicht an Bord ihres eigenen Schiffes!

Dank dem günstigen Verkaufe der ersten Thranlast in Victoria auf Vancouver, lieferte die Fahrt doch noch für alle einigen Verdienst, und der Verlust [215] des »Saint Enoch« wurde durch die Versicherungsgesellschaft gedeckt. Dem Kapitän traten jedoch die Thränen in die Augen, wenn er seines armen Schiffes gedachte, das nun verlassen und halb zertrümmert im arktischen Eisfelde gefangen lag.

Was den Meister Ollive und den Meister Cabidoulin betrifft, so boten diese sich die im Laufe der Fahrt verwetteten – gewonnenen und verlorenen – Flaschen Tafia und Rum gegenseitig an. Dabei sagte unter anderem der erste zu dem zweiten:

»Na, Alterchen, glaubst Du denn immer noch an...

– Das will ich meinen... nach dem, was wir selbst erlebt haben, erst recht!

– Du behauptest auch, das Ungeheuer gesehen zu haben?

– So gut, wie ich Dich sehe!

– Willst Du damit sagen, daß ich auch ein solches unvernünftiges Geschöpf wäre?

– Nun ja... weil... weil Du nicht daran glauben willst.

– Danke verbindlichst!«

Man erkennt hieraus, daß der Tonnenbinder seine Anschauungen nicht geändert hatte. Er verharrt bei der Behauptung, daß es derlei Ungethüme gebe, und in seinen ewig aufgewärmten Historien kehrt der Bericht über die Abenteuer des »Saint Enoch« unablässig wieder..

Eines aber steht unerschütterlich fest: Die letzte Reise des »Saint Enoch« wird auch die letzte Jean-Marie Cabidoulin's bleiben.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Verne, Jules. Romane. Die Historien von Jean-Marie Cabidoulin. Die Historien von Jean-Marie Cabidoulin. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-7529-A