Jules Verne
Eine schwimmende Stadt


Der Riesendampfer »Great-Eastern« im Hafen von Liverpool. (S. 7.)

1. Capitel

Erstes Capitel.
Der Great-Eastern.

Am 18. März des Jahres 1867 kam ich in Liverpool an, um mich dort auf dem Great-Eastern, der in einigen Tagen nach New-York abfahren sollte, als Passagier einzuschiffen. Ich wollte auf diesem riesenhaften Dampfer, zu keinem andern Zweck als meinem speciellen Vergnügen, eine Tour über [6] den Atlantischen Ocean machen. Nebenbei hatte ich dann auch die Absicht, dem nördlichen Amerika, diesem von Cooper so sehr gefeierten Lande, einen Besuch abzustatten; aber das war, wie gesagt, nicht der eigentliche Zweck meiner Reise; in erster Linie gedachte ich dem größten Meisterwerk der Schiffsbaukunst, dem Great-Eastern, mein Interesse zuzuwenden. Man kann diesen Dampfer kaum noch ein Schiff nennen; es ist wohl mehr eine schwimmende Stadt, ein Stück Grafschaft, das sich von englischem Grund und Boden loslöst, um nach einer Fahrt über das Meer mit dem amerikanischen Festlande zusammenzuwachsen. Ich stellte mir vor, wie diese ungeheure Masse auf den Fluthen einhergleiten müßte, wie sie mit den ihr gegenüber machtlosen Winden ringen würde, wie kühn durfte solch ein Schiff die Wogen an sich abprallen lassen, wie indifferent bleiben inmitten des Elementes, das einen Warrior und einen Solferino wie Schaluppen auf- und niederschwanken ließ. Auf all diese Eindrücke hatte mich meine Einbildungskraft vorbereitet, und all dies und noch vieles Andere, was nicht mehr in das seemännische Fach gehört, sah ich während meiner Fahrt. Wenn der Great-Eastern nicht nur eine nautische Maschine ist, wenn er einen Mikrokosmos darstellt, der eine Welt in sich trägt, so wird es den Beobachter nicht überraschen, dort, wie auf einem großen Theater, allen Neigungen, Leidenschaften und Lächerlichkeiten dieser Welt zu begegnen.

Als ich den Bahnhof verließ, begab ich mich in das Hotel Adelphi, denn die Abreise des Great-Eastern war erst auf den 20. März festgesetzt. Um jedoch die letzten Vorbereitungen zu derselben genauer verfolgen zu können, suchte ich bei dem Oberbefehlshaber des Dampfschiffes, Kapitän Anderson, um die Erlaubniß nach, mich sogleich an Bord begeben zu dürfen, und erhielt hierzu seine bereitwillige Genehmigung.

So stieg ich am folgenden Morgen zu den Bassins herab, die auf den Ufern der Mersey einen doppelten Saum von Docks bilden, und die Drehbrücken gestatteten mir, den Kai New-Prince zu erreichen. Es ist dies eine Art bewegliches Floß, welches dem Fallen und Steigen der Fluth folgt, und das für die zahlreichen Boote aus Birkenhead, einer am linken Ufer der Mersey gelegenen Vorstadt von Liverpool, zum Einschiffungsorte dient.

Die Mersey ist gleich der Themse ein unbedeutendes Wasser, das, obgleich es sich in's Meer ergießt, kaum den Namen eines Flusses verdient. Eigentlich ist sie nichts Anderes, als eine mit Wasser angefüllte Senkung des [6] Bodens, ein ungeheures Loch, das sich durch seine Tiefe dazu eignet, Schiffe vom stärksten Tonnengehalt aufzunehmen, und so auch den Great-Eastern, dem die meisten übrigen Häfen streng untersagt sind. Dank dieser natürlichen Beschaffenheit, sahen Bäche wie die Themse und die Mersey nahe an ihrer Mündung unermeßliche Handelsstädte, London und Liverpool, emporblühen, und ebenso, oder doch aus ähnlichen Rücksichten, entstand Glasgow am Clyde-Flusse.

An der Werft von New-Prince wurde ein Lichterschiff, ein für den Dienst des Great-Eastern bestimmtes kleines Dampfschiff, geheizt. Ich begab mich auf das Verdeck, wo sich bereits viele Handwerker und sonstige Arbeiter befanden, die an Bord des Dampfers gehen sollten, und richtete mich dort ein. Als vom Victoriathurm die siebente Morgenstunde erklang, löste das Lichterschiff seine Anker und folgte eilig der steigenden Fluth der Mersey.

Kaum hatte es sich in Bewegung gesetzt, als ich auf der Werft einen hochgewachsenen, jungen Mann mit jener eigenthümlich aristokratischen Physiognomie bemerkte, wie sie englischen Officieren eigen zu sein pflegt. Ich glaubte in ihm einen mir befreundeten Hauptmann im indischen Heere, den ich seit Jahren nicht gesehen hatte, zu erkennen, doch kam ich bald zu der Ueberzeugung, daß ich mich hierin täuschte, denn Hauptmann Mac Elwin konnte Bombay nicht ohne mein Wissen verlassen haben. Außerdem war mein Freund ein heiterer, sorgloser Mensch, ein munterer Kamerad gewesen, und dieser junge Mann schien von der trübsten Stimmung beherrscht, ja, gleichsam von einem geheimen Schmerze niedergedrückt. Obgleich er äußerlich Mac Elwin sonst sehr ähnlich zu sehen schien, hatte ich jetzt doch nicht Muße, ihm weitere Aufmerksamkeit zu schenken, denn das Lichterschiff entfernte sich mit großer Schnelligkeit, und bald hatte sich der durch diese Aehnlichkeit hervorgerufene Eindruck in meinem Geiste verwischt.

Der Great-Eastern lag etwa drei Meilen stromaufwärts, nahe den ersten Häusern Liverpools vor Anker. Von dem Kai New-Prince hatte man ihn nicht bemerken können, und jetzt, bei einer Wendung des Flusses, zeigte sich plötzlich die imponirende Masse meinen Blicken. Zuerst präsentirte sich der Riesendampfer mit seinem Vordertheil, das der Fluth zugekehrt war, und erschien mir wie eine halb im Nebel verschwimmende Insel; aber bald machte der Fluß abermals eine Wendung, und wir bekamen das Gebäude von seiner ganzen Längenseite in Sicht. Es machte einen ungeheuren Eindruck! Drei [7] oder vier Kohlenschiffe von gewöhnlicher Größe, die an seiner Seite angelegt hatten und ihm ihre Ladung durch über der Wasserlinie geöffnete Stückpforten einschütteten, sahen neben dem Great-Eastern wie winzige Barken aus. Ihre Schornsteine reichten nicht einmal bis zu der ersten Reihe seiner im Rumpf befindlichen Luken; ihre Bramstengen gingen nicht über seine Schanzbekleidung hinaus. Der Riese hätte sie mit seinem ungeheuren Krahn als Dampfschaluppen aufhissen können.

Inzwischen näherte sich unser Lichterschiff; es fuhr unter den rechten Vordersteven des Great-Eastern, dessen Ketten sich gewaltsam unter dem Drängen der Fluth spannten; dann wendete er leewärts und hielt unter der mächtigen Treppe, welche sich auf beiden Seiten emporschlängelte. In dieser Stellung streifte das Verdeck unseres Schiffes eben nur die Wasserlinie, welche der Riesendampfer bei vollständiger Ladung erreichen sollte, und die jetzt noch mehr als zwei Meter über dem Wasserspiegel emporragte.

Indessen stiegen die Handwerker eiligst aus und erklommen die zahlreichen Stufen, die in verschiedenen Absätzen bis zu der Erhöhung am Hinterdeck hinaufführten. Ich selber schaute mir noch immer mit zurückgebogenem Haupt und Oberkörper die Räder des Great Eastern an, wie etwa ein Tourist irgend ein hohes Gebäude betrachtet hätte.

Von der Seite gesehen, schienen diese Räder dünn und schlank, obgleich die Länge ihrer Schaufeln vier Meter betrug; von vorn gewährten sie indessen einen förmlich monumentalen Anblick. Ihr zierlicher Beschlag, die Einrichtung der soliden Radnabe als Stützpunkt des ganzen Systems, die sich durchkreuzenden Streben, welche dazu bestimmt waren, den Abstand der dreifachen Felge zu erhalten, diese Krone rother Strahlen, dieser halb im Schatten der großen Radkasten verlorene Mechanismus – das ganze Ensemble wirkte auf den Geist mächtig ein und rief den Gedanken wach, als arbeite hier eine wilde, geheimnißvolle Macht.

Mit welcher Energie mußten Schaufeln, die in dieser Weise solide mit Bolzen befestigt waren, das Wasser peitschen, das in diesem Augenblick noch seine Wogen an ihnen brach! Welch' ein Brodeln und Sieden mußte entstehen, wenn diese mächtige Maschine Schlag auf Schlag den flüssigen Wasserteppich durchfurchte! Was für ein Donner würde in der Höhle der Radkasten erdröhnen, wenn der Great-Eastern sich mit voller Dampfkraft unter den Drehungen dieser Räder vorwärts bewegte, die 53 Fuß im Durchmesser und [8] 166 Fuß im Umfange maßen, neunzig Tonnen 1 wogen und sich in der Minute elf Mal drehten.


Man baute, takelte, malte. (S. 10.)

Das Lichterschiff hatte seine Passagiere ausgesetzt, und auch ich betrat jetzt die eisernen, gerieften Stufen, um nach wenigen Minuten die Erhöhung am Hinterdeck des Dampfschiffes zu überschreiten.

Fußnoten

1 1 Tonne = 2000 Pfund, also 1800 Centner.

2. Capitel

Zweites Capitel.
Vorbereitungen zur Abfahrt.

Das Verdeck konnte man gegenwärtig einer ungeheuren Werft vergleichen, auf der ein ganzes Heer von Arbeitern beschäftigt war; nichts erinnerte daran, daß man sich an Bord eines Schiffes befand. Mehrere tausend Mann, darunter Handwerker, Schiffsmannschaft, Maschinenbauer, Officiere, Arbeiter und Neugierige gingen so dicht an einander vorüber, daß sie sich mit den Ellenbogen berühren konnten. Die Einen machten sich auf dem Verdeck, die Anderen an den Maschinen zu thun; diese liefen an den Deckzimmern entlang, jene saßen hie und da im Mastwerk verstreut, Alle in einem unbeschreiblichen, wirren Durcheinander. Hier hoben Dampskrähne große Stücke Gußeisen empor, dort wurden schwere Eisenbohlen mittelst großer Winden in die Höhe gezogen; über dem Maschinenraum schwebte ein eiserner Cylinder wie ein riesiger Stamm von Metall. Vorn stiegen die Segelstangen ächzend längs der Marsmasten empor, hinten erhob sich ein Gerüst, das zweifellos ein in der Errichtung begriffenes Gebäude verbarg. Man baute, takelte, malte, richtete und zimmerte inmitten einer unbeschreiblichen Verwirrung.

Mein Gepäck war mit an Bord geschafft worden, und ich fragte jetzt nach Kapitän Anderson. Der Commandant war indessen noch nicht angekommen; einer der Stewards übernahm es, für meine häusliche Einrichtung zu sorgen, und ließ meine Effecten nach einer der hinteren Cajüten bringen.

»Guter Freund, redete ich ihn an, die Abreise des Great-Eastern war auf den 20. März festgesetzt, aber selbstverständlich können all diese Vorbereitungen nicht in vierundzwanzig Stunden beendet sein. Wissen Sie mir vielleicht zu sagen, wann wir Liverpool verlassen werden?«

Ueber diesen Punkt wußte mir jedoch der Steward keine Auskunft zu geben, und so verließ er mich. Ich beschloß nun, alle Löcher dieses kolossalen Ameisenhaufens zu durchstöbern, und begann meinen Spaziergang, wie ein Tourist die Rundreise in einer ihm noch unbekannten Stadt antritt. Ueberall auf dem Verdeck sah man den eigenthümlichen schwarzen Schmutz, den man in allen britischen Städten findet; übelriechende Bäche schlängelten sich hier und da entlang, und man hätte fast glauben können, daß man sich auf einer [10] der schlechtesten Passagen in der Upper-Thames-Street an den Zugängen der Londoner Brücke befände. – Ich ging weiter und streifte an den Deckzimmern hin, die sich auf dem Hintertheil des Schiffes erstreckten. Zwischen ihnen und den Schanzverkleidungen zeigten sich auf beiden Seiten zwei breite Promenadenwege, auf denen eine zahlreiche Menschenmenge hin- und herging. Endlich gelangte ich zum Mittelpunkt des Fahrzeuges und zu den durch ein System von schmalen Brücken vereinigten Radkasten.

Hier öffnete sich der Schlund, welcher die Organe der Rädermaschine umschloß, und das bewunderungswürdige Locomotionswerk lag vor meinen staunenden Blicken. Einige fünfzig Handwerker waren über die Oeffnungen des gußeisernen Rahmengestelles vertheilt; diese klammerten sich an die langen, unter verschiedenen Winkeln geneigten Zugstangen, jene hingen an den Pleuelstangen, andere richteten die Excenter, und wieder andere zogen mit ungeheuren Schlüsseln die Muttern der Zapfen an. Der Stamm von Metall, welcher langsam durch die Verdeckluke nach unten ging, war eine neue liegende Welle, die dazu bestimmt war, den Rädern die Bewegung der Kurbelwelle mitzutheilen. Aus diesem Abgrunde drang ein scharfes, disharmonisches Geräusch empor.

Nachdem ich auf diese Regulirungsarbeiten einen schnellen Blick geworfen hatte, nahm ich meinen Spaziergang wieder auf und gelangte bald auf das Vordertheil des Schiffes. Hier waren Tapezierer damit beschäftigt, ein ziemlich großes, mit dem Namen »Smoking-room« bezeichnetes Deckzimmer zu decoriren; es sollte dies die eigentliche Tabagie dieser schwimmenden Stadt werden, ein prächtiges, durch vierzehn Fenster erhelltes Kaffee, mit einem in Weiß und Gold prangenden Plafond und citronenfarbenen Feldern getäfelt. Nachdem ich sodann einen kleinen dreieckigen Platz überschritten hatte, der den anderen Theil des Verdecks bildete, erreichte ich den Vordersteven, der sich nach der Oberfläche des Wassers neigte.

Von diesem äußersten Punkte des Verdecks aus sah ich, als ich mich umwandte, durch einen nebelfreien Strich der Atmosphäre das Hintertheil des Great-Eastern in einer Entfernung von über zwei Hektometern liegen. Das kolossale Bauwerk verdient wohl, daß man, ihm zu Ehren und um seine Dimensionen abzuschätzen, derartige Maaße anwendet.

Ich machte mich nun auf den Rückweg, indem ich dem Steuerbordgeländer folgte, zwischen den Sälen und den Schanzbekleidungen hinging und [11] achtsam hier einen Flaschenzug, der in der Luft schwebte, dort den Peitschen hieb eines Arbeiters vermied, jetzt den Stößen eines Krahns auswich und mich dann wieder den Funken entzog, die wie ein feuriger Sprühregen von einer Schmiede entsendet wurden. Kaum konnte ich den Gipfel des zweihundert Fuß hohen Mastes aus all dem Nebel und dem dunkeln Rauch herauserkennen, mit welchem die dienstthuenden Dampfer die Luft verdichteten Nachdem ich an dem großen Shine-Light (Oberlicht, nach dem Verdeck zu) der Rädermaschine vorbeigegangen war, bemerkte ich zu meiner Linken ein kleines Hotel, dann die lange Seitenfaçade eines Palastes mit einer vorspringenden Terrasse, deren Geländer soeben polirt wurden. Endlich erreichte ich das Hintertheil des Dampfschiffes und kam an dem von mir bereits erwähnten Gerüst an. Dort waren Maschinenbauer damit beschäftigt, zwischen dem letzten Deckzimmer und dem mächtigen Gräting, über welchem sich die vier Räder des Steuerruders erhoben, eine Dampfmaschine einzurichten. Dieselbe bestand aus zwei horizontalen Cylindern und bildete ein System von Triebrädern, Balanciers und Druckfedern, das mir außerordentlich complicirt vorkam. Ich begriff zunächst nicht, wozu die Maschinerie bestimmt war, aber auch hier schien es mir, als seien die Vorbereitungen noch sehr fern von ihrer Vollendung.

»Warum, fragte ich mich, all diese Verzögerungen? Warum all diese neuen Einrichtungen an Bord des Great-Eastern, eines verhältnißmäßig noch neuen Schiffes?« Als Antwort auf diese Frage sei es uns gestattet, hier einige Worte einzuschalten.

Nach etwa zwanzig Fahrten zwischen England und Amerika, deren eine sich durch schwere Unfälle auszeichnete, hatte man die Verwendung des Great-Eastern vorläufig aufgegeben. Das kolossale Transportschiff war somit außer Curs gesetzt und fand sich von den Seereisenden verschmäht und zur Ruhe verdammt. Als dann die Versuche, das transatlantische Kabel zu legen, gescheitert waren, ein Mißerfolg, der großentheils an der Unzulänglichkeit der dazu benutzten Schiffe lag, dachten die Ingenieure zuerst wieder an den Great-Eastern. Er allein hatte die erforderlichen Dimensionen, um die 3400 Kilometer Metalldraht im Gewicht von 4500 Tonnen zu lagern, und nur er konnte, Dank seiner Indifferenz gegen die Gefahren des Meeres, diesen enormen Greling abrollen und versenken. Um das Kabel im Schiffsraume zu stauen, bedurfte man jedoch besonderer Vorrichtungen, und so ließ [12] man zwei der vorhandenen sechs Dampfkessel und einen der drei Schornsteine springen. An ihrer Stelle entstanden ungeheure Recipienten, um das Kabel aufzunehmen, welches seinerseits durch eine Wasserfläche vor den Luftveränderungen geschützt wurde Der Draht konnte auf diese Weise in's Meer gehen, ohne der Berührung atmosphärischer Luft ausgesetzt zu sein.

Der Plan gelang, und die Legung des Kabels ging mit Erfolg von Statten; nach diesem Resultat jedoch schien man die Thätigkeit des Great-Eastern abermals als beendet anzusehen, und er wurde von Neuem in seine kostspielige Dienstunthätigkeit versetzt. Sodann zog die Weltausstellung von 1867 am Horizont der epochemachenden Ereignisse herauf, und es bildete sich eine Gesellschaft mit beschränkter Verantwortlichkeit, »Société des Affréteurs du Great-Eastern« 1 genannt, die mit einem Capital von zwei Millionen Franken das Riesenschiff zum Transport der überseeischen Besucher verwenden wollte. Aus diesem Grunde wurde es nothwendig, den Dampfer großen Veränderungen zu unterwerfen, die Recipienten auszufüllen, die Kessel wieder herzustellen, die Salons, die mehreren Tausend Personen zur Wohnung dienen sollten, zu vergrößern, und die Deckzimmer, welche zu Dependancen des Speisesaales bestimmt waren, zu bauen; außerdem mußten mit möglichstem Comfort 3000 Betten placirt werden, und hierzu sollten die Seitentheile des riesenmäßigen Schiffsrumpfes dienen.

Der Great-Eastern wurde zum Preise von 25,000 Franken pro Monat gemiethet, und in Folge dessen zwei Contracte mit G. Forrester u. Comp. in Liverpool abgeschlossen. Der erste auf den Betrag von 538,750 Franken lautend zur Einrichtung neuer Kessel für die Schraube; der zweite auf die Summe von 662,500 Franken für allgemeine Reparaturen und sonstige Einrichtungen auf dem Schiffe.

Der Board of Trade verlangte, daß, ehe diese letzteren Arbeiten unternommen würden, das Schiff auf den Helgen gebracht würde, damit sein Rumpf genau untersucht werden könnte. Nachdem diese sehr theure Operation vorgenommen war, wurde ein langer Riß des äußeren Bordes mit großen Kosten sehr sorgfältig reparirt, und dann schritt man zur Einfügung der neuen Kessel; auch mußten die Triebradwellen, welche sich während der letzten Reise verbogen hatten, gerichtet werden. Diese Welle, in der Mitte doppelt[13] gekröpft, um die Lenkstangen der Pumpen aufzunehmen, wurde durch eine mit zwei Excentern versehene Achse ersetzt, wodurch die Solidität dieses wichtigen Theiles, auf welchem die ganze Kraft ruht, als gesichert anzusehen war. Endlich sollte, und zwar zum ersten Mal, das Steuer durch den Dampf bewegt werden.

Diese heikle Aufgabe hatte die vorher erwähnte Maschine zu lösen, welche die Maschinenbauer am hinteren Ende des Schiffes einrichteten. Der Untersteuermann, auf dem Steg des Centrums zwischen den Signalapparaten für die Maschinen der Räder und der Schraube stehend, hatte vor seinem Auge einen mit beweglicher Nadel versehenen Quadranten, der ihm in jedem Augenblicke die Stellung des Ruderbaumes angab. Um ihn zu modificiren, brauchte er nur ein kleines Rad von kaum einem Fuß im Durchmesser, das im Bereich seiner Hand vertical aufgerichtet war, zu bewegen. Sofort öffneten sich Ventile; der Dampf schoß aus den Kesseln durch lange Leitröhren in die beiden Cylinder der kleinen Maschine, die Kolben bewegten sich mit großer Schnelligkeit, die Uebertragungen spielten, und das Steuer gehorchte augenblicklich den unwiderstehlich fortgezogenen Steuerreepen. Bewährte sich dieses System, so konnte man mit dem Druck eines Fingers die kolossale Masse des Great-Eastern regieren.

Fünf Tage lang wurden die Arbeiten mit rastloser Thätigkeit fortgesetzt, und obgleich diese Verzögerung den Unternehmern keinen geringen Schaden brachte, konnten diese doch nichts thun, um die Instandsetzung des Great-Eastern noch mehr zu beeilen. Die Abreise wurde auf den 26. März festgesetzt, und am 25. März war das Verdeck des Schiffes noch von dem gesammten Herstellungsgeräth eingenommen.

Endlich wurden während dieses letzten Tages die Laufbretter, die Stege, die verschiedenen Deckzimmer allmälig freier; die Krähne verschwanden, die Aufstellung der Maschinen wurde als beendet erklärt; die letzten Bolzen saßen fest, und alle Schrauben thaten ihre Schuldigkeit. Die glatten Stücke waren mit einem Anstrich von Bleiweiß und Talg bedeckt, der sie unterwegs vor dem Oxydiren durch das Seewasser schützen sollte; die Oelbehälter hatten ihre Füllung erhalten; die letzte Platte ruhte auf ihrem metallenen Lager, und endlich machte sich der Oberingenieur an die Probe mit der Maschine. Eine ungeheure Dampfmenge fluthete in den Maschinenraum und hüllte mich, der ich über das Shine-Light gebeugt stand, so vollständig ein, daß ich Nichts [14] ringsumher mit mei nen Augen erkennen konnte; aber ich hörte die langen Kolbenstangen durch ihre Stopfbüchsen hindurchächzen und die dicken Cylinder geräuschvoll auf ihren soliden Zapfen osciliiren. Ein lebhaftes Plätschern entstand unter den Radkasten, als die Schaufeln langsam das dunkle Wasser der Mersey schlugen; am hinteren Ende des Schiffes peitschte die Schraube mit ihrem vierfachen Flügel die Fluth und beide Maschinen, gänzlich von einander unabhängig, waren bereit, ihre Function zu beginnen.

Gegen fünf Uhr Abends legte eine Dampfschaluppe an, die gleichfalls für den Dienst des Great-Eastern bestimmt war. Ihre Dampfmaschine wurde gelöst und vermittelst der Gangspillen auf das Verdeck gehißt; die Aufnahme der Schaluppe selbst aber bot unübersteigliche Hindernisse dar. Ihr Eisenrumpf hatte ein so enormes Gewicht, daß die Stangen, auf welche man die Taljen geschlagen hatte, sich unter der Last bogen, was indessen jedenfalls zu vermeiden gewesen wäre, wenn man sie mit Schwingseilen unterstützt hätte. Genug, man mußte es aufgeben, die Schaluppe mitzuführen, doch blieben dem Great-Eastern noch sechzehn Boote, die bequem vermittelst Krahnes aufgehißt waren.

An diesem Abend wurden so ziemlich alle Vorkehrungen beendet; die Promenadenwege glänzten in Sauberkeit und Schöne, als das Heer der Straßenfeger darüber hingegangen war; und in den Kombusen, dem Schiffsraume und den Kammern lagerten Waaren und Lebensmittel. Noch war jedoch der Dampfer nicht bis zu seiner Wasserlinie eingesunken, denn er ging bis jetzt nicht die ihm bestimmten neun Meter tief. Es stellte sich hierdurch ein großer Uebelstand für seine Räder heraus, deren ungenügend eingesenkte Schaufeln natürlich nur eine geringere Geschwindigkeit äußern konnten. Trotzdem war unter diesen Bedingungen ein Aufbruch möglich, und ich durfte mich mit der Hoffnung niederlegen, daß wir andern Tages in See gehen würden. Am folgenden Morgen, bei Sonnenaufgang, sah ich die amerikanische Flagge an dem Fockmast, die französische am Hauptmast, und die englische Flagge an der Besanstange wehen.

[15]

Fußnoten

1 Gesellschaft der Rheder des Great-Eastern.

3. Capitel

Drittes Capitel.
Die Bewohner der schwimmenden Stadt. – Hauptmann Mac Elwin.

Der Great-Eastern schickte sich zur Abfahrt an; der Rauch begann spiralförmig seinen fünf Schornsteinen zu entströmen, ein heißer Brodem durchzog die tiefen Räume, welche unmittelbar zu den Maschinen führten; einige Matrosen putzten an den vier mächtigen Kanonen, mit denen wir Liverpool im Vorbeifahren salutiren sollten, und die Matrosen gingen auf den Raaen einher und machten Tauwerk frei. Man zog die Wanten straff auf ihren dichten, an das Innere der Verschanzungen angehakten Jungfern, und gegen elf Uhr schlugen endlich die Tapezierer den letzten Nagel ein, und die Maler waren mit dem Anstrich fertig. Dann begaben sich die Handwerker auf das Lichterschiff, um auf ihm wieder zur Stadt zurückzukehren.

Sobald genügender Druck vorhanden, wurde der Dampf in die Cylinder der das Steuerruder bewegenden Maschine gelassen, und die Maschinenbauer constatirten, daß der sinnreiche Apparat regelmäßig arbeite.

Das Wetter war ziemlich gut; die Sonne brach hie und da in mächtigen Streiflichtern durch die Wolken. Auf dem Meere mußte heute eine kräftige Brise wehen; ein Umstand, der den Great-Eastern glücklicherweise nur wenig zu kümmern brauchte.

Alle Officiere waren an Bord und auf die verschiedenen Punkte des Schiffes vertheilt, um das Lichten der Anker vorzubereiten. Das Officiercorps bestand aus einem Kapitän, dem Obersteuermann, zwei Untersteuermännern, aus fünf Lieutenants, von denen einer, M. H ..., ein Franzose war, und einem Freiwilligen, gleichfalls Franzosen.

Kapitän Anderson genießt als Seemann im englischen Handelsverkehr einen großen Ruf; ihm hat man auch die Legung des transatlantischen Kabels zu danken, wenn man hiebei auch in Erwägung ziehen muß, daß er unter bei Weitem günstigeren Verhältnissen, als seine Vorgänger, das Unternehmen antrat, da ihm der Great-Eastern zur Verfügung stand. Wie dem jedoch sein möge, sein Erfolg in dieser Operation hat ihm den Titel »Sir« eingebracht, der ihm nach seiner Rückkehr von Ihrer Majestät der Königin verliehen wurde.

[16] Ich fand in Kapitän Anderson einen sehr liebenswürdigen Befehlshaber. Es war ein Mann von etwa fünfzig Jahren mit einem Haarwuchs von fahlblonder Farbe, die den Vorzug hat, ihre Nüance bis in's hohe Alter nicht zu verändern; seine Gestalt war hoch und kräftig, sein Gesicht breit, ruhig und lächelnd von durchaus englischem Schnitt; er pflegte ruhig und gleichmäßig, mit blinzelndem Auge einherzuschreiten und mit sanft gedämpfter Stimme seine Befehle zu ertheilen. Immer elegant in einen mit dreifachen, [17] goldenen Treffen besetzten Ueberrock gekleidet, machte er sich nie des Vergehens schuldig, mit den übrigens jederzeit sein behandschuhten Händen in den Taschen umherzuschlendern.


Vom Lichterschiff auf den Great Eastern. (S. 19.)

Als besonderes Kennzeichen mag noch erwähnt werden, daß stets ein Zipfelchen seines weißen Taschentuches aus dem blauen Rocke hervorlugte.

Zu Kapitän Anderson bildete der Obersteuermann einen eigenthümlichen Contrast. Man denke sich ein kleines, lebhaftes Männchen mit auffallend gebräunter Hautfarbe, etwas gerötheteten Augen, schwarzem Vollbart und bedenklich einwärts gekrümmten Beinen, die allen Ueberraschungen des Rollens Trotz boten. Ein thätiger, in allen Einzelheiten wohl bewanderter Seemann, gab er rasch mit abgebrochener Stimme seine Befehle, die der Bootsmann dann mit dem heiseren Löwengebrüll wiederholte, das der englischen Marine erb- und eigenthümlich ist. Ich hielt diesen Obersteuermann Namens W ..... für einen Marine-Officier, der sich besonderer Erlaubniß zufolge an Bord des Great-Eastern befand, er war durch und durch, was man »einen alten Seebären« nennt, und stammte jedenfalls aus der Schule jenes heldenmüthigen französischen Admirals, der seinen Leuten beim Kampfe zurief: »Jungens, aufgepaßt! Ihr wißt, daß ich mein Schiff in die Luft zu sprengen pflege!«

Von diesem Officiercorps abgesehen, standen die Maschinen unter dem Commando des Oberingenieurs, der von acht bis zehn Maschineningenieuren unterstützt wurde. Unter seinem Befehle manoeuvrirte ein Bataillon von zweihundertundfünfzig Mann, unter ihnen Assistenten, Oberheizer, Heizer und Kohlenzieher, welche die Tiefen und Abgründe des Schiffes fast nie verließen.

Dieses Bataillon hatte die Aufgabe, die Feuer der zehn Kessel – ein jeder hatte zehn Feuerungen – also im Ganzen hundert Feuer zu beaufsichtigen und zu unterhalten.

Die eigentliche sogenannte Bemannung des Schiffes, wie Proviantmeister, Zahlmeister, Untersteuermänner, Bootsmänner, Matrosen, Schiffsjungen u.s.w, umfaßte etwa hundert Mann, natürlich exclusive der zweihundert Stewards, die zur Bedienung der Passagiere engagirt waren.

Jeder befand sich jetzt auf seinem Posten; der Lootse, welcher den Great-Eastern aus dem Fahrwasser der Mersey herausbringen sollte, war bereits seit dem vorigen Abende an Bord. Außer ihm bemerkte ich noch einen französischen Lootsen von der Insel Molène bei Quessant, der mit [18] uns von Liverpool nach New-York fahren und bei der Rückkehr das Dampfschiff in die Rhede von Brest einlootsen sollte.

»Ich beginne nach und nach daran zu glauben, daß wir heute noch abfahren werden, bemerkte ich gegen den Lieutenant H ...

– Wir warten nur noch auf unsere Passagiere, antwortete dieser.

– Ist ihre Zahl bedeutend?

– Zwölf bis dreizehnhundert, immerhin die Bevölkerung eines großen Marktfleckens.«

Um halb zwölf Uhr signalisirte man das Lichterschiff, welches, über und über mit Passagieren beladen, herankam. In den Cajüten eingepfercht, auf den Stegen lehnend, auf Bergen von Collis thronend, auf dem Radkasten ausgestreckt, kamen sie näher und boten unseren Blicken ein buntes Bild wirren Durcheinanders. Es befanden sich, wie ich später erfuhr, unter ihnen Californier, Canadier, Yankees, Peruaner, Südamerikaner, Engländer, Deutsche und zwei oder drei Franzosen. Unter ihnen zeichneten sich aus der berühmte Cyrus Field aus New-York, der sehr ehrenwerthe John Rose aus Canada, der sehr ehrenwerthe Mac Alpine aus New-York, Herr und Frau Alfred Cohen aus San Francisco, Herr und Frau Whitney aus Mont-Réal und der Kapitän Mac Ph ... nebst Gemahlin. Unter den Franzosen befand sich der Gründer derSociété des Affréteurs du Great-Eastern, Herr Jules D. als Vertreter der Telegraph construction and maintenance Company, die zu dem Geschäft eine Beisteuer von 20,000 Pfund geliefert hatte.

Das Lichterschiff legte am Fuß der Steuerbordtreppe an, und nun begann der Act des Umsteigens von dem Lichterschiff auf den Great-Eastern, der sich jedoch so ruhig und ohne alle Hast vollzog, wie dies der Fall ist bei Leuten, die einen kleinen Umzug in ihrem eigenen Hause vornehmen. Franzosen hätten unter diesen Umständen jedenfalls geglaubt, sie müßten die Treppe wie im Sturm nehmen und sich hiebei wie richtige Zuaven geberden.

Sobald ein Passagier den Fuß auf Deck des Great-Eastern gesetzt hatte, war seine erste Sorge, in die Speisesäle hinabzusteigen und hier einen Platz zu belegen, indem er ihn mit seiner Karte oder sonst einem Stückchen Papier mit darauf gekritzeltem Namen bezeichnete. Da gerade jetzt ein Gabelfrühstück aufgetragen wurde, hatten sich in wenigen Augenblicken die Reisenden um die Tische niedergelassen und lieferten den Beweis, daß die Angelsachsen es [19] aus dem Grunde verstehen, die Langeweile einer Seefahrt mit guter Klinge zu bekämpfen.

Was mich betrifft, so war ich auf dem Verdeck geblieben, um allen Einzelheiten der Aus- und Einschiffung folgen zu können. Um halb ein Uhr war das Gepäck endlich an Bord geschafft, und Tausende von Collis aller denkbaren Größen und Formen lagen rings umher aufgethürmt. Hier Kisten von der Größe eines Eisenbahnwaggons, die vollständige Meublements enthalten konnten, dort kleine zierliche Reisepäckchen, Säcke mit den wunderlichsten Zipfeln und Ecken, und dann wieder die so leicht an ihrer luxuriösen Sattlerarbeit kenntlichen Koffer und Köfferchen mit blanken Schnallen, glänzenden Kupferplatten und soliden Leinwandbezügen, von denen sich zwei oder drei große Initialen von weißem Metall abhoben. Bald war dieses ganze Chaos in den Magazinen, oder vielmehr in den Ausladestellen des Zwischendecks geordnet und untergebracht, und die Arbeiter und Träger stiegen wieder auf den Dampfer zurück, der unterdessen mit seinem schmutzigen Rauch die Beschläge und Schilder des Great-Eastern geschwärzt hatte.

Ich wandte mich, um jetzt nach dem Vordertheil zurückzukehren, stand aber gleich darauf überrascht still, denn ich sah plötzlich denselben jungen Mann vor mir, der mir bereits auf dem Kai von New-Prince aufgefallen war.

»Fabian! Du hier? rief ich überrascht.

– Ich bin's, mein lieber Freund.

– So habe ich mich also nicht getäuscht, ich glaubte, Dich vor einigen Tagen bei der Abfahrt am Ufer zu erkennen.

– Wohl möglich, antwortete er, ich habe Dich nicht bemerkt.

– Und Du willst nach Amerika?

– Gewiß! kann man einen mehrmonatlichen Urlaub besser benutzen, als sich die Welt anzusehen?

– Welch' glücklicher Zufall, daß auch Du den Great-Eastern zu Deiner Reise gewählt hast!

– Es ist dies kein Zufall, Kamerad; ich hatte aus der Zeitung ersehen, daß Du Dich auf dem Great- Eastern einschiffen würdest, und da wir seit mehreren Jahren nicht zusammengekommen sind, habe ich mich gleichfalls an Bord begeben, um die Reise in Deiner Gesellschaft zu machen.

– Du kommst direct von Indien?

[20] – Mit dem Godavery, der mich vorgestern nach Liverpool gebracht hat.

– Und Du reisest, Fabian? ..... fragte ich von Neuem, den schwermüthigen Ausdruck seines bleichen, traurigen Gesichts bemerkend.

– Um mich zu zerstreuen, wenn dies überhaupt möglich ist,« antwortete der Hauptmann Fabian Mac Elwin, und reichte mir mit trübem Blick die Hand.

4. Capitel

Viertes Capitel.
Ankersichten. – Böses Omen.

Fabian hatte mich verlassen, um das Unterbringen seiner Sachen und seine häusliche Einrichtung auf Cajüte 73, deren Nummer auf seinem Billet eingetragen war, zu überwachen. In diesem Augenblick wirbelten dicke Rauchsäulen aus den großen Schornsteinen des Schiffes, und man hörte die Kessel bis in die Tiefen des Schiffes erzittern. Der betäubende Dampf verbreitete sich durch die Dampfauslaßrohre und fiel in seinem Regen auf das Verdeck nieder. Einige geräuschvolle Gegenströmungen verkündeten, daß die Maschinen geprobt wurden. Der Ingenieur hatte richtigen Dampfdruck, und man konnte abfahren.

Zunächst mußten die Anker gelichtet werden. Die Fluth war noch im Steigen, und der Great-Eastern bot ihr, als er unter ihrem Stoßen gewendet hatte, das Vordertheil; er war jetzt bereit, den Fluß abwärts zu fahren.

Der Kapitän hatte diesen Augenblick wählen müssen, um sich segelfertig zu machen, denn die Länge des Great-Eastern gestattete ihm nicht, in der Mersey Evolutionen zu machen. Wenn er nicht von der Ebbe fortgezogen wurde, sondern der raschen Fluth entgegenfuhr, war er seines Schiffes mehr Herr und konnte mit größerer Sicherheit zwischen den zahlreichen Schiffen, die den Fluß durchfurchten, hinweg manoeuvriren. Der geringste Zusammenstoß mit diesem Koloß wäre unheilvoll gewesen.

Es erforderte beträchtliche Anstrengungen, unter diesen Umständen die Anker zu lichten. In der That spannte das Dampfschiff, von der Strömung getrieben, die Ketten, auf denen es festsaß, an. Außerdem wurde die ungeheure [21] Masse von einem heftigen Südwestwind erfaßt, der seine Kraft mit der Fluth verband. Man mußte demzufolge mächtige Maschinen anwenden, um die gewichtigen Anker aus ihrem schlammigen Grunde emporzureißen. Das »Anchor-boat«, ein zu dieser Operation bestimmtes Boot, hatte sich auf den Ketten gestoppt; aber seine Gangspillen genügten nicht, und man mußte sich der mechanischen Apparate bedienen, die dem Great-Eastern zur Verfügung standen.

Auf dem Vordertheil war eine Maschine von siebenzig Pferdekraft zum Aufhissen der Anker aufgestellt. Man brauchte nur den Dampf aus den Kesseln in ihre Cylinder zu lassen, um sofort eine bedeutende Kraft zu erhalten, die direct auf das Gangspill übertragen werden konnte, um die Ketten aufzuwinden. Dies geschah; aber so mächtig die Maschine auch arbeitete, sie bewies sich als unzureichend; man mußte ihr auf irgend eine Weise zu Hilfe kommen. Kapitän Anderson ließ die Spillspaken anlegen, und etwa fünfzig Leute von der Mannschaft wurden am Gangspill angestellt.

Das Dampfschiff fing an, auf seine Anker zu treiben, aber die Arbeit ging langsam von Statten. Die Laufknoten klirrten nicht ohne Mühe in den Klüsgaten des Vorderstevens, und meiner Meinung nach hätte man die Ketten, um sie leichter anzuholen, durch einige Radumdrehungen erleichtern können.

Ich stand in diesem Augenblicke mit einigen anderen Passagieren auf dem Deckzimmer des Vordertheils. Wir beobachteten alle Einzelheiten des Vorganges und die Fortschritte des Ankerlichtens. Ein Reisender, der dicht neben mir stand, zuckte, wahrscheinlich ungeduldig über die Verzögerung, häufig mit den Achseln und ließ Spöttereien über die Machtlosigkeit der Maschine hören. Es war ein kleiner, magerer, nervöser Mann mit fieberhaft hastigen Bewegungen, dessen Augen man unter ihren gesenkten Lidern kaum gewahrte. Ein Physiognomiker hätte von vornherein erkannt, daß die Vorkommnisse dieses Lebens solchem Philosophen aus der Schule Demokrit's nur von ihrer scherzhaften Seite erscheinen mußten, denn die für die Action des Lachens nothwendigen Jochbeinmuskeln konnten bei ihm keine Ruhe halten. Im Uebrigen war er, wie ich mich später überzeugte, ein liebenswürdiger Reisegefährte.

»Mein Herr, redete er mich an, bis jetzt bin ich der Meinung gewesen, daß die Maschinen den Menschen helfen sollten, und nicht die Menschen den Maschinen!«

[22] Gerade als ich auf diese sehr richtige Beobachtung etwas erwidern wollte, ertönte ein lautes Geschrei; der Kleine wie auch ich stürzten auf's Verdeck und erblickten hier die sämmtlichen, an den Spillspaken aufgestellten Männer auf dem Boden hingestreckt. Nach und nach erhoben sich einige von ihnen, andere jedoch blieben unbeweglich liegen. Ein Rädchen der Maschine war zerbrochen, und so hatte sich das Gangspill unter dem vehementen Zuge der Ketten unaufhaltsam rückwärts gedreht. Die Menschen, welche von hinten erfaßt worden waren, hatten außerordentlich heftige Schläge und Stöße an Kopf und Brust bekommen. Die von ihren gerissenen Seilen befreiten Spillspaken ließen ein förmliches Kartätschenfeuer um sich her los; vier Matrosen wurden sofort getödtet, und zwölf andere, unter denen ein Schotte, der Bootsmann, schwer verletzt.

Die Verwundeten wurden sofort in die nach hinten zu gelegene Krankenstube gebracht, während die vier Todten ausgeschifft wurden. Uebrigens herrscht bei den Angelsachsen eine solche Gleichgiltigkeit gegen das Leben der Leute, daß dies Ereigniß keinen besonders tiefen Eindruck an Bord hervorrief. Die Unglücklichen, ob getödtet oder verwundet, waren nur Zähne eines Räderwerks, die mit geringen Kosten ersetzt werden konnten. Man gab dem bereits eine tüchtige Strecke entfernten Lichterschiff ein Zeichen zurückzukehren, und wenige Minuten später legte es von Neuem am Great-Eastern an.

Ich begab mich nach dem Fallreep (am Hinterdeck), wo die Treppe noch nicht wieder eingezogen war; die vier in Decken gehüllten Leichen wurden hier hinuntergeschafft und auf dem Verdeck des Lichterschiffs niedergelegt. Einer der Aerzte, die mit an Bord waren, begleitete die Todten bis Liverpool, nachdem ihm noch anempfohlen war, sobald wie irgend thunlich zum Great-Eastern zurückzukehren. Dann entfernte sich das Lichterschiff und die Matrosen machten sich daran, die Blutlachen fortzuwaschen, die den Fußboden des Verdecks befleckten.

Noch muß ich bemerken, daß ein Passagier, der bei dem Unglücksfall durch einen Spillspakensplitter leicht verletzt worden war, die Gelegenheit benutzte, mit dem Lichterschiff nach Liverpool zurückzukehren; er hatte schon jetzt genug von der Fahrt mit dem Great-Eastern.

Als ich dem kleinen Boot, das sich mit voller Dampfkraft entfernte, nachsah, hörte ich in spöttischem Ton hinter mir die Worte sagen:

»Die Reise fängt gut an! wie soll das enden?«


Das Gangspill hatte sich rückwärts gedreht. (S. 23.)

Als ich mich umwandte, stand der Reisende mit dem ironischen Gesichte vor mir; er hatte die Bemerkung jedenfalls an mich gerichtet.

»Es war allerdings ein böser Unfall, antwortete ich; mit wem habe ich die Ehre?

– Ich bin der Doctor Dean Pitferge.«


[23][25]
Queenstown in Sicht. (S. 29.)

5. Capitel

Fünftes Capitel.
Die Mersey hinaus und durch den St. Georgs-Canal.

Die Arbeit war wieder aufgenommen. Mit Hilfe des Anchor-boats gelang es jetzt, die Ketten in die Höhe zu winden und als die Thurmuhr in Birkenhead ein Viertel auf zwei Uhr schlug, rissen sich endlich die Anker aus dem zähen Boden los. Die Abfahrt konnte nicht länger verschoben werden, [25] wenn man die Fluth dazu benutzen wollte; Kapitän und Lootse stiegen auf die Brücke, ein Lieutenant nahm bei dem Signalapparat der Schraube Stellung, ein anderer neben dem Signalapparat der Radschaufeln. Der Unter steuermann hielt sich zwischen ihnen bei dem kleinen, zur Bewegung des Steuerruders bestimmten Rade. Aus Vorsicht wachten vier andere Steuerleute auf dem Hinterdeck, um für den Fall, daß die Dampfmaschine ihre Schuldigkeit nicht thun sollte, die großen Räder über dem Gräting zu lenken. Der Great-Eastern, der jetzt dem Strom die Spitze bot, war ganz klar gemacht und hatte nur noch der Fluth entgegenzufahren, um auf die hohe See zu gelangen.

Der Befehl zur Abfahrt wurde gegeben, die Radschaufeln schlugen langsam auf das Wasser, die Schraube brachte dasselbe am Hintertheil in wallende Bewegung, und das ungeheure Schiff fing an, sich vorwärts zu bewegen.

Die meisten Passagiere, welche auf die Hütte des Vorderdecks gestiegen waren, schauten nach den auf beiden Ufern liegenden Städten Liverpool und Birkenhead; überall, wohin der Blick reichte, begegneten Fabrikschornsteine dem Auge. Die Mersey, auf der eine große Menge Schiffe theils vor Anker lagen theils stromauf- oder abwärts fuhren, bot unserem Dampfer nur gewundene Durchfahrten; aber unter der Hand unseres Lootsen und genau den geringsten Andeutungen seines Steuers nachgebend, glitt er geschickt auf den engen Pfaden dahin, wie das lange, schmale Boot eines Wallfischfahrers unter der Leitung eines kräftigen Steuermannes. In einem Augenblick glaubte ich, daß wir mit einem Dreimaster zusammenstoßen würden, der dwars gegen den Strom hielt, und dessen Luvbaum dicht an dem Rumpfe des Great-Eastern hinstreifte; aber der Anprall wurde vermieden, und als ich mir dies Schiff, das nicht weniger als sieben- bis achthundert Tonnen Last trug, von den Deckzimmern herab ansah, erschien es mir gegen den Great-Eastern als ein unbedeutender kleiner Kahn, wie ihn die Kinder auf den Bassins in Green-Park oder am Serpentine-River auszusetzen pflegen.

Bald befand sich unser Koloß den Einschiffungsrampen von Liverpool gegenüber; die vier Kanonen, welche die Stadt salutiren sollten, schwiegen aus Achtung für die Todten, die das Lichterschiff eben jetzt an's Land setzte aber ein lautschallendes Hurrah ersetzte den Donner, der an Bord als Ausdruck nationaler Höflichkeit gilt. Zugleich vollführte man ein so heftiges Hände- [26] klatschen, so lebhaftes Winken mit Armen und Taschentüchern, wie dies eben nur bei Engländern gebräuchlich ist, wenn sie sich zu Schiffe verabschieden, gleichviel ob ihr Fahrzeug ein simples Kähnchen, auf dem sie eine Spazierfahrt unternehmen, oder ein großartiges Segelschiff.

Mit welchem Enthusiasmus wurden aber auch diese Grüße erwidert! Welch' ein Echo riefen sie auf den Kais hervor! Tausende von Neugierigen hatten sich auf den Mauern von Liverpool und Birkenhead eingefunden, mit Zuschauern beladene Boote schwammen massenhaft auf der Mersey umher, die Bemannung des »Lord Clyde«, eines vor dem Binnenhafen ankernden Kriegsschiffes, war auf die hohen Raaen gestiegen, und begrüßte von hier aus den Riesen mit jubelndem Zuruf. Hoch oben, von den Hütten der Schiffe, ließen Musikchöre ihre Harmonieen zu uns herüberklingen, soweit sie nicht von dem Lärm der Hurrahs und sonstigen geräuschvollen Grüßen übertönt wurden. Dabei wehten unaufhörlich Flaggen und Wimpel zu Ehren des Great-Eastern. Bald jedoch begann das Geschrei schwächer zu werden und allmälig in der Entfernung zu ersterben. Unser Dampfschiff segelte am Tripoli, einem zum Auswanderertransporte bestimmten Packetboot, vorbei, das trotz einem Gehalt von 2000 Tonnen einen sehr winzigen Eindruck auf mich machte; dann wurden die Häuser auf beiden Ufern immer seltener, der Alles schwärzende Rauch verschwand mehr und mehr, und das ebene Feld stach grell gegen die Backsteinmauern ab. Jetzt zeigten sich noch einige lange, einförmige Reihen von Arbeiterwohnungen, dann erblickte man hier und da eine Villa, und ein letzter Gruß, ein letztes Hurrah tönte von der Plattform des Leuchtthurms und von der Mauer der Bastei zu uns herüber.

Um drei Uhr hatte der Great-Eastern das Fahrwasser der Mersey hinter sich und lief in den St. Georgs-Canal ein. Es wehte eine starke Südwestbrise, so daß unsere Flaggen keine einzige Falte zeigten. Das Meer ging bereits in ziemlich hohen Wogen, wovon unser Dampfschiff jedoch nichts verspürte.

Gegen vier Uhr endlich ließ Kapitän Anderson stoppen; das Lichterschiff setzte mehr Dampf bei, um uns einzuholen, und führte uns den zweiten Schiffsarzt wieder zu. Als das Boot angelegt hatte, wurde eine Sturmleiter herabgelassen, auf der er, allerdings mit nicht geringer Anstrengung, hinauf- und unser Lootse ungleich behender hinabstieg, um in seine Jolle zu klettern; die Ruderer auf diesem kleinen Fahrzeug waren mit Schwimmgürteln von Kork [27] versehen Einige Augenblicke später begab sich der Lootse auf einen sehr hübschen, kleinen Schooner, der ihn unter dem Winde erwartete.

Unsere Fahrt wurde alsbald wieder fortgesetzt; unter dem Getriebe seiner Schaufelräder und der Schraube vergrößerte sich mehr und mehr die Schnelligkeit des Great-Eastern, doch trotz des starken Windes verspürten wir weder Rollen noch Stampfen. Bald lag das Meer im Schatten, und die Küste der Grafschaft Wales, die durch die Spitze von Holy-Head bezeichnet wird, verschwand im Dunkel der Nacht.

6. Capitel

Sechstes Capitel
Hauptmann Corsican. – Fabian's Reisepläne. – Ein Lunch auf dem Great-Eastern. – Der Leuchtthurm von Fastenet.

Folgenden Tages, am 27. März, segelte der Great-Eastern mit dem Steuerbord an der unebenen Küste Irlands hin. Ich hatte meine Cajüte, ein kleines, durch zwei große Lichtöffnungen gut erleuchtetes Zimmer, auf dem ersten Rang im Vorderdeck. Sie war durch eine zweite Cajütenreihe von dem ersten Salon des Vorderdecks getrennt, so daß weder das Geräusch der Unterhaltung, noch das Schmettern der Klaviere, an denen kein Mangel war, zu mir herüber dringen konnte; ich bewohnte eine am äußersten Ende der Vorstadt gelegene Hütte, die so klein war, daß Sopha, Bett und Waschtisch sie hinreichend meublirten.

Um sieben Uhr Morgens ging ich durch die beiden ersten Säle auf das Verdeck, wo bereits verschiedene Passagiere umherwandelten. Ein fast unmerkliches Rollen schaukelte den Steamer leicht hin und her; der Wind wehte heute heftig, ohne doch das von der Küste gedeckte Meer stürmisch erregen zu können, nichtsdestoweniger aber bekam ich einen Begriff von der Unempfindlichkeit des Great-Eastern.

Als ich auf dem Deck des Rauchzimmers angekommen war, bemerkte ich die lange, in klaren Umrissen daliegende Küstenstrecke, der ihre immergrüne Farbe den Namen des »grünen Erin« eingetragen hat. Hie und da belebten [28] einige kleine Häusercomplexe die weiße Dampfsäule eines Eisenbahnzuges, oder ein isolirter Küstentelegraph, der den Schiffern auf hoher See die wunderlichsten Grimassen zu machen schien, die einsame Gegend.

Zwischen der Küste und uns zeigte das Meer eine schmutzig grüne Nüance, etwa wie eine unregelmäßig mit schwefelsaurem Kupfer bedeckte Platte. Der Wind schien sich noch lebhafter erheben zu wollen, ab und zu sprühte ein leichter Regen, fast so sein wie Staub, hernieder; zahlreiche Schiffe, Briggs und Schooner suchten die Räumte zu gewinnen; Steamer zogen, ihren dunkeln Rauch entsendend, an uns vorüber, aber der Great-Eastern überholte sie alsbald ohne alle Mühe, obgleich er bis jetzt noch nicht eigentlich schnell ging.

Bald bekamen wir Queenstown, einen kleinen Hafen, vor dem eben jetzt eine Flottille von Fischern manoeuvrirte, in Sicht. Dort wirst jedes von Amerika oder aus den südlichen Gewässern kommende Schiff im Vorüberziehen einen Depeschenbeutel aus, dessen Inhalt ein regelmäßig fungirender Courierzug in wenigen Stunden nach Dublin bringt. Dort nimmt ein immer rauchendes Packetboot, ein förmlicher Voll blut-Steamer, eine wahre Radspindel, die die Wogen durcheilt wie ein Gladiator oder eine Tochter der Luft, die Briefe in Empfang, und befördert sie, mit einer Schnelligkeit von achtzehn Meilen 1 pro Stunde, nach Liverpool. So eilen diese Depeschen selbst den schnellsten Dampfern um einen Tag voraus.

Gegen neun Uhr fuhr der Great-Eastern um ein Viertel nach West-Nord-West. Ich war soeben auf das Verdeck herabgestiegen, als ich auf Hauptmann Mac Elwin traf, der mit mir zusammen seinen Weg fortsetzte. Einer seiner Freunde, ein Mann von sechs Fuß Höhe, mit gewaltigen blonden Bartcottelettes und großem Schnurrbart, begleitete ihn; man konnte in ihm den eigentlichen Typus des englischen Officiers bewundern. Er trug sein Haupt hoch und aufrecht ohne alle Steifheit, und sein sicherer Blick, seine schönen, gewissermaßen »schlanken« Schultern, die ruhige Leichtigkeit seiner Bewegungen überzeugten zum Voraus von der so seltenen Eigenschaft, die man »den Muth ohne Zorn« nennen könnte. Ueber seinen Beruf hatte ich mich übrigens nicht getäuscht.

»Mein Kamerad Archibald Corsican; wie auch ich Hauptmann im 22. Regiment der indischen Armee, stellte ihn mir Mac Elwin vor, worauf eine kurze Begrüßung erfolgte.

[29] – Wir haben uns gestern nur flüchtig gesprochen, lieber Fabian, redete ich meinen Freund an, indem ich seine Hand faßte und drückte. Ich erfuhr im Wirrwarr des Aufbruchs nur eben, daß ich unser Zusammentreffen an Bord des Great Eastern nicht dem Zufall zu danken habe. Ich gestehe, daß, wenn ich mit zu Deinem Entschluß beigetragen habe ...

– Gewiß hast Du das, lieber Kamerad, unterbrach mich Fabian. Hauptmann Corsican und ich kamen mit der Absicht in Liverpool an, uns an Bord des ›China‹ von der Cunard-Linie einzuschiffen, als wir vernahmen, daß der Great-Eastern eine neue Fahrt zwischen England und Amerika riskiren wollte; das war eine vortreffliche Gelegenheit; und wie freute ich mich, als ich erfuhr, daß auch Du an Bord seiest. Wir hatten uns drei Jahre lang, seit unserer schönen Reise nach Skandinavien nicht gesehen; so schwankte ich keinen Augenblick, und gestern Abend hat mich, wie Du weißt, das Lichterschiff vor Deinen Augen hier abgesetzt.

– Nun, erwiderte ich ihm, ich glaube, daß diese Aenderung Eures Reiseplans weder Dich noch Hauptmann Corsican gereuen wird. Selbst für Euch, die Ihr nicht Seeleute seid, muß die Fahrt über den Atlantischen Ocean auf diesem Riesenschiff sehr interessant werden. Dergleichen muß man einmal mit durchgemacht haben. Aber laß uns auf Dich zurückkommen; Dein letzter Brief – und er ist kaum sechs Wochen alt – war aus Bombay datirt; ich mußte Dich demnach noch bei Deinem Regimente vermuthen ...

– Wo wir uns auch noch bis vor drei Wochen befunden haben, fuhr Fabian fort. Wir führten dort die gewöhnliche Existenz indischer Officiere, die halb einem Krieger-, halb einem Landleben gleicht und mehr Jagden als Razzias mit sich bringt. Ich ergreife übrigens hierbei die Gelegenheit, Dir Hauptmann Archibald als einen der größten Tigervertilger seiner Zeit vorzustellen; er ist der Schrecken der Dschungeln. Da wir uns indessen Beide trotz der Reize des indischen Lebens danach sehnten, einmal einige Molecüle europäischer Luft zu athmen, haben wir uns entschlossen, die armseligen Fleischfresser der Halbinsel ein Wenig in Ruhe zu lassen. Wir ließen uns auf ein Jahr Urlaub bewilligen und sind mit der Geschwindigkeit eines Courierzuges durch das Rothe Meer, über Suez und Frankreich nach Altengland geeilt.

– Nach Altengland, Fabian? nahm lächelnd Hauptmann Corsican das Wort. Wir sind schon jetzt nicht mehr dort, denn wenn wir uns auch gegenwärtig auf einem englischen Schiffe befinden, so ist es doch von einer französischen [30] Gesellschaft gemiethet und trägt uns nach Amerika. Drei verschiedene Flaggen wehen über unseren Häuptern und beweisen, daß wir auf franco-angloamerikanischem Boden stehen.

– Was schadet das? entgegnete Fabian, dessen Stirn sich einen Augenblick lang unter irgend einem schmerzlichen Eindruck in finstere Falten gelegt hatte, was schadet's, wenn wir nur unsere Urlaubszeit damit hinbringen. Wir brauchen Bewegung; es thut so wohl, die Vergangenheit zu vergessen und die Gegenwart durch Beobachtungen des Neuen um uns her todt zu machen! in wenigen Tagen werden wir New-York erreicht haben, wo ich meine Schwester, die ich seit Jahren nicht gesehen habe, mit ihren Kindern finde; dann wollen wir den großen Seen einen Besuch abstatten und nächstdem den Mississippi bis New-Orleans hinabfahren. Sodann gedenken wir eine Treibjagd am Amazonenstrom zu veranstalten, und von dort nach Afrika überzugehen, wo sich wahrscheinlich schon die Löwen und Elephanten am Cap ein Stelldichein gegeben haben, um die Ankunft meines Freundes Corsican zu feiern. Hiernach wird es dann wohl an der Zeit sein, nach Indien zurückzukehren, um den Sipoys den Willen der Metropole vorzuschreiben.«

Fabian hatte mit einer gewissen nervösen Zungengeläufigkeit gesprochen, während seine Brust sich schwer athmend hob und senkte. Augenscheinlich gab es in seinem Leben ein unglückliches Moment, das ich noch nicht kannte, und über das mich seine Briefe absichtlich in Unwissenheit gelassen hatten. Archibald Corsican, der einige Jahre älter war als mein Freund, schien ein tieferes Verständniß hierfür zu haben; er legte ein warmes, wirklich brüderliches Interesse für Mac Elwin an den Tag.

In diesem Augenblick wurde unsere Unterhaltung durch die Trompete gestört, mit der ein pausbäckiger Steward eine Viertelstunde vorher das um halb ein Uhr stattfindende Lunch verkündete. Vier Mal täglich ließ sich, zur großen Befriedigung der Passagiere, dies heisere Hörnchen vernehmen, um zuerst gegen halb neun Uhr Morgens zum Frühstück, dann um halb ein Uhr zum Lunch, um vier Uhr zum Mittagessen und Abends gegen halb acht zum Thee zu rufen. In wenigen Augenblicken hatten sich die Boulevards geleert und bald saßen alle Gäste bei Tafel, wo es mir gelungen war, einen Platz neben Fabian und Hauptmann Corsican zu bekommen.

Die Speisesäle waren von vier Tischreihen eingenommen, über denen die Flaschen und Gläser auf ihren Schlingerbrettchen vollständig unbeweglich[31] standen; das Dampfschiff verspürte nicht das Geringste von den Schwankungen der hohen See. Die Gäste, Männer, Frauen und Kinder nahmen ohne alle Besorgniß ihr Lunch ein, während eine Menge Stewards hin- und hereilten, um die sein hergerichteten Schüsseln zu präsentiren. Wer Wein, Liqueur oder Ale wünschte, schrieb sein Verlangen auf eine kleine Karte, worauf es von den Kellnern sofort befriedigt und später besonders verrechnet wurde. Die Californier zeichneten sich durch ihre Neigung zum Champagnertrinken aus; so [32] fiel mir eine in den Goldminen von San Francisco reich gewordene Wäscherin mit ihrem Gemahl, einem ehemaligen Grenzwächter, auf, die Cliquot zu drei Dollars die Flasche trank.


Hauptmann Corsican wird mir vorgestellt. (S. 29.)

Zwei oder drei junge bleichsüchtige Misses verschlangen blutige Beefsteaks, während eine lange, hagere Mistreß mit vorzüglichen Elfenbeinhauern aus ihrem kleinen Gläschen ein weichgekochtes Ei nippte. Andere hielten sich mit augenscheinlicher Befriedigung an die Rhabarbertorten oder den Sellerie des Desserts; Jeder aber ohne Ausnahme stürzte sich mit voller Hingebung in's Geschäft. Man hätte sich in eine Restauration an den Boulevards mitten in Paris und nicht auf die hohe See versetzt glauben können.

Nach Beendigung des Lunch bevölkerten sich von Neuem die Deckzimmer; die Leute grüßten im Vorübergehen und schlossen sich an einander an, wie wohl Spaziergänger im Hyde-Park. Kinder spielten, liefen umher, ließen ihre Ballons steigen und schlugen Reisen, wie sie es auf dem Sande der Tuilerien gemacht hätten. Die meisten Männer rauchten auf ihrem Spaziergange. Die Damen saßen auf amerikanischen Klappstühlen und machten Handarbeit, lasen oder plauderten mit einander. Gouvernanten und Bonnen beaufsichtigten die Kleinen. Einige Amerikaner wiegten ihre Schmeerbäuche in den Schaukelstühlen, Officiere gingen hin und wieder, hielten Wache auf den Brücken, beobachteten den Compaß oder beantworteten die oft höchst komischen Fragen der Passagiere. Auch drangen ab und zu, durch die kurzen Windstillen der Brise, die Klänge einer Orgel, die im großen Deckzimmer des Hintertheils aufgestellt war, und aus den unteren Sälen die Accorde von zwei bis drei Clavieren, deren Harmonien zu wunderlichen Toncaricaturen zusammenflossen.

Gegen drei Uhr erscholl ein lautes Hurrahrufen, worauf die Passagiere sich eilig auf die Deckzimmer begaben. Der Great-Eastern segelte bis auf zwei Kabellängen an einem Packetboot vorüber, das er überholt hatte. Es war der »Propontis«, der auf New-York hinhielt: im Vorübersegeln sandte er dem Riesen der Meere seine Grüße, die dieser höflich erwiderte.

Um halb fünf Uhr war das Land noch in Sicht und blieb uns auf drei Meilen Steuerbord; man konnte es kaum durch die Nebel einer Bö, die sich aufgemacht hatte, erkennen. Dann zeigte sich das Feuer des Leuchtthurmes von Fastenet, der auf einem isolirten Felsen steht, und bald darauf, während wir um das Cap Clear, die letzte vorspringende Spitze der Küste Irlands, fuhren, brach die Nacht herein.

[33]

Fußnoten

1 = Englische Meilen (4,611 = 1 geogr. Meile; 4,681 = 1 österr. Meile.)

7. Capitel

Siebentes Capitel.
Construction und Maschinen des Schiffes.

Wie schon erwähnt, überschritt die Länge des Great-Eastern zwei Hektometer. Für diejenigen, denen Vergleiche zum besseren Verständnisse dienen, will ich noch hinzufügen, daß dieses Raummaß um ein Drittel weiter ist, als le Pont des Arts; das Dampfschiff mißt demnach zweihundertsieben und einen halben Meter zwischen seinen Perpendikeln an der Wasserlinie. Es hat auf dem oberen Deck von Spitze zu Spitze zweihundertzehn und ein Viertel Meter, ist also doppelt so lang, als das größte überseeische Packetboot. Die Breite des Great-Eastern beläuft sich auf fünfundzwanzig Meter dreißig Centimeter an seinem Hauptspann, und auf sechsunddreißig Meter fünfundsechzig Centimeter außerhalb der Radkasten.

Der Rumpf des Schiffes hält den furchtbarsten Stößen des Meeres Stand; er ist doppelt gebaut und besteht aus einer Anhäufung von zwischen Bord und Binnenplanken eingeordneten Zellen, die sechsundachtzig Centimeter Höhe haben. Außerdem dienen diese dreizehn Abtheilungen, die durch wasserdichte Querschotten von einander geschieden sind, seine Sicherheit in Bezug auf Wasser- und Feuergefahr zu vermehren. 10,000 Tonnen Eisen sind zum Bau dieses Rumpfes verwandt worden, und die Millionen Vernietungen, im glühenden Zustande niedergeschlagen, sichern das vollkommene Zusammenhalten der Platten seiner Bordirung.

Der Great-Eastern trägt eine Last von 28,500 Tonnen, wenn er dreißig Fuß tief geht; ohne Ladung sinkt er nur sechs Meter zehn Centimeter tief in's Wasser. Die Zahl der Passagiere, die er transportiren kann, beläuft sich auf zehntausend. Von den dreihundertunddreiundsiebzig Hauptstädten der Kreise in Frankreich sind zweihundertundvierundsiebzig weniger bevölkert, als diese schwimmende Unterpräfectur mit ihrem Maximum von Passagieren sein würde

Die Linien des Great-Eastern sind sehr in die Länge gezogen; sein rechter Vordersteven ist von Klüsgaten durchbohrt, durch welche die Ankerketten gehen. Sein Vordertheil, das weder Höhlungen noch Höcker bietet, ist [34] außerordentlich schön gebaut; das runde Hintertheil fällt ein wenig ab und verunziert das Ensemble.

Von dem Verdeck aus erheben sich sechs Masten und fünf Schornsteine; die ersten drei Masten auf dem Vorderdeck sind der »Fore-Gigger« und der »Fore-Mast«, beides Fockmasten, und der »Main-Mast« oder Hauptmast. Die drei letzten auf dem Hinterdeck heißen »After-Main-Mast«, »Mizenne-Mast« und »After-Gigger«. Der »Fore-Mast« und der »Main- Mast« tragen Goëlelten, Marssegel und Bramsegel. Die vier anderen Masten sind nur mit spitz zulaufenden Segeln aufgetakelt; das Ganze bildet 5400 Quadratmeter Segeltuch an Oberfläche in guter Leinwand aus der königlichen Fabrik in Edinburgh. Auf den ungeheuren Marsen des zweiten und dritten Mastes könnte bequem eine Compagnie Soldaten manoeuvriren. Von diesen sechs Masten, die durch metallische Wanten und Pardunen aufrecht gehalten werden, sind der zweite, dritte und vierte aus verbolztem Blech, wahrhafte Meisterwerke der Kesselschmiedekunst. An der Oeffnung haben sie einen Meter zehn Centimeter im Durchmesser, und der größte, der »Main-Mast«, erhebt sich zu einer Höhe von zweihundertundsieben französischen Fuß 1, die demnach über die Höhe der Notre Dame-Thürme hinausgeht.

Was die Schornsteine anbelangt, so bedienen zwei vor den Radkasten die Radmaschine, drei hinten die Schraubenmaschine; es sind ungeheure, dreißig und einen halben Meter hohe Cylinder, welche durch Ketten, die auf den Deckzimmern befestigt sind, senkrecht gehalten werden.

Im Innern des Great-Eastern ist die Einrichtung seines weiten Rumpfes klüglich eingetheilt; das Vordertheil umfaßt die Dampfwaschhäuser und den Bemannungsposten; daran schließen sich ein Damensalon und ein großer, mit Kronleuchtern, festeingelassenen Lampen, Gemälden und Spiegelglas-Wänden decorirter Saal. Diese prächtigen Räume erhalten ihr Licht durch seitliche, auf elegant vergoldete Säulchen gestützte Traljeschotten und stehen mit dem Oberverdeck durch breite Treppen mit Metallstufen und Mahagonigeländer in Verbindung.

Vorn folgen vier durch einen Gang geschiedene Cajütenreihen, die einen in Verbindung mit dem gemeinschaftlichen Vorplatz stehend, die anderen, zu denen man auf einer besonderen Treppe Zutritt hat, im untern Stock [35] angebracht. Hinten boten die drei ungeheuren »Dining-rooms« dieselbe Anordnung für die Cajüten. Von den Sälen des Vordertheils bis zu denen des Hintertheils gelangt man, wenn man einer mit Platten belegten Verbindungsbrücke folgt, welche sich um die Maschine der Räder zwischen ihren Blechwänden und den Cajüten des Bordes herumwindet.

Die Maschinen des Great-Eastern werden mit Recht als Meisterwerke, fast fühlte ich mich versucht zu sagen, »als Meisterwerke der Uhrmacherkunst«, angesehen.

Es giebt nichts, das staunenswerther wäre, als dieses enorme Räderwerk mit der Präcision und Ruhe einer Uhr arbeiten zu sehen. Die nominelle Kraft der Schaufelrad-Maschine ist gleich tausend Pferdekraft; sie besteht aus vier paarweise neben einander gestellten Cylindern von einem Durchmesser von zwei Metern sechsundzwanzig Centimetern, welche Cylinder vier Meter siebenundzwanzig Centimeter Hublänge vermittelst ihrer direct auf die Kurbelstangen gefügten Kolben entwickeln. Der mittlere Druck beträgt zwanzig Pfund pro Zoll, ungefähr ein Kilogramm sechsundsiebzig Gramm pro Quadratcentimeter, gleich einundzweidrittel Atmosphären. Die Heizfläche der vier vereinigten Dampfkessel beträgt siebenhundertundachtzig Quadratmeter. Dieses »Engine-Paddle« geht mit wirklich majestätischer Ruhe; sein Excenter, von der liegenden Welle fortgerissen, scheint sich wie ein Ballon in die Luft zu erheben.

Er kann zwölf Radumdrehungen auf die Minute machen, und steht in eigenthümlichem Contrast mit der rascheren, wüthenderen Schraubenmaschine, die mit 1600 Pferdekraft arbeitet.

Und »Engine-Screw« zählt vier feste, horizontal-stehende Cylinder. Sie bieten einander zwei zu zwei die Spitze, und ihre Kolben, deren Hublänge ein Meter vierundzwanzig Centimeter beträgt, wirken direct auf die Schraubenwelle. Unter dem von sechs Kesseln, deren Heizoberfläche 1175 Quadratmeter beträgt, hervorgebrachten Druck kann die sechzig Tonnen wiegende Schraube bis achtundvierzig Umwälzungen auf die Minute liefern; aber dann geht diese schwindelerregende Maschine keuchend eilig darauf los, und ihre langen Cylinder scheinen sich mit Kolbenschlägen anzugreifen, wie kolossale Widerhalthaken mit Vertheidigungsstößen.

Von diesen beiden Apparaten abgesehen, besitzt der Great-Eastern noch sechs andere Hilfsmaschinen zur Bespeisung, die Zurichtungen und die [36] Gangspillen. Man sieht, daß der Dampf bei allen Manoeuvres an Bord eine wichtige Rolle spielt.

So ist es beschaffen, dies Dampfschiff ohne Gleichen, von dem ein französischer Kapitän einst nichts weiter in seinem Schiffsbuch zu vermerken fand, als die naive Notiz: »Einem Schiff mit sechs Masten und fünf Schornsteinen begegnet; wahrscheinlich Great-Eastern.«

Fußnoten

1 Etwa 67 1/2 Meter.

8. Capitel

Achtes Capitel
Rollen des Great-Eastern. – Dean Pitferge als Unglücksrabe.

Meine Nachtruhe von Mittwoch zu Donnerstag war ziemlich schlecht. Die Hängematte bewegte sich hin und her, und ich mußte mich mit Knieen und Ellenbogen fest an ihr Schaukelbrett lehnen. Reisesäcke und Koffer flogen in meiner Cajüte herum; aus dem benachbarten Saal, in welchem zwei- bis dreihundert Collis provisorisch abgesetzt waren, drang ein wüster Lärm, der dadurch entstand, daß die Gegenstände auf-und niederrollten und mit Vehemenz an Tische und Bänke stießen. Die Thüren klappten auf und zu, die Dielen knackten, die Zwischenwände ächzten in der dem Tannenholz so eigenthümlichen Weise, Gläser und Flaschen bebten klirrend an einander, und förmliche Katarakte von Tafelgeschirr stürzten auf den Fußboden der Speisezimmer.

Auch hörte ich das unregelmäßige Schnarren der Schraube und das Schlagen der Räder, die abwechselnd aus dem Wasser hervorkommend mit ihren Schaufeln die Luft peitschten. An all' diesen Symptomen konnte ich wahrnehmen, daß der Wind frisch geworden war, und daß das Dampfschiff nicht mehr gegen die Wogen der hohen See, die es in der Quere erfaßten, unempfindlich blieb.

Um sechs Uhr Morgens erhob ich mich nach einer schlaflosen Nacht, und kleidete mich mit der einen Hand an, so gut es eben gehen wollte, [37] während ich mich mit der andern am Schaukelbrett hielt. Ohne Stützpunkt wäre es mir unmöglich gewesen, mich aufrecht zu halten, und ich mußte förmlich mit meinem Paletot ringen, um ihn über Rücken und Arme ziehen zu können. Dann verließ ich meine Cajüte, stieg mühsam über die Collis im Nebensaale und erkletterte die Treppe auf den Knieen, wie ein römischer Bauer, der die Stufen der Scala Santa des Pontius Pilatus erklimmt. Endlich gelangte ich auf das Verdeck, wo ich mich mit aller Kraft an einen Kreuzholztakelhaken klammerte.

Es war kein Land mehr in Sicht; wir hatten in der Nacht das Cap Clear umfahren. So weit das Auge reichte, erblickte es nur den weiten, auf dem Himmelsgrunde von der Wasserlinie bezeichneten Kreis, und das schieferfarbene Meer hob sich in langen, schaumlosen Wogen. Da der Great-Eastern von den Wellen in der Quere gefaßt und von keinem Segel unterstützt wurde, rollte er schrecklich; seine Masten beschrieben, wie lange Compaßspitzen, gigantische Kreisbogen in der Luft. Das Schaukeln war wenig merklich, was ich gerne zugeben will, das Rollen aber wurde unerträglich, so daß man sich mit aller Anstrengung nicht aufrecht halten konnte. Der wachthabende Officier hatte sich an den Steg geklammert und schwebte hin und her wie in einer Schaukel.

Von einem Kreuzholz zum andern tastend, gelang es mir endlich, den Radkasten des Steuerbords zu erreichen. Da das Verdeck durch den Nebel feucht und sehr glatt geworden war, mußte man sich vor dem Ausgleiten in Acht nehmen, und eben wollte ich, um mich besser stützen zu können, das Geländer des Steges ergreifen, als ein menschlicher Körper mir vor die Füße rollte.

Es war der Doctor Dean Pitferge; er richtete sich allmälig wieder auf, blickte mich an, und sagte:

»Ganz richtig; die Größe des Bogens, den die Wände des Great-Eastern beschreiben, beträgt vierzig Grad, d.h. zwanzig unter und zwanzig über der Horizontalen.

– Wirklich! rief ich unter herzlichem Lachen – nicht über die Bemerkung, sondern weil sie in so komischer Situation gemacht wurde.

– Ja, wirklich, bestätigte der Doctor. Während der Oscillation beträgt die Schnelligkeit der Wände einen Meter siebenhundertvierundvierzig Millimeter auf die Secunde. Ein transatlantischer Dampfer, der um die[38] Hälfte schmaler ist, braucht nur diese Zeit, um von einem Bord zum andern zu kommen.

– Wenn der Great-Eastern so schnell seine perpendiculäre Stellung wieder einnimmt, muß ein überaus großes Maß von Stetigkeit vorhanden sein, entgegnete ich.

– Bei ihm wohl, aber nicht bei seinen Passagieren! versetzte heiter Dean Pitferge, denn wir kehren schneller zur Horizontalen zurück, als in unseren Wünschen steht.«

Der Doctor, der sich augenscheinlich seiner Erwiderung freute, war unterdessen wieder aufgestanden, und da wir uns nun gegenseitig unterstützten, gelang es uns, eine Bank auf der Hütte zu erreichen. Dean Pitferge war bei seinem Fall mit einigen kleinen Schrammen davongekommen, und ich wünschte ihm Glück dazu, denn er hätte sich ebenso leicht das Genick brechen können.

»O, antwortete er, es ist noch nicht aller Tage Abend; allernächstens wird uns ein Unglück zustoßen.

– Wie, uns?

– Dem Dampfschiff, und folglich auch uns, den Passagieren.

– Wenn das Ihr Ernst ist, warum haben Sie sich denn eingeschifft? fragte ich.

– Um zu sehen, wie und in welcher Weise es sich ereignen wird, antwortete der kleine Kerl, indem er mich verständnißinnig anblickte; würde es nicht ganz interessant für uns sein, einen Schiffbruch mit zu erleben?

– Ist dies Ihre erste Fahrt auf dem Great-Eastern?

– Nein, ich habe schon mehrere mitgemacht ... nur aus Neugierde.

– Dann dürfen Sie sich auch nicht beklagen.


Ein menschlicher Körper rollte mir vor die Füße. (S. 38.)

– Das thue ich auch nicht; ich constatire nur die Thatsache, und erwarte in Geduld und Ergebung die Stunde der Katastrophe.«

Machte sich der Doctor über mich lustig? ich wußte wirklich nicht, was ich von diesen Reden denken sollte. Seine kleinen Augen schienen mir ironischer wie je zu blicken, ich mußte noch mehr aus ihm herauszulocken suchen.

»Ich weiß nicht, Doctor, auf welche Thatsachen sich Ihre tragischen Prophezeiungen stützen, gestatten Sie mir aber, Ihnen in Erinnerung zu bringen, daß der Great-Eastern schon etwa zwanzig Mal über den Atlantischen [39] Ocean gefahren ist und auch seine Reisen im Ganzen und Großen glücklich gewesen sind.

– Ganz einerlei! entgegnete Pitferge; das Schiff ist behext, wenn ich mich eines Volksausdrucks bedienen soll, und es wird seinem Geschick nicht entgehen. Man weiß das sehr wohl, und darum fehlt das Vertrauen zu ihm. Denken Sie gefälligst daran, was für immense Schwierigkeiten die Ingenieure gehabt haben, bis sie es von Stapel lassen konnten. Es wollte [40] ebenso ungern in's Wasser, wie das Hospital in Greenwich. Ich kann mich sogar dem Glauben nicht verschließen, daß sein Baumeister Brunnel ›an den Folgen der Operation‹, wie wir Aerzte sagen, verschieden ist.

– Oho! Doctor, fiel ich ein, Sie scheinen mir Materialist zu sein.

– Warum das?

– Weil ich bemerkt habe, daß viele Leute, die nicht an Gott glauben, an alles Uebrige glauben, sogar an das böse Auge.


Ein Wrack oder Wallfischrumpf? (S. 45.)

[41] – Scherzen Sie immerhin, antwortete er, aber lassen Sie mich meine Beweisführung fortsetzen. Der Great-Eastern hat bereits mehrere Gesellschaften ruinirt; trotzdem er für den Auswanderertransport und Waarenverkehr nach Australien erbaut wurde, ist er noch nie in Australien gewesen; er sollte die transoceanischen Packetboote an Schnelligkeit überflügeln und ist hinter ihnen zurückgeblieben.

– Woraus zu schließen ist, daß ....

– Erlauben Sie noch einige Augenblicke, fuhr der Doctor fort. Ein Kapitän des Great-Eastern, und zwar mit der geschickteste, ist schon ertrunken; er wußte dies unerträgliche Rollen zu vermeiden, indem er das Schiff direct gegen den Wellenschlag hielt.

– Dann haben wir den Tod dieses tüchtigen Mannes zu beklagen, das ist aber auch Alles.

– Ferner, argumentirte Pitferge weiter, ohne sich auch nur im Geringsten durch meine Ungläubigkeit irre machen zu lassen, ferner erzählt man sich noch allerlei andere Geschichten über dies Dampfschiff. Man sagt, daß ein Pionnier, der sich einst in seinen Tiefen, wie in einem amerikanischen Urwalde verirrt habe, nie wieder aufgefunden ist.

– Ah! bemerkte ich ironisch, jedenfalls Thatsache!

– Man erzählt sich auch, fuhr der Doctor fort, daß beim Bau der Kessel aus Versehen ein Maschinenbauer mit der Schraube zusammengeschweißt ist.

– Bravo! rief ich; ein zusammengeschweißter Maschinenbauer; ben trovato! Sie glauben das natürlich, lieber Doctor?

– Ich glaube, antwortete Pitferge, daß unsere Reise unheilvoll begonnen hat und schlimm enden wird.

– Der Great-Eastern ist ein solides Fahrzeug, hielt ich ihm entgegen, und von solcher Festigkeit, daß er Widerstand zu leisten vermag wie ein einziger Block, und der wüthendsten See Trotz bietet.

– Er ist solide, das gebe ich zu, versetzte der Doctor; lassen Sie ihn aber erst einmal in die Höhlung der Wogen gerathen, dann werden wir sehen, ob und wie er wieder herauskommt. Er ist allerdings ein Riese unter den Schiffen; aber ein Riese, dessen Kraft nicht mit seiner Größe im Verhältniß steht; die Maschinen sind bei Weitem zu schwach für ihn. – Haben Sie von seiner neunzehnten Reise zwischen Liverpool und New-York gehört?

[42] – Ich kann mich nicht erinnern.

– Nun, ich war auch damals an Bord. Wir hatten Liverpool am 10. December, einem Dienstag, verlassen. Die Passagiere waren zahlreich, hatten das beste Vertrauen, und Alles ging gut, so lange wir durch die irländische Küste vor den Wogen der hohen See gedeckt waren; wir merkten weder Rollen, noch hatten wir Kranke. Am anderen Tage die gleiche Indifferenz des Great-Eastern gegen das Meer, und das gleiche Entzücken der Passagiere. Am 12. gegen Morgen wurde der Wind frisch; die Schlagwellen des hohen Meeres faßten uns in der Quere und der Dampfer begann zu rollen. Passagiere, Männer wie Frauen, verschwanden sofort in die Cajüten. Um vier Uhr hatte sich der Wind in förmlichen Sturm verwandelt, die Möbel singen an hin und her zu tanzen; einer der großen Spiegel im Salon zertrümmerte durch eine gewaltsame Carambolage mit meinem höchsteigenen Haupt; das ganze Geschirr lag stoßweise zerschellt auf dem Boden – kurz ein Heidenlärm! Eine Sturzwelle riß acht Boote von den Taljen los. Jetzt wurde unsere Lage kritisch; die Radmaschine mußte angehalten werden, denn ein ungeheures Stück Blei, das sich durch das Rollen verschoben hatte, drohte, sich in ihren Theilen zu verfangen. Die Schraube trieb uns indessen noch immer vorwärts. Bald nahmen auch die Räder, wenn auch mit halber Geschwindigkeit, ihre Thätigkeit wieder auf, aber das eine hatte sich während des Anhaltens verdreht, und seine Speichen und Schaufeln kratzten am Rumpf des Schiffes her. Man mußte die Maschine von Neuem anhalten und sich, um beizulegen, mit der Schraube begnügen. Die folgende Nacht war schauerlich; der Sturm hatte sich noch verdoppelt, und der Great-Eastern war in die Hohle der Wogen gerathen, aus der er sich nicht wieder herausarbeiten konnte. Bei Tagesanbruch sahen wir, daß nicht ein einziger Beschlag an den Rädern geblieben war und man versuchte, einige Segel aufzuhissen, um zu schwenken und das Schiff wieder seegerecht zu machen. Keine Hilfe! der Sturm riß sie augenblicklich wieder fort. Ueberall herrschte die unbeschreiblichste Verwirrung. Die Kabelketten hatten sich aus ihren Klüsen herausgerissen und rollten von einem Bord zum andern. Ein Viehgitter war durchbrochen worden, und eine Kuh fiel durch die Treppenluke in den Damensalon hinunter; das Hauptstück des Steuers ging entzwei, und an ein Lenken des Schiffes war nun nicht mehr zu denken. Entsetzliche Stöße machten sich bemerkbar; ein Oelbehälter, der mindestens 3000 Kilos wog, und dessen [43] Seisinge zerbrochen waren, fegte das Zwischendeck und schlug abwechselnd so heftig gegen die inneren Seiten, daß man ein Bersten fürchten mußte. Der Sonnabend verging unter allgemeinem Entsetzen, ohne daß das Schiff sich aus der Hohle herausarbeiten konnte. Am Sonntag erst begann der Wind sich zu mäßigen, und es gelang einem amerikanischen Ingenieur, der sich als Passagier an Bord befand, über das Hauptstück des Steuers Ketten zu schlagen. Man machte allmälig die erforderlichen Evolutionen, der Great-Eastern fuhr nun wieder quer durch die Wellen, und acht Tage, nachdem wir Liverpool verlassen hatten, hielten wir unseren Einzug in Queen'stown. – Wer aber kann wissen, Herr, wo wir heute in acht Tagen sind?«

9. Capitel

Neuntes Capitel.
Das Wrack.

Man muß gestehen, daß Doctor Dean Pitferge's Nachrichten gerade nicht sehr beruhigend waren; unsere weiblichen Passagiere würden ihm nicht ohne ein leises Grauen zugehört haben. Sollte all dieses ein Scherz sein, oder sprach er in vollem Ernst, und verhielt es sich wirklich so, daß er alle Fahrten des Great-Eastern mitmachte, um irgend einer Katastrophe mit beizuwohnen? Einem excentrischen Mann ist Alles zuzutrauen, und ganz besonders wenn er ein Engländer ist.

Das Dampfschiff setzte jedoch seine Fahrt fort, indem es zwar rollte wie ein Kähnchen, aber ohne irgend welche Störung die loxodromische Schneckenlinie der Dampfboote bewahrte. Bekanntlich ist zwischen zwei Punkten auf einer ebenen Fläche die gerade Linie der kürzeste Weg; auf einer Kugel ist es die durch die Peripherie der größten Kreise gebildete Curve. Die Schiffe haben also, um ihre Fahrt abzukürzen, ein Interesse daran, diesen Weg einzuschlagen, wenn auch die Segelschiffe, sofern sie conträren Wind haben, diese Linie nicht inne halten können. Ganz Herr ihres Willens in dieser Beziehung sind nur die Steamer, und diese nehmen den Weg der [44] größten Kreise, wie auch jetzt der Great-Eastern, indem er etwas nach Nord-Westen hielt.

Das Rollen legte sich nicht, und die ebenso schauerliche als ansteckende Seekrankheit machte rasche Fortschritte. Einige Passagiere mit blassen, blut leeren Gesichtern und hohlen Wangen blieben noch auf dem Verdeck, um frische Luft zu athmen; Alle aber ohne Ausnahme waren im höchsten Grade zornig über das unglückliche Steamschiff und die Société des affréteurs, auf deren Prospectus ausdrücklich gestanden hatte: »Seekrankheit an Bord unbekannt.«

Es war andern Morgens gegen neun Uhr, als auf drei oder vier Meilen Backbord ein Gegenstand signalisirt wurde; ob es ein Wrack, ein Wallfisch oder ein Schiffsrumpf sei, konnte man noch nicht unterscheiden. Auf dem Dach des Vorderdecksaales stand eine Gesellschaft der kräftigsten Passagiere und beobachtete mit aufmerksamem Interesse diese Trümmer, die mindestens dreihundert Meilen von der nächsten Küste entfernt schwammen.

Inzwischen hatte der Great-Eastern nach dem fraglichen Gegenstande hingehalten; die Ferngläser richteten sich danach, und unter den Amerikanern und Engländern, denen jeder Vorwand hiezu gelegen ist, wurden Wetten über Wetten angeboten und abgeschlossen, deren Einsätze immer höher wurden, je näher wir kamen. Unter diesen enragirt Wettenden bemerkte ich auch einen schlank gewachsenen Mann, in dessen Physiognomie mir ein so entschiedener Zug widerwärtigster Falschheit auffiel, daß weder ein Physiognom noch ein Physiologe nur einen Augenblick hierüber im Unklaren gewesen wäre. Das Auge schaute verwegen und doch zerstreut, die Stirn legte sich quer in eine eigenthümliche Falte, die Braunen stießen fast aneinander, der Blick hatte einen wirklich grausamen Ausdruck; seine Schultern waren hoch, und den Kopf trug er etwas in den Nacken zurückgebogen. Kurz, alle Indicien einer seltenen Schurkerei und Unverschämtheit schienen in dieser Person ihre Vereinigung gefunden zu haben. Obgleich mir der Mann außerordentlich mißfiel, fragte ich mich doch unwillkürlich: »Wer mag das sein?« Ich beobachtete ihn, und bemerkte, daß er laut und in einem Ton sprach, der eigentlich schon an sich etwas Beleidigendes hatte. Einige der würdigen Kumpane, die ihn umstanden, lachten über seine seichten Späße und entrirten bedeutende Wetten gegenüber seiner Behauptung, daß das vermeintliche Wrack ein Wallfischrumpf sei.

Es wurde von seiner Seite jedes Mal auf mehrere hundert Dollars parirt, und er verlor durchweg. Unser Steamer fuhr mit großer Schnelligkeit [45] auf den betreffenden Gegenstand zu; wir erkannten in ihm einen Schiffsrumpf, und zwar einen seiner Masten beraubten Dreimaster, der auf der Seite lag; sein mit Kupfer beschlagener Kiel war mit Grünspan bedeckt, an seinen Rusten hingen zerrissene Püttinge, und sein Gehalt wurde auf fünf- bis sechshundert Tonnen geschätzt.

War dies Schiff von seiner Bemannung verlassen? Das war die Frage, oder um den englischen Ausdruck anzuwenden, »the great attraction« des Augenblicks. Hatten die Schiffbrüchigen sich vielleicht in das Innere des Wracks geflüchtet? es zeigte sich keine menschliche Seele. Durch mein Fernglas glaubte ich jetzt zu erkennen, daß sich irgend etwas auf dem Vordertheil des Schiffes bewegte, aber gleich darauf sah ich, daß es ein Rest des Klüvers war, den der Wind hin und her trieb.

Endlich in einer halben Meile Entfernung wurden alle Einzelheiten des Rumpfes sichtbar; das Schiff war neu und in vollständig gut erhaltenem Zustande gewesen; seine Verladung, die unter dem Winde abgerutscht war, ließ es nach der Steuerbordseite hängen. Augenscheinlich hatten in einem sehr kritischen Moment seine Masten geopfert werden müssen.

Der Great-Eastern war jetzt nahe herangekommen und umkreiste das defecte Fahrzeug; er signalisirte seine Gegenwart durch zahlreiche Pfiffe, so daß die Luft förmlich davon zerrissen wurde, aber auf dem Wrack blieb Alles stumm und verödet. Nicht ein Boot befand sich an den Seiten des Schiffes, und soweit das Auge den vom Horizont umgrenzten Meeressaum überschauen konnte, auch nicht das Geringste in Sicht.

Ohne allen Zweifel hatte die Mannschaft Zeit gehabt, zu entkommen; hatte sie aber das dreihundert Meilen entfernte Land erreichen können? Konnten gebrechliche Kähne den Wogen widerstehen, die den Great-Eastern so arg hin und her warfen? Und wie lange Zeit war seit der Katastrophe verflossen? Konnte nicht auch der eigentliche Schauplatz des Schiffbruchs bei dem jetzt herrschenden Winde weiter im Westen sein? War dieser Rumpf nicht schon seit geraumer Zeit unter dem Einfluß aller möglichen Strömungen und Brisen umhergetrieben? Alle diese Fragen entzogen sich jeder Beantwortung.

Als unser Dampfer an dem Hintertheil des desolaten Fahrzeuges hinstrich, las ich deutlich auf seinem Spiegel den Namen »Lerida«, aber eine Bezeichnung seines Anlegehafens war nicht vorhanden. Die Matrosen an [46] Bord erklärten, daß seine erhabene Form und das eigenthümliche Ueberschießen des Vorderstevens auf einen amerikanischen Bau schließen lasse.

Ein Kauffahrtei- oder Kriegsschiff hätte nicht gezögert, den Rumpf mit seiner jedenfalls sehr werthvollen Ladung zu bemannen, da die Seegesetze unter solchen Umständen den Bergern ein Drittel des Werthes zusprechen, aber der Great-Eastern hatte einen regelmäßigen Dienst zu versehen und konnte deshalb nicht einige Tausend Meilen weit dieses Wrack in's Schlepptau nehmen; ebenso unmöglich war es, noch einmal umzukehren und es in einen sicheren Hafen zu geleiten. Man mußte das Schiff, zum großen Bedauern der Matrosen, seinem Schicksal überlassen, und bald sah man nichts weiter von ihm, als einen großen, schwarzen Punkt am Horizont, der kleiner und kleiner wurde und nach und nach ganz verschwand. Die Passagiere gingen theilweise in die Säle, theilweise in ihre Cajüten zurück, und konnten nicht einmal durch die Lunchtrompete aus ihrem Schlaf oder aus der tiefen Niedergeschlagenheit der Seekrankheit erweckt werden.

Gegen zwölf Uhr ließ Kapitän Anderson die beiden Focksegel und das Besansegel beisetzen, und das so besser geschützte Schiff fuhr jetzt ruhiger. Die Matrosen machten auch einen Versuch, das auf seinem Giekbaum eingerollte Briggsegel nach einem neuen System aufzustellen, aber es war dies jedenfalls »zu neu«, denn es gelang absolut nicht, das Segel auf diese Weise nutzbar zu machen, und so blieb es die ganze Reise über ungebraucht.

10. Capitel

Zehntes Capitel
Das Leben an Bord und physiognomische Studien, mit Randglossen von Doctor Pitferge.

Trotz der unregelmäßigen Bewegungen des Dampfers organisirte sich bald das Leben an Bord, und dies ist bei den Angelsachsen nicht gerade schwierig. Der Engländer sieht das Schiff als seine Wohnung, seine Straße, sein Geschäftslocal an, das sich mit ihm von der Stelle bewegt, er fühlt sich zu Hause, während man jedem Franzosen sofort ansieht, daß er reist.

Wenn das Wetter schön war, promenirte eine große Gesellschaft auf den Boulevards, und all diese Spaziergänger, die trotz der Bewegungen des [47] Rollens ihre senkrechte Stellung beibehielten, sahen aus wie Betrunkene. Wenn die weiblichen Passagiere nicht auf das Verdeck stiegen, blieben sie in ihren Privatzimmern oder im Saal, von wo dann geräuschvolle Claviermusik ertönte. Noch muß ich bemerken, daß diese Instrumente hier auf hoher See so hohl klangen, daß selbst das Talent eines Liszt ihnen nicht rein klingende Harmonieen entlockt hätte. Der Baß versagte, wenn sich das Piano backbordwärts neigte, und die hohen Töne klangen jammervoll, sowie sich das Instrument nach dem Steuerbord bog. Um die hierdurch nothwendig entstehenden Lücken und Disharmonieen kümmerten sich die angelsächsischen Ohren jedoch äußerst wenig. Unter all diesen Claviervirtuosen fiel mir eine große, starkknochige Frau auf, die als ausgezeichnete Pianistin galt. Um sich die Lectüre ihres Musikstücks zu erleichtern, hatte sie alle Noten wie auch die Tasten des Claviers mit entsprechenden Nummern versehen, war die Note mit siebenundzwanzig numerirt, so schlug sie die Taste siebenundzwanzig an, war es Note dreiundfünfzig, Taste dreiundfünfzig, ohne sich auch nur im Geringsten um den Lärm der anderen Claviere, die in den Nebensälen erklangen, noch um sonstige Störungen zu kümmern. Sie hatte sogar nichts dagegen, wenn die eigensinnigen Kinder auf den von ihr gerade nicht benutzten Octaven mit den Fäusten herumhämmerten.

Während dieses Concerts nahmen die Nebenstehenden auf's Gerathewohl hier und da umliegende Bücher, und lasen auch wohl eine besonders interessante Stelle vor, die die lauschenden Zuhörer dann mit wohlgefälligem Gemurmel begrüßten. Auf den Sophas trieben sich gewöhnlich eine Masse jener amerikanischen und englischen Zeitungen herum, die immer schon alt aussehen, obgleich sie fast nie aufgeschnitten werden. Es ist höchst lästig, diese Blätter, mit denen man eine Fläche von mehreren Quadratmetern bedecken könnte, auseinanderzufalten, aber das Aufschneiden ist eben nicht Usus, und so unterbleibt es. Eines Tages hatte ich es wirklich über mich vermocht, unter diesen erschwerenden Umständen den »New-York-Herald« zu Ende zu lesen, und wie wurde ich dafür belohnt, als ich zur Rubrik »Personal« kam?


Leute aus dem Far-West an Bord des Great-Eastern. (S. 51)

»Herr X .... bittet hiermit das hübsche Fräulein Z ...., dem er gestern im Omnibus der fünfundzwanzigsten Straße begegnete, ihn morgen im Hotel St. Nicolaus, Zimmer No. 17, aufzusuchen; er wünscht sich mit ihr über Heirat und Liebe zu unterhalten.« Ob das hübsche Fräulein Z .... auf diese Offerte eingegangen ist, verlangte mich sehr wenig zu wissen.

[48] Ich brachte den ganzen Nachmittag beobachtend und plaudernd im großen Saal zu, und diese Unterhaltung muß wohl nicht uninteressant gewesen sein, denn auch Freund Pitferge gesellte sich zu mir.

»Haben Sie sich von ihrem Falle erholt? fragte ich ihn.

– Vollständig, lautete die Antwort, aber er kommt nicht vorwärts.

– Wer? Sie vielleicht?

[49] – Nein, unser Steamer; die Kessel der Schraube arbeiten schlecht, und so können wir nicht genug Druck gewinnen.

– Sie sind wohl sehr pressirt, in New-York anzukommen?

– Durchaus nicht; ich sehe die Sache nur vom Standpunkt des Maschinenbauers an. Was mich betrifft, so werde ich sehr bedauern, so bald schon von dieser Vereinigung von Originalen Abschied nehmen zu müssen, die der Zufall zu meinem Amüsement hier an Bord zusammengewürfelt hat.

– Originale? rief ich erstaunt, indem ich mir die Gesellschaft im Saale ansah; all diese Leute sehen ja aus, wie in derselben Form gebacken!

– Bah! meinte der Doctor, man sieht sofort, daß Sie hier Niemanden kennen. Die Species ist dieselbe, das will ich zugeben, aber in dieser Species – wie viel Abarten! Betrachten Sie sich gefälligst dort unten auf den Divans diese Gruppe ungenirt ausgestreckter Männer mit den Hüten auf dem Hinterkopf. Das sind Yankees reinster Race aus den kleinen Staaten Maine, Vermont oder Connecticut, einsichtsvolle, thätige Menschen sonst, obgleich sie sich etwas zu sehr von den Reverends beeinflussen lassen und es nicht genau damit nehmen, das Taschentuch beim Niesen vorzuhalten. Nun, mein lieber Herr, es sind richtige Sachsen und demzufolge gewandte, gewinnsüchtige Naturen! Wenn man zwei Yankees in ein Zimmer schließt, kann man sich darauf verlassen, daß nach einer Stunde Jeder dem Andern mindestens zwei Dollars abgewonnen hat.

– Ich will Sie in dieser Sache nicht weiter um das ›Wie‹ fragen, erwiderte ich lachend, können Sie mir aber vielleicht sagen, wer dort der kleine Mann mit den etwas zu kurzen Beinkleidern und dem langen Ueberrock ist, dessen Nase so auffallend an den Mond im ersten Viertel erinnert?

– Ein protestantischer Geistlicher und sehr considerabler Mann aus Massachusetts. Er will sich seine Frau, eine ehemalige Erzieherin, holen, die höchst vortheilhaft in einem berühmten Processe compromittirt worden ist.

– Und der große Melancholische; er scheint in tiefe Berechnungen versunken zu sein?

– Sie haben sich nicht getäuscht, er rechnet allerdings, und zwar ist dies seine stehende Beschäftigung; er rechnet fortwährend.

– Exempel und Aufgaben?

– Nein, er berechnet sein Vermögen – übrigens ein sehr considerabler Mann – er weiß in jedem Augenblick bis auf den Centime, was er besitzt, [50] obgleich er reich ist; ein ganzes Stadtviertel von New-York ist auf seinem eigenen Grund und Boden erbaut. Vor einer Viertelstunde hatte er 1.625,367 1/2 Dollars, jetzt aber hat er nur noch 1.625,367 1/4 Dollars.

– Wie kommt das?

– Weil er soeben eine Cigarre zu dreißig Sols geraucht hat.«

Doctor Dean Pitferge unterhielt mich mit seinen schlagfertigen Antworten so ausgezeichnet, daß ich mich beeilte, ihm noch weitere Fragen vorzulegen. Ich wies auf eine andere Gruppe, die sich in einer entfernten Ecke des Saales niedergelassen hatte

»Das sind Leute aus dem Far-West, berichtete Pitferge: der Eine, er sieht ungefähr aus, wie ein Kanzleirath, ist ein sehr considerabler Mann, Gouverneur der Chicagoer Bank; er trägt fortwährend ein Photographie-Album unter dem Arm, das die Hauptansichten seiner Heimatstadt enthält, auf die er sehr stolz ist. Und was wollen Sie? der Mann hat Recht. Im Jahre 1836 wurde Chicago in einer Wüste gegründet, und jetzt zählt es 400,000 Seelen – inclusive der seinigen natürlich. Neben ihm sehen Sie ein californisches Ehepaar; die junge, zarte Frau ist ganz allerliebst. Der Herr Gemahl, jetzt allerdings ein wenig überlackirt, ist vor Zeiten als Bauernknecht hinter dem Pfluge hergegangen, bis er auf den Gedanken kam, die Goldgeschiebe zu bearbeiten. Man kann nicht anders sagen, als daß er ....

– Ein sehr considerabler Mann ist, fiel ich ihm in's Wort.

– Das versteht sich! bekräftigte der Doctor ohne jede Empfindlichkeit; seine Activa beziffern sich nach Millionen.

– Und jenes große Individuum, das, wie ein Chinese an der Uhr, seinen Kopf immer auf und nieder bewegt?

– In dieser Persönlichkeit habe ich die Ehre, Ihnen den berühmten Universal-Statistiker Cokburn aus Rochester vorzustellen, versetzte Pitferge, nicht ohne einen gewissen triumphirenden Ton in seiner Stimme; er hat Alles gewogen, Alles gemessen, Alles quantitativ bestimmt und Alles berechnet. Fragen Sie ihn, wie viel Brod ein fünfzigjähriger Mann in seinem Leben aufgezehrt, oder wie viel Cubikmeter Luft er geathmet hat, und er wird Ihnen die Antwort nicht schuldig bleiben. Er weiß Ihnen zu sagen, wie viel Quartbände von den Worten eines Advocaten am Temple-Bar gefüllt werden würden, und wie viel Meilen ein Briefträger täglich macht, erstens Alles in Allem, und dann, wenn er nur Liebesbriefe austrägt. Er wird Ihnen [51] angeben, wie viele Wittwen pro Stunde über die Londoner Brücke gehen, und auf das Genaueste berechnen, welche Höhe eine Pyramide erreicht, die aus den im Laufe eines Jahres in der Union verzehrten Butterbröden gebaut wird ...«

Ohne allen Zweifel wäre der unerschöpfliche Doctor noch eine geraume Zeit in diesem Tone fortgefahren, aber andere Reisende zogen an unseren Augen vorüber und lenkten seine erklärenden Anmerkungen auf andere Bahnen.

»Wie viel verschiedene Typen unter dieser Menge von Passagieren! und doch keine einzige nichtssagende Physiognomie unter Allen, denn eine Reise wie diese macht Niemand ohne tieferen Beweggrund und complicirtere Lebensschicksale. Die Meisten werden wohl von dem Verlangen getrieben, sich auf amerikanischem Boden Vermögen zu erwerben, und vergessen dabei, daß ein rechter Yankee schon mit dem zwanzigsten Jahre seine Stellung gegründet hat, und sich mit fünfundzwanzig Jahren schon zu alt vorkommt, um den Kampf um's Dasein aufzunehmen.«

Unter diesen Abenteurern, Erfindern und Glücksrittern zeigte mir Dean Pitferge einige, die sofort mein Interesse erweckten. Hier erblickte ich einen gelehrten Chemiker, einen Rivalen Liebig's, der da behauptete, den ganzen Nährstoff eines ausgewachsenen Ochsen in eine Extracttafel von der Größe eines Fünffrankenstücks condensiren zu können; er ging mit der Absicht nach Amerika, aus den Wiederkäuern der Pampas Capital zu schlagen. Dort sah ich den Erfinder eines tragbaren Motors, der da eilte, sein Patent auf eine Pferdekraft im Gehäuse einer Taschenuhr in Neu-England auszubeuten. Ein Franzose aus der Rue Chapon transportirte 30,000 Puppen von Papiermaché hinüber, die mit sehr gelungenem, amerikanischem Accent »Papa« sagten; er zweifelte keinen Augenblick daran, daß sie ihn zum reichen Manne machen würden.

Und wie viele interessante Persönlichkeiten boten sich noch außer diesen Originalen dar, deren Pläne und abenteuerliche Absichten in tiefes Dunkel gehüllt waren. Flüchtete hier ein Kassirer vor seinem leeren Geldschrank? er ging vielleicht arglos mit dem neuerworbenen Freunde, einem verkappten »Detective«, umher, der ihn bei der Ankunft in New-York sofort verhaften würde. Wahrscheinlich befanden sich unter der Menge auch die berüchtigten Vermittler von höchst zweideutigen Geschäften, die allezeit leichtgläubige Actionäre finden, auch wenn ihre fingirten Gesellschaften die wunderbarsten [52] Namen führen, wie: »Oceanische Gesellschaft für Gaserleuchtung in Polynesien«, oder »Allgemeine Gesellschaft für unverbrennbare Kohlen«.

In diesem Augenblick wurde meine Aufmerksamkeit von einem jungen Paare angezogen, das augenscheinlich unter dem Eindruck der größten Langeweile zu stehen schien.

»Peruaner, lieber Herr, erklärte mein Cicerone, die jungen Leute sind seit einem Jahre verheiratet und haben seitdem ihr Eheglück in aller Herren Länder spazieren geführt. Sie verließen am Hochzeitsabend Lima, haben sich dann in Japan angebetet und vergöttert, in Australien geliebt, in Frankreich ertragen, in England gestritten und werden sich aller Wahrscheinlichkeit nach in Amerika scheiden lassen.

– Und wer ist jener schlank gewachsene Mann mit dem etwas hochmüthigen Gesicht, der gerade jetzt eintritt? Nach seinem kühn gedrehten Schnurrbart würde ich ihn für einen Officier halten.

– Er ist Mormone, antwortete der Doctor, ein Elder, Mr. Hatch, und Prediger in der Stadt der Heiligen. Welch schöner Menschenschlag! Sehen Sie das stolze Auge, die edle Physiognomie, und vergleichen Sie seine prächtige Haltung mit dem Gebahren dieser Yankees. Mr. Hatch kommt aus Deutschland und England zurück, wo er den Mormonismus mit Erfolg gepredigt hat; die Secte hat in Europa eine große Zahl Anhänger, denen sie gestattet, nach den Gesetzen ihres Landes zu leben.

– Jedenfalls ist ihnen in Europa die Polygamie untersagt, bemerkte ich.

– Natürlich, lieber Herr; glauben Sie übrigens nicht, daß für die Mormonen die Polygamie obligatorisch ist. Brigham Young besitzt einen Harem, weil ihm das eben convenirt, aber bei Weitem nicht alle seine Verehrer an den Ufern des Salzsees ahmen ihm nach.

– Wirklich? und Mr. Hatch?

– Mr. Hatch hat nur eine Frau und scheint zu finden, daß er reichlich genug an ihr hat. Er beabsichtigt übrigens, der Schiffsgesellschaft sein System an einem der nächsten Abende zu entwickeln.

– Er wird ein zahlreiches Auditorium finden, bemerkte ich.

– Das ist sehr möglich, bestätigte Pitferge, wenn ihm nämlich das Spiel nicht viel Zuhörer entzieht. Bekanntlich wird in einem Zimmer des Vorderdecks Bank gelegt, und zwar, wie es scheint, von einem Engländer mit so gemeinem, widerwärtigen Gesicht, wie mir's nicht leicht vorgekommen ist.

[53] Auch steht der Kerl in einem ganz abscheulichen Ruf; haben Sie ihn noch nicht bemerkt?«

Nachdem der Doctor seiner Schilderung einige Einzelheiten hinzugefügt hatte, glaubte ich den unangenehmen Menschen wiederzuerkennen, der mir heute Morgen durch seine unsinnigen Wetten aufgefallen war; meine Diagnose hatte mich also nicht getäuscht. Dean Pitferge theilte mir noch mit, daß er sich Harry Drake nenne, ein Kaufmannssohn aus Calcutta sei, und die liebenswürdigen Eigenschaften eines Raufbolds, Wüstlings und Spielers von Profession in sich vereinige. Er scheine seinen nahezu ruinirten Verhältnissen demnächst durch ein abenteuerndes Leben in Amerika aufhelfen zu wollen.

»Leute solcher Art finden immer ihre Kreise, fuhr Pitferge fort, und dieser hier hat schon seine Gesellschaft von Schuften um sich versammelt und bildet ihr würdiges Centrum. Unter dieser Clique ist besonders ein kleiner, untersetzter Mann mit rundem Gesicht, wulstigen Lippen, gekrümmter Nase und goldener Brille auffallend; es scheint ein deutsch-französischer Jude zu sein, der sich den Titel Doctor zulegt und, wie er sagt, nach Quebeck reist. Ich muß gestehen, daß er mir wie ein Schwindler der niedersten Sorte vorkommt.«

In diesem Augenblick berührte mich Dean Pitferge, der leicht von einem Gegenstand zum andern übersprang, mit dem Ellenbogen; ich sah nach der Saalthüre und bemerkte einen jungen Mann, der eine junge Dame von etwa siebzehn Jahren am Arm führte.

»Wohl jung verheiratet? fragte ich.

– Nein, lautete die leise, in fast zärtlichem Ton gesprochene Antwort, es ist ein verlobtes Paar, das nur die Ankunft in Amerika abwartet, um sich für immer anzugehören. Sie haben Beide soeben – natürlich mit Genehmigung der Familie – eine Rundreise durch Europa gemacht, und kehren mit dem glücklichen Bewußtsein zurück, daß sie ihr größtes Glück in der Vereinigung für dieses Leben finden werden. Ein herrliches Paar! Es ist ein wahres Vergnügen, sie anzuschauen. Ost sehe ich, wie sie sich über das Shine-Light der Maschine neigen und die Radumdrehungen zählen, die ihnen immer nicht rasch genug sind. Freilich, wenn unsere Dampfkessel so glühend geheizt würden, wie diese beiden jungen Herzen, das würde den Druck nicht wenig steigern!«

[54]

11. Capitel

Elftes Capitel.
Fabian schaut in das Kielwasser.

Noch an demselben Tage, um halb ein Uhr, heftete ein Untersteuermann folgende Notiz an die Thür des großen Saales:


Lat. 51°15' N.
Long. 18°13' W.
Dist.: Fastenet, 323 miles.

Dies bedeutete, daß wir uns um zwölf Uhr 323 Meilen von dem Leuchtfeuer zu Fastenet (dem letzten, das uns von der irländischen Küste gegrüßt hatte) befunden, und 51°15' nördl. Br., 18°13' westl. L. von dem Meridian von Greenwich gerechnet, passirt hatten. Auf solche Weise pflegte der Kapitän sein Besteck mitzutheilen, und die Passagiere lasen täglich die betreffende Notiz an derselben Stelle. Wenn man diese Angaben auf der Karte eintrug, konnte man dem Curse des Great-Eastern genau folgen. Bisher hatte er nur 323 Meilen in sechsunddreißig Stunden gemacht, was als durchaus ungenügend erklärt wurde, da ein tüchtiges Packetboot in vierundzwanzig Stunden nicht weniger als 300 Meilen durchläuft.

Nachdem ich mich von dem Doctor getrennt hatte, war ich den übrigen Theil des Tages mit Fabian zu sammen. Wir hatten uns auf das Hintertheil geflüchtet, um dort »auf dem Felde« spazieren zu gehen, wie Pitferge sich auszudrücken beliebte. Von hier aus betrachteten wir, einsam an dem Backbord lehnend, das weite Meer.


Zwei Verlobte am Gitter des Maschinenhaus. (S. 54.)

Penetrante, im Sprühregen der Wogen destillirte Gerüche stiegen bis zu uns empor; kleine, durch gebrochene Strahlen hervorgezauberte Regenbogen spielten durch den Schaum. Die Schraube brodelte vierzig Fuß unter uns, und wenn sie hervortauchte, schlugen ihre Flügel die Fluthen mit größerer Wucht, und ihr Kupfer leuchtete hell auf. Das Meer floß in wundervoller, smaragdgrüner Färbung dahin; das flockige Kielwasser, in welchem das Sprudeln der Schraube und der Schaufeln verschmolz, zeichnete sich weithin, gleichsam eine lange Milchstraße bildend, ab. Dieses eigenthümliche, flimmernde Weiß erschien mir wie ein ungeheurer, englischer Spitzenschleier auf blauem Grunde. Wenn die Möwen mit ihren weißen, schwarz[55] gerandeten Flügeln eilig darüber hinweg huschten, schillerte ihr Gefieder und leuchtete in raschem Reflex.

Fabian blickte in die Fluth hinab, ohne ein Wort zu sprechen; was erschaute er in diesem flüssigen Spiegel, der jeder Phantasie, jedem Blick andere Bilder vorgaukelt? Sah er ein flüchtiges Bild, das ihm ein letztes Lebewohl zuwinkte? gewahrte er einen in diesen Gegenströmungen ertränkten Schatten? Fabian erschien mir heute noch trüber gestimmt als gewöhnlich; ich wagte jedoch nicht, ihn um die Ursache seiner Traurigkeit zu befragen.

[56] Nachdem wir so lange von einander getrennt gewesen, war es an ihm, mir Vertrauen entgegen zu tragen, und ich mußte seine Mittheilungen geduldig abwarten.


Kapitän Corsican sieht Harry Drake. (S. 61.)

Er hatte mir von seinem Leben in Indien nur insofern erzählt, als es die Garnison, seine Jagden und Abenteuer betraf. Ueber Erlebnisse, die sein Geistes-oder Herzensleben tiefer angingen, hatte er bis jetzt gegen mich geschwiegen. Vielleicht gehörte er nicht zu denen, die ihre Schmerzen durch [57] Mittheilung zu erleichtern suchen; solche Naturen pflegen aber nur um so mehr darunter zu leiden.

Wir standen noch immer über das Meer geneigt, und als ich mich umwandte, sah ich, wie die großen Räder unter der Wirkung des Rollens abwechselnd aus dem Wasser auftauchten.

»Es ist wirklich wunderhübsch, so in's Kielwasser zu schauen, sagte plötzlich Fabian, nachdem wir eine Zeit lang geschwiegen hatten; man sollte glauben, die Wallungen und Kreise gefielen sich darin, Buchstaben zu schlingen und zu bilden! Sieh doch! immer wieder ein E und ein L? täusche ich mich, oder findest Du es auch? Nein, es waren jetzt richtig wieder dieselben Buchstaben! immer dieselben!«

Ich merkte sehr wohl, daß Fabians überreizte Einbildungskraft in diesen gaukelnden Gegenströmungen gerade das sah, was er sehen wollte. Was aber konnten diese Buchstaben für ihn bedeuten? Welche Erinnerungen riefen sie in seinem Herzen wach? Er lehnte wieder eine Weile schweigsam über dem Bord, dann rief er in hastigem, abgebrochenem Ton:

»Komm fort! dieser Abgrund zieht mich zu sich hinunter!

– Was hast Du, Fabian, was quält Dich, mein guter, lieber Freund? Und ich nahm seine beiden Hände in die meinen und schaute ihn besorgt an.

– Ich trage hier ein Leid mit mir herum, rief er auf seine Brust zeigend, ein Leid, an dem ich sterben muß. Es klang wie verhaltenes Schluchzen aus seiner Stimme.

– Ein Leid? und ohne Hoffnung auf Heilung?

– Hoffnungslos!«

Und bevor ich noch ein Wort hinzufügen konnte, hatte er sich abgewandt und stieg in den Saal hinab, um in seine Cajüte zurückzukehren.

[58]

12. Capitel

Zwölftes Capitel.
Corsican's Enthüllungen über Fabian's Vergangenheit. – Harry Drake.

Am folgenden Morgen, wir hatten Sonnabend, den 30. März, war das Wetter schön und ruhig; eine schwache Brise hatte sich aufgemacht. Die kräftig geschürten Feuer steigerten den Druck; die Schraube lieferte sechsunddreißig Umdrehungen in der Minute, und die Schnelligkeit des Great-Eastern überstieg jetzt zwölf Knoten.

Der Wind hatte nach Süden umgesetzt, und der Obersteuermann ließ die beiden Focksegel und das Besansegel aufspannen. Das besser gestützte Steamschiff rollte jetzt gar nicht mehr. Durch den schönen, sonnenhellen Himmel angelockt, fanden sich auf den Boulevards bald Damen in frischen Toiletten und muntere Kinder ein. Die Ersteren gingen spazieren, oder setzten sich – fast hätte ich gesagt »auf den schattigen Rasen unter die Bäume« –, und die Letzteren nahmen ihre seit zwei Tagen unterbrochenen Belustigungen wieder auf. Fröhliche Knaben spielten im wilden Galop Pferdchen, und wenn noch einige französische Soldaten mit den Mützen auf dem Hinterkopf und den Händen in den Taschen umhergeschlendert wären, hätte man sich auf einen französischen Promenadenplatz versetzt glauben können.

Um drei Viertel auf zwölf stiegen Kapitän Anderson und zwei Officiere auf die Brücken; das Wetter war zu Beobachtungen sehr günstig, und sie wollten dies benutzen, um die Höhe der Sonne aufzunehmen. Jeder der Herren hielt einen Spiegelsextanten in der Hand, und von Zeit zu Zeit visirten sie den südlichen Horizont, nach welchem die geneigten Spiegel ihres Instruments das Tagesgestirn überführen sollten.

»Zwölf Uhr«, sagte bald darauf der Kapitän.

Sofort ließ ein Steuermann die Schiffs-Uhr schlagen, und alle Uhren an Bord wurden nach der Sonne regulirt, deren Meridian-Durchgang soeben aufgenommen war.

Eine halbe Stunde später las man an der Thür des großen Saales folgende Beobachtung:


Lat. 51°10' N.
Long. 24°13' W.
Course: 227 Miles. Distance: 550.

[59] Wir hatten also seit dem gestrigen Tage um zwölf Uhr zweihundertsiebenundzwanzig Meilen zurückgelegt. In Greenwich war es in diesem Augenblick ein Uhr neunundvierzig Minuten, und der Great-Eastern befand sich fünfhundertundfünfzig Meilen von Fastenet. Das Wetter blieb andauernd heiter; alles leuchtete und glänzte bei dem Prangen der unverhüllten Sonne.

Diesen ganzen Tag bekam ich Fabian nicht zu Gesicht, und mehrmals näherte ich mich, von Besorgniß um ihn getrieben, seiner Cajüte und überzeugte mich, daß er dieselbe nicht verlassen hatte.

Wahrscheinlich war ihm das lebhafte Treiben auf dem Verdeck nicht angenehm, und er floh vor dem Tumult in die Einsamkeit seiner Cajüte. Ich traf jedoch seinen Freund, den Hauptmann Corsican, und ging etwa eine Stunde lang mit ihm spazieren. Es war viel unter uns von Fabian die Rede, und ich konnte mich nicht enthalten, dem Hauptmann zu erzählen, was sich gestern gegen Abend zwischen Mac Elwin und mir zugetragen hatte.

Corsican konnte bei meinen Worten nicht ganz seine Bewegung verbergen: »Vor noch nicht zwei Jahren hielt er sich für den glücklichsten Menschen auf der weiten Welt, und jetzt ist er der unglücklichste.«

Und nun theilte mir Archibald Corsican mit wenigen Worten mit, daß Fabian in Bombay die Bekanntschaft eines reizenden jungen Mädchens gemacht habe, dem er seine innige Liebe schenkte, und die ihn ebenso wieder liebte. Nichts schien sich einer Heirat der jungen Leute entgegenzustellen, als plötzlich ein anderer, vom Vater der Braut begünstigter Bewerber, der Sohn eines Geschäftsfreundes aus Calcutta, auftauchte und den Sieg über Fabian davon trug. Nicht etwa, daß Liebe von Seite des Bräutigams oder gar der Braut mit in's Spiel gekommen wäre! Das Ganze wurde von allen Theilen als eine Geschäftssache betrachtet, Hodges, ein harter, wenig liebenswürdiger Mensch, befand sich gerade in einer sogenannten Geschäftsklemme, und hoffte, daß diese Heirat Vieles wieder in's Geleise bringen würde. So opferte er ohne weiteren Bedenken das Glück der Tochter seinen Vermögensinteressen, und das arme Kind konnte nicht widerstehen. Man gab ihre Hand einem Manne, der ihr zuwider war, und von dem sie sehr wahrscheinlich nicht einmal geliebt wurde; es war eben ein Geschäft, und noch dazu ein schlechtes Geschäft. Am Tage nach der Hochzeit verließ das junge Paar Bombay, und von dieser Stunde an hat Fabian, der vor Schmerz außer sich gerieth und ernstlich erkrankte, den Gegenstand seiner Liebe niemals wieder gesehen.

[60] Als ich dies Alles gehört hatte, begriff ich wohl, daß das Leiden, an dem mein Freund krankte, ein sehr schweres sein mußte.

»Wie war der Name jenes jungen Mädchens? fragte ich.

– Ellen Hodges.

– Ellen! Dieser Name erklärte mir die Buchstaben, welche Fabian gestern im Kielwasser zu sehen glaubte.

– Und wie heißt der Gatte der armen Frau?

– Harry Drake.

– Drake! rief ich überrascht; aber dieser Mensch ist ja an Bord!

– Harry Drake hier auf dem Great-Eastern? wiederholte Corsican, indem er mich mit der Hand festhielt und mir in's Gesicht schaute.

– Ja, allerdings.

– Nun so gebe der Himmel, daß er und Fabian sich nicht begegnen, bemerkte der Hauptmann ernst. Glücklicherweise kennen sie einander kaum, oder vielmehr Fabian kennt Harry Drake nicht, er würde jedoch rasend werden, wenn man diesen Namen in seiner Gegenwart ausspräche.«

Ich erzählte nun Hauptmann Corsican, was ich von Harry Drake wußte, d.h. was mir der Doctor Dean Pitferge über ihn mitgetheilt hatte. Ich schilderte ihn als einen unverschämten Abenteurer und Scandalmacher, durch Spiel und Ausschweifungen ruinirt, und im Staude Alles zu thun, um das Glück zu erjagen. In diesem Augenblicke kam Harry Drake in unsere Nähe, und ich machte den Hauptmann auf ihn aufmerksam. In Corsican's Augen leuchtete es wild auf, und eine Zornesader schwoll auf seiner Stirn. Er wollte unwillkürlich eine drohende Geberde gegen den Schurken machen, aber ich hielt ihn noch rechtzeitig hiervon zurück.

»Der Kerl hat die ausgeprägteste Galgenphysiognomie, sagte er; wohin reist er?

– Man sagt nach Amerika, um dem Zufall abzutrotzen, was er durch Arbeit nicht erringen mochte.

– Arme Ellen! flüsterte der Hauptmann. Wo ist sie in diesem Augenblick?

– Vielleicht hat der Elende sie verlassen!

– Wie so? Ist sie nicht mit an Bord?«

An diese Möglichkeit hatte ich noch nicht gedacht; ich wies den Gedanken indessen sofort zurück. Ellen konnte nicht unter den Passagieren sein; sie wäre [61] dem forschenden Auge des Doctor Pitferge sonst nicht entgangen. Nein, gewiß; sie begleitete Drake auf dieser Reise nicht.

»Möchte Ihre Annahme richtig sein! entgegnete Corsican; der Anblick dieses armen, in so großes Elend gestürzten Opfers würde Fabian furchtbar ergreifen und könnte von den unberechenbarsten Folgen sein. Mac Elwin wäre ganz der Mann dazu, diesen Drake niederzuschlagen wie einen Hund. Da Sie wie auch ich Fabian's Freund sind, möchte ich mir einen Vorschlag in dieser Angelegenheit erlauben. Wir wollen uns das Wort darauf geben, ihn nie aus den Augen zu verlieren, so daß einer von uns immer bereit ist, zwischen ihm und seinem Nebenbuhler zu interveniren. Sie werden mich verstehen, wenn ich sage, daß eine Begegnung mit den Waffen in der Hand zwischen diesen beiden Männern unter jeder Bedingung vermieden werden muß. Verbietet ja hier wie überall das Gesetz einer Frau, den Mörder ihres Gatten zu heiraten, mag dieser auch noch so unwürdig gewesen sein.«

Ich begriff die Schlußfolgerung des Hauptmann Corsican sehr wohl; Fabian durfte hier nicht sein eigener Anwalt sein. Man mußte diesem »Vielleicht«, diesen möglicherweise kommenden Ereignissen aus weiter Ferne entgegensehen und sie in Berechnung ziehen. Eine Ahnung stieg in mir auf; konnte in diesem gemeinsamen Leben an Bord, bei diesen tagtäglich wiederkehrenden Begegnungen, die auffallende, lärmende Persönlichkeit Drakes meinem Freunde überhaupt entgehen? mußte nicht im Lauf der Zeit ein Zufall, eine Einzelheit, ein ausgesprochener Name, ein Nichts vielleicht den verhängnißvollsten Zusammenstoß herbeiführen? Ach, wie sehr hätte ich den Lauf unseres Schiffes beschleunigen mögen! Bevor ich mich von dem Hauptmann Corsican trennte, versprach ich ihm, über unseren Freund zu wachen und Drake zu beobachten, den auch er seinerseits nicht aus dem Gesicht verlieren wollte.

Gegen Abend trieb der Südwestwind den Nebel auf dem Ocean dichter zusammen, und die tiefe Dunkelheit auf dem Meere contrastirte eigenartig mit den glänzend erleuchteten Sälen, aus denen abwechselnd Romanzen und Walzer erschallten. Nach jeder Production ertönte lebhafter Applaus, der sich zu einem wahren Beifallssturme erhob, wenn der Possenreißer T .... am Clavier saß und mit den Allüren eines Coupletsängers seine Lieder »abpfiff«.

[62]

13. Capitel

Dreizehntes Capitel
Ein Sonntag an Bord.

Der 31. März war ein Sonntag. Wie wird dieser Tag an Bord vergehen? dachte ich; in England oder Amerika werden die taps und bars während der Stunde des Gottesdienstes geschlossen, das schon gezückte Messer des Fleischers zieht sich von dem Schlachtopfer zurück, das Backbrett des Bäckers zögert an der Thüre zum Backofen, das Feuer erlischt in jeder Werkstätte, und der Rauch entströmt voller den Fabrikschornsteinen. Die Läden werden geschlossen, die Eisenbahnzüge gehemmt, und die Kirchenthüren öffnen sich, Alles gerade dem entgegen, wie in Frankreich der Sonntag begangen wird.

Wir sollten den englischen Gebräuchen in dieser Beziehung huldigen; obgleich das Wetter prächtig und der Wind günstig war, ließ der Kapitän die Segel nicht aufhissen; man wäre dadurch zwar einige Knoten weiter gekommen, aber es hätte als »improper« gegolten. Es war mir sehr angenehm, daß man wenigstens den Rädern und der Schraube gestattete, ihre gewöhnlichen Umdrehungen zu machen; als ich aber einen orthodoxen Puritaner nach der Ursache dieser Toleranz fragte, antwortete er ernst:

»Man muß Achtung haben, Herr, vor Allem, was direct von Gott kommt. Der Wind ist in seiner Hand, der Dampf aber in der Hand des Menschen!«

Ich mußte mich wohl oder übel mit diesem Grunde zufrieden geben und setzte meine Beobachtungen an Bord weiter fort.

Die ganze Mannschaft war in Sonntagskleidern, und ich wäre nicht in Erstaunen gerathen, wenn man mir gesagt hätte, daß heute die Heizer im schwarzen Frack und weißer Weste arbeiteten. Die Officiere und Ingenieure trugen Gala-Uniform, und das Schuhwerk leuchtete in britischem Glanz und wetteiferte mit den frischgeputzten Mützen. Es schien, als wenn sich Alle mit Sternen chaussirt und coissirt hätten. Kapitän und Obersteuermann gaben auch hierin das Beispiel; sie gingen neu behandschuht, militärisch glänzend und parfümirt auf den Stegen spazieren, indem sie die Stunde des Gottesdienstes erwarteten.

[63] Das Meer war heute köstlich und lag in den Strahlen der ersten Frühlingssonne hell glitzernd vor uns; kein Segel war in Sicht, und so weit das Auge reichte, nahm der Great-Eastern das mathematische Centrum des weiten Horizonts ein. Um zehn Uhr läutete die Glocke an Bord langsam und in regelmäßigen Zwischenräumen. Der Glöckner, ein Steuermann im Sonntagsstaat, erzielte eine Art religiösen Wohlklanges, kaum erkannte man noch den metallisch schrillen Laut, mit dem die Schiffsglocke das Pfeifen der Kessel begleitete, wenn der Steamer inmitten der Nebel dahinfuhr. Unwillkürlich suchten die Augen den Dorfkirchthurm, der so zur Messe rief.

Sofort erschienen zahlreiche Gruppen, sonntäglich geputzte Damen, Herren und Kinder an den Thüren der Schanzläufer des Vorder- und Hintertheils. Die Boulevards füllten sich, und die Spaziergänger tauschten discrete Grüße unter einander aus. Ein Jeder hielt sein Gebetbuch in der Hand und wartete, bis das letzte Glockenzeichen den Beginn des Gottesdienstes verkündete. Eine Menge Bibeln wurden auf den Präsentirbrettern, auf denen sonst die Sandwiches 1 aufgethürmt lagen, herbeigebracht und auf den Tischen des Betsaales vertheilt.

Das große Speisezimmer des Hinterdecks erinnerte durch seine Länge und Regelmäßigkeit an das Hotel des Finanzministeriums in der Rivolistraße. Als ich eintrat, fand ich die Gläubigen schon zahlreich versammelt, und unter allen Anwesenden herrschte tiefes Schweigen. Am hinteren Ende des Saales befanden sich die Officiere und in ihrer Mitte der Kapitän Anderson. Mein Freund Dean Pitferge hatte den Platz neben mir eingenommen; seine lebhaften kleinen Augen liefen unaufhörlich über die ganze Gesellschaft hin, und ich behaupte kühn, daß er sich mehr aus Neugierde, denn aus Frömmigkeit hier eingefunden hatte.


Dr. Pitferge und Corsican. (S. 67.)

Um halb elf Uhr erhob sich der Kapitän und begann den Gottesdienst; er las in englischer Sprache ein Capitel aus dem alten Testament, und zwar das zehnte des Exodus. Nach jedem Verse murmelten die Anwesenden den folgenden Vers, und man konnte unter den vielen Stimmen deutlich den hellen Ton der Kinder, den Mezzosopran der Frauen und den Baryton der Männer unterscheiden. Dieser biblische Dialog währte etwa eine halbe Stunde und vollzog sich mit ruhigem Ernst und einfacher Würde. Der Kapitän, als erster [64] Gebieter hier nächst Gott, hatte ein Recht auf die Achtung selbst des Gleichgiltigsten aus der Versammlung und war wohl geeignet, dieser Menge gegenüber, die auf unermeßlichen Abgründen schwebte, die Functionen eines Geistlichen zu verrichten. Die Feier würde einen durchaus günstigen Eindruck hinterlassen haben, wenn sie sich hierauf beschränkt hätte aber als der Kapitän schloß, nahm ein Redner seine Stelle ein, der sich von Leidenschaft und Heftigkeit hinreißen ließ, wo Duldung und Sammlung geboten waren.

[65] Es war dies der bereits erwähnte intrigante, kleine Yankee, einer jener Geistlichen, deren Einfluß in den Staaten Neu-Englands so groß ist. Seine Predigt lag, wie man sofort merkte, durchgearbeitet und auswendig gelernt in seinem Kopfe vor, und er ergriff mit einer gewissen aufdringlichen Dreistigkeit diese Gelegenheit, um sie an den Mann zu bringen. Der liebenswürdige Yorick hätte es jedenfalls genau ebenso gemacht. Ich schaute zum Doctor Pitferge hinüber, aber er hatte keine Miene verzogen und schien entschlossen, das Feuer der Rede über sich ergehen zu lassen.

Der Geistliche knöpfte gravitätisch seinen Rock zu, legte den seidenen Hut auf den Tisch, zog sein Taschentuch hervor, mit dem er leicht seine Lippen berührte, überflog mit einem schnellen Blick die Versammlung und begann:

»Im Anfange schuf Gott Amerika in sechs Tagen und ruhte am siebenten.«

Hierauf zog ich es vor, mich zur Thür hinaus zu machen.

Fußnoten

1 Eine Art Butterbrode.

14. Capitel

Vierzehntes Capitel.
Die schwarze Dame.

Während des Lunch theilte mir Dean Pitferge mit, daß der Reverend seinen Text herrlich entwickelt habe. Sowohl die unterseeischen Torpedos, wie die Kriegswidder, Monitors und gepanzerten Forts hatten in seiner Rede manoeuvrirt, und er selbst sich mit der ganzen Größe Amerikas breit gemacht. Wenn es Amerika gefällt, so gepriesen zu werden, hülle ich mich in bescheidenes Schweigen.

Als ich zum nächsten Mal den großen Saal betrat, las ich folgende Notiz:


Lat. 50°8' N.
Long. 30'44' W.
Course: 255 miles.

Immer das gleiche Resultat; wir hatten bis jetzt erst 1100 Meilen zurückgelegt inclusive der dreihundertundzehn Meilen, die Fastenet von Liverpool [66] trennen; es war dies ungefähr ein Drittel der Reise. Den ganzen Tag verharrten männliche und weibliche Passagiere wie auch Officiere und Matrosen in derselben Ruhe, wie Gott der Herr nach Erschaffung Amerikas. Nicht ein einziges Clavier ertönte in den Sälen, und weder Schachfiguren noch Karten verließen heute ihre Futterale; der Spielsaal lag gänzlich verödet. An diesem Tage hatte ich Gelegenheit, mein Original, Doctor Dean Pitferge dem Hauptmann Corsican vorzustellen; Letzterer unterhielt sich ausgezeichnet bei Mittheilung der Geheimchronik unseres Steamers. Es kam Pitferge darauf an, zu beweisen, daß der Great-Eastern ein bezaubertes und verdammtes Schiff sei, das auf irgend eine verhängnißvolle Weise Unglück haben müsse. Die Sage von dem zusammengeschweißten Maschinenbauer gefiel Corsican ganz besonders, aber obgleich er als Schotte sehr für alles Wunderbare schwärmte, konnte er doch ein ungläubiges Lächeln nicht unterdrücken.

»Ich sehe, hub Doctor Pitferge an, daß Herr Hauptmann Corsican der Wahrheit meiner Aussagen nicht unbedingt traut.

– Nicht unbedingt? das wäre schon viel behauptet! versetzte Archibald.

– Werden Sie vielleicht mehr Glauben in meine Worte setzen, wenn ich Ihnen auf das Bestimmteste versichere, daß es in jeder Nacht auf diesem Schiffe spukt? fragte der Doctor plötzlich in ernsterem Tone.

– Wie? rief Corsican, also auch Gespenster mischen sich in diese Unglücksgeschichten? Sie wollen doch nicht behaupten, daß Sie solchen Unsinn wirklich für wahr halten?

– Ich halte für wahr, was mir glaubwürdige Leute erzählen, und die Aussage mehrerer wachthabender Officiere und Matrosen stimmten darüber überein, daß eine vage Gestalt, ein dunkler Schatten, in tiefster Nacht hier auf und nieder geht. Wie er hierher kommt? Niemand weiß es, und ebenso wenig kann sich irgend Jemand erklären, wie er wieder verschwindet.

– Beim heiligen Dunstan! rief der abenteuerlustige Officier, ich schlage vor, daß wir dem Gespenst nachspüren.

– Heute Nacht? fragte Pitferge.

– Wenn es Ihnen recht ist, schon diese Nacht, antwortete der Hauptmann. Wollen Sie uns dabei Gesellschaft leisten, mein Herr? wandte er sich an mich.

– Ich danke, erwiderte ich; man soll das Incognito so geheimnißvoller Wesen nicht stören. Uebrigens nehme ich an, daß unser Herr Doctor zu scherzen beliebt.

[67] – Ich denke nicht daran, zu scherzen, rief der starrköpfige Pitferge.

– Beantworten Sie mir eine Frage, Doctor; glauben Sie wirklich an die Todten, die hier Nachts auf dem Verdeck spazieren gehen sollen?

– Ich glaube, daß die Todten auferstehen, entgegnete Pitferge, und das mag um so wunderbarer klingen, als ich Arzt bin.

– Wie, Arzt? wiederholte erschrocken Hauptmann Corsican, und fuhr, wie von einer Natter gestochen, zurück.

– Beunruhigen Sie sich nicht weiter, Hauptmann, erwiderte liebenswürdig lächelnd der Doctor, auf der Reise practicire ich nicht. –«

15. Capitel

Fünfzehntes Capitel.
Schnellere Fahrt. – Unser Brautpaar.

Am folgenden Morgen, dem ersten Apriltage, lag das Meer unter den Strahlen der Sonne wie eine grünende Wiese vor uns. Die Wogen glitten weich und schmeichelnd dahin, und in dem milchweißen Kielwasser hüpften Delphine umher wie muntere Clowns.

Als ich dem Hauptmann Corsican begegnete, theilte er mir mit, daß das vom Doctor angekündigte Gespenst die vergangene Nacht nicht zu erscheinen geruht hätte; vielleicht war ihm die Finsterniß nicht dicht genug gewesen. Mir kam der Gedanke, ob diese ganze, sonderbare Geschichte nicht vielleicht auf eine Mystification Pitferge's hinausliefe, denn solche Scherze sind in England und Amerika am 1. April an der Tagesordnung. Auch auf dem Schiffe fehlte es nicht an Spaßvögeln und Foppern, wie andererseits an Genarrten, Einige lachten, Andere wurden böse; ja, es fielen sogar hier und da ziemlich handfeste Faustschläge. Da diese aber unter Angelsachsen niemals Schwertschläge nach sich ziehen (in England wird bekanntlich das Duell äußerst strenge geahndet), gingen diese »Reibungen« ohne weitere Folgen vorüber. Nicht einmal Officiere oder Soldaten dürfen einen Zwist im Zweikampf ausfechten, unter welchem Vorwande dies auch geschehen möge; der Mörder wird unter solchen Verhältnissen zu den entehrendsten Strafen verurtheilt, und ich erinnere [68] mich, daß der Doctor mir einen Officier namentlich aufführte, der bereits zehn Jahre im Bagno schmachtet, weil er seinen Gegner in ganz loyalem Zweikampf tödtlich verwundet hatte. Bei diesen übertriebenen Gesetzen ist es leicht begreiflich, daß das Duell gänzlich aus dem britischen Leben geschwunden ist.

Bei dem heutigen hellen Wetter ging die Mittagsbeobachtung sehr gut von Statten. Sie ergab als Breite 48°47', als Länge 36°48', und als vom Great-Eastern zurückgelegte Strecke nur zweihundertundfünfzig Meilen. Der mittelmäßigste transatlantische Dampfer hätte das Recht gehabt, uns seine Bugsirleine anzubieten. Dem Kapitän Anderson war dies im höchsten Grade fatal; der Ingenieur schrieb der ungenügenden Ventilation der Kessel diesen Mangel an Druck zu, und ich war der Ansicht, daß der kleine Durchmesser der Räder, den man unvorsichtiger Weise verringert hatte, an der langsamen Bewegung des Dampfschiffes Schuld war.

Wir begannen jedoch an diesem Tage schneller von der Stelle zu kommen, was mir zuerst durch unser junges Brautpaar kund gethan wurde, das fröhlich flüsternd an den Steuerbordverschanzungen lehnte und lächelnd nach den Auslaßrohren schaute, die sich längs der Schornsteine erhoben und aus deren Mündung ein leichter, weißer Rauch emporwallte. Der Druck in den Dampfkesseln der Schraube war gestiegen, und die mächtige Kraft, von einundzwanzig Pfund pro Quadratzoll, überwältigte das Gewicht der Ventile. Es war erst ein schwacher Hauch, ein leises Wehen und Athmen, aber die jungen Leute verzehrten es förmlich mit ihren Blicken. Denis Papin konnte nicht glücklicher gewesen sein, als er sah, daß sich der Deckel seines berühmten Fleischtopfes zu heben und zu senken begann.

»Sie rauchen! jetzt rauchen sie wirklich! rief die junge Miß jubelnd.

– Laß uns die Maschine ansehen!« schlug der junge Mann vor, indem er den Arm der Braut in den seinigen legte.

Dean Pitferge war zu mir herangetreten; wir folgten dem jungen Pärchen bis zum großen Gesellschaftssaal.

»Wie schön sie ist, die Jugend! begann er wieder.

– Ja, antwortete ich, die Jugend zu zweien nämlich!«

Bald standen auch wir an das Shine-Light der Schraubenmaschine gelehnt; da bemerkten wir im Grunde des tiefen Raumes, etwa sechzig Fuß unter uns, die vier langen, horizontalen Pleuelstangen, die aufeinander [69] zuzustürzen schienen und sich bei jeder Bewegung mit einem Tropfen Oel anfeuchteten.

Der junge Mann hatte indessen seine Uhr hervorgezogen, und das an seiner Schulter lehnende junge Mädchen folgte mit gespanntem Auge dem Secundenzeiger. Während sie beobachtete, zählte ihr Geliebter die Umdrehungen der Schraube.

»Eine Minute! sagte sie jetzt.

– Siebenunddreißig Umdrehungen! constatirte der junge Mann.

– Siebenunddreißig und eine halbe, berichtigte der Doctor, der den Vorgang controlirt hatte.

– Und eine halbe! rief die junge Miß; hörst Du, Edward? Danke herzlich«, fügte sie, zum würdigen Pitferge gewendet, höflich hinzu, indem sie ihm mit dem holdesten Lächeln lohnte.

16. Capitel

Sechzehntes Capitel.
Abendunterhaltung und musikalische Soirée.

Als ich wieder den großen Saal betrat, bemerkte ich folgendes Programm, das an der Thür befestigt war:



[70] Es war, wie man sieht, die Ankündigung eines vollständigen Concertes mit erstem Theil, Zwischenact, zweitem Theil und Finale. Irgend Etwas mußte aber trotzdem daran fehlen, denn als ich es bis zu Ende gelesen hatte, hörte ich Jemanden hinter mir murmeln:

»Ein schönes Programm! nichts von Mendelssohn!«

Ich wandte mich um und erblickte zu meiner Ueberraschung einen schlichten deutschen Kellner, der in solcher Weise gegen die Fortlassung seiner Lieblingsmusik protestirte.

Ich begab mich wieder auf's Verdeck, um Mac Elwin aufzusuchen, denn Corsican hatte mir soeben mitgetheilt, daß Fabian seine Cajüte verlassen habe, und ich wollte ihn gern aus seiner Isolirung herausreißen. Bald begegneten wir ihm auf dem Vorderdeck des Steamers und plauderten eine Zeit lang, ohne daß er jedoch eine Anspielung auf die Erlebnisse seiner Vergangenheit gemacht hätte. Zuweilen war er stumm und nachdenklich, wie in tiefes Sinnen versunken; er schien dann nicht auf meine Worte zu hören und drückte seine Hand fest auf die Brust, wie um dort einen Schmerz zusammenzupressen. Während wir spazieren gingen, kam Harry Drake mehrmals, wie gewöhnlich lärmend und gesticulirend, an uns vorüber. Ob ich mich darin täuschte, weiß ich nicht, denn mein Geist war von vornherein eingenommen, aber es schien mir, als ob Drake meinen Freund mit einer gewissen, unverschämten Beharrlichkeit beobachtete. Auch Fabian mußte diese Bemerkung gemacht haben, denn er fragte mich:

»Was ist das für ein Mensch?

– Ich kenne ihn nicht, antwortete ich.

– Er mißfällt mir im höchsten Grade!« bemerkte Mac Elwin.

Setzt zwei Schiffe auf's offene Meer, ohne Wind, und ohne Strömung – sie werden schließlich aneinander stoßen. Werft zwei unbewegliche Planeten in den Weltenraum – sie werden aufeinander prallen, und bringt zwei Feinde in eine ungeheure Menschenmenge; sie werden sich unvermeidlich begegnen; es ist nur eine Frage der Zeit. Das Verhängniß will es so.


Ein hübscher Junge und Tenor. (S. 74.)

Als der Abend herangekommen war, fand das Concert nach dem mitgetheilten Programm statt. Der große Saal war glänzend erleuchtet und mit Zuhörern gefüllt; durch die halbgeöffneten Luken zeigten sich die sonnenverbrannten Gesichter und dicken, schwarzen Hände der Matrosen. Man hätte sie [71] für in die Decke eingelassene Masken halten können. Vor den halbgeöffneten Thüren standen dicht gedrängt die Stewards.

Die eigentlichen Zuschauer, Herren wie Damen, saßen auf den Divans an den Seiten, und in der Mitte des Saales auf Fauteuils, Klappsesseln und Stühlen, alle dem Clavier zugewandt, das zwischen den beiden Thüren stand, die zu dem Damensalon führten. Zuweilen entstand unter dem Auditorium durch das Rollen des Schiffes eine Bewegung; Stühle und Klappsessel glitten [72] aus, eine große Schlagwelle brachte alle Köpfe in dieselbe schwankende Bewegung; man hielt sich dann schweigend, ohne zu scherzen, einander fest, in Summa aber war, Dank der Bauart des Schiffes, kein Fall zu fürchten.

Das Concert begann mit der »Ocean Time«; dies war eine täglich erscheinende, politische, commercielle und literarische Zeitung, die von einigen Passagieren für die Bedürfnisse an Bord gegründet war. Bei Amerikanern und Engländern ist diese Art Zeitvertreib sehr beliebt. Das Blatt wird während [73] des Tages redigirt, und wenn die Redacteure in Bezug auf ihre Artikel nicht besonders difficil sind, so kann man dies von den Lesern noch weniger behaupten. Das Publicum ist mit Wenigem zufrieden, ja sogar mit zu Wenigem.


Der Obersteuermann auf dem Stege. (S. 76.)

Die Nummer vom 1. April enthielt einen ziemlich schwerfälligen Leitartikel, allgemeine Politik betreffend, und verschiedene Thatsachen, die einem Franzosen wohl kaum ein Lächeln abgenöthigt hätten, wenig scherzhafte Börsencourse, sehr naive Telegramme, und einige ziemlich matte, geflügelte Worte. So viel stand fest, daß all diese Scherze nur die, von denen sie ausgingen, entzückten.

Der sehr ehrenwerthe Herr Mac Alpine, ein amerikanischer Dogmatiker, las sehr selbstgefällig seine wenig geistreichen Ausarbeitungen und endete seine Lectüre mit folgenden Nachrichten:

»Soeben wird gemeldet, daß Präsident Johnson zu Gunsten des General Grant abgedankt hat.

– Man giebt als gewiß aus, daß Papst Pius IX. den kaiserlichen Prinzen zu seinem Nachfolger bestimmt hat.

– Ferdinand Cortez soll Napoleon III. wegen seiner Eroberung Mexico's der betrüglichen Nachahmung angeklagt haben.«

Als der »Ocean Time« genügender Beifall gezollt war, seufzte der sehr ehrenwerthe Mr. Ewing, ein hübsches junges Bürschchen, das sich als Tenorist aufspielte, mit der vollen Rauheit englischer Kehlen »die schöne Meeresinsel« herunter.

Das »Reading«, die Vorlesung hatte ihre unbestreitbaren Reize ein würdiger Texaner las ganz einfach zwei oder drei Seiten aus einem Buche vor; er begann mit leiser Stimme und endete dann sehr laut und pathetisch. Natürlich wurde ihm donnernder Applaus zu Theil.

Der Chant du berger für piano solo, ausgeführt von Mrs. Alloway, einer Engländerin, die, um mich eines Ausdrucks von Théophile Gautier zu bedienen, »en blond mineur« spielte, und eine schottische kleine Farce von Dr. T ...., endeten den ersten Theil des Programms.

Nach einem Zwischenact von etwa zehn Minuten, während dessen die Zuhörer geduldig auf ihren Plätzen verblieben, begann der zweite Theil des Concerts.

[74] Der Franzose Paul V ... spielte zwei ganz reizende, bisher noch nicht veröffentlichte Walzer, die rauschenden Beifall fanden; der Schiffsarzt, ein braunlockiger, sehr selbstgefälliger junger Mann, las eine burleske Scene vor, eine Art Parodie auf die »Dame von Lyon«, ein seiner Zeit in England sehr beliebtes Drama.

Dem »Burlesken« folgte das »Entertainment«. Was gedachte uns Sir James Anderson unter diesem Namen aufzutischen? eine Disputation, oder vielleicht eine Predigt? Nichts von dem Allen! Sir James Anderson erhob sich mit liebenswürdigem Lächeln, zog ein Spiel Karten hervor, streifte seine weißen Manschetten zurück, und machte mit solcher Anmuth und Grazie Kartenkunststücke, daß dies für ihre Naivetät reichlich Ersatz bot. Als unvermeidliche Folge auch dies Mal Hurrahs und lebhafte Beifallsrufe.

Nach dem »Happy moment« von Mr. Norville und einem Liede: »You remember«, gesungen von Mr. Ewing, kündigte das Programm »God save the Queen« an. Einige Amerikaner baten jedoch Paul V ..., ihnen das französische Nationallied vorzusingen, worauf denn mein gefälliger Landsmann das unvermeidliche »Partant pour la Syrie« anhob, aber von einer Gruppe Zuhörer aus den Nordstaaten energischen Einspruch erfuhr, da diese die Marseillaise wünschten.

Ohne sich weiter bitten zu lassen, und mit einer Nachgiebigkeit, die mehr auf musikalische Fertigkeit als individuelle politische Ueberzeugung schließen ließ, griff der folgsame Pianist kräftig in die Tasten und trug die Hymne Rouget de l'Isle's 1 vor.

Zum Schluß endlich stimmte die Versammlung stehend den englischen Nationalgesang »God save the Queen« an.

Alles in Allem konnte man von dieser Soirée sagen, was man so ziemlich von allen Dilettanten-Soireén sagen kann, daß sie für ihre Arrangeure und deren Freunde ganz den gewünschten Erfolg hatte.

Fabian war während des Abends im Saale nicht sichtbar gewesen.

Fußnoten

1 Joseph Rouget de l'Isle, Dichter und Componist der Marseillaise, † 1836.

17. Capitel

Siebenzehntes Capitel.
Hohe See und Nebel. – Entertainment des Kapitän Anderson.

Während der Nacht von Montag auf Dienstag ging das Meer außerordentlich hoch; die Deckzimmer ächzten wieder erbärmlich, und die Collis begannen von Neuem, in den Sälen auf und ab zu laufen. Als ich gegen sieben Uhr Morgens auf das Verdeck stieg, hatte sich ein frischer Wind aufgemacht, und es regnete. Der wachthabende Officier ließ die Segel reffen, und nun, da der Steamer nicht mehr gestützt wurde, begann er heftig zu rollen. Während dieses ganzen Tages, wir hatten den 2. April, war das Verdeck total verlassen, ja, sogar die Salons blieben leer. Die Passagiere hatten sich in die Cajüten geflüchtet, und beim Lunch und Mittagessen fehlten fast zwei Drittel der Gäste.

Jede Partie Whist war unmöglich geworden, denn die Tische glitten den Spielern unter den Händen fort; auch das Schachspiel verbot sich von selbst. Einige der Unerschrockensten lagen auf den Sophas und lasen oder schliefen, und die Matrosen gingen in Theerjacke und Regenmantel philosophisch auf dem Verdeck spazieren. Der Obersteuermann hielt, in seinen Kautschuk mantel gehüllt, auf dem Stege Wache; seine kleinen Augen glänzten vor Vergnügen bei diesen Regengüssen und Windstößen, er liebte solch' Wetter, und es schien fast, als rollte das Dampfschiff zu seinem ganz besondern Privatvergnügen.

Einige Kabellängen vom Schiffe ab verschwammen die Wasser des Himmels und der Erde in einen dichten Nebel; so weit man sehen konnte, Alles grau in grau; nur hier und da flogen einige Vögel schreiend durch den Sturm. Um zehn Uhr wurde von Steuerbord her eine Dreimaster-Barke signalisirt, die hinter dem Winde segelte; ihre Nationalität war jedoch nicht zu erkennen.

Gegen elf Uhr erschlaffte der Wind und drehte sich um zwei Viertel; die Brise wandte sich gegen Nordwest, und der Regen hörte fast plötzlich auf. Bald schien das Blau des Himmels hier und da durch die Wolken, die [76] Sonne brach sich Bahn und gestattete, genauere Beobachtungen anzustellen. Die Notiz an der Saalthür enthielt folgende Ziffern:


Lat. 46°29' N.
Long. 42°25' W.
Distance: 256 Miles.

Die Schnelligkeit des Great-Eastern hatte sich also, trotzdem der Druck in den Kesseln gestiegen war, nicht vermehrt, und hieran war der Westwind schuld, der das Schiff von vorn erfaßte und beträchtlich in seinem Gange hemmte.

Um zwei Uhr verdichtete sich der Nebel wieder, die Brise setzte abermals ein und wurde frisch, und der Nebel consolidirte sich dermaßen, daß die auf den Stegen postirten Officiere nicht mehr die Personen auf dem Vordertheil des Schiffes sehen konnten. Diese über der Fluth zusammengeballten Dünste machen die größte Gefahr der Schifffahrt aus; sie verursachen Zusammenstöße, die nicht vorhergesehen und daher nicht vermieden werden können, und ein solches Unglück ist noch furchtbarer als selbst eine Feuersbrunst.

Aus diesem Grunde wachten Officiere wie Matrosen mit größter Sorgfalt, und wie sich alsbald herausstellte, nicht umsonst. Gegen drei Uhr erschien ganz plötzlich, in etwa zweihundert Meter Entfernung von unserm Steamer, ein Dreimaster, dessen Segel durch ein Umspringen des Windes maskirt waren; steuern konnte er nicht mehr. Der Great-Eastern schwenkte bei Zeiten ab und ging ihm, Dank der Schnelligkeit, mit der der Steuermann ihn signalisirt hatte, aus dem Wege.

Die ausgezeichnet regulirten Signale wurden mit einer Glocke gegeben, die auf dem Deckzimmer des Vordertheils befestigt war. Wurde sie ein Mal angezogen, so bedeutete es: Schiff vorn. Zwei Mal: Schiff Steuerbord, und drei Mal: Schiff Backbord, und als bald steuerte der Mann am Ruderhause so, daß ein Zusammenstoß unmöglich wurde.

Der Wind wehte frisch, bis der Abend hereinbrach, trotzdem aber nahm das Rollen ab, denn das Meer wurde schon aus der Ferne durch die seichten Gründe von Neufundland gedeckt und konnte sich nicht mehr vollständig entwickeln. Auch wurde von Sir James Anderson für heute ein neues »Entertainment« angekündigt, und zur angesagten Stunde füllten sich von Neuem die Säle. Dies Mal aber gedachte er uns nicht mit Kartenkunststücken zu unterhalten, sondern erzählte uns von seiner Legung des transatlantischen Kabels. Er zeigte verschiedene photographische Aufnahmen von Maschinen, [77] die eigens für die Versenkung desselben erfunden waren, und ließ das Modell der Splissungen circuliren, die zum Aneinanderflechten der Kabel-Stücke gedient hatten. Kurz, er verdiente mit vollem Recht die drei Hurrahs, mit denen seine Mittheilungen aufgenommen wurden, und die auch zugleich dem sehr ehrenwerthen Cyrus Field galten, der bei dieser Soirée mit zugegen war.

18. Capitel

Achtzehntes Capitel.
Ankunft auf der Breite von Neufundland.

Am folgenden Tage, dem 3. April, zeigte der Horizont von den ersten Morgenstunden an eine eigenthümliche Färbung, die von den Engländern »Blink« genannt wird und eine weißliche Rückstrahlung von Eisblöcken ist, die sich hierdurch in nicht zu großer Entfernung verrathen. Wirklich durchdampfte der Great-Eastern gerade die Breiten, in denen die ersten losgelösten Eisberge schwimmen, die aus der Davisstraße kommen. Es wurde sofort eine Specialaufsicht organisirt, um ernstliche Berührungen mit diesen enormen Blöcken zu vermeiden.

Aus Westen wehte eine sehr starke Brise, und auf dem Meere fegten förmliche Ballen von Dünsten und Wolkenfetzen einher, durch die man ab und zu das Blau des Himmels erblicken konnte. Ein dumpfes Brausen ertönte aus den vom Winde zerzausten Wogen, und die pulverisirten Wassertropfen verspritzten im Schaum.

Weder Fabian, Hauptmann Corsican noch Doctor Pitferge waren bis jetzt auf dem Verdeck erschienen; ich begab mich also allein nach einem sehr comfortabeln Winkel auf dem Vordertheil des Schiffes, der hier durch eine Annäherung mehrerer Wände gebildet wurde, und nach dem sich ein Eremit gewiß gern zurückgezogen hätte. Hier setzte ich mich auf ein Traljeschott, stützte meine Füße auf einen ungeheuren Block und ließ den Wind, der dem Schiff entgegenkam und auf den Vordersteven zu wehte, über meinen Kopf hinweggehen. Es war so recht ein Platz zum Träumen. Von hier aus konnte ich das ganze ungeheure Schiff übersehen, indem ich seinen langen Linien, die sich nach der Mitte zu etwas neigten und am Hintertheil wieder [78] hoben, mit den Augen folgte. Auf dem ersten Plan sah ich einen Matrosen, der in den Wanten des Fockmastes hing und, während er sich mit einer Hand hielt, mit der andern sehr geschickt arbeitete. Darunter, auf dem Deckzimmer ging mit gespreizten Beinen der wachthabende Bootsmann auf und nieder und blickte hell und scharf unter seinen vom Nebel gerötheten Augenlidern hervor. Auf den Stegen des Hinterdecks bemerkte ich undeutlich einen Officier mit über den Kopf gezogener Kapuze, der sich mühsam gegen den Wind zu halten suchte. Von dem Meer sah ich gar nichts, außer vielleicht einer kleinen Linie bläulichen Horizontes, die hinter dem Radkasten herschimmerte.

Ein förmliches Zittern ging durch das Dampfschiff, als es, von seinen mächtigen Maschinen getrieben, die Fluthen mit scharfem Vordersteven durchschnitt, wie wohl die Wände eines Kessels erbeben, wenn das Feuer darunter tüchtig geschürt wird. Einige Dampfwirbel, die von der Brise mit großer Geschwindigkeit zusammengeballt und fortgeführt wurden, drehten sich am äußersten Ende der Auslaßrohre; aber das kolossale, gegen den Wind und auf drei Wellen getragene Schiff verspürte kaum die Bewegungen des Meeres, von denen ein gewöhnlicher transatlantischer Dampfer durch die Stöße des Stampfens arg erschüttert worden wäre.

Um halb ein Uhr ergab das Besteck nur 44°53' N. als Breite und 47°6' W. als Länge. In einem Zeitraum von vierundzwanzig Stunden hatten wir nur zweihundertsiebenundzwanzig Meilen zurückgelegt! Das junge Brautpaar mußte unwillig werden über unsere Räder, die sich nicht bewegen wollten, unsere Schraube, deren Drehungen erlahmten, und den ungenügenden Dampf, der nicht nach ihren Wünschen arbeitete.

Gegen drei Uhr hatte der Wind den Himmel klar gefegt, und der Horizont schien sich um den Great-Eastern zu erweitern. Die Brise erschlaffte mehr und mehr, aber das Meer hob sich in langen, seltsam grünen, schaumgekränzten Wogen. Ein so unbedeutender Wind konnte nicht so starke hohe See heraufbeschwören, er stand mit diesen enormen Wellenbewegungen nicht im Verhältniß. »Vielleicht grollt der Ocean noch!« dachte ich.

Um drei Uhr wurde an Backbord ein Dreimaster signalisirt; er schickte seine Nummer und erwies sich als ein Amerikaner, der nach England fuhr. Es war der »Illinois«.

Lieutenant H ... theilte mir mit, daß wir jetzt über die Ausläufer der Bank von Neufundland hinwegsegelten; dies sind die Untiefen, in denen der [79] so reiche Kabeljau-Fischfang stattfindet. Wenn die Eier von nur dreien dieser Thiere sämmtlich auskämen, würden die Fische hinreichen, um für England und Amerika genügende Nahrung zu liefern.

Der Tag verging ohne jeden Zwischenfall, und das Verdeck wurde wie gewöhnlich von seinen regelmäßigen Spaziergängern aufgesucht.

Bisher waren Fabian und Harry Drake, über die Hauptmann Corsican und ich unserer Verabredung gemäß gewacht hatten, nicht aneinander gerathen. Am Abend vereinigten sich wieder die Gäste im Saal, und dieselben Vorstellungen und Gesänge, die nämliche Lectüre, immer von den gleichen Virtuosen, die ich mit der Zeit weniger mittelmäßig fand, ausgeführt, riefen neue Bravos und Beifalls-Acclamationen hervor. Eine sehr lebhafte Discussion entspann sich zwischen einem Anhänger der Nordstaaten und einem Texaner. Dieser Letztere wünschte sehr entschieden für die Südstaaten einen Kaiser, und die politische Debatte war auf dem besten Wege, in einen persönlichen Streit auszuarten, als die Ankunft folgender imaginären Depesche an die »Ocean-Time« gemeldet und verlesen wurde: »Kapitän Semmes, Kriegsminister, hat die Verheerungen des Alabama von dem Süden bezahlen lassen!«

19. Capitel

Neunzehntes Capitel.
Fabian und die schwarze Dame.

Hauptmann Corsican und ich verließen den hellerleuchteten Saal und stiegen miteinander auf's Verdeck. Die Nacht war außerordentlich finster, kein Stern am Firmament zu sehen, und rings um das Schiff lag undurchdringlicher Schatten auf dem Meer. Die Fenster der Gesellschaftszimmer glänzten wie Ofenfeuer in das Dunkel hinein; die Wachthabenden waren kaum zu erkennen, wie sie schwer auf dem Deck auf- und niederschritten, und wir Beide sogen in vollen Zügen die frische Luft ein.

»Ich bin fast im Saale erstickt, sagte Archibald; hier schwimmt man doch wenigstens in freier Atmosphäre; das wirkt belebend! Wenn ich nicht alle vierundzwanzig Stunden mindestens meine hundert Cubikmeter reine Luft bekomme, kann ich nicht existiren.

[80] – Dann athmen Sie hier recht nach Herzenslust, Hauptmann, erwiderte ich, Sauerstoff ist eine schöne Sache, die unsere Pariser und Londoner eigentlich nur dem Namen nach kennen.

– Sie ziehen den Kohlenstoff vor, bemerkte Corsican; nun, Jeder nach seinem Gusto; was mich betrifft, so ist er mir sogar im Champagner zuwider.«


Die schwarze Dame. (S. 83.)

Während wir so miteinander plauderten, gingen wir, durch die hohe Wand der Gesellschaftszimmer vor dem Winde geschützt, am Steuerbord [81] entlang. Dicke, funkenhaltige Rauchwirbel drangen aus den schwarzen Schornsteinen, das Getöse der Maschinen begleitete das Pfeifen der Brise in den eisernen Wanten, daß sie wie die Saiten einer Harfe erklangen, und von Viertelstunde zu Viertelstunde ertönten die Rufe der Matrosen an Bord: »All's well! All's well!« (Alles in Ordnung! Alles in Ordnung!)

Keine Vorsicht für die Sicherheit des Schiffes in diesen von Eisblöcken heimgesuchten Breiten war vernachlässigt worden. Der Kapitän ließ nach Verlauf jeder Viertelstunde einen Eimer Wasser schöpfen, um die Temperatur desselben zu prüfen, und hätte, im Fall diese sich als zu niedrig herausstellte, keinen Augenblick angestanden, die Route zu wechseln. Er wußte sehr wohl, daß vierzehn Tage vorher der »Pereire« unter dieser selben Breite von Eisbergen blokirt worden war, und dies war eine Gefahr, die durchaus vermieden werden mußte.

Uebrigens schrieb auch die Nachtordnung auf dem Schiffe eine strenge Wachsamkeit vor. Der Kapitän selbst begab sich nicht zur Ruhe, und zwei Officiere, der eine an den Rädersignalen, der andere an denen der Schraube, blieben ihm auf dem Stege zur Seite. Außerdem hielten zwei Mann auf dem Logis des Vorderdecks Wache, während ein Bootsmann und ein Matrose sich an dem Vordersteven des Dampfschiffes aufhielten. Die Passagiere hatten keine Ursache, sich zu beunruhigen.

Nachdem Hauptmann Corsican und ich all diese Anordnungen beobachtet hatten, kehrten wir nach dem Hinterdeck zurück; wir wollten, bevor wir in unsere Cajüten zurückgingen, noch einige Zeit auf dem großen Deckzimmer zubringen, wie wohl friedliche Städter noch auf einem Marktplatze promeniren, ehe sie sich in ihre Häuser zurückziehen.

Auf den ersten Blick schien der Ort vollständig leer zu sein; bald jedoch, als sich unsere Augen mehr an die Dunkelheit gewöhnt hatten, bemerkten wir eine einsame Gestalt, die auf das Geländer gestützt stand und unbeweglich vor sich hinstarrte.

»Es ist Fabian«, flüsterte Corsican mir leise zu.

Ja, er war es wirklich, aber obgleich wir Beide ihn bemerkt und erkannt hatten, sah er uns nicht und blickte noch immer, wie in stummer Betrachtung verloren, nach einem Winkel des Verdecks. Wonach sah er dort? Wie konnten seine Blicke die tiefe Dunkelheit durchdringen? Ich hielt es für besser, ihn nicht zu stören, aber der Hauptmann näherte sich ihm und rief:

[82] »Fabian?«

Fabian antwortete nicht, und Corsican rief von Neuem. Da zuckte Fabian zusammen, wandte uns für einen Augenblick sein Gesicht zu und sagte ein einziges Wort:

»Still!«.

Dabei zeigte er mit der Hand auf einen Schatten, der sich langsam am äußersten Ende des Verdecks hin und her bewegte. Nach dieser kaum sichtbaren Gestalt hatte Fabian geblickt, und jetzt flüsterte er uns traurig lächelnd zu:

»Die schwarze Dame!«

Ich bebte unwillkürlich zusammen. Hauptmann Corsican ergriff mich am Arme, und ich fühlte, daß auch er zitterte. Derselbe Gedanke war im selben Augenblick uns Beiden gekommen: Dieser Schatten war die Geistererscheinung, von der Doctor Pitferge gesprochen hatte.

Fabian war wieder in seine Träumerei zurückversunken, und ich schaute weit vorgebeugt, mit wirrem Blick auf die kaum verwischte, menschliche Gestalt, die sich dort vor unsern Augen hin und her bewegte und, je länger wir hinsahen, umso deutlicher von der Dunkelheit ringsumher abzeichnete. Sie glitt näher heran, blieb zögernd stehen, ging weiter, und das Alles unhörbar und mehr schwebend als wirklich schreitend. Eine irrende Seele! Etwa zehn Schritte von uns entfernt blieb sie regungslos stehen, und ich konnte die Gestalt einer schlanken, in eine Art engen, dunklen Burnus gehüllten Frau unterscheiden, ihr Gesicht war von einem dichten Schleier verhüllt.

»Eine Wahnsinnige? nicht wahr?« flüsterte Fabian leise vor sich hin.

Sie war wirklich wahnsinnig, aber Fabian hatte uns nicht gefragt, er sprach nur zu sich selbst.

Unterdessen näherte das arme Geschöpf sich uns mehr und mehr; ich glaubte ihre glänzenden Augen unter dem Schleier zu erkennen; jetzt schauten sie mit festem, starrem Blick auf Fabian; sie ging bis unmittelbar zu ihm heran und legte plötzlich, unerwartet ihre Hand auf sein Herz. – Wenige Augenblicke tiefen Schweigens – es war, als ob sie die Schläge seines Herzens zählte – dann wandte sie sich eilig und verschwand durch die Hinterthür des großen Verdeckzimmers.

[83] Fabian brach außer sich zusammen; er streckte die Hände nach ihr aus und wäre fast in die Knie gesunken.

»Sie!« flüsterte er.

Dann schüttelte er wieder, wie zweifelnd, den Kopf und fügte hinzu:

»Es muß eine Sinnestäuschung sein!«

Corsican versuchte, ihn wieder aufzurütteln:

»Komm, Fabian«, rief er, ergriff ihn an der Hand und nahm seinen unglücklichen Freund mit sich fort.

20. Capitel

Zwanzigstes Capitel.
Ellen. – Die Lootsen-Pause. – Der Mormonen-Prediger.

Für Corsican und mich war kein Zweifel mehr möglich, wir hatten Ellen, die Verlobte Fabian's, die Frau Harry Drake's gesehen. Wie wunderbar, daß diese drei Personen hier vom Schicksal zusammengewürfelt waren! Und doch, obgleich Fabian sie einen Augenblick wiederzuerkennen meinte, hatte er ihre Erscheinung gleich darauf für ein Phantasiegebilde gehalten und glaubte nicht an ihre Gegenwart. In einer Beziehung aber täuschte er sich nicht; er hatte gerufen: »Eine Wahnsinnige!« und irrsinnig war sie. Schmerz und Verzweiflung über ihre getödtete Liebe, über ihre Verbindung mit dem unwürdigen Mann, der sie Fabian entrissen, der gänzliche Einsturz ihres Glücks hatten den armen Geist gestört.

Am andern Morgen sprach ich hierüber mit Hauptmann Corsican; über die Indentität der jungen Frau war auch er im Klaren, es war Ellen, die von ihrem Gatten nach dem amerikanischen Continent geschleppt wurde, und die er auch dort in sein abenteuerliches Dasein mit verflechten wollte. Des Hauptmanns Blick flammte düster auf, als er hieran dachte, und auch ich fühlte, wie mein Herz sich bei dieser Erwägung wild aufbäumte. Was vermochten wir Beide gegen den Gatten, ihren Gebieter? – Nicht das Geringste!

Wenn Fabian Ellen wiedersah, würde er jedenfalls seine Verlobte erkennen und die Katastrophe herbeiführen, die wir so gern vermieden hätten.

[84] Jedenfalls also mußte es unser Bestreben sein, ein neues Begegniß zwischen ihnen zu verhindern. Es schien jedoch, als sei ein Wiedersehen der beiden unglücklichen Menschen nicht zu befürchten; Ellen erschien weder während des Tages noch am Abend auf dem Verdeck oder in den Salons; nur in tiefster Nacht mochte sie ihrem Kerkermeister entrinnen, um ihr armes Haupt in feuchter Luft zu baden und in dem kühlen Seewinde Linderung ihres Geschicks zu suchen.

In vier Tagen spätestens mußte der Great-Eastern das Fahrwasser von New-York erreicht haben, und so konnten wir uns der Hoffnung hingeben, daß der Zufall unsere Pläne nicht vereiteln, und Fabian über Ellen's Gegenwart auf dem Schiffe in Unwissenheit bleiben würde. Diese Annahme sollte sich jedoch als trügerisch erweisen.

Das Dampfschiff hatte seine Richtung während der Nacht etwas verändert, da die Wasserproben drei Mal nur eine Temperatur von siebenundzwanzig Grad Fahrenheit, d.h. drei bis vier Grad Celsius unter Null ergaben. Man konnte die Nähe bedeutender Eisbänke nicht länger in Zweifel ziehen, und so war der Great-Eastern südlicher gegangen. Wirklich hatte der Himmel heute einen eigenthümlichen Glanz, die Atmosphäre war förmlich weiß, und der ganze Norden flimmerte, wie uns schien, von einer intensiven Rückstrahlung der Eisberge.

Eine scharfe Brise durchschnitt die Luft, und gegen zehn Uhr stäubten plötzlich kleine seine Schneeflöckchen auf das Schiff hernieder. Dann stieg eine Nebelbank empor, in der wir unsere Gegenwart durch wiederholtes Pfeifen signalisirten. Flüge von Möven, die auf den Raaen des Great-Eastern Ruhe gesucht hatten, wurden durch dies betäubende Geräusch aufgestört und flatterten wild davon.

Um halb elf Uhr, als der Nebel sich klärte, erschien am Horizont ein Schraubendampfer an Steuerbordsseite. Der weiße Ausläufer seines Schornsteins zeigte an, daß er der Juman-Gesellschaft, die den Auswanderer-Transport von Liverpool nach New-York besorgt, angehörte. Das Fahrzeug schickte uns seine Nummer, es war der »City of Limerick« von 1530 Tonnen Gehalt und zweihundertsechsundfünfzig Pferdekraft. Er hatte New-York am Sonnabend verlassen und befand sich demgemäß im Rückstande.

Vor dem Lunch organisirten einige Passagiere eine Poule (Einsatzspiel), die den Spiel- und Wettliebenden höchst willkommen war, das Resultat des [85] Spieles sollte erst nach vier Tagen bekannt gemacht werden, es war dies die sogenannte Lootsen-Poule. Es ist allgemein bekannt, daß, wenn ein Schiff auf der Höhe der Landfalling ankommt, ein Lootse an Bord steigt. Nun theilt man die vierundzwanzig Stunden des Tages und der Nacht nach der Zahl der Passagiere in achtundvierzig halbe oder sechsundneunzig Viertelstunden ein. Jeder Spieler setzt einen Dollar, und das Loos theilt ihm eine dieser halben oder Viertelstunden zu. Derjenige, in dessen Viertelstunde nun der Lootse den Fuß auf das Schiff setzt, hat die achtundvierzig oder sechsundneunzig Dollars gewonnen. Das Spiel ist, wie man sieht, sehr einfach; man hat es nicht mehr mit einem Pferderennen, sondern mit einem Viertelstundenrennen zu thun.

Der ehrenwerthe Mac Alpine, ein Canadier, nahm die Direction des Ganzen in die Hand. Bald hatten sich sechsundneunzig Wetter und unter ihnen sogar einige Wetterinnen gefunden (welche Letzteren übrigens nicht am wenigsten spieleifrig waren), und auch ich folgte dem allgemeinen Strom, setzte meinen Dollar und erhielt die vierundsechzigste Viertelstunde zugetheilt. Das war nun allerdings eine schlechte Nummer, die mir nicht viel nützen konnte. Die Zeiteintheilung wird nämlich von einem Mittag zum andern gemacht, es giebt folglich Tages- und Nachtviertelstunden. Die Letzteren sind so gut wie von gar keinem Werth bei dieser Angelegenheit, denn nur selten wagen sich die Schiffe in der Dunkelheit auf die Landfalling, und so sind die Chancen für die Aufnahme eines Lootsen während der Nacht sehr gering. Ich ergab mich jedoch leicht in mein Schicksal.

Als ich wieder in den Salon hinabstieg, sah ich, daß für den Abend eine Vorlesung angekündigt war. Der Missionär aus Utah wollte über den Mormonismus sprechen, und so schien sich eine günstige Gelegenheit zu bieten, in die Mysterien der Stadt der Heiligen einzudringen.

Uebrigens sollte der Elder, Mr. Hatch, die Gabe der Rede in hohem Grade besitzen und, wo er sprach, hinreißen und überzeugen. Die Ankündigung (wie gewöhnlich durch Anschlag bewerkstelligt) erfreute sich von Seiten der Passagiere einer sehr günstigen Aufnahme.

Das Besteck hatte folgende Ziffern ergeben:


Lat. 42°32' N.
Long. 51°59' W.
Course: 254 miles.

[86] Gegen drei Uhr Nachmittags wurde von den Steuermännern die Annäherung eines großen Steamers mit vier Masten signalisirt, der alsbald seinen Curs ein wenig änderte, um dem Great-Eastern seine Nummer abzugeben. Auch unser Kapitän ließ auf den Dampfer hinhalten, und dieser schickte uns seinen Namen. Es war die »Atlanta«, eins der großen Fahrzeuge, die den Dienst von London nach New-York versehen und in Brest anlaufen. Es sandte uns seine Grüße zu, und wir erwiderten dieselben, kurze Zeit nachdem das Schiff Bord an Bord mit uns gefahren war, verloren wir es aus den Augen.

Gleich darauf trat Pitferge zu mir, um mich höchst mißvergnügt zu benachrichtigen, daß Mr. Hatch die Vorlesung nicht halten würde, da die Puritanerinnen an Bord entschieden dagegen protestirten, daß ihre Ehemänner einen tieferen Einblick in die Geheimnisse des Mormonismus erhielten.

21. Capitel

Einundzwanzigstes Capitel.
Das Wettrennen. – Die beiden Feinde gerathen aneinander.

Um vier Uhr klärte sich der Himmel, der bis dahin bedeckt gewesen war, auf, das Meer wurde ruhiger, und das Schiff stellte sein Rollen ein; man hätte sich auf's feste Land versetzt glauben können. Durch diese Unbeweglichkeit des Great-Eastern kamen die Passagiere auf die Idee, einen Wettlauf zu arrangiren. Der Turf 1 von Epsom hätte keine bessere Rennlinie bieten können, und was die Pferde anlangte, so sollten sie in Ermanglung eines Gladiator oder la Touque durch Vollblutschotten ersetzt werden. Die Neuigkeit verbreitete sich bald, und sofort eilten die Sportsmen herbei, und die Passagiere verließen ihre Säle und Cajüten. Ein Engländer, der sehr ehren werthe Mac Karthy, wurde zum Commissar ernannt, und die Läufer stellten sich ohne Zögern vor. Es war ein halbes Dutzend Matrosen, eine Art Centauren, da sie zugleich Pferde und Jockeys sein sollten, und Alle vom besten Willen beseelt, dem Great-Eastern den ersten Preis abzugewinnen.

[87] Die beiden Strecken an den Boulevards bildeten die Rennbahn, und es wurde bestimmt, daß die Läufer drei Mal um das Schiff laufen, und somit eine Strecke von ungefähr 1300 Metern zurücklegen sollten.

Bald hatten sich die Tribünen oder vielmehr der Raum über den Deckzimmern mit Zuschauern gefüllt, die eifrig ihre Lorgnetten vor die Augen hielten und theilweise sogar – wahrscheinlich um sich vor dem Staube des Atlantischen Meeres zu schützen – grüne Schleier vorgezogen hatten. Die Equipagen fehlten leider, obgleich ein stattlicher Platz zu ihrer Aufstellung vorhanden gewesen wäre. Alle Damen hatten sich in pompöse Toiletten geworfen und drängten sich auf den Boulevards des Hinterdecks. Ihr Anblick war natürlich bezaubernd!

Fabian, Hauptmann Corsican, Doctor Dean Pitferge und ich hatten auf dem Boulevard des Vorderdecks Posto gefaßt. Hier waren die echten »Gentlemen-riders« zusammengekommen, da dieser Platz gewissermaßen die Einfriedigung des Wiegens bildete. Vor uns erhob sich der zum Zeichen für Ablauf und Ziel aufgestellte Pfahl. Bald wurden enthusiastisch Wetten abgeschlossen, deren größere oder geringere Wahrscheinlichkeit nach dem Aeußeren der Renner bemessen wurde, da frühere Erfolge von ihnen bis jetzt in keinem »Stud-Book« verzeichnet standen.

Nicht ohne eine geheime Unruhe bemerkte ich, wie auch Harry Drake sich mit seiner gewohnten Wichtigthuerei diesen Vorbereitungen hingab und seine Meinung in so unverschämt absprechender Weise kund that, daß eine Erwiderung kaum aufkommen konnte.


Corsican behandelte Drake mit größter Verachtung. (S. 92)

Fabian hatte zwar gleichfalls einige Pfund gewettet, verhielt sich aber bei all dem Lärm ziemlich indifferent und stand, wie immer mit schwermüthigem Ausdruck in dem bleichen Gesicht, bei Seite. Seine Gedanken waren augenscheinlich nicht mit der Angelegenheit des Tages beschäftigt.

Unter den Läufern hatten zwei in ganz besonderem Maße die öffentliche Aufmerksamkeit erregt, der Erste, ein Schotte aus Dundee, Namens Wilmore, war ein kleiner, magerer, milz- und knochenloser Mensch mit breiter Brust und feurig blickenden Augen, er hatte bereits ein sehr günstiges Vorurtheil für seine Leistungsfähigkeit erweckt. Der Andere, ein großer, schlank und kräftig ausschauender Irländer, hieß O'Kelly, war langbeinig, wie ein richtiges Rennpferd, und hatte, nach dem Urtheil der Kenner, mindestens ebenso viel Chancen für sich, wie Wilmore. Man proponirte ihn zu eins gegen drei, und [88] auch ich wollte mich eben verleiten lassen, im Vertrauen auf seine Kraft und Gewandtheit einige Dollars zu riskiren, als Pitferge mir zuraunte:

»Wetten Sie auf den Kleinen; Sie können mir glauben: der Große ist nicht qualificirt.

– Was wollen Sie damit sagen?

– Ich meine, O'Kelly ist kein Vollblut, antwortete ernsthaft der Doctor. Zuerst wird er aller Wahrscheinlichkeit nach sehr schnell laufen, aber er hat [89] keine Ausdauer. In dem kleinen Schotten jedoch ist Race; sehen Sie sich einmal seine gute Körperhaltung und den breiten Brustkasten an! Das ist ein Subject, dem solche Kraftanstrengung nichts Neues ist; er hat sich gewiß mehr als ein Mal mit Vorliebe im Lauf an Ort geübt, d.h. beim Springen von einem Fuß auf den andern mindestens zweihundert Bewegungen in der Minute gemacht. Wetten Sie auf ihn, Sie werden es nicht zu bereuen haben.«

Ich folgte wirklich seinem Rath und wettete auf Wilmore. Die vier Läufer außer den Genannten standen nicht in Frage.

Die Plätze wurden nun verloost, und der Irländer hatte das Glück' die Zielleine zu bekommen. Die sechs Renner stellten sich in eine Linie an der Grenze des Pfahls auf, und so war kein falscher Ablauf zu befürchten, was das Amt des Commissars sehr vereinfachte.

Das Signal wurde gegeben, und ein Hurrah begleitete den Ablauf. Die Kenner bemerkten augenblicklich, daß Wilmore und O'Kelly Schnellläufer von Profession waren, denn ohne sich auch nur im Mindesten um ihre Nebenbuhler zu kümmern, die ihnen mit aller Anstrengung vorauseilten, liefen sie mit vorgebeugtem Oberkörper, aber gerade aufgerichtetem Haupt, den Oberarm an's Brustbein gedrückt und die Handwurzeln leicht nach vorn gebogen, vorwärts, und begleiteten jede Bewegung des entgegengesetzten Fußes mit einer entsprechenden Bewegung der Hände. Sie waren barfuß, und ihre Ferse, die übrigens nie den Boden berührte, ließ ihnen die nothwendige Elasticität, um die angesammelte Kraft zu bewahren. Kurz, alle Bewegungen ihrer Gestalt entsprachen und vervollständigten einander.

Schon bei der zweiten Tour hatten O'Kelly und Wilmore, die immer auf derselben Linie blieben, ihren Gegnern, deren Athem bereits kurz geworden war, den Rang abgelaufen. Sie bewiesen mit Evidenz den Grundsatz des Doctors:

»Man läuft nicht mit den Beinen, sondern mit der Brust! Feste Kniekehlen, und gut auf den Beinen sein ist eine schöne Sache, aber eine gute Lunge gilt mehr!«

Bei der vorletzten Wendung begrüßten die Rufe der Zuschauer von Neuem ihre Lieblinge; von allen Seiten flogen ihnen Aufmunterungen, Hurrahs und Bravos zu.

[90] »Der Kleine wird gewinnen, er hat noch seinen vollen Athem, sagte Pitferge. Sehen Sie nur, wie der Große keucht!«

Wirklich sah Wilmore, wenn auch blaß, doch ganz ruhig aus, während O'Kelly schon dampfte wie ein feuchtes Strohfeuer. Er war, um einen Kunstausdruck der Sportsmen zu gebrauchen, »au fouet«, hielt sich jedoch noch immer mit Wilmore in derselben Linie.

Endlich waren sie an den großen Gesellschaftssaal gelangt, dann kamen sie an das Shine-Light der Maschine und nun zum dritten Mal an den Pfahl.

»Hurrah! Hurrah! Wilmore! riefen die Einen.

– Hurrah! O'Kelly! die Anderen.

– Wilmore hat gesiegt!

– Nein, sie kamen Beide zusammen an.

– Wilmore hat gewonnen, wenn auch höchstens um eine halbe Kopflänge«, entschied der sehr ehrenwerthe Mac Karthy. Viele jedoch wollten sich mit diesem Ausspruch nicht zufrieden geben und ergingen sich in Discussionen und derben Worten. Die Anhänger des Irländers, und unter ihnen ganz besonders Harry Drake, behaupteten, daß man es mit einem unentschiedenen Wettlauf, einem »Dead Head« zu thun habe, und verlangten, daß das Rennen noch einmal beginnen solle.

In diesem Augenblick bemerkte ich, wie Fabian sich, wahrscheinlich von einer unwillkürlichen Bewegung hingerissen, Harry Drake näherte und in kaltem Tone sagte:

»Sie sind im Unrecht, mein Herr, der schottische Matrose hat gesiegt.«

Drake trat heftig an Fabian heran:

»Was beliebt Ihnen? fragte er.

– Ich sage, daß Sie im Unrecht sind, antwortete Fabian ruhig.

– So? schrie Drake roh auflachend, wahrscheinlich weil Sie auf Wilmore gewettet haben!

– Ich habe, wie Sie, auf O'Kelly gewettet und werde natürlich bezahlen, was ich verloren habe, entgegnete Fabian.

– Herr, unterstehen Sie sich, mich hier zu belehren?« rief Drake wüthend, aber er vollendete seine Worte nicht; Hauptmann Corsican war bereits zwischen ihn und Fabian getreten, um den Streit auf eigene Rechnung weiter zu [91] führen, und behandelte Drake mit der größten Verachtung und dem unzweideutigsten Hohn.

Augenscheinlich jedoch wollte der Raufbold nichts mit Corsican zu thun haben, denn als dieser mit gekreuzten Armen vor ihm stand, wandte sich Drake an Fabian und sagte mit boshaftem Lächeln:

»Der Herr hat wohl seine Freunde nöthig, um sich zu vertheidigen?«

Fabian erbleichte und wollte auf Harry Drake zustürzen, aber ich hielt ihn mit aller Kraft zurück, während auf der anderen Seite Drake von seinen Spießgesellen fortgezogen wurde, nachdem er noch einen Blick des wüthendsten Hasses auf seinen Gegner geschleudert hatte.

Archibald Corsican, Fabian und ich gingen miteinander hinab, und als wir uns trennten, sagte Fabian Mac Elwin in ruhigem Ton:

»Bei der ersten Gelegenheit werde ich den Kerl ohrfeigen!«

Fußnoten

1 Turf, Bahn für Pferderennen.

22. Capitel

Zweiundzwanzigstes Capitel.
Die Wahnsinnige.

Während der Nacht von Freitag auf Sonnabend segelten wir durch den Lauf des Golfstroms, dessen dunkle, warme Gewässer sich scharf von den um gebenden Wasserschichten abgrenzten. Die Oberfläche dieses Stroms, der sich zwischen den Fluthen des Atlantischen Oceans hinzieht, ist sogar ein wenig convex; es ist also im eigentlichsten Sinne ein Strom, der zwischen zwei flüssigen Ufern dahinfließt, und zwar einer der bedeutendsten unseres Erdballs, denn der Amazonenstrom oder Mississippi würden mit ihm verglichen wie kleine Bäche erscheinen. Das in der Nacht geschöpfte Wasser war von siebenundzwanzig Grad Fahrenheit auf einundfünfzig Grad gestiegen, was zwölf Grad Celsius ausmacht.

Dieser Tag, der fünfte April, begann mit einem herrlichen Sonnenaufgang, den die Wogen aufs Köstlichste zurückstrahlten; eine warme Südwestbrise schwellte die Segel und wehte die ersten schönen Frühlingstage heran; auf dem Continent bekleideten sich jetzt wohl Wälder und Felder mit frischem Grün[92] – bei uns lockte die Sonne nur frische Toiletten hervor; ob auch hier und da auf unserer Erde die Vegetation zurückbleibt, der Mode wird dieser Vorwurf wohl nirgends zu machen sein!

Bald fanden sich auf den Boulevards zahlreiche Gruppen von Spaziergängern ein, und ich mußte unwillkürlich an die Champs-Elysées denken, die Sonntags bei so freundlicher Maisonne einen ähnlichen Anblick gewähren.

Während des Vormittags konnte ich Hauptmann Corsican nicht erspähen, und da es mich drängte, Nachricht von Fabian zu haben, ging ich nach der Cajüte, die er nahe am großen Saale bewohnte.

Ich klopfte an, erhielt aber keine Antwort, endlich machte ich die Thür auf und schaute hinein – Fabian war nicht im Zimmer.

Es blieb mir nichts übrig, als wieder auf's Verdeck zu steigen und unter den Spaziergängern nach meinen Freunden zu suchen, aber weder sie noch der Doctor waren dort zu finden.

Als ich so ziellos auf- und abpromenirte, kam mir der Gedanke, wo die unglückliche Ellen verborgen sein mochte, welche Cajüte ihr von ihrem Gatten angewiesen war. Welchen Händen war die Unglückliche wohl anvertraut? denn daß ihr unwürdiger Gatte sie ganze Tage lang verließ, stand außer Zweifel. Wahrscheinlich stand sie unter der Obhut irgend einer bezahlten Krankenwärterin oder Kammerfrau. – Nicht aus eitler Neugier, sondern aus wahrem Interesse für Ellen's und Fabian's Geschick stieg plötzlich das Verlangen in mir auf, dem Aufenthaltsort der Armen nachzuforschen, und wäre es auch nur, um die gefürchtete Begegnung zwischen ihr und Fabian zu verhindern.

Ich begann die Ausführung meines Planes, indem ich die Cajüten des großen Damensalons und dann die Gänge der beiden Stockwerke durcheilte, die sich in diesem Theil des Schiffes befinden. Meine Inspection war hier außerordentlich leicht, weil auf jeder Cajütenthür der Name des Inhabers verzeichnet stand, was, nebenbei bemerkt, den Dienst der Stewards sehr vereinfachte. Den Namen Harry Drake's fand ich jedoch nirgend, und war hiervon auch nicht überrascht, da ich von vornherein annahm, daß er die Lage der Cajüten, die an dem Hintertheil hergerichtet waren, diesem sehr besuchten Theil des Schiffes vorziehen würde, besonders da in Bezug auf Comfort und Eleganz kein Unterschied bestand. Die »Société des Affréteurs« hatte für gut befunden, nur eine einzige Classe von Passagieren zuzulassen.

[93] Ich steuerte also auf die Speisesäle zu und folgte aufmerksam den Seitengängen, die zwischen der doppelten Reihe der Cajüten hinliefen. Alle diese Zimmer waren bewohnt, und an jedem las ich den Namen eines Passagiers, nur nicht den gesuchten. Dies Resultat meiner Nachforschungen setzte mich in Erstaunen, denn ich glaubte, unsere schwimmende Stadt nachgerade vollständig durchsucht zu haben, und kannte nur dies eine entlegenere »Viertel«. Ein Kellner, den ich hierüber befragte, theilte mir jedoch mit, daß ein Complex von etwa hundert Cajüten sich noch hinter den »Dining-rooms« befände.

»Wie kommt man dorthin? fragte ich.

– Auf einer Treppe, die zur Seite des großen Gesellschaftszimmers auf dem Verdeck mündet.

– Sehr gut! können Sie mir vielleicht auch sagen, welche Cajüte Herr Harry Drake bewohnt?

– Bedauere, mein Herr, das weiß ich nicht«, antwortete der Steward.

Ich bestieg nun abermals das Verdeck und ging am Gesellschaftszimmer hin, um nach der Thür zu gelangen, die mir der Kellner bezeichnet hatte; sie führte mich auf eine Treppe und dann nach einem halbdunkeln, einfachen Raum, der sehr von den andern, schönen Sälen abstach. Um ihn herum war eine doppelte Cajütenreihe hergestellt. Jedenfalls hätte Harry Drake keinen günstigern Ort zur Isolirung Ellen's finden können.

Die meisten dieser Cajüten standen unbewohnt; an einigen, etwa zwei oder drei Thüren waren Namen auf den Anschlagzetteln eingetragen, aber den gesuchten fand ich wieder nicht. Nach einer genauen Besichtigung dieses ganzen Bezirks wollte ich mich eben ziemlich getäuscht zurückziehen, als ein leises, fast unhörbares Gemurmel an mein Ohr schlug; ich sagte mir sogleich, daß es aus dem Hintergrunde des linken Ganges dringen müsse, und wandte mich nach dieser Richtung. Die vorher kaum vernehmbaren Klänge drangen jetzt deutlicher zu mir, und ich erkannte eine Art klagenden Gesang oder vielmehr eine schleppende Melodie, deren Worte ich nicht verstehen konnte.

Ich lauschte; der Gesang mußte von einer Frau herrühren, und ein tiefer, dumpfer Schmerz tönte mir aus ihm entgegen. Das war jedenfalls die Stimme der armen Wahnsinnigen, meine Ahnung konnte mich diesmal nicht täuschen. Ich näherte mich, so leise ich konnte, der Cajüte, es war die letzte in dem dunkeln Gange; sie mußte ihr Licht wohl durch eine der unteren Lichtöffnungen, die im Rumpf des Great-Eastern gelassen waren, erhalten. An [94] der Thür war nur die Zahl 775 angegeben, kein Name stand daran; was sollte auch Harry Drake für ein Interesse daran haben, den Kerker Ellen's zu bezeichnen?

Ich hörte jetzt die Stimme der armen Frau ganz deutlich, und es kam mir vor, als sei ihr Gesang eine Folge von häufig unterbrochenen Sätzen und besänge Liebliches sowohl als auch sehr Trauriges.

Obgleich ich kein Mittel in der Hand hatte, ihre Identität zu recognosciren, sagte ich mir doch entschieden, daß nur Ellen so singen könne.

Einige Minuten stand ich regungslos und lauschte, dann hörte ich plötzlich, gerade als ich mich zurückziehen wollte, Schritte auf dem Mittelplatze. Natürlich vermuthete ich, daß Harry Drake sich näherte, und da ich in Fabian's und Ellen's Interesse hier nicht überrascht werden wollte, zog ich mich über den Gang, der sich um die doppelte Cajütenreihe herumwand, zurück; von hier hätte ich nach der Treppe und auf das Verdeck zurück gelangen können, ohne bemerkt oder gesehen zu werden.

Es lag mir indessen daran, zu wissen, wer die nahende Person gewesen sei. Das Halbdunkel verbarg mich, und so drückte ich mich in einen Winkel und sah von hier aus, ohne selbst gesehen zu werden.

Unterdessen hatte das Geräusch aufgehört, und merkwürdiger Weise war mit ihm auch Ellen's leiser Gesang verstummt, aber nach einer kleinen Pause begann er von Neuem, und auch die Dielen knarrten unter einem langsamen Schritt. Ich bog den Kopf vor, und erblickte im unbestimmten Zwielicht, das quer durch den Impost der Cajüten hindurchfiel, – meinen Freund Fabian.

Ja, es war mein unglücklicher Freund! Hatte ihn sein Instinct an diesen Ort geführt? war der Aufenthaltsort der jungen Frau schon früher von ihm entdeckt worden, als von mir? Ich konnte mir diese Frage nicht beantworten und wußte nicht, was ich davon denken sollte. – Fabian ging langsam, längs den Cajüten vorwärts, immer lauschend, und als ob er dem Klange der Stimme folgte, die ihn vielleicht wider Willen anzog. Jetzt, bei seiner Annäherung schien es mir, als ob die leisen Töne schwächer würden und verhallten, als wenn auch dieser leise Hauch noch verklingen wollte. Fabian kam an die Cajüte und blieb lauschend stehen.


Fabian stand lauschend vor der Cajütenthür. (S. 95.)

Wie mußte sein Herz bei diesen traurigen Tönen schlagen! Riesen sie vergangene Zeiten, liebe Erinnerungen in ihm wach? – Und doch! von [95] Ellen's Gegenwart hier an Bord konnte er keine Ahnung haben, da er nicht einmal wußte, daß Harry Drake unter den Passagieren war. Gewiß zog ihn dieser tieftraurige Gesang nur an, weil er seinem eigenen Schmerz, seinen eigenen Gefühlen entsprach.

Fabian stand noch immer lauschend an der Cajütenthür; was wollte er beginnen? Wie, wenn er die Wahnsinnige anrief? wenn sie plötzlich die Thür öffnete und vor ihm erschien? Das Alles war möglich und mußte meinen [96] Freund, wenn es geschah, in große Gefahr bringen. Noch einmal näherte Fabian seinen Kopf unmittelbar der Thür, da wurde der Gesang leiser, hörte auf, plötzlich ertönte ein furchtbarer, gellender Schrei.

Hatte Ellen durch eine magnetische Mittheilung ihn, den sie liebte, in ihrer Nähe gefühlt? Fabian's Lage war entsetzlich; er stand wie in sich zusammengesunken. Wollte er die Thür erbrechen? Ich bangte vor dieser Möglichkeit so sehr, daß ich auf ihn zustürzte, seinen Arm nahm und ihn mit mir fortzog.

Er erkannte mich sogleich und folgte mir willig, dann fragte er mit gedämpfter Stimme:

»Weißt Du, wer die Unglückliche ist?

– Nein, Fabian, nein!

– Es muß die Wahnsinnige sein, sagte er. Man möchte an eine Stimme aus der andern Welt glauben! Ach, dieser Irrsinn ist nicht unheilbar, ich fühle und glaube bestimmt, daß ein wenig Hingebung und Liebe der Armen Genesung bringen würden.

– Komm, Fabian, komm!«

Als wir wieder auf dem Verdeck angelangt waren, verließ mich Fabian sogleich, ohne ein Wort zu sagen; aber ich folgte ihm langsam und verlor ihn nicht aus dem Gesicht, bis er in seiner Cajüte verschwunden war.

23. Capitel

Dreiundzwanzigstes Capitel.
Subscription für die Verwundeten. – Gymnastische Uebungen. – Der Sternenhimmel.

Kurze Zeit nachher traf ich Hauptmann Corsican und erzählte ihm von der soeben erlebten Scene; auch er begriff, daß die Situation verwickelter und bedenklicher geworden war. Würde es uns möglich sein, den Gefahren fernerhin vorzubeugen? Wie gern hätten wir die Fahrt des Great-Eastern beschleunigen, wie gern einen ganzen Ocean zwischen Fabian und Harry Drake legen mögen!

[97] Als Hauptmann Corsican und ich uns trennten, kamen wir überein, die Betheiligten in diesem Drama, dessen Lösung jeden Augenblick wider unsern Willen eintreffen konnte, strenger wie je zu überwachen.

Man erwartete an diesem Tage den »Australasian«, ein Packetboot der Cunard-Compagnie von 2760 Tonnen Gehalt, das die Linie von Liverpool nach New-York bedient; es hatte Amerika am Mittwoch Morgen verlassen sollen, und mußte demnach alsbald in Sicht kommen. Man schaute indessen vergeblich nach ihm aus; es erschien nicht.

Gegen elf Uhr organisirten englische Passagiere eine Subscription zu Gunsten der Verwundeten an Bord, von denen einige noch immer nicht das Krankenzimmer verlassen hatten; unter diesen Patienten befand sich auch der Bootsmann, der in Gefahr war, unheilbar lahm zu bleiben. Die Liste hatte sich bald, jedoch nicht ohne allerlei Schwierigkeiten und unangenehme Worte hervorgerufen zu haben, mit Zeichnungen bedeckt.

Um Mittag gestattete die Sonne eine sehr genaue Beobachtung: das Ergebniß lautete:


Long. 58°37' W.
Lat. 41°41'11'' N.
Course: 257 miles.

Wir hatten die Breite bis auf die Secunde genau. Die jungen Brautleute sahen sich die Notiz näher an und machten eine ungeduldige Geberde; sie hatten, wie mir schien, sehr über die Fahrt zu klagen.

Vor dem Lunch arrangirte Kapitän Anderson, der die Gesellschaft ein wenig zerstreuen wollte, gymnastische Uebungen, die er selber dirigirte. Ungefähr fünfzig Leute, die, wie auch der Kapitän, Stäbe in den Händen hatten, ahmten mit affenartiger Genauigkeit all seine Bewegungen nach. Die improvisirten Gymnastiker »arbeiteten« methodisch, ohne die Lippen von einander zu thun, wie Riflemen auf der Parade.

Noch ein anderes »Entertainment« wurde für den Abend angekündigt, ich betheiligte mich jedoch nicht daran, da diese sich ewig gleichbleibenden Scherze anfingen, mich zu langweilen. In letzter Zeit war ein Concurrenz Journal der »Ocean Time« gegründet worden, und an diesem Abend gingen beide Blätter eine Fusion ein.

Ich meinerseits zog vor, die ersten Stunden der Nacht auf dem Vordeck zuzubringen und zum herrlich besternten Firmament emporzublicken; trotz [98] dieser Klarheit hob sich das Meer stärker und kündigte schlechtes Wetter an; auch wurde das Rollen wieder bemerkbar.

Ich hatte mich auf eine Bank gelegt und bewunderte die Sternbilder über mir. Obgleich das bloße Auge thatsächlich nur etwa 5000 Sterne an der Ausdehnung der Himmelssphäre wahrnehmen konnte, hätte man an diesem Abende Millionen zu sehen geglaubt. Am Horizont erglänzte der Schweif des Pegasus in seiner ganzen, zodiacalen Pracht, wie das flimmernde Kleid einer Feenkönigin; die Plejaden stiegen zum Himmel empor zu gleicher Zeit mit den Zwillingen, die trotz ihres Namens nicht nacheinander aufgehen, wie die Heroen der Sage. Der Stier sah mit seinem großen Feuerauge auf mich nieder, und am Gipfel des Gewölks strahlte die Wega, unser künftiger Polarstern, während sich, nicht weit davon, der wundervolle Diamantenfluß rundete, der die nördliche Krone bildet.

All diese unbeweglichen Sternbilder schienen unter dem Rollen des Schiffes Leben und Bewegung anzunehmen; und während seines Schwankens sah ich den großen Mast vom β des Großen Bären bis zum Altaïr des Adlers einen zierlichen Kreisbogen beschreiben, während der schon niedrige Mond das Ende seiner Sichel in den Horizont tauchte.

24. Capitel

Vierundzwanzigstes Capitel.
Der Sturm.

Die nun folgende Nacht war sehr böse; das Steamschiff wurde furchtbar in der Quere gefaßt und rollte unaufhörlich. Die Möbel schoben sich lärmend hin und her, und das Geschirr in den Waschtischen klirrte und klapperte. Der Wind mußte sehr frisch geworden sein. Uebrigens aber durchsegelte der Great-Eastern gerade jetzt Breiten, in denen die Wogen besonders heftig und Unglücksfälle ausnehmend häufig sind.

Um sechs Uhr Morgens arbeitete ich mich mühsam bis zur Treppe, und hier klammerte ich mich an's Geländer, benutzte jede dritte Schwankung zum Steigen und kam so glücklich auf's Verdeck. Ich schleppte mich mit ziemlicher Kraftanstrengung auf eines der vorderen Verdeckzimmer, welchen Ort ich jedoch[99] ziemlich öde und verlassen fand – wenn man nämlich einen Platz, an dem sich Doctor Dean Pitferge befindet, überhaupt so nennen darf! Dieser würdige Greis hatte sein rechtes Bein um einen Pfosten des Geländers geschlungen, krümmte den Rücken gegen den Wind und stützte sich mit beiden Armen. Da er bei all diesen Manipulationen nur noch den Kopf frei hatte, gab er mir durch Nicken und Gesichterschneiden zu verstehen, daß ich ihm Gesellschaft leisten sollte. Ich machte einige Kriechübungen, drehte und wand mich wie ein Regenwurm und gelangte endlich an seine Seite, wo ich sofort die nämliche Stellung einnahm wie er.

»Hollah, rief er aus, schönes Vergnügen das! Gerade nun der Great-Eastern einlaufen soll, kommt noch so ein richtiger Cyklon, ganz besonders und expreß für ihn bestellt und abgeschickt.«

Der Doctor konnte diese Worte nur in kurzen, abgebrochenen Sätzen hervorstoßen, denn der Wind wehte die Hälfte von dem, was er sagte, davon. Aber ich hatte ihn trotzdem verstanden; das Wort Cyklon erklärt sich selber; es bezeichnet fürchterliche Drehstürme, die im Indischen und Atlantischen Meer Orkane, an der afrikanischen Küste Tornados, in der Wüste Samum, und in den chinesischen Meeren Taifuns genannt werden; ihre unheilvolle Macht bringt die größten Schiffe in Gefahr.

Wie würde der Great-Eastern einem solchen Cyklon Stand halten, und was würde dieser dem Riesen anhaben können?

»Er wird Unglück erleben, wiederholte Dean Pitferge. Sehen Sie, wie er die Nase in die Feder steckt!«

Diese seemännische Metapher war sehr bezeichnend für die Lage des Steamers; sein Vordersteven verschwand unter den Wasserbergen, die ihn von Backbord angriffen. In der Ferne war Nichts mehr zu sehen, und alle Symptome deuteten auf einen Orkan. Gegen sieben Uhr kam der Sturm auf; das Meer wogte wild empor, die kleinen Zwischenwellen, die die wagerechte Lage der großen Wogen bezeichnen, verschwanden vollständig; der Ocean schwoll in langen, hoch aufschäumenden Wellen, die dann mit unbeschreiblichem Zischen zerstoben. Mit jeder Minute nahm der Aufruhr des Meeres zu, und der Great-Eastern, der die Wellen von der Seite auffing, stampfte entsetzlich.

»Es ist hier nur zweierlei möglich, sagte der Doctor mit der Sicherheit eines Seemannes. Entweder muß man die Wogen aufrecht empfangen und mit geringer Dampfkraft beilegen, oder die Flucht ergreifen und den Kampf [100] mit dem rebellischen Meer aufgeben. Aber Kapitän Anderson wird sich zu keinem dieser Manoeuvres verstehen.

– Warum? fragte ich.

– Weil ... dem Schiffe etwas zustoßen muß!« antwortete der Doctor.

Als ich mich umsah, bemerkte ich den Kapitän, den Obersteuermann und den ersten Ingenieur, die, in ihre Joppen gehüllt, am Geländer des Steges standen und sich wie wir angeklammert hatten. Sie waren vom Kopf bis zu den Füßen vom Wogennebel umgeben, und der Kapitän lächelte wie gewöhnlich. Der Obersteuermann beobachtete das Rollen des Schiffes – es sah aus, als wollten Masten und Schornsteine herabstürzen – und lachte, daß seine weißen Zähne blitzten.

Des Kapitäns Hartnäckigkeit und Eigensinn, in dieser Weise gegen das Meer anzukämpfen, setzten mich in Erstaunen. Um halb acht Uhr wurde der Anblick des Oceans wirklich schreckenerregend; auf dem Vorderdeck war das Schiff von dem Seewasser überschwemmt, und es gewährte einen großartigen Anblick, diesen Kampf unseres Kolosses gegen die Fluthen mitanzusehen. Ich begriff gewissermaßen die Gefühle unseres »Herrn nächst Gott«, der sich noch immer nicht zum Nachgeben entschließen konnte. Aber ich vergaß hierüber, daß die Macht des Meeres maßlos, und ihr nichts entgegenzusetzen ist, was von Menschenhand gemacht ist.

Plötzlich, gegen acht Uhr, erfolgte ein gewaltiger Stoß; eine schwere Sturzwelle hatte das Schiff an Backbord getroffen.

»Das ist keine gewöhnliche Ohrfeige, sondern ein Faustschlag in's Gesicht«, bemerkte der Doctor.

Und wirklich hatte uns dieser Hieb eine tüchtige Quetschung verursacht, denn gleich darauf erschienen allerlei Trümmer und Holzstücke auf den Wogen Waren das Stücke von unserm eigenen Fleisch oder Ueberbleibsel eines fremden Körpers, die vielleicht durch diesen gewaltigen Stoß aus der Tiefe auf gewirbelt waren? Auf ein Zeichen des Kapitäns machte der Great-Eastern eine Viertelschwenkung, um die Bruchstücke zu vermeiden, denn es lag die Gefahr vor, daß sie sich in die Schaufeln verwickeln konnten. Als ich genauer hinunterspähte, nahm ich wahr, daß die Sturzwelle die Schilder an Backbord, die sich doch fünfzig Fuß über die Meeresoberfläche erhoben, fortgerissen hatte; die Fußstöcke waren zerbrochen, die Beschläge herausgerissen, einige Plankentrümmer hingen, halb losgerissen, noch an ihrer Stelle. Unser Riesendampfer [101] hatte unter dem Stoß gezittert, aber dann seine Fahrt mit altem Mythe fortgesetzt. Die Trümmer mußten nothwendig von dem Vorderdeck fortgeschafft werden, und so wäre es unumgänglich nöthig gewesen, vor dem Meere zu fliehen. Das Steamschiff aber bot nach wie vor hartnäckig die Spitze. Der Kapitän war in seinem Feuereifer entschlossen, nicht nachzugeben, und seine Begeisterung schien sich dem Schiffe mitzutheilen.

Ein Officier wurde mit einigen Leuten auf das Vorderdeck beordert, um die Trümmer von dort hinweg zu schaffen.

»Passen Sie auf, das Unglück ist nicht weit!« raunte mir der Doctor zu.

Die Seeleute begaben sich auf's Vordertheil; wir Beide hatten uns an den zweiten Mast gelehnt und sahen, wie sich mit jeder Woge ein neuer Platzregen über das Verdeck ergoß.

Plötzlich erschütterte eine zweite Sturzwelle, noch bei Weitem heftiger als die vorige, den Steamer und fuhr durch die in den Verschanzungen entstandene Bresche. Eine ungeheure gußeiserne Platte, die die große Beting des Vordertheils bedeckte, wurde losgerissen, die massive Kappe über dem Bemannungsposten vernichtet, und die Steuerbordwände zerstückelt und fortgetragen wie ein gegen den Wind aufgespanntes Stück Leinwand.

Die Leute auf dem Vorderdeck waren niedergeworfen; ein Officier, der fast ertrunken wäre, richtete sich auf, schüttelte das Wasser aus dem röthlichen Schnurrbart und sah sich nach seinen Leuten um; dann stürzte er auf einen Matrosen zu, der bewußtlos auf einer Ankerschaufel ausgestreckt lag, hob ihn auf seine Schultern und trug ihn fort. In diesem Augenblick entkamen die Leute von der Mannschaft quer durch die zerbrochene Kappe. Im Zwischendeck stand das Wasser drei Fuß hoch, und rings um das Schiff bedeckten neue Trümmer und allerlei sonstige Gegenstände das Meer, unter anderen auch einige Tausend von den Puppen, die mein industrieller Landsmann aus der Rue Chapon in Amerika zu acclimatisiren gedachte. In einem weniger kritischen Moment hätte man sich bei dem Anblick eines Lächelns nicht erwehren können; die kleinen Körper hüpften in gar zu possierlichen Sprüngen auf den Wellen hin und her.

Indessen erreichte die Ueberschwemmung nun auch uns; Wassermassen stürzten durch alle Oeffnungen, und der Great-Eastern füllte sich dergestalt, daß er nach einem späteren Bericht des Ingenieurs mehr als zweitausend Tonnen Wasser mit sich führte, genug, um damit eine Fregatte ersten Ranges zu versenken.

[102] »Auch gut!« meinte der Doctor, dem ein Windstoß seinen Hut vom Kopf riß und fortführte.

In dieser Lage noch länger dem Geschick Trotz bieten, wäre geradezu närrisch gewesen, man müßte sich jetzt zur Flucht entschließen. Wie der Steamer mit eingestoßenem Vordertheil den Vordersteven dem Meere zukehrte, glich er einem Manne, der seinen Kopf darauf setzt, mit offenem Munde unter Wasser zu schwimmen.

Kapitän Anderson mußte endlich seinen Sinn ändern, ich sah, wie er selbst zu dem kleinen Rad, das die Bewegungen des Steuers regelte, auf den Steg eilte, und alsbald stieg der Dampf in die hinteren Cylinder. Die Ruder pinne wurde vor den Wind gestellt, der Koloß trug die Spitze gen Norden gewendet und floh, wie eine Nußschale schwankend, vor dem Sturm.

In diesem Augenblick rief unser Kapitän, der sich sonst so sehr zu beherrschen wußte, den ich nie anders als ruhig und gleichmüthig gesehen hatte, in tiefstem Zorn:

»Mein Schiff ist entehrt!«

25. Capitel

Fünfundzwanzigstes Capitel.
Der Puppenfabrikant. – Doctor Pitferge's praktische Ideen.

Kaum hatte der Great-Eastern die Schwenkung gemacht und sein Hintertheil den Wogen zugewendet, als das Rollen aufhörte und der Aufregung absolute Unbeweglichkeit folgte. Das Frühstück war aufgetragen, und da die meisten Passagiere durch die Ruhe des Schiffes sicher gemacht waren, hatten sich bald die Dining-rooms gefüllt, und man konnte sein Mahl einnehmen, ohne von irgendwelchen Stößen oder unangenehmem Schütteln derangirt zu werden. Nicht ein Teller fiel zur Erde, kein Glas vergoß von seinem Inhalt, und doch waren nicht einmal die Rahmen auf die Tische gelegt. Drei Viertelstunden später singen jedoch die Möbel von Neuem an, hin und her zu rutschen, die Gehänge schaukelten in der Luft, und das Porzellangeschirr stieß klirrend [103] auf den Büffetbrettern an einander. Der Great-Eastern hatte seine Fahrt nach Westen wieder aufgenommen.

Doctor Pitferge und ich stiegen aufs Verdeck zurück und begegneten unterwegs dem Puppenmann.

»Ihrer kleinen Welt ist übel mitgespielt worden, redete ihn mein Begleiter an, die Püppchen werden in den Vereinigten Staaten nicht mehr ihre Künste zeigen und nichts ausplaudern.


Die zweite Sturzwelle. (S. 102.)

[104] – Hat Nichts zu sagen, rief der industrielle Pariser; die Ladung war versichert, und mein Geheimniß ist nicht mit zu Grunde gegangen. Wir fabriciren einfach neue Puppen.«

Man sah, er ließ sich nicht leicht in Verlegenheit bringen, nach gegenseitigem freundlichen Gruß begaben wir uns auf's Hintertheil des Steamers. Hier hörten wir von einem Steuermann, daß in der Zeit zwischen den beiden Sturzwellen die Ketten des Steuerruders verwickelt gewesen waren.


Die Minstrels. (S. 108.)

[105] »Wenn dieser Zufall im Augenblick des Schwankens eingetreten wäre, hätte die Geschichte böse ablaufen können, meinte Pitferge, das Wasser schoß stromweise in unser Schiff. Jetzt arbeiten die Dampfpumpen mit aller Kraft, um es wieder hinauszuschaffen, aber noch bleibt Viel zu thun übrig.

– Wie mag es dem unglücklichen Matrosen gehen? fragte ich den Doctor.

– Der arme Kerl hat eine schwere Verwundung am Kopf davongetragen, der Schiffsarzt bürgt zwar für seine Genesung, aber gerade das macht mich erst recht besorgt. Nun, wir werden ja sehen. Der Fall ist sehr traurig, der Mann war früher Fischer und macht seine erste Reise über See; er hat eine junge Frau und zwei Kinder zu Hause. – Man sprach davon, daß mehrere Leute fortgeschwemmt wären, aber das Gerücht hat sich glücklicherweise als falsch herausgestellt.

– Haben wir unsere Route jetzt wieder eingeschlagen?

– Ja wohl, erwiderte Pitferge, trotz Wind und Wellen, die Route nach Westen. Man merkt es wohl, fügte er hinzu, und ergriff einen Takelhaken, um sich zu halten, denn er wäre beinahe der Länge nach auf das Verdeck gefallen. – Wissen Sie, lieber Herr, was ich mit dem Great-Eastern machen würde, wenn er mir gehörte? Nein? Ich würde ein Luxusschiff, zu zehntausend Franken den Platz, daraus machen. Wir hätten dann nur Millionäre an Bord, denen es nicht darauf ankäme, etwas früher oder später drüben anzukommen, und so würde man ganz bequem vier bis sechs Wochen auf die Ueberfahrt von England nach Amerika verwenden können. Man würde nie eine Welle in der Quere haben; immer gerade oder hinter dem Wind, aber auch nie Rollen oder Stampfen. Meine Passagiere wären vor der Seekrankheit so sicher, daß ich ihnen jede Uebelkeit mit hundert Pfund vergüten könnte.

– Eine ganz praktische Idee, entgegnete ich.

– Nicht wahr? meinte Doctor Pitferge, man könnte dabei viel Geld gewinnen – resp. verlieren:«

Das Steamschiff setzte unterdessen mit geringer Schnelligkeit – fünf bis sechs Umdrehungen in der Minute – seine Fahrt fort; nur eben, um sich auf dem Curs zu halten. Die hohe See war schrecklich, aber der Vordersteven durchschnitt die Wogen normal, und der Great Eastern hatte nicht unter Sturzwellen zu leiden. Er ging nicht mehr als metallener Berg einem Wassergebirge entgegen, sondern ließ als ruhender Fels das Arbeiten der Wellen an sich [106] abprallen. Uebrigens begann jetzt ein dichter Regen hernieder zu strömen, so daß wir Zuflucht unter der Kappe des großen Saales suchen mußten. Dieser Guß beschwichtigte Wind und Wellen, der Himmel klärte sich im Westen, und die letzten dicken Wolken verschwanden am gegenüberliegenden Horizont. Gegen zehn Uhr hatte sich der Orkan vollständig gelegt.

Mittags konnte ziemlich genau das Besteck gemacht werden; es ergab:


Lat. 41°50' N.
Long. 61°57' W.
Course: 193 miles.

Diese beträchtliche Abnahme des Weges schrieb man lediglich dem Sturm zu, der während der Nacht und den ganzen Vormittag über das Schiff getrieben hatte. Ein Passagier, den man fast einen Bewohner des Atlantischen Meeres hätte nennen können, da er ihn zum vierundvierzigsten Mal durchfuhr, behauptete, daß er noch niemals einen so heftigen Orkan mit erlebt habe. Der Ingenieur erwähnte jenes Unfalls, von dem mir Pitferge zu Anfang unserer Reise erzählt hatte, bei dem der Great-Eastern drei Tage lang in der Hohle der Wogen geblieben war, und versicherte, daß das Schiff damals nicht mit solcher Macht gefaßt worden sei, wie bei dieser Affaire.

Wir erwähnen hier nochmals, daß, wenn der bewunderungswürdige Riesendampfer auch nur mit mittlerer Schnelligkeit fährt und bedeutend rollt, er doch gegen die Wuth des Meeres eine vollkommene Sicherheit bietet. Er leistet Widerstand wie ein einziger Block und verdankt diese Starrheit der vollständigen Gleichartigkeit seines Baues, seinem doppelten Rumpf und der vortrefflichen Arbeit seiner Bordirung. Am Bug leistet er vollkommenen Widerstand.

Ebenso aber müssen wir auch wiederholen, daß man mit einem Schiff, wie stark es auch immer sei, nie dem empörten Meere entgegenarbeiten darf, und daß kein Fahrzeug »entehrt« zu nennen ist, wenn es vor dem Sturme flicht. Ein Commandant darf niemals vergessen, daß ein Menschenleben höher zu veranschlagen ist, als die Befriedigung seines Selbstgefühls. Ein erst vor kurzer Zeit eingetroffenes trauriges Ereigniß, eine beklagenswerthe Katastrophe, die einem transatlantischen Packetboot zugestoßen ist, beweist, daß ein Kapitän unter keiner Bedingung gegen das Meer ankämpfen darf, und wenn er auch das Schiff einer Concurrenzgesellschaft sich auf den Fersen weiß.

[107]

26. Capitel

Sechsundzwanzigstes Capitel.
Die Minstrels. – Die Spieler im Smoking-room. – Kritische Scene zwischen Fabian und Harry Drake.

Die Pumpen fuhren fort, den See auszuschöpfen, der sich, wie eine Lagune auf einer Insel, im Great-Eastern gebildet hatte. Durch die Kraft des Dampfes wurde dem Atlantischen Meere wieder zugeführt, was ihm von Rechts wegen gehörte. Der Regen hatte aufgehört, der Wind wurde wieder frisch, und der Himmel war vom Sturm rein gefegt; als der Abend herankam, ging ich einige Stunden auf dem Verdeck spazieren; die Säle warfen ihr helles Licht durch die halbgeöffneten Luken, und bis zum Hintertheil, so weit der Blick dringen konnte, verlängerte sich eine phosphorescirende Gegenströmung, die hier und da vom leuchtenden Kamm der Wogen gestreift wurde. Auf der milchweißen Wasserfläche spiegelten sich die Sterne wieder und erschienen oder verschwanden, wie die Wolken an ihnen vorüberzogen und sie verhüllten. Den Horizont bedeckte tiefe Nacht; auf dem Vordertheil grollte der durch die Räder verursachte Donner, und unter mir klirrten die Ketten des Steuerruders.

Als ich nach der Kappe des großen Saales zurückkam, war ich sehr überrascht, hier eine Zuschauermenge versammelt zu finden; trotz der ernsten, unheilvollen Tagesereignisse wickelte das gewohnte »Entertainment« die Ueberraschungen seines Programms ab, von Zeit zu Zeit erschallte stürmisches Beifallsrufen, und Niemand dachte mehr an den armen, verwundeten Matrosen, der jetzt vielleicht mit dem Tode rang.

Das Fest war heute sehr belebt, denn es hatte sich eine Truppe von »Minstrels« auf den Brettern des Great-Eastern eingefunden, die mit lebhaften Acclamationen aufgenommen wurde.

Unter Minstrels werden eine Art wandernde Sänger verstanden, die – je nach ihrem Ursprung von Natur schwarz, oder geschwärzt – in den englischen Städten umherziehen und ihre grotesken Concerte geben. In diesem Fall producirte sich eine Gesellschaft Matrosen und Stewards, die, schwarz gewichst und im wunderlichsten Costüm, einen äußerst komischen Eindruck machten. Sie waren mit allerlei zusammengesuchten Lumpen bekleidet, die Knöpfe von Schiffszwieback zum Ausputz hatten, und benutzten Operngucker von zwei zusammengebundenen Flaschen und Maultrommeln von der verwegensten [108] Beschaffenheit. Die Kerle benahmen sich ziemlich drollig, sangen allerlei burleskes Zeug, improvisirten Unsinn und ergingen sich in Vorspielen und Räthselfragen.

Durch den übermäßigen Beifall immer mehr angespornt, verdoppelten sie ihre Verrenkungen und Grimassen, und zum Schluß führte ein Tänzer mit affenhafter Behendigkeit einen lustigen Hopfer aus, der die Versammlung förmlich hinriß.

So interessant jedoch dieses Programm für Viele sein mochte, alle Passagiere hatte es doch nicht angezogen. Eine große Menge befand sich in dem großen Saal des Vordertheils und drängte sich hier um die Tische, an denen gespielt und zwar hoch gespielt wurde.

Die Gewinner suchten das während der Ueberfahrt Erworbene festzuhalten, und die Verlierenden, je näher wir unserem Ziel kamen, das Ihre durch kühne Einsätze zurückzubekommen. Der Bankier rief mit scharfer Stimme die einzelnen Würfe aus, die Verlierenden fluchten, Gold- und Papiergeld klang und knitterte – dann entstand ein plötzliches Schweigen, das durch irgend einen kühnen Wurf hervorgebracht und, als das Ergebniß bekannt gemacht war, durch laute Ausrufe und Tumult unterbrochen wurde.

Für mich waren diese Scenen im Smoking-room sehr wenig anziehend, da das Spiel mir geradezu Schauder einflößt, denn es ist in jedem Fall ein rohes, oft aber auch ein ungesundes Vergnügen. Der von der Spielwuth fortgerissene Mensch hat nicht nur dieses eine Leiden; nach der ganzen Natur des Lasters muß es stets und überall noch andere nach sich ziehen, und außerdem spinnt es sich fast regelmäßig in sehr gemischter Gesellschaft ab. Hier dominirte Harry Drake mit seinen Getreuen, dort versuchten einige Abenteurer, die ihr Glück in Amerika versuchen wollten, ein Vorspiel zu ihrem künftigen Geschick. – Was mich betraf, so war es mir stets am Angenehmsten, wenn ich jeden Contact mit der lärmenden Rotte vermeiden konnte, und auch heute wäre ich, ohne einzutreten, an der Thür des Saales vorübergegangen, hätte mich nicht ein plötzliches Geschrei, mit lauten Schimpfworten untermischt, aufmerksam gemacht und zum Stillstehen veranlaßt. Ich lauschte einige Augenblicke und glaubte, zu meinem größten Erstaunen, in dem Gewirr Fabian's Stimme zu erkennen.

Was konnte er an diesem Ort wollen? Gedachte er vielleicht seinen Feind aufzusuchen? Brach hier die so lange vermiedene Katastrophe los?

[109] Ich stieß eilig die Thür auf und bemerkte sofort, daß der Tumult auf seinem Höhepunkt angelangt war. Fabian stand mitten in einem Kreise von Spielern Drake gegenüber und bot ihm die Stirn. Wahrscheinlich hatte sein Feind ihn soeben gröblich beleidigt, denn er erhob seine Hand und hätte sie zweiflellos auf Drake's Wange niederfallen lassen, wäre nicht in diesem Augenblick Corsican dazwischengesprungen und hätte ihn mit rascher Bewegung zurückgehalten.

Aber Fabian wandte sich nach seinem Gegner um und rief mit kalter, höhnender Stimme:

»Nehmen Sie diese Ohrfeige als genossen an?

– Ja wohl, schrie Drake, und hier ist meine Karte!«

So hatte das Verhängniß trotz unserer angestrengtesten Bemühungen die beiden Todfeinde einander gegenüber geführt. Jetzt mußten wir die Dinge ihren Lauf gehen lassen, es war Nichts mehr zu ändern. Hauptmann Corsican warf mir einen raschen Blick zu, und es überraschte mich, in seinen Augen so viel mehr den Ausdruck tiefer Traurigkeit als den der Aufgeregtheit zu finden.

Fabian hatte inzwischen Drake's Karte, die dieser auf den Tisch geworfen, zur Hand genommen; er faßte sie mit den Fingerspitzen, wie einen Gegenstand, den man nur mit höchstem Widerwillen berührt. Corsican war leichenblaß geworden, und ich hörte, wie mein Herz in lauten Schlägen pochte. Jetzt sah Fabian die Karte an und las den Namen – ein Wuthschrei entrang sich seiner Brust:

»Harry Drake! rief er, Sie! Sie! Sie!

– Der bin ich«, erwiderte ruhig der Nebenbuhler Fabian's.

Wir hatten uns nicht getäuscht; wenn Fabian auch bisher nicht Drake's Namen gekannt hatte, so war doch dieser von Fabian's Anwesenheit auf dem Great-Eastern vollkommen unterrichtet gewesen.

[110]

27. Capitel

Siebenundzwanzigstes Capitel.
Unterredung mit Hauptmann Corsican. – Fabian's Verzweiflung.

Am andern Morgen eilte ich, Hauptmann Corsican aufzusuchen, und fand ihn im großen Saale; er hatte die Nacht bei Fabian zugebracht, der noch immer unter dem Druck der ungeheuren Aufregung von gestern Abend stand. Ahnte er bereits, daß Drake nicht allein an Bord war? Wurde ihm durch die Anwesenheit dieses Mannes auch Ellen's Hiersein enthüllt, und errieth er, daß die arme Irrsinnige und seine heißgeliebte Ellen ein und dieselbe Person waren?

Corsican konnte mir keine dieser Fragen beantworten, denn Fabian hatte die ganze Nacht bis jetzt im tiefsten Schweigen verharrt.

Corsican hegte eine warme brüderliche Zuneigung für Fabian, er hatte ihn, so lange sie sich kannten, unwiderstehlich angezogen, und der jetzige Gemüthszustand meines armen Freundes brachte ihn fast zur Verzweiflung.

»Ich bin zu spät dazwischengetreten, rief er. Noch ehe Fabian die Hand gegen Drake erhob, hätte ich den Schurken ohrfeigen müssen.

– Das hätte meiner Meinung nach nichts an der Sache geändert, erwiderte ich; Harry Drake wäre nicht auf Ihre Intentionen eingegangen, er hatte es auf Fabian abgesehen, und so war die Katastrophe unvermeidlich.

– Sie haben Recht, bestätigte der Hauptmann, der Schuft hat seine Absicht erreicht; er hat Fabian, seine Vergangenheit und seine Liebe längst gekannt, und wer weiß, ob nicht die arme Ellen ihm in ihrem Schwachsinn selbst Aufschluß über ihren Kummer gegeben hat. Es ist sogar möglich, daß er schon vor der Verheiratung aus der unschuldigen Seele das Geheimniß ihres Mädchenlebens herausgepreßt hat. Von seinen Trieben gereizt, hat er schon lange diesen Streit mit Fabian geplant und sich dabei die Rolle des Beleidigten vorbehalten. Was für ein fürchterlicher Duellant muß dieser Lump sein!

– Er soll allerdings schon drei oder vier solcher Affairen durchgemacht haben, die höchst unglücklich endeten«, bemerkte ich.

Corsican machte eine abwehrende Handbewegung.

»Ich fürchte für Fabian nicht das Duell an sich, sagte er; Hauptmann Mac Elwin läßt sich durch keine Gefahr aus seiner gleichmäßigen Ruhe [111] bringen. Aber die Folgen dieser Begegnung können im höchsten Grade unheilvoll für ihn werden. Gesetzt, Fabian tödtet diesen gemeinen Menschen, so thut sich zwischen ihm und Ellen eine Kluft auf, die durch Nichts in dieser Welt überbrückt werden kann. Das versetzt mich schon jetzt in die größte Sorge, obgleich das arme Wesen sich aller Wahrscheinlichkeit nach in einem Zustande befindet, der jede Vereinigung mit Fabian vorläufig als ein Unding erscheinen läßt.


Nehmen Sie diese Ohrfeige als genossen an! (S. 110.)

[112] – Trotz alles Unheils, das daraus entstehen kann, müssen wir für Ellen und Fabian doch wünschen, daß Harry Drake unterliegt. Die Gerechtigkeit ist auf unserer Seite, entgegnete ich.

– Gewiß, da es einmal so weit gekommen ist, gab Corsica zu; mir aber blutet das Herz, und ich bin außer mir, daß ich diese Begegnung, wenn auch um den Preis meines Lebens, nicht habe verhindern können.

– Hauptmann, sagte ich und erfaßte die Hand dieses edlen, opferfähigen Freundes, wir haben bis jetzt noch nicht die Zeugen Drake's empfangen; ich kann deshalb, wenn Ihnen auch alle Umstände Recht geben, noch nicht verzweifeln.

– Wissen Sie ein Mittel, durch das wir der Angelegenheit vorbeugen können?

– Bis jetzt nicht, aber jedenfalls kann das Duell doch erst in Amerika stattfinden, und wer weiß, ob bis dahin nicht der Zufall, durch den diese Situation herbeigeführt ist, den Knoten löst.«

Hauptmann Corsican schüttelte ungläubig den Kopf, wie ein Mann, der das Spiel des Zufalls in menschlichen Angelegenheiten ableugnet. In diesem Augenblick erschien Fabian oben auf der Treppe, die auf das Verdeck führt. Ich sah ihn nur einen Augenblick an, aber ich fühlte sofort, daß die Wunde in ihm von Neuem blutete, er sah so bleich und gramerfüllt aus, daß mich sein Anblick auf's Tiefste ergriff. Wir folgten ihm, aber er suchte uns auszuweichen und starrte ziellos umher, als wolle er die schon halb ihrer sterblichen Hülle entwichene Seele heraufbeschwören.

Corsican und ich dachten, daß wir ihm jetzt wohl unsere Freundschaft am Besten beweisen könnten, wenn wir seinen Schmerz achteten und ihm nicht mit unserer Gegenwart lästig fielen.

Aber plötzlich näherte sich uns Fabian und sagte:

»Sie ist es gewesen! Die Wahnsinnige! Es war Ellen, nicht wahr? die arme Ellen! –«

Er schien noch zu zweifeln, ging aber fort, ohne eine Antwort von uns abzuwarten, und wir waren froh, einer solchen enthoben zu sein.

[113]

28. Capitel

Achtundzwanzigstes Capitel.
Ein zweiter Sonntag an Bord.

Um zwölf Uhr wußte ich noch nichts davon, daß Drake seine Zeugen an Fabian abgeschickt hatte, und doch hätten diese Präliminarien bereits erfüllt sein müssen, wenn Drake entschlossen gewesen ware, Genugthuung zu verlangen. Lag in dieser Verzögerung eine Hoffnung für uns? Ich wußte sehr wohl, daß die Angelsachsen die Frage des point d'honneur anders ansehen als wir, und daß das Duell den englischen Gebräuchen fast ganz abhanden gekommen ist, denn wie bereits erwähnt, verfährt das Gesetz nicht nur strenge mit den Duellanten und läßt sich nicht drehen und wenden wie in Frankreich, sondern auch die öffentliche Meinung erklärt sich sehr entschieden dagegen. Hier lag aber die Sache zu eigenthümlich; der Handel war augenscheinlich gesucht und beabsichtigt, der Beleidiger hatte gewissermaßen den Beleidigten herausgefordert, und, wie ich auch darüber grübelte und dachte, immer kam ich zu dem Schluß, daß ein Zweikampf unvermeidlich war.

In diesem Augenblick strömte eine Fluth von Spaziergängern auf's Verdeck; es waren die Gläubigen, die soeben den Betsaal verließen. Officiere, Matrosen und Passagiere zogen sich wieder auf ihre Posten und in ihre Cajüten zurück.

Um halb ein Uhr ergab das angeheftete Besteck folgende Resultate:


Lat. 40°33' N.
Long. 66°21' W.
Course: 214 miles.

Der Great-Eastern befand sich sonach nur noch dreihundertachtundvierzig Meilen von der Spitze von Sandy-Hook, einer sandigen Landzunge, die den Eingang zu dem Fahrwasser von New-York bildet, entfernt. Bald mußte er in amerikanische Gewässer kommen.

Während des Lunch bemerkte ich zu meinem Erstaunen, daß Fabian an der Tafel fehlte, aber Drake an seinem gewohnten Platze saß. Obgleich dieser Schurke polterte und lärmte wie sonst, schien es mir doch, als quäle ihn eine gewisse Unruhe; suchte er in dem Trunk Vergessenheit für seine Gewissensbisse? Ich kann natürlich nichts Bestimmtes darüber sagen, aber er überlieferte sich [114] in Gesellschaft seiner gewöhnlichen Genossen häufigen Libationen. Mehrmals schaute er tückisch von der Seite zu mir hin, da er mich trotz seiner Unverschämtheit nicht gerade anzusehen wagte. Suchte er Fabian unter den Gästen? ich weiß es nicht, aber plötzlich, noch ehe die Tafel aufgehoben war, erhob er sich und verließ den Saal. Ich stand gleichfalls auf, um ihn zu beobachten, aber er ging direct auf seine Cajüte zu und schloß sich ein.

Ich stieg auf das Verdeck; das Meer lag prächtig da, der Himmel war rein und blau. Nicht eine Wolke am Firmament, kein noch so leichter Schaum auf der ruhigen Wasserfläche, so weit das Auge reichte. Die beiden unermeßlichen Spiegel sandten sich gegenseitig ihre azurblauen Nuancen zu. Von Doctor Pitferge, den ich promenirend antraf, hörte ich böse Nachrichten über den verwundeten Matrosen. Der Zustand des Kranken verschlimmerte sich zusehends, und trotz der gegentheiligen Versicherungen des Arztes stand seine Genesung sehr in Frage.

Um vier Uhr, wenige Minuten vor dem Diner, wurde von Backbord ein Schiff signalisirt. Der Obersteuermann sagte mir, daß dies die »City of Paris«, von 2750 Tonnen Gehalt, einer der schönsten Steamer der Inman-Gesellschaft, sein müsse. Er irrte sich jedoch; als das Packetboot näher kam, überschickte es seinen Namen: »Saxonia« von der Steam-National-Company. Einige Augenblicke fuhren die beiden Schiffe Bord gegen Bord, weniger als drei Kabellängen von einander entfernt; das Verdeck der »Saxonia« war mit Passagieren bedeckt, die uns mit dreifachem Hurrah begrüßten.

Um fünf Uhr schon zeigte sich ein neues Schiff am Horizont, hielt sich aber zu entfernt, als daß man seine Nationalität hätte ermitteln können. Sehr wahrscheinlich war dies die »City of Paris«. Diese Begegnungen von verschiedenen Schiffen, gleichsam Gästen auf dem Atlantischen Ocean, haben etwas sehr Anziehendes. Man sendet Grüße herüber und hinüber, und die Gemeinsamkeit, mit der man den Gefahren trotzt, schafft Theilnahme und Sympathie auch zwischen Unbekannten.

Um sechs Uhr kam noch ein anderes Schiff, die »Philadelphia« der Inman-Linie, vorbei; sie besorgte den Auswanderer-Transport von Liverpool nach New-York. Wir durchfuhren jetzt besuchte Meere, und das von mir so sehr ersehnte Land konnte nicht mehr fern sein.

Man erwartete auch die »Europa«, ein Radpacketboot von 3200 Tonnen Gehalt und 1300 Pferdekraft, einen Steamer der Transatlantischen Gesellschaft, [115] der den Passagierdienst zwischen Havre und New-York versieht. Er mußte jedoch mehr nördlich gegangen sein, da man ihn nicht signalisirte.

Gegen halb acht Uhr brach die Dunkelheit herein; der Mond, heute eine schmale goldene Sichel, löste sich gleichsam von den Strahlen der untergehenden Sonne ab und schwebte über dem Horizont. Eine religiöse Andacht, die Kapitän Anderson im großen Saale hielt, endete erst gegen neun Uhr, und die getragenen Melodien des Kirchengesangs, von dem sie ab und zu unterbrochen wurde, klangen halb verloren zu mir hinüber.

Der Tag war vorbeigegangen, ohne daß weder Hauptmann Corsican noch ich den Besuch der erwarteten Zeugen von Harry Drake erhalten hatten.

29. Capitel

Neunundzwanzigstes Capitel.
Die Zeugen Harry Drake's.

Mit dem folgenden Morgen brach der 8. April und ein herrlicher Tag an, die Sonne strahlte gleich von ihrem Aufgange prächtig hernieder.

Auf dem Verdeck sah ich den Doctor, der sich behaglich sonnte, und, so wie er mich sah, zu mir herankam.

»Nun, unser armer Patient ist todt, begann er; in dieser Nacht gestorben. Der Schiffsarzt bürgte für ihn, und der wußte natürlich seinen Zustand am Besten zu beurtheilen! Ja, die Aerzte! die wissen Alles, das kennt man! Dies ist nun die vierte Leiche, seit wir Liverpool verlassen haben, der vierte Reisegefährte, der unter die Passiva des Great-Eastern zu stellen ist, und unsere Fahrt hat noch nicht ihr Ende erreicht!

– Der arme Mann! was wird aus seiner Frau und seinen kleinen Kindern werden? rief ich. So traurig umzukommen, wo wir die amerikanische Küste fast schon in Sicht hatten, so nahe am Hafen!

– Das ist nun einmal nicht anders, mein lieber Herr, philosophirte melancholisch der Doctor. Wir müssen uns unter das Gesetz beugen und sterben, damit die nach uns kommen Raum haben. Meine Ansicht ist, daß man nur deshalb stirbt, um einem Andern, der Anspruch auf unsere Stelle [116] hat, Platz zu machen. Wissen Sie, wie viel Leute gestorben sein werden, wenn ich sechzig Jahre gelebt habe?

– Keine Ahnung, Herr Doctor.

Die Rechnung ist sehr einfach; wenn ich sechzig Jahre lebe, habe ich 21,900 Tage, gleich 525,600 Stunden, gleich 31,536,000 Minuten, endlich gleich 1,882,160,000 Secunden gelebt, in runder Summe 2,000,000,000 Secunden. Nun werden aber in dieser Zeit genau 2,000,000,000 Individuen, die ihren Nachkommen im Wege waren, gestorben sein, und wenn die Zeit kommt, wo ich im Wege stehe, werde auch ich das Feld räumen müssen. Man kann eben nur wünschen, so spät wie irgend möglich im Wege zu stehen.«

Der Doctor gefiel sich noch einige Zeit darin, nachzuweisen, daß wir Alle sterblich sind, was schließlich nicht besonders schwierig war. Ich fand in seinen Expectorationen nichts, was ich bestreiten konnte, und ließ ihn reden.

Während wir so, plaudernd und zuhörend, auf- und abgingen, sah ich Zimmerleute an Bord damit beschäftigt, die Schilder zu repariren, die am Vorderdeck von der doppelten Sturzwelle eingestoßen waren. Wollte Kapitän Anderson nicht in New-York mit Havarie einziehen, so mußten die Handwerker eilen, denn der Great-Eastern flog mit einer Schnelligkeit auf diesen ruhigen Gewässern dahin, wie noch nie zuvor. Am deutlichsten nahm ich diese Thatsache an der Fröhlichkeit unseres jungen Pärchens wahr, das jetzt, wenn es am Geländer lehnte, nicht mehr die Radumdrehungen zu zählen versuchte. Die langen Pleuelstangen entwickelten sich mit reißender Schnelligkeit, und die kolossalen Cylinder, die auf ihren Zapfen oscillirten, glichen einem Geläut von Glocken, die mit der größten Schnelligkeit in Bewegung gesetzt werden. Die Räder lieferten jetzt elf Umdrehungen per Minute, und wir bewegten uns mit einer Vehemenz von dreizehn Meilen pro Stunde von der Stelle.

Um zwölf Uhr wurde heute von den Officieren nicht das Besteck gemacht; sie konnten ihre Lage nach Schätzung erkennen; das Land mußte in Kurzem signalisirt werden.

Als ich nach dem Lunch spazieren ging, kam Hauptmann Corsican zu mir heran, und ich sah sofort an seiner sorgenvollen Miene, daß er mir Etwas mitzutheilen habe.

»Fabian hat die Zeugen Drake's empfangen und mich ersucht, sein Secundant zu sein. Auch Sie läßt er durch mich bitten, ihm in dieser Angelegenheit gütigst zur Seite stehen zu wollen. Wir dürfen doch auf Sie rechnen?

[117] – Ja, Hauptmann. So ist also jede Hoffnung, diese unselige Begegnung hinaus zu schieben oder zu verhindern, geschwunden?

– Es ist nicht mehr daran zu denken!

– Aber sagen Sie mir, wie entstand eigentlich der Streit im Smokingroom?

– Der Anlaß war ein bloßer Vorwand, eine Erörterung über das Spiel. So viel steht fest, wenn Fabian diesen Drake nicht kannte, so kannte er ihn um so besser. Der Name Fabian ist für ihn so viel wie ein Gewissensbiß, und er gedenkt, ihn mit dem Mann, der ihn trägt, aus der Welt zu schaffen.

– Wer sind Harry Drake's Zeugen? fragte ich.

– Der eine ist jener Possenreißer ....

– Doctor T ....?

– Ja wohl, und der andere ein Yankee, der mir nicht bekannt ist.

– Wann werden sie zu Ihnen kommen?

– Ich erwarte sie hier.«

Wirklich bemerkte ich in diesem Augenblick die beiden Zeugen, die auf uns zukamen. Doctor T .... setzte sich gewaltig in Positur und kam sich augenscheinlich sehr wichtig in der Mission vor, einen Schurken zu vertreten. Sein Begleiter war ein anderer Tischgenosse Drake's, einer von jenen eklektischen Kaufleuten, die immer gerade das zu verkaufen haben, was man ihnen zu kaufen vorschlägt.

Nachdem Doctor T .... mit Emphase gegrüßt hatte, was Hauptmann Corsican übrigens kaum erwiderte, nahm er das Wort und begann sehr feierlich:

»Meine Herren, unser Freund Drake, ein Gentleman, dessen seine Sitten und Verdienste Jedermann zu würdigen weiß, hat uns zu Ihnen gesandt, um über eine höchst delicate Sache zu verhandeln, oder vielmehr, Hauptmann Mac Elwin, an den wir uns zunächst wandten, hat uns Sie Beide als seine Stellvertreter in dieser Angelegenheit bezeichnet. Ich hoffe, daß wir uns, wie es sich für honnete Leute paßt, mit Ihnen über die delicaten Punkte unserer Mission vereinigen werden.«

Wir antworteten nicht und überließen es der honneten Persönlichkeit, mit »Delicatesse« weiter zu schwatzen.

[118] »Meine Herren, fuhr Doctor T .... fort, es bedarf natürlich keiner weiteren Erörterung darüber, daß das Unrecht auf Seiten des Hauptmann Mac Elwin ist. Der Herr hat ohne Grund, ja sogar ohne Vorwand die Ehrenhaftigkeit unseres Freundes Harry Drake in einer Spielfrage angegriffen und ihm sodann, ohne jede Herausforderung, die schwerste Injurie zugefügt, die einem Gentleman füglich widerfahren kann ....«

Diese süßlichen Redensarten wurden endlich dem Hauptmann zu viel; er biß sich ungeduldig auf den Schnurrbart und rief, indem er barsch dem Doctor das Wort abschnitt:

»Zur Sache, mein Herr, wenn ich bitten darf; die Angelegenheit ist so außerordentlich einfach, daß langes Reden darüber vollständig überflüssig wird. Hauptmann Mac Elwin hat die Hand gegen Herrn Drake erhoben, und Ihr Freund sieht die Ohrfeige als genossen an, er ist also der Beleidigte und verlangt Genugthuung; folglich steht die Wahl der Waffen ihm zu. Nun?

– Hauptmann Mac Elwin nimmt an? ... fragte Doctor T ...., der durch Corsican's Ton etwas aus dem Concept gebracht war.

– Alles.

– Unser Freund Harry Drake wählt den Degen.

– Gut. Wo soll die Begegnung stattfinden? In New-York?

– Nein, hier an Bord.

– An Bord, gut, wenn Ihnen daran liegt. Wann? morgen früh?

– Heute Abend um sechs Uhr, hinter dem großen Deckzimmer, das um die Zeit unbesucht ist.

– Es ist gut.«

Und Hauptmann Corsican nahm mich am Arm und drehte, ohne weiteren Blick oder Gruß, Doctor T .... den Rücken zu.

[119]

30. Capitel

Dreißigstes Capitel.
Eine Leiche an Bord.

Ein Aufhalten der Entwickelung war bei dieser unglücklichen Geschichte unmöglich geworden. Nur wenige Stunden noch trennten uns von dem Augenblick, wo die beiden Feinde sich gegenüber stehen sollten. Weshalb diese Ueberstürzung? Warum wartete Harry Drake nicht mit dem Duell, bis sein Gegner und er gelandet waren? Schien ihm dies von einer französischen Gesellschaft gemiethete Schiff ein günstigerer Boden für diese Begegnung, die ein Kampf auf Leben und Tod werden sollte? oder hatte Drake vielleicht ein geheimes Interesse, Fabian auf die Seite zu schaffen, bevor wir den Fuß auf amerikanischen Continent setzten und Ellen's Anwesenheit an Bord offenbar wurde? Ja, das mußte es sein!

»Nach Allem, was geschehen ist, liegt bitter wenig daran, sagte Hauptmann Corsican. Je eher die Geschichte jetzt zu Ende kommt, desto besser.

– Soll ich Doctor Pitferge bitten, dem Duell in seiner Eigenschaft als Arzt beizuwohnen?

– Ja, Sie werden wohl daran thun.«

Corsican verließ mich, um wieder zu Fabian zu gehen. Gleich darauf hörte ich die Schiffsglocke läuten, und der Steuermann theilte mir auf mein Befragen mit, daß das Begräbniß des armen Matrosen eingeläutet würde, der diese Nacht gestorben sei. Die traurige Ceremonie sollte also schon jetzt vollzogen werden. – Das bis zu dieser Stunde so herrliche Wetter ging offenbar einem Wechsel entgegen, denn im Süden ballten sich schwere, dunkle Wolken zusammen.


Der Kapitän verlas mit ernster Stimme das Gebet für die Todten. (S. 121.)

Beim Ruf der Glocke begaben sich die Passagiere in Menge auf Steuerbordsseite, die Stege, Radkasten, Verschanzungen, Wanten und die in ihren Taljen hängenden Boote füllten sich in kurzer Zeit mit Zuschauern. Officiere, Matrosen und Heizer, die gerade nicht Dienst hatten, stellten sich auf dem Verdeck auf.

Um zwei Uhr erschienen am Ende des großen Deckzimmers eine Gruppe Seeleute, die aus dem Krankenzimmer kamen und an der Steuermaschinerie vorüber gingen. Vier Mann trugen die Leiche des Matrosen; sie war in [120] ein Stück Segeltuch genäht und an den Füßen mit einer Kugel auf ein Brett geheftet. Die britische Flagge war über den Leichnam gebreitet, und die Träger rückten, von allen Kameraden des Todten gefolgt, langsam bis etwa zur Mitte der Versammlung vor.

Vor der Zuschauerreihe, die sich auf dem Radkasten placirt hatte, standen in Gala-Uniform Kapitän Anderson und die ersten Officiere; der Kapitän hatte ein Gebetbuch in der Hand; er entblößte sein Haupt und verlas mit [121] ernster Stimme, während das tiefste Schweigen herrschte, das Gebet für die Todten. Bei der schweren, sturmdrohenden Atmosphäre und der Ruhe rings umher konnte man auch sein leisestes Wort verstehen. Einige Passagiere antworteten mit gedämpfter Stimme.

Dann wurde der von den Trägern empor gehobene Körper in's Meer herab gelassen. Einen Augenblick schwamm er oben, dann richtete er sich auf und verschwand mitten in einem Schaumkreise in der Tiefe.

In derselben Minute ertönte aus dem Mastkorbe der Ruf:

»Land!«

31. Capitel

Einunddreißigstes Capitel.
Land! – Der Donner als Pitferge's Freund und Medicin.

Das Land, in demselben Moment angekündigt, da sich die Wasser über dem armen Matrosen schlossen, zeigte sich bald als eine Linie niedriger, gelber Dünen. Es war Long-Island, eine lange, durch kräftige Vegetation verschönte Sandbank, die die amerikanische Küste von der Montaukspitze bis Brooklyn, der Vorstadt von New-York, deckt. Eine Menge Küstenfahrer segelten am Rande der mit Villen und Lustschlössern bebauten Insel dahin. Das Eiland ist eine Lieblings-Villeggiatur der New-Yorker.

Die Passagiere winkten mit der Hand dem nach einer zu langen Ueberfahrt so sehr ersehnten Land ihre Grüße zu; unsere Reise war nicht gefahrlos und leicht gewesen. Alle Ferngläser richteten sich auf das erste Stückchen amerikanischen Continent, und Jeder sah es durch sein Leid oder seine Freude mit andern Augen an. Die Yankees begrüßten in ihm ihr Heimatland, während die Anhänger der Südstaaten mit der Verachtung des Besiegten für den Sieger auf diese Nordländer herabblickten. Die Canadier blickten darauf hin als Menschen, die nur einen Schritt zu machen hatten, um Bürger der Union zu werden, die Californier setzten bereits im Geist ihren Fuß über all diese Ebenen des Far-West hinweg auf die unerschöpflichen Goldgruben; die Mormonen sahen kaum mit verächtlich gekräuselter Lippe und hochmüthig erhobenem Haupt auf diese Gestade und dachten ihres Salzsees und der [122] Stadt der Heiligen in unzugänglicher Wüste; unsere jungen Brautleute aber schauten strahlenden Auges und mit lächelndem Munde hinüber zu dem ersehnten Continent, für sie das Gelobte Land.

Der Himmel bedeckte sich mehr und mehr, und finsteres Gewölk zog, wie es schien, vom südlichen Horizont heraus. Die Luft war drückend schwül, und die dunkle Wolkenmasse näherte sich von Minute zu Minute mehr dem Zenith. Es war so heiß, als sendete die Juli-Sonne ihre heißesten Strahlen senkrecht auf uns hernieder. Hatten die Zwischenfälle dieser Ueberfahrt noch nicht ihr Ende erreicht?

»Soll ich Ihnen etwas sehr Merkwürdiges mittheilen? fragte mich Doctor Pitferge, der auf den Laufplanken hinter mir hergekommen war.

– Thun Sie das, Doctor.

– Nun, wir werden heute noch ein Gewitter, vielleicht sogar einen Sturm erleben.

– Ein Gewitter im Monat April! rief ich ungläubig.

– Der Great-Eastern spottet der Jahreszeiten, versetzte Dean Pitferge achselzuckend, das Gewitter ist expreß für ihn zusammengerührt. Betrachten Sie ein mal die unheimliche, förmlich Aufruhr strahlende Farbe dieser Wolkenmasse; den Formen nach haben sie Aehnlichkeit mit Thierkörpern aus antediluvianischer Zeit. In kurzer Zeit werden sie auf einander losfahren und sich verschlingen.

– Ich gebe zu, daß der Horizont sehr drohend aussieht, sagte ich. Wären wir im Monat Juli, so würde ich Ihnen unbedenklich Recht geben, aber heute – nein!

– Ich wiederhole meine Behauptung auf das Entschiedenste, rief der kleine Doctor aufgeregt, das Gewitter bricht höchstens in wenigen Stunden los; ich fühle das so genau wie ein Barometer. Sehen Sie doch jene Dünste dort, beobachten Sie diese Cyrrhus 1, diese ›Katzenschwänze‹, die immer wieder in einander verschmelzen und neu entstehen, und die dunkeln Ringe, von denen der Horizont förmlich verengt wird. In kurzer Zeit muß eine Verdichtung der Dünste und in Folge davon Elektricitätserzeugung vor sich gehen. Uebrigens ist das Barometer plötzlich auf siebenhunderteinundzwanzig Millimeter gefallen, [123] und der Wind kommt aus Südwest; nur bei Südwestwind sind Gewitter im Winter möglich.

– Ihre Beobachtungen mögen Etwas für sich haben, Doctor, räumte ich ein, aber bedenken Sie doch! wer hat jemals in dieser Jahreszeit und unter diesen Breiten Gewitter erlebt!

– Sie gehören selbstverständlich zu den Seltenheiten, aber man findet sie doch ab und zu in den Jahrbüchern aufgeführt. Hätten Sie z.B. in den Jahren 1172 oder 1824 gelebt, so würden Sie im ersten Fall ein Gewitter im Februar mit angesehen, im letzteren den Donner im December haben rollen hören. Anno 1837 im Januar schlug der Blitz bei Drammen in Norwegen ein und richtete beträchtlichen Schaden an, und noch im letzten Jahre sind im Monat Februar am Canal Schifferboote aus Tréport vom Blitz getroffen worden. Wenn ich Zeit und Lust hätte, die Journale nach derartigen Notizen zu durchstöbern, würde ich Ihren Unglauben mit eclatanten Beweisen in Grund und Boden schmettern.

– Nun, Doctor, wenn es absolut nicht anders sein kann ... wir werden ja sehen. Sie haben doch keine Furcht vor dem Donner?

– Ich? fragte der Doctor lebhaft; der Donner ist sogar mein Freund, und mehr als das, mein Arzt!

– Ihr Arzt?

– Gewiß ist er das! So wie ich hier vor Ihnen stehe, bin ich am 13. Juli 1867 in Kiew bei London vom Blitz getroffen und dadurch von einer Lähmung des rechten Arms geheilt worden, die aller Anstrengungen der Aerzte spottete.

– Der Herr Doctor belieben zu scherzen.

– Durchaus nicht! es ist das eine ökonomische Behandlung, eine Behandlung mittelst Elektricität. Es lassen sich noch ganz andere authentische Thatsachen dafür anführen, mein lieber Herr, daß der Donner klüger ist, als die geschicktesten Doctoren, und seine Intervention gerade in den verzweifeltsten Fällen oft wunderbar wirkt.

– Ich muß gestehen, daß ich wenig Vertrauen auf Ihren Arzt habe, Doctor, erklärte ich, ich halte es für eine riskante Sache, ihn zu consultiren.

– Weil Sie ihn nicht bei der Arbeit gesehen haben. Warten Sie, da fällt mir noch ein Beispiel ein; im Jahre 1817 wurde ein Bauer aus Connecticut, der an einem für unheilbar gehaltenen Asthma litt, auf seinem Felde [124] vom Blitz getroffen und radical geheilt. In diesem Fall haben wir also einen Brustblitzschlag zu constatiren.«

Ich glaube, der Doctor wäre im Stande gewesen, den Donner in Pillenform einzugeben.

»Lachen Sie nur, Sie Unwissender! Lachen Sie, so viel Ihnen beliebt; Sie verstehen vom Wetter ebenso wenig wie von der Medicin!«

Fußnoten

1 Federwolken.

32. Capitel

Zweiunddreißigstes Capitel.
Lösung der Lootsenfrage und Edelmuth des Hauptmanns Corsican.

Doctor Dean Pitferge verließ mich ziemlich ungehalten, und ich blieb allein auf dem Verdeck zurück und beobachtete das aufsteigende Gewitter. Fabian war noch in seiner Cajüte eingeschlossen und Corsican bei ihm; jedenfalls traf mein Freund noch einige Anordnungen für den Fall eines unglücklichen Ausgangs der heutigen Affaire. Es fiel mir jetzt ein, daß Fabian eine Schwester in New-York hatte, die seiner Ankunft gewiß schon sehnsüchtig entgegensah, und ich zitterte bei dem Gedanken, daß wir ihr den Bruder als Leiche bringen müßten. Gern wäre ich in diesen Stunden mit Fabian vereint gewesen, aber ich mußte mir sagen, daß es besser sei, ihn und Hauptmann Corsican jetzt nicht zu stören.

Um vier Uhr bekamen wir eine Landstrecke, die sich lang vor der Küste von Long Island hinzieht, in Sicht; in der Mitte erhob sich ein Leuchtthurm, der den Schiffen das Land verkündete; die Passagiere hatten das Verdeck und die Stege besetzt, und Aller Augen richteten sich auf die Küste, die ungefähr sechs Meilen nördlich blieb. Man wartete mit gespanntem Interesse auf den Augenblick, wo die Ankunft des Lootsen die Angelegenheit der Poule regeln würde. Begreiflicherweise hatten die Besitzer der Nachtviertelstunden – ich selber gehörte unter ihre glückliche Zahl – jede Hoffnung aufgegeben, und auch die Tagesviertelstunden, außer denen, die zwischen vier und sechs Uhr lagen, hatten keine Chancen mehr. Noch vor Einbruch der Dunkelheit mußte der Lootse an Bord kommen, und hiermit fand die Sache ihre Entscheidung. Das ganze Interesse concentrirte sich mithin auf die sieben bis acht Personen, denen das Loos die nächsten sieben bis acht Viertelstunden zuertheilt hatte, und diese machten ein profitables Geschäft daraus, ihre Chancen mit wahrer [125] Wuth zu verkaufen, wieder zu erhandeln und von Neuem loszuschlagen. Man hätte sich auf die Royal-Exchange in London versetzt glauben können.

Um vier Uhr sechzehn Minuten signalisirte man von Steuerbord einen kleinen Schooner, der auf das Steamschiff hinhielt. Jetzt schwand jeder Zweifel: das war der Lootse; in vierzehn, höchstens fünfzehn Minuten mußte er an Bord sein. Der Kampf beschränkte sich jetzt also nur noch auf das zweite und dritte Viertel zwischen vier und fünf Uhr Abends. Natürlich begannen nun Nachfrage und Angebot mit erneuter Lebhaftigkeit, und es entspannen sich so unsinnige Wetten über die Person des Lootsen, daß ich es vorziehe, hier ihren genauen Wortlaut wiederzugeben:

»Zehn Dollars, daß der Lootse eine Frau hat.

– Zwanzig Dollars, daß er Witwer ist.

– Dreißig Dollars, daß er einen Schnurrbart trägt.

– Fünfzig Dollars, daß sein Backenbart in's Röthliche spielt.

– Sechzig Dollars, daß er eine Warze auf der Nase hat.

– Hundert Dollars, daß er mit dem rechten Fuß zuerst auf's Verdeck kommen wird.

– Er raucht.

– Er wird eine Pfeife im Munde haben.

– Nein, eine Cigarre!

– Nein! Ja! Nein!«

Und mindestens noch zwanzig andere abgeschmackte Wetten, zu denen sich immer noch abgeschmacktere Leute fanden, die sich daran betheiligten.

Während dessen näherte sich der kleine Schooner, seine Segel so dicht wie möglich beim Winde, Steuerbordsseite zu, merklich dem Dampfer. Man unterschied die hübsche, ziemlich erhabene Form des Vordertheils und seine in die Länge gezogene Gilling, die ihm das Ansehen einer Vergnügungs-Yacht gab. Diese Lootseeboote sind ebenso graciöse als solide Boote von fünfzig bis sechzig Tonnen, sehr seetüchtig und richtig im Wasser fußend; sie heben sich gegen den Wellenschlag wie eine Möwe. Man könnte Lust bekommen, auf solcher Yacht die Welt zu umsegeln; die Caravellen Magelhaen's wogen sie nicht auf. Dieser anmuthig geneigte Schooner hatte trotz der Brise, die jetzt anfing frisch zu werden, alle Segel beigesetzt, seine Mastspitzen und Stagsegel stachen weiß gegen den dunkeln Grund des Firmaments ab, das Meer schäumte unter seinem Vordersteven. In einer Entfernung von zwei [126] Kabellängen vom Great-Eastern angekommen, ließ er plötzlich die Segel back brassen und setzte sein Boot in's Meer. Kapitän Anderson ließ stoppen, und zum ersten Mal seit vierzehn Tagen standen Räder und Schraube still. Ein Mann stieg in das Boot des Schooners, und vier Matrosen schwammen auf den Steamer zu. Jetzt wurde an der Seite unseres Kolosses eine Sturmleiter hinuntergelassen, neben der die Nußschale des Lootsen anlegte; dieser griff hinein, kletterte behende empor und stand in wenigen Augenblicken auf dem Verdeck.

Er wurde von dem Triumphgeschrei der Gewinner und mit Rufen der Enttäuschung von Seiten der Verlierenden empfangen; die Poule regelte sich nach folgenden Daten:

Der Lootse war verheiratet.

Er hatte keine Warze an der Nase.

Er trug einen blonden Schnurrbart.

Er war mit beiden Füßen zugleich auf's Verdeck gesprungen.

Endlich war es genau vier Uhr sechsunddreißig Minuten, als er die Füße auf das Verdeck des Great-Eastern setzte.

Der Besitzer der dreiundzwanzigsten Viertelstunde gewann also sechsundneunzig Dollars; es war Hauptmann Corsican, gewiß derjenige von allen Mitspielenden, der am Wenigsten an diesen unerwarteten Gewinn gedacht hatte. Nach kurzer Zeit erschien er auf dem Verdeck, und als ihm hier sofort der Einsatz der Poule überreicht wurde, bat er den Kapitän Anderson, das Geld der Wittwe des jungen verunglückten Matrosen zukommen zu lassen; der Commandant antwortete ihm nur mit einem warmen Händedruck. Einige Augenblicke später wurde Corsican von einem Seemann aufgesucht, der ihn zu sprechen wünschte, er grüßte den Hauptmann in seiner kurzen, wenig förmlichen Art und sagte dann:

»Mein Herr, die Kameraden haben mich abgeschickt, Ihnen zu sagen, daß Sie ein braver Mann sind Wir Alle danken Ihnen im Namen des armen Wilson, der Ihnen ja selbst nicht mehr danken kann.«

Hauptmann Corsican drückte gerührt dem Matrosen die Hand.

Der Lootse war ein kleiner Mann von wenig seemännischem Aeußern, mit einer Mütze von Wachsleinwand, schwarzen Beinkleidern und einem braunen Ueberrock mit rothen Litzen bekleidet und hatte einen Regenmantel um. Er war jetzt Herr an Bord.


Ich beobachtete das aufsteigende Gewitter. (S. 125.)

Als er auf's Verdeck gesprungen war, hatte er, noch bevor er die Brücke bestieg, ein Bündel Zeitungen abgegeben, auf das die Passagiere mit großer Hast zustürzten. Man bekam hier zum ersten Mal wieder Nachrichten aus Europa, und dies war das politische und bürgerliche Band, das sich von Neuem zwischen dem Great-Eastern und den beiden Continenten an [127] knüpfte.


Man signalisirte einen kleinen Schooner. (S. 126.)
[128]

33. Capitel

Dreiunddreißigstes Capitel.
Das Duell und sein kritischer Ausgang.

Das Gewitter war wirklich herausgezogen und der Kampf der Elemente sollte beginnen; dichte Wolken von eintöniger Färbung rundeten sich über uns; die verdüsterte Atmosphäre gewährte einen fast flockigen Anblick; die Natur schien Doctor Pitferge's Prophezeiungen bestätigen zu wollen. Der Steamer [129] verminderte nach und nach seine Schnelligkeit, die Räder lieferten jetzt nur drei bis vier Umdrehungen in der Minute; durch die halbgeöffneten Ventile entwichen weiße Dampfwirbel, und die Ankerketten wurden klar gelegt. An der Besanstange wehte die britische Flagge. Kapitän Anderson hatte, wie man sieht, alle Anordnungen zum Ankern getroffen. Von der Höhe des Steuerbordradkastens ließ der Lootse den Steamer durch Zeichen mit der Hand seine Schwenkungen in dem engen Fahrwasser ausführen, aber schon nahte die Ebbe, und so konnte die Sandbank, die die Mündung des Hudson schneidet, von dem Great-Eastern nicht mehr überschritten werden. Man mußte nothgedrungen bis zum andern Morgen auf die Fluth warten! Noch ein Tag!

Um drei Viertel auf fünf wurden auf Anordnung des Lootsen die Anker in den Grund gesenkt, und die Ketten liefen mit einem so lauten klirrenden Krachen durch die Klüsgaten, daß ich einen Augenblick glaubte, das Gewitter fange an sich zu entladen.

Als die Schaufeln sich in den Sand gesetzt hatten, drehte der Dampfer sein Vordertheil dem Drange der Ebbe zu und blieb unbeweglich; kein Kräuseln des Meeres brachte das Schiff aus der wagerechten Lage, der Great-Eastern war zu einer Insel geworden.

In diesem Augenblick erscholl zum letzten Mal die Trompete des Steward; sie rief die Passagiere zum Abschiedsessen. Die Société des Affréteurs wollte ihre Gäste heute mit Champagner bewirthen, und nicht einer der Passagiere hätte heute beim Diner fehlen mögen. Nach Verlauf einer Viertelstunde waren die Säle überfüllt und das Verdeck leer und verödet.

Und doch, sieben Plätze sollten bei dem Festmahl unbesetzt bleiben, denn ebenso viele Personen bereiteten sich zu einem grausigen Spiel um Leben und Tod vor: die beiden Gegner, über deren Leben die Würfel im Zweikampf entscheiden sollten, und die vier Zeugen nebst dem Doctor, die sich eingefunden hatten, um ihnen zur Seite zu stehen. Die Zeit zum Duell wie auch der Ort zum Kampfe waren gut gewählt; das Verdeck hatte sich, wie schon erwähnt, vollständig geleert, denn die Passagiere waren in die »Dining-rooms« hinabgestiegen, die Janmaats befanden sich auf ihren Posten und die Officiere in ihren Privatzimmern. Da das Schiff unbeweglich vor Anker lag, hatte auch der Steuermann seinen Platz auf dem Hinterdeck verlassen. Um fünf Uhr zehn Minuten gesellten sich Fabian und Corsican zu dem Doctor und mir. Ich hatte meinen Freund seit der Spielscene nicht wiedergesehen; er [130] erschien mir jetzt wie von tiefer Traurigkeit übermannt zwar, aber in seiner gewöhnlichen, vollen Ruhe. Das Duell kümmerte ihn wohl wenig; seine Gedanken weilten bei Ellen, seine unruhigen Blicke suchten sie überall. Er reichte mir, ohne ein Wort zu sprechen, die Hand.

»Harry Drake ist noch nicht hier? fragte Hauptmann Corsican.

– Bis jetzt noch nicht, antwortete ich.

– Begeben wir uns nach dem Ort des Zusammentreffens, auf's Hinterdeck.«

Fabian, Hauptmann Corsican und ich gingen am großen Deckzimmer hin. Der Himmel wurde mit jeder Minute dunkler, und dumpfes Grollen ließ sich hören, das wie ein tiefer Baß zu den Hurrahs und »Hips« tönte, die unaufhörlich aus den Speisesälen an unser Ohr drangen. Einige entfernte Blitze zuckten jäh und leuchtend durch die Wolken, die ganze Atmosphäre war von der gewaltig gespannten Elektricität gesättigt.

Um fünf Uhr zwanzig Minuten kam Harry Drake mit seinen beiden Zeugen an; die Herren grüßten, und ihr Gruß wurde genau ebenso erwidert; Drake verhielt sich vollkommen schweigend, obgleich man auf seinem Gesicht große Erregtheit las. Er warf einen Blick des Hasses und der Wuth auf Fabian, der apathisch an die Rampe gelehnt stand und ihn bis jetzt kaum bemerkt, geschweige denn angesehen hatte. Mac Elwin schien in tiefe Betrachtungen versunken und dachte vielleicht nicht einmal an die Rolle, die er in diesem ernsten Drama spielen sollte.

Inzwischen hatte sich Corsican an den Yankee, einen der Zeugen, gewandt und von ihm die Degen verlangt und erhalten. Es waren Floretts, deren volles Stichblatt die Hand des Kämpfenden gänzlich beschützte. Corsican betrachtete sie genau, bog die Klingen, maß sie und ließ den Yankee einen wählen. Harry Drake hatte während dieser Vorbereitungen seinen Hut fortgeworfen, den Rock abgelegt, sein Hemd aufgeknöpft und die Manschetten zurückgestreift; dann ergriff er den Degen, und ich bemerkte hierbei, daß er »links« war, wodurch ihm ein unbestreitbarer Vortheil gegen Alle erwuchs, die gewohnt waren, mit der rechten Hand zu fechten.

Fabian hatte sich noch nicht von der Stelle gerührt; man hätte glauben können, daß all diese Vorbereitungen ihn nicht im Geringsten angingen. Hauptmann Corsican trat zu ihm heran, berührte ihn leicht mit der Hand und überreichte ihm den Degen. Fabian betrachtete das funkelnde Eisen, und es [131] leuchtete in seinen Augen auf, als wenn ihm plötzlich Alles wieder ins Gedächtniß käme.

Er faßte mit fester Hand den Degen.

»Ach richtig! murmelte er, ich erinnere mich!« und stellte sich Harry Drake gegenüber, der sich sofort deckte.

Auf diesem beschränkten Raum war ein Zurückweichen fast unmöglich, wer es versucht hätte, sich an den Schildern den Rücken zu decken, wäre übel daran gewesen; man mußte sich so zu sagen an Ort schlagen.

»Los, meine Herren«, sagte Hauptmann Corsican.

Augenblicklich begannen die Degen ihren Tanz, und schon die ersten Berührungen der Klingen, gewisse Degagements, von beiden Seiten geführte »Eins-Zwei« und Gegenstöße im Ticktack lieferten mir den Beweis, daß Fabian und Drake ungefähr von gleicher Stärke sein mußten

Ich hoffte Alles für Fabian, denn er blieb vollkommen Herr über sich und schien nicht einmal Regungen des Zorns in sich aufkommen zu lassen. Er kam mir bei weitem gleichgiltiger bei der ganzen Sache vor, als seine Zeugen. Harry Drake hingegen starrte ihn mit blutunterlaufenen Augen an, unter der zusammengekniffenen Oberlippe blitzten seine Zähne hervor den Kopf hatte er eingezogen, und seine ganze Physiognomie zeigte die Symptome des gehässigsten Zorns, der jede Kaltblütigkeit von vornherein unmöglich machte. Er war hierher gekommen, um zu tödten, und suchte jetzt seine Absicht auszuführen.

Nach dem ersten Gange, der einige Minuten gedauert hatte, senkten beide Kämpfer die Degen; keiner von ihnen war bis jetzt getroffen, nur eine leichte Schramme zeichnete sich auf Fabian's Aermel ab. Drake wie auch er ruhten einige Minuten, und Ersterer trocknete sich den Schweiß, der in großen Tropfen auf seinem Gesicht stand.

Das Gewitter löste sich jetzt in seiner vollen, entfesselten Wucht, der Donner rollte ohne Aufhören, und zuweilen vernahm man ein gewaltiges Krachen. Die Elektricität entwickelte sich mit solcher Intensität, daß auf den Degen wie auf Blitzableitern in Gewitterwolken Strahlenbüschelchen sprühten und tanzten.

Nach wenigen Augenblicken der Ruhe gab Hauptmann Corsican das Zeichen zum Wiederanfang; Fabian und Harry Drake fielen wieder in Deckung.

[132] Dieser Gang war weit lebhafter als der vorhergehende; Fabian vertheidigte sich mit einer Ruhe, die wirklich bewunderungswürdig war, während Drake mit completter Wuth auf ihn eindrang. Mehrmals dachte ich, Fabian würde zu einem rasenden Hieb, einem heftigen Gegenstoß ausholen, aber stets täuschte er meine Erwartung.

Plötzlich fiel Drake auf ein Degagiren mittelst Terz aus; ich glaubte nicht anders, als daß Fabian mitten auf der Brust getroffen sei; aber er war zurückgewichen und hatte, indem er einen zu niedrig geführten Stoß mit einer Quinte parirte, Harrys Degen mit einem Prellstoß getroffen. Dieser stand wieder auf, indem er sich mit einem raschen Halbkreis deckte, während gerade über uns die Wolken von flammenden Blitzen zerrissen wurden.

Fabian hatte jetzt gute Gelegenheit, einen Gegenstoß zu führen; aber nein! er wartete und ließ seinem Gegner Zeit, sich wieder zu fassen. Ich muß gestehen, daß diese Hochherzigkeit, mit der ein Subject wie Harry Drake geschont wurde, mir wenig behagte.

Auf einmal, ohne daß wir uns irgendwie diese merkwürdige Selbstvergessenheit Fabians erklären konnten, ließ er den Degen sinken. War er tödtlich getroffen, ohne daß wir eine Ahnung davon hatten? Alles Blut strömte mir zum Herzen.

Fabian's Blick hatte plötzlich ein eigenthümliches Leben angenommen.

»So vertheidigen Sie sich doch«, brüllte Drake, indem er sich auf seine Kniekehlen stützte, bereit, sich im nächsten Augenblick auf seinen Gegner zu stürzen.

Ich glaubte, jetzt sei es um meinen entwaffneten Freund geschehen, und Corsican wollte sich soeben zwischen ihn und Drake werfen, um zu verhindern, daß der wehrlose Mann getroffen würde ... als auch Harry Drake stutzte und regungslos stehen blieb.

Ich wandte mich um. Bleich wie eine Todte und mit ausgestreckten Händen kam Ellen auf die Kämpfenden zu: Fabian hatte ihr seine Arme entgegengebreitet, er schien wie bezaubert von ihrer Erscheinung und rührte sich nicht.

»Du! Du! schrie Harry Drake dem armen Wesen zu; Du hier?«

Sein Degen mit der funkensprühenden Spitze zitterte hoch erhoben in seiner Hand; man hätte ihn für das Schwert des Erzengels Michael in der Hand des Bösen halten können.

[133] Plötzlich hüllte ein blendender Blitzstrahl, ein gewaltsames Aufflammen der Atmosphäre das Hintertheil des Schiffes vollständig ein, ich wurde fast umgestoßen und athmete wie halb erstickt – Blitz und Donner waren auf einen Schlag gekommen. Ein schwefliger Geruch entwickelte sich, mit größter Anstrengung gewann ich jedoch meine Besinnung und erhob mich, denn ich war in die Kniee gesunken. Als ich mich umschaute, sah ich, daß Ellen sich an Fabian lehnte, Harry Drake befand sich, wie versteinert, noch immer in derselben Stellung, aber sein Gesicht war schwarz!

Der Unglückliche hatte mit seiner Degenspitze den Blitz angezogen und war von ihm erschlagen worden!

Ellen näherte sich mit einem Blick himmlischen Mitleids Harry Drake und legte die Hand auf seine Schulter; diese leichte Berührung schon genügte, um den Körper aus seinem Gleichgewicht zu bringen, er stürzte, eine leblose Masse, zu Boden.

Während wir schaudernd und entsetzt zurückwichen, beugte sich Ellen über den Leichnam. Das elende Herz hatte aufgehört zu schlagen.

»Vom Blitz getödtet! rief der Doctor, indem er mich am Arm ergriff, vom Blitz getödtet! Wollen Sie jetzt noch nicht an die Intervention des Donners glauben?«

Harry Drake war wirklich vom Blitz erschlagen worden, wie Dean Pitferge versicherte; der Schiffsarzt behauptete freilich später, es sei ein Gefäß in der Brust des Unglücklichen gesprungen. Wer von ihnen Beiden Recht hatte, weiß ich nicht, aber so viel stand fest: Wir hatten in Harry Drake nur noch einen Leichnam vor Augen.

34. Capitel

Vierunddreißigstes Capitel.
Ankunft in New-York.

Am folgenden Tage, Dienstag den 9. April, um elf Uhr Morgens, lichtete der Great-Eastern die Anker und machte klar, um in den Hudson einzulaufen, der Lootse manoeuvrirte mit einer unvergleichlichen Sicherheit [134] des Blicks. Das Gewitter war während der Nacht vorübergegangen, die letzten Wolken verschwanden hinter dem Horizont, und das Meer belebte sich unter der Aufschwenkung einer Schoonerflottille, die an der Küste hinstrich.

Gegen halb zwölf Uhr kam »La Santé« an und erwies sich als ein kleines Dampfboot, das die Sanitätscommission von New-York trug. Es bewegte sich mit einem Balancier, der sich über dem Verdeck hob und senkte, äußerst rasch vorwärts und gab mir einen Begriff von den kleinen amerikanischen Flußdampfern, die uns bald in einer Menge von einigen zwanzig das Geleit gaben; sie alle waren nach ein und demselben System gebaut.

Binnen Kurzem waren wir auch über das Lightboat, ein schwebendes Feuer, welches das Fahrwasser des Hudson bezeichnet, hinausgekommen, dann wurde die Spitze von Sandy-Hook, einer sandigen Landzunge mit Leuchtthurm, umdampft, und von hier aus grüßte uns ein kräftiges Hurrah aus den Kehlen einer dort versammelten Zuschauermenge.

Als der Great-Eastern um die Bucht gefahren war, die von der Spitze von Sandy-Hook gebildet wird, bemerkte ich die grünenden Höhen von New-Jersey, die starken Forts an der Bucht, und endlich die niedrige Linie der großen Stadt, die sich an dem Hudson- und East-River entlang zieht, wie etwa Lyon zwischen Rhône und Saône.

Nachdem wir an den Kais von New-York vorübergefahren waren, landeten wir um ein Uhr im Hudson, und die Anker hakten in die Telegraphenkabel im Flusse ein, die bei der Abfahrt zerrissen werden mußten.

Nun begann die Ausschiffung all der Reisegefährten, welche die Ueberfahrt mit uns gemeinsam gemacht hatten und sich von hier aus nach allen Richtungen zerstreuten.

Die Californier, die Anhänger des Südens, die Mormonen und auch das junge Paar sah ich an mir vorüberziehen ... ich wartete noch auf Fabian und auf Hauptmann Corsican.

Kapitän Anderson hatte sich von mir die näheren Umstände des Duells, das auf seinem Schiff ausgefochten war, des Genaueren erzählen lassen, und auch die Aerzte hatten ihm über den Todesfall genauen Rapport erstattet. Da das Gericht nun mit dem Tode Harry Drake's Nichts mehr zu schaffen hatte, war Befehl ertheilt worden, ihm die letzte Ehre zu erweisen.


Mit ausgestreckten Händen kam Ellen auf die Kämpfenden zu. (S. 133.)

Eben jetzt näherte sich mir der Statistiker Cokburn, der, nebenbei gesagt, auf der ganzen Reise kein Wort mit mir gesprochen hatte, und sagte:

»Wissen Sie, wie viel Umdrehungen die Räder [135] während unserer Ueberfahrt gemacht haben?

– Nein, mein Herr.

– 100,723.

– Wirklich? und wie viele die Schraube?

[136] – 608,130 Umdrehungen.

– Bin Ihnen außerordentlich verbunden, mein Herr.«

Und Herr Statistiker Cokburn wandte sich um und verließ mich ohne den leisesten Abschiedsgruß.

Fabian und Hauptmann Corsican holten mich in diesem Moment ein, und mein Freund drückte mir mit wärmster Herzlichkeit die Hand.

»Ellen wird wieder genesen, sie hatte soeben einen lichten Augenblick; ach, Gott ist gerecht; er wird sie wieder ganz gefunden lassen!«

Während Fabian so sprach, lächelte er froh der Zukunft entgegen. Hauptmann Corsican breitete seine Arme aus und zog mich ohne alle Umstände an seine Brust.

»Auf Wiedersehen, auf Wiedersehen!« rief er mir noch zu, als er schon auf dem Lichterschiff Platz genommen hatte; Fabian und auch Ellen unter der Obhut von Frau R ...., der Schwester meines Freundes, die ihm entgegengekommen war, wurden gleichfalls mit diesem ersten Schub der Passagiere zum »Pier« des Zollamts übergeführt.

Ich sah dem Fahrzeug nach, und als ich die arme, blasse Ellen zwischen Fabian und seiner Schwester bemerkte, gab auch ich mich der festen Hoffnung hin, daß es ihrer Liebe und Aufopferung gelingen würde, diesen durch Kummer und Seelenleiden gestörten Geist wieder zur Klarheit zu bringen.

Da ergriff mich Jemand am Arm, und, »ich fühlt's am Druck der Hand«, es war Doctor Dean Pitferge.

»Nun? was wird aus Ihnen? fragte er.

– Wahrhaftig, Doctor, ich weiß es noch nicht genau, die Rückfahrt will ich jedenfalls wieder auf dem Great-Eastern machen, da er aber hundertzweiundneunzig Stunden in New-York bleibt, habe ich die Zeit hier zu meiner Verfügung. Vielleicht könnten diese acht Tage zu einer Besichtigung von New-York, dem Hudson, dem Thal von Mohawk, dem Erie-See, dem Niagara und jenem ganzen von Cooper besungenen Lande ausreichen?

– Wie, Sie wollen nach dem Niagara? rief Dean Pitferge lebhaft aus. Bei Gott, ich würde ihn auch ganz gern einmal wiedersehen, und wenn .... ja factisch, wenn es nicht indiscret wäre ....?«

Der kleine Kerl mit seinen sonderbaren Einfällen amusirte mich im höchsten Grade; an ihm hatte ich einen ganz vorzüglichen und sehr unterrichteten Führer gefunden.

[137] »Natürlich! rief ich, kommen Sie mit!«

Eine Viertelstunde später schifften wir uns auf dem Lichterschiff ein und logirten uns um drei Uhr, nachdem wir den Broadway hinauf gefahren waren, in zwei Zimmern des Fifth-Avenue-Hotel ein.

35. Capitel

Fünfunddreißigstes Capitel.
Eine Weststadt.

Acht Tage in Amerika! Am 16. April sollte der Great-Eeastern wieder aufbrechen, und am 9., drei Uhr Nachmittags, hatte ich meinen Fuß zuerst auf den Boden der Vereinigten Staaten gesetzt. Acht Tage! Es giebt rasende Touristen, sogenannte »Courier-Reisende«, denen diese Zeit vielleicht genügt hätte, ganz Amerika zu bereisen, aber ich darf mir nicht anmaßen, zu ihnen zu gehören; ja ich wagte nicht einmal, in der erwähnten Frist New-York genau zu durchforschen und nach dieser extrarapiden Prüfung ein Buch über Sitten und Gebräuche der Amerikaner zu schreiben. Was den physischen Anblick und die Verfassung New-York's betrifft, ist ein Ueberblick bald gewonnen, denn seine Bauart ist nicht mannigfaltiger oder interessanter, als etwa ein Schachbrett. Die Straßen der Stadt schneiden sich im rechten Winkel und werden »Avenues« genannt, wenn sie in die Länge, und »Streets«, wenn sie in die Quere gehen. All diese Avenues und Streets sind statt anderer Straßennamen mit Nummern bezeichnet, was zwar eine höchst praktische Idee, aber von außerordentlich monotoner Wirkung ist; durch sämmtliche Avenues fahren amerikanische Omnibus. Hiernach kann man sich vorstellen, daß, wer ein Viertel von New-York gesehen hat, die ganze große Stadt kennt, abgesehen vielleicht von dem Imbroglio von Straßen und Gassen, die sich von seiner Südspitze ineinander schlingen, und in denen die handeltreibende Bevölkerung ihren Sitz hat. New-York ist eine Landzunge, und wie bei einer »Zunge« concentrirt sich seine ganze Thätigkeit auf der Spitze. Auf den Seiten fließen der Hudson und der East-River, zwei von Schiffen durchfurchte Meeresarme. Die Ferry-boats auf ihnen verbinden die Stadt zur Rechten mit Brooklyn, zur Linken mit [138] den Ufern von New-Jersey. Eine Hauptpulsader durchläuft schräg die symmetrisch geordneten Stadtviertel New-York's und bringt Leben in das Ganze. Das ist der alte »Broadway«, dasselbe, was für London der »Strand«, der Boulevard »Montmartre« für Paris ist. In seinem unteren Theile ist er durch den massenhaften Verkehr, der sich dort concentrirt, fast unzugänglich, während sein oberer Theil fast verödet daliegt; es ist dieses eine Straße, in der in unmittelbarster Nähe Baracken und Marmorpaläste mit einander abwechseln; ein förmlicher Strom von Fiakern, Omnibus, Cabs und Güterwagen, über den hinweg man Brücken geschlagen hat, um von einem Ufer, oder vielmehr von einem Trottoir zum andern zu kommen. Der Broadway ist New-York, und auf ihm gingen Doctor Pitferge und ich während der Abendstunden spazieren.

Nachdem wir im »Fifth-Avenue-Hotel« dinirt und hierbei liliputische Ragouts, auf Puppenschüsselchen servirt, verzehrt hatten, beschloß ich den Tag mit einem Besuch von Barnum's Theater. Es wurde gerade ein berühmtes Kassenstück: »New-York-Streets« aufgeführt, und will ich hier nur so viel davon erwähnen, daß im vierten Act eine Feuersbrunst spielte, bei der wirkliche Feuerwehr mit Löschmannschaften und Wagen auf die Bühne kam. Daher natürlich »great attraction«.

Am folgenden Morgen gingen Doctor Pitferge und ich jeder besonders seinen Geschäften nach, nicht bevor wir uns verabredet hatten, um zwei Uhr wieder im Hotel zusammenzutreffen. Ich holte mir von der Post, Liberty Street, 51, meine Briefschaften, begab mich nach Rowling-Green, 2, am untern Ende des Broadway zum französischen Consul, Herrn Baron Gauldree Boilleau, bei dem ich sehr liebenswürdige Aufnahme fand, fuhr nach dem Hause Hoffmann, wo ich einen Wechsel zu ziehen hatte, und endlich nach Nr. 25 der sechsunddreißigsten Straße zu Frau R ...., Fabian's Schwester. Es verlangte mich danach, zu hören, wie es Ellen und meinen beiden Freunden erging; zu meiner Ueberraschung aber wurde mir hier die Nachricht, daß Fabian, Corsican und Frau R .... auf ärztlichen Rath bereits New-York verlassen und Ellen mitgenommen hatten, um für ihr Leiden in frischer Wald- und Landluft Heilung zu suchen. Als ich nach Fifth-Avenue-Hotel zurückkehrte, fand ich ein Billet von Corsican vor; er war dort gewesen, um mich aufzusuchen, hatte mich aber nicht getroffen, und nur die kurze Benachrichtigung für mich hinterlassen, daß er in Begleitung seiner Freunde von New-York abreiste; [139] bei dem ersten, schön gelegenen Punkt, der Ellen auffiel, wollten sie Halt machen und so lange dort bleiben, als die arme Kranke es wünschte. Er, Corsican, versprach, mich über ihr Ergehen auf dem Laufenden zu halten, und fügte die Hoffnung hinzu, daß ich nicht Amerika verlassen würde, ohne noch einmal mit ihnen Allen beisammen gewesen zu sein. Er kam hiermit nur meinen Wünschen entgegen; wie gern wäre ich, wenn auch nur auf einige Stunden, noch mit Ellen, Fabian und Hauptmann Corsican zusammengetroffen! Doch dies ist die Schattenseite beim Reisen; sie waren fort – ich wußte nicht, wo? ich selber hatte jetzt eigene Pläne zu verfolgen – wer konnte mir sagen, ob ein Wiedersehen zwischen uns möglich sein würde?

Um zwei Uhr traf ich im »Bar-room« unseres Hotels, das mit Gästen überfüllt war, Doctor Pitferge. Die Passanten und Reisenden verkehrten in diesem großen öffentlichen Saal wie auf einer Börse und konnten sich hier gratis Eiswasser, Zwieback und Chester geben lassen.

»Nun, Herr Doctor, fragte ich, wann reisen wir ab?

– Heute gegen Abend um sechs Uhr.

– Fahren wir auf der Hudson-Eisenbahn?

– Nein, mit dem Saint-John, einem ganz vortrefflichen Dampfer; man könnte ihn wohl einen Fluß-Great-Eastern nennen. Es ist dies eine von jenen wundervollen Locomotionsmaschinen, die gern in die Luft zu springen pflegen. Eigentlich hätte ich Ihnen den Hudson lieber bei Tage gezeigt, aber der Saint-John fährt nur in der Nacht; morgen früh um fünf Uhr werden wir in Albany ankommen, um sechs Uhr fahren wir auf der New-York-Centralbahn weiter und können noch bei den Niagara-Fällen zu Abend essen.«

Ich hatte nichts gegen dies Programm einzuwenden und fügte mich ihm auf Treu und Glauben; die hydraulische Hebemaschine des Hotels hißte uns in's obere Stockwerk zu unsern Zimmern empor und setzte Pitferge und mich nebst unserem schmalen Touristengepäck in wenigen Minuten wieder unten ab. Ein Fiaker zu zwanzig Franken pro Fahrt brachte uns in einer Viertelstunde zum Pier des Hudson, vor dem der Saint-John schon bereit stand und dicke, schwarze Dampfwirbel in die Luft sandte.

[140]

36. Capitel

Sechsunddreißigstes Capitel.
Fahrt auf dem »Saint-John.« – Eine amerikanische Eisenbahn.

Der Saint-John und mit ihm der »Dean-Richmond« sind die schönsten Dampfer auf dem Hudson; eigentlich könnte man sie eher Gebäude als Boote nennen, denn sie haben zwei oder auch drei Stockwerke mit Terrassen, Galerien, Verandas und Promenadenplätzen; das Ganze muthete mich an, wie die Wohnung eines reichen Pflanzers. Darüber erheben sich zwanzig bewimpelte Pfähle, die mit eisernen Armaturen verbunden werden und das Ensemble des Baues zusammen halten. Die beiden kolossalen Radkasten sind al fresco, etwa wie die Giebelfelder der St. Marcuskirche in Venedig, gemalt. Hinter jedem Rade erhebt sich der Schornstein der beiden Kessel, die außerhalb und nicht in den Seiten des Steamers stehen; eine Vorsichtsmaßregel, die für den Fall einer Explosion sehr dankenswerth ist. Der äußerst einfache Mechanismus bewegt sich im Mittelpunkt zwischen den Radkasten; er besteht aus einem einzigen Cylinder, einer Kolben- und Pleuelstange, die einen langen Balancier wie einen ungeheuren, auf- und abgehenden Schmiedehammer in Bewegung setzt, und aus einer einzigen Lenkstange, die der Welle dieser massiven Räder die Bewegung mittheilt.

Es waren bereits eine Menge Passagiere auf dem Verdeck des Dampfschiffs angelangt; Dean Pitferge und ich beeilten uns, eine Cajüte zu belegen, die neben einem großen Saal, einer Art Galerie, lag, deren abgerundetes Gewölbe wie in einem Tempel der Diana auf Reihen korinthischer Säulen ruhte. Ueberall begegnete dem Auge Luxus und Comfort, Teppiche, Sophas, elegante Kunstgegenstände, hohe Spiegel, Malereien, und sogar in einem kleinen Gasometer an Bord fabricirtes Gas.

Plötzlich erbebte die ungeheure Maschine und setzte sich in Bewegung; ich stieg auf die oberen Terrassen und blickte hinunter. Auf dem Vordertheil erhob sich ein in brillanten Farben gemaltes Haus, der Raum für die Steuerleute, vier kräftige Männer hielten sich gerade jetzt an den Speichen des doppelten Steuerrades. Nach einer kleinen Promenade von wenigen Minuten stieg ich wieder auf das Verdeck zwischen die schon rothen Kessel, aus denen [141] unter dem Druck der Ventilatoren kleine blaue Flammen entwichen. Vom Hudson konnte ich nichts sehen, denn schon kam die Nacht herauf, und mit ihr legte sich ein dichter Nebel über den Strom, daß man ihn nicht mit dem Säbel hätte durchhauen können. Der Saint-John wieherte wie ein riesenhaftes Mastodon im tiefen Schatten, kaum konnte man hier und da von den Städten, die am Ufer lagen, einige Lichter erkennen und die Laternen der Dampfboote unterscheiden, die unter lauten Pfiffen das dunkle Gewässer hinausfuhren.

Um acht Uhr trat ich wieder in den Saal und begab mich mit dem Doctor in eine prächtige, auf dem Zwischendeck hergerichtete Restauration, wo wir zu Abend aßen, und in der eine Menge schwarzer Kellner servirten. Dean Pitferge theilte mir hier mit, daß die Zahl der Reisenden an Bord sich auf 4000 belief, unter denen sich etwa 1500 Auswanderer befanden, die in dem unteren Theil des Steamers eingepfercht waren. Als wir von der Tafel aufstanden, suchten wir alsbald unsere comfortable Cajüte auf und begaben uns zur Ruhe.

Um elf Uhr erwachte ich, wie mir schien von einem heftigen Stoß; der Saint-John hielt, denn der Kapitän hatte in dieser dichten Finsterniß nicht weiter manoeuvriren können und stoppen lassen. Das kolossale Boot lag in der Stromenge vor Anker und schlief ruhig ein.

Gegen vier Uhr Morgens nahm der Dampfer seine Fahrt wieder auf, und ich erhob mich, um die Morgenstunden unter der Veranda des Vorderdecks zu verleben. Es hatte jetzt aufgehört zu regnen, und der Nebel stieg; bald konnte ich das Flußwasser wieder sehen, und auch die Ufer tauchten nach und nach hinter dem schwindelnden Nebel auf. Nach der rechten Seite hin sah man grüne Sträucher und Bäume, die dem Ufer fast das Ansehen eines langen Friedhofs gaben, während im Hintergrunde eine Hügelkette den Horizont abgrenzte, zur Linken breitete sich, so weit das Auge reichte, flacher, sumpfiger Boden aus. Zwischen den Inseln des Hudson begegneten wir Schoonern, die bei der ersten Brise klar machen wollten, und ab und zu fuhren Dampfboote an uns vorüber, deren Weg den raschen Strom hinaufführte.

Nach einiger Zeit erschien auch mein Reisegefährte, Doctor Pitferge, unter der Veranda.

»Guten Morgen, rief er mir entgegen, nachdem er einige Minuten lang die frische Luft in tiefen Zügen eingeathmet hate; wissen Sie, daß wir, Dank [142] diesem verwünschten Nebel, in Albany unseren Zug versäumen werden? Unser Programm wird dadurch eine wesentliche Aenderung erleiden.

– Sehr fatal, Herr Doctor, besonders da uns unsere Zeit so knapp zugemessen ist.

– Nun, so gar böse ist diese Verzögerung nicht; wir werden den Niagarafall nur in der Nacht statt Abends erreichen.

– Es ist gerade nicht angenehm, aber wir müssen uns darein ergeben.«

Unsere Befürchtung traf ein, der Saint-John warf erst um acht Uhr am Kai von Albany seine Anker aus; wir mußten also den Zug ein Uhr vierzig abwarten und hatten volle Zeit, diese merkwürdige Stadt, die den legislativen Mittelpunkt im Staate New-York bildet, zu besichtigen. Die untere, sehr commercielle und volkreiche Stadt ist am rechten Ufer des Hudson angelegt, die obere besteht aus Backsteinhäusern und besitzt viele öffentliche Etablissements und ein sehr bedeutendes Fossilienmuseum. Dieser Theil von Albany hat viel Aehnlichkeit mit New-York, doch entfaltet es sich amphitheatralisch an einem Hügel.

Nachdem wir uns mit einem Frühstück erfrischt hatten, begaben wir uns auf den Bahnhof, der ohne jede Barrière, Geländer oder all dergleichen frei daliegt. Der Zug hält einfach auf der Straße wie ein Omnibus, und jeder, der ihn benutzen will, steigt ohne Umstände ein. Die langen Waggons werden vorn und hinten von einem Vierräder-System getragen und sind untereinander durch eine Art Brücken verbunden, die es den Reisenden ermöglichen, von einem Ende des Zuges nach dem andern zu promeniren. Zur bestimmten Stunde setzte sich unsere Locomotive, ein Meisterstück der Maschinenbaukunst, in flinke Bewegung, und ohne daß wir Zugführer oder sonstige Beamte zu sehen bekommen hatten, oder der Abgang durch Läuten signalisirt worden wäre, fuhren wir mit einer Schnelligkeit von zwölf Meilen in der Stunde davon. Anstatt, wie in den französischen Eisenbahnzügen, eingeschachtelt zu werden, hatten wir hier Freiheit auf und ab zu gehen, ungestempelte Zeitungen zu lesen und Bücher zu kaufen.


Der »Saint-John« auf dem Hudson. (S. 141.)

Es scheint, als sei der Stempel bis jetzt noch nicht in die amerikanischen Sitten und Gebräuche aufgenommen, als ob noch keine Censur in diesem merkwürdigen Lande darauf gekommen sei, daß die Lectüre der Reisenden mit mehr Sorgfalt überwacht werden müsse, als diejenige anderer Leute, die auf ihrem Sorgenstuhl am Kamin sitzen. Auch konnten wir uns all solche Bequemlichkeiten verschaffen, ohne auf Stationen [143] oder Bahnhöfe zu warten, denn Bibliothek und Trinkhalle befanden sich mit im Zuge.


Am Niagarafall. (S. 146.)

Dieser durcheilte unterdessen Felder ohne Barrièren, frisch urbar gemachte Wälder, neue Städte mit breiten, von Schienen gefurchten Straßen, denen nur die Häuser mangelten, und Altstädte mit poetischen Namen der alten Geschichte, wie Rom, Syrakus oder Palmyra. So zog das ganze Mohawkthal vor unseren Augen vorüber, das Land Fenimore's, das den [144] amerikanischen Romandichtern gehört, wie das Land Rob-Roys Walter Scott. Einige Augenblicke sahen wir am Horizont den Ontario-See glitzern, in dessen Gebiet Cooper die Scenen seines Meisterwerks verlegt hat; dieser ganze ehemals so wildromantische Schauplatz des großen Lederstrumpf-Epos ist jetzt eine cultivirte Landschaft geworden. Der Doctor gerieth vor Freude ganz außer sich; er bestand darauf, mich Falkenauge zu nennen, und wollte selber nur noch auf den Namen Chingakook hören.

[145] Um elf Uhr Abends stiegen wir in Rochester um und fuhren dann über die Stromschnellen von Tennessee hinweg, die unter unseren Waggons in Cascaden dahin schossen. Nachdem wir einige Meilen am Niagara hingefahren waren, ohne ihn jedoch zu sehen, kamen wir im Dorfe Niagara-Falls an, und der Doctor führte mich in ein prächtiges Hotel, das den stolzen Namen »Cataract-House« führt.

37. Capitel

Siebenunddreißigstes Capitel.
Am Niagara.

Der Niagara ist kein Strom, ja nicht einmal ein Fluß; es ist ganz einfach ein Ableitungsgraben der Natur, ein sechsunddreißig Meilen langer Canal, der die Wasser des Obern-Sees, des Michigan-, des Huron-und Erie-Sees in den Ontario ergießt. Die Niveauverschiedenheit zwischen diesen beiden letzteren Seen beträgt dreihundertundvierzig engl. Fuß. 1 Wäre dieselbe gleichmäßig auf die ganze Strecke vertheilt, so hätte sie kaum eine Stromschnelle erzeugt, aber die Fälle absorbiren für sich allein schon die Hälfte; so ist ihre furchtbare Vehemenz zu erklären.

Die Niagara-Rinne trennt Canada von den Vereinigten Staaten, und so ist ihr rechtes Ufer amerikanisch, ihr linkes englisch; auf der einen Seite Polizeidiener, auf der andern nicht einmal ihr Schatten.

Am Morgen des 12. April gingen der Doctor und ich bei Tagesgrauen die breiten Straßen von Niagara-Falls hinunter; das unmittelbar an den Fällen erbaute Dorf ist eine Art kleine Wasserstadt mit guter Luft, reizender Lage, comfortabeln Villen und prachtvollen Hotels, die während der schönen Jahreszeit viel von Canadiern und Yankees besucht werden. Niagara-Falls liegt dreihundert Meilen von Albany entfernt.

Die Sonne stand heute köstlich strahlend am kalten Himmel; am Horizont bemerkte ich einige Dünste, die aber nicht Wolken sein konnten, und von fern her war ein dumpfes Brausen zu vernehmen.

[146] »Rührt das Geräusch vom Niagarafall her? fragte ich den Doctor.

– Geduld!« lautete seine einzige Antwort.

In wenigen Minuten waren wir an den Ufern des Niagarafalls angekommen; die Wasser flossen friedlich dahin und waren flach und hell; zahlreiche Felsspitzen von grauer Färbung tauchten hier und da auf; das Tosen des Katarakts trat deutlicher hervor, aber noch bemerkte man ihn nicht. Eine hölzerne Brücke, die von eisernen Bogen getragen wurde, vereinigte das linke Ufer mit einer Insel, die mitten im Strome lag, und auf diese Brücke brachte mich Dean Pitferge. Stromaufwärts erstreckte sich unabsehbar der Fluß, und stromabwärts, zu unserer Rechten, verspürte man die ersten raschen Bewegungen der Stromschnelle. Als wir eine halbe Meile weit die Brücke verfolgt hatten, hörte plötzlich vor unseren Füßen der Boden auf, und Wasserstaubwolken schwebten in der Luft; das war »der amerikanische Fall«, den wir nicht sehen konnten. Jenseits sahen wir das canadische Ufer, eine ruhige Landschaft mit Hügeln, Villen, kleinen Häusern und entblätterten Bäumen.

»Sehen Sie noch nicht hin! sehen Sie nicht hin! rief mir Doctor Pitferge zu, sparen Sie sichs auf und machen Sie vorläufig die Augen zu. Ich werde Ihnen sagen, wenn Sie aufschauen sollen!«

Ich hörte nicht auf mein Original und blickte schon jetzt um mich. Als die Brücke überschritten war, befanden wir uns auf der Insel; sie heißt Goat-Island oder Ziegeninsel und umfaßt ein Stück Erde von siebenzig Acres, ist mit Bäumen und frischen Laubgängen bedeckt, die so breit sind, daß Wagen bequem in ihnen wenden können, und liegt, mit einem Wort, wie ein Blumenstrauß zwischen dem amerikanischen und canadischen Wasserfall. Wir eilten unter die hohen, prächtigen Bäume und überschritten die Abhänge, indem wir Treppen hinabstiegen. Das donnernde Geräusch verdoppelte sich jetzt, und feuchte Dunstwolken erfüllten die Luft.

»Jetzt sehen und staunen Sie!« rief Pitferge.

Der Niagara war beim Herausstürzen aus einem Mauergrunde jetzt in seiner ganzen Herrlichkeit erschienen; er machte an dieser Stelle eine scharfe Biegung und rundete sich ab, um den canadischen Fall, den sogenannten »Horse-Shoe-Fall«, zu bilden. Er stürzt aus einer Höhe von hundertundachtundfünfzig Fuß in einer Breite von zwei Meilen hernieder.

Die Natur hat Alles gethan, um diesen Ort zum schönsten der Welt zu machen, und Licht und Schatten vereinigen sich hier, um die überraschendsten[147] Wirkungen auf das Auge hervor zu bringen. Die Sonne erzeugt in launischem Spiel die verschiedenartigsten Farbeneffecte, deren Herrlichkeit jeder Beschreibung spottet, kurz, wer nicht selbst vor diesem Naturspiel gestanden hat, wird sich nie ein Bild von seiner Großartigkeit und Schönheit machen können. Der Schaum bei Goat-Island ist so weiß und flockig wie frisch gefallener Schnee, in der Mitte des Katarakts jedoch sind die Fluthen von köstlich meergrüner Farbe, von der man einen Schluß auf die Dicke der Wasserschicht ziehen kann. Der »Détroit«, ein Schiff mit zwanzig Fuß Tiefgang, ist einst diesen Fall hinab gefahren, ohne auf den Grund zu stoßen. Nach dem canadischen Ufer zu glitzern die Wasserwirbel in eigenthümlich metallischem Glanze unter den Lichtstrahlen, fast könnte man glauben, daß flüssiges, geschmolzenes Gold hinabfiele in die Tiefe. Der Fluß dort unten wird uns durch wirbelnde Dünste verborgen, aber mächtige, durch den Winter angehäufte Blöcke starren Eises schimmern zu uns herauf und scheinen ihrer Gestalt und Größe nach kolossale Ungethüme, die in ihren geöffneten Rachen so viel hundert Millionen Tonnen auffangen, wie hier mit jeder Stunde hernieder stürzen.

Eine halbe Meile stromabwärts fließt der Strom wieder ruhig und bietet eine feste Fläche dar, welche die ersten Lüfte des April noch nicht haben schmelzen können.

»Und jetzt mitten hinein in den Strom!« rief der Doctor.

Ich wußte zuerst nicht, was er mit diesen Worten sagen wollte, bemerkte aber bald einen Aussichtsthurm, der ganz nahe am Abgrund, etwa hundert Fuß vom Ufer entfernt, erbaut ist; das Denkmal ist im Jahre 1833 von einem kühnen Mann Namens Judge Porter errichtet und heißt der, Terrapin Tower.

Wir stiegen die Seitengelände von Goat-Island herab und sahen, als wir bei dem oberen Lauf des Niagara angekommen waren, eine Brücke oder eigentlich einige Bretter, die über Felsvorsprünge gelegt waren und Thurm und Ufer verbanden. Diese Brücke ging dicht an dem Abgrunde her, und darunter brüllte der Strom hinweg. Wir hatten uns auf die Bretter gewagt, in wenigen Augenblicken den Hauptblock, auf dem der Terrapin-Tower steht, erreicht und sahen nun, daß der Thurm etwa fünfundzwanzig Fuß hoch, rund und aus Stein aufgeführt ist; er hat einen kreisförmigen Balcon, der um seinen mit röthlichem Stuck bedeckten Dachstuhl läuft. Die Wendeltreppe ist aus Holz, und in ihr sind viele tausend Namen eingeschnitten. Oben [148] angelangt, klammerten wir uns an das Balcongitter und schauten auf das gewaltige Chaos zu unseren Füßen hinab.

Man blickt mitten in den Katarakt hinein und bis zu den großen Eisungeheuern hinunter, die in ihrem Rachen den Strom verschlingen; der Fels, auf dem der Thurm steht, erzittert, rings umher sieht man furchtbare Gruben, die der Strom ausgehöhlt hat, und kein Wort, das man spricht, wird von uns selber vor dem ungeheuren Brausen gehört, das wie ein fortwährendes Donnern alles Andere übertönt. Die flüssigen Linien rauchen und pfeifen wie dahinschnellende Pfeile, der Schaum spritzt bis hinauf zur Spitze des Denkmals, und das zu seinem, feuchtem Staub gewordene Wasser bildet in der Luft einen farbenglänzenden Regenbogen.

Durch eine einfache Wirkung der Optik scheint es, als ob sich der Thurm mit äußerster Schnelligkeit von der Stelle bewegte, und zwar glücklicherweise von dem Wasserfall hinweg; wäre die Illusion entgegengesetzter Art, so würde der Schwindel so unerträglich sein, daß Niemand in den Schlund hinabsehen könnte.

Als wir keuchend und wie zerschlagen einen Augenblick auf den obersten Absatz des Thurms hinausgetreten waren, glaubte Dean Pitferge den geeigneten Augenblick zu folgenden Worten gefunden zu haben:

»Ja, ja, mein lieber Herr, es wird nicht lange dauern, dann liegt dieser Tower tief unten im Abgrund. Die Sache wird sich schneller ereignen, als man vermuthet!

– Meinen Sie wirklich?

– Gar keinem Zweifel unterworfen! Der große canadische Fall weicht immer mehr zurück, zwar unmerklich, aber es ist doch klar erwiesen; als der Thurm Anno 1833 erbaut wurde, war er bedeutend weiter vom Katarakt entfernt. Es giebt sogar Geologen, die da behaupten, daß der Fall vor 35,000 Jahren in Queenstown, sieben Meilen von hier stromabwärts, gelegen habe. Nach M. Bakewell würde er nur in jedem Jahr um einen Meter zurückweichen, und nach Sir Charles Lyell sogar nur um einen Fuß. Jedenfalls wird der Augenblick kommen, wo der Felsen, auf dem der Thurm steht, von dem Wasser unterminirt sein wird und den Katarakt hinabgleitet. Von einer Thatsache aber können Sie überzeugt sein, mein lieber Herr: wenn der Terrapin-Tower hinabstürzt, werden sich gerade einige excentrische Menschen hier an unserem Platz befinden, die dann mit ihm den Niagara hinabfahren.«

[149] Ich sah mir unwillkürlich den Doctor darauf an, ob er wohl auch unter diesen Originalen sein würde, aber ich hatte keine Zeit, diesem Gedanken weiter nachzuhängen, denn er machte mir ein Zeichen, ihm zu folgen, und wir betrachteten von Neuem den »Horse-Shoe-Fall« und die ihn umgebende Landschaft. Man unterschied jetzt den in der Entfernung etwas kleiner scheinenden amerikanischen Fall, der durch die Spitze von der Insel getrennt ist, auf der sich auch ein kleiner hundert Fuß breiter Central-Katarakt gebildet hat. Dieser amerikanische, ebenso schöne Fall ist ungekrümmt, und seine Höhe beträgt im Loth hundertvierundsechzig Fuß. Um ihn aber in seiner ganzen Majestät vor Augen zu haben, muß man sich gegenüber auf das canadische Ufer stellen.

Bis der Abend hereinbrach, wanderten wir an den Ufern des Niagara umher, und immer wieder kehrten wir zu dem Thurm zurück, der uns unwiderstehlich anzog; man wird nicht müde, das Gebrüll der Wasser, den mystischen Nebel der feuchten Dünste, das Spiel der Sonnenstrahlen zu betrachten und den erfrischenden, köstlichen Duft des Katarakts einzuathmen; dann wieder kehrten wir nach Goat-Island zurück, um den großen Wasserfall nochmals von dieser Richtung aus zu sehen, und geriethen immer wieder in neues Entzücken und erneutes Staunen. Gar zu gern hätte mich der Doctor nach der »Grotte der Winde«, einer hinter dem Centralfall befindlichen Höhlung, geführt, zu der man auf einer Treppe gelangt, die an der Spitze der Insel hergestellt ist, aber der Zutritt zu der Grotte war damals untersagt, weil in letzter Zeit zu häufig Unglück durch Einstürze in dem bröcklichen Felsen vorgekommen waren.

Um fünf Uhr kehrten wir nach Katarakt-House zurück, und nach einem eiligen Mahl, das auf amerikanische Art hergerichtet war, schlugen wir abermals den Weg nach Goat-Island ein, um noch ein wenig darauf herumzuwandern und die »drei Schwestern«, reizende Inselchen, die an der Spitze der Insel zerstreut liegen, aufzusuchen. Als dann die Dunkelheit kam, führte mich Pitferge wieder auf den Schüttelfels zum Terrapin-Tower.

Die Sonne war hinter den Hügeln untergegangen und das letzte Tagesleuchten verschwunden, der Mond schimmerte, halb voll, in magischem Glanze, und die Schatten des Thurms verlängerten sich bis zum Abgrund. Stromaufwärts glitten die Gewässer in leichtem Nebel ruhig dahin, und das canadische Ufer contrastirte seltsam mit den erleuchteten Massen Goat-Islands und des Dorfes Niagara-Falls. Der Schlund zu unseren Füßen schien durch [150] das Halbdunkel zu einem unendlichen Abgrund vergrößert, aus dem der Katarakt grauenerregend herausbrüllte. Der Eindruck, den ich hier zu dieser Stunde empfing, war unbeschreiblich; welcher Künstler würde dergleichen jemals mit Feder oder Pinsel auch nur annähernd wiedergeben können! Für kurze Zeit erschien ein bewegliches Licht am Horizont – es war das Leuchtfeuer eines Eisenbahnzuges, der, zwei Meilen von uns entfernt, über die Niagarabrücke hinwegging. Wir blieben bis Mitternacht schweigend und in Betrachtung versunken auf der Spitze des Thurms; immer wieder beugten wir uns über den Strom hinab und konnten uns nicht trennen von dem bezaubernden Anblick. In einem Augenblick, als die Mondstrahlen den flüssigen Staub unter einem gewissen Winkel trafen, sah ich einen Streifen, gleichsam ein weißes, durchsichtiges Band, das im Schatten hin- und herzitterte; es war ein Mondregenbogen, eine blasse Strahlung des Nachtgestirns, dessen sanfter Glanz sich zersetzte, indem es durch die Nebel des Katarakts hindurchfuhr.

Fußnoten

1 Etwa 104 1/2 Meter.

38. Capitel

Achtunddreißigstes Capitel.
Unerwartete Begegnung. – Ellen erwacht aus ihrem Tiefsinn.

Für den folgenden Tag, den 13. April, hatte Pitferge's Programm einen Besuch des canadischen Ufers angesetzt; wir waren um sieben Uhr Morgens aufgebrochen und folgten den Anhöhen, die auf dem rechten Ufer des Niagara liegen, zwei Meilen weit, um die schwebende Brücke zu erreichen, und bald bemerkten wir von unserem gewundenen Pfade aus die ruhigen Wasser des Flusses, an dem hier nichts mehr von den Störungen des Falles zu sehen ist.

Um acht Uhr kamen wir in Suspension-Bridge an; es ist dies die einzige Brücke, auf welche die Great-Western und die New-York-Central-Eisenbahn münden, und für Canada die einzige, die den Eintritt auf das Gebiet des Staates New-York gewährt. Die schwebende Brücke wird aus zwei Flügeln gebildet, über deren oberen die Züge hinweggehen; der untere Flügel, der dreiundzwanzig Fuß tiefer liegt, dient für die Wagen und [151] Fußgänger. Der kühne Ingenieur John A. Röbling aus Trendon (New-Jersey) hat es gewagt, diese Arbeit auszuführen. Es ist eine »schwebende« Brücke, zweihundertfünfzig Fuß hoch, über dem Niagara, der hier wieder in einer Stromschnelle dahingleitet; Suspension-Bridge ist achthundert Fuß lang, vierundzwanzig Fuß breit und wird durch eiserne Stützen, die an den Ufern eingeschlagen sind, vor dem Schaukeln bewahrt.


Unter den Fällen. (S. 154.)

Die Kabel, von denen sie getragen wird, haben zehn Zoll im Durchmesser und können einem Gewicht [152] von 12,400 Tonnen widerstehen, während die Brücke selber nur achthundert Tonnen wiegt. Ihre Kosten beliefen sich bei ihrer Einweihung im Jahre 1855 auf 500,000 Dollars. Als wir in der Mitte der Suspension-Bridge angekommen waren, ging ein Zug über unseren Köpfen hin, und der Brückenflügel unter unseren Füßen sank um einen Meter.


»Fabian! Fabian!«rief sie plötzlich. (S. 157.)

Nur wenig tiefer als diese Brücke ist Blondin von einem Ufer bis zum andern auf gespanntem Seile über den Niagara gegangen. Das Unternehmen [153] war nicht minder gefährlich, weil es nicht, wie oft irrthümlich behauptet wird, über dem eigentlichen Niagarafall ausgeführt wurde, aber wenn uns Blondin durch seine Kühnheit in Erstaunen setzt, was sollen wir von der Waghalsigkeit seines Freundes sagen, der sich ihm auf den Rücken setzte und auf diese Weise den lustigen Spaziergang mitmachte.

Vielleicht war dieser gute Freund ein rechtes Leckermaul, dem viel an den vorzüglichen Omeletten lag, die Blondin auf seinem straffen Seil bereitete.

Wir waren jetzt auf canadischem Boden und gingen am linken Ufer aufwärts, um die Fälle aus einem anderen Gesichtspunkte anzusehen; eine halbe Stunde später traten wir in ein englisches Hotel ein, wo der Doctor ein Frühstück für uns bestellte; unterdessen hatte ich das Fremdenbuch genommen und überflog die Namen der Reisenden, deren sich hier Tausend und aber Tausend eingezeichnet hatten. Von den berühmtesten nenne ich hier folgende: Robert Peel, Lady Franklin, Graf von Paris, Herzog von Chartres, Prinz von Joinville, Louis Napoleon (1846), Prinz und Prinzessin Napoleon, Barnum (mit Adresse), George Sand (1865), Agassiz (1854), Almonte, Fürst Hohenlohe, Rothschild, Bertin (Paris), Lady Elgin, Burkardt (1832) u.s.w.

»Und nun wollen wir unter die Fälle«, sagte der Doctor, als wir mit unserem Frühstück fertig waren.

Ich folgte Dean Pitferge's Anweisungen, und bald befanden wir uns in einer Kleiderkammer, in der uns ein Neger mit wasserdichten Beinkleidern, Waterproof-Mänteln und Wachstaffethüten versah; dann gingen wir mitten durch die pulverisirten Wasserdünste hinter den großen Katarakt, der vor uns niederfiel, wie der Theater-Vorhang vor den Schauspielern. Aber was für ein Theater war dies! und wie projicirten sich auf ihm in ungestümen Strömungen die gewaltsam verdrängten Luftschichten! wir waren so betäubt, geblendet und benetzt, daß wir uns weder sehen, noch hören konnten; es war als wenn wir uns in einer, durch dichte Wasserteppiche hermetisch verschlossenen Höhle befänden, und dieser Verschluß war undurchdringlicher, als die festesten Steinmauern.

Um neun Uhr kehrten wir ins Hotel zurück und entledigten uns unserer triefenden Kleider. Als wir das Ufer erreicht hatten; bemerkte ich einen hochgewachsenen Mann, ich schrie laut auf vor Freude und Ueberraschung:

»Hauptmann Corsican!«

Er hatte meine Worte gehört und kam auf mich zu.

»Sie hier, wie freue ich mich, Sie wiederzusehen!« rief er fröhlich.

[154] Ich drückte ihm wiederholt die Hände.

»Und wie geht es mit Fabian und Ellen? fragte ich.

– O, so gut wie überhaupt möglich; sie sind Beide hier, und Fabian strahlt förmlich vor Glück und Hoffnung; unsere arme Ellen geht von Tag zu Tag mit sichtbaren Schritten ihrer Genesung entgegen.

– Aber wie kommt es, daß ich hier am Niagara mit Ihnen zusammentreffe?

– Nun, der Niagara ist ein sehr beliebter Sommeraufenthalt für Engländer sowohl als Amerikaner, und so mancher findet hier Erfrischung und Heilung. Da es uns schien, als ob das erhabene Schauspiel des Katarakts und die herrliche Gegend auf Ellen einen sehr günstigen Eindruck machten, haben wir uns an den Ufern des Niagara niedergelassen und leben in jener Villa, die Sie dort auf halber Hügelhöhe zwischen den Bäumen hervorragen sehen, ganz en famille, mit Frau R ...., Fabian's Schwester, die sich mit großer Aufopferung Ellen's Pflege gewidmet hat.

– Hat Ellen Fabian schon wiedererkannt?

– Nein, bis jetzt noch nicht, antwortete Hauptmann Corsican, Sie wissen doch, daß das arme Wesen in dem Moment, als Harry Drake zum Tode getroffen umsank, einen lichten Augenblick hatte, daß ihre Vernunft sich damals für kurze Zeit Bahn brach durch die Umnachtung des Geistes; bald jedoch machte diese sich wieder in traurigster Weise geltend, und die Hoffnung, Ellen geheilt zu sehen, rückte wieder in die Ferne. Seit die arme junge Frau hier angekommen ist, hat sich jedoch eine merkliche Aenderung in ihrem Zustande gezeigt; sie ist still, der Schlaf wird ruhiger, und in ihren Augen liest man eine gewisse Anstrengung, sich an Etwas zu erinnern oder Gegenwärtiges aufzufassen.

– O gewiß! sie wird durch Eure Sorgfalt und Liebe geheilt werden! rief ich aus, aber wo kann ich Fabian und seine Braut finden?

– Sehen Sie gefälligst dorthin«, sagte Corsican, und wies mit der Hand auf das Ufer des Niagara.

Dort, auf einem Felsen, stand Fabian, der uns augenscheinlich noch nicht bemerkt hatte, denn seine Blicke hafteten unausgesetzt an Ellen, die wenige Schritte von ihm entfernt unbeweglich auf einem großen Stein saß. Die Stelle, auf der sie sich befanden, liegt an dem linken Ufer und ist unter dem Namen »Table-Rock« bekannt; sie bildet eine Art Felsenvorsprung, der über [155] dem zweihundert Fuß darunter brüllenden Flusse hervorragt. Früher war die Plattform ziemlich groß und reichte weit über das Wasser hin, aber nach und nach sind bedeutende Felsstücke in den Abgrund herniedergestürzt, so daß die Fläche jetzt nur einige Meter Raum bietet.

Von dieser Stelle aus ist die Aussicht auf die Katarakte »most sublime«, wie die Führer versichern, und ich kann ihnen nicht Unrecht geben, zur Rechten schaut man auf den canadischen Fall, dessen Kamm mit Dünsten gekrönt wird und den Horizont abschließt; vorn der amerikanische Katarakt und darüber das zierliche Gemäuer von Niagara-Falls, das halb durch Bäume verborgen wird, zur Linken die ganze Perspective des Flusses, der zwischen hohen Ufern dahinfließt, und unten der Strom, der mächtig ankämpft und ringt gegen die umgestürzten Eisblöcke.

Ich wollte Fabian nicht durch einen Ruf stören, aber Corsican, der Doctor und ich näherten uns langsam dem Table-Rock. Ellen saß noch immer vollständig unbeweglich da und schaute in das Wasser; welchen Eindruck mochte wohl diese Scene auf ihren Geist machen? Erstand ihre Vernunft allmälig wieder unter dem Einfluß dieses grandiosen Schauspiels? Plötzlich sah ich, wie Fabian aufsprang und auf Ellen zustürzte; sie hatte sich erhoben und war ungestüm, indem sie beide Arme ausbreitete, an den Abgrund getreten. Dann zuckte sie jäh zusammen, blieb stehen und fuhr mit der Hand über ihre Stirn, als wollte sie ein unheimliches Bild verscheuchen, Fabian stand bereits, todtesbleich, aber fest und ruhig zwischen seiner Geliebten und dem Gefahr drohenden Abgrunde. Ellen schüttelte in tiefer Erregung ihr blondes Haar zurück, und ich bemerkte, daß ihre reizende Gestalt heftig zitterte. Ob sie jetzt Fabian erkannte? Nein! es war, als ob eine Todte soeben ins Leben zurückkehrte und um sich her tastet, sich ihrer Existenz zu versichern und ihre Umgebung zu begreifen.

Hauptmann Corsican und ich wagten keinen Schritt vorwärts zu thun, und doch standen Fabian und Ellen so nah am Abgrunde, daß wir uns der Furcht nicht erwehren konnten.

»Ueberlassen Sie Alles dem Hauptmann Mac Elwin«, flüsterte uns Doctor Pitferge zu.

Jetzt hörten wir, wie die junge Frau laut schluchzte, unarticulirte Worte entrangen sich ihren Lippen, sie schien sprechen zu wollen, und doch versagte ihr die Stimme.

[156] »Gott! mein Gott! allmächtiger Gott! wo bin ich?« preßte sie endlich heraus; sie schien zu fühlen, daß sie nicht allein sei, und als sie sich halb umwandte, war eine sichtbare Veränderung mit ihr vorgegangen, ihre Augen hatten einen klaren, lebhaften Blick bekommen. Fabian stand stumm und tief ergriffen vor ihr und breitete ihr die Arme entgegen.

»Fabian! Fabian!« rief sie plötzlich aus.

Ellen war ohnmächtig geworden, und Mac Elwin fing sie in seinen Armen auf; aber er hielt sie für todt und schrie laut auf vor Schrecken und Schmerz.

Aber schon war der Doctor hinzugetreten und sagte beruhigend:

»Es ist eine Krisis eingetreten, diese Ohnmacht kann zu ihrer Rettung führen!«

Ellen wurde nun nach Clifton-House und auf ihr Lager gebracht, wo sie bald aus ihrer Ohnmacht in friedlichen Schlummer sank.

Fabian hatte durch den Doctor neue Hoffnung und frischen Muth bekommen. Ellen hatte ihn jetzt unzweifelhaft erkannt. – Bald kehrte er zurück und rief uns entgegen:

»Wir werden sie retten! jeden Tag beobachte ich, wie ihre Seele neu aufersteht, und jetzt scheint die Zeit der Heilung gekommen zu sein; morgen, vielleicht heute schon werde ich meine Ellen wieder haben; ach, Gott sei gelobt! – Wir werden hier noch so lange bleiben, wie es für ihren Zustand irgend dienlich ist, nicht wahr, Archibald?«

Der Hauptmann drückte Fabian an seine Brust; dann wandte sich mein Freund zu mir und Pitferge, und begrüßte uns mit herzlichen, jubelnden Worten; die Hoffnung leuchtete aus seinem Wesen, seiner Stimme, seinen Augen – er war wie verwandelt vor Glück und Lebensmuth. Und seine Hoffnung war nicht vergebens, Ellen's Genesung stand wirklich nahe bevor ...

Aber unsere Zeit drängte, wir mußten abreisen. Kaum blieb uns eine Stunde über, wenn wir Niagara-Falls noch erreichen wollten. Als wir uns von den lieben Freunden trennten, lag Ellen immer noch in tiefem, sanftem Schlaf, aber Corsican versprach, uns baldige Nachricht über ihr Ergehen zukommen zu lassen. Er war tief bewegt, als wir von einander Abschied nahmen; Fabian umarmte uns noch einmal, und um 12 Uhr hatten wir Clifton-House verlassen.

[157]

39. Capitel

Neununddreißigstes Capitel.
Der Ingenieur. – Rückfahrt nach New-York. – Dean Pitferge abermals auf dem Great-Eastern. – Das Telegramm. – In der Studirstube.

Wenige Minuten später stiegen wir auf einer sehr langen Treppe nach der canadischen Küste herab und kamen so zum Ufer des Flusses, das von Eisblöcken ganz belagert war. Hier erwartete uns ein Boot, in dem wir »nach Amerika« übersetzten. Als wir einstiegen, hatte bereits ein Reisender in dem Fahrzeuge Platz genommen, es war ein Ingenieur aus Kentucky, der dem stets theilnehmenden Pitferge bald seinen Namen und sonstige Verhältnisse anvertraut hatte. Wir schifften uns ohne Zeitverlust ein und kamen bald unter mancherlei Collisionen mit den Eisschollen bis in die Mitte des Flusses, von wo wir dem herrlichen Niagarafall noch einen letzten Scheideblick zuwarfen.

Unser Reisegefährte beobachtete den Katarakt gleichfalls mit aufmerksamem Auge.

»Nicht wahr, mein Herr, das ist schön, bewunderungswürdig schön? fragte ich ihn.

– Ja, lautete seine Antwort, aber welch ungemessene mechanische Kraft wird hier unnütz vergeudet, was für eine enorme Mühle ließe sich mit diesem Fall in Bewegung setzen!«

Nie bis zu dieser Stunde hatte ich so unbezwingliche Lust verspürt, einen Ingenieur in's Wasser zu werfen.

Als wir am andern Ufer angekommen waren, hißte uns eine verticale kleine Eisenbahn, die durch einen Seitenstrang von dem amerikanischen Fall her in Bewegung gesetzt wurde, in wenigen Secunden auf die Anhöhe. Um halb zwei Uhr fuhren wir mit dem Courierzuge ab, der uns um ein Viertel auf Drei in Buffalo absetzte, wir statteten dieser jungen Großstadt einen flüchtigen Besuch ab, kosteten das Wasser des Erie-Sees und fuhren um sechs Uhr Abends mit der New-York-Centralbahn weiter. Als wir am folgenden Morgen die bequemen Schlafstätten des »Sleeping-Car« verließen, waren wir bereits in Albany, und die Hudson-Eisenbahn, die sich wasserpaß längs dem linken Flußufer hinzieht, brachte uns einige Stunden später nach New-York.

[158] Am folgenden Tage, den 15. April, durchstreifte ich in Gesellschaft meines unermüdlichen Führers die Stadt und sah mir den East-River und Brooklyn an; erst als der Abend herannahte, trennte ich mich von dem braven Doctor, und als ich ihm zum letzten Mal die Hand drückte, hatte ich das Gefühl, als scheide ich von einem Freunde.

Die Abfahrt des Great-Eastern war auf den 16. April festgesetzt, und ich begab mich demgemäß um elf Uhr Morgens nach dem siebenunddreißigsten »Pier«, wo der Schleppdampfer die Reisenden erwarten sollte. Er war schon mit Passagieren und Collis überfüllt, als ich eintraf, und eben machte ich mich daran, einen näheren Umblick unter meinen künftigen Reisegefährten zu halten, als mich Jemand derb am Arme erfaßte. Ich blickte mich um und sah abermals Pitferge neben mir stehen.

»Wie, Doctor, sind Sie's? rief ich erstaunt, Sie kehren wieder nach Europa zurück?

– Ja, mein lieber Herr.

– Und mit dem Great-Eastern?

– Ganz gewiß, versetzte mit größter Ruhe mein Original; ich habe mir die Sache überlegt, und da es sehr möglich ist, daß der Great-Eastern von dieser Reise nicht mehr heimkommt, will ich doch lieber die Reise mitmachen; Sie wissen ja, ich möchte dabei sein!«

In wenigen Minuten sollte die Glocke zur Abfahrt läuten, als ein Steward aus Fifth-Avenue-Hotel eilig zu uns herankam und mir ein Telegramm, aus Niagara-Falls datirt, überreichte; es war von Hauptmann Corsican und meldete wie folgt: »Ellen ist wiedererwacht und im vollen Besitz ihrer Geisteskräfte, der Doctor bürgt für sie!«

Ich theilte die gute Nachricht sofort dem Doctor mit!

»Bürgt für sie! bürgt für sie! murmelte er vor sich hin, ich bürge auch für sie, aber was will das beweisen! Wer für Sie und mich und uns Alle bürgen wollte, könnte sich unter Umständen stark verrechnet haben! ...«

Zwölf Tage später kamen wir in Brest an und am folgenden Tage in Paris; die Ueberfahrt war zum großen Kummer des Doctors ohne Unfall verlaufen; er hatte sehr zuversichtlich auf den lange prophezeiten Schiffbruch gewartet.

Als ich endlich wieder in meiner Blouse und vor meinem Schreibtisch saß, wäre ich fast versucht gewesen, meinen vierwöchentlichen Aufenthalt in der[159] schwimmenden Stadt, die man den Great-Eastern nennt, die Begegnung mit Ellen und Fabian, ja auch meine Erlebnisse an den Niagarafällen für einen lebhaften Traum zu halten, aber die Aufzeichnungen, die ich Tag für Tag während meiner Fahrt gemacht hatte, schützten mich davor. Ach! Reisen ist doch schön, selbst wenn man ohne zu scheitern heimkehrt, wie auch der Doctor darüber denken mag!

Acht Monate vergingen, ohne daß ich Etwas von meinem Original hörte, da, eines Tages, brachte mir der Postbote einen mit vielfarbigen, seltsamen Marken beklebten Brief, der folgendermaßen begann:

»An Bord des Coringuy, Auckland's Klippen.
Endlich haben wir Schiffbruch erlitten ...«

und mit den Worten schloß:

»Niemals habe ich mich wohler gefühlt!

Mit herzlichen Grüßen

Ihr

Dean Pitferge.«


Ende.

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TextGrid Repository (2012). Verne, Jules. Romane. Eine schwimmende Stadt. Eine schwimmende Stadt. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-7555-6