Jules Verne
Mistreß Branican

1. Theil

1. Capitel
Erstes Capitel.
Der »Franklin«.

Aus zwei Gründen kann man die Freunde, von denen man sich anläßlich einer großen Reise trennt, nicht mehr wiedersehen: entweder kann man sich bei [5] der Rückkehr nicht mehr wiederfinden oder es können die, welche die Reise unternommen haben, nicht mehr zurückkehren. Aber darum kümmerten sich die Matrosen des »Franklin« blutwenig, als sie am Morgen des 15. März 1875 die letzten Vorbereitungen zur Abfahrt trafen.

An diesem Tage sollte nämlich der »Franklin«, Capitän John Branican, den Hafen von San-Diego (Californien) verlassen und eine Fahrt durch die nördlichen Theile des Stillen Oceans antreten.

Der »Franklin«, ein Dreimaster, war ein prächtiges Schiff, das stolz, mit etwas vorgebeugtem Takelwerke, die Fluthen durchschnitt, und der tüchtigste Vertreter jener modernen und eleganten Klipper, deren sich Nordamerika mit so großem Vortheile bedient und die es in der Schnelligkeit mit den besten Dampfern seiner Handelsflotte aufnehmen.

Der »Franklin« war so tüchtig ausgerüstet und wurde so wacker befehligt, daß keiner der Bemannung auf ein anderes Schiff gegangen wäre, nicht einmal unter Zusicherung einer höheren Löhnung. Alle traten mit jenem doppelten Vertrauen die Reise an, dessen Grundlage ein tüchtiges Schiff und ein ebenso tüchtiger Capitän bildet.

Der »Franklin« hatte seine erste große Reise für das Haus William H. Andrew von San-Diego zu unternehmen, indem er amerikanische Waren über Singapore nach Calcutta bringen und indische Erzeugnisse in einen der californischen Hafenplätze zurückführen sollte.

Der Capitän John Branican war ein junger Mann von neunundzwanzig Jahren. Er hatte einnehmende, aber entschlossene Gesichtszüge, worin sich eine seltene Energie ausprägte; daneben besaß er bis zum höchsten Grade jenen moralischen Muth, der dem physischen weit überlegen ist, einen Muth »von zwei Uhr nach Mitternacht« wie Napoleon sagt, d. h. jenen, der dem Unerwarteten stets die Stirne zu bieten weiß. Sein Kopf war mehr charakteristisch als schön zu nennen; er hatte struppiges Haar, ein Paar feurige Augen, deren schwarze Pupillen förmlich Blitze schossen. Man hätte bei einem Menschen von solchem Alter einen kräftigeren Körperbau, eine festere Musculatur vorausgesetzt; aber man fühlte das Feuer, welches in seinen Adern rollte, und die Kraft, die seinen Muskeln innewohnte, in dem festen Drucke der Hände. In diesem eisernen Körper befand sich eine Seele – die Seele eines edlen Menschen, der stets bereit ist, für seinesgleichen das Leben in die Schanze zu schlagen. John Branican hatte eben das Temperament jener Retter, denen ihre Kaltblütigkeit erlaubt, ohne [6] Zögern die größten Heldenthaten zu vollbringen. Schon frühzeitig hatte er davon Proben abgelegt, indem er, selbst noch ein Kind, von einer Schaluppe aus andere Kinder, die auf dem Eise eingebrochen waren, rettete. Später konnte er diesen edlen Trieb, der in seinem jugendlichen Alter schon zum Vorschein gekommen war, nicht unterdrücken.

John Branican hatte schon seit einigen Jahren seine Eltern verloren, als er Dolly Starter, eine Waise aus den besten Kreisen von San-Diego, zum Traualtare führte.

Die Mitgift des Mädchens war klein und stand ganz in dem Verhältnisse zu seiner Stellung, da er damals nur einfacher Lieutenant auf einem Handelschiffe war.

Aber er konnte hoffen, daß Dolly eines Tages ihren reichen Onkel Edward Starter, der in dem wildesten und unzugänglichsten Theile des Staates Tennesee ein Trapperleben führte, beerben würde. Unterdessen mußten sie so zu zweien leben, sogar zu dreien, denn der kleine Walter, abgekürzt Wat, kam schon nach einem Jahre der Ehe auf die Welt. Auch konnte John Branican – und seine Frau sah dies wohl ein – den Seemannsstand nicht aufgeben. Später würde es sich ja wieder anders machen lassen, wenn das Glück ihnen die Erbschaft bescheert oder er sich im Dienste des Hauses Andrew bereichert haben würde.

Uebrigens hatte der junge Mann schnell Carrière gemacht, denn er war in einem Alter schon Capitän, wo seine Collegen noch Second- oder Lieutenants an Bord der Handelsflotte waren. Wenn schon seine Fähigkeiten dieses schnelle Avancement berechtigten, so verdankte er es doch gewissen Umständen, daß man auf ihn aufmerksam geworden war.

In der That war John Branican nicht nur in San- Diego, sondern auch in allen Hafenplätzen Californiens beliebt, indem ihn sein Opfermuth bei den Seeleuten und in der Kaufmannswelt der Vereinigten Staaten bekannt machte.

Einige Jahre zuvor war ein Schooner von Peru, die »Sonora«, bei der Einfahrt in die Coronado-Bucht gestrandet und die Bemannung war verloren, wenn es nicht gelang, zwischen dem Schiffe und dem Lande eine Verbindung herzustellen. Aber ein Tau zwischen die Brandung zu bringen, war so viel wie hundertmal sein Leben aufs Spiel zu setzen. John Branican zögerte keinen Augenblick. Er warf sich in das wüthende Meer, wurde an die Klippen geworfen, und dann schleuderte ihn die Brandung wieder an den Strand.

[7] Im Angesichte so vieler Gefahren, denen er trotzen wollte, ohne sich um sein Leben zu kümmern, sachte man ihn zurückzuhalten. Er wehrte sich dagegen, sprang wieder ins Meer, erreichte das Schiff, und Dank seinem Muthe wurde die ganze Bemannung der »Sonora« gerettet.

Ein Jahr später hatte John Branican Gelegenheit, bei einem furchtbaren Sturme, der ungefähr fünfhundert Meilen vom Lande im östlichen Theile des Stillen Oceans losbrach, den Heldenmuth zu zeigen, den man von ihm erwartete. Er war an Bord des »Washington« Lieutenant, und der Capitän war mit der Hälfte der Bemannung soeben durch eine Sturzwelle in das Meer geschleudert worden. Trotz der wenigen Matrosen, die zum größten Theile auch noch verwundet waren, gelang es ihm, den trostlosen Zustand des Schiffes so weit zu heben, daß er es sicher in den Hafen von San-Diego brachte. Dieses Schiff hatte eine Ladung im Werthe von mehr als fünfhunderttausend Dollars und gehörte dem Hause Andrew.

Welcher Empfang wurde dem jungen Seemann zutheil, als das Schiff in den Hafen von San-Diego einfuhr! Da die Ereignisse auf dem Meere ihn zum Capitän gemacht hatten, so war nur eine Stimme in der Bevölkerung, daß er diese Stelle auch ganz erhalten solle.

Das Haus Andrew bot ihm den Befehl über den eben vollendeten »Franklin« an. Der Lieutenant nahm das Angebot an, denn er fühlte sich zu dieser Stelle befähigt; er hatte nur seine Mannschaft zu erwählen, so viel Vertrauen setzte man in ihn. So kam es nun, daß der »Franklin« seine erste Fahrt unter dem Befehle John Branican's antrat.

Die Abreise war ein Stadtereigniß. Das Haus Andrew war eines der berühmtesten in San-Diego, denn die kräftige Hand Mr. William Andrew's leitete es auf geschickte Weise. Man schätzte diesen Mann nicht allein, man liebte ihn, und sein Vorgehen mit John Branican fand allgemeinen Beifall.

Es war daher nicht zu verwundern, wenn sich an jenem Morgen eine sehr große Zuschauermenge auf den Quais des Pacific-Coast-Steamship drängte, abgesehen von den bekannten und unbekannten Freunden des jungen Capitäns, um ihm mit einem Hurrah den Abschiedsgruß zuzurufen.

Die Mannschaft des »Franklin« zählte zwölf Köpfe, den Hochbootsmann mit eingerechnet, alle tüchtige Matrosen, die schon früher Proben ihres Muthes abgelegt hatten und glücklich waren, unter John Branican dienen zu können. Der Steuermann des Schiffes war ein ausgezeichneter Officier, namens Harry Felton, der, obgleich er fünf bis sechs Jahre älter war als der Capitän, sich nicht schämte, ihn als seinen Vorgesetzten anzuerkennen.


Er warf sich in das wüthende Meer. (S. 7.)

[8]

Er wußte, daß John Branican diese Stelle verdiene und beide hatten sich auf ihren häufigen Reisen gegenseitig schätzen gelernt. Uebrigens was Mr. William Andrew that, war immer gut. Harry Felton und seine Mannschaft waren ihm mit Leib und Seele ergeben. Die meisten von ihnen waren schon auf seinen Schiffen gefahren, so daß Officiere und Matrosen eine förmliche Familie bildeten, eine zahlreiche, ihren Chefs ergebene Familie, die sich mit dem Gedeihen des Hauses eins fühlte. Ohne das [9] geringste Zagen, man möchte besser sagen, mit Feuer trat die Bemannung des »Franklin« diese neue Reise an. Väter, Mütter, Verwandte waren da und sagten ihnen Adieu, aber so, als wie man zu Leuten sagt, die man bald wiedersehen wird »Guten Tag!« Auf baldiges Wiedersehen! Nicht wahr?« Es handelte sich wirklich nur um eine Reise von sechs Monaten, um eine einfache Fahrt von Californien nach Indien, eine Hin- und Herfahrt von San-Diego nach Calcutta, und nicht um eine jener Handelsexpeditionen oder Entdeckungsreisen, die ein Schiff für lange Zeit auf gefährliche Meere beider Halbkugeln hinausziehen. Diese Seeleute hatten ganz andere Fahrten angetreten und ihre Angehörigen hatten besorgnißerregendere Abschiede mitgemacht.

Unterdessen nahten sich die Vorbereitungen ihrem Ende. Der »Franklin«, von einem Anker in der Mitte des Hafens festgehalten, hatte sich schon von den übrigen Schiffen losgemacht, deren große Zahl von der Bedeutung des Hafens von San-Diego zeugte. Der Dreimaster brauchte nicht von einem Schlepper in die offene See hinausgeführt zu werden, denn sobald der Anker gelichtet war, genügte eine leichte Brise, das stattliche Schiff aus dem Hafen zu treiben, ohne an dem Takelwerke weitere Veränderungen vornehmen zu müssen. Der Capitän John Branican hätte sich kein schöneres Wetter, keinen günstigeren Wind wünschen können – auf der in den Strahlen der Sonne glänzenden Fläche des Meeres.

In diesem Augenblicke – es war zehn Uhr Morgens – befanden sich Alle an Bord. Keiner der Matrosen durfte an das Land gehen, man konnte sagen, die Fahrt werde um ihretwegen angetreten. Einige Kähne standen neben der Schiffstreppe und erwarteten diejenigen, welche zum letztenmal ihre Freunde und Verwandten umarmen wollten. Diese Kähne setzten sie an den Quais aus, als schon der »Franklin« die Flagge hißte. Von den Besuchern müssen besonders der Chef des Hauses Mr. William Andrew, Mrs. Branican und die Amme, welche den kleinen Wat trug, erwähnt werden. In ihrer Begleitung befanden sich Mr. Len Burker und seine Frau, Jane Burker, eine Cousine Dollys. Der Officier Harry Felton hatte keine Familie und erhielt daher auch keine Abschiedsbesuche. Die Segenswünsche William Andrew's kamen auch ihm zu und mehr verlangte er nicht, höchstens daß auch die Frau des Capitän John die ihrigen mit den seinigen vereinigt hätte, und das wußte er im voraus.

Harry Felton befand sich auf dem Vordertheile, wo ein halbes Dutzend Matrosen den Anker aufzogen. Schon schwankte der »Franklin« allmählich hin und her und seine Kette klirrte auf den Rädern. Die Flagge mit den Anfangsbuchstaben [10] des Hauses Andrew flatterte an der Spitze des Hauptmastes, während die amerikanische Fahne an der Spitze der Brigantine ihre Sterne weithin leuchten ließ.

Auf der Commandobrücke nahm John Branican, ohne die letzten Vorbereitungen aus dem Auge zu verlieren, die Segenswünsche und die Declaration Andrew's entgegen, die meist die Ladung des Schiffes betraf. Letzterer überreichte das Schriftstück dem jungen Manne und sagte:

»Wenn die Umstände Sie zwingen, den Curs abzuändern, so haben Sie stets unser Interesse im Auge und senden Sie uns sogleich nach der ersten Landung eine Mittheilung zu. Vielleicht wird der »Franklin« bei den Philippinen etwas aufgehalten werden, denn ohne Zweifel ist es nicht Ihre Absicht, durch die Meerenge von Torres zu fahren?

– Nein, Herr Andrew, erwiderte der Capitän John, ich will mich nicht mit dem »Franklin« in die gefährlichen Meere des Nordens von Australien wagen. Meinen Weg bilden die Hawaïinseln, die Mariannen, Mindanao, die Philippinen, die beiden Celebes die Meerenge von Mahkassar, um über das Javanische Meer nach Singapore zu kommen. Um von hier nach Calcutta zu gelangen, ist auch schon Alles festgesetzt. Ich glaube also nicht, daß diese Fahrt durch die Winde im Osten des Stillen Oceans beeinträchtigt werden könnte. Haben Sie mir aber irgend welche wichtige Nachricht zu telegraphiren, so bitte ich die Depesche entweder nach Mindanao zu senden, wo ich mich vielleicht aufhalten, oder nach Singapore, wo ich sicher anlegen werde.

– Gut, John. Ihrerseits bitte ich, mich sobald wie möglich von dem Course der Waren in Calcutta in Kenntniß zu setzen. Es ist möglich, daß dieser Cours meine Pläne betreffs der Ladung verändern wird.

– Ich werde es sicher thun, Herr Andrew,« erwiderte John Branican.

In diesem Augenblicke näherte sich Harry Felton und sagte:

»Capitän, wir sind bereit.

– Und die Ebbe?

– Macht sich eben fühlbar.

– Gut.«

Dann wandte er sich in überschwenglicher Dankbarkeit an William Andrew:

»Noch einmal danke ich Ihnen, Herr Andrew, daß Sie mir den Befehl über den »Franklin« anvertraut haben. Ich hoffe, daß ich Ihr Vertrauen werde rechtfertigen können....

[11] – Daran zweifle ich keineswegs, John, erwiderte William Andrew, ich könnte die Angelegenheit meines Hauses in gar keine besseren Hände legen.«

Der Chef drückte dem jungen Manne herzlich die Hand und ging auf die Schiffstreppe zu. Mrs. Branican, hinter ihr die Amme und das Kind, trat mit Herrn und Frau Burker auf ihren Gatten zu. Der Augenblick der Trennung war gekommen und der Capitän John Branican hatte sich nur noch von seiner Frau und seinen Verwandten zu verabschieden.

Dolly war erst zwei Jahre verheiratet und das Kind war kaum neun Monate alt. Obwohl sie diese Trennung tief schmerzte, so wollte sie es doch nicht sehen lassen und hielt gewaltsam die Thränen zurück. Ihre Cousine Jane, die schwächlicher Natur war, konnte ihre tiefe Regung nicht bemeistern. Sie liebte Dolly ungemein, bei der sie oft gegen den heftigen und herrischen Charakter ihres Mannes Schutz gesucht hatte. Wenn auch Dolly ihre wahren Gefühle zu verbergen sachte, so wußte doch Jane, welch' namenloser Schmerz ihr Herz zusammenpresse. Ja, Capitän John sollte in sechs Monaten zurückkehren, aber es war doch eine Trennung – die erste seit ihrer Hochzeit – und wenn sie auch stark genug war, ihre Thränen zurückzuhalten, so weinte Jane mit für sie. Was Len Burker anbelangt, der nie eine zarte Regung gekannt, noch nie seinen strengen Blick gemildert hatte, so ging er mit den Händen in den Taschen auf und ab, indem er bei dieser Scene an wer weiß was dachte. Aber das war sicher, daß er mit den Besuchern, die ein herzliches Gefühl auf das scheidende Schiff geführt hatte, nicht eines Sinnes war.

Der Capitän John nahm seine Frau bei beiden Händen, zog sie an sich und sagte gerührt:

»Liebe Dolly, nun muß ich scheiden... Ich werde nicht lange fort sein... In einigen Monaten wirst Du mich wiedersehen... Ich werde Dich sicher wiedersehen, liebe Dolly... Hab' nur keine Furcht... Mit einem solchen Schiffe und solchen Matrosen braucht man nichts zu fürchten... Sei stark, wie es die Frau eines Seemannes sein muß... Wenn ich zurückkehren werde, wird unser Wat fünfzehn Monate alt sein... Dann ist er schon ein großer Junge... Er wird sprechen, und das erste Wort, welches ich bei meiner Rückkehr hören werde, wird...

– Dein Name, John, sein!... erwiderte Dolly. Dein Name wird das erste Wort sein, das ich ihm lehren werde!... Wir werden von Dir alle Tage... immer sprechen... Lieber John, schreib' mir bei jeder Gelegenheit!... Mit [12] welcher Ungeduld ich Deine Briefe erwarten werde!... Schreibe mir Alles, was Du gemacht hast, was Du zu thun gedenkst... Wie werden meine Gedanken bei Dir sein...

– Ja, liebe Dolly, ich werde Dir schreiben... ich werde Dich von dem Laufenden in Kenntniß setzen... Meine Briefe werden wie das Schiffstagebuch sein, nur zärtlicher!

– Ach, John, ich bin auf dieses Meer eifersüchtig, das Dich so weit tragen soll!... Wie beneide ich die, welche sich lieben und sich nie im Leben zu trennen brauchen!... Aber nein, ich habe Unrecht, daran zu denken...

– Liebe Frau, ich bitte Dich, sage Dir stets, ich unternehme diese Reise unseres Kindes wegen... auch Deinetwegen... um uns beide dem Glücke und dem Wohlstande zuzuführen... Wenn sich unsere Hoffnungen eines Tages erfüllen, so werden wir uns nie mehr trennen!...«

In diesem Augenblicke traten Len Burker und Jane heran, und der Capitän wandte sich an sie:

»Mein lieber Len, sagte er, ich übergebe Ihnen meine Frau und mein Kind... Ich vertraue sie Ihnen an als den einzigen Verwandten, die ihnen in San-Diego zurückbleiben.

– Rechnen Sie auf mich, John, erwiderte Len Burker, indem er die Rauhheit seiner Stimme zu mildern suchte. Jane und ich sind ja da... Es wird Dolly an nichts fehlen...

– Auch nicht an Trost, fügte Mrs. Burker hinzu. Du weißt, wie ich Dich liebe, theure Dolly!... Ich werde Dich recht oft besuchen... Jeden Tag werde ich einige Stunden bei Dir zubringen... Wir werden von John sprechen...

– Ja, Jane, erwidert Mrs. Branican, und ich werde nicht aufhören, an ihn zu denken!...«

Harry Felton unterbrach von Neuem das Gespräch.

»Capitän, sagte er, es ist Zeit...

– Gut, Harry, erwiderte John, lassen Sie das Focksegel und die Brigantine hissen!«

Der Officier entfernte sich, um diesen Befehl ausführen zu lassen, was einen sofortigen Aufbruch bedeutete.

»Herr Andrew, sagte der junge Capitän, indem er sich an den Chef wandte, das Boot wird Sie jetzt mit meiner Frau und ihren Angehörigen an das Land zurückführen... Wenn Sie wollen...

[13] – Sofort, John, erwiderte Andrew, also noch einmal: Glückliche Reise!

– Ja... Glückliche Reise!... wiederholten die anderen Besucher, die in das Boot hinabzusteigen begannen.

– Adieu, Len... Adieu Jane, sagte John, indem er Beiden die Hand schüttelte.

– Adieu!... Adieu!... wiederholte Mrs. Burker.

– Und Du, liebe Dolly, mußt jetzt auch gehen... es geht nicht anders, fügte John hinzu. Der »Franklin« wird sogleich seine Fahrt antreten.«

Und wirklich schwellten sich die gehißten Segel, während die Matrosen sangen:


Da ist eine,
Eine Schöne!
Eine geht, eine geht.
Zweie kommen, zweie kommen wieder.
Da sind zwei,
Zwei Schöne.
Zweie gehen, zweie gehen.
Dreie kommen, dreie kommen wieder.

Und so fort.

Während dieser Zeit führte der Capitän John seine Frau zu der Schiffstreppe und in dem Augenblicke, wie sie dieselbe betrat, konnte er sie nur stumm noch einmal in die Arme schließen, denn er fühlte sich unfähig, ein Wort mit ihr zu sprechen; auch sie konnte ihm nicht mehr antworten.

Und nun streckte das Kind, welches Dolly eben der Amme zurückgegeben hatte, ihm die Arme entgegen, bewegte lächelnd die kleinen Hände und plötzlich entrang sich seinen Lippen:

»Pa... pa!... Pa... pa!«

»Lieber John, rief Dolly, so hast Du denn noch vor der Trennung das erste Wort gehört!«

So stark der junge Capitän auch war, so konnte er nicht die Thräne zurückhalten, welche die Wange des kleinen Wat benetzte.

»Dolly!... sagte er leise, Adieu!... Adieu!...«

Dann rief er mit starker Stimme, um dieser peinlichen Scene ein rasches Ende zu machen:

»Los!«

[14] Einen Augenblick darauf schaukelte das Boot auf den Wogen und nahm seine Richtung gegen den Quai, wo die Besucher nach einigen Ruderstößen landeten.

Der Capitän war jetzt ganz bei den letzten Vorbereitungen. Der Anker wurde herausgezogen und der »Franklin«, seiner letzten Last ledig, nahm schon in seinen Segeln die Brise auf, welche die Falten derselben sogleich glättete. Das große Fock bewegte es weiter, während das Brigantinesegel das Schiff ein wenig laviren ließ, damit es nicht an ein anderes anstoße.

Auf einen neuen Befehl des Capiäns wurde das große Segel und das Focksegel aufgezogen, und zwar so schön zugleich, daß es den Matrosen alle Ehre machte. Dann nahm der »Franklin« eine Viertelwendung nach links, und nun ging es geradaus.

Die zahlreichen Zuschauer auf den Quais sahen diesen schnellen Vorbereitungen mit Bewunderung zu. Nichts nahm sich graziöser aus als dieses elegante Schiff, das der Wind sanft beugte. Während dieser Evolution mußte es sich auf wenigstens halbe Kabellänge der äußersten Spitze des Quais nähern, wo sich Andrew, Dolly, Len und Jane Burker befanden. So kam es denn, daß der junge Capitän noch einmal seine Frau, seine Freunde sehen und ihnen noch einmal ein letztes »Adieu!« zurufen konnte.

Alle antworteten diesem Worte, das sich deutlich vernehmen ließ, dieser Hand, die den Freunden noch einmal zuwinkte.

»Adieu!... Adieu!


Und nun streckte das... ihm die Arme entgegen. (S. 14.)

– Hurrah!« rief die Zuschauermenge, während Hunderte von Sacktüchern ihm zuwinkten.

Wie doch Alle John Branican liebten! War er nicht eines jener Kinder, auf welche die Stadt so stolz war? Ja, Alle würden ihn bei seiner Rückkehr wieder auf den Quais erwarten!

Der »Franklin«, der schon an dem Leuchtthurme vorüber fuhr, mußte noch einmal eine leichte Wendung nach links machen, um einem Postdampfer, der eben in den Hafen einfuhr, auszuweichen. Die beiden Schiffe grüßten einander mit den Fahnen der Vereinigten Staaten.

Auf dem Quai sah Mrs. Branican unbeweglich dem »Franklin« nach, der bei einer frischen Brise aus Nordost immer mehr verschwand. Sie wollte ihm nachsehen, so lange sein Takelwerk über der Islandspitze sichtbar wäre.

[15] Aber der »Franklin« hatte bald die Inseln Coronado außerhalb der Bucht erreicht. Noch einmal zeigte er die Hausflagge an der Spitze des Hauptmastes... dann verschwand er.

»Adieu, lieber John... Adieu!...« sagte Dolly leise.

Warum ließ sie eine unerklärliche Ahnung nicht sagen: »Auf Wiedersehen!«

[16][19]
2. Capitel
Zweites Capitel.
Familienangelegenheiten.
... um durch Urbarmachung weiter Ländereien in Tennessee glücklich zu speculiren. (S. 21.)

Nun müssen wir genauer Mrs. Branican skizziren, da sie in dieser Geschichte mehr in den Vordergrund tritt.

Um jene Zeit zählte Dolly (eine Abkürzung aus Dorothea) einundzwanzig Jahre. Sie war von amerikanischer Abstammung. Aber ohne ihre Ahnen sehr weit zu verfolgen, hätte man bald jene Generation gefunden, die sie mit der spanischen oder mexikanischen Rasse verband, aus der die besten Familien des Landes hervorgegangen waren. Ihre Mutter wurde in San-Diego geboren und diese Stadt bestand schon in der Zeit, als Nieder-Californien noch zu Mexiko gehörte. Die große Bucht, die vor drei und einem halben Jahrhundert von dem spanischen Seefahrer Juan Rodriguez Cabrillo entdeckt worden war, hieß zuerst San Miguel, und nahm den neuen Namen im Jahre 1602 an. Dann vertauschte im Jahre 1846 diese Provinz die Tricolore mit dem Sternenbanner der Conföderation und seit dieser Zeit gehörte sie definitiv zu den Vereinigten Staaten.

Von mittlerer Gestalt, ein Gesicht, das zwei große schwarze Augen außerordentlich belebten, ein südlicher Typus, üppiges, braunes Haar, die Hand und die Füße ein wenig stärker, als man sie sonst bei der spanischen Rasse zu sehen gewohnt ist, ein sicherer, aber graziöser Gang, eine Physiognomie, die ebenso von energischem Charakter wie von Herzensgüte zeugte – das war Mrs. Branican. Sie war eine jener Frauen, die man nicht mit gleichgiltigem Blicke ansieht, denn vor ihrer Verheiratung galt Dolly im wahren Sinne des Wortes als eines der schönsten Mädchen von San-Diego, wo doch sicher die Schönheit nicht selten ist. Sie war ernst, überlegend und hatte einen klaren Geist, moralische Eigenschaften, welche die Ehe sicher in ihr nur noch weiterentwickeln konnte.

O, was lag daran, wie es auch immer kommen würde! Dolly würde, Mrs. Branican geworden, schon ihre Pflichten kennen. Da sie das Leben offen und nicht durch trügerisches Glas gesehen hatte, so besaß sie muthigen Sinn und festen Willen. Die Liebe, welche ihr der Gatte einflößte, machte sie für die Erfüllung ihrer Aufgabe noch entschlossener. Im Nothfalle würde sie, und das ist keine hohle Redensart, für John ihr Leben hingeben, wie John das [19] seinige für sie, wie beide es für ihr Kind hingeben würden. Sie liebten dieses Kind, das soeben zum erstenmal »Papa« gesprochen hatte, als der junge Capitän sich von seiner Mutter und ihm trennte. Die Aehnlichkeit des kleinen Wat mit seinem Vater war schon eine frappirende, durch die Gesichtszüge wenigstens, denn er hatte das südliche Colorit des Teints seiner Mutter. Da er von kräftigem Körperbau war, hatte er nichts von den Kinderkrankheiten zu fürchten. Uebrigens wurde er so sorgsam gehütet... Ach, welche Zukunftsträume hatte nicht schon die Phantasie des Vaters und der Mutter für das kleine Wesen gesponnen, dessen Leben erst begonnen hatte!

Gewiß wäre Mrs. Branican die glücklichste der Frauen gewesen, wenn die Stellung Johns ihm erlaubt hätte, das Seemannsleben aufzugeben, dessen kleinster Unfall sie trennen konnte. Aber in dem Augenblicke, wo ihm das Commando des »Franklin« übertragen worden war, wie hätte sie da den Gedanken haben können, ihn zurückzuhalten? Und dann, mußte er nicht auf den Lebensunterhalt der Familie bedacht sein, die sich wahrscheinlich nicht auf das einzige Kind beschränken würde? Die Mitgift Dollys reichte ja kaum für das Nothwendigste des kleinen Hausstandes aus. Gewiß konnte John Branican auf das Vermögen rechnen, das der Onkel seiner Nichte hinterlassen würde, und es hätten schon eigenthümliche Zustände zusammentreffen müssen, wenn dieses Vermögen ihm entgehen sollte, da doch Mr. Edward Starter, fast ein Sechzigjähriger, keine anderen Erben hatte als Dolly. In der That stand auch Jane Burker, die dem mütterlichen Familienzweige angehörte, in keiner verwandtschaftlichen Beziehung zu dem Onkel Dollys. Sie war also reich... aber es konnten wohl zehn und zwanzig Jahre verfließen, bevor sie in den Besitz dieser Erbschaft kam. So mußte denn John Branican arbeiten, wenn ihm nicht vor der Zukunft bangen sollte. Auch war er fest entschlossen, für das Haus Andrew in See zu stechen, umsomehr jetzt, wo er den »Franklin« befehligte und ihm ein Antheil an dem Ertrage der Fahrt zugesichert war. Da nun der Seemann auch zugleich ein tüchtiger Kaufmann war, so konnte man schon mit Bestimmtheit sagen, daß er vor dem Antritte der Erbschaft Onkel Starter's einen gewissen Grad von Wohlstand erreicht haben würde.

Nun ein Wort über diesen Amerikaner, einen Amerikaner im wahrsten Sinne des Wortes!

Er war der Bruder des Vaters Dollys und folglich der rechtmäßige Onkel des Mädchens, das Mrs. Branican geworden war. Dieser Bruder war fünf bis sechs Jahre älter und hatte ihn sozusagen aufgezogen, denn beide waren Waisen.

[20] Starter der Jüngere hatte für ihn auch stets ein lebhaftes Gefühl der Dankbarkeit gehegt. Unter der steten Gunst des Glückes kam er zu Reichthum, während Starter der Aeltere sich gewöhnlich auf Wegen verlor, die selten zum Ziele führten. Wenn er auch in die Ferne zog, um durch Ankauf und Urbarmachung weiter Ländereien im Staate Tennessee glücklich zu speculiren, so war er doch mit seinem Bruder in Verbindung, den die Geschäfte in den Vereinigten Staaten zu New-York zurückhielten. Als dieser Witwer wurde, ließ er sich in San-Diego nieder, der Geburtsstadt seiner Frau, wo er starb, als die Heirat Dollys mit John Branican schon eine beschlossene Sache war. Die Hochzeit wurde nach Ablegung der Trauer gefeiert und der junge Haushalt hatte weiter keine Unterstützung als das Wenige, was Starter der Jüngere hinterlassen hatte.

Kurze Zeit darauf kam nach San-Diego ein Brief, der an Dolly Branican adressirt war und von Starter dem Aelteren kam; das war das erstemal, daß er seiner Nichte schrieb, und es sollte auch das letztemal sein.

Obwohl Starter weit von ihr war und obwohl er sie nie gesehen hatte, so vergaß er doch nicht, daß er eine Nichte hatte, die leibliche Tochter seines Bruders. Wenn er sie nie gesehen hatte, so war der Grund der, weil Starter der Jüngere und Starter der Aeltere nicht mehr miteinander zusammengekommen waren, seitdem letzterer eine Frau genommen hatte, und weil der jüngere Bruder zu Nashville, dem entlegensten Theile von Tennessee, lebte, während sie in San-Diego wohnte. Nun, Tennessee und Californien liegen ungefähr einige hundert Meilen auseinander, die der Onkel in keinem Falle zurücklegen wollte. Wenn daher dieser die Reise viel zu anstrengend fand, seine Nichte zu besuchen, so fand er es ebenso sehr langweilig, wenn ihn seine Nichte besuchen würde, und er ersuchte sie, ihn nicht zu belästigen.

Dieser Mensch war wirklich ein Bär, nicht einer jener amerikanischen Bären, die Krallen und einen Pelz haben, aber einer jener menschlichen, die fern von jedem gesellschaftlichen Leben in der Wildniß hausen.

Das sollte übrigens Dolly keine Sorge bereiten. Sie war also die Nichte eines Bären, gut! Aber dieser Bär besaß das Herz eines Onkels. Er vergaß nicht, was er seinem Bruder verdankte, und die einzige Tochter seines Bruders sollte die Erbin seines Vermögens sein.

Starter fügte hinzu, daß dieses Vermögen schon werth sei, eingeheimst zu werden, denn es belief sich damals auf fünfhunderttausend Dollars (über eine Million Gulden) und mußte sich noch vergrößern, da die Urbarmachung [21] in dem Staate Tennessee ungemein prosperirte. Da dasselbe in Ländereien und Vieh bestand, so wäre es etwas Leichtes, es flüssig zu machen; man würde es zu einem vortheilhaften Preise losschlagen, und die Käufer würden sicher nicht ausbleiben.

Es war zwar ein wenig derb gesagt, aber das ist den eingebornen Amerikanern einmal eigen. Das Vermögen sollte ganz Mrs. Branican oder ihren Kindern zufallen. Sollte Mrs. Branican ohne directe oder andere Nachkommen sterben, so würde das Vermögen dem Staate anheimfallen, was dieser sehr gern nehmen würde.

Noch zwei Dinge:

1. Starter war ledig und würde es auch bleiben. »Die Dummheit, welche man gewöhnlich zwischen zwanzig und dreißig Jahren macht, würde er auch mit sechzig Jahren nicht machen,« war eine gewöhnliche Redensart seines Briefes. Nichts könnte das Vermögen von der Bestimmung abbringen, die er festgesetzt habe, und dasselbe würde ebenso sicher in den Haushalt Branican fließen, wie sich der Mississippi in den Golf von Mexiko ergießt.

2. Starter werde alle Anstrengungen machen – übermenschliche Anstrengungen – um seine Nichte so viel wie möglich zu bereichern. Er werde versuchen, hundert Jahre alt zu werden, und deshalb werde man ihm wohl nicht zürnen, wenn er bis zum letzten Faden hartnäckig bleibe.

Endlich ersuchte Starter Mrs. Branican – er befahl es ihr sogar – ihm nicht zu antworten. Uebrigens wären kaum Communicationsmittel zwischen den Städten und der Wildniß vorhanden, die er da hinten in Tennessee bewohne. Was ihn betreffe, so würde er nicht mehr schreiben, höchstens, daß er gestorben wäre, und dann wäre der Brief eigentlich auch nicht von ihm.

So lautete der eigenthümliche Brief, den Mrs. Branican erhielt. Daß sie die Universalerbin, die gesetzliche Erbin ihres Onkels werden sollte, das war nicht zu bezweifeln. Sie solle also einmal dieses Vermögen von fünfhunderttausend Dollars besitzen, das wahr scheinlich durch die unermüdliche Arbeit des Onkels noch heranwachsen soll. Aber da Starter deutlich die Absicht kund gab, hundert Jahre alt zu werden – und man weiß, daß diese Nordamerikaner ein zähes Leben haben – so hätte John Branican nicht gut gethan, seinen Seemannsstand aufzugeben. Seine Intelligenz, sein Muth, sein hilfreicher Wille würden seiner Familie wohl unterdessen jenen Wohlstand erworben haben, bevor Starter einwilligte, in das bessere Jenseits zu reisen.

[22] So war also die Lage des jungen Haushaltes in dem Augenblicke, wo der »Franklin« durch die westlichen Theile des Stillen Oceans fuhr. Da das Verständniß des Folgenden uns auch auf die nähere Betrachtung der einzigen in San-Diego zurückgebliebenen Verwandten Dollys führt, so seien Mr. und Mrs. Burker näher ins Auge gefaßt.

Len Burker, ein geborener Amerikaner von ungefähr einunddreißig Jahren, befand sich erst seit einigen Jahren in der Hauptstadt Nieder-Californiens. Dieser Yankee Neu-Englands mit kalten Zügen und kräftigem Körperbau war von großer Entschlossenheit und ließ nie durchschauen, was er beabsichtigte, sagte nie, was er that. Er war eine jener Naturen, die hermetisch verschlossenen Häusern gleichen, deren Thüren sich vor Niemand öffnen. Aber doch war in San-Diego nicht das mindeste üble Gerede über diesen so wenig zugänglichen Menschen, bis seine Ehe mit Jane Burker ihn mit John Branican in Verwandtschaft brachte. Man wunderte sich daher nicht, daß dieser, da er keine andere Familie als die Burker besaß, ihm sein Weib und Kind anvertraute. In Wirklichkeit aber vertraute er sie nur Jane an, da er wußte, daß die beiden Cousinen eine tiefe Neigung zu einander hatten.

Es wäre gewiß ganz anders gewesen, wenn der Capitän John gewußt hätte, wer dieser Len Burker war, wenn er den Schurken durchschaut hätte, den dieser so gut hinter einer undurchdringlichen Maske zu verbergen wußte, mit welcher Gleichgiltigkeit er die socialen Convenienzen, die Achtung vor sich selbst, die Rechte Anderer behandelte. Getäuscht durch sein einnehmendes Aeußere, durch eine Art magnetischer Kraft, die er auf sie ausübte, hatte Jane ihm vor fünf Jahren ihre Hand in Boston gereicht, wo sie mit ihrer Mutter wohnte, die kurze Zeit darauf starb, was für sie von schlimmsten Folgen war. Die Mitgift Janes und das mütterliche Erbtheil hätten für den Lebensunterhalt der beiden Gatten genügt, wenn Len Burker ein Mensch gewesen wäre, der auf geraden und nicht auf Abwegen ging. Nachdem er theilweise das Vermögen seiner Frau durchgebracht, beschloß Len Burker, da sein Credit in Boston ungemein gelitten hatte, diese Stadt zu verlassen. Auf die andere Seite Amerikas würde ihm sein zweifelhafter Ruf kaum folgen, und die neuen Länder würden ihm genug neue Chancen bieten, die er in Neu-England nicht mehr finden konnte.

Jane, die jetzt ihren Gatten kannte, war glücklich, Boston verlassen zu können, und willigte mit Freuden in diese Uebersiedlung ein; hoffte sie doch auch, die einzige Verwandte, die ihr übrig geblieben war, zu finden. Alle beide ließen sich [23] in San-Diego nieder, wo Dolly und Jane sich wiederfanden. Uebrigens hatte Len Burker in den drei Jahren, die er in dieser Stadt zubrachte, noch keine Veranlassung zum Verdachte gegeben. so geschickt wußte er sich zu verstellen.

Derart waren die Umstände, welche die Vereinigung der beiden Cousinen herbeigeführt hatten in einer Zeit, wo Dolly noch nicht Mrs. Branican war. Die junge Frau und das Mädchen schlossen sich eng aneinander. Obwohl es schien, als ob Jane eine gewisse Herrschaft über Dolly ausübte, so war doch gerade das Gegentheil der Fall. Dolly war stark, Jane schwach, und das Mädchen wurde bald die Stütze der jungen Frau. Als die Hochzeit Dollys mit John Branican eine beschlossene Sache war, da fühlte sich Jane überglücklich, weil es eine Heirat war, die nicht der ihrigen gleichzukommen schien. Wie viel Trost hoffte sie bei den jungen Eheleuten zu finden, wenn sie ihnen das Geheimniß ihrer Leiden mittheilen wollte!

Inzwischen wurde die Lage Len Burker's immer ernster. Seine Geschäfte gingen nicht, und das Wenige, was von dem Vermögen seiner Frau nach der Abreise von Boston übrig blieb, war bald geschwunden. Dieser Mann, ein Spieler oder vielmehr ein wahnsinniger Speculant, war einer jener Leute, die Alles auf den Zufall setzen und Alles nur von diesem erwarten wollen. Ein solches Temperament, das jeder Eingabe der Vernunft widerstand, konnte und mußte nur zu traurigen Resultaten führen.

Nach seiner Ankunft in San-Diego hatte Len Burker eine Kanzlei in der Fleet-Street eröffnet, eines jener Comptoirs, die den Ausgangspunkt guter oder schlechter Handlungen bilden. Gewissenlos bezüglich der Mittel, welche er anwandte, geschickt, Alles zu verdrehen und das Gut Anderer als das seinige anzusehen, warf er sich bald in Hunderte von Speculationen, die immer mehr das Licht zu scheuen hatten. In der Zeit, wo diese Geschichte beginnt, war Len Burker fast auf dem Trockenen, und diese Verlegenheit spiegelte sich auch in seinem Haushalte ab. Aber er wußte Alles geheimzuhalten, und da er noch über einen gewissen Credit verfügte, so verwendete er das geborgte Geld immer wieder zu neuen Speculationen.


... hatte Len Burker eine Kanzlei eröffnet. (S. 24.)

Aber ein solches Vorgehen mußte schließlich zu einer Katastrophe führen. Die Stunde war nicht mehr fern, wo die Reclamationen von allen Seiten herbeiströmen mußten. Vielleicht würde dieser Yankee, der nach Westamerika gekommen war, keinen anderen Ausweg mehr haben, als San-Diego zu verlassen, wie er Boston verlassen hatte. Und doch hätte in dieser intelligenten [24] Stadt, deren Fortschritte sich von Jahr zu Jahr wahrnehmen ließen, ein ehrlicher Mensch hundertmal Gelegenheit gehabt zu reussiren. Doch dazu gehörte eben das, was Len Burker nicht besaß, nämlich Ehrlichkeit und Intelligenz.

Wir müssen noch ein wenig dabei verweilen, warum weder John Branican oder Mr. William Andrew, noch sonst Jemand etwas von dem Treiben Len Burker's ahnte. In der Geschäftswelt wußte man nicht, daß dieser Abenteurer – gefiele es dem Himmel, daß er nur diesen Namen verdient hätte – vor seinem Abgrunde stehe. Und selbst wenn die drohende Katastrophe eintrat, [25] würde man ihn nur als einen Menschen ansehen, der vom Glücke weniger begünstigt war, und nicht als einen jener Leute, die sich auf alle nur mögliche Weise zu bereichern suchen. Ohne daß John Branican für ihn irgend eine besondere Sympathie gehabt hätte, so hatte er doch nie das geringste Mißtrauen gegen ihn gehegt, so daß er auch fest darauf vertraute, Burker werde während seiner Abwesenheit für seine Frau in bester Weise sorgen, und wenn Dolly sich irgendwie genöthigt sehen würde, bei ihm Zuflucht zu suchen, daß er ihr jeden Schutz angedeihen lassen werde. Jenes Haus war ihr stets offen und sie würde dort nicht nur bei einer Freundin, sondern auch bei einer Schwester Aufnahme finden.

In diesem Punkte war den Gefühlen Jane Burker's vollständig zu trauen, denn die Freundschaft, die sie für ihre Cousine hegte, war eine wirklich aufrichtige. Weit entfernt, die Freundschaft, welche die beiden Frauen vereinigte, zu tadeln, hatte sie Len Burker sogar gefördert, sicher in der Hoffnung auf gewisse Vortheile, welche ihm diese Verbindung einbringen würde. Er wußte übrigens, daß Jane nie etwas von dem, was sie nicht sagen sollte, ausplaudern, daß sie sich über ihre eigene Lage reservirt halten und nichts sagen würde von den Verlegenheiten, in denen sich ihr Hausstand befindet. Darüber würde Jane schweigen und auch ihm würde darüber nie ein Vorwurf entschlüpfen.

Wir müssen eben noch einmal sagen, daß die Frau ganz unter seinem Einflusse stand, obwohl sie ihn für einen gewissenlosen Mann hielt, der nach dem Verluste seines wenigen moralischen Sinnes zu Allem fähig war. Wie hätte sie ihn nach so vielen Enttäuschungen noch schätzen können? Aber – und man kann dies nicht oft genug hervorheben – sie fürchtete ihn und sie folgte ihm auf den Wink, selbst wenn seine Sicherheit ihn in den entlegensten Theil der Welt verschlug. Das that sie aber nur aus Achtung vor sich selbst, denn sie wollte um keinen Preis der Welt Jemanden das Elend in ihrem Hause sehen lassen, noch je der Cousine ihren Schmerz anvertrauen, den diese vielleicht ahnte, auch ohne ins Vertrauen gezogen zu werden.

Jetzt ist das Verhältniß zwischen John und Dolly Branican einerseits und das Len und Jane Burker's andererseits zur Genüge auseinandergesetzt, um das Folgende gründlich zu verstehen. In welcher Weise hatte sich dies so unerwartet und plötzlich fügen können? Niemand wäre im Stande gewesen, es zu ergründen.

[26]
3. Capitel
Drittes Capitel.
Prospect-House.

Vor dreißig Jahren zählte Nieder-Californien – ungefähr ein Drittel des Staates Californien – kaum fünfunddreißigtausend Einwohner, während sich die Bevölkerung jetzt auf mehr als hundertfünfzigtausend Menschen beläuft. In jener Zeit waren die Ländereien dieser Provinz noch ganz unbebaut und schienen nur für die Viehzucht geeignet zu sein. Wer hätte ahnen können, welche Zukunft einer so verlassenen Gegend vorbehalten sei, wo sich die Communicationsmittel zu Lande auf eine Straße, zu Wasser auf eine Dampfschifflinie beschränkten, die sich der Küste entlang zog?

Und doch war seit dem Jahre 1769 der Keim einer Stadt einige Meilen im Innern des Landes vorhanden, im Norden der Bucht von San-Diego. Auch kann die zur Thatsache gewordene Stadt in der Geschichte des Landes sich rühmen, die älteste Ansiedlung in Californien zu sein.

Als der neue Continent, der mit dem alten Europa durch einfache coloniale Bande verbunden war, sich gegen die Festerknüpfung derselben aussprach, so rissen auch diese. Die Vereinigten Staaten von Nordamerika erhoben die Fahne der Unabhängigkeit und England behielt nichts weiter als den Fetzen davon, nämlich Dominion und Columbian, deren Vereinigung mit der Conföderation auch in absehbarer Zeit zu erwarten ist. Was die Freiheitsbewegung anbelangt, so hatte sie zuerst in der Bevölkerung der mittleren Staaten Platz gegriffen, die nur einen Gedanken, nur ein Ziel hatte: »Los von dem Mutterlande!«

Damals schmachtete Californien nicht unter dem angelsächsischen Joche, denn es gehörte zu Mexiko und befand sich bei diesem Staate bis 1846. In diesem Jahre wurde San-Diego, nachdem es sich freigemacht hatte, um der republikanischen Conföderation beizutreten, das, was es sein sollte – amerikanisch.

Der Golf von San-Diego ist prächtig. Man könnte ihn mit dem von Neapel vergleichen, aber der Vergleich würde vielleicht besser sein mit denen von Vigo oder Rio de Janeiro. Zwölf Meilen Länge und zwei Meilen Breite [27] geben ihm genügenden Spielraum für die Bergung einer Handelsflotte und die Uebungen einer Escadre, denn er wird auch als Militärhafen angesehen. Er hat eine ovale Form, ist im Westen ein wenig zwischen den Inseln Island und Coronado offen und liegt nach allen Seiten geschützt. Die Seewinde haben Achtung vor demselben, der Sturm des Stillen Oceans berührt kaum seine Oberfläche, die Schiffe fahren ohne Mühe aus demselben. Er ist der einzige sichere und praktische Hafen, günstig als Zufluchtsort, den die Westküste südlich von San-Francisco und nördlich von San-Quentin bietet.

Bei so vielen natürlichen Vortheilen mußte sich die alte Stadt in ihrer Ausbreitung bald beengt finden, denn schon die Baracken zur Unterbringung einer Abtheilung Cavallerie waren außerhalb derselben erbaut worden. Dank der Initiative Horton's, dessen Intervention übrigens ein vorzügliches Geschäft war, wurde ein neuer Stadttheil errichtet, der sich jetzt zu der eigentlichen Stadt erhoben hat und sich an dem sanften Hügel der Bucht hinauszieht. Nun wuchs Alles mit der rühmlichst bekannten amerikanischen Schnelligkeit empor, indem eine Million Dollars, die in den Boden gesäet wurden, Privathäuser, öffentliche Gebäude, Villen, Handelshäuser entstehen ließ. Im Jahre 1885 zählte San-Diego schon fünfzehntausend Einwohner – heute dreißigtausend. Seine erste Eisenbahn datirt aus dem Jahre 1881. Jetzt setzen die Atlantic- and Pacificbahn, die Southern-Californiabahn, die Southern-Pacificbahn die Stadt mit dem Continente in Verbindung, während zugleich das Pacific Coast-Steamship sie in regem Verkehr mit San-Francisco hält.

Sie ist eine hübsche, bequeme, lustige und gesunde Stadt, in einem Klima, das man nicht erst zu loben braucht. In der Umgebung ist das Land von außerordentlicher Fruchtbarkeit: Der Weinstock, die Olive, der Orangenbaum, der Citronenbaum tragen neben den Obstbäumen, Früchten und Gemüsen des Landes reichliche Frucht. Man könnte diese Gegend eine Normandie, verschmolzen mit einer Provence, nennen.

Was die Stadt San-Diego selbst anbelangt, so ist sie mit jener malerisch leichten Orientirung, jener Phantasie erbaut, die für die Gesundheit wichtig ist, wenn man sich nicht durch die Steigung des Terrains behelligt fühlt. Es giebt dort Plätze, Squares, breite Straßen, ein wenig Schatten überall, und ist auf die Gesundheit der Bevölkerung Rücksicht genommen.

Wenn überhaupt der Fortschritt in jener Richtung hin sich nicht in einer modernen Stadt geltend machen sollte, besonders wenn diese Stadt amerikanisch ist,[28] wo sollte man denselben dann suchen? Da ist Gasbeleuchtung, Telegraph, Telephon, kurz, die Bewohner haben nur ein Zeichen zu geben, um Licht zu haben, ihre Depeschen auszutauschen, um miteinander von einem Stadtviertel zu dem anderen zu sprechen. Es giebt dort sogar mehr als hundertfünfzig hohe Mastbäume, die elektrisches Licht auf die Straßen der Stadt werfen. Wenn man noch nicht die Milch durch Luftdruck von der Great Milke Company in die Häuser befördern läßt, wenn die beweglichen Fußwege, die sich mit einer Schnelligkeit von vier Meilen in einer Stunde fortbewegen, sich noch nicht dort befinden, so ist das sicher... nur eine kleine Verzögerung.

Dazu kommen noch die verschiedenen Institute, die den Handel und Verkehr beleben: ein Zollamt, in dem der Verkehr mit jedem Tage wächst, zwei Banken, eine Handelskammer, eine Auswanderungsgesellschaft, große Comptoirs, zahlreiche Kanzleien, wo die großartigsten Holz- und Mehlgeschäfte abgeschlossen werden, Kirchen für die verschiedenen Religionen, drei Marktplätze, ein Theater, ein Gymnasium, drei höhere Schulen, Ruß County, Court House, Maronic and old fellows, die für die armen Kinder bestimmt sind, endlich zahlreiche andere Institute, wo die Studien bis zur Erwerbung eines Diploms an der Universität führen – und nun kann man über die Zukunft einer noch so jungen Stadt urtheilen, die für Alles sorgt, in moralischer wie in materieller Beziehung. Hat sie keine Zeitungen? Ja! Sie besitzt drei Tagesblätter, unter anderen den »Herald«, und jedes dieser Blätter giebt auch eine Wochenausgabe heraus. Müssen die Touristen befürchten, kein bequemes Unterkommen zu finden? Ohne die Hôtels niedrigen Ranges zu zählen, stehen ihnen drei prächtige Gebäude zur Verfügung, das Horton-House, das Florence-House, das Gerard-Hôtel mit seinen hundert Zimmern, während sich an dem gegenüberliegenden Ufer des Golfs inmitten von reizenden Villen in wunderbarer Lage ein neues Hôtel erhebt, das nicht weniger als fünf Millionen Dollars gekostet hat.

Von all den Ländern des alten Continents, wie von allen Städten des neuen, woher die Reisenden in diese kleine, lebhafte Hauptstadt Südcaliforniens kommen, werden sie gastfreundlich aufgenommen, und noch Niemand hat es bereut, diese Reise angetreten zu haben – es sei denn, daß sie ihm zu kurz gewesen wäre.

San-Diego ist eine lebhafte, bunte, geschäftige Stadt, wie die meisten amerikanischen Städte. Wenn sich das Leben an der Bewegung kenntlich macht, so kann man sagen, daß man dies dort im wahrsten Sinne des Wortes sieht.

[29] Die Zeit reicht kaum für das Geschäft hin. Wenn aber die Bewegung ruht, dann laufen die Stunden nur zu langsam vorüber!

Dies fühlte Mrs. Branican nach der Abfahrt des »Franklin«. Seitdem sie verheiratet war, nahm sie an den Arbeiten ihres Gatten theil. Selbst als er nicht auf der See war, beschäftigten ihn seine Beziehungen zu dem Hause Andrew vollauf. Außer den Handelsgeschäften, an denen er sich betheiligte, hatte er den Bau des Dreimasters zu beaufsichtigen, dessen Commando er übernehmen sollte. Mit welchem Eifer, man kann sagen, mit welcher Liebe er die kleinsten Einzelheiten überwachte! Er benahm sich dabei wie ein Hausherr, der sich ein Haus bauen läßt, um sein Leben darin abzuschließen. Und noch mehr, denn das Schiff ist nicht nur das Haus, es ist nicht nur ein Werkzeug des Glückes, es ist ein Holz- und Eisenbau, dem das Leben so und so vieler Menschen anvertraut wird.

Oft begleitete Dolly den Capitän John zur Werfte. War dieses Hämmern, Schlagen, Bohren, diese Mastbäume, die auf der Erde lagen und warteten, bis sie ihren Platz einnahmen, die Arbeit im Innern des Schiffes, das Takelwerk, die Cabinen – war dies Alles nicht von großem Interesse? Das Leben Johns und seiner Gefährten hatte der »Franklin« gegen die wilden Stürme des Stillen Oceans zu vertheidigen! Auch gab es nicht ein Brett, dem Dolly nicht im Gedanken einen Segenswunsch zuflüsterte, nicht einen Hammerschlag, der nicht in ihrem Herzen wiederhallte. John erklärte ihr die ganze Arbeit, sagte ihr die Bestimmung eines jeden Holzstückes oder Metalltheiles und machte ihr den Bauplan verständlich. Sie hatte dieses Schiff gern, dessen Seele, dessen Herr, nach Gott, ihr Gatte werden sollte!... Und manchmal fragte sie sich, warum sie nicht mit dem Capitän fahre, warum er sie nicht mitnehme, warum sie nicht die Gefahren des Meeres theile, warum sie der »Franklin« nicht zugleich mit ihm in den Hafen von San-Diego zurückbringen könne? Ja, sie hatte sich nicht von ihrem Gatten trennen wollen!... Und ist das Leben dieser Seeleute, die jahrelang zusammen herumfahren, nicht seit Langem in Fleisch und Blut der Bevölkerung des Nordens auf dem alten wie auf dem neuen Continente übergegangen?

Aber es war ja Wat da, das kleine Kind, und Dolly konnte es nicht der Pflege einer Amme überlassen, die doch nicht seine Mutter war... Nein! Konnte sie es mitnehmen und es einer für so kleine Wesen gefährlichen Reise aussetzen?... Nein!... Sie wollte bei diesem Kinde bleiben und sein Leben schützen, nachdem [30] sie es ihm ja gegeben, es mit Liebe und Zärtlichkeit pflegen, damit es dem heimkehrenden Vater gesund entgegenlächeln könne. Uebrigens sollte John nur sechs Monate fernbleiben, denn sobald der »Franklin« seine Ladung in Calcutta erneuert hätte, würde er wieder zurückkehren. Und geziemt es sich nicht, daß die Frau eines Seemannes sich an jene unabänderlichen Trennungen gewöhne, die der Stand des Gatten mit sich bringt?

Sie mußte daher nachgeben und Dolly gab auch nach. Aber nach der Abfahrt Johns wäre ihr das Leben öde und leer erschienen, wenn sie nicht das Kind gehabt, wenn sie nicht auf dasselbe ihre ganze Liebe übertragen hätte.

Das Haus John Branican's stand auf einer jener Anhöhen, welche die nördliche Grenze des Golfs bilden. Es war eine Art Villa, inmitten eines kleinen Gartens von Orangen- und Olivenbäumen, den ein einfaches hölzernes Gitter umgab. Das Erdgeschoß mit der kleinen Gallerie, auf welche die Thüre und die Fenster des Salons und des Speisezimmers hinausgingen, dann der Balcon, der den größten Theil der Façade einnahm, des nett geschnitzte Dach, welches drei Fuß über das Stockwerk hinausragte, dies Alles bildete die einfache und reizende Behausung des Capitäns. Im Erdgeschosse befanden sich der Salon und das Speisezimmer, beide bescheiden möblirt; im ersten Stocke zwei Zimmer, das der Mrs. Branican und des Kindes; im Hintertheile des Hauses war ein kleiner Anbau für die Küche und das Dienstbotenzimmer. Prospect-House hatte eine herrliche Lage gegen Süden: Man konnte die ganze Stadt und den Golf bis zu den Gebäuden auf der Lamaspitze überblicken. Wenn das Haus auch von dem Leben und Treiben entfernt lag, so wurden die Bewohner doch wieder durch die herrliche Lage und die schöne Aussicht entschädigt, indem zu gleicher Zeit der Südwind und der salzige Geruch des Stillen Oceans diesen Besitz umgaukelten.

Hier nun brachte Dolly die langen Stunden zu. Die Amme des Kindes und eine Dienerin genügten vollständig für die Bedienung des Hauses. Die einzigen Besucher waren Herr und Frau Burker, selten kam Len, oft Jane. William Andrew besuchte, seinem Versprechen gemäß, öfter die junge Frau, indem er wünschte, ihr alle Nachrichten über den »Franklin« mitzutheilen, die auf directem oder indirectem Wege anlangen würden. – Bevor die Briefe an ihre Adresse gelangen können, berichten bereits die Schiffzeitungen von den Begegnungen der Schiffe, ihren Aufenthalten in den Hafenplätzen und anderen Dingen mehr, welche die Rheder und Besitzer interessiren. Dolly würde also auf dem Laufenden gehalten werden.


Oft begleitete Dolly den Capitän John. (S. 30.)

Was Bekannte, Gesellschaften, Besuche in der Nach [31] barschaft des Prospect-House anbelangt, so hatte sie dieselben nie gesucht. Ihr Leben füllte nur ein Gedanke aus; selbst wenn das Haus voller Besucher gewesen wäre, so wäre es ihr doch leer vorgekommen, weil John nicht da war; und es würde auch bis zu seiner Rückkehr leer bleiben.


Man konnte über die ganze Stadt blicken. (S. 31.)

Welchen Schmerz litt sie die ersten Tage! Dolly verließ Prospect-House gar nicht und Jane Burker besuchte sie täglich. Beide beschäftigten sich mit dem kleinen Wat und sprachen nur von John. War Dolly allein, so saß sie gewöhnlich [32] auf dem Balcon des Hauses und ließ ihre Blicke in die Ferne schweifen, weit über den Golf, noch weiter über die Coronadoinseln hinaus... Sie durchdrangen die Meereslinie am Horizonte... Der »Franklin« war schon weit... aber sie holte ihn in ihren Gedanken ein, sie schiffte sich auf demselben ein, sie war an der Seite ihres Gatten... Und wenn ein Schiff aus weiter Ferne in den Hafen einfuhr, da sagte sie zu sich, daß auch der »Franklin« eines Tages so erscheinen, daß er je näher, desto größer werden, daß John an Bord sein werde...

[33] Unterdessen war die Gesundheit des kleinen Kindes eine ganz gute. Zwei Wochen nach der Abreise des Schiffes war das Wetter sehr schön geworden und Wat konnte das Haus verlassen. So unternahm Mrs. Branican einige Ausflüge, wobei sie die Amme mitnahm, welche das Kind trug. Man ging zu Fuß, wenn sich die Spaziergänge auf die Umgebung der Hafenstadt beschränkten, bis zu den Häusern der Altstadt. Das that dem frischen gesunden Kinde sehr wohl, und sobald die Amme stehen blieb, klatschte es mit den kleinen Händen zusammen und lachte seiner Mutter zu. Ein- oder zweimal miethete man, da ein größerer Ausflug unternommen wurde, einen Wagen in der Nachbarschaft, der sie alle drei rasch davontrug, manchesmal auch alle vier, wenn Mrs. Burker an der Partie theilnahm. Eines Tages unternahm man einen solchen Ausflug auf den Hügel Knob-Hill, welcher mit Villen besäet ist, sich hinter dem Hôtel Florence erhebt und von dem man eine herrliche Aussicht gegen Westen über die Insel hat. An einem anderen Tage besuchte man den Strand der Coronado-Bucht, an welchem sich die Meereswogen mit furchtbarem Donner brachen. Dolly berührte mit dem Fuße diesen Ocean, der ihr gleichsam ein Echo aus weiter Ferne zutrug, wo gerade ihr Gatte dahinfuhr, diesen Ocean, dessen Wogen vielleicht das Schiff eben feindlich angriffen, das tausende Meilen weit war. Sie versank in Nachdenken und sah in Gedanken das Schiff des jungen Capitäns, indem sie leise den Namen »John« aussprach.

Am 30. März, gegen zehn Uhr Morgens, saß die junge Frau auf dem Balcon, als sie Mrs. Burker auf ihr Haus zukommen sah. Jane beschleunigte ihre Schritte, indem sie ihr freudig mit der Hand zuwinkte, ein Beweis, daß sie keine schlimme Nachricht brachte. Dolly stieg sofort hinab und traf mit ihrer Cousine gerade bei der Thür zusammen.

»Was giebt es, Jane?... fragte sie.

– Liebe Dolly, erwiderte Mrs. Burker, Du wirst eine sehr freudige Nachricht erhalten. Ich habe Dir von Mr. William Andrew mitzutheilen, daß der »Boundary«, der heute früh in San-Diego eingefahren ist, den »Franklin« begegnet hat...

– Dem »Franklin?.

– Ja William Andrew ist soeben davon benachrichtigt worden und er traf zufällig mit mir in der Fleet Street zusammen; da er erst Nachmittags kommen kann, so bin ich hergeeilt, um Dir diese Nachricht zu bringen.

– Und hat man Nachrichten von John?...

[34] – Ja, Dolly.

– Welche?... Sprich doch!

– Vor acht Tagen haben sich der »Franklin« und der »Boundary« auf dem Meere begegnet und es ist möglich gewesen, eine Correspondenz zwischen den beiden Schiffen auszutauschen!

– Ist Alles wohl an Bord?

– Ja, liebe Dolly. Die zwei Capitäne kamen einander so nahe, daß sie miteinander sprechen konnten, und das letzte Wort, welches man auf dem »Boundary« hören konnte, war Dein Name.

– O armer John! rief die junge Frau aus, indem Thränen aus ihren Augen stürzten.

– Wie glücklich bin ich, Dolly, versetzte Mrs. Burker, daß ich die Erste bin, welche Dir diese Nachricht bringt.

– Und ich danke Dir dafür, erwiderte Mrs. Branican. Wenn Du wüßtest, wie mich das glücklich macht!... Ach, wenn ich jeden Tag erfahren würde... mein John!... mein lieber John!... der Capitän des »Boundary« hat ihn gesehen... John hat mit ihm gesprochen... das ist wie ein Adieu, welches er mir geschickt hat!

– Ja, liebe Dolly, und ich wiederhole Dir noch einmal, es ist Alles wohl an Bord des »Franklin«.

– Jane, sagte Mrs Branican, ich muß den Capitän des »Boundary« sprechen, er soll mir Alles haarklein erzählen.... Wo haben sich die Schiffe begegnet?...

– Das weiß ich nicht, erwiderte Jane, aber das Schiffsbuch wird Dir Auskunft geben und der Capitän Dir Alles genau erzählen.

– Nun, Jane, ich will mich rasch anziehen, und wir gehen zusammen hin...

– Nein... heute nicht, Dolly, erwiderte Mrs. Burker, wir dürften nicht an Bord des »Boundary«.

– Und warum?

– Weil er erst heute früh angekommen ist und sich in Quarantaine befindet.

– Bis wann?

– Oh, nur vierundzwanzig Stunden... Ja, das ist nur eine reine Formsache, aber Niemand darf auf das Schiff.

– Wie konnte dann Mr. William Andrew von dieser Begegnung erfahren?

[35] – Die Nachricht hat ihm ein Zollbeamter von Seiten des Capitäns gebracht. Liebe Dolly, beruhige Dich... es kann kein Zweifel herrschen über das, was ich Dir soeben mitgetheilt habe, und Du wirst es morgen bestätigt finden. Ich bitte Dich, habe nur einen Tag Geduld.

– Nun gut, Jane, auf morgen! Ich werde um neun Uhr bei Dir sein; wirst Du mich an Bord des »Boundary« begleiten?..

– Sehr gern, liebe Dolly, ich werde Dich morgen erwarten, und wenn die Quarantaine vorüber ist, so wird uns der Capitän sicher empfangen.

– Nicht wahr, es ist der Capitän Ellis, ein Freund Johns? fragte Mrs. Branican.

– Ja, Dolly, und der »Boundary« gehört dem Hause Andrew.

– Also einverstanden, Jane... ich werde morgen zur festgesetzten Stunde bei Dir sein.. aber wie lang wird mir der Tag vorkommen... Willst Du nicht mit mir frühstücken?...

– Wenn Du es erlaubst, liebe Dolly... Mr. Burker kommt erst Abends nach Hause, so daß ich Dir den ganzen Nachmittag widmen kann...

– Ich danke, liebe Jane, wir werden von John sprechen... nur von ihm... nur von ihm!

– Und der kleine Wat?... Wie geht es ihm?... fragte Mrs. Burker.

– Es geht ihm sehr gut! erwiderte Dolly, er ist lustig wie ein Vogel... Wie wird sich sein Vater freuen, ihn wiederzusehen!... Jane, ich möchte ihn am liebsten mit der Amme morgen mitnehmen... Du weißt es, ich trenne mich nicht gern von meinem Kinde, nicht einmal für einige Stunden... Ich hätte keine Ruhe.

– Du hast recht, sagte Mrs. Burker, das ist ein guter Gedanke, der Spaziergang wird dem kleinen Wat gut thun; die Witterung ist schön... das Meer ist ruhig... Es wird seine erste Seereise sein... Also abgemacht?

– Abgemacht!« versetzte Mrs. Branican.

Jane blieb im Prospect-House bis fünf Uhr Abends, dann schied sie von ihrer Cousine, indem sie nochmals wiederholte, daß sie dieselbe am folgenden Tage um neun Uhr Morgens erwarten werde, um mit ihr den »Boundary« zu besuchen.

[36]
4. Capitel
Viertes Capitel.
An Bord des »Boundary«.

Am folgenden Tage stand im Prospect-House Alles frühzeitig auf. Das Wetter war prächtig, und die Brise, welche vom Lande kam, trieb rasch den Nebel nach dem Meere hinaus. Die Amme zog den kleinen Wat an, während Mrs. Branican Toilette machte. Man war übereingekommen, daß sie bei Mrs. Burker frühstücke. Auch begnügte sie sich mit einer einfachen Mahlzeit, was ihr erlaubte, bis Mittag zu warten, denn wahrscheinlich würde der Besuch bei dem Capitän Ellis zwei gute Stunden dauern. Hatte sie doch so viel zu fragen!

Mrs. Branican und die Amme, welche das Kind trug, verließen das Haus, als es eben an den Uhren von San-Diego halb neun schlug. Die breiten Wege der Stadt, welche von reizenden Villen und Gärten begrenzt waren, lagen bald hinter ihnen, und Dolly befand sich nun in den engeren Straßen des Handelsviertels.

Len Burker wohnte in der Fleet Street, nicht weit von der Werfte entfernt, welche der Gesellschaft der Pacific Coast-Steamship gehörte. Kurz, da sie die ganze Stadt durchgehen mußten, war dies ein förmlicher Ausflug für sie, so daß sie erst um neun Uhr in dem Hause Burker's ankamen.

Die Wohnung war einfach und gewährte mit ihren persischen Vorhängen, die fast immer geschlossen waren, einen traurigen Anblick. Len Burker, der höchstens einige Geschäftsleute empfing, hatte weiter keine Bekannte. Man kannte ihn sogar in der Fleet Street nur wenig, und seine Geschäfte hielten ihn gewöhnlich von Morgens bis Abends von dem Hause fern. Er reiste viel herum und begab sich oft nach San-Francisco in Geschäftsangelegenheiten, die er seiner Frau gegenüber nie berührte. An diesem Morgen befand er sich eben in dem Comptoir, als Mrs. Branican ankam. Mrs. Burker entschuldigte ihren Gatten, daß er sie beide nicht an Bord des »Boundary« begleiten könne, und setzte hinzu, daß er sicher an dem Dejeuner theilnehmen werde.

»Ich bin fertig, liebe Dolly, sagte Jane, nachdem sie das Kind herzlich geküßt hatte. Willst Du Dich nicht einen Augenblick ausruhen?

– Ich bin nicht müde, erwiderte Mrs. Branican.

[37] – Brauchst Du nichts?

– Nein, Jane!... Ich möchte nur schon bei dem Capitän Ellis sein... Ich bitte Dich, gehen wir sogleich!«

Mrs. Burker hatte eine alte Frau zur Dienerin, eine Mulattin, welche ihr Gatte aus New-York mitgebracht hatte, als er sich in San-Diego niederließ. Diese Mulattin, Nô, war die Amme Len Burker's gewesen. Da sie schon früher in den Diensten der Familie stand, so war sie ihm sehr ergeben und dutzte ihn noch immer, wie sie es gewohnt war, als er noch ein Kind war. Dieses Geschöpf, dem Len Burker die ganze Hauswirthschaft überließ, konnte sich allein eines gewissen Einflusses auf ihn rühmen. Wie oft hatte Jane unter einer Herrschaft zu leiden, die oft jede Rücksicht außeracht ließ! Aber sie unterwarf sich der Herrschaft der Mulattin, wie sie sich der ihres Mannes unterwarf. In ihrer Resignation, die nichts als Schwäche war, ließ sie Allem freien Lauf, und Nô fragte sie in keiner Hausangelegenheit um Rath.

In dem Augenblicke, als Jane fortgehen wollte, befahl ihr die Mulattin, gewiß vor Mittag zurück zu sein, weil Len Burker heimkehren werde, und sie ihn doch erwarten müßte. Er hätte übrigens noch mit Mrs. Branican in einer wichtigen Angelegenheit zu sprechen.

»Um was handelt es sich denn? fragte Dolly ihre Cousine.

– Wie kann ich das wissen, erwiderte Mrs. Burker. Komm, Dolly, komm!«

Es war keine Zeit zu verlieren. Mrs. Branican und Jane mit der Amme und dem Kinde begaben sich nach dem Quai, wo sie binnen zehn Minuten ankamen.

Der »Boundary«, dessen Quarantaine soeben aufgehoben worden war, hatte noch nicht jenen Ort des Hafens bezogen, der den heimkehrenden und ausruhenden Schiffen des Hauses Andrew bestimmt war. Er lag bei der Lomaspitze vor Anker, weshalb man über den Golf setzen mußte, um an Bord des Schiffes zu gelangen. Das war eine Ueberfahrt von ungefähr zwei Meilen, welche kleine Dampfer jede Stunde zweimal besorgten.

Dolly und Jane Burker nahmen in einem solchen Dampfer Platz, inmitten von zahlreichen Passagieren, die meistens Freunde oder Verwandte der Mannschaft des »Boundary« waren und die aufgehobene Quarantaine sofort benutzten, um sich an Bord des Schiffes zu begeben. Bald durchkreuzte der Schraubendampfer in einer schiefen Linie den Golf.

[38] Der Golf sah bei diesem prächtigen Wetter herrlich aus: Die große Wasserfläche, im Hintergrunde die amphitheatralisch aufsteigenden Häuser San-Diegos, der Hügel, der die Altstadt beherrschte, die offene See zwischen den Spitzen von Island und Loma, das ungeheuere Hôtel von Coronado und der Leuchtthurm, der nach dem Untergange der Sonne weithin sein Licht wirst.

Der Schraubendampfer fuhr an den zahlreichen Schiffen, die zerstreut vor Anker lagen, geschickt vorüber, ebenso wie auch an den Booten oder an den auslaufenden Fischerkähnen.

Mrs. Branican saß neben Jane auf einer Bank des Hinterdecks. Die Amme hielt neben ihr das Kind in den Armen.

Wat schlief nicht und seine Augen füllten sich mit jenem schönen Lichte, das eine frische Brise zu entflammen pflegt. Er sah blühend aus mit seinen rothen Wangen und rosigen Lippen, die noch feucht waren von der Milch, welche er aus dem Busen der Amme vor Verlassen des Hauses Burker's gesogen hatte. Seine Mutter sah ihn zärtlich an und beugte sich oft über ihn, um ihn zu küssen, was der Kleine immer mit einem Lächeln erwiderte.

Aber die Aufmerksamkeit Dollys wurde bald durch den Anblick des »Boundary« gefesselt, der sich jetzt von den übrigen Schiffen deutlich abhob und seine Flaggen lustig gegen den sonnenklaren Himmel flattern ließ.

Das ganze Leben Dollys hing an diesem Anblicke. Sie dachte an John, der von einem ähnlichen Schiffe, das man einen Bruder jenes dort nennen konnte, entführt worden war. Wie sich die beiden Schiffe ähnlich sahen! Waren sie nicht Kinder desselben Hauses Andrew? Hatten sie nicht die gleiche Heimat? Waren sie nicht auf derselben Werfte erbaut worden? Dolly, ganz in Nachdenken versunken, ganz von ihrer Phantasie erfaßt, glaubte, John wäre dort auf jenem Schiffe... daß er sie erwarte... daß er ihr zuwinken werde... daß sie werde in seine Arme fallen können... sein Name war auf ihren Lippen... sie nannte ihn... und er antwortete, indem er den ihrigen aussprach...


... saß die junge Frau auf dem Balkon. (S. 34.)

Ein kleiner Schrei ihres Kindes entriß sie den Gedanken. Ja, es war der »Boundary«, auf den sie zufuhren, und nicht der »Franklin«... weit, weit war dieser... Wie viele tausende Meilen trennten ihn von der amerikanischen Küste!

»Eines Tages wird er auch dort sein... sagte sie leise, indem sie Mrs. Burker ansah.

[39] – Ja, liebe Dolly, erwiderte Jane, und dann wird uns John an Bord erwarten.«


Dann trennten sich die beiden Schiffe. (S. 42.)

Sie verstand, daß eine leichte Unruhe das Herz der jungen Frau erfaßte, als diese sie nach der Zukunft fragte.

Unterdessen hatte der Schraubendampfer in einer Viertelstunde die zwei Meilen, die den Quai San-Diegos von der Lomaspitze trennen, zurückgelegt. Die Passagiere stiegen aus, und Mrs. Branican mit Jane, der Amme und dem Kinde gingen zu Fuß. Die Entfernung bis zum »Boundary« war nur noch eine kurze.

[40] Gerade neben der Landungsbrücke stand unter der Aufsicht zweier Matrosen ein Boot, das die Verbindung mit dem Dreimaster vermittelte. Mrs. Branican nannte ihren Namen, und die beiden Männer stellten sich ihr zur Verfügung, sie an Bord des »Boundary« zu bringen, nachdem sie sich versichert hatte, daß Capitän Ellis sich auch dort befand.

Einige Ruderschläge genügten, und sobald Capitän Ellis Mrs. Branican erkannt hatte, eilte er zur Schiffstreppe; während sie hinaufstieg, schärfte sie der Amme ein, das Kind festzuhalten. Der Capitän führte sie auf das Verdeck, [41] während der Officier die Vorbereitungen traf, den »Boundary« zum Quai von San-Diego zu geleiten.

»Herr Ellis, fragte sofort Mrs. Branican, ich habe gehört, daß Sie dem »Franklin« begegnet sind?...

– Ja, Mistreß, erwiderte der Capitän, und ich kann Ihnen die Versicherung geben, daß er sich wohl befindet, wie ich es auch Mr. William Andrew mitgetheilt habe.

– Haben Sie... John gesehen?

– Der »Franklin« und der »Boundary« konnten sich einander soweit nähern, daß der Capitän Branican und ich einige Worte wechselten.

– Ja... Sie haben ihn gesehen!...« wiederholte Mrs. Branican, indem sie dem Capitän Ellis in die Augen sah, als hoffte sie in denselben einen Reflex des »Franklin« zu entdecken.

Mrs. Burker stellte dann einige Fragen, denen Dolly aufmerksam zuhörte, obwohl ihre Blicke weit in die Ferne schweiften.

»An jenem Tage, erwiderte der Capitän Ellis, war das Wetter sehr hübsch und der »Franklin« fuhr mit vollen Segeln dahin. Der Capitän John stand, das Fernrohr in der Hand, auf dem Verdecke. Er lavirte ein Viertel, um sich dem »Boundary« zu nähern, denn ich konnte von meinem Curse nicht abweichen, weil der Wind mir gerade entgegenkam.«

Mrs. Branican konnte sich die Stellung der beiden Schiffe aus den Worten des Capitäns Ellis zwar nicht ganz klar vorstellen, aber was sie sich merkte war, daß er John gesehen, daß er mit ihm gesprochen habe.

»Als wir ganz nahe waren, fügte er hinzu, grüßte mich Ihr Gatte, Mistreß Branican, mit der Hand und rief: »Alles geht gut, Ellis! Grüßen Sie mir bei der Ankunft in San-Diego meine Frau... meine liebe Dolly!« Dann trennten sich die beiden Schiffe und waren einander bald entschwunden.

– An welchem Tage sind Sie dem »Franklin« begegnet? fragte Mrs. Branican.

– Am 23. März, erwiderte Ellis, um elf Uhr fünfundzwanzig Minuten Vormittags.«

Nun mußte man noch auf die Einzelheiten eingehen, und der Capitän gab auf der Karte genau an, wo sich beide Schiffe gekreuzt hatten. Es war im 148. Längen- und im 20. Breitengrade, daß der »Boundary« dem »Franklin« begegnet war, d. h. 1700 Meilen von San-Diego entfernt. Wenn das Wetter [42] günstig blieb – und dazu war alle Hoffnung vorhanden – so würde Capitän John eine gute Fahrt durch den Norden des Stillen Oceans haben. Wenn er außerdem gleich nach seiner Ankunft in Calcutta laden könnte, so würde er sich nur kurze Zeit in der indischen Hauptstadt aufhalten und seine Rückkehr nach Amerika bald von statten gehen. Der »Franklin« würde also, den früheren Absichten gemäß, nur einige Monate abwesend sein.

Während der Capitän Ellis bald auf die Fragen der Mrs. Burker, bald auf die der Mrs. Branican antwortete, bildete sich diese immer noch ein, an Bord des »Franklin« zu sein!... Das war nicht Ellis... das war John, der ihr dies Alles erzählte... Sie glaubte seine Stimme zu hören....

In diesem Augenblicke kam der Officier auf den Capitän zu und meldete, daß die Vorbereitungen sich ihrem Ende näherten. Die Matrosen standen alle in Bereitschaft und warteten nur auf den letzten Befehl.

Der Capitän machte nun Mrs. Branican das Anerbieten, sie wieder an das Land bringen zu lassen, wenn sie es nicht vorzöge, an Bord zu bleiben und den Golf auf dem »Boundary« zu durchschneiden, so daß sie auf der Werfte aussteigen könnte. Das würde ungefähr zwei Stunden dauern.

Mrs. Branican hätte gern das Anerbieten des Capitäns angenommen, aber sie wurde zum Diner erwartet. Sie sah ein, daß Jane nach dem, was ihr die Mulattin gesagt hatte, sehr beunruhigt sein würde, wenn sie nicht vor der Ankunft ihres Gatten zu Hause wäre. Sie ersuchte daher den Capitän Ellis, sie zur Landungsbrücke fahren zu lassen, um den nächsten Schraubendampfer nicht zu versäumen. Sofort wurden die Befehle ertheilt, Mrs. Branican und Mrs. Burker verabschiedeten sich von dem Capitän, nachdem dieser die rothen Wangen des kleinen Wat geküßt hatte. Dann stiegen sie, die Amme voraus, die Schiffstreppe hinab, und das Boot brachte sie wieder zu der Landungsbrücke.

Indem sie nun die Ankunft des Schraubendampfers, der eben den Quai von San-Diego verlassen hatte, erwarteten, sah Mrs. Branican mit großem Interesse den Manövern des »Boundary« zu. Unter dem rauhen Gesange der Matrosen wurde der Anker aufgezogen, und am zweiten Mast wurde das große Focksegel und die Brigantine gehißt. Mit diesen Segeln näherte sich das Schiff graciös seinem Posten.

Bald war der Schraudendampfer an der Landungsbrücke. Dann stieß er noch einige Pfiffe aus, um die verspäteten Touristen zu schnellen Schritten anzutreiben.

[43] Der Schraubendampfer hatte nur fünf Minuten Aufenthalt. Mrs. Branican, Jane Burker und die Amme setzten sich auf eine Bank des Verdecks, während die übrigen Reisenden – etwa zwanzig – auf der Brücke hin und hergingen. Ein letzter Pfiff ertönte, die Schraube setzte sich in Bewegung und das Schiff entfernte sich von der Küste.

Es war erst halb zwölf und Mrs. Branican wäre daher noch zur rechten Zeit in das Haus der Fleet Street gekommen, da die Ueberfahrt nur eine Viertelstunde dauerte. In dem Maße, als das Schiff sich der Küste näherte, hingen die Blicke der Mrs. Branican an dem »Boundary«. Der Anker war, oben, die Segel waren geschwellt, und das Schiff begann langsam dahinzugleiten. Wenn es vor der Werfte in San-Diego liegen würde, so konnte es Dolly besuchen, so oft sie wollte.

Der Schraubendampfer fuhr schnell dahin. Die Häuser der Stadt wuchsen wie ein Amphitheater empor, und das Schiff war keine Viertelmeile mehr von dem Ufer entfernt.

»Achtung!« rief in diesem Augenblicke ein Matrose, der vorn bei der Spitze stand.

Als Mrs. Branican diesen Ruf hörte, blickte sie nach dem Hafen hinüber, wo eben ein aufregendes Schauspiel die Aufmerksamkeit aller Passagiere auf sich zog, die sich auch Alle zu dem Vordertheile des Schiffes hindrängten. Ein großer Ziegelchooner war eben den zahlreichen Schiffen an dem Quai entlang gefahren und schickte sich an, mit dem Bug gegen die Islandspitze, den Golf zu verlassen. Er war von einem Remorqueur ins Schlepptau genommen, der ihn nun hinausbringen sollte.

Dieser Schooner lag gerade in der Fahrtlinie des Schraubendampfers, und zwar so nahe, daß es schwer war, ihm auszuweichen.

Ein ängstliches Gefühl ergriff die Passagiere, eine Unruhe, die um so gerechtfertigter war, als der Hafen voll von zerstreut liegenden Schiffen war. Eine innere Stimme drängte sie Alle nach dem Hinterdecke zurück. Man mußte »stoppen« und so den Schlepper mit dem Schooner vorüber lassen. Einige Fischerboote, die von dem Winde hin- und hergeworfen wurden, machten den Durchgang noch schwieriger, da sie vor dem Quai von San-Diego kreuzten.

»Achtung! rief von neuem der Matrose.

– Ja... ja... erwiderte der Steuermann. Da ist keine Gefahr!... Ich habe Platz genug!«

[44] Da aber dahinter plötzlich ein großer Dampfer kam, so machte der Remorqueur eine Wendung, auf die man nicht gefaßt sein konnte. Man schrie, und dazu kamen noch die Rufe der Bemannung des Schooners, welche die Drehung des Remorqueurs durch ihr eigenes Steuer unterstützen wollten.

Kaum zwanzig Fuß waren die beiden Schiffe von einander entfernt.

Jane hatte sich voll Angst umgewendet. Mrs. Branican nahm, von einer plötzlichen Furcht erfaßt, den kleinen Wat aus den Armen der Amme und drückte ihn an sich.

»Nach Steuerbord!... Nach Steuerbord!« rief der Capitän, indem er mit der Hand die Richtung angab, die man einzuschlagen hätte.

Dieser Mensch, der seine Kaltblütigkeit nicht verlor, riß das Steuer kräftig herum, um sich aus dem Curse des Remorqueurs zu bringen, denn dieser konnte unmöglich stoppen, und der Schooner drohte ihn in die Flanke zu schlagen.

Durch das plötzliche Herumreißen des Steuerruders verloren die Reisenden das Gleichgewicht und fielen auf die Seite.

Nun ertönten neue Schreie des Entsetzens, weil man glaubte, daß soeben die beiden Schiffe zusammengestoßen seien.

In diesem Augenblicke konnte sich Mrs. Branican nirgends anhalten und wurde mit dem Kinde in das Meer geschleudert.

Der Schooner glitt vorüber und jede Gefahr eines Zusammenstoßes war beseitigt.

»Dolly!... Dolly!...« rief Jane, welche einer der Passagiere schnell bei der Hand erfaßte, als sie zu fallen drohte.

Plötzlich sprang ein Matrose, ohne lange zu zögern, über die Brüstung in das Meer, um Mrs. Branican und das Kind zu retten.

Dolly, welche die Kleider oben hielten, schwamm auf der Oberfläche; sie hielt das Kind in den Armen; aber sie war schon dem Untersinken nahe, als der Matrose auf sie zugeschwommen kam.

Sofort hatte der Schraubendampfer gestoppt und es war dem Matrosen nichts Schweres, ihn mit Mrs. Branican wieder zu erreichen. Unglücklicherweise hatten sich in dem Augenblicke, wo sie von dem Matrosen um die Taille genommen wurde, die Arme der Frau geöffnet, und während sie dem Ertrinken nahe war, verschwand das Kind. Als Dolly an Bord getragen und dort auf eine Matratze gelegt wurde, war sie ganz bewußtlos.

[45] Von neuem sprang dieser muthige Matrose – es war ein Mann von ungefähr dreißig Jahren, namens Zach Fren – in das Meer, tauchte mehrmals unter, suchte herum... vergebens!... Er konnte das Kind nicht wiederfinden, das durch einen Wirbel in die Tiefe gezogen worden war.

Unterdessen ließen die Passagiere Mrs. Branican alle Pflege angedeihen, die ihr Zustand erheischte. Jane, die ganz bestürzt war, und die Amme, die den Kopf verloren hatte, suchten sie zu sich zu bringen. Der Schraubendampfer stand noch immer und wartete, bis Zach Fren jede Hoffnung, den kleinen Wat wiederzufinden, aufgeben würde.

Endlich kam Dolly wieder zum Bewußtsein. Sie stöhnte den Namen Wats, ihre Augen öffneten sich und ihr erster Schrei war:

»Mein Kind!«

Sie sah Zach Fren über die Brüstung heraufklettern... Wat war nicht in seinen Armen.

»Mein Kind!« rief noch einmal Dolly.

Dann sprang sie auf, stieß die Umstehenden zur Seite und eilte zur Brüstung...

Wenn man sie nicht aufgehalten haben würde, so hätte sie sich in das Meer gestürzt... Man mußte die unglückliche Frau halten, während der Dampfer seine Fahrt fortsetzte.

Mrs. Branican war mit verzerrten Zügen und ringenden Händen auf dem Verdecke hingesunken.

Nach einigen Augenblicken hatte das Schiff die Landungsbrücke erreicht und Dolly wurde in das Haus Janes getragen. Len Burker war eben heimgekehrt. Auf seinen Befehl lief die Mulattin nach einem Arzt.

Dieser war bald da, und es gelang ihm nur mit Mühe, Mrs. Branican wieder in das Leben zurückzubringen.

Dolly sah ihn mit starrem Blicke an:

»Was giebt es?... Was ist vorgefallen?... Ach!... Ich weiß!...«

Dann sagte sie lächelnd:

»Es ist mein John... Er kommt zurück!... Er kommt zurück!... Er wird seine Frau und sein Kind wiederfinden... John!... Da kommt John!«... Mrs Branican hatte den Verstand verloren.

[46]
5. Capitel
Fünftes Capitel.
Drei Monate verfließen.

Wie kann man den Eindruck beschreiben, den diese Katastrophe auf ganz San-Diego gemacht hatte?... Der Tod des Kindes... der Wahnsinn der Mutter! Man weiß, welche Sympathie die Bevölkerung für die Familie Branican hegte, welches Interesse der junge Capitän des »Franklin« Allen einflößte. Er war kaum vierzehn Tage fort... und war nicht mehr Vater... Bei der Rückkehr würde er in seinem Hause weder das lustige Lachen des kleinen Wat, noch die Zärtlichkeit Dollys wiederfinden, die ihn nicht mehr erkennen würde... An dem Tage, wo er einst in den Hafen einfuhr, da würde er mit keinem Hurrah begrüßt werden!

Aber man brauchte nicht erst auf die Heimkehr John Branican's zu warten, daß er diese furchtbare Katastrophe erfahre, denn Mr. William Andrew konnte nicht umhin, den jungen Capitän von dem Vorgefallenen in Kenntniß zu setzen. Es mußte sofort eine Depesche an einen der Correspondenten in Singapore abgehen, und auf diese Weise würde John die schreckliche Wahrheit vor seiner Ankunft in Indien vernehmen.

Doch wollte Mr. William Andrew nicht sofort die Depesche absenden. Vielleicht ist Dolly heilbar! Wußte man, ob die Pflege, die man ihr angedeihen ließ, sie nicht wieder in den Besitz ihrer geistigen Kräfte bringen konnte?... Warum John einen doppelten Schlag versetzen, der Tod des Kindes und der Wahnsinn seiner Frau, wenn letztere in einer bestimmten Zeit zu heilen ist?

Nachdem er sich darüber mit Len und Jane Burker ins Einvernehmen gesetzt hatte, wartete er den definitiven Ausspruch der Aerzte über den geistigen Zustand Dollys ab.

Unterdessen war die ganze Stadt in tiefer Bestürzung. Menschenmassen zogen zu dem Hause in der Fleet Street hin, um etwas über Mrs. Branican zu hören. In dieser Zeit wurden auch sorgfältige Nachforschungen angestellt, um die Leiche des Kindes zu finden. Vergebens! Wahrscheinlich war dieser Leichnam von der Ebbe in die offene See getrieben worden. Der arme Kleine hatte nicht einmal ein Grab, auf dem seine Mutter hätte beten können, wenn sie gesund sein würde.

[47] Zuerst konnten die Aerzte constatiren, daß der geistige Zustand Dollys nur in einer leichten Melancholie bestehe. Keine nervöse Krise, keine jener Tobsuchtsanfälle, zwingen zu der vollständigen Isolirung der Kranken. Dolly war nur ein Körper ohne Seele, ein Geist, in dem keine Erinnerung an dieses furchtbare Unglück haftete. Ihre Augen waren trocken, ihr Blick erloschen; sie schien nichts zu sehen, sie schien nichts zu hören; sie gehörte nicht mehr dieser Welt an.

So war der Zustand der Mrs. Branican in dem ersten Monate nach diesem Unglücke. Man hatte die Frage aufgeworfen, ob es besser wäre, sie in eine Heilanstalt zu geben oder ihr eine besondere Pflege zutheil werden zu lassen. Das war die Meinung Mr. William Andrew's, und man hätte sie auch befolgt, wenn nicht Len Burker einen anderen Vorschlag gemacht hätte.

Len Burker besuchte Mr. William Andrew in seinem Bureau und sagte zu ihm:

»Wir sind jetzt fest überzeugt, daß der geistige Zustand Dollys keinen gefährlichen Charakter hat, der uns zwingen würde, sie einzusperren; weil sie keine anderen Verwandten hat wie uns, so bieten wir uns an, sie zu pflegen. Dolly hat meine Frau ungemein gern; wer weiß, ob die Pflege von ihr nicht besser auf sie einwirken wird als die Fremder? Wenn später eine Krisis eintreten sollte, so ist es ja immer noch Zeit, weitere Maßregeln zu treffen. Was meinen Sie dazu, Herr Andrew?«

Dieser antwortete nicht ohne ein gewisses Zögern, denn er hatte eine geheime Antipathie gegen Len Burker, obgleich er damals noch nichts von seiner Lage wußte und auch seine Ehrlichkeit nicht bezweifelte. Nach Allem war die Freundschaft, welche die beiden Frauen verband, eine tiefe, und da Mrs. Burker ihre einzige Verwandte war, so würde es schon besser sein, sie bliebe in häuslicher Pflege. Das Wichtigste war, daß die unglückliche Frau beständig und liebreich gepflegt werde, wie dies ihr Zustand erheische.

»Da Sie sich dieser Aufgabe unterziehen wollen, erwiderte Mr. William Andrew, so sehe ich nichts Ungehöriges darin, Herr Burker, daß Dolly ihrer Cousine übergeben werde, deren Ergebenheit außer allem Zweifel steht.

– Ja, für immer soll sie gepflegt werden!« fügte Len Burker hinzu.

Aber er sagte dies in seinem gewohnten kühlen, frostigen Tone.

»Ihre Absicht ist aller Ehren werth, sagte William Andrew. Nur noch eine Bemerkung: Ich frage mich, ob in Ihrem Hause in der Fleet Street, [48] [51]inmitten des Lärmens auf der Gasse, die arme Dolly gut aufgehoben sei, da sie dies doch gar nicht gewohnt ist. Sie braucht Ruhe, frische Luft....

– Unsere Absicht ist es auch, erwiderte Len Burker, sie nach Prospect-House zu bringen und dort mit ihr zu wohnen. Dieses Haus ist ihr Heim, und der Anblick der ihr bekannten suchen wird von heilsamem Einfluß auf sie sein. Dort wird sie nicht gestört werden... Das Freie ist gleich vor der Thüre...


Dolly!... Dolly!... rief Jane. (S. 45.)

Jane wird sie einige Spaziergänge in der Umgebung machen lassen, die sie kennt, die sie mit ihrem Kinde gemacht hat... Das schlage ich vor... Würde dies John nicht billigen, wenn er da wäre?... Und was müßte er sich bei seiner Rückkehr denken, wenn er seine Frau in einer Heilanstalt, in den Händen bezahlter Leute fände?... Herr Andrew, man darf nichts außeracht lassen, um einen heilsamen Einfluß auf ihren Geist auszuüben.«

Dieser Antwort lagen scheinbar ganz hübsche Gefühle zu Grunde. Aber warum schienen die Worte dieses Mannes kein Vertrauen einzuflößen?

Wie dem auch sein mochte, sein Vorschlag mußte angenommen werden, und Mr. William Andrew konnte ihm nur danken, indem er hinzufügte, daß John ihm auch zu tiefem Danke verpflichtet sei.

Am 27. April wurde Mrs. Branican in das Prospect-House gebracht, wo Jane und Len Burker an dem Abend desselben Tages sich auch einlogirten. Dieser Entschluß fand allgemeine Billigung.

Man erräth, welchen Motiven Len Burker gehorchte. Eben an dem Tage der Katastrophe hatte er, wie wir wissen, die Absicht gehabt, mit Dolly über eine gewisse Angelegenheit zu sprechen. Diese bestand darin, sich von ihr eine ansehnliche Summe Geldes zu borgen. Aber seitdem hatte sich die Lage geändert. Es war wahrscheinlich, daß Len Burker mit der Verwaltung des Vermögens seiner Verwandten, vielleicht als Curator, betraut werde, und in dieser Eigenschaft konnte er sich einige Hilfsquellen – wenn auch versiegbare – verschaffen, wodurch er wenigstens von neuem Zeit gewann. Das sah auch Jane voraus, und wenn sie glücklich war, sich ganz der Pflege Dollys widmen zu können, so zitterte sie doch, weil sie die geheimen Pläne ihres Mannes durchschaute, die dieser unter dem Mantel der Humanität verbarg.

Der Aufenthalt im Prospect-House wurde nun folgendermaßen eingerichtet: Man brachte Dolly in jenes Zimmer, das sie verlassen hatte, um so namenlosem Unglück entgegenzugehen. Es war nicht mehr die Mutter, die dahin zurückkehrte, es war ein Wesen, beraubt der Vernunft. Das so geliebte Heim, [51] der Salon, wo einige Photographien des Abwesenden hingen, der Garten, wo sie Beide so glückliche Tage zugebracht hatten, nichts erinnerte sie mehr an das frühere Leben. Jane bewohnte ein Zimmer, das an das Dollys stieß, und Len Burker hatte das seinige in dem Erdgeschosse gewählt, das seinerzeit dem Capitän John gehörte.

Von jenem Tage an ging Len Burker seinen gewöhnlichen Geschäften wieder nach. Jeden Morgen begab er sich nach San-Diego hinab, in sein Bureau in der Fleet Street, wo er seine Geschäfte abwickelte. Aber was man besonders hätte bemerken können, war, daß er es nie unterließ, jeden Abend wieder nach Prospect-House zurückzukehren; er verreiste auch bald nicht mehr.

Wir müssen noch nachtragen, daß die Mulattin ihrem Herrn auch in die neue Wohnung gefolgt war, wo sie bald das war, was sie immer und überall gewesen war, eine Person, auf deren Ergebung man rechnen konnte. Die Amme des kleinen Wat war entlassen worden, obwohl sie sich angetragen hatte, ihre Dienste Mrs. Branican zu weihen. Was die Dienerin anbelangt, so wurde dieselbe unterdessen provisorisch für die Dienste behalten, die Nô allein kaum hätte leisten können.

Uebrigens wäre Niemand in der sorgsamen Pflege Jane gleichgekommen, die Alles that, was der Zustand Dollys erforderte. Ihre Freundschaft hatte sich, wenn es möglich war, nach dem Tode des Kindes noch vergrößert, da sie sich als die Ursache des Unglückes ansah. Wenn sie nicht Dolly in dem Prospect-House besucht und die Frau auf den Gedanken gebracht hätte, den Capitän des »Boundary« zu besuchen, so wäre das Kind heute noch bei seiner Mutter und würde die langen Stunden der Abwesenheit des Gatten vertreiben!... Dolly hätte nicht den Verstand verloren!

Es war ohne Zweifel Len Burker's Absicht, daß die Pflege Janes Allen, die sich für Mrs. Branican interessirten, vollständig genüge. Mr. William Andrew mußte selbst anerkennen, daß die arme Frau in keinen besseren Händen hätte sein können. So oft er seine Besuche machte, beobachtete er, ob sich der Zustand der Kranken nicht zum Bessern wende. Er wollte noch immer hoffen, daß die erste Depesche, die an den Capitän John nach Singapore und Indien abgeschickt werde, nicht ein doppeltes Unglück melde, sein Kind todt... seine Frau... War es nicht gerade so, als wenn seine Frau auch gestorben wäre? Allerdings nicht! Er konnte nicht glauben, daß Dolly in der Kraft ihrer Jugend, bei ihrem regen Geiste und energischen Charakter für immer des Verstandes beraubt [52] wäre! War es vielleicht nur ein Feuer, das unter der Asche weiterglomm?... Würde es nicht eines Tages ein Funke wieder anfachen?... Und doch waren schon fünf Wochen verflossen, ohne daß eine Hoffnung diese Dunkelheit erleuchtet hätte. Bei einem solch ruhigen Irrsinne, den nicht der geringste Anfall steigerte, schienen die Aerzte nicht die geringste Hoffnung zu haben und stellten bald ihre Besuche ein. Bald kam auch Mr. William Andrew, der an einer Heilung verzweifelte, nur noch selten in das Prospect-House – so leid that es ihm, wenn er sich bei dieser Unglücklichen und zugleich geistig Kranken befand.

Wenn Len Burker aus irgend einem Grunde einen Tag außerhalb der Stadt zubringen mußte, so hatte die Mulattin den Auftrag, Mrs. Branican zu bewachen. Diese ließ sie dann keinen Augenblick allein, ohne sich übrigens um die Pflege Janes zu kümmern, und berichtigte dann getreulich ihrem Herrn von Allem, was sie in dem Zustande der Kranken bemerkt hatte. Sie ließ sogar die Personen, welche zum Besuche kamen, nicht herein, indem sie erklärte, es wäre gegen die ärztlichen Vorschriften... Die Kranke bedürfe der absoluten Ruhe... Diese Störungen könnten eine Krisis herbeiführen... Und Mrs. Burker gab selbst zu, Nô habe Recht, wenn sie die Besuche als lästig abwies, die im Prospect-House nichts zu suchen hätten. So wurde Mrs. Branican ganz isolirt.

»Arme Dolly, dachte Jane, wenn sich ihr Zustand verschlimmern oder ihr Irrsinn sich zur Tobsucht steigern sollte... so würde man sie entfernen... sie in eine Heilanstalt sperren... Sie wäre für mich für immer verloren... Nein, Gott soll mir sie nur hier lassen... Wie gern würde ich sie noch mehr pflegen!«

In der dritten Woche des Monates Mai wollte Jane einige Spaziergänge in der Umgebung versuchen, indem sie glaubte, daß Dolly dies zuträglich sein würde. Len Burker war nicht dagegen, aber unter der Bedingung, daß Nô Dolly und seine Frau begleite. Das war übrigens nur eine Vorsicht. Der Weg, die frische Luft konnten bei Dolly einen Anfall hervorrufen, vielleicht in ihr einen Fluchtgedanken erregen, und Jane hätte nicht die Kraft gehabt, sie aufzuhalten. Man muß bei einer Irrsinnigen Alles voraussetzen... Man darf sie nicht in ein neues Unglück treiben...

Eines Tages ging Mrs. Branican aus, gestützt auf den Arm Janes. Sie ließ sich wie ein theilnahmsloses Wesen führen, ging, wohin man sie führte, ohne das geringste Interesse zu nehmen.

Im Anfange dieser Spaziergänge machte sich Alles gut. Doch bemerkte die Mulattin bald, daß der Zustand Dollys ein anderer wurde, indem ihrer [53] gewohnten Ruhe eine gewisse Aufregung folgte, die schwere Anfälle nach sich ziehen konnte. Manchmal rief der Anblick von Kindern, denen sie begegneten, bei ihr eine nervöse Aufregung hervor.... Erinnerte sie sich vielleicht an das, was sie verloren hatte?... Fiel ihr Wat ein? Wie dem auch sein mochte, wenn man darin ein günstiges Symptom erblicken konnte, so folgte doch gewöhnlich eine heftige nervöse Aufregung, die von Natur aus das Uebel nur vergrößern mußte.

Eines Tages hatten Jane und die Mulattin die Kranke auf die Anhöhe des Knob Hill geführt. Dolly hatte sich niedergesetzt und sah gegen den Horizont des Meeres, aber sie schien gedankenlos zu sein, wie ihre Augen leer von jedem Blicke waren.

Plötzlich belebte sich ihr Gesicht, ein heftiges Zittern durchzuckte ihren Körper, ihr Auge erhielt einen eigenthümlichen Glanz, und mit zitternder Hand zeigte sie auf einen Punkt in der Ferne.

»Dort!... Dort!...« rief sie.

Es war ein Segelschiff am Horizonte, dessen helle Weiße ein Sonnenstrahl erglänzen ließ.

»Dort!... Dort!...« wiederholte Dolly.

Und ihre tieferregte Stimme schien nur noch einem menschlichen Wesen zu gelten.

Während Jane sie mit Schrecken ansah, schüttelte die Mulattin mit dem Kopfe. Sie nahm Dolly schnell bei dem Arme und rief:

»Kommen Sie!... Kommen Sie!«

Dolly hörte sie nicht.

»Komm, liebe Dolly, komm!...« sagte Jane.

Sie suchte sie fortzuziehen, ihre Blicke von dem Horizonte abzubringen, wo ein Schiff deutlich erschien.

Dolly widersetzte sich.

»Nein... Nein!« rief sie.

Mit diesem Ausrufe stieß sie die Mulattin mit einer Kraft zurück, die man ihr gar nicht zugetraut hätte.

Mrs. Burker und Nô fühlten sich ungemein beunruhigt. Sie konnten fürchten, daß Dolly ihnen entlaufe – da sie diese Erscheinung mächtig anzog, weil sie sich an John erinnerte – daß sie die Abhänge des Knob Hill hinabeile und sich in das Meer stürze.

[54] Aber plötzlich legte sich diese Aufregung wieder. Die Sonne war eben hinter einer Wolke verschwunden und das Segel war nicht mehr zu sehen.

Dolly fiel wieder in ihre Theilnahmslosigkeit zurück, ihr Blick erlosch, sie wußte nichts mehr von ihrer Lage. Das Stöhnen, welches sie ausgestoßen hatte, war verschwunden, wie wenn das Leben sich wieder in ihre Brust zurückgezogen hätte. Nun nahm Jane sie bei der Hand; sie ließ sich ohne Widerstand fortführen und ging ruhig in das Prospect-House.

Von jenem Tage an beschloß Len Burker, Dolly nicht mehr außer dem Hause spazieren gehen zu lassen, und Jane mußte damit einverstanden sein.

Um diese Zeit war es, daß Mr. William Andrew beschloß, den Capitän John von dem Vorgefallenen in Kenntniß zu setzen, da der Zustand der Mrs. Branican keine Besserung hoffen ließ. Er schickte die Depesche nicht nach Singapore, das der Franklin schon verlassen haben mußte, sondern nach Calcutta, so daß John dieselbe bei seiner Ankunft in Indien vorfinden würde.

Unterdessen war aber, obwohl Mr. William Andrew nach dem Ausspruche der Aerzte keine Hoffnung mehr auf Besserung Dollys hatte, doch noch eine solche möglich, wenn sie einer heftigen Erschütterung ausgesetzt wurde, z. B. an dem Tage, wo ihr Gatte vor ihr stehen würde. Dieser Hoffnungsstrahl, es ist wahr, war der einzige, der übrig blieb, und so schwach er auch war, so wollte ihn doch Mr. William Andrew in der langen Depesche an John nicht verschweigen. Indem er ihn tröstete und ihn bat, nicht ganz zu verzweifeln, gab er ihm die Berechtigung, das Commando Harry Felton zu übergeben und so schnell wie möglich nach San-Diego zurückzukehren. Dieser ehrliche Mann hätte seine theuersten Interessen geopfert, um den letzten Versuch mit Dolly zu machen, und er forderte den jungen Capitän auf, ihm telegraphisch mitzutheilen, was er zu thun gedenke.


Len Burker besuchte Mr. William Andrew in seinem Bureau. (S. 48.)

Als Len Burker von dieser Depesche Kenntniß erhielt, welche Mr. William Andrew ihm mittheilen zu sollen glaubte, billigte er sie, indem er zugleich die Furcht aussprach, daß die Rückkehr Johns wohl gar keinen heilsamen Einfluß auf den Zustand Dollys hervorrufen werde. Aber Jane klammerte sich an diese Hoffnung, daß die Rückkehr Johns Dolly den Verstand wiedergeben könnte, und Len Burker versprach ihm zu schreiben, damit er seine Reise nach San-Diego nicht verzögere – ein Versprechen, das er übrigens nicht hielt.

Während der folgenden Wochen machte sich keine Veränderung in dem Zustande der Mrs. Branican bemerkbar. Wenn auch das physische Leben in ihr durch nichts gestört wurde und ihre Gesundheit nichts zu wünschen [55] übrig ließ, so war doch die Veränderung deutlich auf ihrem Gesichte bemerkbar. Das war nicht mehr die Frau, welche noch nicht einundzwanzig Jahre alt war, mit diesem bleichen Aussehen, den starren Blicken, als wenn das Feuer der Seele in ihr erloschen wäre. Uebrigens konnte man sie nur selten sehen, wenigstens nur in dem Garten, wo sie entweder auf einer Bank saß oder am Arme Janes spazieren ging.

Zu Anfang Juni waren es zwei und ein halber Monat, seit der »Franklin« den Hafen von San-Diego verlassen hatte. Seit seiner Begegnung mit dem »Boundary« hatte man nichts mehr von ihm gehört. Vorausgesetzt, daß ihm kein Unfall zugestoßen war, mußte er jetzt nach einer ungefähren Berechnung nach Calcutta kommen. Weder aus dem Stillen Ocean noch aus dem Indischen Meere war schlechtes Wetter signalisirt worden, das den Lauf eines so großen Segelschiffes hätte aufhalten können.


»Komm, liebe Dolly, komm!« sagte Jane. (S. 54)

Unterdessen war Mr. William Andrew doch überrascht, daß er gar nichts von dem Schiffe hörte. Er konnte es sich nicht erklären, daß sein Correspondent ihm nicht die Abfahrt des »Franklin« von Singapore [56] mitgetheilt habe. Wieso [57] war es anzunehmen, daß der »Franklin« dort nicht gelandet wäre, nachdem John diesbezüglich stricte Befehle erhalten hatte? Nun, man mußte ja in einigen Tagen etwas hören, sobald der »Franklin« würde in Calcutta angekommen sein.

Eine Woche verfloß. Am 15. Juli war noch keine Nachricht da. Nun wurde sofort eine Depesche an den Correspondenten des Hauses Andrew abgesendet und um sofortige Antwort bezüglich des »Franklin« und John Branican's ersucht.

Diese Antwort traf nach zwei Tagen ein.

Man wußte nichts von dem »Franklin« in Calcutta. Der amerikanische Dreimaster war um diese Zeit nicht einmal in dem Bengalischen Meerbusen gesehen worden.

Die Ueberraschung Mr. William Andrew's wurde zur Unruhe, und da ein Telegramm unmöglich verschwiegen bleiben kann, so verbreitete sich bald in San-Diego das Gerücht, daß der »Franklin« weder in Singapore noch in Calcutta angekommen sei.

Sollte also die Familie Branican von einem neuen Schicksalsschlage betroffen worden sein – ein Schicksalsschlag, der auch die Familien von San-Diego, denen die Bemannung des »Franklin« angehörte, traf? Len Burker trug keine große Beunruhigung zur Schau, als er diese alarmirenden Nachrichten vernahm. Waren doch seine Gefühle für John stets nur scheinbar und war er doch ein Mensch, der sich blutwenig um das Unglück Anderer kümmerte. Wie dem auch war, von dem Tage an, wo man sich über das Schicksal des »Franklin« beunruhigen konnte, erschien er düsterer, verschlossener zu sein – selbst in seinen Geschäften. Man sah ihn nur selten in den Straßen von San-Diego und in seiner Kanzlei in der Fleet Street, so daß es schien, als wollte er sich ganz in das Prospect-House einsperren.

Um diese Zeit ging in diesem Hause eine Veränderung vor. Len Burker entließ die Dienerin, die man bisher behalten hatte und deren Dienste nichts zu wünschen übrig ließen.

Die Mulattin hatte nun die ganze Hauswirthschaft zu führen. Mit Ausnahme von ihr und Jane hatte Niemand Zutritt zu Mrs. Branican. Mr. William Andrew, dessen Gesundheit in Folge dieser Schicksalsschläge nicht die beste war, mußte seine Besuche in dem Prospect-House aufgeben. Da noch dazu der wahrscheinliche Untergang des »Franklin« kam, was hätte er auch dort zu thun gehabt? Uebrigens wußte er, daß Dolly, seitdem sie nicht mehr spazieren ging, [58] ruhiger geworden war und keinen nervösen Anfall mehr gehabt hatte. Sie lebte, sie vegetirte mehr in einem Zustande geistiger Abwesenheit, was eine Eigenthümlichkeit ihres Irrsinns war; aber ihre Gesundheit verlangte keine besondere Pflege.

Gegen Ende Juni erhielt William Andrew eine neue Depesche aus Calcutta. Die Seecorrespondenzen signalisirten den »Franklin« von keinem Punkte der Route, die er auf seiner Fahrt an den Philippinen und Celebes vorüber, durch das Meer von Java und den Indischen Ocean hätte berühren müssen. Da dieses Schiff seit drei Monaten den Hafen von San-Diego verlassen hatte, so war anzunehmen, daß es mit Mann und Maus untergegangen war, sei es durch Schiffbruch, sei es durch Zusammenstoß, und zwar noch vor der Ankunft in Singapore.

6. Capitel
Sechstes Capitel.
Das Ende eines traurigen Jahres.

Diese Katastrophen, welche die Familie Branican nach einander betroffen hatten, brachten Len Burker in eine Lage, die er nicht unberücksichtigt lassen konnte.

Wir haben nicht vergessen, wie bescheiden die Vermögensverhältnisse der Mrs. Branican gewesen sind, daß sie aber die Universalerbin ihres reichen Onkels Edward Starter werden sollte. Stets in der ungeheuren Waldesgegend zurückgezogen, man möchte sagen, in dem entlegensten Theile von Tennessee, hatte sich dieser Sonderling verbeten, ihm irgend eine Mittheilung zu machen. Da er erst neunundfünfzig Jahre alt war, so konnte sein Vermögen wohl lange auf sich warten lassen.

Vielleicht hätte er seine Bestimmungen geändert, wenn er erfahren haben würde, daß Mrs. Branican, die einzige directe Verwandte, die ihm von seiner Familie übrig geblieben war, nach dem Tode ihres Kindes geistiger Umnachtung verfallen war. Aber er kannte dieses doppelte Unglück nicht; er hätte es [59] übrigens auch nicht erfahren können, da er sich entschieden geweigert haben würde, irgend einen Brief anzunehmen. Len Burker hätte ihm zwar schreiben können, und Jane gab es ihm auch zu verstehen, aber er hieß sie schweigen, und sie hütete sich wohl, noch einmal die Rede darauf zu bringen.

Sein eigenes Interesse ließ ihn davon Abstand nehmen, und zwischen Interesse und Pflicht darf der Mensch nicht zögern, wäre dies nur einen Augenblick. Seine Lage wurde mit jedem Tag precärer, wenn er nicht noch einmal das Glück versuchen wollte.

Und in der That war seine Stellung eine ganz einfache: Stirbt Mrs. Branican kinderlos, so war ihre Cousine Jane die einzige Verwandte, die sie beerben konnte. Seit dem Tode des kleinen Wat sah Len Burker die Rechte seiner Frau auf das Erbe Edward Starter's, d. h. die seinigen, deutlich wachsen.

Kamen nicht alle Umstände zusammen, um ihm dieses große Vermögen zuzuführen? Nicht nur das Kind war todt, nicht nur Dolly war irrsinnig, sondern nach dem Ausspruche der Aerzte konnte sie nur die Rückkehr Johns heilen.

Und gerade jetzt beunruhigte das Schicksal des »Franklin« Alles in San-Diego. Wenn die Nachrichten noch einige Wochen ausblieben, John Branican nicht mehr zurückkehrte, das Haus Andrew nicht erfuhr, daß das Schiff in einem beliebigen Hafen angelegt habe, wenn weder der »Franklin« noch die Bemannung zurückkehrte, dann stand nichts mehr im Wege als die geisteskranke Dolly, daß das Vermögen der Familie Burker zufiel. Und was würde ein gewissenloser Mensch in einer solchen verzweifelten Lage nicht Alles versuchen, um nach dem Tode Eduard Starter's in den Besitz des Vermögens zu kommen?

Aber damit Mrs. Branican erbe, mußte sie ihren Onkel überleben. Len Burker hatte daher ein großes Interesse daran, daß das Leben der unglücklichen Frau bis zu dem Tage dauere, wo das Erbe Edward Starter's ihr zufallen würde. Er hatte jetzt nur mit zwei Dingen zu rechnen: Entweder, daß Dolly zu früh sterbe, oder daß Capitän John, nachdem er sich vielleicht längere Zeit auf irgend einer unbekannten Insel aufgehalten hatte, wieder heimkehre. Aber das Letztere war am wenigsten zu fürchten und der Untergang des »Franklin« fast schon mit Bestimmtheit anzunehmen.

So war die Lage Len Burker's, so war die Zukunft, der er entgegenging, und dies Alles in der Zeit, wo er sich fast von allen Geldmitteln entblößt sah.

[60] Wenn sich das Gericht in seine Geschäfte gemischt hätte, so würde er sich wegen Betrugs zu verantworten gehabt haben. Ein Theil der Gelder, die ihm allzu Unvorsichtige anvertraut hatten, waren nicht mehr in seiner Casse. Schließlich begann man dieselben zurückzufordern, obwohl er die späteren Gelder immer wieder zur Auszahlung von Interessen der anderen verwendete. So konnte es nicht weitergehen. Der Ruin kam immer näher, aber noch mehr als der Ruin, seine Entlarvung und schließlich die Verhaftung wegen der schwersten Verdachtsgründe.

Mrs. Burker ahnte ohne Zweifel, daß die Lage ihres Mannes eine drohende war, obwohl sie es nicht dachte, daß er auch mit dem Gerichte in Berührung kommen könnte. Nun, dies machte sich aber in dem Prospect-House weniger bemerkbar, und zwar aus folgendem Grunde:

Seit Dolly während der Abwesenheit ihres Gatten in geistige Umnachtung gefallen war, mußte für sie ein Curator aufgestellt werden, und dazu paßte wegen der Verwandtschaft am besten Len Burker, der nun in der That ihr Vermögen verwaltete. Das Geld, welches der Capitän John zum Lebensunterhalte seiner Familie zurückgelassen hatte, stand ihm zur Verfügung und er benutzte es für seine persönlichen Bedürfnisse. Es was dies zwar nicht viel, denn die Abwesenheit des »Franklin« sollte nur fünf bis sechs Monate dauern, aber es war auch die Mitgift Dollys da, obwohl sie nur aus einigen Tausend Dollars bestand. Len Burker konnte mit Hilfe dieses Geldes Zeit gewinnen, und das war die Hauptsache für ihn.

Auch zögerte dieser Mann nicht, seine Stellung als Curator zu mißbrauchen. Er verwendete das Geld seiner Verwandten und Mündel, der Mrs. Branican, zu anderen Zwecken und schritt so auf seiner verbrecherischen Bahn immer weiter, die er, wenn es sein mußte, bis an das Ende verfolgen würde.

Uebrigens war die Rückkehr des Capitäns John immer weniger zu befürchten. Wochen verflossen und das Haus Andrew erhielt noch keine Nachricht von dem »Franklin«, der auch von Niemand in den letzten sechs Monaten gesehen worden war. Der August und der September verflossen. Weder in Calcutta, noch in Singapore konnten die Correspondenten die leiseste Andeutung erhalten, was aus dem Dreimaster geworden war. Jetzt sah man ihn nicht ohne Grund als verloren an, was allgemeine Trauer in San-Diego hervorrief. Wie war er untergegangen? Darüber gingen die Meinungen sehr auseinander, da man nur Vermuthungen aussprechen konnte. Seit jener Zeit hatten [61] mehrere Handelsschiffe aus denselben Gründen die nämliche Route einschlagen müssen. Da sie aber nirgends ein Wrack oder sonst eine Spur vorfanden, so stellte man folgende sehr wahrscheinliche Hypothese auf: Der »Franklin« war in einem jener furchtbaren Stürme, die gewöhnlich in den Gewässern von Celebes oder von Java hausen, mit Mann und Maus untergegangen. Am 15. October 1875 waren schon sieben Monate verflossen, daß der »Franklin« San-Diego verlassen hatte, und Alles schien darauf hinzudeuten, daß er nie mehr zurückkehren würde. Um jene Zeit war diese Ueberzeugung so fest in der Stadt, daß Sammlungen zu Gunsten der armen Hinterlassenen veranstaltet wurden, da die Bemannung, Officiere wie Matrosen, dem Hafen von San-Diego angehörten; es geriethen daselbst Frauen, Kinder und Verwandte in Noth, denen geholfen werden mußte.

Diese Sammlungen wurden auf Anregung des Hauses Andrew veranstaltet, das sie auch mit einer bedeutenden Summe einleitete. Sowohl aus Interesse als auch aus Vorsicht wollte Len Burker sich ebenfalls an diesem mildthätigen Werke betheiligen. Die anderen Handelshäuser der Stadt, die Hausbesitzer und Privatiers folgten nach, so daß die Familien der verschollenen Mannschaft reichlich unterstützt werden konnten, was die traurigen Folgen dieses Seeunglückes ein wenig milderte.

Man kann sich denken, daß Mr. William Andrew es für seine moralische Pflicht hielt, Mrs. Branican, die dem geistigen Leben entrückt war, wenigstens in physischer Beziehung ein angenehmes Dasein zu bereiten. Er wußte, daß der Capitän John vor seiner Abreise genügende Mittel für den Lebensunterhalt der Familie für fünf bis sechs Monate zurückgelassen hatte. Aber da er dachte, daß diese Hilfsmittel jetzt auf die Neige gehen müßten, beschloß er, damit Dolly nicht ihren Verwandten zur Last falle, sich mit Len Burker darüber ins Einvernehmen zu setzen.

Am 17. October begab sich Mr. William Andrew, obwohl seine Gesundheit noch nicht ganz wiederhergestellt war, in das Prospect-House.

Aeußerlich hatte dieses Haus kein verändertes Aussehen, es müßte denn sein, daß die persischen Vorhänge des Erdgeschosses und des ersten Stockwerkes fest geschlossen waren. Man hätte dieses Haus für unbewohnt, verödet, für ein geheimnißvolles halten können.

Mr. William Andrew zog an der Thür die Glocke. Es kam Niemand. Es schien, als würde der Besuch weder gesehen noch gehört werden.

[62] Ist denn jetzt gerade Niemand in dem Prospect-House?

Als er ein zweitesmal heftig an der Glocke zog, hörte man das Oeffnen einer Seitenthür.

Die Mulattin trat heraus, und als sie William Andrew erblickte, konnte sie nicht umhin, eine Handbewegung des Unwillens zu machen, die dieser aber nicht bemerkte.

Während die Mulattin sich der Thüre des Gartenzaunes langsam näherte, wartete Mr. William Andrew nicht erst, sondern fragte über die Einfriedigung hinüber:

»Ist denn Mrs. Branican nicht zu Hause?

– Sie ist ausgegangen... Herr Andrew... erwiderte Nô mit eigenthümlichem Zögern und deutlicher Furcht.

– Wo ist sie denn? fragte Mr. William Andrew, der durchaus eintreten wollte.

– Sie ist mit Mrs. Burker spazieren gegangen.

– Ich glaubte, daß man diese Spaziergänge aufgegeben habe, da sie dieselben aufregen und leicht zu einer Krisis führen könnten?...

– Ja, ohne Zweifel, erwiderte Nô... Aber seit einigen Tagen... haben wir die Spaziergänge wieder aufgenommen... Sie scheinen Mrs. Branican jetzt gut anzuschlagen....

– Ich bedauere, daß man mich nicht davon in Kenntniß gesetzt hat, erwiderte Mr. William Andrew. Ist Mr. Burker zu Hause?

– Ich weiß nicht...

– Sehen Sie nach, und wenn er zu Hause ist, so sagen Sie ihm, daß ich ihn zu sprechen wünsche.«

Bevor die Mulattin antworten konnte – und vielleicht wäre sie auch mit der Antwort sehr in Verlegenheit gekommen – ging die Thür des Erdgeschosses auf. Len Burker trat auf die Freitreppe, durchschritt den Garten und sagte indem er näher kam:

»Bitte einzutreten, Herr Andrew. Erlauben Sie mir in Abwesenheit Janes, die mit Dolly spazieren gegangen ist, Sie zu empfangen.«

Die Worte hatten nicht jenen kühlen Ton, der Len Burker sonst eigen war, sondern klangen etwas verlegen.

Nun, da Mr. William Andrew eigentlich hierhergekommen war, um mit Len Burker zu sprechen, so ging er durch die Gartenthür und setzte sich auf eine Gartenbank, ohne weiter das Anerbieten zu berücksichtigen, in den Salon des Erdgeschosses einzutreten. Len Burker redete zuerst und bestätigte, was die


... indem sie entweder auf einer Bank saß oder am Arme Janes spazieren ging. (S. 56.)

[63]

Mulattin gesagt hatte: Seit einigen Tagen habe Mrs. Branican die Spaziergänge in der Nähe des Prospect-House wieder aufgenommen, die ihr sehr gut anschlügen.

»Wird Dolly bald zurück sein? fragte Mr. William Andrew.

– Ich glaube nicht, daß Jane sie vor dem Diner heimführen wird,« erwiderte Len Burker.

Mr. William Andrew war dies unangenehm, da er wegen der Post wieder in seinem Bureau sein wollte. Auch forderte ihn Len Burker nicht auf, Mrs. Branican hier zu erwarten.

[64] »Und Sie haben gar keine Besserung in dem Zustande Dollys bemerkt? hub er von Neuem an.

– Nein, unglücklicherweise, Herr Andrew, ist es zu befürchten, daß dies eine geistige Krankheit ist, die weder Zeit noch Pflege heilen kann.

– Wer weiß, Herr Burker, was den Menschen unmöglich erscheint, ist Gott möglich.«

Len Burker schüttelte mit dem Kopfe, wie wenn er kaum eine göttliche Einmischung in die weltlichen Dinge zulassen könnte.

[65] »Was besonders bedauert werden muß, begann Mr. William Andrew, ist, daß wir kaum mehr auf die Heimkehr des Capitän John rechnen können. Man muß es daher dem reinen Zufalle überlassen, der viel leicht auf den geistigen Zustand Dollys von guten Folgen begleitet sein könnte. Sie wissen doch, Herr Burker, daß wir gar nicht mehr auf die Rückkehr des »Franklin« hoffen können?...


.. daß Sammlungen zu Gunsten der armen Hinterlassenen veranstaltet wurden. (S. 62.)

– Ich weiß es, Herr Andrew, und das ist ein neues und größeres Unglück. Und doch, ohne daß sich die göttliche Fügung hineinmische, bemerkte er mit ironischen Worten, die in diesem Augenblicke gar nicht am Platze waren, ist nach meiner Meinung die Rückkehr des Capitäns John noch nicht gänzlich ausgeschlossen.

– Sieben Monate sind verflossen ohne die geringste Nachricht von dem »Franklin«, bemerkte Mr. William Andrew, und da auch alle Erkundigungen, die ich einzog, zu keinem Resultate führten...

– Aber nichts beweist, daß der »Franklin« im offenen Meere untergegangen ist. Hat er nicht Schiffbruch leiden können an den zahlreichen Klippen, an denen er vorübergefahren ist?... Wer weiß, ob John und seine Matrosen sich nicht auf eine einsame Insel gerettet haben?... Nun, wenn dem so ist, so werden solche entschlossene und energische Männer wohl wissen, was sie thun müssen, um in ihre Heimat zu gelangen... Können sie sich nicht ein Boot aus den Trümmern ihres Schiffes bauen?... Können nicht ihre Signale gesehen werden, wenn ein Schiff an ihrer Insel vorüberfährt?... Gewiß muß günstiges Wetter sein, damit solche Eventualitäten eintreten können... Nein... ich verzweifle noch nicht an der Rückkehr Johns... in einigen Monaten... in einigen Wochen... Wir haben zahlreiche Beispiele von Schiffbrüchigen, die man für sicher verloren hielt... und die doch zurückgekehrt sind!«

Len Burker hatte diesmal mit einem seltenen Feuer gesprochen. Sein sonst so theilnahmsloses Gesicht hatte sich belebt, man hätte sagen können, daß, als er die Gründe für und wider auseinandersetzte, er nicht mit Mr. William Andrew, sondern mit sich selbst spreche, in seiner Angst, es könnte John, wenn auch nicht gerade auf dem »Franklin«, so doch auf einem anderen Schiffe wieder heimkehren. Das wäre freilich gerade das Gegentheil von dem gewesen, worauf er seine Zukunft setzte.

»Ja, erwiderte dann Mr. William Andrew, ich weiß es... Es giebt einige wirklich wunderbare Rettungen... Alles, was Sie, Herr Burker, mir jetzt gesagt [66] haben, habe ich mir auch gedacht... Aber es ist nicht möglich, nur die kleinste Hoffnung zu hegen... Wie dem auch sei – und deshalb bin ich eben hierhergekommen – ich wünsche, daß Dolly Ihnen nicht zur Last falle...

– Aber, Herr Andrew...

– Nein, Herr Burker, und Sie werden mir erlauben zu bestimmen, daß der Gehalt des Capitän John zeitlebens seiner Frau ausbezahlt werde...

– Ich danke Ihnen in ihrem Namen, erwiderte Len Burker. Dieser Edelmuth...

– Ich glaube nur meine Pflicht zu thun, versetzte Mr. William Andrew, und da ich denke, daß das Geld, welches der Capitän John bei der Abfahrt hier zurückgelassen hat, wohl schon ganz wird ausgegeben sein...

– In der That, Herr Andrew, erwiderte Len Burker. Aber Dolly ist nicht ohne Verwandte, und wir halten es für unsere Pflicht, ihr zu helfen... Alles aus Liebe...

– Ja, ich weiß, daß wir auf die Ergebung der Mrs. Burker rechnen können. Nichtsdestoweniger gestatten Sie mir, in einem gewissen Maße auch mein Scherflein beizutragen zur Unterstützung der Frau des Capitän John, seiner Witwe... ach...

– Wie es beliebt, Herr Andrew!

– Ich habe Ihnen, Herr Burker, einen Betrag mitgebracht, der gleich dem Gehalte der Monate ist, die seit der Abreise Johns verflossen sind, und Sie können dann als Curator jeden Monat bei meiner Cassa den Gehalt erheben...

– Da Sie es denn gerade wünschen, erwiderte Len Burker.

– Haben Sie die Güte, mir eine Bestätigung über den Empfang der Summe zu geben, die ich Ihnen bringe...

– Mit Vergnügen, Herr Andrew.«

Damit begab sich Len Burker in sein Zimmer, um die verlangte Bestätigung auszustellen.

Als er in den Garten zurückkehrte, bedauerte Mr. William Andrew wiederum, daß er Dolly nicht angetroffen habe, und daß er ihre Rückkehr nicht abwarten konnte, und dankte nochmals für die Pflege, die er und seine Frau der Unglücklichen angedeihen ließen. Es wäre selbstverständlich, daß er von Len Burker bei der geringsten Veränderung in dem Zustande Dollys benachrichtigt, werde. Mr. William Andrew empfahl sich dann und wurd bis zu der Thür geleitet, [67] wo er einen Augenblick stehen blieb, um zu sehen, ob er nicht Dolly mit Jane erblicke. Dann stieg er langsam nach San-Diego hinab.

Sobald er fort war, rief Len Burker die Mulattin und sagte:

»Weiß Jane, daß Herr Andrew hier gewesen ist?

– Wahrscheinlich, Len. Sie hat ihn fortgehen sehen, wie sie ihn hat kommen sehen.

– Wenn er wieder hierher kommen sollte – was freilich nicht so bald geschehen wird – so braucht er weder Jane noch Dolly zu sehen. Verstehst Du, Nô?

– Ich werde mir es merken, Len.

– Und wenn Jane darauf bestehen sollte...

– O, wenn Du gesagt hast, ich will nicht, erwiderte Nô, so fällt es Jane nicht ein, gegen Deinen Willen zu kämpfen.

– Gut, aber wir müssen uns vor Ueberraschungen hüten!... Der Zufall könnte eine Begegnung herbeiführen... und in diesem Augenblicke... das wäre eine Gefahr, Alles zu verlieren...

– Wenn ich da bin, versetzte die Mulattin, so hast Du nichts zu fürchten.... In das Prospect-House wird Niemand kommen... so lange... so lange... es uns beliebt!«

Und wirklich blieb durch zwei Monate das Haus fester denn je verschlossen. Jane und Dolly wurden nicht mehr gesehen, nicht einmal mehr in dem kleinen Garten. Man bemerkte sie weder in der Veranda, noch an den Fenstern des ersten Stockwerkes, die stets geschlossen waren.

Was die Mulattin anbelangt, so ging sie nur aus, um Einkäufe zu besorgen, und dies that sie nicht in Abwesenheit Len Burker's, so daß Dolly nie mit Jane im Hause allein war. Man könnte noch hinzufügen, daß Len Burker in den letzten Monaten des Jahres auch sehr selten in seine Kanzlei in der Fleet Street kam. Es vergingen oft Wochen, bevor er sie wieder einmal betrat, es sei denn, er hatte ein ganz neues Geschäft zu machen.

So näherte sich das Jahr 1875 seinem Ende, das der Familie Branican so verhängnißvoll geworden war: John verschollen, Dolly irrsinnig, ihr Kind in der Tiefe des Meeres!

[68]
7. Capitel
Siebentes Capitel.
Verschiedene Möglichkeiten.

Es kam keine Nachricht von dem »Franklin« bis zu den ersten Monaten des Jahres 1876. Nirgends, weder in den Gewässern der Philippinen, noch in denen von Java, noch nördlich von Australien konnte eine Spur entdeckt werden. Uebrigens, wie konnte man annehmen, daß der Capitän John sich durch die Meerenge von Torres gewagt hätte? Nur einmal wurde nördlich von den Sundainseln, dreißig Meilen von Batavia, ein Stück des Vorderstevens eines Schooners der Vereinigten Staaten aufgefischt und nach San-Diego gebracht, um untersuchen zu lassen, ob es nicht zum »Franklin« gehörte. Aber nach einer sorgfältigen Prüfung ersah man, daß das Stück aus viel älterem Holze bestand, als zum Baue des »Franklin« verwendet worden war.

Ueberhaupt konnte sich dieses Stück nur losgeschlagen haben, wenn das Schiff an eine Klippe geschleudert worden oder zusammengestoßen war. Nun, im letzteren Falle wäre das Geheimniß des Zusammenstoßes nicht so gut bewahrt geblieben, es hätte denn sein müssen, daß beide Schiffe versanken. Aber da man von dem Verschwinden eines anderen Schiffes nichts wußte, wenigstens bis auf zehn Monate zurück, so kam man ganz einfach zu dem Schlusse, daß der »Franklin« in einen jener furchtbaren Wirbelstürme gerathen war, die so häufig in jenen Breitegraden wüthen und denen kein Schiff Widerstand leisten kann.

So war denn ein Jahr vergangen, seitdem der »Franklin« San-Diego verlassen hatte, und er wurde in die Liste der verschollenen oder untergegangenen Schiffe eingetragen, die in den Annalen des Seeverkehrs so zahlreich vertreten sind.

Der Winter des Jahres 1875 bis 1876 war sehr streng, und sogar in jener gesegneten Gegend Süd-Californiens, wo das Klima im Allgemeinen milde ist. Wegen der außerordentlichen Kälte, die bis Ende Februar anhielt, konnte sich Niemand wundern, wenn Mrs. Branican das Prospect-House nicht verließ, nicht einmal um Luft zu schöpfen.

Aber mit der Zeit hätte dies doch der Nachbarschaft auffallen müssen. Man würde sich gesagt haben, wenn die Krankheit der Mrs. Branican sich nicht verschlimmert hatte, so müßte doch Len Burker ein besonderes Interesse [69] haben, sie so gefangen zu halten. Auch das Wort Sequestration wurde nie ausgesprochen. Was Mr. William Andrew anbelangt, so mußte er einen großen Theil des Winters das Zimmer hüten, und er war selbst schon ungeduldig zu sehen, in welchem Zustande sich Dolly befände; er nahm sich daher vor, sobald er ausgehen könnte, sich in das Prospect-House zu begeben.

Nun, in der ersten Woche des Monates März machte Mrs. Branican in Begleitung Janes in der Umgebung von Prospect-House ihre gewohnten Spaziergänge, indem auch die Mulattin dabei war. Kurze Zeit darauf besuchte Mr. William Andrew die junge Frau, und er constatirte mit Freuden, daß ihre Gesundheit zu keiner Beunruhigung Veranlassung gab. Physisch war ihr Zustand zufriedenstellend, so weit es möglich war. Geistig war keine Besserung eingetreten, denn sie hatte noch immer jede Erinnerung verloren und verharrte in ihrem Stumpfsinne. Selbst bei den Spaziergängen, wo sie sich hätte an einige suchen erinnern können, wenn sie auf der Straße Kindern begegnete, wenn sich ihr Blick auf dem weithin sich ausdehnenden Meere verlor, fiel sie nie mehr in jene Aufregung wie ehemals. Sie suchte nicht zu entfliehen, so daß man sie jetzt mit Jane allein gehen ließ. Jeder Gedanke des Widerstandes, jede Auflehnung war erloschen, sie war gleichgiltig und ergab sich in Alles. Und als Mr. William Andrew Dolly wiedersah, mußte er sich von Neuem sagen, daß ihre geistige Umnachtung unheilbar sei.

Um diese Zeit wurde die Lage Len Burker's immer gefährlicher. Das Geld der Mrs. Branican, welches er angegriffen hatte, war nicht hinreichend, den Abgrund, der sich vor seinen Füßen öffnete, zu füllen. Dieser Kampf, dem er sich mit allen Kräften widersetzte, nahm mit seinen letzten Mitteln ein Ende. Noch einige Monate, vielleicht schon in einigen Wochen, würde er von dem Gerichte verfolgt werden, und es bliebe ihm nichts anderes übrig, als rasch die Hafenstadt zu verlassen.

Nur ein Umstand hätte ihn retten können, aber es schien, als wenn dieser nicht eintreten sollte – wenigstens nicht zur rechten Zeit. Wenn Mrs. Branican lebte, so lebte auch ihr Onkel Edward Starter. Nicht ohne die größte Vorsicht hatte Len Burker über diesen Sonderling, der in den wilden Gegenden des Staates Tennessee wohnte, Erkundigungen eingezogen.

Stark und kräftig, im vollen Besitze seiner geistigen und physischen Fähigkeiten, kaum sechzig Jahre alt, brachte Edward Starter sein Leben im Freien zu, inmitten der Prairien und Wälder dieses ungeheuren Landes. Er jagte in [70] der wildreichen Gegend oder er fischte an den zahlreichen Flüssen, indem er stets zu Fuß oder zu Pferd herumwanderte und seine ungeheuren Besitzungen selbst beaufsichtigte. Gewiß war er einer der zähesten Farmer von Nordamerika, die erst mit hundert Jahren sterben und sich noch dann fragen, warum sie schon so frühzeitig die Erde verlassen sollen.

Man konnte daher für die nächste Zeit noch nicht auf diese Erbschaft rechnen, und nach aller Wahrscheinlichkeit würde der Onkel seine Nichte überleben. Die Hoffnungen, welche Len Burker auf diesen reichen Mann setzte, verschwanden immer mehr und die Katastrophe schien unvermeidlich.

So flossen zwei Monate dahin, während welcher sich seine Lage noch verschlimmerte. Verschiedene beunruhigende Gerüchte liefen in und außerhalb der Stadt um. Viele Leute, die von ihm ihr Geld nicht zurückerhalten konnten, bedrohten ihn. Zum erstenmale erhielt Mr. William Andrew Kenntniß von dem was vorgehe, und da er wegen der Gelder der Mrs. Branican beunruhigt wurde, so faßte er den Entschluß, ihren Curator aufzufordern, Rechnung abzulegen. Wenn es die Umstände erheischten, sollte ein anderer Vormund ernannt werden, obwohl Jane Burker, die ihrer Cousine treu ergeben war, von jedem Vorwurfe frei war.

Schon um diese Zeit waren zwei Drittel des Vermögens der Mrs. Branican verschwunden und Len Burker blieb nur noch ein und ein halbes Tausend Dollars übrig. Mitten in den Geldforderungen, welche von allen Seiten auf ihn hereinstürzten, war diese Summe ein Tropfen im Meere. Aber sie genügte doch, um sich zur rechten Zeit den Verfolgungen entziehen zu können.

Wirklich wurden von verschiedenen Seiten Klagen wegen Betruges bei dem Gerichte anhängig gemacht, und Burker stand bald vor der Verhaftung. Aber als die Polizei in sein Bureau kam, hatte er dasselbe seit dem vorhergehenden Abend nicht mehr betreten.


Mr. William Andrew fragte über die Einfriedigung hinüber. (S. 63.)

Die Polizei eilte zu dem Prospect-House hin... Len Burker hatte die Villa in der Nacht verlassen. Seine Frau, mochte sie wollen oder nicht, wurde gezwungen, ihm zu folgen. Nur die Mulattin war bei Mrs. Branican zurückgeblieben.

Man stellte sofort in San-Diego, in San-Francisco und an verschiedenen Punkten Californiens Nachforschungen an, um die Spur Len Burker's zu finden; diese führten aber zu keinem Resultat.

[71] Sobald seine Flucht in der Stadt bekannt wurde, entstand eine förmliche Aufregung gegen den betrügerischen Handelsagenten, dessen Deficit eine sehr große Höhe erreichte.

An diesem Tage – es war der 17. Mai – begab sich Mr. William Andrew frühzeitig in das Prospect-House und mußte mit Bedauern constatiren, daß Mrs. Branican kein Vermögen mehr hatte.

Der betrügerische Curator hatte der unglücklichen Frau nicht einmal so viel gelassen, wie für ihre einfachsten Bedürfnisse nothwendig war.

[72] Mr. William Andrew traf sofort alle Vorkehrungen, welche nothwendig waren: Mrs. Branican wurde in eine Heilanstalt gebracht, wo sie gut aufgehoben war, und die Mulattin, die ihm wenig Vertrauen einflößte, wurde entlassen.

Wenn also Len Burker gehofft hatte, daß die Mulattin bei Dolly bleiben und ihn so über ihren Zustand und ihre künftigen Vermögensverhältnisse auf dem Laufenden erhalten werde, so täuschte er sich.


Der Onkel Edward Starter starb plötzlich. (S. 74.)

Nô, welche sofort das Prospect-House verlassen mußte, reiste noch denselben Tag ab. Die Polizei, welche ahnte, daß sie ihrer Herrschaft nachreisen[73] werde, beobachtete sie durch einige Tage scharf; aber dieses listige Weib führte sie auf eine falsche Spur und war dann auf einmal verschwunden.

Jetzt war das Prospect-House öde, wo John und Dolly glücklich gelebt, wo sie so schön von der Zukunft ihres Kindes geträumt hatten!

Mrs. Branican wurde von Mr. William Andrew in die Heilanstalt des Dr. Brumley gebracht, der sie schon früher behandelt hatte. Würde ihr geistiger Zustand unter dieser Veränderung sich bessern? Man hoffte es vergebens. Sie blieb ebenso gleichgiltig, wie sie es im Prospect-House gewesen war.

Nur manchmal sang sie ein Wiegenlied, als wenn sie ein Kind in ihren Armen einschläfern wollte. Aber der Name ihres Kindes kam nie über ihre Lippen.

Während des Jahres 1876 kam keine Nachricht von John Branican. Die wenigen Personen, welche geglaubt hatten, daß, wenn der »Franklin« nicht zurückkehre, so doch der Capitän und seine Mannschaft zurückkehren würden, mußten diese Vermuthung fallen lassen. So war es auch mit der Hoffnung, die Schiffbrüchigen wieder aufzufinden; bis zum Jahre 1877 hatte man nichts von dem verschollenen Schiffe gehört.

Ebenso verhielt es sich mit dem Ehepaare Burker. Die Nachforschungen blieben fruchtlos, man wußte nicht, wohin die Leute sich geflüchtet hatten, man kannte nicht den Ort, wo sie sich unter falschem Namen aufhielten.

Und in der That hätte dieser Len Burker sich mit Recht über sein Pech beklagen können, denn zwei Jahre nach seiner Flucht verwirklichte sich die Zukunft, auf die er so viele Pläne gesetzt hatte.

Gegen Mitte Juni des Jahres 1878 erhielt Mr. William Andrew einen Brief, der an Dolly Branican adressirt war. Derselbe brachte die Nachricht, daß ihr Onkel Edward Starter plötzlich gestorben war, und zwar durch einen Unglücksfall. Das Gewehr eines seiner Jagdgenossen war unversehens losgegangen, und die Kugel hatte ihn mitten ins Herz getroffen, so daß er sofort starb.

Bei der Eröffnung des Testaments erfuhr man, daß Dolly Starter, die Frau des Capitän Branican, die Universalerbin sei. Der Zustand, in welcher sich die Erbin befand, hatte nichts an dem Testamente ändern können, weil der Verstorbene nicht wußte, daß sie irrsinnig war, und weil er auch nichts von dem verschollenen Schiffe erfahren hatte.

[74] Keine dieser Nachrichten war in die Wildniß des Staates Tennessee gedrungen, in jene unzugängliche Gegend, die nach dem Willen Edward Starter's Briefen und Zeitungen verschlossen war.

Das Vermögen des Verstorbenen bestand in Grundstücken, Wäldern, Heerden, verschiedenen industriellen Einrichtungen und belief sich auf zehn Millionen Francs.

Derart war die Erbschaft, welche der zufällige Tod Edward Starter's seiner Nichte zukommen ließ. Mit welcher Freude hätte San-Diego diesen Reichthum der Familie Branican gepriesen, wenn Dolly noch ihren Mann und ihr Kind gehabt hätte, wenn sie noch im vollen Besitze ihrer geistigen Kräfte gewesen, wenn John hier wäre, um mit ihr diesen Reichthum zu theilen. Welchen Gebrauch hätte die mildthätige Frau davon gemacht! Wie vielen Unglücklichen hätte sie geholfen! Doch nein, dieses Vermögen mußte angelegt werden und vermehrte sich, ohne daß Jemand einen Nutzen davon hatte. Ob Len Burker in dem Orte, wohin er sich geflüchtet hatte, von dem Tode Edward Starter's und dem großen Vermögen, welches er hinterließ, gehört hatte, konnte man nicht sagen.

Mr. William Andrew, Verwalter des Vermögens Dollys, verkaufte die geerbten Besitzungen, da es schwer gewesen wäre, dieselben auf eine so große Entfernung zu verwalten. Da sich zahlreiche Käufer einfanden, so wurde der Besitz zu ausgezeichneten Bedingungen veräußert. Die Beträge dafür wurden in sicheren Werthpapieren angelegt, welche mit denen aus dem Besitze Edward Starter's in die festen Cassen der Bank von San-Diego kamen. Da der Lebensunterhalt der Mrs. Branican in der Heilanstalt des Dr. Brumley nach den vereinbarten Preisen nicht viel kostete, so vermehrte sich das Vermögen derart, daß die Unglückliche zu den reichsten Leuten von Californien gehörte.

Uebrigens wurde die Frage, ob die Kranke wegen der Veränderung der Vermögensverhältnisse aus der Heilanstalt genommen werden sollte, nicht erst aufgeworfen, da das Haus ihr allen Comfort bot und sie die beste Pflege erhielt, die ihr ihre Freunde nur wünschen konnten. Sie blieb also dort, und ohne Zweifel sollte sie daselbst dieses elende Leben vollenden, dem die Zukunft so viel Glücksgüter verheißen und zugeführt hatte.

Aber wenn auch die Zeit dahinfloh, so erinnerte man sich doch stets in San-Diego an das Unglück der Familie Branican, und die Sympathie für sie war ebenso groß und aufrichtig, wie am ersten Tage.

[75] So begann nun das Jahr 1879, doch alle diejenigen, welche glaubten, daß es wieder ohne die geringste Veränderung der Lage verfließen würde, täuschten sich gründlich.

In den ersten Monaten des neuen Jahres waren Dr. Brumley und die anderen Aerzte der Heilanstalt über die Veränderung des geistigen Zustandes der Mrs. Branican überrascht. Diese verzweifelnde Ruhe, diese apathische Gleichgiltigkeit, welche sie bisher gezeigt hatte, machte einer eigenthümlichen Aufregung Platz. Das war keine Krisis, in der der Geist vollständig in nichts aufging. Nein! Man hätte glauben können, daß Dolly das Bedürfniß in sich fühle, an dem geistigen Leben wieder theilzunehmen, daß ihre Seele trachtete, die Fesseln zu brechen, welche sie hinderten, sich auszudehnen. Die Kinder, welche man ihr zuführte, rangen ihr einen Blick, fast ein Lächeln ab. Es schien, als wäre Dolly ein Mensch, der sich fortwährend fragt, der nachgrübelt und in seinem Gedächtnisse ferne Erinnerungen sucht.

Sollte Mrs. Branican ihren Verstand wieder erhalten? War das eine Art Wiedergeburt, welche in ihr vor sich ging? Sollte ihr das geistige Leben wiedergegeben werden... Ach, jetzt, wo sie kein Kind, keinen Gatten mehr hatte, war es da zu wünschen, daß diese Heilung, dieses Wunder geschehe, da sie doch nur viel unglücklicher werden würde!

Mochte dies wünschenswerth sein oder nicht, die Aerzte sahen eine Möglichkeit des Erfolges. Es wurde Alles in Bewegung gesetzt, um auf den Geist, auf das Herz der Mrs. Branican heilsamen Einfluß auszuüben. Man beschloß sogar, sie aus der Heilanstalt des Dr. Brumley zu nehmen und sie nach Prospect-House zurückzuführen. Und als dies geschehen war, da war sie sich sicher dieser neuen Veränderung bewußt, sie schien Interesse zu haben, sich in dieser neuen Lage zu befinden.

Mit den ersten Frühlingstagen – es war damals im April – wurden wieder die Spaziergänge in die Umgebung unternommen. Mrs. Branican wurde mehrmals an den Strand der Island-Spitze geführt. Die wenigen Schiffe, welche in der offenen See fuhren, verfolgte sie mit den Blicken, und ihre Hand streckte sich gegen den Horizont aus. Aber sie suchte nicht mehr, wie damals, davonzueilen und dem Dr. Brumley zu entfliehen, der sie begleitete. Sie fürchtete sich nicht vor dem donnernden Brechen der Wogen. Dachte sie daran, wie draußen auf dem Meere der »Franklin« dahinfuhr, als er den Hafen von San-Diego verließ und seine großen Segel hinter den Felsenspitzen [76] verschwanden?... Ja... Vielleicht! Und ihre Lippen murmelten eines Tages deutlich den Namen John!...

Es war klar, daß die Krankheit der Mrs. Branican soeben in ein Stadium getreten war, das mit der größten Sorgfalt studiert sein wollte. Indem sie sich wieder an das Leben im Prospect-House gewöhnte, erkannte sie hier und da die ihr theuren Gegenstände. Eine Photographie des Capitän John, welche an der Wand ihres Zimmers hing, begann ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Jeden Tag sah sie beharrlicher hin, und eine Thräne entrann, noch unbewußt, ihren Augen.

Ja, wenn es nicht sicher wäre, daß der »Franklin« untergegangen war, wenn John hätte wiederkommen können, wenn er plötzlich erschienen wäre, dann hätte Dolly ihren Verstand wieder erhalten!... Aber auf die Rückkehr Johns konnte man nicht mehr rechnen.

Deshalb beschloß Dr. Brumley, bei der armen Frau eine nervöse Erschütterung hervorzubringen, die nicht ohne Gefahr war. Er wollte dies thun, bevor die beobachtete Besserung wieder schwinde, bevor die Kranke wieder in jenen Stumpfsinn falle, der ihr in den vier Jahren so eigenthümlich war. Da es schien, daß ihre Seele bei dem Hauche der Erinnerungen vibrirte, so sollte sie eine Erschütterung erhalten, mochte sie auch dabei zu Grunde gehen. Ja! Lieber so, als wenn Dolly wieder in das Nichts versank, das so viel ist wie der Tod.

Das war auch die Meinung Mr. William Andrew's, und er ermuthigte den Dr. Brumley, diesen Versuch zu machen.

Eines Tages – es war der 27. Mai – holten Beide Mrs. Branican im Prospect-House ab. Ein Wagen, der sie an der Thür erwartete, führte sie durch die Straßen von San-Diego bis zu den Quais des Hafens und hielt bei der Landungsbrücke, wo ein Schraubendampfer die Passagiere aufnahm, welche nach Loma fahren wollten.

Die Absicht des Dr. Brumley war, nicht die Scene der Katastrophe noch einmal vorzuführen, sondern Mrs. Branican in die Lage zu versetzen, worin sie sich befand, als sie plötzlich wahnsinnig wurde.

In diesem Augenblicke leuchtete das Auge Dollys sonderbar auf. Sie wurde von einer eigenthümlichen Bewegung hingerissen, ein förmliches Zucken ging durch ihren Körper....

Dr. Brumley und Mr. William Andrew führten sie zu dem Schraubendampfer hin, und kaum hatte sie denselben betreten, so war man von ihrem Benehmen noch mehr überrascht. Sie setzte sich nämlich auf denselben Platz, auf [77] dem sie seinerzeit mit dem Kinde gesessen hatte. Dann sah sie in den Golf hinaus gegen die Spitze von Loma, als wenn sie den »Boundary« gesucht hätte.

Die Passagiere des Schiffes hatten Mrs. Branican erkannt, und wurden von Mr. William Andrew in Kenntniß gesetzt, welche Probe man hier vornehmen wollte, so daß Alle in tiefer Erregung waren. Sollten sie Zeugen der Auferstehungsfeier werden... nicht der Auferstehung eines Körpers, sondern der einer Seele?

Es braucht nicht erst gesagt zu werden, daß alle Maßregeln getroffen worden waren, damit sich Dolly nicht über Bord ins Meer stürze.

Schon war man eine halbe Meile gefahren, und noch immer sah Dolly nicht auf die Oberfläche des Golfes. Sie schaute noch immer gegen die Spitze von Loma und sah dann der Schwenkung eines Schiffes zu, das mit aufgehißten Segeln auf den Platz der Quarantaine fuhr.

Das Antlitz Dollys war ein ganz anderes...

Sie drehte sich um, indem sie das Schiff ansah...

Das war nicht der »Franklin«, und sie täuschte sich nicht. Aber sie schüttelte mit dem Kopfe und sagte:

»John!... Mein John!... Auch Du wirst bald zurück kommen... und ich werde Dich erwarten!«

Plötzlich schienen ihre Blicke das Wasser des Golfes zu durchdringen, den sie soeben erkannt hatte. Sie stieß einen herzzerreißenden Schrei aus und wandte sich dann an Mr. William Andrew:

»Herr Andrew... Sie... und er... mein kleiner Wat... mein Kind... mein armes Kind!... da... da... ich erinnere mich!... ich erinnere mich!«

Und sie fiel auf die Knie und weinte bitterlich.

[78]
8. Capitel
Achtes Capitel.
Eine schwierige Lage.

Mrs. Branican, die ihren Verstand wieder erhalten hatte, war wie vom Tode erstanden. Da sie dieser Blitz der Erinnerung nicht niedergeschlagen hatte, konnte man, durfte man hoffen, daß diese Genesung sicher war? Würde ihre geistige Kraft nicht noch einmal unterliegen, wenn sie erfahren würde, daß seit vier Jahren alle Nachrichten über den »Franklin« ausgeblieben waren, daß man ihn für verloren halten mußte, Menschen wie Ladung, daß sie nie mehr den Capitän John wiedersehen werde?...

Dolly, die durch diese nervöse Erschütterung ganz gebrochen war, wurde sofort nach Prospect-House zurückgebracht. Weder Mr. William Andrew noch der Dr. Brumley wollten sie verlassen, und Dank den ergebenen Frauen, die sie bedienten, wurde ihr jede Pflege zutheil, welche ihr Zustand erheischte.

Aber die nervöse Aufregung war so groß gewesen, daß sie von einem heftigen Fieber ergriffen wurde. Sie lag sogar einige Tage im Delirium, was die Aerzte sehr beunruhigte, obwohl Dolly in den vollen Wiederbesitz ihrer geistigen Kräfte gelangte. In Wahrheit, als der Augenblick gekommen war, ihr die ganze Tragweite des Unglücks mitzutheilen, da mußte viel Vorsicht beobachtet werden.


Sie fürchtete sich nicht vor dem donnernden Brechen der Wogen. (S. 76)

Und als Dolly zum erstenmale fragte, seit wie langer Zeit sie krank gewesen sei, da erwiderte Dr. Brumley, der auf diese Frage gefaßt war:

»Seit zwei Monaten!

– Erst... seit zwei Monaten...« sagte sie leise.

Es schien ihr, als wären schon hundert Jahre verflossen.

»Zwei Monate! fügte sie hinzu. John kann ja noch nicht zurück sein, da erst zwei Monate verflossen sind... Und weiß er, daß unser armes Kind?...«

– Herr Andrew hat es geschrieben... erwiderte der Arzt ohne Zögern.

– Und hat man irgend welche Nachrichten über den »Franklin« erhalten?«

Es wurde der Frau geantwortet, daß der Capitän John von Singapore hatte schreiben sollen, aber die Briefe wären noch nicht angekommen, doch nach [79] den Seenachrichten müßte man glauben, daß der »Franklin« binnen Kurzem nach Indien kommen werde, und daß die Depeschen ebenfalls bald eintreffen müßten.

Als nun Dolly fragte, warum Jane Burker nicht bei ihr sei, erwiderte der Arzt, daß Mr. und Mrs. Burker verreist wären, und daß man nicht wüßte, wann sie zurückkehrten.

Es fiel nun Mr. William Andrew die schwere Aufgabe zu, der Mrs. Branican den Untergang des »Franklin« mitzutheilen. Aber man war übereingekommen, daß er ihr das erst dann sagen sollte, wenn ihr Geist stark genug wäre, diesen neuen Schlag zu ertragen. Er mußte sogar dafür sorgen, daß sie Alles nur nach und nach erfahre, woraus sie dann selbst den Schluß ziehen konnte, daß Niemand den Schiffbruch überlebt habe.


Die Passagiere hatten Mrs. Branican erkannt. (S. 78.)

[80] [83]Die Erbschaftsangelegenheit wurde ebenfalls auf eine spätere Zeit verschoben, denn Mrs. Branican würde früh genug erfahren, daß sie ein Vermögen besitze, welches ihr Gatte nicht mit ihr theilen konnte.

Während der folgenden vierzehn Tage stand Mrs. Branican in gar keiner Verbindung mit der Außenwelt. Mr. William Andrew und der Dr. Brumley waren die Einzigen, die bei ihr Zutritt hatten. Das Fieber, welches anfangs sehr heftig auftrat, nahm allmählich ab und sollte wahrscheinlich bald ganz verschwinden. Der Arzt hatte sowohl aus Gesundheitsrücksichten, als auch um der Beantwortung aller Fragen zu entgehen, welche die Kranke stellte, ihr befohlen, das größte Stillschweigen zu beobachten. Ueberhaupt vermied man vor ihr jede Berührung der Vergangenheit, was ihr nur immer verrathen konnte, daß seit dem Tode ihres Kindes, seit der Abreise ihres Mannes vier Jahre verflossen waren. Während einiger Zeit galt für sie nicht das Jahr 1879, sondern 1875.

Ueberhaupt hegte Dolly nur einen Wunsch oder vielmehr eine natürliche Ungeduld, sobald wie möglich einen Brief von John zu erhalten. Da sie dachte, daß der »Franklin« bald in Calcutta ankäme, wenn er überhaupt nicht schon dort war, so würde das Haus Andrew bald durch ein Telegramm in Kenntniß gesetzt werden; die überseeische Post werde nicht lange auf sich warten lassen.. Dann würde sie selbst, sobald sie die Kraft hätte, an John schreiben... Ach! was sollte sie ihm schreiben?... Es wäre der erste Brief, den sie ihm seit ihrer Hochzeit schreiben würde, da sie nie vor der Abfahrt des »Franklin« getrennt waren... Ja, wie viel Trauriges würde dieser erste Brief enthalten!

Und nun erinnerte sie sich an die Vergangenheit, und sie beschuldigte sich, den Tod ihres Kindes herbeigeführt zu haben!... Dieser unglückselige Tag, der 31. März, fiel ihr ein... Wenn sie das Kind zu Hause gelassen hätte, so würde es heute noch leben!... Warum hatte sie es mit auf das Schiff genommen?... Warum hatte sie den Vorschlag des Capitän Ellis nicht angenommen, an Bord des Schiffes zu bleiben bis zum Quai von San-Diego?... Das fürchterliche Unglück hätte sich nicht ereignet!... Und warum hatte sie auch in einem unüberlegten Augenblicke das Kind aus den Armen der Amme gerissen, gerade als der Dampfer sich plötzlich wendete, um nicht zusammenzustoßen!... Sie war [83] gestürzt, und das Kind war ihr aus den Armen gefallen... Ihr, der Mutter... und sie hatte nicht den Gedanken gehabt, es fest zu halten... Und als der Matrose sie an Bord getragen hatte, war das Kind nicht mehr in ihren Armen!... Armes Kind, das nicht einmal ein Grab hatte, über dem seine Mutter weinen konnte!

Alle diese Bilder, die an ihrem Geiste vorüberzogen, gaben ihr nicht jene Ruhe, der sie so bedurfte. Ein heftiges Delirium, hervorgerufen durch einen neuen Fieberanfall, machte Dr. Brumley sehr viel Sorge, zum Glück ging diese Krisis aber vorüber und verschwand endlich ganz. Man hatte nichts mehr wegen des geistigen Zustandes der Mrs. Branican zu fürchten. Der Augenblick kam heran, wo Mr. William Andrew ihr Alles sagen wollte.

Sobald Dolly ihrer Wiedergenesung entgegenging, durfte sie das Bett verlassen; man legte sie auf eine Chaiselongue an den Fenstern ihres Zimmers, von wo sie den ganzen Golf von San-Diego überblicken konnte. Hier verharrte sie stundenlang unbeweglich.

Dann wollte Dolly an John schreiben, denn es drängte sie, ihm Alles von dem Kinde zu erzählen, das er nicht mehr wiedersehen würde; sie schüttete so ihren ganzen Schmerz aus in einem Briefe, den ihr Gatte nie erhalten sollte.

Mr. William Andrew nahm den Brief in Empfang und versprach, ihn nach Indien zu schicken, worauf Mrs. Branican wieder ziemlich ruhig wurde und nur in der Hoffnung lebte, auf directem oder indirectem Wege über den »Franklin« Nachricht zu erhalten.

Aber dies konnte nicht so fort gehen, denn Dolly mußte früher oder später, und zwar aus der großen Vorsicht erkennen, daß man ihr etwas verberge. Je mehr sie sich in den Gedanken hineinlebte, daß sie bald einen Brief von John erhalten werde, desto furchtbarer mußte der Schlag sein!

Und dies schien nur allzu sicher zu sein in Folge einer Unterredung, welche Mrs. Branican und Mr. William Andrew am 19. Juni hatten.

Zum erstenmale war Dolly in den Garten des Pros pect-House hinabgegangen, wo Mr. William Andrew sie auf einer Bank sitzen sah. Er setzte sich neben sie, nahm sie bei der Hand und drückte diese.

Mrs. Branican fühlte sich schon kräftig genug. Ihr Antlitz hatte den früheren Teint wieder angenommen, obgleich ihre Augen noch immer verweint waren.

»Ich sehe, daß Ihre Genesung rasche Fortschritte macht, liebe Dolly, sagte Mr. William Andrew. Ja, es geht Ihnen schon besser!

[84] – In der That, Herr Andrew, erwiderte Dolly, aber ich komme mir in diesen zwei Monaten so gealtert vor!... Wie wird mich da mein armer John verändert finden!... Und dann muß ich ihn allein erwarten!... Nur ich bin noch da...

– Muth, liebe Dolly, Muth!... Nur nicht verzweifeln!... Ich bin jetzt Ihr Vater... ja, Ihr Vater... und ich will, daß Sie mir gehorchen!

– Lieber Herr Andrew!

– Das will ich hören!

– Der Brief, den ich John geschrieben habe, ist doch schon fort?... fragte Dolly.

– Gewiß... und Sie müssen geduldig seine Antwort abwarten!... Die indische Post verspätet sich oft... Da, Sie weinen schon wieder!... Ich bitte Sie, weinen Sie nicht!...

– Kann ich anders... Herr Andrew? Wenn ich bedenke... und bin ich nicht die Ursache... ich...

– Nein, arme Mutter, nein! Gott hat Sie grausam geschlagen, aber er will auch, daß jeder Schmerz ein Ende habe....

– Gott! sagte Mrs. Branican leise, Gott, der mir meinen John zurückbringen soll!

– Liebe Dolly, ist der Arzt heute schon hier gewesen? fragte Mr. William Andrew.

– Ja, und meine Gesundheit kommt ihm heute bedeutend besser vor!... Ich fühle mich kräftig, und bald werde ich ausgehen können...

– Nicht früher, als er es erlaubt, Dolly.

– Nein, Herr Andrew, ich verspreche Ihnen, daß ich keine Unvorsichtigkeit begehen werde.

– Ich rechne auf Ihr Versprechen.

– Sie haben noch nichts Näheres von dem »Franklin« gehört, Herr Andrew?

– Nein, und ich wundere mich auch nicht darüber... Die Schiffe brauchen oft sehr lange Zeit, bis sie nach Indien kommen....

– John hätte von Singapore schreiben können?... Hat er dort keinen Aufenthalt genommen?

– O ja, Dolly!... Aber wenn er die Post nur um einige Stunden versäumt hat, so müssen sich seine Briefe um wenigstens vierzehn Tage verspäten.

[85] – Also... Sie finden nichts sonderbares darin, daß John Ihnen bisher noch keinen Brief hat schicken können?...

– Keineswegs... erwiderte Mr. William Andrew, welcher fühlte, wie dieses Gespräch ihn in Verlegenheit setzte.

– Und die Schiffszeitungen haben seine Fahrt noch nicht erwähnt? fragte Dolly.

– Nein... seitdem er dem »Boundary« begegnet ist... vor ungefähr...

– Ja... vor ungefähr zwei Monaten... Und warum haben sich die zwei Schiffe begegnen müssen!... Ich wäre nicht an Bord des »Boundary« gegangen... und mein armes Kind«...

Mrs. Branican fing an zu weinen.

»Dolly, meine liebe Dolly, weinen Sie nicht, ich bitte Sie, weinen Sie nicht!

– Ach! Herr Andrew, ich weiß nicht... eine Ahnung sagt mir manchmal... ich kann es mir nicht erklären... es kommt mir vor, als wenn ein neues Unglück... ich mache mir so viele Sorgen um John...

– Das brauchen Sie nicht, Dolly!... Es ist kein Grund zur Besorgniß vorhanden...

– Herr Andrew, fragte Mrs. Branican, könnten Sie mir nicht mehrere Schiffszeitungen senden, worin einige Seenachrichten stehen? Ich möchte sie lesen...

– Gewiß, meine liebe Dolly, ich werde es thun... Uebrigens, wenn man etwas über den »Franklin« erfährt... sei es, daß er auf dem Meere gesehen, sei es, daß seine bevorstehende Ankunft in Indien signalisirt wurde, so würde ich es zuerst wissen, und sobald....

Aber er mußte dem Gespräche eine andere Wendung geben, denn die Frau würde schließlich seine zögernden Antworten bemerkt haben, umsomehr, als er sie nicht anzusehen wagte, wenn sie ihn noch weiter fragte. Auch wollte er zum erstenmal von dem Tode ihres Onkels und dem ungeheuren Vermögen sprechen, das ihr zugefallen war, als Dolly fragte:

»Jane Burker und ihr Mann sind verreist, wie man mir erzählte... Ist es lange her, daß sie San-Diego verlassen haben?...

– Nein... seit zwei bis drei Wochen...

– Und werden sie nicht bald zurückkommen?

– Ich weiß nicht... erwiderte Mr. William Andrew. Wir haben keine Nachricht erhalten...

[86] – Man weiß also nicht, wohin sie gereist sind?

– Man weiß es nicht, meine liebe Dolly. Len Burker war sehr wichtige Geschäfte eingegangen... die ihn weit... sehr weit gerufen haben...

– Und Jane?...

– Mrs. Burker hat ihren Gatten begleiten müssen... und ich kann Ihnen nicht sagen, was vorgegangen ist...

– Arme Jane, sagte Mrs. Branican. Ich liebe sie so sehr und ich werde glücklich sein, sie wieder zu sehen... Nicht wahr, sie ist die einzige Verwandte, die ich noch habe?«

Sie dachte weder mehr an Edward Starter, noch an die Familienbande, die sie mit ihm verknüpften.

»Wie kommt es, daß Jane mir nicht ein einzigesmal geschrieben hat? fragte sie.

– Meine liebe Dolly... Sie waren schon sehr krank, als Mr. Burker und seine Frau San-Diego verließen...

– In der That, Herr Andrew, warum soll man Jemandem schreiben, der nichts versteht!... Arme Jane, wie ist sie zu beklagen!... Sie hat ein hartes Leben gehabt... ich habe immer gefürchtet, daß Len Burker sich in irgend eine gefährliche Speculation einlassen wird... Vielleicht befürchtete Jane dasselbe.

– Und doch hätte Niemand so etwas erwartet...

– Hat vielleicht Len Burker in Folge schlechter Geschäfte San-Diego verlassen müssen? fragte Dolly lebhaft, indem sie Mr. William Andrew in die Augen sah, da er sichtlich verlegen wurde. Herr Andrew, sprechen Sie!... verhehlen Sie mir nichts!... ich will Alles wissen!...

– Nun, Dolly, ich will Ihnen nicht ein Unglück verbergen, welches Sie sonst bald erfahren würden... Ja, in der letzten Zeit hatte sich die Lage Len Burker's sehr verschlechtert... Er konnte seinen Verpflichtungen nicht nachkommen... er wurde von allen Seiten gedrängt... und um der Verhaftung zu entgehen, mußte er flüchten...

– Und Jane folgte ihm?

– Er hat sie gewiß dazu gezwungen, und Sie wissen, daß sie keinen Willen hatte...

– Arme Jane!... arme Jane! sagte die Frau leise. Wie beklage ich sie, und wenn ich ihr hätte helfen können...

[87] – Sie hätten es thun können, ja... Sie hätten Len Burker retten können, wenn nicht um seinetwillen, der gar keine Sympathie verdiente, so wenigstens wegen seiner Frau....

– Und John hätte sicher, ich weiß es, einer solchen Verwendung unseres kleinen Vermögens zugestimmt.«

Mr. William Andrew hütete sich wohl zu erwidern, daß ihre Mitgift von Len Burker verbraucht worden war. Er hätte dann sagen müssen, daß er ihr Curator gewesen war, und sie würde sich vielleicht gefragt haben, wie in so kurzer Zeit – in zwei Monaten – sich so Vieles konnte ereignet haben. So erwiderte er ihr nur:

»Sprechen Sie nichts von Ihrem bescheidenen Vermögen, liebe Dolly... Es hat sich sehr verändert.

– Was wollen Sie damit sagen?

– Ich will damit sagen, daß Sie reich sind... sehr reich.

– Ich?

– Ihr Onkel Edward Starter ist gestorben...

– Gestorben?... Er ist gestorben!... Und wann?

– Am...«

Mr. William Andrew hätte sich bald verrathen, indem er den wahren Todestag angeben wollte, also vor zwei Jahren, was dann die ganze Wahrheit hätte erkennen lassen.

Aber Dolly dachte jetzt nur, daß der Tod ihres Onkels, das Verschwinden ihrer Cousine sie allein in der Welt stehen ließ. Und als sie erfuhr, daß sie von dem Onkel, den sie kaum gekannt und von dem sie mit John durch Beerbung eine glänzende Zukunft erwartet hatte, zwei Millionen Dollars erhalten hatte, so sah sie darin nur die Gelegenheit, wie viel Gutes sie hätte thun können.

»Ja, Herr Andrew, ich wäre der armen Jane zu Hilfe gekommen... Ich hätte sie vor dem Ruin und der Schande bewahrt!... Wo ist sie?... Wo kann sie sein... was wird aus ihr werden?...«

Mr. William Andrew konnte nur wiederholen, daß man Nachforschungen angestellt habe, die aber zu keinem Resultate führten. Len Burker hatte sich vielleicht in eine entlegene Gegend der Vereinigten Staaten geflüchtet oder vielleicht Amerika ganz verlassen. Es war unmöglich gewesen, es zu erfahren.

[88] »Doch wenn Jane und er erst seit einigen Wochen aus San-Diego verschwunden sind, versetzte Mrs. Branican, so wird man doch erfahren...


Als sie in einer ziemlich finsteren Ecke niederkniete. (S. 93.)

– Ja... einige Wochen-... beeilte sich Mr. William Andrew zu antworten.

Aber in diesem Augenblicke dachte Mrs. Branican nur daran, daß, Dank der Erbschaft Edward Starter's, John nicht mehr nöthig hätte, in die See zu stechen... daß er sie nie mehr verlassen... daß diese Reise für das Hans Andrew die letzte sein würde, die er unternommen hätte...

[89] Und war es nicht auch die letzte, da der Capitän John nicht mehr zurückkehren sollte!

»Lieber Herr Andrew, rief Dolly, wenn John einmal zurück sein wird, so darf er nicht mehr fort... Seine Begeisterung für das Seemannsleben muß er mir opfern!... Wir werden zusammen leben... für immer zusammen!... Nichts wird uns mehr trennen!«

Bei dem Gedanken, daß dieses Glück durch ein einziges Wort vernichtet werden könnte, ein Wort, daß er bald aussprechen müßte, konnte Mr. William Andrew seine Fassung nicht mehr bewahren. Er beeilte sich, diesem Gespräch ein Ende zu machen; doch bevor er sich entfernte, nahm er Mrs. Branican das Versprechen ab, keine Unvorsichtigkeit zu begehen, sich nicht hinauszuwagen, ehe der Arzt es ihr nicht erlaubt hätte. Seinerseits wiederholte er, daß er, sobald er direct oder indirect eine Nachricht über den »Franklin« erhalten werde, dies sofort werde im Prospect-House melden lassen.

Als Mr. William Andrew diese Unterredung Dr. Brumley mittheilte, konnte dieser nicht umhin, seine Besorgniß auszudrücken, eine Indiscretion möchte Mrs. Branican den ganzen Sachverhalt erkennen lassen: daß ihr Wahnsinn vier Jahre gedauert, daß man seit vier Jahren nichts über den »Franklin« gehört hätte, daß sie John nie mehr sehen würde.

Es wurde daher beschlossen, daß in ungefähr acht Tagen, wenn Mrs. Branican durch keinen plausiblen Grund mehr im Hause zurückgehalten werden konnte, sie von Allem in Kenntniß gesetzt werde.

»Möge Gott ihr Kraft zu dieser Prüfung geben!« sagte Mr. William Andrew.

In der letzten Juniwoche lebte Mrs. Branican so, wie sie es immer gewohnt war. Dank der Pflege, mit der man sie umgab, erhielt sie ebenso ihre physischen Kräfte wieder, wie sich zu gleicher Zeit ihr Geist stärkte. Auch Mr. William Andrew wurde durch ihre Fragen immer mehr in Verlegenheit gebracht, da sie sich oft nach Dingen erkundigte, die er ihr nicht sagen durfte.

Am 23. Juni Nachmittags besuchte er sie, um ihr eine bedeutende Summe Geldes zur Verfügung zu stellen und ihr Rechenschaft über ihr Vermögen abzulegen, das in der Bank von San-Diego sicher angelegt war. An diesem Tage war Mrs. Branican gegen Alles, was Mr. William Andrew ihr sagte, auffallend gleichgiltig. Sie hörte ihm kaum zu. Sie sprach nur von John, sie dachte nur an ihn. Wie! Noch kein Brief?... Dies beunruhigte sie sehr!... Wieso kam [90] es, daß das Haus Andrew nicht einmal eine Depesche erhielt, welche die Ankunft des »Franklin« in Indien anzeigte?

Mr. William Andrew suchte Dolly zu beruhigen, indem er sagte, daß er soeben ein Telegramm nach Calcutta gesendet habe und daß jeden Tag die Antwort eintreffen müsse. Kurz, wenn es ihm gelang, sie von diesem Gedanken abzubringen, so setzte sie ihn neuerdings in große Verlegenheit, als sie ihn fragte:

»Herr Andrew, es lebt ein Mann, von dem ich noch nicht mit Ihnen gesprochen habe... der nämlich, der mir das Leben gerettet hat und der mein armes Kind nicht hat retten können... der Matrose...

– Der Matrose? wiederholte er nicht ohne sichtliches Zögern.

– Ja... dieser muthige Mann... dem ich das Leben verdanke... Ist er belohnt worden?

– Ja, Dolly«

Und so verhielt es sich auch in der That.

»Ist er in San-Diego, Herr Andrew?

– Nein... liebe Dolly... Nein! Ich habe gehört, daß er wieder in die See gestochen ist...«

Das war auch wahr.

Nachdem er den Hafendienst verlassen hatte, schiffte er sich wieder ein.

»Aber wenigstens werden Sie mir sagen können, wie er heißt? fragte Mrs. Branican.

–Er heißt Zach Fren.

– Zach Fren?... Gut!... Ich danke Ihnen, Herr Andrew,« erwiderte Dolly Sie bestand nicht weiter darauf, etwas Näheres über den Seemann zu hören, nach dem sie jetzt seinen Namen kannte.

Aber seit jenem Tage kam ihr dieser Zach Fren nicht aus dem Sinn. Er war von nun an in ihrem Geiste unauslöschlich mit der Erinnerung an die Katastrophe in dem Golfe von San-Diego verknüpft. Diesen Zach Fren würde sie nach Beendigung seiner Fahrt wiederfinden... Sie würde erfahren, auf welchem Schiffe er sich befinde... wahrscheinlich ein Schiff aus dem Hafen von San-Diego... Dieses Schiff würde in einem halben Jahre... in einem Jahre zurückkommen... und dann... gewiß würde dann der »Franklin« vor ihm ankommen... John und sie würden zusammen Zach Fren belohnen... ihm diese Dankesschuld abzahlen... O, John würde bald zurückkehren... er [91] würde auf sein Commando verzichten und dann würden sie sich nie mehr trennen!

»Warum werden sich an diesem Tage unsere Küsse, dachte sie, mit den Thränen vereinigen müssen?«

9. Capitel
Neuntes Capitel.
Enthüllungen.

Unterdessen wünschte und fürchtete Mr. William Andrew jenes Gespräch, in dem Mrs. Branican von dem definitiven Verschwinden des »Franklin«, dem Untergange seiner Bemannung und seines Capitäns hören würde. Würde ihr Geist, der einmal erschüttert worden war, diesen neuen Schlag ertragen? Obgleich vier Jahre seit der Abreise Johns verflossen waren, wäre das nicht gerade so gewesen, als ob er erst gestern gestorben wäre? Die Zeit, welche so viel Schmerz geheilt hatte, war für sie nicht weitergeschritten.

So lange Dr. Brumley in dem Prospect-House verweilte, konnte man hoffen, daß keine Indiscretion begangen werden würde. Mr. William Andrew und Dr. Brumley hatten in dieser Hinsicht ihre Vorsichtsmaßregeln schon getroffen, indem sie Zeitungen und Briefe dem Prospect-House fernhielten. Aber Dolly fühlte sich stark genug, um auszugehen, und obwohl es ihr der Arzt noch nicht erlaubt hatte, konnte sie es nicht doch thun?... Auch durfte man nicht länger zögern, und Dolly mußte bald genug erfahren, daß man auf die Rückkehr des »Franklin« nicht mehr rechnen könnte.

Nach der Unterredung, welche sie mit Mr. William Andrew gehabt hatte, beschloß Mrs. Branican auszugehen, ohne ihre Bedienung in Kenntniß zu setzen, die sicher Alles gethan hätte, um sie davon abzubringen. Wenn auch dieses Ausgehen ihrem Gesundheitszustande nicht schaden konnte, so konnte es doch von den traurigsten Folgen für ihren Geist begleitet sein, wenn der Fall eintrat, daß ihr Jemand ohneweiters die Wahrheit sagte.

[92] Indem Mrs. Branican das Prospect-House verließ, wollte sie einen Gang wegen Zach Fren's machen.

Seitdem sie den Namen dieses Matrosen wußte, hatte sie nur einen Gedanken gehabt.

»Man hat sich seiner angenommen, sagte sie wiederholt zu sich... Ja!... Ein wenig Geld wird ihm gegeben worden sein, und ich habe nichts thun können... Dann ist Zach Fren vor fünf bis sechs Wochen ausgefahren... Aber vielleicht hat er Familie... eine Frau... Kinder... gewiß arme Leute! Es ist meine Pflicht, sie aufzusuchen, sie zu unterstützen... Ich werde sie besuchen.. und Alles thun, was in meinen Kräften steht.«

Wenn Mrs. Branican deswegen Mr. William Andrew gefragt hätte, wie würde dieser sie von einem Acte der Pflicht und Dankbarkeit haben abbringen können?

Am 21. Juni, Morgens 9 Uhr, verließ Dolly das Haus; Niemand hatte es bemerkt. Sie war schwarz gekleidet – die Trauer um ihr Kind, das, wie sie glaubte, vor zwei Monaten gestorben war. Nicht ohne tiefe Bewegung überschritt sie die Schwelle der Gartenthür – allein, was noch nie wieder vorgekommen war.

Das Wetter war schön und die Hitze schon ziemlich groß, wenn sie auch durch eine frische Brise gemildert wurde.

Mrs. Branican wandte sich den Vierteln der Oberstadt zu. Da sie ganz in Gedanken war, entgingen ihr zahlreiche Veränderungen und Neubauten in diesem Viertel, die sonst hätten ihre Aufmerksamkeit erregen müssen. Uebrigens waren nicht so große Neuerungen vorgenommen worden, die sie den Weg zu dem Golfe nicht hätten finden lassen.

Sie bemerkte auch nicht, daß sie zwei oder drei Personen, die sie kannten, mit großem Erstaunen ansahen.

Als sie an einer katholischen Kapelle vorüberging, die in der Nachbarschaft des Prospect-House stand, fühlte sie den Wunsch einzutreten.

Der Priester begann eben die Messe zu lesen, als sie in einer ziemlich finsteren Ecke niederkniete. Hier betete sie nun inbrünstig für ihr Kind, für ihren Gatten für Alle, die sie liebte. Die wenigen Kirchenbesucher hatten sie nicht bemerkt, und als sie die Kapelle verließ, waren jene schon fort.

Jetzt wunderte sie sich auf einmal über den Altar, der nicht derselbe war, vor welchem sie so oft ihre Andacht verrichtet hatte. Der viel schönere und [93] prächtigere Altar stand in einem ganz anderen Theile der Kapelle, der ihr wie neugebaut vorkam. War denn die Kapelle vergrößert worden?

Das war aber nur ein flüchtiger Eindruck, der sofort wieder verschwand, als Mrs. Branican die Straßen dieses Handelsviertels hinabging. Aber bei jedem Schritte konnte ihr die Wahrheit in die Augen springen... ein Anschlagzettel mit dem Datum... ein Fahrplan der Dampfschiffe... die Ankündigung eines Festes oder einer Vorstellung... welche die Jahreszahl 1879 trugen... Und wenn Dolly auf solche Weise rasch erfahren würde, daß Mr. William Andrew und Dr. Brumley sie getäuscht hatten... daß ihre geistige Krankheit nicht einige Wochen, sondern vier Jahre gedauert hatte... und woraus sich ergeben mußte, daß der »Franklin« nicht vor zwei Monaten, sondern vor vier Jahren San-Diego verließ... daß John nicht mehr zurückkehren... daß sie ihn nicht mehr wiedersehen werde!...

Mrs. Branican ging schnell den Hafenquais zu, als ihr auf einmal einfiel, an dem Hause Len Burker's vorüberzugehen. Es wäre ja nur ein kleiner Umweg.

»Arme Jane!« sagte sie leise.

Als sie zu dem Hause in der Fleet Street kam, erkannte sie dasselbe kaum – was sie nicht nur überraschte, sondern auch lebhaft beunruhigte...

Anstatt des engen, düsteren Hauses, das sie kannte, stand ein großes Gebäude in angelsächsischem Stile da; es hatte mehrere Stockwerke, hohe Fenster, im Erdgeschosse starke Gitter. Auf dem Dache erhob sich eine Fahnenstange, an deren Spitze eine Flagge mit den Initialen H. W. flatterte. Neben der Thüre war ein Schild, auf dem in goldenen Buchstaben stand:


Harris Wadanton & Cie.


Dolly glaubte zuerst, sie sei nicht in der richtigen Straße. Sie sah nach rechts und nach links. Nein! Sie war doch an der Ecke der Fleet Street, und das Haus der Jane Burker stand doch hier!...

Dolly legte die Hand auf ihre Augen... Eine unerklärliche Ahnung preßte ihr das Herz zusammen... Sie konnte sich keine Rechenschaft von dem geben, was sie da sah...

Das Geschäftshaus Mr. William Andrew's lag nicht weit, und indem Dolly schnell dahinschritt, bemerkte sie es bei einer Biegung der Straße. Sie wollte zuerst dort eintreten... Nein, sie würde sich erst auf dem Rückwege hinbegeben... zuerst müßte sie die Familie Zach Fren's aufsuchen... Sie glaubte, die Adresse des Matrosen in der Kanzlei der Schraubendampfer zu erfahren...

[94] Nachdenklich, mit unsicherem Blicke und gepreßtem Herzen setzte Dolly ihren Weg fort. Sie sah sich jetzt die Leute an, denen sie begegnete... Sie fühlte den unwiderstehlichen Drang in sich, auf diese Menschen zuzugehen, um sie zu fragen... was denn?... man würde sie für irrsinnig halten... Aber war sie sicher, daß ihr Geist sie nicht noch einmal verlassen werde?

Mrs. Branican kam auf dem Quai an, und der Golf lag in seiner ganzen Breite vor ihr. Einige Schiffe ließen den Anker hinab, andere trafen Vorbereitungen zur Abfahrt. Einige Erinnerungen an dieses Leben und Treiben im Hafen erwachten in ihr! Es waren kaum zwei Monate verstrichen, wo sie sich an das Ende der Werfte begeben hatte... Damals hatte sie den letzten Gruß von John gesehen... Dann war der »Franklin« mit vollen Segeln um die Islandspitze gefahren... und war verschwunden...

Nach einigen Minuten stand Dolly vor der Kanzlei der Schraubendampfergesellschaft, die sich in der Nähe der Landungsbrücke befand. Eben stieß eines dieser Schiffe ab, um zu der Lomaspitze zu fahren.

Dolly sah ihm nach, indem sie das Fauchen des entströmenden schwarzen Rauches hörte.

Eine traurige Erinnerung erfaßte sie da... der Gedanke an ihr Kind, dessen Leichnam dieses Meer nicht mehr herausgegeben hatte... Es erfaßte sie ein Schwindel... es drehte sich Alles um sie... sie wäre beinahe umgefallen...

Nach einigen Augenblicken betrat sie die Kanzlei der Schraubendampfergesellschaft.


Dolly glaubte zuerst, sie sei nicht in der richtigen Straße. (S. 94.)

Als der Beamte die bleichen Züge dieser Frau bemerkte, rückte er ihr schnell einen Stuhl hin, indem er sagte:

»Sind Sie unwohl, gnädige Frau?

– Nein, mein Herr, erwiderte Dolly, es geht vorüber. Es war nur eine momentane Schwäche... ich fühle mich schon besser...

– Bitte nur Platz zu nehmen. Das nächste Schiff geht in zehn Minuten ab.

– Ich danke, mein Herr, erwiderte Mrs. Branican, doch bin ich nur gekommen, um eine Auskunft zu erhalten... Vielleicht können Sie mir dieselbe geben.

– Bitte, gnädige Frau. Um was handelt es sich?«

Dolly setzte sich und legte die Hand auf die Stirn, um ihre Gedanken zu sammeln, dann sagte sie:

[95] »Mein Herr, in Ihrem Dienste stand einst ein Matrose namens Zach Fren?

– Ja, gnädige Frau, erwiderte der Beamte. Dieser Matrose ist zwar nicht lange bei uns gewesen, aber ich kann mich seiner ganz genau erinnern.

– Nicht wahr, es ist doch der, welcher sein Leben für die Rettung einer Frau... einer unglücklichen Mutter... gewagt hat?

– Ja, ich erinnere mich... Mrs. Branican... Ja... das ist er.

[96] – Und jetzt ist er auf der See?

– Auf der See.

– Auf welchem Schiffe befindet er sich?

– Auf dem Dreimaster »Californian«.

– Von San-Diego?

– Nein, Mistreß, von San-Francisco.

– Wohin segelt das Schiff?

– In die europäischen Meere.«


Eben stieß eines dieser Schiffe ab. (S. 95.)

Mrs. Branican, die schwächer war, als sie selbst dachte, schwieg einige Augenblicke und der Beamte wartete, bis sie ihn wiederum fragen werde. Als sie sich ein wenig erholt hatte, sagte sie:

[97]

»Ist Zach Fren in San-Diego heimisch?

– Ja, Mistreß.

– Können Sie mir sagen, wo seine Familie wohnt?

– Ich habe immer sagen hören, daß Zach Fren keinen Menschen auf der Welt hat.

– Er ist nicht verheiratet?

– Nein, gnädige Frau...«

Der Beamte konnte sich wohl kaum irren, da er ja den Matrosen genau kannte. Da ließ sich also für den Augenblick nichts machen und Mrs. Branican mußte nun die Rückkehr des »Californian« nach Amerika abwarten.

»Weiß man, wie lange das Schiff ausbleiben wird? fragte sie.

– Ich weiß dies wirklich nicht, denn der »Californian« hat eine große Reise vor sich.

– Ich danke Ihnen, mein Herr. Es würde mich ungemein freuen, wenn ich mit Zach Fren bald sprechen könnte, aber es wird wohl ohne Zweifel noch lange dauern...

– Gewiß, gnädige Frau!

– Aber man wird doch sicher bald irgend welche Nachrichten über den »Californian« erhalten... vielleicht in einigen Monaten... in einigen Wochen?...

– Nachrichten? erwiderte der Beamte. Aber das Haus von San-Francisco, welchem das Schiff gehört, muß schon mehrmals Nachrichten erhalten haben...

– Schon?

– Ja... gnädige Frau!

– Mehrmals?...«

Indem Mrs. Branican diese Worte wiederholte, stand sie auf und sah den Beamten starr an, als ob sie ihn nicht verstanden hätte.

»Da, gnädige Frau, hub dieser an, indem er ihr eine Schiffszeitung reichte, da ist die Shipping-Gazette... Sie meldet, daß der »Californian« vor acht Tagen Liverpool verlassen hat...

[98] – Vor acht Tagen! sagte Mrs. Branican leise, die zitternd die Zeitung in der Hand hielt.«

Mit ganz veränderter Stimme, die der Beamte kaum verstehen konnte, fragte sie:

»Seit wann ist Zach Fren fort?

– Seit achtzehn Monaten...

– Achtzehn Monaten!«

Dolly mußte sich an den Tisch halten... Ihr Herz blieb für einige Augenblicke stehen...

Plötzlich fielen ihre Blicke auf einen Fahrplan, der die Sommerfahrten der Schraubendampfer anzeigte und der an der Wand hing. Sie stand demselben gegenüber und las:


März 1879.


März 1879!... Man hatte sie getäuscht!... Es waren vier Jahre seit dem Tode ihres Kindes verflossen... vier Jahre, daß John San-Diego verlassen hatte... Sie war also vier Jahre irrsinnig gewesen!... Ja!... Und wenn ihr Mr. William Andrew und der Dr. Brumley sagten, daß ihr Wahnsinn nur drei Monate dauerte, so sagten sie das nur, um ihr die Wahrheit über den »Franklin« zu verbergen... weil man seit vier Jahren ohne jede Nachricht von John und seinem Schiffe war!

Zum großen Schrecken des Beamten zitterte der ganze Körper der Frau. Aber sie wußte sich doch zu beherrschen, verließ die Kanzlei und eilte durch die Straßen der unteren Stadt.

Die Passanten, welche ihr bleiches Antlitz, ihren starren Blick sahen, mußten denken, daß sie wahnsinnig wäre...

Und wenn sie es nicht war... die unglückliche Dolly... konnte sie es nicht wieder werden?

Wohin eilte sie? Nach dem Hause des Mr. William Andrew, wo sie nach einigen Minuten ankam. Sie durcheilte die Bureaux, durchbrach die Reihen der Commis, welche keine Zeit hatten, sie aufzuhalten, und stieß die Thür des Zimmers auf, in welchem sich der Chef befand.

Zuerst war Mr. William Andrew über das plötzliche Eintreten der Mrs. Branican ganz bestürzt, dann, als er ihre auffallende Blässe sah, ganz erschrocken. Bevor er noch ein Wort sagen konnte, rief sie:

[99] »Ich weiß es... ich weiß es!... Sie haben mich getäuscht! Ich bin vier Jahre wahnsinnig gewesen!...

– Meine liebe Dolly... beruhigen Sie sich!

– Antworten Sie!... Der »Franklin«... nicht wahr, es sind schon vier Jahre, daß er fort ist?«

Mr. William Andrew senkte den Kopf.

»Sie haben noch keine Nachrichten... seit vier Jahren... seit vier Jahren?«

Mr. William Andrew schwieg noch immer.

»Man sieht den »Franklin« als untergegangen an... Es wird Niemand zurückkehren... Ich werde John nie mehr wiedersehen!«...

Nur Thränen waren die Antwort Mr. William Andrew's.

Mrs. Branican fiel plötzlich bewußtlos auf einen Stuhl hin.

Mr. William Andrew rief eine der Frauen des Hauses herbei, die Dolly rasch zu helfen suchte. Einer der Commis lief schnell nach Dr. Brumley, der in demselben Viertel war und auch gleich erschien.

Mr. William Andrew setzte ihn rasch von dem Vorgefallenen in Kenntniß. Durch Zufall, durch eine Indiscretion hatte Mrs. Branican Alles erfahren. Ob sie das im Prospect-House oder in den Straßen von San-Diego erfuhr, war ja gleichgiltig. Sie wußte es jetzt! Sie wußte, daß vier Jahre seit dem Tode ihres Kindes verflossen waren, daß sie vier Jahre geisteskrank gewesen war, daß vier Jahre vorübergegangen waren, ohne daß man von dem »Franklin« etwas hörte...

Nur mit Mühe brachte Dr. Brumley die unglückliche Dolly wieder zum Bewußtsein, während er sich fragte, ob ihr Geist diesem furchtbarsten Schlage, der sie noch treffen konnte, widerstanden hätte.

Als Mrs. Branican allmählich wieder zur Besinnung kam, da wußte sie sofort, was ihr enthüllt worden war... Sie war mit dem vollen Geiste wieder zum Leben erwacht!... Und durch Thränen hing ihr Blick fragend an dem Gesichte Mr. William Andrew's, der neben ihr kniete.

»Sprechen Sie... sprechen Sie... Herr Andrew!«

Das waren die einzigen Worte, die sie hervorbringen konnte.

Mit schluchzender Stimme theilte ihr dann Mr. William Andrew mit, welche Unruhe ihm das Ausbleiben jeder Nachricht über den »Franklin« bereitet habe... Depeschen und Briefe seien nach Indien und Singapore abgeschickt [100] worden... eine Untersuchung der Route, welche John hätte nehmen sollen, wäre eingeleitet worden... Nichts habe auf eine Spur der Schiffbrüchigen geführt!...

Unbeweglich, schweigend, hörte Mrs. Branican zu. Als Mr. William Andrew mit seinem Berichte fertig war, da sagte sie leise:

»Mein Kind todt!... Mein Gatte todt!... Ach, warum hat mich Zach Fren dem Tode entrissen!«

Doch ihr Gesicht belebte sich plötzlich, ihre angeborene Energie trat auf einmal so deutlich hervor, daß Dr. Brumley darüber ganz bestürzt war.

»Seit den letzten Nachforschungen, sagte sie, hat man nichts mehr über den »Franklin« erfahren?

– Nichts, erwiderte Mr. William Andrew.

– Und Sie sehen ihn als untergegangen an?

– Ja... untergegangen.

– Und von John und seinen Leuten ist nichts gehört worden?

– Nein, arme Dolly, und wir haben gar keine Hoffnung mehr...

– Keine Hoffnung mehr,« erwiderte Mrs. Branican in ironischem Tone.

Sie erhob sich, trat ans Fenster, aus welchem man auf das Meer sehen konnte.

Mr. William Andrew und Dr. Brumley beobachteten sie ängstlich, da sie für ihren Geist fürchteten.

Aber Dolly war im vollen Besitze desselben und mit Feuer wiederholte sie:

»Keine Hoffnung mehr!... Sie sagen, keine Hoffnung mehr!... Herr Andrew, wenn John für Sie verloren ist, so ist er es doch nicht für mich!... Dieses Vermögen, welches mir gehört, ich will es nicht ohne ihn haben... Ich werde es dazu benutzen, um John und seine Mannschaft zu suchen!... Und mit Gottes Hilfe werde ich sie wiederfinden!... Ja, ich werde sie wiederfinden!«

[101]
10. Capitel
Zehntes Capitel.
Vorbereitungen.

Ein neues Leben begann für Mrs. Branican. Wenn sie die volle Gewißheit von dem Tode ihres Kindes hatte, so hatte sie doch nicht die von dem Tode ihres Mannes. Konnten John und seine Leute nicht den Schiffbruch überlebt und sich auf eine jener zahlreichen Inseln in den Gewässern der Philippinen, von Celebes oder Java gerettet haben? War es den unmöglich, daß sie in die Gefangenschaft eines dortigen Volkes gerathen waren und nicht die Mittel hatten zu entfliehen?

An diese Hoffnung sollte sich Mrs. Branican von nun an klammern, und zwar mit einer so außerordentlichen Zähigkeit, daß sie bald in ganz San-Diego die allgemeine Meinung über den »Franklin« umstürzte. Nein! Sie glaubte es nicht, sie konnte es nicht glauben, daß John und seine Mannschaft untergegangen wären, und vielleicht war es gerade dieser ausdauernde Gedanke, der sie nicht wieder den Verstand verlieren ließ. Waren auch einige geneigt zu glauben, daß diese ihre Idee nichts anderes als der »Irrsinn einer überspannten Hoffnung« wäre, so war doch keine Störung ihrer geistigen Kräfte vorhanden, wie uns das Folgende zeigen wird. Mrs. Branican war im vollen Besitze ihrer Geisteskräfte und sie hatte jene scharfe Urtheilskraft wieder erlangt, die sie seit jeher ausgezeichnet hatte.

Es schwebte ihr nun nur ein Ziel vor, John wiederzufinden, und sie ging demselben mit einer seltenen Energie entgegen, welche die ganze Lage nur noch erschwerte. Da Gott gestattet hatte, daß Zach Fren sie rettete, daß sie ihren Verstand wieder erlangt und er ihr alle Mittel zur Verfügung gestellt hatte, Nachforschungen anzustellen, so mußte John leben und würde durch sie gerettet werden. Dieses Vermögen würde sie zu steten Nachforschungen, zu Belohnungen und Ausrüstungen verwenden; es sollte keine Insel, kein Felsen, der auf der Route des jungen Capitäns lag, unbeachtet und undurchforscht bleiben. Was Lady Franklin für John Franklin gethan hatte, das wollte Mrs. Branican auch für John Branican thun, und sie würde dort Erfolg haben, wo die Witwe des berühmten Mannes Mißerfolg hatte.

[102] Von jenem Tage an mußten die Freunde Dollys – das sahen sie sofort ein – sie in dieser neuen Phase unterstützen, sie in ihren Plänen ermuthigen, ihre Bemühungen mit denen der Frau vereinigen. Das that auch Mr. William Andrew, obwohl er kaum einen Erfolg von dem Ganzen erhoffte, die Ueberlebenden des Schiffbruches je aufzufinden. Er stand ihr mit Rath und That bei, und auch der Capitän des »Boundary«, der sich damals wegen Ausbesserung seines Schiffes in San-Diego aufhielt, war ihr mit allen seinen Kräften behilflich. Der Capitän Ellis, ein entschlossener Mann, auf den man rechnen konnte, ein ergebener Freund Johns, wurde nun eingeladen, an den Sitzungen der Mrs. Branican und des Mr. William Andrew theilzunehmen.

Seitdem kamen sie oft im Prospect-House zusammen, das Dolly trotz des ungeheuren Reichthums nicht verlassen wollte. Hier hatte John sie bei seinem Scheiden zurückgelassen, hier sollte er sie bei seiner Rückkehr wiederfinden. Nichts sollte in ihrer Lebensweise geändert werden, bevor nicht ihr Gatte nach San-Diego zurückkehre. Sie lebte nun ebenso einfach weiter und gab nichts aus, was nicht zur Auffindung ihres Gatten oder zur Unterstützung von Bedürftigen nöthig war.

Das verbreitete sich bald in der ganzen Stadt, die mit Bewunderung auf diese tapfere Frau blickte, welche nicht die Witwe John Branican's sein wollte. Ohne daß sie die geringste Ahnung hatte, vergötterte man sie förmlich, denn ihr furchtbares Unglück verdiente wohl eine solche Verehrung. Aber viele Leute hatten nicht allein gute Wünsche für das Gelingen des Unternehmens, sondern sie wollten auch daran glauben. Wenn Dolly von den oberen Stadtvierteln die Straßen hinabging, um sich entweder in das Haus des Mr. William Andrew oder zu dem Capitän Ellis zu begeben, und man erblickte diese ernste, schwarz gekleidete Frau, die um zehn Jahre älter aussah – sie war erst fünfundzwanzig Jahre alt – da grüßten sie die Leute ehrerbietigst und verbeugten sich vor ihr. Sie aber sah all diese ihr gezollte Verehrung gar nicht.

In den ersten Sitzungen der Mrs. Branican mit Mr. William Andrew und dem Capitän Ellis handelte es sich vor Allem darum, mit der größten Genauigkeit die Route festzusetzen, welche der »Franklin« hätte nehmen müssen.

Das Haus Andrew hatte sein Schiff nach Indien geschickt, nachdem es in Singapore einen Theil seiner Ladung gelöscht haben würde. Indem der Capitän John westlich von der amerikanischen Küste in die offene See fuhr, war es höchst wahrscheinlich, daß er den Archipel der Sandwichsinseln berührte. Wenn [103] der »Franklin« die Zonen von Mikronesien verließ, sollte er sich gegen die Mariannen und Philippinen wenden, dann durch das Meer von Celebes und die Meerenge von Mahkassar das Javanische Meer durchsegeln, das im Süden von der Insel Sunda begrenzt ist, um so nach Singapore zu kommen. Im äußersten Westen der Meerenge von Malakka, die von der gleichnamigen Halbinsel und der Insel Java gebildet wird, breitet sich der Golf von Bengalen aus, in dem, außer auf den Nicobaren- und Andamaninseln, die Schiffbrüchigen hätten keinen Zufluchtsort mehr finden können. Uebrigens stand es außer allem Zweifel, daß John Branican nicht in diesem Golfe erschienen war, denn in dem Augenblicke, wo er nicht in Singapore landete – was nur allzu sicher war – konnte er nicht die Grenze des Javanischen Meeres und der Sundainseln überschritten haben.

Die Annahme, daß der »Franklin« nicht den Weg über die Malayeninseln genommen und gesucht hätte, durch die Torresstraße, entlang der nördlichen Küste von Australien nach Calcutta zu kommen, würde jeder Seefahrer verworfen haben. Der Capitän Ellis behauptete, daß John Branican nie eine so nutzlose Unvorsichtigkeit hätte begehen können, sich den Gefahren der Meerenge von Torres auszusetzen. Diese Hypothese wurde fallen gelassen, da nur an den malayischen Küsten die Nachforschungen angestellt werden könnten.

In der That zählen in den Gewässern der Carolineninseln und Javas die Inseln und Inselchen nach Tausenden, und nur hier konnte sich die Mannschaft des »Franklin«, wenn sie sich aus dem Schiffbruch gerettet hatte, aufhalten oder von den Eingeborenen gefangen gehalten werden, so daß sie nicht in ihre Heimat zurückkehren konnte.

Auf Grund dieser Feststellungen wurde beschlossen, eine Expedition in das Malayische Meer zu senden. Mrs. Branican machte einen Vorschlag, dem sie große Bedeutung beilegte. Sie fragte nämlich den Capitän Ellis, ob er den Befehl über diese Expedition übernehmen wolle.


Es befand sich im Hafen von San-Diego eine große Anzahl von Schiffen. (S. 107.)

Da der »Boundary« in Ausbesserung war, so war der Capitän Ellis frei; und obgleich er durch diesen Antrag überrascht war, zögerte er doch nicht, denselben mit Bewilligung Mr. William Andrew's anzunehmen. Mrs. Branican dankte ihm in bewegten Worten für diese Bereitwilligkeit.

»Ich thue nur meine Pflicht, sagte er, und ich werde Alles, was in meinen Kräften steht, versuchen, die Ueberlebenden des »Franklin« wiederzufinden!... Wenn der Capitän lebt...

[104] [107]– John lebt!« rief Mrs. Branican in so überzeugendem Tone aus, daß selbst die Ungläubigsten nicht gewagt hätten, ihr zu widersprechen. Der Capitän Ellis brachte hierauf noch einige sehr wichtige Punkte zur Sprache. Eine Bemannung zusammenzubringen, die seinem Vorhaben gewachsen wäre, würde auf keine Schwierigkeiten stoßen. So blieb nur noch die Frage betreffs des Schiffes offen. Gewiß konnte der »Boundary« dabei nicht in Betracht kommen, da kein Segelschiff, sondern nur ein Dampfschiff für diese Fahrt geeignet wäre. Es befand sich um jene Zeit in dem Hafen von San-Diego eine große Anzahl von Schiffen, die für diese Fahrt ganz gut paßten. Mrs. Branican beauftragte daher Capitän Ellis, das schnellste dieser Dampfschiffe zu erwerben, und stellte ihm eine hinreichende Summe zur Verfügung. Nach einigen Wochen war der Kauf Thatsache geworden und Mrs. Branican war Eigenthümerin des »Davitt«, dessen Name in »Dolly-Hope« (Dolly-Hoffnung) als gutes Omen verändert wurde.

Es war ein Schraubendampfer von neunhundert Tonnen und konnte eine große Menge Kohlen fassen, so daß er nicht sobald wegen Kohlenmangels irgendwo zu landen brauchte. Dieser Dreimaster hatte ein ausgezeichnetes Takelwerk und eine Maschine von tausendzweihundert Pferdekräften, so daß er fünfzehn Knoten in einer Stunde zurücklegen konnte. In Folge dieser großen Schnelligkeit und des großen Tonnengehaltes entsprach der »Dolly-Hope« allen Anforderungen einer Fahrt durch jene Meere, die mit Inseln, Inselchen und Klippen reich besäet waren. Man hätte keine bessere Wahl treffen können.

Man brauchte nur drei Wochen, um den »Dolly-Hope« segelfertig zu machen, seine Kessel zu untersuchen, seine Maschine zu prüfen, sein Takelwerk mit den Segeln auszubessern, die Compasse zu reguliren, Kohlen einzuschiffen und Lebensmittel an Bord zu bringen, die für eine mehr als einjährige Reise hinreichen würden. Der Capitän Ellis war entschlossen, die Breitengrade, wo der »Franklin« verschollen war, nicht eher zu verlassen, bis er alle Zufluchtsorte durchsucht hätte.

Wenn auf einem guten Schiffe eine gute Mannschaft sich befindet, so kann dies nur zum Erfolge beitragen. Ellis konnte sich wirklich zu den Angeboten, die man ihm von allen Seiten aus der Seebevölkerung von San-Diego machte gratuliren. Die tüchtigsten Seeleute boten sich an, unter ihm zu dienen.

Die Bemannung des »Dolly-Hope« bestand aus dem Ober- und Untersteuermann, zwei Officieren und fünfundzwanzig Matrosen, die Maschinisten und [107] Heizer eingerechnet. Der Capitän Ellis wußte, daß er Alles von diesen ergebenen und muthigen Matrosen verlangen könnte, so lange und so anstrengend auch die Fahrt durch die Malayischen Gewässer werden würde.

Es ist selbstverständlich, daß während dieser Vorbereitungen auch Mrs. Branican nicht unthätig blieb. Sie stand dem Capitän überall zur Seite, und wo immer es sich um Geld handelte, gab sie es mit vollen Händen hin, um ja Alles zu thun, was den Erfolg der Expedition verbürgen konnte.

Diese mitleidige Frau hatte aber auch die Familien nicht vergessen, welche durch das Verschwinden des »Franklin« in Noth gerathen waren. In dieser Richtung hin hatte sie nur die schon von dem Hause Andrew getroffenen Maßregeln ergänzt und zu den öffentlichen Subscriptionen ihr Scherflein beigetragen. Unterdessen war für die Angehörigen der Schiffbrüchigen des »Franklin« genügend gesorgt, bis die Expedition der Mrs. Branican die Lieben wieder zurückbringen würde.

Warum konnte sie das gute Werk, welches sie für die so schwer geprüften Familien gethan hatte, nicht auch für Jane Burker thun? Sie erfuhr jetzt, wie gut diese arme Frau sie in ihrer Krankheit gepflegt, daß Jane sie nicht einen Augenblick allein gelassen hatte. Jetzt wäre Jane im Prospect-House, würde ihre Hoffnungen theilen, wenn die betrügerischen Handlungen ihres Gatten sie nicht genöthigt hätten, San-Diego, vielleicht ohne Zweifel sogar die Vereinigten Staaten, zu verlassen. Wir sehr auch Len Burker wegen seines Vorgehens zu verurtheilen war, so war es sicher, daß Jane sich ihr gegenüber als eine aufrichtige, aufopferungswürdige Verwandte gezeigt hatte. Dolly hatte ihr also noch immer die alte Freundschaft bewahrt und bedauerte jetzt, in ihren glänzenden Verhältnissen, daß sie nichts für sie thun konnte, um ihre Dankbarkeit zu bezeugen. Aber trotz der sorgfältigsten Nachforschungen Mr. William Andrew's konnte man nicht erfahren, was aus dem Ehepaare Burker geworden war. Wenn ihr Aufenthaltsort bekannt geworden wäre, so hätte Mrs. Branican sie zwar auch nicht nach San-Diego zurückbringen können, da Len Burker wegen Betrugs verhaftet worden wäre, aber sie hätte Jane schleunigst Hilfsmittel zukommen lassen, deren die Unglückliche sicher sehr bedurfte.

Am 27. Juli war der »Dolly-Hope« zur Abfahrt bereit. Mrs. Branican kam am Morgen dieses Tages an Bord des Schiffes, um dem Capitän Ellis noch einmal ans Herz zu legen, Alles zu versuchen und Nichts zu scheuen, um die Spuren des »Franklin« zu finden. Sie zweifelte übrigens nicht, daß es ihm [108] gelingen werde. Man würde John, man würde die Mannschaft zurückbringen!... Sie wiederholte diese Worte mit einer solchen Ueberzeugung, daß die Matrosen in die Hände schlugen. Alle theilten ihr Vertrauen, ihre Freunde, ihre Verwandten, Alle, die zur Abfahrt des »Dolly-Hope« herbeigeeilt waren.

Der Capitän Ellis wandte sich Mrs. Branican wie Mr. William Andrew zu, der sie an Bord des Schiffes begleitet hatte, und sagte:

»Vor Ihnen, Mistreß, vor Mr. William Andrew schwöre ich im Namen meiner Officiere und meiner Bemannung, ja, ich schwöre, daß ich vor keiner Gefahr, vor keiner Anstrengung zurückschrecken werde, um den Capitän John und seine Leute wiederzufinden. Das Schiff, welches Sie ausgerüstet haben, heißt »Dolly-Hope« und wird seinen Namen auch rechtfertigen...

– Mit Gottes Hilfe und mit der Hingebung Derer, die auf ihn vertrauen, erwiderte Mrs. Branican.

– Hurrah!... Hurrah für John und Dolly Branican!«

Die Rufe pflanzten sich durch die Zuschauermenge fort, die dicht gedrängt auf den Quais des Hafens stand.

Die Anker wurden aufgezogen, der »Dolly-Hope« gehorchte den ersten Drehungen der Schraube und fuhr gegen den Ausgang des Hafens. Sobald er denselben verlassen hatte, nahm er die Richtung nach Süd-West und war unter dem mächtigen Arbeiten seiner großen Maschine bald dem amerikanischen Festlande entschwunden.

11. Capitel
Elftes Capitel.
Die erste Landung im malayischen Archipel.

Nach einer Fahrt von zweiundzwanzighundert Meilen oder vierzigtausend Kilometern kam der »Dolly-Hope« in Sicht des Gebirges Mouna-Kea, das sich fünfzehntausend Fuß hoch auf der Insel Hawaï, der südlichsten der Sandwichgruppe erhebt.

[109] Diese Gruppe besteht außer fünf großen und drei kleinen Inseln noch aus einer Anzahl von Inselchen, wo man nach dem »Franklin« gar nicht erst zu suchen brauchte. Es war augenscheinlich, daß dieser Schiffbruch längst bekannt geworden wäre, wenn er an den zahlreichen Klippen dieses Archipels, wie an denen von Medo-Manou stattgefunden hätte, obwohl diese nur von zahlreichen Seevögeln bewohnt sind. In der That sind die Sandwichinseln dicht bevölkert – die Insel Hawaï hat allein hunderttausend Bewohner – und Dank den französischen, englischen und amerikanischen Matrosen, die sich auf diesen Inseln aufhalten, hätte die Nachricht von diesem Unglücke bald nach San-Diego gelangen müssen.

Außerdem trafen sich vor vier Jahren, wo der Capitän Ellis dem »Franklin« begegnete, die beiden Schiffe schon jenseits der Sandwichinseln. Der »Dolly-Hope« setzte daher seinen Weg gegen Südwesten durch jenen prächtigen Theil des Stillen Oceans fort, der während einiger Sommermonate hier wirklich seinen Namen verdient.

Sechs Tage später hatte der schnelle Dampfer die Linie überschritten, welche die Geographen vom Süden zum Norden zwischen Polynesien und Mikronesien ziehen. Auch in dem östlichen Theile der polynesischen Gewässer hatte der Capitän nichts zu thun; aber jenseits desselben, in den Gewässern von Mikronesien, wimmelte es von Inselchen, Felsen und Klippen, und hier fiel dem »Dolly-Hope« die gefährliche Aufgabe zu, nach einem Schiffbruche Ausschau zu halten.

Am 22. August legte man in Otia an, der wichtigsten Insel der Marschallgruppe, die im Jahre 1817 von Kotzebue und den Russen besucht wurde. Diese Gruppe, welche sich dreißig Meilen von Osten nach Westen und dreizehn Meilen von Norden nach Süden erstreckt, besteht aus nicht weniger als fünfundsechzig Inselchen.

Der »Dolly-Hope«, welcher mit Leichtigkeit seinen Wasservorrath in einigen Stunden an dieser Insel hätte aufnehmen können, hielt sich doch fünf Tage auf. Mit Hilfe seiner Dampfschaluppe konnte sich der Capitän Ellis überzeugen, ob in den letzten vier Jahren auf diesen Rissen ein Schiff gescheitert sei. Man stieß zwar entlang der Mulgraveinseln auf viele Trümmer, doch das waren nur Tannen-, Palmen- und Bambusstämme, welche die Strömung von Norden oder Süden hierhergetragen hatte und die von den Eingeborenen zu ihren Booten benutzt wurden. Der Capitän Ellis erfuhr von dem Gouverneur der Insel[110] Otia, daß man seit dem Jahre 1872 nur von dem Untergange eines einzigen Schiffes gehört habe, und das war eine englische Brigg, deren Mannschaft auch später heimkehrte.

Als der »Dolly-Hope« den Marschall-Archipel verlassen hatte, nahm er seine Richtung gegen die Carolinen. Im Vorüberfahren landete die Schaluppe auf der Insel Oualam, deren Durchforschung von keinem Erfolge begleitet war. Am 3. September fuhr der Dampfer in den großen Archipel ein, der sich zwischen dem 12. Grade nördlicher Breite und dem 3. Grade südlicher Breite einerseits, und zwischen dem 29. Grade östlicher Länge und dem 170. Grade westlicher Länge andererseits, also zweihundertfünfundzwanzig Meilen nördlich und südlich von dem Aequator und tausend Meilen von Westen nach Osten ausdehnt.

Der »Dolly-Hope« blieb drei Monate in den Gewässern der Carolinen, die seit den Forschungen Lütke's, des berühmten russischen Seefahrers, und denen der Franzosen Duperrey und Dumont d'Urville genügend bekannt sind. Man durchsuchte auch dann noch die hauptsächlichsten Gruppen, die diesen Archipel bilden, so die Peliou-, die Märtyrer-, die Matrosen-, die Saavedra-, die Sonsorol-, die Mariera-, die Anna-, die Lord-North-Inseln u. a. m.

Der Capitän Ellis hatte als Ausgangspunkt seiner Nachforschungen Yap oder Gouap gewählt, das zu den Carolinen im engeren Sinne gehört, welche ungefähr 500 Inseln umfassen. Von hier aus fuhr der Dampfer zu den entferntesten Punkten. Von wie viel Schiffbrüchen ist dieser Archipel der Schauplatz gewesen! So der »Antilope« im Jahre 1793 und des amerikanischen Capitäns Barnard bei den Mortz- und Lord-North-Inseln im Jahre 1832.

Während dieser ganzen Zeit war die Haltung der Matrosen eine musterhafte. Keiner von ihnen kümmerte sich weder um die Gefahren, noch um die Strapazen, die ihnen aus den Fahrten in diesen unheilvollen Gewässern erwuchsen. Dazu kam auch noch, daß jetzt die Jahreszeit anbrach, wo hier so häufig furchtbare Stürme wüthen.

Wenn die Matrosen ans Land gingen, so waren sie gut bewaffnet, denn es handelte sich hier nicht darum, Nachforschungen anzustellen, die denen glichen, die zur Auffindung des Admirals Franklin unternommen wurden, d. h. in öden Gegenden. Diese Inseln waren meistens bewohnt, und die Aufgabe des Capitäns Ellis bestand besonders darin, so vorzugehen, wie es Entrecasteaux that, als er die Inseln durchsuchte, wo man glaubte, daß Lapérouse verloren gegangen sei. Vor Allem war es wichtig, sich mit den Eingeborenen ins Einvernehmen


Wenn die Matrosen ans Land gingen, so waren sie gut bewaffnet. (S. 111.)

zu setzen. Die Mannschaft des »Dolly-Hope« wurde oft von Völkerschaften feindlich empfangen, die [111] durchaus nicht in dem Rufe standen, gegen die Fremden gastfreundlich zu sein. Sie wurden angegriffen, und man mußte sich mit den Waffen vertheidigen. Zwei oder drei Matrosen wurden sogar verwundet, was aber glücklicherweise von keinen schlimmen Folgen begleitet war.

Aus dem Archipel der Carolinen konnte der Capitän Ellis die ersten Briefe an Mrs. Branican schicken, da von hier Schiffe nach Amerika fuhren. Aber sie enthielten nichts Positives über eine Spur des »Franklin« oder der Schiffbrüchigen.

[112] Die Nachforschungen sollten dann noch im Westen vorgenommen werden, wo man auf den zahlreichen Inseln eher eine Spur zu finden hoffte.

Am 2. September erreichte der »Dolly-Hope« eine der großen Philippinen, die wichtigste der malayischen Gruppe. Diese Gruppe wurde im Jahre 1521 von Magellan entdeckt und erstreckt sich vom 5. bis zum 21. Grade nördlicher Breite und vom 114. bis zum 123. Grade östlicher Länge.

Der »Dolly-Hope« wollte sich nicht bei der Insel Luçon, die auch Manilla heißt, aufhalten. Wie konnte man annehmen, daß der »Franklin« so [113] hoch hinauf in das Chinesische Meer gefahren sei, da er doch die Route nach Singapore hatte. Aus diesem Grunde fuhr der Capitän Ellis zur Insel Mindanao, südlich von genanntem Archipel, d. h. gerade auf den Weg, den John Branican nehmen mußte, um in das Javanische Meer zu kommen. Um diese Zeit lag der »Dolly-Hope« im südöstlichen Theile der Insel, in dem Hafen von Zamboanga, der Residenz des Gouverneurs, vor Anker.


Die Wogen brachen sich mit solcher Wuth, daß das Schiff furchtbare Stöße erhielt. (S. 116.)

Mindanao zerfällt in zwei Theile, in einen spanischen und in einen unabhängigen unter der Herrschaft eines Sultans, der Selangan zu seiner Hauptstadt gemacht hat.

Capitän Ellis zog zunächst bei dem Gouverneur und den Alcaden Erkundigungen ein, ob nicht in der Nähe von Mindanao ein Schiff gesunken sei. Die Behörden stellten sich ihm bereitwilligst zur Verfügung, aber in dem spanischen Theile von Mindanao war seit fünf Jahren nichts von einem Schiffsunfalle gehört worden.

Freilich konnte an den Küsten des unabhängigen Theiles der Insel, die von den Mindanaern, Caragos, Loutas, Soubanis und anderen, in dem Verdachte des Cannibalismus stehenden Völkern bewohnt waren, alles mögliche geschehen, ohne daß man etwas davon erfuhr. Unter jenen Malayen giebt es sogar viele, die in dem Rufe standen, Seeräuber zu sein. Diese machen mit ihren kleinen Kähnen Jagd auf die großen Handelsschiffe, die die Stürme gegen ihre Küste treiben, und wenn sie sich derselben bemächtigen, so zerstören sie dieselben. Wie leicht konnte ein solches Unglück auch dem »Franklin« zugestoßen sein, ohne daß der Gouverneur etwas davon wußte. Die wenigen Auskünfte, die er über den ihm unterstehenden Theil der Insel geben konnte, waren ganz ungenügend.

Der »Dolly-Hope« hatte in diesen Gewässern auch mit der rauhen Jahreszeit zu kämpfen. Manchmal landete man an mehreren Punkten und die Matrosen wagten sich dann in jene herrlichen Bambus- und Ebenholzwälder, die den Reichthum der Philippinen bilden. Inmitten der fruchtbaren Landschaften, wo sich die Erzeugnisse der gemäßigten Zone mit denen der tropischen mengen, besuchten Ellis und seine Leute verschiedene Dörfer, indem sie hofften, hier einige Anhaltspunkte, wie Schiffstrümmer oder Gefangene, zu finden; aber ihre Bemühungen waren fruchtlos und der Dampfer mußte wieder nach Zamboanga zurückkehren, nachdem er sehr unter der Ungunst der Witterung gelitten hatte und nur wie durch ein Wunder den Untiefen und Klippen entgangen war.

[114] Die Durchsuchung der Philippinen dauerte nicht weniger als zwei Monate; hierauf fuhr man zu den Bassilaninseln, südlich von Zamboanga, und dann gegen den Archipel von Holo, wo man am 25. Februar 1880 ankam.

Da war ein förmliches Piratennest, dessen Eingeborne inmitten der zahlreichen mit Dschungeln dicht bedeckten Inseln umherschweifen, die zwischen der Südspitze Mindanaos und der Nordspitze Borneos zerstreut sind. Von hier fuhr man auf Bevouan zu, wo vielleicht der Sultan, der eine Bevölkerung von ungefähr sechstausend bis siebentausend Einwohnern beherrschte, einige Auskunft geben konnte. Ellis scheute keine Geschenke, weder in Geld, noch in Naturalien. Die Eingeborenen machten ihn dann auf verschiedene Schiffbrüche aufmerksam, deren Schauplatz diese korallenreichen Gewässer gewesen waren.

Aber unter all den Schiffstrümmern, welche gesammelt worden waren, fanden sich keine, die dem »Franklin« hätten gehören können. Uebrigens waren die betreffenden Schiffbrüchigen zu Grunde gegangen oder längst heimgekehrt.

Dem »Dolly-Hope« blieb, da Kohlenmangel eintrat, nun nichts weiter übrig, als nach den Maratoubasinseln zu fahren, um in den Hafen Bandger-Massing, im Süden von Borneo, zu kommen.

Der Capitän Ellis fuhr in dieses Meer, welches wie ein See von den großen Malayischen Inseln und einem Gürtel von Inselchen umgeben ist. Das Meer von Celebes ist trotz dieser natürlichen Hindernisse schlecht gegen die Wuth der Stürme geschützt, und wenn man auch die Farbenpracht seiner Gewässer rühmen kann, die von Zoophyten in den glänzendsten Farben und von tausenderlei Mollusken wimmeln, und die Phantasie der Seefahrer sie sogar mit einem Beete flüssiger Blumen verglichen hat, so werfen doch die Wirbelstürme, die hier hausen, einen Schatten auf das wunderbare Bild.

Der »Dolly-Hope« mußte diese Erfahrung in der Nacht vom 28. zum 29. September machen. Während des Tages war der Sturm nach und nach gestiegen, und obgleich er sich am Abend ein wenig gelegt hatte, so konnte man doch aus den mächtigen Wellen, die sich am Horizonte aufthürmten, auf eine sehr unruhige Nacht schließen.

Und wirklich brauste gegen elf Uhr der Orkan mit einer solchen Heftigkeit einher, daß sich das Meer in einer furchtbaren, selten dagewesenen Aufregung befand.

Der Capitän Ellis, mit Recht um die Maschine des »Dolly-Hope« besorgt, wollte jedem Unfalle, der seiner Fahrt verderblich werden konnte, vorbeugen. [115] Er ließ daher die Schraube nur gerade so schnell in Bewegung setzen, als es nöthig war, damit das Schiff dem Steuer gehorchte.

Trotz dieser Vorsichtsmaßregeln brachen sich die Wogen mit einer solchen Wuth, daß das Schiff furchtbare Stöße erhielt. Mehrmals stürzten hunderte Tonnen Wassers auf das Verdeck und füllten alle Räumlichkeiten. Aber die fest geschlossenen Luken widerstanden dem furchtbaren Anpralle des Wassers und hielten es auf, in den Heiz- und Maschinenraum zu dringen. Das war ein Glück, denn wenn das Feuer erlosch, so war der »Dolly-Hope« waffenlos dem Wüthen der Elemente verfallen, und gehorchte er nicht mehr dem Steuer, so wurde er auch von der Seite her angegriffen und war dann verloren.

Die Mannschaft zeigte in dieser furchtbaren Lage ebensoviel Kaltblütigkeit wie Muth. Sie führte rasch die Befehle ihres Commandanten und ihrer Officiere aus und sie war würdig des Capitäns, der sie aus den besten Matrosen von San-Diego gewählt hatte. Das Schiff wurde durch die schnelle, geschickte Ausführung der einzelnen Befehle gerettet.

Nach einem Kampfe von fünfzehn Stunden mit dem wüthend gepeitschten Meere legte sich der Sturm; man kann sagen, er fiel plötzlich in der Nähe der Insel Borneo, und das Schiff hatte am Morgen des 2. März die Maratoubainseln in Sicht. Diese Inseln, welche in geographischer Beziehung zu Borneo gehören, wurden in den ersten vierzehn Tagen des März mit einer außerordentlichen Genauigkeit durchforscht. Dank den Geschenken, welche nicht gescheut wurden, betheiligten sich die Eingeborenen an allen Nachforschungen. Aber es war unmöglich, nur den geringsten Anhaltspunkt über das Verschwinden des »Franklin« zu entdecken. Da diese malayischen Gewässer sehr oft von Piraten heimgesucht werden, so konnte man die Befürchtung hegen, daß John Branican und seine Leute ermordet worden seien.

Eines Tages sprach der Capitän Ellis mit seinem Officier über diese Möglichkeit und sagte.

»Es ist möglich, daß das Verschwinden des »Franklin« mit einem solchen Angriffe zusammenhängt. Deshalb würde es sich erklären, daß wir bisher nicht den geringsten Anhaltspunkt über den Schiff bruch erlangt haben. Diese Piraten rühmen sich eben nicht ihrer Thaten. Wenn ein Schiff verschwindet, so schreibt man es ganz einfach dem Typhon zu und Alles ist gut!

– Sie haben nur allzu recht, Capitän, bemerkte der zweite Officier. Die Piraten sind in diesen Gewässern sehr zahlreich und sogar wir müssen [116] unsere Wachsamkeit verdoppeln, wenn wir die Meerenge von Mahkassar passiren werden.

– Ohne Zweifel, erwiderte der Capitän, aber wir sind in einer besseren Lage als John Branican und können ihnen leicht entrinnen. Mit so unregelmäßigen und wechselnden Winden hat ein Segelschiff immer viel zu thun; so lange aber unsere Maschine arbeitet, können uns diese Malayen nicht einholen. Nichtsdestoweniger empfehle ich die größte Vorsicht.«

Der »Dolly-Hope« fuhr in die Meerenge von Mahkassar ein, welche Borneo von Celebes trennt. Durch zwei Monate – vom 15. März bis zum 15. Mai – untersuchte der Capitän, nachdem er seinen Kohlenvorrath im Hafen von Damaring ergänzt hatte, alle Buchten und Einschnitte im Osten.

Die Insel Celebes, welche von Magellan entdeckt wurde, hat nicht weniger als hundertzweiundneunzig Meilen Länge und fünfundzwanzig Meilen Breite. Sie hat eine so eigenthümliche Gestalt, daß einige Geographen sie mit einer Tarantel verglichen haben, deren große Füße, welche Halbinseln bilden, ausgestreckt sind. Der landschaftliche Reiz, der Reichthum ihrer Producte, die glückliche Lage ihrer Gebirge wetteifern mit denen von Borneo.

Aber ihre zerklüftete Küste bietet den Piraten ausgezeichnete Schlupfwinkel, so daß hier den Schiffen die größten Gefahren erwachsen.

Trotzdem setzte Ellis mit peinlichster Genauigkeit seine Nachforschungen fort. Nachdem er seine Kessel ordentlich hatte heizen lassen, besichtigte er die Küste mit den Booten, immer bereit, bei der geringsten Gefahr sofort an Bord zurückzukehren.

Als das Schiff sich dem südlichen Theile dieser Meerenge näherte, war die Gefahr keine so große mehr. Dieser Theil von Celebes steht ja unter holländischer Herrschaft.

Die Hauptstadt dieser Besitzungen ist Mahkassar, früher Wlaardingen, die von dem Fort Rotterdam geschützt wird. Hier landete der Capitän Ellis am 17. Mai, um seiner Mannschaft ein wenig Ruhe zu gönnen. Wenn er hier auch nichts vernahm, was ihn auf die Spur des »Franklin« hätte führen können, so erhielt er doch in diesem Hafen eine höchst wichtige Nachricht: Am 3. Mai 1875 war dieses Schiff in einer Entfernung von zehn Meilen von Mahkassar in der Richtung nach dem Javanischen Meer gesehen worden. Es war daher mit Bestimmtheit anzunehmen, daß es nicht in den furchtbaren malayischen Gewässern gescheitert war. Also jenseits von Borneo und Celebes, d. h. im [117] Javanischen Meere, mußte man die Nachforschungen fortsetzen, und zwar bis nach Singapore selbst.

In einem Briefe, den er über diese wichtige Nachricht sofort an Mrs. Branican absandte, erneuerte er sein Versprechen, sie von den Untersuchungen im Javanischen Meere und zwischen den Sundainseln auf dem Laufenden zu halten.

Und es war auch wirklich schon von vornherein bestimmt gewesen, daß der »Dolly-Hope« nicht den Meridian von Singapore überschreite, der also die äußerste Grenze nach Westen bilden sollte. Bei der Rückfahrt sollte er dann noch die südlichen Gestade des Javanischen Meeres durchsuchen und die Inselgruppe, welche hier die Grenze bildet, durchforschen; dann sollte er durch die Molukken wieder in den Stillen Ocean fahren und nach Amerika zurückkehren.

Der »Dolly-Hope« verließ am 23. Mai Mahkassar, fuhr den südlichen Küsten der Meerenge, welche die Insel Celebes von der Insel Borneo trennt, entlang und landete in Bandger-Massing. Hier residiert der Gouverneur von Borneo oder vielmehr von Kalematan, um schon den richtigen geographischen Namen zu nennen. Die Schiffsregister wurden hier mit der größten Genauigkeit durchgesehen, doch konnte man nirgends finden, daß der »Franklin« signalisiert worden wäre.

Zwei Tage später fuhr das Schiff südwestlich weiter und warf in dem Hafen von Batavia Anker, an der äußersten Spitze jener großen Javanischen Insel, die vulcanischen Ursprunges ist und fast noch immer thätige feuerspeiende Berge hat.

Einige Tage genügten der Mannschaft, die Vorräthe in dieser großen Stadt zu ergänzen, welche der Hauptort der holländischen Besitzungen in Oceanien ist. Auch der Generalgouverneur konnte nicht die geringste Mittheilung über das Schicksal des »Franklin« machen. In dieser Zeit ging die Meinung der Seeleute von Batavia dahin, daß der amerikanische Dreimaster in einen Wirbelsturm gerathen und mit Mann und Maus untergegangen sei. In den ersten sechs Monaten des Jahres 1875 ging eine große Anzahl von Schiffen verloren, von denen man nichts mehr gehört hatte, und die so verschwunden waren, daß nicht die geringsten Trümmer an die Küste gespült wurden.

Das Schiff verließ Batavia, ließ die Sunda-Meerenge, welche das Javanische Meer mit dem von Timor verbindet, backbord und fuhr dann auf die Inseln Billitow und Bangha zu. Ehemals war das Anlaufen der Schiffe, die hier Eisen und Zinn faßten, wegen der Piraten mit steten Angriffen verbunden, [118] aber die Seepolizei vernichtete dieselben schließlich, und es war kein Grund vorhanden, zu denken, daß der »Franklin« und seine Mannschaft ihnen zum Opfer gefallen wären.

Der »Dolly-Hope« fuhr nun nordwestlich weiter, besuchte Sumatra, fuhr um die Spitze der Halbinsel Malakka herum und legte nach einer ziemlich stürmischen Fahrt am Morgen des 20. Juni in Singapore an.

Da einige Reparaturen an der Maschine vorgenommen werden mußten, so blieb der Capitän Ellis in dem Hafen, der im Süden der Insel liegt, volle vierzehn Tage. Obwohl sie nur einen Flächemnhalt von zweihundertsiebzig Quadratmeilen hat, so ist diese Besitzung doch durch den großen Handelsverkehr mit Europa und Amerika höchst wichtig und ist eine der reichsten Inseln des äußersten Asien geworden, seitdem die Engländer im Jahre 1818 ihre ersten Kontore dort errichtet haben.

In Singapore sollte, wie wir wissen, der »Franklin« einen Theil seiner Ladung für Rechnung des Hauses Andrew löschen, bevor er weiter nach Calcutta fuhr. Man weiß auch noch, daß der amerikanische Dreimaster nie in Singapore erschienen war. Trotzdem wollte Ellis seinen Aufenthalt dazu benutzen, um Erkundigungen über die Schiffsunfälle im Javanischen Meere in den letzten Jahren einzuziehen.

Da der »Franklin« einerseits auf der Höhe von Mahkassar gesehen worden und andererseits nicht nach Singapore gekommen war, so mußte der Schiffbruch zwischen diesen beiden Punkten stattgefunden haben, wenn nicht Capitän John Branican das Javanische Meer verlassen und durch eine jener Meerengen gefahren war, welche die Sundainseln trennen, und gegen die Timorsche See seine Richtung genommen hatte... Aber warum hätte er dies thun sollen, nachdem er doch die Bestimmung nach Singapore hatte? Das wäre unerklärlich, unwahrscheinlich gewesen.

Da die Erkundigungen zu einem negativen Resultate führten, so blieb dem Capitän Ellis nichts übrig, als sich von dem Gouverneur von Singapore zu empfehlen und nach Amerika zurückzukehren.

Am 25. August war ein ungemein gewitterreicher Tag. Die Hitze war erdrückend, wie sie es gewöhnlich um diese Zeit in jenen Tropengegenden ist, die nur einige Grade vom Aequator entfernt liegen.

Der »Dolly-Hope« mußte viel unter der schlechten Witterung leiden, welche die letzten Wochen dieses Monates ausfüllten. Unterdessen ließ er, während er die Sundainseln entlang fuhr, keinen Punkt undurchforscht zurück. So wurden der Reihe nach Madura, eine der zwanzig javanischen Regentschaften, Bâli, eine der wichtigsten Inseln für den Handel, besucht und auch Lombok und Sumbava, dessen Vulcan Tombovo damals diese Gegend mit einer ähnlichen Katastrophe bedrohte wie im Jahre 1815.


... die Vorräthe in dieser großen Stadt zu ergänzen. (S. 118.)

Zwischen diesen Inseln befinden sich eine Menge von Meerengen, die sich alle gegen die See von Timor öffnen. Der »Dolly-Hope« mußte in diesen klippenreichen Gegenden ungemein vorsichtig fahren, da gerade in den malayischen Gewässern die meisten Schiffbrüche vorkommen. Von der Insel Flores ab [119] fuhr Capitän Ellis den anderen Inselketten, die im Süden das Meer der Molukken abschließen, entlang, ohne aber zu einem Erfolge zu kommen. Bei einem solchen Mißerfolge kann man sich nicht wundern, wenn die Mannschaft schließlich entmuthigt wurde.


... legte am Morgen des 20. Juni in Singapore an. (S. 119.)

Aber deswegen durfte man noch nicht die Hoffnung [120] aufgeben, den »Franklin« doch noch zu finden, denn es war möglich, daß Capitän John, als er die Philippinen verließ, nicht durch die Meerenge von Mahkassar, sondern [121] durch den Archipel der Molukken gefahren war, um das Javanische Meer zu erreichen, und sich dann entlang der Insel Celebes gehalten hatte.

Unterdessen floß die Zeit dahin. Weder auf Timor, noch auf den Molukken war es möglich, irgend eine Spur oder Nachricht über ein Schiff zu erhalten, das im Frühjahre 1875 in diesen Breitegraden gesunken wäre. Am 23. September kam der »Dolly-Hope« nach Timor, am 27. December nach Gilolo, und diese drei Monate flossen dahin, ohne einen Lichtstrahl in die Sache zu bringen. Das Schiff hatte seine Fahrt beendigt, denn bei der Insel Gilolo, der wichtigsten der Molukken, schloß sich jener Kreis, den Ellis um die malayischen Länder gefahren war. Die Mannschaft pflegte dann durch einige Tage der Ruhe, deren sie auch sehr bedurfte. Und doch, was hätten diese Leute nicht noch Alles gewagt, wenn sie auf eine Spur gekommen wären.

In Ternate, der Hauptstadt der Insel Gilolo, nahm der »Dolly-Hope« Lebensmittel und Kohlen für die Rückfahrt an Bord, und hier ging das Jahr 1881 zu Ende... das sechste seit dem Verschwinden des »Franklin«. Am 9. Januar wurden die Anker gelichtet und das Schiff schlug die Richtung nach Nordost ein.

Die Fahrt war wegen der vielen Stürme eine gefährliche und langwierige, so daß erst am 23. Januar das Schiff von den Semaphoren von San-Diego signalisirt wurde.

Die Fahrt hatte neunzehn Monate gedauert, und trotz der Anstrengungen des Capitäns Ellis, trotz der Todesverachtung seiner Mannschaft blieb das Verschwinden des »Franklin« in ein undurchdringliches Dunkel gehüllt.

12. Capitel
Zwölftes Capitel.
Noch ein Jahr.

Die Briefe, welche Mrs. Branican über den Verlauf der Expedition erhalten hatte, ließen sie kaum noch hoffen, daß dieselbe von Erfolg gekrönt sein werde. Sobald sie erfahren hatte, daß der »Dolly-Hope« in Sicht sei, [122] begab sie sich mit Mr. William Andrew sogleich an Bord desselben, nachdem er Anker geworfen hatte.

Man sah es sofort dem Capitän Ellis und seiner Mannschaft an, daß auch der zweite Theil der Expedition von keinem Erfolge begleitet gewesen war. Mrs. Branican reichte dem Capitän die Hand, trat dann auf die Matrosen zu, die so viel Strapazen erduldet hatten, und sagte:

»Ich danke Ihnen, Capitän Ellis, ich danke Euch, meine Freunde!... Sie haben Alles gethan, was ich von Ihrer Hingebung erwarten konnte! Sie haben keinen Erfolg gehabt und vielleicht verzweifeln Sie für immer an einem solchen... Ich verzweifle nie!... Nein! Ich verzweifle nicht, wir werden John und seine Leute wiederfinden!... Ich vertraue auf Gott... Er wird mein Gebet erhören!...« Diese Worte zeugten von einer seltenen Entschlossenheit und drückten so fest ihre Hoffnung auf Erfolg aus, daß ihre Ueberzeugung alle Herzen mit sich hätte reißen müssen, wenn nicht jeder fest an den Untergang des »Franklin« geglaubt hätte.

Und wäre es doch nicht vielleicht besser gewesen, sich dem Ahnungsvermögen nicht zu verschließen, womit die Natur eine Frau so oft ausstattet? Während der Mann nur auf Thatsachen und deren Folgen sieht, so ist sicher, daß die Frau besser in die Zukunft blickt. Wer weiß, ob Mrs. Branican nicht eines Tages gegen die öffentliche Meinung Recht behalten würde?

Mr. William und sie stiegen dann in die Cajüte hinab, wo der Capitän Ellis ihnen einen genauen Bericht über die Fahrt gab. Die auf dem Tische ausgebreiteten Karten gestatteten, die Routen des Dampfers zu all den Inseln und Inselchen und die Nachforschungen in dem Innern der vielen Länder zu verfolgen. Zum Schlusse sagte er:

»Gestatten Sie mir, Mrs. Branican, Ihre Aufmerksamkeit auf Folgendes zu lenken: Der »Franklin« ist zum letztenmale auf der Südspitze von Celebes am 3. Mai 1875 gesehen worden, also sieben Wochen nach seiner Abfahrt von San-Diego, und seit diesem Tage ist er verschollen. Da er nun nicht nach Singapore gekommen ist, so hat die Katastrophe ohne Zweifel im Javanischen Meere stattgefunden. Auf welche Weise? Da giebt es zwei Muthmaßungen: Entweder ist der »Franklin« untergegangen oder er ist bei einem Zusammenstoße gesunken, ohne eine Spur zurückzulassen. Die zweite Muthmaßung ist, daß er an den Klippen zerschellte oder durch malayische Seeräuber zerstört wurde; in den beiden letzten Fällen wäre es wohl möglich gewesen, einige Trümmer zu finden.

[123] Doch trotz der sorgfältigsten Nachforschungen gelang es uns nicht, einen Beweis von der Zerstörung des Schiffes zu erhalten. Aus alledem ergiebt sich logisch, daß wir nur einen Fall der ersten Hypothese ins Auge fassen müssen, nämlich, daß der »Franklin« einem jener furchtbaren Wirbelstürme zum Opfer gefallen ist, die in den malayischen Gewässern so häufig sind. Im zweiten Falle wäre doch früher oder später etwas über den Zusammenstoß zweier Schiffe bekannt geworden. Es bleibt also keine Hoffnung mehr übrig.«

Das sah auch Mr. William Andrew ein und er schlug vor den fragenden Blicken der Mrs. Branican traurig die Augen zu Boden.

»Nein, nein! sagte sie, nein!... Der »Franklin« ist nicht untergegangen!... Nein! John und seine Leute leben noch!...«

So mußte denn der Capitän Ellis die Einzelheiten seiner Expedition immer wieder erklären und auseinandersetzen. Nachdem diese Unterredung drei Stunden gedauert hatte, fragte Capitän Ellis, als sich Mrs. Branican verabschieden wollte, ob sie wünsche, daß man den »Dolly-Hope« abtakle.

»Nein, Herr Capitän, erwiderte sie, ich würde es mit Bedauern sehen, wenn Ihre Mannschaft und Sie die Absicht hätten, sich auszuschiffen. Können nicht neue Angaben uns veranlassen, noch eine zweite Expedition zu unternehmen? Wenn Sie daher gewillt wären, das Commando des »Dolly-Hope«...

– Sehr gern, Mrs. Branican, aber ich gehöre dem Hause Andrew, und es ist möglich, daß es meiner Dienste bedarf...

– Das soll Sie nicht abhalten, lieber Ellis, erwiderte Mr. William Andrew. Es freut mich, wenn Sie sich Mrs. Branican zur Verfügung stellen.

– Ich stehe zu Diensten, Herr Andrew. Meine Mannschaft und ich werden den »Dolly-Hope« nicht verlassen.

– Und ich bitte Sie, Herr Capitän, erwiderte Mrs. Branican, darauf zu achten, daß das Schiff stets bereit ist, in See zu stechen.«

Als William Andrew seine Zustimmung gab, da that er es nur, um Mrs. Branican einen Gefallen zu erweisen, denn sowohl er wie der Capitän Ellis zweifelte nicht, daß sie nach den Mißerfolgen der ersten Expedition auf eine zweite wohl verzichten werde. Wenn auch die Zeit nie in ihr die Erinnerung an die Katastrophe auslöschen würde, so würde sie wenigstens schließlich jede Hoffnung vernichten.

So wurde also nach den Befehlen der Mrs. Branican der »Dolly-Hope« nicht abgetakelt. Ellis und seine Leute blieben auf dem Schiffe und erhielten [124] ihren Gehalt ebenso, als wenn sie auf der Fahrt begriffen wären. Uebrigens hatte das Schiff auch mehrfache Ausbesserungen nöthig, da es doch sehr gelitten hatte. Als diese Arbeiten beendigt waren, wurden Lebensmittel und Kohlen eingeschifft, so daß es bei dem ersten Befehle in See stechen konnte.

Mrs. Branican wohnte immer noch im Prospect-House, wo außer Ellis und Mr. William Andrew Niemand Zutritt hatte. Sie lebte ganz in der Erinnerung und Hoffnung, indem sie stets an ihr doppeltes Unglück dachte. Der kleine Wat wäre jetzt sieben Jahre alt, gerade die Zeit, wo das erste Licht den jungen Geist erleuchtet – und der kleine Wat war nicht mehr! Dann dachte sie an Zach Fren, der sie mit Lebensgefahr gerettet hatte und den sie so gerne kennen gelernt hätte, aber er war noch nicht von San-Francisco zurück. Doch das würde nicht mehr so lange dauern, da die Schiffszeitungen schon einigemale über den »Californian« Nachrichten brachten; gewiß würde er gegen Ende des Jahres 1881 zurück sein. Dann würde sie ihn sofort zu sich rufen und ihm ihre große Schuld abtragen.

Auch hörte Mrs. Branican nicht auf, die Familien, welche durch den Untergang des »Franklin« so schwer betroffen worden waren, zu unterstützen, und sie verließ nur ihr Haus, um sich in die armen Viertel der Stadt zu begeben.

Ihr Edelmuth zeigte sich bei den verschiedensten Angelegenheiten. Auch fragte sie Mr. William Andrew wegen der Gründung eines Waisenhauses in San Diego um Rath.

»Herr Andrew, sagte sie, ich will dasselbe zur Erinnerung an unser Kind errichten und es mit allen nothwendigen Hilfsmitteln ausstatten. Ich zweifle nicht, daß John bei seiner Rückkunft das billigen wird, denn welch' besseren Gebrauch könnten wir von unserem Vermögen machen?«

Mr. William Andrew hatte keine Ursache, etwas dagegen einzuwenden und er stellte sich wegen Einleitung der nothwendigen Schritte Mrs. Branican zur Verfügung. Hundertfünfzigtausend Dollars sollten zur Erwerbung eines passenden Hauses und zur Ausführung der nothwendigen Einrichtungen verwendet werden.

Dieses Project ging, Dank dem Gemeinderathe der Stadt, bald seiner Ausführung entgegen. Es wurde ein großes Gebäude, welches in frischer Luft auf den Abhängen von San-Diego stand, gekauft und ein geschickter Baumeister richtete dasselbe für seine Bestimmung ein, indem fünfzig Kinder mit dem [125] genügenden Personal zu ihrer Pflege und Erziehung darin Platz finden sollten. Da sich um dasselbe auch ein großer, schattiger Garten mit stets frischem Wasser befand, so entsprach dieses Haus vollkommen allen modernen Anforderungen.

Am 10. Mai wurde dieses Hospiz, welches den Namen Wat-House erhielt, unter dem Beifalle der ganzen Stadt, die bei dieser Gelegenheit der edlen Gründerin ihre Sympathie ausdrücken wollte, eröffnet. Aber Mrs. Branican erschien nicht zu dieser Feierlichkeit und wollte ihr Haus nicht verlassen. Sobald eine Anzahl Kinder in dem Wat-House aufgenommen waren, kam sie jeden Tag zu ihnen, als wenn sie ihre Mutter gewesen wäre. Die Kinder blieben in diesem Hause bis zu ihrem zwölften Jahre, lernten lesen, schreiben und rechnen und konnten sich ein beliebiges Handwerk wählen. Diejenigen, welche sich dem Seeleben widmen wollten, konnten sich als Schiffsjungen einschiffen, und gerade diese waren der Gründerin am liebsten, gewiß aus Erinnerung an ihren John.

Bis zum Ende des Jahres 1881 war noch immer keine Nachricht über den »Franklin« nach San Diego oder anderswohin gedrungen, obwohl die größten Belohnungen demjenigen in Aussicht gestellt wurden, der die kleinste Spur gefunden hätte. Und doch verzweifelte die Frau nicht. Was ihr das Jahr 1881 nicht gebracht hatte, würde ihr vielleicht das Jahr 1882 bringen....

Was war denn aus Mr. und Mrs. Burker geworden? Wohin hatte sich dieser Mann geflüchtet, um den Verfolgungen zu entgehen? Die Polizei gab ihre Nachforschungen schließlich auf, und Mrs. Branican mußte verzichten, jemals zu erfahren, was aus Jane geworden war.

Aber sie wunderte sich, daß sie nie von ihr einen Brief erhielt, den sie doch hätte schreiben können, ohne die Sicherheit ihres Mannes auf das Spiel zu setzen. Wußten sie denn Beide nicht, daß Dolly ihren Verstand wiedererlangt, daß sie ein Schiff zur Auffindung des »Franklin« ausgeschickt hatte, und daß diese Expedition ohne Erfolg geblieben war? Hatten denn nicht die Zeitungen beider Halbkugeln lange Artikel über diese Reise gebracht, und konnte man glauben, daß sie dies nie erfahren hätten? Sie mußten sogar von der großen Erbschaft gehört haben, die sie gemacht hatte, und daß sie im Stande war, ihnen zu helfen. Und doch hatte weder Len noch Jane gewagt, ihr zu schreiben, obwohl sie sich in einer traurigen Lage befinden mußten.

Die ersten drei Monate des Jahres 1882 waren verflossen; noch immer hörte man nichts über den »Franklin«. Schon glaubte man, daß auch dieses [126] Jahr so vorüberfließen würde, als etwas eintrat, was ein wenig Licht auf das Verschwinden dieses Schiffes zu werfen schien.

Am 27. März kam der Dampfer »Californian«, auf welchem sich der Matrose Zach Fren befand, nach San-Francisco, nachdem er durch mehrere Jahre die Meere Europas befahren hatte. Sobald Mrs. Branican dies hörte, schrieb sie an Zach Fren, indem sie ihn einlud, sofort zu ihr nach San-Diego zu kommen. Da er selbst die Absicht hatte, seine Vaterstadt zu besuchen, um einige Monate hier auszuruhen, so antwortete er, daß er sich nach der Ausschiffung sofort nach San-Diego begeben und sein erster Besuch dem Prospect-House gelten werde.

In derselben Zeit aber verbreitete sich eine Nachricht, die in allen Zeitungen der Vereinigten Staaten widerhallte. Man erzählte nämlich, daß der »Californian« einen Balken aufgefischt hatte, welcher wahrscheinlich vom »Franklin« herrührte. Eine Zeitung von San-Francisco setzte hinzu, daß der »Californian« dieses Holz im Norden von Australien, in den Gewässern bei der Insel Melville, westlich von der Meerenge Torres, gefunden habe.

Als diese Nachricht nach San-Diego gelangte, eilten Mr. William Andrew und der Capitän Ellis sofort in das Prospect-House. Bei dem ersten Worte erbleichte Mrs. Branican, dann aber sagte sie in jenem Tone, der eine feste Ueberzeugung ausdrückt:

»Nach dem Stück Holze wird man den »Franklin« finden und nach dem »Franklin« John und seine Gefährten.«

In der That war das höchst bedeutungsvoll. Man besaß jetzt einen Ring jener Kette, die die Gegenwart mit der Vergangenheit verband.

Sofort ließ Mrs. Branican eine Karte von Australien bringen, und nun mußten Mr. William Andrew und der Capitän Ellis die Frage einer neuen Seereise studieren, denn sie wollte, daß dieser Entschluß sogleich gefaßt werde.

»So hat der »Franklin« nicht seinen Weg über Singapore genommen, bemerkte zuerst William Andrew.

– Aber das ist unmöglich... das ist unmöglich, erwiderte der Capitän Ellis.

– Doch, wenn er diesen Weg genommen hätte, wieso hätte man nördlich von der Insel Melville dieses Holz finden können?

– Das kann ich mir nicht erklären, Herr Andrew, erwiderte der Capitän. Ich weiß nur, daß der »Franklin« auf seiner Fahrt südwestlich von der Insel Celebes gesehen worden ist, nachdem er die Meerenge von Mahkassar verlassen hatte. Wenn er durch diese Meerenge gefahren ist, so konnte er nur von Norden und nicht von Osten gekommen sein; er hat daher nicht durch die Meerenge von Torres fahren können.«

Diese Frage wurde lange in Erwägung gezogen, und schließlich mußte William Andrew dem Capitän Recht geben.


... wo der Capitän Ellis einen genauen Bericht über seine Fahrt gab. (S. 123.)

Mrs. Branican hörte das Für und das Wider stillschweigend an, aber eine Falte auf ihrer Stirn zeigte, mit welcher Zähigkeit, mit welchem Eigensinn sie sich weigerte, den Untergang Johns und seiner Gefährten zuzugeben. Nein! Sie würde nicht daran glauben, so lange sie nicht einen wirklichen Beweis von [127] ihrem Tode in den Händen hätte.


... kam sie jeden Tag zu ihnen, als wenn sie ihre Mutter wäre. (S. 126.)

[128] [131]»Es sei, sagte Mr. William Andrew, ich bin Ihrer Meinung, lieber Ellis, daß der »Franklin« das Javanische Meer durchschneiden mußte, indem er gegen Singapore fuhr...

– Wenigstens theilweise, Herr Andrew, weil zwischen Singapore und der Insel Celebes der Schiffbruch hat stattfinden können.

– Gut, aber wie konnte das Holz bis nach Australien kommen, wenn der »Franklin« auf einer Klippe jenes Meeres gescheitert ist?

– Das ist mir nur auf eine Weise verständlich, indem nämlich dieses Holz durch die Meerenge der Sundainseln oder eine der anderen Meerengen getrieben wurde, welche diese Inseln von der Timor-See trennen.

– Geht die Strömung nach dieser Seite?

– Ja, Herr Andrew, ich sage sogar, daß, wenn der »Franklin« durch einen Sturm verschlagen worden war, er leicht bis an die nördliche Küste Australiens getrieben werden konnte.

– Wirklich, lieber Ellis, das ist die einzige plausible Hypothese, und wenn ein Stück Holz des Schiffes bei der Insel Melville sechs Jahre nach dem Schiffbruche gefunden wurde, so kann es sich nur von den Klippen losgemacht haben, an denen der »Franklin« gescheitert ist.«

Auf diese Erklärung eines so tüchtigen Seemannes war nichts zu erwidern.

Mrs. Branican, die keinen Blick von der Karte gewendet hatte, sagte dann:

»Da der »Franklin« wahrscheinlich an die Küste von Australien geworfen wurde und die Schiffbrüchigen nicht zurückgekehrt sind, so werden sie bei den Eingeborenen gefangen gehalten...

– Dolly, das ist nicht unmöglich... und doch...« erwiderte Mr. William Andrew.

Mrs. Branican wollte eben gegen jeden Zweifel energisch protestiren, als der Capitän Ellis sagte:

»Jetzt handelt es sich vor Allem darum, ob das aufgefischte Holz wirklich zu dem »Franklin« gehörte.

– Zweifeln Sie daran? fragte Dolly.

– Das werden wir bald wissen, erwiderte Mr. William Andrew, denn ich habe Befehl gegeben, uns diesen Fund zu senden.

[131] – Und ich, fügte Mrs. Branican bei, gebe den Befehl, daß der »Dolly-Hope« sich bereit halte, in See zu stechen.«

Drei Tage später kam der Hochbootsmann Zach Fren, der soeben in San-Diego angelangt war, in das Prospect-House.

Er war ungefähr siebenunddreißig Jahre alt, von kräftiger Gestalt, und hatte in dem wettergebräunten Gesichte jenen offenen Zug, der sofort Vertrauen einflößt.

Mrs. Branican nahm ihn mit so großer Dankbarkeit auf, daß er nicht wußte, was er sagen sollte.

»Mein Freund... Sie... Sie haben mir das Leben gerettet... Sie... der Alles gethan hat, um mein Kind zu retten... was kann ich für Sie thun?«

Der Hochbootsmann erklärte, daß er nur seine Pflicht gethan habe... Ein Matrose, der nicht so handeln würde, wäre kein Matrose... Er bedauere nur, daß er nicht auch das Kind hätte retten können... Aber er verdiene dafür nichts... Er dankte Mrs. Branican für ihre Aufmerksamkeit... Wenn sie es ihm erlaube... so würde er sie besuchen, so lange er am Lande wäre...

»Seit vielen Jahren, Zach Fren, sehe ich Ihrer Rückkehr entgegen und ich hoffe, daß Sie an meiner Seite sein werden, wenn der Capitän John wiederkehren wird...

– Wenn der Capitän John wiederkehren wird!

– Zach Fren, glauben Sie?...

– Daß der Capitän John todt ist?... Nein!... Nein!...

– O... Sie haben auch noch Hoffnung?

– Mehr als Hoffnung, Mrs. Branican... eine schöne, gute Gewißheit.. Geht ein solcher Capitän, wie Capitän John, in einem Windstoße wie eine Landratte unter?... Nein!... So etwas ist noch nicht dagewesen!«

Die Worte des Matrosen regten Mrs. Branican ungemein auf, denn sie sah, daß sie nicht die einzige war, zu glauben, daß John wiedergefunden würde... Noch ein Mensch theilte ihre Ueberzeugung... und dieser andere war ihr Lebensretter... Sie sah dies für ein Zeichen der Vorsehung an.

»Ich danke, Zach Fren, ich danke!... Sie wissen nicht, wie wohl mir diese Worte thun... Sagen Sie noch einmal... sagen Sie noch einmal... daß der Capitän John den Schiffbruch überlebt hat.

– Allerdings... allerdings, Mrs. Branican! Der Beweis ist doch da... und wenn dies noch kein Beweis ist... so wird man noch einen anderen finden...«

[132] Dann erzählte Zach Fren, auf welche Weise jenes Stück Holz von dem »Californian« aufgefischt worden war. Endlich sagte Mrs. Branican:

»Ich bin entschlossen, Zach Fren, sofort neue Nachforschungen anstellen zu lassen...

– Gut... und diesmal werden Sie Erfolg haben... und wenn Sie mir erlauben, so fahre ich mit.

– Sie wollen sich dem Capitän Ellis anschließen?...

– Von Herzen gern!

– Ich danke, Zach Fren!... Ich glaube, wenn Sie an Bord des Schiffes sein werden, wird das von guter Vorbedeutung sein.

– Ich glaube es auch, Mrs. Branican, sagte Zach Fren, indem er mit den Augen zwinkerte... ja, ich glaube es auch... und ich fahre mit.«

Dolly nahm ihn bei der Hand und drückte sie wie die eines Freundes. Die Hoffnung riß sie mit sich – verwirrte sie. Sie wollte glauben, daß der Matrose dort Glück haben würde, wo die Andern Mißerfolg hatten. Aber man wollte doch, wie dies auch der Capitän Ellis bemerkt hatte – obwohl Mrs. Branican fest überzeugt war – die Gewißheit haben, daß das Holz dem »Franklin« gehöre. Dieses Bruchstück, welches ungefähr zehn Meilen von der Küste der Insel Melville aufgefischt worden war, war ein Stück des vorderen Steven oder vielmehr jener Verzierung, der Gallion, die sich gewöhnlich am Vordertheile der Segelschiffe befindet. Dieses Holzstück war schon sehr verwittert, nicht weil es lange im Wasser gelegen hatte, sondern weil es den Einwirkungen der Luft ausgesetzt gewesen war. Daraus konnte man also schließen, daß es lange Zeit auf den Klippen lag, an denen das Schiff scheiterte, und daß es durch irgend eine Ursache – wahrscheinlich durch einen Sturm – losgerissen und mehrere Monate oder Wochen herumgeschwommen war, als es von dem »Californian« aufgefischt wurde. Was nun das Schiff anbelangt, war das wirklich der »Franklin«?... Ja, denn die Schnitzerei, die auf diesem Holze gefunden wurde, sah der ähnlich, die sich am Vordertheile des »Franklin« befand. Und wirklich verhielt es sich so. Das Stück Holz wurde nach San-Diego gebracht und man erkannte bald, daß es dem verschollenen Schiffe angehörte.

Jetzt konnte man auch der Ansicht des Capitän Ellis zustimmen: Da der »Franklin« im Südwesten von Celebes gesehen wurde, so mußte er einige Tage später durch die Meerenge der Sundainseln oder anderer, die sich gegen [133] die See von Timor öffneten, schwimmen und so an die Küste von Australien gelangen.

Es war daher ganz gerechtfertigt, ein Schiff zur Erforschung der Sundainseln und der Nordküste von Australien auszusenden. Würde diese Fahrt von mehr Erfolg begleitet sein, als die zwischen den Philippinen und den Molukken? Man konnte es wohl hoffen.

Diesmal wollte Mrs. Branican selbst an der Fahrt theilnehmen, aber Mr. William Andrew, der Capitän Ellis und auch Zach Fren überzeugten sie schließlich – wenn auch mit Mühe – daß diese Fahrt sehr lange dauern und die Anwesenheit einer Frau nur störend einwirken würde.

Es ist selbstverständlich, daß Zach Fren als Hochbootsmann aufgenommen wurde, und der Capitän traf nun die letzten Anstalten, um sobald wie möglich abzufahren.

13. Capitel
Dreizehntes Capitel.
Die Fahrt in die See von Timor.

Der »Dolly-Hope« verließ am 3. April 1882 den Hafen von San-Diego, und der Capitän nahm mehr eine Richtung nach Südwest, denn er wollte auf dem kürzesten Wege durch die Meerenge von Torres in die See von Arafoura kommen, jenseits deren das Bruchstück des »Franklin« gefunden worden war.

Am 26. April hatte man die Gilbertinseln in Sicht, welche in jenen Breitegraden zerstreut liegen, wo die Windstillen des Großen Oceans den Segelschiffen so lästig sind. Nachdem Capitän Ellis die zwei Inselgruppen Scarborough und Kingsmill seitwärts gelassen hatte, durchschnitt er die Inselgruppe Vanikoro.

Zweihundert Meilen weiter durchkreuzte der »Dolly-Hope« den Salomon-Archipel, der aus ungefähr einem Dutzend großer Inseln besteht. Er fuhr weiter und beeilte sich in die Meerenge von Torres zu kommen, da der Capitän nicht weniger ungeduldig war als Zach Fren, den Theil des Meeres von Arafoura zu erreichen, wo das Stück Holz gefunden wurde. Von hier aus sollten dann [134] mit unermüdlicher Ausdauer die sorgfältigsten Nachforschungen angestellt werden, die vielleicht von Erfolg begleitet sein würden.

Einige Tage später, nachdem sie den Salomon-Ar chipel durchfahren hatten, gelangten sie an den Inseln Rossel, Trobriand und einer großen Anzahl Inselchen vorüber.

Nach dreiwöchentlicher Fahrt hatten sie Neu-Guinea in Sicht, dann das Cap York, die nördliche und südliche Grenze der Meerenge von Torres.

Letztere ist ungemein gefährlich für die Schifffahrt, und kein Capitän wagt es, dieselbe zu durchsegeln, weil die Versicherungsgesellschaften der Schiffe für diese Gegend keine Garantie übernehmen.

Fortwährende Sturzwellen, welche von Osten nach Westen gehen, schleudern die Gewässer des Stillen Oceans in den Indischen. Man kann sich nur durch einige Stunden des Tages, wo die Stellung der Sonne das Brechen der Wogen an den Klippen erkennen läßt, dorthin wagen.

Als man diese Meerenge vor sich hatte, fragte der Capitän seinen Hochbootsmann Zach Fren:

»Also auf der Höhe von Melville hat der »Californian« das Stück Holz aufgefischt?

– Ja.

– Man kann also sagen, ungefähr fünfhundert Meilen von hier?

– Ja, Capitän, und ich verstehe Sie: Da die Strömung regelmäßig von Osten nach Westen geht und dieses Holz auf der Höhe von Melville aufgefangen wurde, so muß der »Franklin« am Eingange der Meerenge von Torres gescheitert sein.


... und die Eingeborenen in Respect zu halten. (S. 138.)

– Ohne Zweifel, Zach Fren, und man müßte daraus schließen, daß Capitän John diesen gefährlichen Weg nach Singapore eingeschlagen hat. Das werde ich nie glauben. Im Gegentheil, er hat das Malayische Meer durchfahren, weil er das letztemal auf der Anhöhe von Celebes gesehen worden ist.

– Und da dies feststeht, bemerkte der Obersteuermann, so folgt daraus, daß der Capitän Branican, wenn er in die See von Timor vorgedrungen ist, nur durch eine der Meerengen dahin gelangen konnte, welche die Sundainseln trennen.

– Das ist unbestreitbar, erwiderte der Capitän.

– Und ich verstehe nicht mehr, warum der »Franklin« nach Osten getrieben werden konnte, versetzte der Obersteuermann.

[135] – Ich kann mir nur denken, daß nach dem Holze, welches in dem Indischen Meere gefunden wurde, der Schiffbruch in der Nähe der Sundainseln oder an der westlichen Küste von Australien stattgefunden hat.

– Da das Holz auf der Höhe von Melville aufgefischt wurde, erwiderte der Capitän, so glaube ich, daß der »Franklin« in dem Theile des Meeres von Arasoura, der an die Meerenge von Torres grenzt, oder in dieser selbst gescheitert ist.

– Vielleicht, bemerkte Zach Fren, sind entlang der Küste Australiens Strömungen, welche den »Franklin« gegen die Meerenge getrieben haben. In [136] diesem Falle müßte der Schiffbruch im Westen von dem Meere von Arafoura stattgefunden haben.

– Wir werden's ja sehen, sagte der Capitän. Unterdessen aber fahren wir so, als wenn der »Franklin« an den Klippen von Torres gescheitert wäre..

– Und wenn wir gut fahren, wiederholte Zach Fren, so werden wir den Capitän John auch finden.«


»Das ist sonderbar«, bemerkte Zach Fren. (S. 140.)

So war es im Ganzen das Beste und so wurde es auch durchgeführt.

[137] Die Breite der Meerenge von Torres beträgt ungefähr dreißig Meilen. Man kann sich schwer einen Begriff von den Inselchen und Klippen in diesem Wasser machen, die auf den besten Karten nicht richtig dargestellt sind.

Man zählt deren ungefähr neunhundert, deren bedeutendste kaum einen Flächeninhalt von drei bis vier Meilen haben. Ihre Bewohner sind die Andamenenstämme, die den Schiffen, welche in ihre Hände fallen, sehr gefährlich werden können, wie dies die Ermordung der Matrosen des »Chesterfield« und »Hormuzier« beweist.

In ihren leichten Booten können diese Eingeborenen ohne Mühe von Neu-Guinea nach Australien und von Australien nach Neu-Guinea fahren. Wenn sich daher John und seine Gefährten auf eine dieser Inselchen geflüchtet hatten, so wäre es ihnen etwas Leichtes gewesen, die australische Küste, dann irgend einen Vorsprung des Golfes von Carpentaria oder der Halbinsel York zu erreichen und ihre Rückkehr wäre nicht mehr schwierig gewesen. Da aber Alle verschollen waren, so waren sie wahrscheinlich in die Hände jener Eingeborenen gefallen, von denen sie dann nicht viel Schonung erwarten konnten. Diese Wilden tödten ihre Gefangenen und fressen sie. Wo hätte man dann eine Spur von solchen blutigen Katastrophen finden können?

So dachte es sich der Capitän Ellis, so sagten es die Matrosen vom »Dolly-Hope«. Ein solches Schicksal mußten die Ueberlebenden des »Franklin« gefunden haben, wenn sie in die Meerenge von Torres gerathen waren... Zwar blieb noch die Möglichkeit, daß sie eben nicht durch diese Meerenge gefahren waren; aber wie kam dann das Stück Holz zur Insel Melville?

Unerschrocken fuhr der Capitän Ellis in diese gefährlichen Gewässer ein, indem er alle von der Klugheit gebotenen Maßregeln traf. Da er ein gutes Dampfschiff, wachsame Officiere und eine muthige und kaltblütige Mannschaft hatte, so hoffte er glücklich durch dieses Klippenlabyrinth zu kommen und die Eingeborenen, die einen Angriff versuchen würden, in Respect zu halten.

Die Schiffe, welche in die Meerenge von Torres eindringen, deren Oeffnung auf der Seite gegen den Stillen Ocean reich an Korallenbänken ist, fahren mit Vorliebe der australischen Küste entlang. Da sich aber im Süden von Papouasien eine ziemlich große Insel, Namens Murray, befindet, so fuhr der »Dolly-Hope« zwischen den zwei berühmten Riffen Castern-Fields und Boot-Reef hindurch. Letzteres machte durch die eigenthümliche Gestalt seiner Felsen den Eindruck, [138] als läge ein Schiff auf denselben. Die Schaluppe wurde rasch ausgesetzt, doch wurde man ebenso schnell gewahr, daß man sich getäuscht hatte.

Manchmal umkreisten mehrere einfache Boote der Eingeborenen das Schiff, doch dieses konnte ganz um die Insel herumfahren, ohne von ihnen angegriffen zu werden.

Nachdem der »Dolly-Hope« in Sommerset, einem Hafen von Nordaustralien, seine Vorräthe ergänzt hatte, durchsuchte der Capitän sorgfältig die Inseln zwischen dem Golfe von Carpentaria und Neu-Guinea.

Nach mehreren Versuchen gelang es dem Capitän, mit einigen Mados oder Häuptlingen auf diesen Inseln in Verbindung zu treten. Da man sich aber sehr schwer verständlich machen konnte, so gelang es nicht zu erfahren, ob diese Andamenen von einem Schiffbruche Kenntniß hatten, der mit der Zeit des Verschwindens des »Franklin« übereinstimmte. In jedem Falle schien es nicht, daß sie Gegenstände amerikanischer Abkunft besaßen, denn man fand bei ihnen weder Eisen noch Leinenstücke, oder Holztheile von Raaen- und Mastbäumen, die von einem Schiffe herrühren konnten. Als nun Ellis die Inseln der Meerenge von Torres verließ, da konnte er sich sagen, daß er keine Spur von dem Untergange des »Franklin« gefunden habe, wenn es sich auch nicht ganz bestimmt behaupten ließ, daß er hier nicht gescheitert sei.

Es handelte sich jetzt nun darum, das Meer von Arafoura, eine Fortsetzung dessen von Timor, zu durchforschen, das sich zwischen den kleinen Sundainseln im Norden und der australischen Küste im Süden ausdehnt. Hier wollte er zuerst das »Arnheim land« und dann die zahlreichen Inseldurchgänge durchforschen. Auch hier sachte man mit einem Eifer und einer Kühnheit, die nichts entmuthigen konnte. Aber man fand nirgends die Spur eines gescheiterten Schiffes, und weder die Eingeborenen, noch die Chinesen, welche in diesen Gewässern lebhaften Handel treiben, wußten etwas von einem Schiffbruche. Ueberdies, wäre die Bemannung des »Franklin« hier von den australischen Stämmen gefangen genommen worden, so wäre Keiner diesen Cannibalen entkommen.

Am 11. Juli begann Ellis die Inseln Melville und Bathurst, die nur durch einen schmalen Streifen getrennt sind, zu durchforschen. Da zehn Meilen von dieser Inselgruppe das Holz vom »Franklin« gefunden wurde und es nicht mehr weiter nach Westen getrieben worden war, so mußten die Wellen es erst kurz vor der Ankunft des »Californian« von den Klippen weggespült haben.

[139] Es war daher möglich, daß der Schauplatz der Katastrophe nicht sehr weit entfernt war.

Diese Durchforschung dauerte ungefähr vier Monate, denn sie umfaßte nicht nur die beiden Inseln, sondern auch die Küsten des »Arnheimlandes« bis zum Queens-Canal und sogar bis zur Mündung des Victoria-River.

Es war sehr schwer, auch das Innere zu durchsuchen, da die Eingeborenen Cannibalen sind und sie stets ihre Gefangenen fressen. Wenn Ellis daher auch verzichten mußte zu erfahren, wo und wann die Bemannung des »Franklin« in die Hände der Wilden gefallen war, so würde es ihm vielleicht doch gelingen, eine Spur von dem Schiffbruche zu finden. Das konnte er umsomehr hoffen, als erst acht Monate seit der Auffischung des Holzes durch den »Californian« verflossen waren, doch trotz der eifrigsten Nachforschungen wurde nichts entdeckt.

Was sollte nun Ellis jetzt beginnen? Sah er seine Fahrt als abgeschlossen an, wenigstens was die australische Küste und die dazugehörigen Inseln anbelangte? Sollte er an die Rückkehr denken, nachdem er noch die kleinen Sundainseln durchforscht haben würde? Kurz, konnte er mit gutem Gewissen sagen, daß er Alles gethan habe, was in seiner Macht stand? Der brave Seemann zögerte, sich zu sagen, daß er Alles gethan habe, obwohl er bis zu den Küsten Australiens vorgedrungen war.

Ein Ereigniß machte diesem Zögern ein plötzliches Ende.

Am Morgen des 4. November ging der Capitän mit Zach Fren auf dem Hinterdeck des Dampfers umher, als der Hochbootsmann ihn auf einige Gegenstände aufmerksam machte, die in der Entfernung von einer halben Meile herumschwammen. Es waren keine Holzstücke oder Baumstämme, sondern ungeheure Haufen Gräser, gelbliche Tange, die aus der Tiefe des Meeres emporgerissen worden waren.

»Das ist sonderbar, bemerkte Zach Fren. Ich will nicht Zach Fren heißen, wenn diese Gräser nicht aus dem Westen oder sogar aus dem Südwesten kommen! Da ist gewiß eine Strömung, die sie von der Seite der Meerenge dahertreibt.

– Ja, erwiderte der Capitän, und das muß eine locale Strömung sein, die nach Osten geht, wenigstens, wenn keine Fluth ist.

– Das glaube ich nicht, erwiderte Zach Fren, denn ich erinnere mich ganz genau – ich sah schon zeitlich früh eine Menge dieser Tange dahintreiben.

[140] – Das ist wirklich wahr?

– So wahr, als wir schließlich den Capitän John finden werden!

– Nun, wenn die Strömung da ist, so könnte es möglich sein, daß das Holz des »Franklin« aus dem Westen kam und entlang der australischen Küste schwamm.

– Das ist auch meine Meinung, versetzte Zach Fren.

– Dann haben wir nicht zu zögern. Wir müssen noch die Küsten an dem Meere von Timor bis zu der äußersten Spitze von West-Australien durchsuchen.

– Ich war nie mehr davon überzeugt, da außer allem Zweifel eine Strömung, deren Lauf deutlich wahrzunehmen ist, die Insel Melville berührt. Wenn daher Capitän Branican in den westlichen Gewässern verschollen ist, so würde es sich deutlich daraus ergeben, daß ein Stück Holz seines Schiffes in die Gegenden getrieben wurde, wo es von dem »Californian« aufgefischt wurde.«

Der Capitän ließ seinen Obersteuermann rufen und fragte ihn, ob sie die Fahrt mehr nach Westen fortsetzen sollten. Dieser war der Meinung, man sollte jene locale Strömung wenigstens bis zu ihrem Anfang verfolgen.

»Gut, fahren wir nach Westen, erwiderte der Capitän. Jetzt müssen wir keinen Zweifel, sondern Gewißheit nach San-Diego bringen. Die Gewißheit, daß von dem »Franklin«, wenn er an der australischen Küste gescheitert ist, nichts übrig geblieben ist.«

So fuhr denn der »Dolly-Hope« bis zur Spitze der Insel Timor, um seine Kohlen zu erneuern. Nach einem Aufenthalte von vierundzwanzig Stunden fuhr er auf das Cap von Londonderry zu, das sich an der Westspitze von Australien befindet. Bei dem Verlassen des Queens-Canals fuhr der Capitän so weit wie möglich dem Festland entlang und bemerkte von Turtle Point aus genau, wie die Strömung von Westen nach Osten hin verlief.

Das war keine jener Strömungen, die von der Ebbe und Fluth abhängig war, sondern ein steter Zufluß von Wasser in den südlichen Theil des Meeres von Timor. Nun konnte man die Risse und Klippen durchsuchen, so lange sich das Schiff an der Grenze des Indischen Oceans nicht auf hoher See befand.

Im Golf von Cambridge eingetroffen, erklärte Ellis, daß es sehr unvorsichtig wäre, sich mit seinem Schiffe in diese klippenreiche und von wilden Stämmen bewohnte Gegend zu wagen. Es wurde daher die Dampfschaluppe [141] von einem halben Dutzend wohlbewaffneter Matrosen bestiegen, um unter dem Befehle Zach Fren's das Innere zu untersuchen.

»Wenn John Branican in die Hände der Eingeborenen dieser Gegenden gefallen ist, bemerkte Ellis ihm gegenüber, so werden die Armen kaum am Leben geblieben sein. Aber uns handelt es sich darum zu wissen, ob einige Trümmer von dem »Franklin« noch vorhanden sind, im Fall die Australier ihn hier angegriffen haben...

– Das würde mich von diesen Schurken gar nicht wundern,« erwiderte Zach Fren.

Die Vorsicht des Hochbootsmannes war ganz gerechtfertigt und er hielt stets gut Umschau. Er fuhr mit der Schaluppe bis zur Insel Adolphus, dann um sie herum, ohne etwas zu entdecken, was ihn zu weiteren Nachforschungen veranlaßt hätte.

Der »Dolly-Hope« fuhr nun jenseits des Golfes von Cambridge weiter, umschiffte das Cap Dusséjour und fuhr dann gegen Nordwesten der Küste von Westaustralien entlang. Auch hier wurde die unermüdliche Mannschaft durch keinen Erfolg belohnt. Die Anstrengungen und Gefahren wurden jetzt in diesen Gegenden viel größer, weil das Schiff an dieser Küste direct von den heftigen Wirbelstürmen des Indischen Oceans belästigt wurde und es wenig Zufluchtsstellen für ein Segelschiff gab. Ein Dampfer ist immer von seiner Maschine abhängig, welche ihm aber nicht helfen kann, wenn das Meer so furchtbar aufgewühlt wird. Man fuhr nun an Hunderten von kleinen Inseln vorüber, durchsuchte sie... Alles vergebens.

Gegen Ende des Monats Januar 1883 wurde die Dampfschaluppe an der Mündung des Fitz-Roy im Kingsund von den Eingeborenen angegriffen, wobei zwei Matrosen leicht verletzt wurden. Dank der Kaltblütigkeit des Capitäns war dieser Angriff von keinen weiteren unheilvollen Folgen begleitet.

Der »Dolly-Hope« legte nun auf der Höhe von Lévêque an und der Capitän hielt mit seinem Steuermann und Hochbootsmann eine Besprechung ab, in der man nach sorgfältigem Studium der Karten zu dem Resultate kam, hier an der Grenze des 18. Breitegrades der südlichen Hemisphäre die Expedition zu beendigen. Jenseits des Kingsund ist die Küste ziemlich frei von Inseln und dieser Theil von Tasmanien, der an das Indische Meer grenzt, ist noch immer auf der Karte ein weißer Fleck.

[142] Da dem »Dolly-Hope« auch die Kohlen bald ausgingen, wollte man direct nach Batavia fahren, hier dieselben ergänzen und durch die See von Timor, entlang der Sundainseln, wieder in den Stillen Ocean zurückkehren.

14. Capitel
Vierzehntes Capitel.
Die Insel Browse.

Die Strecke zwischen der nordwestlichen Küste von Australien und dem westlichen Theile der See von Timor enthält keine wichtigen Inseln und man findet dort nur jene eigenthümlichen Formationen von Korallenbänken, die »Felsen, Schalen oder Bänke« genannt werden. Da diese sich oft unter der Oberfläche des Meeres befinden, so ist die Fahrt in diesem Gebiete mit großen Gefahren verbunden.

Das Wetter war schön, das Meer ziemlich ruhig und die ausgezeichnete Maschine des »Dolly-Hope« hatte seit der Abfahrt von San-Diego noch gar nicht gelitten. So kam Alles zusammen, um eine günstige Fahrt zwischen dem Cap Lévêque und der Insel Java zu erwarten. Aber in Wirklichkeit war dies schon die Heimkehr, und der Capitän wollte gerade nur noch die kleinen Sundainseln durchsuchen.

In den ersten Tagen nach der Abfahrt auf der Höhe von Lévêque ereignete sich nichts Besonderes. Den Wachen wurde die strengste Aufmerksamkeit anempfohlen, und sie mußten aus den Mastkörben herab schon von weitem die Risse und Bänke und Schalen signalisiren, die sich oft kaum über die Oberfläche des Meeres erheben.

Am 7. Februar, gegen neun Uhr Morgens, rief ein Matrose von den Raaen herab:

»Riff in Sicht! Backbordseite!«


... so stieg Zach Fren selbst die Wanten hinauf. (S. 143.)

Da dasselbe von der Brücke aus nicht gesehen werden konnte, so stieg Zach Fren selbst an den Wanten hinauf und bemerkte ziemlich deutlich ein felsiges Plateau in einer Entfernung von ungefähr sechs Meilen. In Wirklichkeit war es weder ein Felsen noch ein Riff, sondern eine kleine Insel, welche die Form [143] eines Eselrückens hatte, so daß sie vielleicht noch größer war, als sie sich auf diese Entfernung ausnahm.

Nach einigen Minuten stieg Zach Fren wieder hinab und meldete dies dem Capitän, der sofort den Befehl gab, um ein Quart anzuluven, um sich der Insel zu nähern. Sie befanden sich jetzt 14 Grad 7 Minuten südlicher Breite und 133 Grad 13 Minuten östlicher Länge, und diese kleine Insel hieß auf den neuesten Karten Browse und lag ungefähr zweihundertfünfzig Meilen vom Yorksund der australischen Küste entfernt.

[144] Da diese Insel fast in seiner Route lag, so beschloß der Capitän, sie zu umfahren, ohne sich aber dort aufzuhalten. Nach einer Stunde lag die Insel Browse nur noch eine Meile entfernt, und das Meer brach sich an einem Vorgebirge im Nordwesten mit donnerndem Geräusch. Da sie schief vor den Blicken lag, konnte man sich von ihrer Größe keinen Begriff machen.

Unterdessen war keine Zeit zu verlieren, und der Capitän, der bisher etwas langsamer fahren ließ, rief in den Heizraum den Befehl hinab, wieder schneller zu fahren, als Zach Fren seine Aufmerksamkeit erweckte, indem er sagte:


[145]
Die Einschiffung erfolgte über die Durchfahrt hinüber. (S. 148.)

»Herr Capitän... Sehen Sie... dort... unten... Steht dort nicht ein Mast auf dem Cap?«

Dabei zeigte er nach Nordosten hin.

»Ein Mast?... Nein!... Es scheint nur ein Baum zu sein,« erwiderte Ellis.

Er nahm dann das Fernrohr und sah aufmerksam hin.

»Es ist richtig, sagte er, Sie täuschen sich nicht, Hochbootsmann!... Es ist ein Mast... und ich glaube, es hängt auch der Fetzen einer Fahne daran... Ja!... Ja!... Das muß ein Signal sein!...

– Da wäre es vielleicht besser, wir fahren hin.

– Das ist auch meine Meinung,« erwiderte der Capitän.

Sofort gab er den Befehl, auf die Insel zuzuhalten. Der »Dolly-Hope« näherte sich nun vorsichtig den Rissen, welche die Insel wie einen Gürtel umgaben, an dem sich das Meer donnernd brach.

Bald konnte man die Küste mit freiem Auge wahrnehmen. Sie sah wild und öde aus, ohne das geringste Grün, und war ziemlich zerklüftet; an manchen Stellen durchschnitt ein Vorsprung die Felsenreihen, über denen Scharen von Seevögeln flogen.

Auf dieser Seite sah man keine Schiffstrümmer. Der Mast, welcher auf der äußersten Spitze des Vorgebirges stand, mußte von einem Bugspriet herstammen, aber aus dem Fetzen, der sich am Ende desselben befand, konnte man nicht mehr die Farben der Fahne erkennen.

»Dort sind Schiffbrüchige... rief Zach Fren.

– Oder gewesen! erwiderte der zweite Officier.

– Es läßt sich nicht bezweifeln, daß hier ein Schiff gescheitert ist.

– Ebenso bestimmt ist es, daß die Schiffbrüchigen dort einen Zufluchtsort gefunden haben; vielleicht haben sie die Insel noch nicht verlassen, weil die nach Indien oder Australien fahrenden Schiffe selten hier vorüberkommen.

– Wollen Sie diese Insel durchsuchen, Herr Capitän? fragte Zach Fren.

– Gewiß, aber bis jetzt habe ich noch keine Stelle gefunden, wo wir landen könnten. Fahren wir also zuerst herum. Wenn sie noch von den unglücklichen Schiffbrüchigen bewohnt ist, so müssen sie uns ja bemerken und ein Zeichen geben.

– Und wenn wir Niemand sehen, was wollen Sie dann thun? fragte Zach Fren.

[146] – Wir werden landen. Wenn diese Insel nicht bewohnt ist, so können sich doch Spuren eines Schiffbruches vorfinden, was für uns von gleichem Interesse ist.

– Und wer weiß?...

– Wer weiß? Wollen Sie damit sagen, daß der »Franklin« hier an der Insel Browse gescheitert ist, die doch gar nicht auf seiner Route lag?

– Warum nicht?

– Obgleich das sehr unwahrscheinlich ist, so werden wir doch landen.«

Man fuhr also um die Insel herum, die auf allen Seiten gleich felsig und zerklüftet war. Im Hintergrunde standen auf einem Plateau, das weiter keine Spuren von Cultur zeigte, einige Gruppen von Cocosbäumen. Von Bewohnern keine Spur. Keine Schaluppe, kein Fischerboot. So öde wie das Meer, so war es auch die Insel.

Wenn diese Insel Schiffbrüchigen auch keinen genügenden Lebensunterhalt bieten konnte, so doch wenigstens einen Zufluchtsort.

Die Insel Browse hat einen Umfang von etwa sieben bis acht Meilen, was durch den »Dolly-Hope« constatirt wurde, als er um dieselbe herumfuhr. Vergebens spähten die Matrosen nach einem Hafen oder wenigstens einem Einschnitt in die Felsen aus, wo der Dampfer einige Stunden geschützt sein könnte. Sie sahen bald ein, daß eine Landung unmöglich war, und daß sie nur mit den Booten eine Durchfahrt suchen konnten.

Es war ungefähr ein Uhr Nachmittags, als der »Dolly-Hope« sich unter der Windseite der Insel befand. Da der Wind von Nordwesten kam, schlugen die Wogen weniger heftig an die Felsen. Weil die Küste hier einen großen Bogen bildete, wo ein Schiff mit weniger Gefahr hätte vor Anker gehen können, sollte der Dampfer, wenn auch nicht Anker werfen, so doch mit geringerer Geschwindigkeit fahren, während die Dampfschaluppe ans Land ging.

Als Ellis mit dem Fernrohre die Küste untersuchte, entdeckte er schließlich eine Art Kluft in den Felsen, aus der sich ein Bach ins Meer ergoß. Zach Fren glaubte, nachdem er diese Stelle ins Auge gefaßt hatte, daß dort eine passende Landungsstelle wäre.

Der Capitän befahl also, die Dampfschaluppe in Bereitschaft zu setzen, was in einer halben Stunde geschehen war. Dann schiffte er sich mit Zach Fren und vier anderen Matrosen ein, indem sie aus Vorsicht zwei Gewehre, zwei Hacken und mehrere Revolver mitnahmen. Während der Abwesenheit des [147] Capitäns übernahm der Obersteuermann den Befehl des Schiffes, indem er langsam hin- und herfahren und auf etwaige Signale achten sollte.

Um halb zwei fuhr die Schaluppe ab und landete in einigen Minuten an einem sandigen, da und dort von Felskanten durchbrochenen Strande. Ellis, Zach Fren und zwei Matrosen stiegen sofort aus, während die zwei anderen als Wache in der Schaluppe blieben. Die Vier kletterten nun den Felseneinschnitt hinauf und erreichten das Plateau.

Da sich in einer Entfernung von ungefähr hundert Metern ein sonderbar geformter Felsen erhob und dessen Gipfel einen Ausblick zu gewähren schien, so stiegen sie, nicht ohne Schwierigkeiten, hinauf, von wo sie die Insel in ihrer ganzen Ausdehnung überblicken konnten. Sie hatte eine ovale Gestalt, die einer Schildkröte nicht unähnlich aussah, deren Schweif das Vorgebirge bildete. Theilweise von fruchtbarer Erde bedeckt, hatte sie keine madreporische Formation wie die Koralleninseln in der Meerenge von Torres. Hier und da leuchtete das Grün zwischen den Granitfelsen, das aber mehr von Moos als von Gras, mehr von Steinen als Wurzeln, mehr von Gestrüpp als Strauchwerk herrührte. Woher kam denn dieser Bach? Wurde er vielleicht durch eine unterirdische Quelle gespeist? Das war nicht leicht zu erkennen, obwohl sie bis zu dem Mastsignale blicken konnten.

Von dem Felsen sahen sie nun nach allen Richtungen hin, ob sie nicht einen aufsteigenden Rauch oder ein menschliches Wesen erblicken könnten. Vergebens! Die Insel konnte wohl einmal bewohnt gewesen sein, aber sie war es nicht mehr.

»Ein trauriger Zufluchtsort für Schiffbrüchige! sagte der Capitän Ellis. Wenn sie sich hier haben lange aufhalten müssen, so möchte ich wohl wissen, wovon sie gelebt haben!

– Ja, erwiderte Zach Fren, es ist nur ein ödes Plateau. Hier und da einige Bäume... Der Felsen ist kaum mit fruchtbarer Erde bedeckt... Aber es ist doch nicht zu verschmähen, wenn man Schiffbruch gelitten hat!... Ein Stück Felsen unter den Füßen ist immer noch besser als zu ertrinken!

– Für den ersten Augenblick schon, erwiderte der Capitän, später dann...

– Uebrigens ist es möglich, daß die Schiffbrüchigen, die sich auf diese Insel gerettet hatten, von irgend einem Schiffe aufgenommen worden sind...

– Wie es auch möglich ist, daß sie den Entbehrungen unterlegen sind...

– Was bringt Sie auf diesen Gedanken, Herr Capitän?

[148] – Weil sie doch sicher das Mastsignal entfernt hätten, wenn sie auf diese oder jene Weise die Insel verlassen haben würden. Es ist auch zu befürchten, daß der letzte dieser Unglücklichen gestorben ist, bevor man ihm Hilfe bringen konnte. Nun, gehen wir auf diesen Mast zu; vielleicht finden wir ein Anzeichen über die Nationalität des Schiffes, das in diesen Graden gescheitert ist.«

Die Seeleute stiegen nun den Felsen wieder hinab und gingen auf das Vorgebirge zu, das sich gegen Norden ausdehnte. Aber kaum waren sie weiter gegangen, als einer von ihnen mit dem Fuße an einen Gegenstand stieß.

»Da... was ist denn das?... rief er.

– Gieb her!« erwiderte Zach Fren.

Es war eine Messerklinge nach Art jener, welche die Matrosen in ihrem Gürtel in einem ledernen Futteral tragen. Diese Klinge mochte vom Griff abgebrochen und als unnütz weggeworfen worden sein.

»Nun? fragte der Capitän.

– Ich suchte nach einer Fabriksmarke,« erwiderte Zach Fren.

Die Klinge mochte auch eine solche Marke haben, aber sie war so verrostet, daß sie zuerst abgekratzt werden mußte. Dies that nun Zach Fren und er konnte, wenn auch mit Mühe, die Worte »Sheffield – England« lesen.

So war also die Klinge englisches Fabrikat, aber daraus zu schließen, daß die Schiffbrüchigen der Insel Browse Engländer waren, wäre zu gewagt gewesen. Warum hätte dieses Instrument nicht auch einem Matrosen einer anderen Nationalität gehören können, da die Erzeugnisse von Sheffield ja in der ganzen Welt verbreitet sind? Nur wenn man noch andere Gegenstände fände, konnte diese Hypothese zur Gewißheit werden.

Die Seeleute setzten nun ihren Weg gegen das Vorgebirge fort, der aus Mangel eines jeden Pfades ziemlich beschwerlich war. Nach einem Marsche von ungefähr zwei Meilen blieb der Capitän Ellis bei einer Gruppe von Cocosbäumen stehen, deren Nüsse vor langer Zeit herabgefallen und nur noch Staub und Moder waren. Bis jetzt war noch nichts weiter gefunden worden, aber einige Schritte von diesen Bäumen entfernt, konnte man deutlich einige Spuren von Bebauung in den mit Gestrüpp ausgefüllten Furchen bemerken. Unter dem dichten Gestrüpp fand ein Matrose eine Hacke, die nach der Bearbeitung des Eisens, das mit dickem Roste überzogen war, wohl amerikanisches Fabrikat sein konnte.

»Was denken Sie davon, Capitän? fragte Zach Fren.

[149] – Ich denke, daß sich jetzt gar nichts darüber sagen läßt, erwiderte dieser.

– Gut, gehen wir weiter,« versetzte Zach Fren, indem er den übrigen Matrosen ein Zeichen gab.

Sie stiegen nun die Abhänge des Plateaus hinab und kamen auf eine Ebene, an der sich nördlich das Vorgebirge anschloß. Dieser Platz war ungefähr einen Acker groß, sandig und von Felsen umgeben. Hier lagen nun verschiedene Gegenstände herum, ein Zeichen, daß Menschen sich daselbst länger aufgehalten hatten, so Glas- und Thonstücke, Conservenbüchsen, deren amerikanisches Fabrikat nicht bezweifelt werden konnte, dann verschiedene andere Werkzeuge, die bei der Marine verwendet wurden: Stücke von Ketten, gebrochene Ringe, eine Spritzenspitze, Eisenblechstücke, über deren Herkunft die Matrosen sich kaum mehr täuschen konnten.

»Das ist kein englisches Schiff, welches hier gescheitert ist, sagte der Capitän Ellis, das ist ein Schiff der Vereinigten Staaten...

– Und man könnte behaupten, daß es in einem unserer Häfen des Stillen Oceans erbaut worden ist,« antwortete Zach Fren, dessen Meinung auch die anderen beiden Matrosen theilten.

Aber nichts konnte noch zu dem Glauben führen, daß dieses Schiff der »Franklin« gewesen war.

In jedem Falle drängte sich die Frage auf, ob dieses Schiff auf hoher See gescheitert wäre, da sich keine Trümmer von demselben vorfanden, und ob die Bemannung sich auf Booten auf diese Insel retten konnte.

Nein! Der Capitän fand bald den Beweis, daß das Schiff an den Klippen der Insel selbst gescheitert war. In einer kleinen Bucht, umgeben von spitzigen Felsen und Korallenriffen, erblickte man den Rumpf eines Schiffes, an welches die Wogen mit furchtbarer Gewalt anschlugen. Nicht ohne tiefe Bewegung sahen die Seeleute auf diese Reste hin. Es war nicht ein Stück mehr ganz und man konnte sich leicht vorstellen, daß das Schiff an diese Felsen geworfen worden war.

»Suchen wir, sagte der Capitän, vielleicht finden wir einen Namen, einen Buchstaben, ein Zeichen, welches uns die Nationalität des Schiffes erkennen läßt.

– Ja, und gebe Gott, daß es nicht der »Franklin« ist, der so furchtbar zugerichtet erscheint,« erwiderte Zach Fren.

[150] Aber existirte wirklich ein solches Zeichen? Angenommen, der Theil der Schiffswand, worauf gewöhnlich der Name des Schiffes steht, war erhalten, konnten nicht die Buchstaben durch Regen und Meereswogen ganz verwischt sein?

Es zeigte sich jedoch nichts, und die Nachforschungen blieben erfolglos. Wenn wirklich einige von den gefundenen Gegenständen am Strande amerikanisches Fabrikat waren, konnte man da behaupten, daß sie dem »Franklin« gehörten?

Zugegeben, die Schiffbrüchigen hatten auf dieser Insel eine Zufluchtsstätte gefunden – was der aufgestellte Mast deutlich bewies – zugegeben, daß sie während einer unbestimmbaren Zeit dort gelebt hatten, so mußten sie sicher in einer Felsenhöhle, wahrscheinlich in der Nähe des Strandes, Schutz gesucht haben, um die Trümmer des Schiffes, die sich zwischen den Felsen aufgespeichert hatten, benutzen zu können.

Einer der Matrosen entdeckte auch bald diese Höhle, welche sich in einem ungeheuren Felsen befand. Der Capitän und Zach Fren wurden von dem Matrosen gerufen. Vielleicht enthielt diese Höhle das Geheimniß? Vielleicht enthüllte sie den Namen des Schiffes?

Vor dem schmalen Eingang erblickten sie die Ueberreste eines Feuers, dessen Rauch die Felsenwand geschwärzt hatte. Die Höhle selbst war ungefähr zehn Fuß hoch, zwanzig Fuß tief und fünfzehn Fuß breit, so daß bequem ein Dutzend Menschen darin wohnen konnten. Die Einrichtungsstücke bestanden aus einer Streu von trockenem Grase, bedeckt mit einem Stück Segel, einer Bank, die aus Schiffstrümmern gebaut zu sein schien, einem Tisch und mehreren Stühlen; außerdem aus einigen Tellern und blechernen Schüsseln, drei Gabeln, zwei Löffeln, einem Messer, drei Bechern; in einer Ecke ein Wasserbehälter; auf dem Tische stand eine Schiffslampe. Sonst lagen verschiedene Küchengegenstände umher, auf der Streu mehrere Kleider.

»Die Unglücklichen, rief Zach Fren aus, was müssen Sie auf dieser Insel gelitten haben?

– Sie konnten kaum etwas von ihrem Schiffe retten, erwiderte der Capitän, woraus man ersieht, mit welcher Heftigkeit das Schiff an die Küste geschleudert wurde. Alles wurde vernichtet. Wie konnten diese Armen leben?

– Ohne Zweifel säeten sie ein wenig Korn, hatten ein bischen gesalzenes Fleisch und Conserven, die sie bis auf die letzte Büchse geleert haben... Aber welches Leben, welche Leiden!

[151] – Höchstens durch den Fischfang konnten sie ihren Bedürfnissen noch genügen.«

Was nun die Frage anbelangt, ob diese Leute noch auf der Insel wären, so mußte sie wohl verneint werden; übrigens würde man ja die Ueberreste des letzten Ueberlebenden finden... Man durchsuchte sorgfältig die ganze Höhle, aber ohne Erfolg.


Sie stiegen nun die Abhänge des Plateaus hinab. (S. 150.)

»Das bringt mich zu dem Glauben, bemerkte Zach Fren, daß die Schiffbrüchigen heimgekehrt sind.

– Und auf welche Weise? fragte der Capitän. Konnten sie sich denn aus den Trümmern ihres Schiffes ein seetüchtiges Boot bauen?


»Die Unglücklichen!« rief Zach Fren aus. (S. 151.)

– Nein, denn sie hatten nicht einmal genug Holz für einen Kahn. Ich glaube eher, daß ihre Signale von einem vorüberfahrenden Schiffe bemerkt worden sind.

– Das glaube ich nicht.

– Und warum nicht, Herr Capitän?

– Weil, wenn sie ein Schiff aufgenommen haben [152] würde, sich dies in der ganzen Welt verbreitet hätte, vorausgesetzt, daß dieses Schiff nicht mit Mann und Maus untergegangen ist. Ich bezweifle daher, daß diese Schiffbrüchigen auf solche Weise gerettet worden sind.

[153] – Gut, sagte Zach Fren, der sich nicht leicht von seiner Meinung abbringen ließ, wenn es ihnen unmöglich war, eine Schaluppe zu bauen, so kann ihnen doch aus dem Schiffbruche ein Boot übrig geblieben sein und in diesem Falle...

– Nun, selbst in diesem Falle, erwiderte der Capitän, glaube ich, da man seit Jahren nichts gehört hat, daß in diesen Gegenden Schiffbrüchige aufgenommen worden wären, daß dieses Boot während seiner Fahrt von mehreren hundert Meilen zwischen der Insel Browse und der Küste Australiens zu Grunde gegangen ist.«

Es wäre schwer gewesen, darauf etwas zu erwidern. Zach Fren sah es ein, aber er wollte doch gern wissen, was aus den Schiffbrüchigen geworden sei, und er sagte:

»Herr Capitän, Sie haben doch die Absicht, alle Theile der Insel zu durchsuchen?

– Ja... um mir keine Gewissensbisse zu machen. Aber zuerst wollen wir diesen Signalmast niederlegen, damit er nicht mehr die vorüberfahrenden Schiffe herbeilockt, da doch Niemand zu retten ist.«

Die Seeleute verließen die Höhle und untersuchten noch einmal den Strand, dann gingen sie dem Vorgebirge zu. Sie mußten ein tiefes Becken, eine Art steinernen Teiches umgehen, in welchem sich das Regenwasser sammelte und dann weiter floß. Plötzlich blieb der Capitän stehen. An dieser Stelle zeigte der Boden vier Erhöhungen, und wahrscheinlich hätten diese keine Aufmerksamkeit erregt, wenn auf denselben nicht kleine hölzerne Kreuze, halb verfault, gestanden hätten. Das waren Gräber. Hier war der Friedhof der Schiffbrüchigen.

»Nun endlich, rief der Capitän aus, werden wir vielleicht etwas erfahren können!«

Es war sicher nicht Mangel an Achtung vor den Todten, als man beschloß, die Gräber zu öffnen, um vielleicht ein Anzeichen ihrer Nationalität zu finden.

Die zwei Matrosen machten sich sofort an die Arbeit. Aber es mußten seit der Bestattung dieser Leichen Jahre verflossen sein, denn die Gräber enthielten nur Knochen. Der Capitän ließ sie wieder zumachen und die Kreuze daraufsetzen.

Wenn die vier Menschen hier begraben wurden, was war denn aus dem geworden, der ihnen den letzten Liebesdienst erwiesen hatte? Und als ihn der [154] Tod erreichte, wo mag er zusammengebrochen sein? Würde man sein Skelet nicht auf einem andern Punkte der Insel finden?

Der Capitän hoffte es nicht.

»Es wird uns nicht gelingen, rief er aus, den Namen des Schiffes kennen zu lernen... Sollen wir denn nach San-Diego zurückkehren, ohne die Trümmer des »Franklin« gefunden zu haben, ohne zu wissen, was aus John Branican und seinen Gefährten geworden ist?

– Warum könnte das Schiff hier nicht der »Franklin« sein? fragte ein Matrose.

– Und warum könnte er es sein?« erwiderte Zach Feen.

In der That konnte nichts die Annahme rechtfertigen, daß die Schiffstrümmer an dieser Insel dem »Franklin« angehörten, und so schien denn auch die zweite Expedition keinen besseren Erfolg zu haben als die erste.

Der Capitän blickte schweigend auf die Gräber, wo die Armen mit dem Ende des Lebens auch das ihrer Leiden gefunden hatten. Waren das Landsleute, Amerikaner, wie er?... Waren das Diejenigen, welche sie suchten?

»Nach dem Signalmaste!« sagte er.

Zach Fren und seine Matrosen folgten ihm. Die halbe Meile, welche sie von diesem trennte, wurde in zwanzig Minuten zurückgelegt, denn der Boden war felsig. Als sie neben dem Maste standen, sahen sie, daß er tief in den Felsen eingerammt war. Nur deshalb konnte er so lange stehen. Wie man schon durch das Fernrohr erkannt hatte, rührte dieser Mast – die äußerste Spitze des Bugspriets – von den Trümmern des Schiffes her. Der Fetzen, der an demselben hing, war nur ein Stück Segeltuch, ohne jedes Anzeichen der Nationalität. Auf Befehl des Capitäns schickten sich die beiden Matrosen an, den Mast zu fällen, als Zach Fren plötzlich ausrief: »Herr Capitän... Da... da sehen Sie!

– Was denn?

– Diese Glocke!«

An einem noch ziemlich festen Gerüste hing eine Glocke, deren Metall ganz mit Rost überzogen war. So hatten sich die Schiffbrüchigen nicht allein damit begnügt, den Mast zu errichten und die Fahne daran zu befestigen, sondern sie hatten an diesen Ort auch die Schiffsglocke gebracht, da sie hofften, sie könnte von einem vorüberfahrenden Schiffe gehört werden. Doch trug denn diese Glocke nach dem allgemeinen Gebrauche nicht den Namen des Schiffes?

[155] Der Capitän trat auf das Gerüst zu, als er plötzlich erstarrt stehen blieb. Am Fuße desselben lagen die Reste eines Skelettes, oder, um besser zu sagen, ein Hause von Knochen, an denen nur noch einige Lumpen klebten. So waren also fünf Schiffbrüchige dagewesen. Vier waren gestorben und der fünfte war allein zurückgeblieben...

Dann hatte er eines Tages die Grotte verlassen, sich zur äußersten Spitze des Vorgebirges geschleppt, die Glocke geläutet, um sich einem Schiffe in der Ferne bemerkbar zu machen... er fiel aber wohl an diesem Platze nieder, um nicht mehr aufzustehen... Nachdem der Capitän den Matrosen befohlen hatte, ein Grab für die Gebeine auszuheben, gab er Zach Fren ein Zeichen, ihm zu folgen, um die Glocke zu prüfen..

Auf dem Metalle las man deutlich folgenden Namen und folgende Ziffern:


Franklin 1875.

15. Capitel
Fünfzehntes Capitel.
Ein Lebender.

Während der »Dolly-Hope« seine zweite Expedition durch die See von Timor unternahm und sie unter den geschilderten Umständen beendigte, brachten Mrs. Branican, ihre Freunde und die Familien der verschwundenen Mannschaft lange Wochen ängstlicher Erwartung zu. Wie viel Hoffnungen wurden dem von dem »Californian« aufgefischten Holzstücke beigelegt, das sicher dem »Franklin« gehörte! Würde es dem Capitän Ellis gelingen, die Trümmer des Schiffes auf einer der Inseln oder einem Punkte der australischen Küste zu finden? Würde er John Branican, Harry Felton und die zwölf eingeschifften Matrosen finden? Würde er endlich einen oder mehrere der Ueberlebenden nach San-Diego zurückbringen?

[156] Seit der Abfahrt des »Dolly-Hope« waren zwei Briefe des Capitäns eingetroffen. In dem ersten theilte er die vergebliche Durchforschung der Gewässer von Timor bis zu der äußersten Grenze des Meeres von Arafoura mit; in dem zweiten, daß die Inseln Melville und Bathurst besucht wurden, ohne die geringste Spur von dem »Franklin« zu finden. Zu gleicher Zeit wurde Mrs. Branican mitgetheilt, daß die Fahrt noch bis zu dem westlichen Theile von Australien durch die verschiedensten umliegenden Inselgruppen fortgesetzt werde. Dann würde, wenn auch die kleinen Sundainseln besucht worden wären, das Schiff wieder heimkehren und damit wäre jede Hoffnung geschwunden.

Seitdem traf monatelang kein weiteres Schreiben ein und nun hoffte man täglich in San-Diego, daß die Ankunft des Schiffes werde signalisirt werden. Unterdessen ging das Jahr 1882 vorüber. Obwohl Mrs. Branican keine weiteren Nachrichten von dem Capitän Ellis erhalten hatte, so beunruhigte sie sich doch nicht über das Schicksal des »Dolly-Hope«, weil die Postverbindungen, besonders im Stillen Ocean, sehr schlecht sind.

Als auch schon der Februar herankam, da fand denn auch Mr. William Andrew diese Expedition sehr lang dauernd. Jeden Tag begaben sich einige Personen auf die Islandspitze, indem sie hofften, das Schiff in Sicht zu bekommen, denn die Seeleute von San-Diego hätten es gleich an seinem Gange erkannt.

Am Morgen, den 27. März, erschien endlich der »Dolly-Hope« auf der Höhe und legte nach einer Stunde im Hafen von San-Diego an. Diese Neuigkeit hatte sich schnell in der Stadt verbreitet und die Leute eilten von allen Seiten dem Hafen zu.

Mrs. Branican, Mr. William Andrew und einige andere Freunde begaben sich sofort an Bord des »Dolly-Hope«. In einigen Augenblicken hatten sie Alle den Erfolg der Expedition erfahren: An der westlichen Grenze der See von Timor, auf der Insel Browse war der »Franklin« gescheitert... Hier hatten die Schiffbrüchigen einen Zufluchtsort gefunden... Hier waren sie gestorben...

»Alle? fragte Mrs. Branican.

– Alle!« erwiderte Ellis.

Die Bestürzung war eine allgemeine, als der »Dolly-Hope« mit halb gehißter Flagge – zum Zeichen der Trauer für die Schiffbrüchigen des »Franklin« – in die Bucht von San-Diego einfuhr.

[157] Die zweite Fahrt hatte ungefähr ein Jahr gedauert und trotz der Anstrengungen der Bemannung hatte sie keinen anderen Erfolg, als daß sie alle Hoffnungen zerstörte. In der kurzen Zeit, welche Mrs. Branican und Mr. William Andrew an Bord des Schiffes verweilten, theilte ihnen Ellis seine Erlebnisse auf der Insel Browse mit. Obgleich Mrs. Branican erfuhr, daß kein Zweifel über den Untergang Johns und seiner Gefährten bestehen konnte, so bewahrte sie doch ihre Fassung. Sie weinte keine Thräne, sie stellte keine Frage. Da die Trümmer des »Franklin« auf dieser Insel gefunden wurden und keiner der Schiffbrüchigen am Leben geblieben war, was hätte sie noch zu fragen gehabt? Man würde ihr die ganze Fahrt später näher beschreiben; nachdem sie den Capitän Ellis und Zach Fren die Hand gedrückt hatte, setzte sie sich auf das Hintertheil des Schiffes und versank in tiefes Nachdenken; trotz so vieler Beweise wollte sie es nicht glauben, daß sie Witwe sei.

Sie lud für Nachmittag den Capitän Ellis, Zach Fren und Mr. William Andrew in das Prospect-House ein, um einen ganz genauen Bericht über die Fahrt zu erhalten.

Als ein Boot Mrs. Branican wieder ans Land setzte, machte die dicht gedrängte Menge der schwer geprüften Frau ehrerbietigst Platz.

Gegen drei Uhr Nachmittags begaben sich Mr. William Andrew, Zach Fren und Ellis in das Prospect-House, wo sie sofort in den Salon geführt wurden, auf dessen Tisch eine große Karte der Gewässer von Nordaustralien ausgebreitet lag.

»Herr Capitän, sagte Dolly, ich bitte mir über Ihre Fahrt zu berichten.«

Und nun schilderte Ellis die ganze Reise, als wenn er sie aus dem Tagebuche läse, indem er nichts vergaß, nichts wegließ und sich manchmal an Zach Fren wendete, damit dieser seine Worte bestätige. Als er nun auf die Insel Browse zu sprechen kam, da mußte er Alles erzählen, was von Stunde zu Stunde, von Minute zu Minute vorgefallen war; und Mrs. Branican, stets unbeweglich und nur leicht mit den Händen zitternd, sah Alles vor ihren Augen, als wenn sie es selbst erlebt hätte: Die Landung des Capitäns und seiner Leute, die Besteigung des Felsens, die Auffindung der Messerklinge, die Spuren des Feldbaues, die Schiffstrümmer an den Klippen, die Höhle, welche die Ueberlebenden bewohnt hatten, die Entdeckung der vier Gräber, das Skelet des letzten dieser Unglücklichen am Fuße des Signalmastes, die Alarmglocke... in diesem Augenblicke erhob sich Dolly, als wenn sie diese Glocke in ihrem einsamen Hause gehört hätte...

[158] Der Capitän Ellis nahm aus seiner Tasche ein Medaillon, das durch Nässe sehr gelitten hatte und reichte es ihr. Eine halb verwischte Photographie Dollys enthielt dies Medaillon, welches sie John bei der Abfahrt des »Franklin« gegeben hatte und das in einem dunklen Winkel der Höhle gefunden wurde. Wenn dieses Medaillon bewies, daß John sich unter den fünf Schiffbrüchigen auf dieser Insel befand, folgte daraus, daß er auch einer jener war, die der Noth und den Entbehrungen zum Opfer gefallen waren?

Die Karte der australischen Meere lag ausgebreitet auf dem Tische, jene Karte, vor welcher Dolly seit sieben Jahren so oft die Erinnerung an John wachgerufen hatte. Sie ersuchte den Capitän, ihr die Insel Browse zu zeigen, jenen kaum sichtbaren Punkt, den die Wirbelstürme des Indischen Meeres umbrausen.

»Wäre man einige Jahre früher gekommen, fügte der Capitän hinzu, so hätte man vielleicht John und seine Gefährten noch lebend angetroffen...

– Ja, vielleicht, sagte Mr. William Andrew, und dorthin hätte der »Dolly-Hope« auf seiner ersten Reise fahren sollen!... Aber wer hätte glauben können, daß der »Franklin« auf einer Insel des Indischen Oceans scheitern würde?

– Das konnte man nicht, erwiderte der Capitän, nach der Route, welche er nehmen mußte, und er auch wirklich genommen hat, weil das Schiff im Süden der Insel Celebes gesehen worden ist... Der Capitän John, der seines Schiffes nicht mehr Herr war, wurde jedenfalls durch die Meerengen der Sundainseln in die See von Timor und bis zur Insel Browse getrieben.

– Ja, und so mag es sich auch verhalten, sagte Zach Fren.

– Herr Capitän, sagte dann Mrs. Branican, indem Sie den »Franklin« in dem malayischen Meere suchten, haben Sie gehandelt, wie Sie handeln mußten... aber Sie hätten zuerst zur Insel Browse fahren sollen... Ja!... dorthin!«

Dann betheiligte sie sich an dem Gespräche und wollte, gestützt auf gewisse Ziffern, noch einen Hoffnungsstrahl bewahren.

»An Bord des »Franklin«, sagte sie, befanden sich der Capitän John, der Obersteuermann Harry Felton und zwölf Matrosen. Sie haben auf der Insel die Ueberreste von vier Menschen gefunden und der letzte lag todt am Fuße des Signalmastes, was ist denn aus den anderen neun geworden?

– Das wissen wir nicht, erwiderte der Capitän.

[159] – Das weiß ich, erwiderte Mrs. Branican, aber ich frage Sie, was konnte aus ihnen werden?

– Vielleicht sind sie zugrunde gegangen, als der »Franklin« an die Klippen der Insel geworfen wurde.

– Sie glauben also, daß nur Fünf den Schiffbruch überlebt haben?

– Das ist unglücklicherweise die nächstliegende Erklärung, fügte Mr. William Andrew hinzu.

– Dieser Ansicht bin ich nicht, erwiderte Mrs. Branican. Warum hätte nicht die ganze Bemannung die Insel gesund erreichen können?... Warum hätte es neun von ihnen nicht gelingen können, sie zu verlassen?«

– Und auf welche Weise, Mrs. Branican? erwiderte lebhaft der Capitän.

– Indem sie sich auf einer Schaluppe einschifften, die sie sich aus den Trümmern des Schiffes erbauten...

– Mrs. Branican, versetzte Ellis, Zach Fren und ich können Ihnen sagen, daß das unmöglich gewesen wäre, da sich die Trümmer des Schiffes in einem elenden Zustande befanden.

– Aber... auf eines ihrer Boote.

– Die Boote des »Franklin« konnten, wenn sie nicht zerschmettert wurden, sich nicht bis nach den Küsten von Australien oder den Sundainseln wagen.

– Und wenn neun Schiffbrüchige die Insel verlassen konnten, bemerkte Mr. William Andrew, warum blieben die fünf anderen dort zurück?

– Dann will ich nur noch erwähnen, hub Ellis von neuem an, daß, wenn sie sich wirklich auf einem Boote aufs Meer gewagt haben, sie entweder untergegangen oder den Eingeborenen Australiens zum Opfer gefallen sind, weil sie nie zurückkehrten.«

Mrs. Branican wandte sich an den Hochbootsmann:

»Zach Fren, sagte sie, sind Sie ganz derselben Meinung wie der Capitän Ellis?

– Ich denke,... erwiderte Zach Fren, ich denke, daß, wenn die Dinge so sein konnten,... sie auch möglicherweise hätten anders sein können.

– Auch ich glaube, erwiderte Mrs. Branican, daß wir nicht die absolute Gewißheit über das Schicksal der neun Menschen haben, deren Ueberreste nicht auf der Insel gefunden worden sind. Was Sie und Ihre Mannschaft

[160] [163]anbelangt, Herr Capitän, so haben Sie Alles gethan, was ein Mensch zu thun im Stande ist.

– Ich hätte mir nur besseren Erfolg gewünscht, Mrs. Branican!

– Wir wollen uns zurückziehen, liebe Dolly, sagte Mr. William Andrew, da er glaubte, daß die Sitzung schon zu lange gedauert habe.


... las man deutlich folgenden Namen und folgende Jahreszahl: Franklin 1875. (S. 156)

– Ja, lieber Freund, erwiderte Mrs. Branican, ich fühle das Bedürfniß allein zu sein.... Aber so oft Capitän Ellis mich besuchen wird, werde ich glücklich sein, wenn ich mit ihm von John und seinen Gefährten werde sprechen können.

– Ich stehe stets zu Ihrer Verfügung, antwortete Ellis.

– Und auch Sie, Zach Fren, fügte Mrs. Branican hinzu, vergessen Sie nicht, daß mein Haus das Ihrige ist.

– Dasmeinige?... fragte der Hochbootsmann. Aber was soll aus »Dolly-Hope« werden?

– Der »Dolly-Hope«? sagte Mrs. Branican, als ob diese Frage ihr ganz unnöthig erschien.

– Sie werden doch nicht die Absicht haben, bemerkte Mr. William Andrew, ihn zu verkaufen, wenn sich eine Gelegenheit fände....

– Ihn zu verkaufen?... versetzte Mrs. Branican lebhaft, ihn zu verkaufen?... Nein, Herr Andrew, niemals!«

Mrs. Branican und Zach Fren sahen sich an und sie hatten sich verstanden.

Von jenem Tage an lebte Dolly sehr zurückgezogen im Prospect-House. wohin sie alle Dinge vom Schiffe bringen ließ, die man auf der Insel Browse gefunden hatte.

Der »Dolly-Hope« wurde nun abgetakelt und der Aufsicht Zach Fren's unterstellt. Die Bemannung wurde reichlich belohnt entlassen. Aber wenn jemals das Schiff wieder in See stechen sollte, so konnte man auf sie rechnen.

So oft Zach Fren in das Prospect-House kam, sprach Mrs. Branican über die Einzelheiten der letzten Fahrt mit ihm. Eines Tages sagte sie zu ihm:

»Zach Fren, weder John noch seine acht Gefährten sind todt!

– Die acht?... Das weiß ich nicht. Aber das weiß ich, daß Capitän John lebt.

– Ja... Er lebt! Aber wo ihn suchen, Zach Fren?... Wo ist mein armer John?

[163] – Er ist dort, wo er ist, und sicher irgendwo... Und wenn wir nicht zu ihm fahren... so werden wir doch von ihm Nachricht erhalten!... Ich sage nicht in einem frankirten Briefe... aber wir werden doch von ihm Nachricht erhalten!

– John lebt, Zach Fren!«

So hatten denn Mrs. Branican und Zach Fren immer noch Hoffnungen, die Mr. William Andrew, der Capitän Ellis und Jeder in San-Diego schon verloren hatten.

Das Jahr 1883 brachte nichts, was die Angelegenheit hätte in Fluß bringen können. Der Capitän Ellis war für sein Haus Andrew wieder in die See gestochen. Mr. William Andrew und Zach Fren waren die einzigen Besucher im Prospect-House. Was Mrs. Branican anbelangt, so widmete sie sich ganz dem Waisenhause Wat-House. Außerdem hörte sie nicht auf, die Armen zu unterstützen. Nicht Einer klopfte vergebens an ihre Thüre, und mit den bedeutenden Einkünften aus ihrem Vermögen, das Mr. William Andrew verwaltete, stand sie stets den armen Matrosenfamilien zur Seite, deren Angehörige sich auf dem »Franklin« befunden hatten. Hoffte sie nicht, daß einige von ihnen einmal zurückkehren würden?

Das bildete immer den Gegenstand des Gespräches mit Zach Fren. Welches Schicksal hatten die Schiffbrüchigen gehabt, von denen man keine Spur auf der Insel Browse gefunden hatte?... Warum hätten sie die Insel nicht auf einem Boote verlassen können, das sie sich gebaut hatten?... Freilich waren jetzt schon so viele Jahre verflossen, daß es thöricht erschien, noch weiter zu hoffen.

Dolly sah im Traume stets John... Er hatte sich aus dem Schiffbruche gerettet... Das Schiff, das ihn heimbringen sollte, war in Sicht... John war nach San-Diego zurückgekehrt... Diese Träume faßte Dolly immer wieder als ein Zeichen auf, daß Alles so kommen werde.

Es verflossen wieder einige Jahre und 1890 waren es schon vierzehn Jahre, daß der »Franklin« San-Diego verlassen hatte. Mrs. Branican war damals siebenunddreißig Jahre alt. Wenn auch ihr Haar schon zu bleichen begann und ihr Teint blässer wurde, so hatte doch ihr Auge das frühere Feuer bewahrt. Es schien, als habe sie nichts von jener Energie verloren, die ihr stets eigenthümlich war und die sie bei einer passenden Gelegenheit wieder beweisen sollte.

[164] In diesen langen Jahren, die kein Licht über die geheimnißvolle Katastrophe brachten, hatte Mrs. Branican nicht aufgehört, Nachforschungen nach Len und Jane Burker anzustellen. Da gar kein Brief nach San-Diego kam, so mußte Len Burker Amerika ganz verlassen haben und wohl unter falschem Namen in einem fernen Lande wohnen. Das war ein großer Schmerz für Mrs. Branican, denn wie glücklich wäre sie in ihrer Einsamkeit gewesen, wenn sie Jane bei sich gehabt hätte!... Jane wäre eine hingebende Gefährtin gewesen... Aber sie war weit weg und für Dolly ebenso verschollen wie John.

Die Hälfte des Jahres 1890 war schon verflossen, als eine Zeitung in San-Diego in ihrer Nummer vom 26. Juli eine Nachricht brachte, die eine ungeheuere Sensation auf beiden Continenten hervorrief. Diese Nachricht wurde aus dem »Morning Herald«, einer Zeitung in Sydney, abgedruckt und lautete ungefähr folgendermaßen:

»Man erinnert sich, daß die vor sieben Jahren angestellten Nachforschungen des »Dolly-Hope« nach dem »Franklin« aufgegeben wurden. Man mußte annehmen, daß alle Schiffbrüchigen umgekommen seien, entweder bevor sie die Insel Browse erreichten, oder, nachdem sie dieselbe verlassen hatten.

Jetzt ist die Frage in ein neues Stadium getreten. Einer der Officiere des »Franklin« ist soeben in Sydney angekommen, nämlich Harry Felton, der Steuermann des Capitäns John Branican. Er wurde an den Ufern des Parrn, einem Nebenflusse des Darling, nahe der Grenze des südlichen Neu-Südwales und Queensland gefunden und nach Sydney gebracht. Aber er ist so schwach, daß er keine Auskunft geben kann und man befürchtet täglich seinen Tod. Es wird gebeten, dies denen, die sich für die Katastrophe des »Franklin« interessiren, mitzutheilen.«

Mr. William Andrew erhielt diese Nachricht auf telegraphischem Wege und eilte sofort in das Prospect-House, wo sich gerade Zach Fren befand.

Als Mrs. Branican dies hörte, antwortete sie nur:

»Ich fahre nach Sydney.

– Nach Sydney?... fragte Mr. William Andrew.

– Ja, nach Sydney! Wollen Sie mich begleiten, Zach Fren?

– Ich gehe überallhin mit, Mrs. Branican.

– Ist der »Dolly-Hope« segelfertig?

– Nein, erwiderte Mr. William Andrew, und man brauchte drei Wochen.

[165] – Ich muß in weniger als drei Wochen in Sydney sein! Fährt kein Postdampfer nach Australien?

– Der »Oregon« verläßt noch heute Nacht San-Francisco.

– Zach Fren und ich werden heute Abend in San-Francisco sein.

– Liebe Dolly, sagte Mr. William Andrew, möge Gott Sie mit Ihrem John vereinigen!

– Er wird uns vereinigen!« erwiderte Mrs. Branican.

Um elf Uhr Abends fuhren Mrs. Branican und Zach Fren mit einem Extrazuge nach der Hauptstadt Californiens

Um ein Uhr Nachts verließ der »Oregon« San-Francisco in der Richtung nach Sydney.

16. Capitel
Sechzehntes Capitel.
Harry Felton.

Der Dampfer »Oregon« fuhr mit der Schnelligkeit von siebzehn Knoten in der Stunde und wurde durch prachtvolles Wetter begünstigt – eine nicht ungewöhnliche Erscheinung in diesem Theile des Stillen Oceans, besonders um diese Jahreszeit. Das tüchtige Schiff schien gleichsam die Ungeduld der Mrs. Branican und Zach Fren's zu theilen. Es ist selbstverständlich, daß die Passagiere, die Officiere und die Mannschaft dieser energischen und so tapferen Frau die größten Sympathien entgegenbrachten.

Als sich der »Oregon« in 33 Grad 51 Minuten südlicher Breite und 148 Grad 40 Minuten östlicher Länge befand, signalisirten die Wachen Land. Am 15. August fuhr er nach einer Fahrt von neunzehn Tagen, auf der siebentausend Meilen zurückgelegt wurden, in die Bai von Port-Jackson, dessen Felsen gleichsam ein offenes Thor gegen das Meer zu bilden. Dann glitt das Schiff an den kleinen Golfen, die mit Villen und Häusern besäet sind, vorüber und kam nach Darling-Harbour, dem eigentlichen Hafen von Sydney, an dessen Quai es anlegte.

[166] Als erster stieg ein Zollbeamter an Bord des Schiffes.

»Lebt Harry Felton? fragte Mrs. Branican.

– Er lebt,« erwiderte dieser Beamte, der ahnte, daß er Mrs. Branican vor sich hatte.

Wußte nicht ganz Sydney, daß sich diese muthige Frau auf dem »Oregon« eingeschifft hatte, und erwartete sie nicht die ganze Stadt mit der größten Ungeduld?

»Wo ist Harry Felton?

– Im Seehospiz.«

Mrs. Branican und Zach Fren schifften sich sogleich aus und die Menge begrüßte sie mit jener Ehrerbietung, die man ihr in San-Diego entgegenbrachte und überall auf der Erde entgegengebracht hätte.

Ein Wagen brachte sie zu dem Seehospiz, wo sie von dem diensthabenden Arzte empfangen wurden.

»Hat Harry Felton sprechen können?... Ist er bei Bewußtsein?... fragte Mrs. Branican.

– Nein, Mistreß, erwiderte der Arzt. Der Unglückliche ist noch nicht zu sich gekommen... Er kann wahrscheinlich nicht sprechen... Sein Leben kann stündlich erlöschen...

– Harry Felton darf nicht sterben! sagte Mrs. Branican. Er allein weiß, ob Capitän John, ob einige seiner Gefährten noch leben!... Er allein kann sagen, wo sie sind!... Ich bin wegen Harry Felton's hergekommen... um ihn zu hören...

– Mistreß, ich führe Sie sofort zu ihm,« erwiderte der Arzt.

In einigen Augenblicken befanden sie sich in dem Zimmer Harry Felton's.

Vor sechs Monaten durchzogen Reisende die Provinz Ulakarra in Neu-Südwales, an der südlichen Grenze von Queensland, und bemerkten, als sie an das linke Ufer des Parrn kamen, einen Mann an einem Baume liegen. Mit einigen Lumpen bedeckt, von Entbehrungen erschöpft und durch Anstrengungen gebrochen, konnte dieser Mensch nicht zum Bewußtsein gebracht werden; wenn sich nicht das Officierspatent in seiner Tasche vorgefunden hätte, so würde man nicht gewußt haben, wer der Unglückliche war.

Es war Harry Felton, der zweite Officier des »Franklin«.

Woher kam er? Aus welchem fernen, unbekannten Theile Australiens? Seit wann irrte er in diesen furchtbaren Einöden umher? Hatten ihn die Eingeborenen[167] gefangen genommen und konnte er nicht entfliehen? Wo hatte er seine Gefährten zurückgelassen? Er wird doch nicht der einzig Ueberlebende der seit vierzehn Jahren Verschollenen sein?... Alle diese Fragen harrten jetzt noch der Lösung.

Es erregte ein allgemeines Interesse, zu erfahren, woher Harry Felton käme, sein Leben seit dem Schiffbruche des »Franklin« kennen zu lernen und endlich eine Beschreibung der Katastrophe zu vernehmen.


... fuhr er in die Bai von Fort Jackson. (S. 166.)

Harry Felton wurde zur nächsten Bahnstation Oxley gebracht und von hier nach Sydney geführt. Der »Morning Herald«, der vor allen anderen Zeitungen von seiner Ankunft Kenntniß erhielt, brachte einen Artikel über ihn, den wir schon oben wiedergegeben haben.


[168]
... und bemerkten einen Mann an einem Baume liegen. (S. 167.)

Jetzt stand Mrs. Branican neben Harry Felton, den sie freilich nicht erkannt haben würde. Er war damals sechsundvierzig Jahre alt und man hätte ihn für sechzig gehalten. Er war der einzige Mensch – fast ein Leichnam – der etwas über Capitän John und seine Gefährten sagen konnte.

Die sorgfältigste Pflege hatte bis zu diesem Tage den Zustand Harry Felton's nicht zu bessern vermocht, woran sicher die furchtbaren Entbehrungen[169] Schuld waren, die er wochenlang – wer weiß? – vielleicht jahrelang durch ganz Centralaustralien ertragen hatte. Der Lebensfunke, der in ihm noch glimmte, konnte jeden Augenblick erlöschen.

So lange er in dem Seehospize war, hatte er kaum die Augen geöffnet, ohne daß man wußte, ob er sich von dem Rechenschaft gebe, was um ihn vorging. Man labte ihn ein wenig, er schien es nicht zu bemerken. Es war daher zu befürchten, daß die furchtbaren Leiden seine geistigen Kräfte so zerstört haben möchten, daß er sich an nichts mehr erinnerte; und doch hing von ihm die Rettung der Anderen ab, wenn sie noch lebten.

Mrs. Branican setzte sich an das Bett und achtete auf jede Bewegung der Augenlider, auf jede Bewegung der Lippen, auf das geringste Lebenszeichen. Zach Fren stand neben ihr und suchte irgend einen Lichtstrahl seines Geistes zu erhaschen, wie der Schiffer in dem dichten Nebel den Leuchtthurm sucht.

Aber dieses Licht leuchtete weder an diesem Tage noch an den folgenden. Die Augenlider des Kranken blieben beharrlich geschlossen, und wenn Dolly sie hob, so sah sie nur einen starren Blick.

Aber weder sie noch Zach Fren verzweifelten.

»Wenn Harry Felton die Frau seines Capitäns er kennt, sagte Zach Fren, so wird er sich auch verständlich machen können, ohne zu sprechen.«

Ja, es war wichtig, daß er Mrs. Branican erkenne, und möglicherweise auch auf seinen Zustand von heilsamen Folgen. Man würde daher mit der größten Vorsicht vorgehen, während er sich an die Anwesenheit Dollys gewöhnen würde....

Er würde das durch Zeichen angeben können, wenn ihm auch die Zunge versagte.

Obgleich man Mrs. Branican rieth, sich nicht stets in diesem Krankenzimmer aufzuhalten, so wollte sie sich doch keine Stunde der Ruhe, keinen Augenblick in der frischen Luft gönnen.

»Harry Felton kann sterben, und wenn das letzte Wort sich seinen Lippen entringt, so muß ich dabei sein, um es hören!... Ich weiche nicht von ihm!«

Gegen Abend schien sich an Harry Felton eine kleine Besserung zu zeigen. Er schlug manchmal die Augen auf, aber sein Blick fiel nicht auf Mrs. Branican. Und doch beugte sie sich über ihn und nannte seinen Namen, nannte John... nannte San-Diego!... Würden all diese Namen ihn nicht an seine Gefährten [170] erinnern?... Ein Wort... nur ein einziges Wort sollte er sprechen: »Leben sie?... Sind sie am Leben?«

Alles, was Harry Felton leiden mußte, bevor er hierher kam, litt vielleicht auch John, sagte sich Dolly... Dann dachte sie, daß John unterwegs zusammengebrochen sei... Aber nein, John hatte Harry Felton nicht folgen können... Er war dort unten geblieben... mit den Anderen... Wo?... Bei einem Australierstamme?... Wie hieß dieser Stamm?... Nur Harry Felton konnte diese Fragen beantworten und es schien. daß sein Gedächtniß geschwunden sei, seine Lippen verlernt hätten zu sprechen.

In der Nacht nahm die Schwäche Harry Felton's zu. Seine Augen öffneten sich nicht mehr, seine Hände wurden kalt, wie wenn das wenige Leben, das noch in ihm wohnte, sich zum Herzen zöge. Sollte er denn sterben, ohne ein Wort gesprochen zu haben?... Dolly fiel es ein, daß auch sie die Erinnerung und den Geist mehrere Jahre lang verloren hatte!... Auch von ihr konnte man damals nichts erfahren, wie man jetzt von diesem Unglücklichen nichts erfahren konnte... nichts, das er doch nur allein wußte!

Am folgenden Tage wendete der Arzt, den der Zustand des Bewußtlosen sehr beunruhigte, die stärksten Mittel an, die aber keine Wirkung hervorbrachten. Es konnte mit ihm nicht. mehr lange dauern....

Dann zerfielen die ganzen Hoffnungen der Mrs. Branican in ein Nichts!... An Stelle des Lichtes, das die Rückkehr Harry Felton's in diese Katastrophe zu bringen versprach, trat wieder die Dunkelheit!... Wann würde es gelingen, dieselbe zu erhellen?... Dann wäre Alles, Alles verloren!

Dolly ließ die berühmtesten Aerzte der Stadt an das Krankenbett Harry Felton's rufen, aber sie erklärten sich nach sorgfältigster Prüfung seines Zustandes für machtlos.

»Sie können für diesen Unglücklichen gar nichts thun? fragte Mrs. Branican.

– Nein, geehrte Frau, versetzte einer der Aerzte.

– Nicht einmal eine Minute ihn zum Bewußtsein zu bringen... eine Minute der Erinnerung?«

Für diese eine Minute hätte Mrs. Branican ihr ganzes Vermögen hingegeben. Aber was dem Menschen nicht mehr möglich ist, das kann Gott. An ihn muß sich der Mensch wenden, wenn alle menschliche Hilfe vergebens ist.

[171] Sobald die Aerzte das Zimmer verlassen hatten, knieten Dolly und Zach Fren nieder und beteten an dem Bette des Sterbenden.

Plötzlich rief Zach Fren, der sich dem Kranken genähert hatte, um sich zu versichern, ob sich noch ein leiser Athem den Lippen Harry Felton's entringe:

»Mistreß!... Mistreß!«

Dolly, welche glaubte, er habe nur noch einen Leichnam gefunden, erhob sich:

»Todt? sagte sie leise.

– Nein... Mistreß... Nein!... Da!... Seine Augen sind offen!... Er sieht!...«

Und wirklich erglänzten unter den erhobenen Lidern die Augen Felton's in ungewöhnlichem Lichte; sein Gesicht war leicht geröthet, seine Hände bewegten sich. Er schien aus jenem Starrkrampfe zu erwachen, worin er so lange gelegen hatte. Dann fiel sein Blick auf Mrs. Branican und ein leises Lächeln umspielte seine Lippen.

»Er hat mich erkannt! rief Dolly aus.

– Ja!... erwiderte Zach Fren... Die Frau seines Capitäns steht neben ihm. Er weiß es... Er wird sprechen!...

– Und wenn er es nicht kann, so füge es Gott, daß er sich wenigstens verständlich machen kann!«

Sie nahm Harry Felton bei der Hand – sie fühlte einen leisen Druck der ihrigen...

»John?... John?«... fragte sie.

Eine Bewegung der Augen Harry Felton's zeigte, daß er sie gehört und verstanden hatte.

»Lebt er? fragte sie.

– Ja!«

So leise dieses Ja auch gesprochen wurde, sie hatte es doch gehört!

[172]
17. Capitel
Siebzehntes Capitel.
Ja und Nein.

Mrs. Branican ließ sofort den Arzt holen. Dieser aber erklärte trotz des veränderten Zustandes, der sich in der geistigen Kraft des Kranken bemerkbar machte, daß dies nur ein letztes Aufflackern des Lebens sei, daß der Tod herannahe. Der Sterbende schien nur Mrs. Branican zu sehen; weder Zach Fren noch dem Arzte schenkte er irgend welche Aufmerksamkeit. Alles, was von seiner geistigen Kraft noch übrig geblieben war, concentrirte sich auf die Frau seines Capitäns, auf Dolly Branican.

»Harry Felton, fragte sie, wenn John lebt, wo haben Sie ihn zurückgelassen?... Wo ist er?...«

Harry Felton antwortete nicht.

»Er kann nicht sprechen, sagte der Arzt, aber vielleicht können wir durch Zeichen von ihm eine Antwort erhalten.

– Schon seinem Blicke werde ich die Antwort ablesen können, erwiderte Mrs. Branican.

– Warten Sie, sagte Zach Fren. Die Fragen müssen ihm auf eine bestimmte Weise vorgelegt werden, wie wir Seeleute es thun. Lassen Sie mich nur machen.

Mrs. Branican möge Felton bei der Hand nehmen, und ihm in die Augen sehen. Ich werde ihn fragen... und er wird mit dem Blicke Ja oder Nein sagen. Das genügt uns schon!...«

Mrs. Branican beugte sich über Harry Felton und nahm ihn bei der Hand. Wenn Zach Fren ihn zuerst gefragt hätte, wo sich der Capitän befinde, so wäre es unmöglich gewesen, eine genügende Antwort zu erhalten, weil sie Harry Felton gezwungen hätte, den Namen eines Landes, einer Provinz oder eines Fleckens auszusprechen, was ihm nicht möglich gewesen wäre. Besser war es, allmählich die ganze Geschichte des »Franklin« abzufragen, und zwar von dem Tage an, wo er zum letztenmale gesehen wurde, bis zu dem, wo Harry Felton sich von John Branican trennte.

[173] »Felton, sagte Zach Fren mit klarer Stimme, neben Ihnen steht Mrs. Branican, die Frau John Branican's, des Commandanten des »Franklin«. Haben Sie sie erkannt?«

Die Lippen Harry Felton's bewegten sich nicht, aber eine leichte Bewegung seiner Augenlider, ein schwacher Druck seiner Hand gaben eine bejahende Antwort.

»Der »Franklin«, hub Zach Fren an, ist nirgends signalisirt worden, seitdem er im Süden der Insel Celebes gesehen worden ist... Sie verstehen mich?... Sie hören mich, nicht wahr, Felton?«

Der Blick gab wieder bejahende Antwort.

»Nun hören Sie mir zu! Je nachdem Sie die Augen öffnen oder schließen, werde ich wissen, ob das, was ich sage richtig ist oder nicht.«

Es war nicht zu bezweifeln, daß Harry Felton die Worte Zach Fren's verstanden hatte.

»Als der Capitän John das Javanische Meer verließ, nahm er den Weg in die See von Timor?

– Ja.

– Durch die Sunda-Meerenge?

– Ja.

– Freiwillig?«

Diese Frage wurde verneint, worüber man sich nicht täuschen konnte.

»Nein! sagte Zach Fren. So hatte auch er und Capitän Ellis es immer geglaubt.

– War dies während eines Sturmes? fragte Zach Fren.

– Ja.

– Ein Wirbelsturm hat Euch wahrscheinlich im Javanischen Meere überrascht?

– Ja.

– Und der hat Euch in die Sunda-Meerenge getrieben?

– Ja.

– Vielleicht war der »Franklin« arg zugerichtet, das Takelwerk zerstört, das Steuer gebrochen?

– Ja.«

Mrs. Branican sah Harry Felton fest an, ohne ein Wort zu sagen.

»Capitän John wußte nicht, wo er war? fuhr Zach Fren fort.

[174] – Nein.

– Und nachdem er mit der Zeit bis in die See von Timor getrieben worden war, scheiterte er an den Rissen der Insel Browse?«

Eine leichte Bewegung zeugte von der Ueberraschung Harry Felton's, der gewiß den Namen der Insel nicht kannte, auf welcher der »Franklin« gescheitert war Zach Fren fuhr fort:

»Als Sie San-Diego verließen, befanden sich an Bord der Capitän John, Harry Felton, zwölf Matrosen, im Ganzen vierzehn... Wart Ihr noch vierzehn nach dem Schiffbruche des »Franklin«?

– Nein.

– Einige sind wohl zu Grunde gegangen, als das Schiff an den Felsen zerschellte?

– Ja.

– Einer?... Zwei?«

Ein bejahendes Zeichen bestätigte die letzte Zahl.

In diesem Augenblicke wurde für einige Zeit auf den Rath des Arztes hin mit dem Fragen eingehalten, da dasselbe den Kranken sichtlich ermüdete.

Dann stellte Zach Fren Fragen, wie John, Harry Felton und ihre zehn Matrosen ihr Leben gefristet hätten. Ohne die Lebensmittel des Schiffes, die aus Conserven und Mehl bestanden, und an den Strand gebracht worden waren, ohne den Fischfang, der eines ihrer hauptsächlichsten Erhaltungsmittel bildete, wären sie Hungers gestorben.

Ihre Fahne, die an dem Signalmaste hing, wurde nie bemerkt, und doch konnten sie nur von einem vorüberfahrenden Schiffe gerettet werden. Als Zach Fren fragte:

»Wie lange habt Ihr auf der Insel Browse gelebt?... Ein Jahr... zwei Jahre... drei Jahre... vier Jahre... sechs Jahre?«

Harry Felton beantwortete die letzte Ziffer.

So hatten also Capitän John und seine Gefährten von 1875 bis 1881 auf dieser Insel gelebt.

Aber wie gelang es ihnen, sie zu verlassen? Das war einer der interessantesten Punkte, die Zach Fren fragte:

»Habt Ihr ein Boot aus den Trümmern des Schiffes bauen können?

– Nein.«

[175] Dieser Ansicht waren auch der Capitän und Zach Fren, als sie die Insel Browse durchsuchten.

Zach Fren war jetzt in Verlegenheit, wie er erfragen sollte, auf welche Weise es den Schiffbrüchigen gelungen war, die Insel zu verlassen.

»Sie sagen, fragte er, daß kein Schiff die Signale bemerkt hat?


»Lebt er?« fragte sie. (S. 172.)
– Nein.
– So ist vielleicht ein malayisches Boot oder eines der Eingeborenen von Australien gelandet?
[176] – Nein.
– So war es also eine Schaluppe – die Schaluppe eines Schiffes – die an die Insel geworfen wurde?

... wurde sie von einem Burschen angesprochen. (S. 182.)

– Ja.

– Eine verschlagene Schaluppe?

– Ja.«

Dieser Punkt war jetzt klar und Zach Fren konnte die natürlichen Folgen daraus ziehen.

[177] »Diese Schaluppe habt Ihr ausgebessert?

– Ja.

– Und der Capitän John hat sie benutzt, um an die nächste Küste zu gelangen?

– Ja.«

Aber warum hatten sich nicht Alle eingeschifft? Das war sehr wichtig.

»Ohne Zweifel war die Schaluppe zu klein, um zwölf Personen zu fassen?

– Ja.

– Und so sind sieben fortgefahren, Capitän John, Sie und fünf Matrosen?

– Ja.«

Man konnte deutlich in dem Blicke des Sterbenden lesen, daß es vielleicht noch möglich wäre, die Zurückgelassenen zu retten. Aber auf ein Zeichen Dollys stand Zach Fren davon ab, ihm zu sagen, daß die fünf Matrosen zugrunde gegangen wären. Nun wurde Harry Felton wieder einige Minuten Ruhe gelassen, während der er mit geschlossenen Augen dalag, die Hand der Mrs. Branican fortwährend drückend.

Dolly war jetzt mit ihren Gedanken auf der Insel Browse und sah Alles vor ihren Augen... Sie erblickte John, der Alles zur Rettung seiner Gefährten versuchte... Sie hörte ihn, sie sprach zu ihm, sie ermuthigte ihn, sie unternahm die Ueberfahrt mit ihm... Doch wo war diese Schaluppe gelandet?

Harry Felton schlug die Augen wieder auf und Zach Fren begann von neuem:

»So hatten Capitän John, Sie und fünf Matrosen die Insel Browse also verlassen?

– Ja.

– Und das Boot fuhr gegen Osten, um das nächste Land zu erreichen?

– Ja.

– War das Australien?

– Ja.

– Wurde es durch einen Sturm dahin verschlagen?

– Nein.

– Sie konnten in einer Bucht der Küste Australiens landen?

– Ja.

– Ohne Zweifel in der Nähe des Cap Lévêque?

[178] – Vielleicht im York-Sund?

– Ja.

– Fielen Sie beim Landen Eingebornen in die Hände?

– Ja.

– Und sie schleppten Euch fort?

– Ja.

– Alle?

– Nein.

– Einige wurden bei der Landung von den Eingebornen erschlagen?

– Ja.

– Einer... zwei... drei... vier?

– Ja.

– Ihr waret also nur drei, als die Australier Euch in das Innere des Landes schleppten?

– Ja.

– Der Capitän, Sie und einer der Matrosen?

– Ja.

– Ist dieser Matrose noch bei Capitän John?

– Nein.

– Ist er etwa gestorben?

– Ja.

– Schon längst?

– Ja.«

So waren also John und Harry Felton die einzigen Ueberlebenden des »Franklin«, und von diesen hatte Einer auch nur noch wenige Stunden zu leben.

Es war nicht leicht, von Harry Felton Auskunft über den Capitän John zu erhalten, die man doch möglichst genau erlangen mußte. Mehr als einmal mußte Zach Fren seine Fragen unterbrechen; wenn er sie wieder aufnahm, ließ ihn Mrs. Branican Frage um Frage stellen, um Alles zu erfahren, was sich seit den neun Jahren, d. h. von dem Tage an zugetragen hatte, wo der Capitän John und Harry Felton von den Eingebornen der Küste gefangen genommen wurden. Man erfuhr also, daß dies Nomaden waren... Die Gefangenen mußten sie auf ihren steten Zügen durch Dampierland begleiten, indem sie ein elendes Dasein fristeten... Warum hatten sie dieselben geschont?... Wollte[179] man für sie vielleicht von den englischen Behörden ein hohes Lösegeld erpressen? Ja, und dies schien aus den Antworten Harry Felton's hervorzugehen. Es handelte sich also nur um das Lösegeld, wenn es ihnen gelang, bis zu diesen Eingebornen vorzudringen. Einige andere Fragen ergaben, daß Capitän John und Harry Felton so gut bewacht wurden, daß sie im Verlaufe von neun Jahren keine Gelegenheit zur Flucht finden konnten.

Endlich bot sich ihnen eine günstige Gelegenheit. Die Gefangenen kamen über einen Ort überein, wo sie sich treffen wollten, um gemeinschaftlich zu fliehen; aber aus irgend einem, Harry Felton unbekannten Grunde war John verhindert, an dem festgesetzten Ort zu erscheinen. Harry Felton wartete mehrere Tage, und da er nicht allein fliehen wollte, so sachte er den Stamm wieder auf. Dieser hatte aber seinen Platz verlassen und war weitergezogen... Er war entschlossen, seinen Capitän zu befreien, wenn es ihm gelänge, eines der Dörfer im Innern zu erreichen; er irrte herum, verbarg sich, um nicht in die Hände der Eingebornen zu fallen, litt Hunger und Durst und furchtbare Strapazen... Durch sechs Monate war er so herumgeirrt, bis er schließlich ohnmächtig an dem Ufer des Parrn niedersank. Hier wurde er, wie wir wissen, gefunden, auf Grund seiner Papiere erkannt und nach Sydney gebracht, wo er auf so wunderbare Weise so lange lebte, bis er Alles sagen konnte, was man so viele Jahre vergebens zu erfahren gesucht hatte. So war denn der Capitän John am Leben, aber der Gefangene eines Nomadenstammes, welcher die Einöden des Dampierdurchzog.

Als nun Zach Fren verschiedene Stämme nannte, welche gewöhnlich in diesen Gegenden lebten, machte der Sterbende bei dem Namen Indas ein bejahendes Zeichen.

Zach Fren gelang es sogar zu erfahren, daß sich dieser Stamm während des Winters gewöhnlich an den Ufern des Fitz-Roy-River aufhalte, einem Zuflusse des Golfes von Lévêque, im Nordwesten von Australien.

»Dort müssen wir John suchen, sagte Mrs. Branican, dort werden wir ihn finden.«

Harry Felton verstand sie, denn sein Blick belebte sich bei dem Gedanken, daß der Capitän John doch gerettet werde... gerettet werde durch sie.

Harry Felton hatte nun Alles gesagt und er schloß die Augen. In welchen Zustand hatten diesen so muthigen und kräftigen Menschen die Strapazen, Entbehrungen und besonders der furchtbare Einfluß des australischen Klimas gebracht!... Und er mußte eben jetzt sterben, wo sein Elend gerade ein Ende hatte! Konnte dasselbe nicht auch dem Capitän John zustoßen, wenn er versucht hätte, durch die Einöden von Central-Australien zu entfliehen? Bedrohten nicht dieselben Gefahren diejenigen, welche den Stamm der Indas aufsuchen wollten?


Auf der andern Seite ging jener unbekannte junge Mann. (S. 182.)

Aber ein solcher Gedanke kam Mrs. Branican nicht in den Sinn, denn schon während der Ueberfahrt nach [180] Australien hatte sie eine neue Expedition ins Auge gefaßt und die Einzelheiten derselben durchdacht; es handelte sich nur darum, dieselbe zur Ausführung zu bringen.

[181] Harry Felton starb gegen neun Uhr Abends. Noch einmal rief ihn Dolly bei seinem Namen... Noch einmal hörte er sie... Seine Augenlider erhoben sich und seinen Lippen entrang sich endlich der Name: »John... John!«

Dann hob sich seine Brust – er hatte ausgerungen.

Als Mrs. Branican an diesem Abend das Hospiz verließ, wurde sie von einem Burschen angesprochen, der sie bei der Thür erwartete. Es war ein junger Matrose der Handelsmarine von dem Schiffe »Brisbane«, das den Postdienst an der Australischen Küste zwischen Sydney und Adelaïde besorgte.

»Mrs. Branican? sagte er mit gerührter Stimme.

– Was wünschen Sie, mein Kind? erwiderte Dolly.

– Ist Harry Felton gestorben?

– Ja, er ist todt.

– Und der Capitän John?

– Er lebt!... er lebt!

– Ich danke, Mrs. Branican,« erwiderte der Knabe.

Dolly hatte kaum sein Gesicht ordentlich gesehen, und er entfernte sich ohne zu sagen, wer er war, noch warum er diese Fragen gestellt hatte.

Am folgenden Tage fand das Begräbniß Harry Fel ton's statt, dem die Matrosen des Hafens und ein großer Theil der Bevölkerung von Sydney beiwohnte.

Mrs. Branican ging hinter dem Sarge, und neben ihr der treue Freund des Capitän John, ihr ergebener Gefährte.

Auf der anderen Seite ging jener unbekannte junge Mann, der dem Officier des »Franklin« ebenfalls die letzte Ehre erwies.


Ende des ersten Theiles. [182]

2. Theil

1. Capitel
Erstes Capitel.
Auf dem Schiffe.

Von dem Tage an, wo Lesseps den Isthmus von Suez durchbrach, konnte Afrika mit Recht eine Insel genannt werden; ebenso wird man nach Durchstechung[183] des Panamacanals von einer südamerikanischen und einer nordamerikanischen Insel sprechen, denn diese zwei ungeheuren Länder werden dann von allen Seiten von Wasser umgeben sein. Aber da sie wegen ihrer Ausdehnung immer Continente genannt werden, so ist es ganz logisch, diesen Namen auch Australien oder Neuholland beizulegen. Dieser Continent mißt in seiner größten Länge von Osten nach Westen dreitausendneunhundert Kilometer und in seiner größten Breite von Norden nach Süden dreitausendzweihundert Kilometer. Das ergiebt einen Flächeninhalt von vier Millionen achthundertdreißigtausend Quadratkilometern, also sieben Neuntel von Europa. Australien wird nach den neuesten Karten in sieben Provinzen getheilt: Im Osten, dem bevölkertsten Theile, Queensland mit der Hauptstadt Brisbane, Neu-Südwales mit der Hauptstadt Sydney, Victoria mit der Hauptstadt Melbourne.

In der Mitte Nordaustralien und Alexandraland ohne Hauptstadt, Südaustralien mit der Hauptstadt Adelaïde.

Im Westen Westaustralien mit der Hauptstadt Perth. Wir müssen noch hinzufügen, daß die Australier einen Bundesstaat zu gründen suchen, »die Republik«, welche die englische Regierung zu verhindern sacht; aber es dürfte einst der Tag kommen, wo die Trennung doch eintreten wird.

Wir werden bald sehen, in welch' gefährliche und wenig bekannte Provinzen Mrs. Branican die Expedition unternahm, um Capitän John wiederzufinden und ihn dem Stamme zu entreißen, der ihn seit neun Jahren gefangen hielt. Konnten die Indas ihn nicht nach der Entweichung Harry Felton's erschlagen haben? Mrs. Branican hatte die Absicht, von Sydney sobald wie möglich aufzubrechen und sie konnte dabei auf die Ergebenheit, die Einsicht und die reichen Erfahrungen Zach Fren's rechnen. Auf einer Karte von Australien wurde nun mit großer Genauigkeit der Weg festgesetzt, den die neue Unternehmung einschlagen sollte, und es wurden folgende Punkte bestimmt:

1. Eine Karawane wird auf Kosten der Mrs. Branican mit den besten Erforschungs- und Vertheidigungsmitteln und überhaupt nach allen Richtungen hin derart ausgerüstet, um einer Reise durch Mittelaustralien gewachsen zu sein.

2. Diese Karawane bricht in kurzer Zeit auf und begiebt sich auf den schnellsten Wegen zu Wasser oder zu Land bis zu dem Punkte, der den Verkehr zwischen Mittelaustralien und der Küste vermittelt.

Zuerst wurde beschlossen, die nordwestliche Küste zu besuchen, d. h. die Stelle des Dampierlandes, wo die Schiffbrüchigen des »Franklin« gelandet waren.

[184] Doch dieser Umweg hätte einen zu großen Zeitverlust herbeigeführt. Im Ganzen genommen würde man damit kaum sicherer jenen Nomadenstamm finden, der Alexandraland ebenso durchzog wie Westaustralien.

Man zog nun die Richtung in Erwägung, welche Harry Felton bei seiner Wanderung durch Centralaustralien einschlug. Wenn man auch diesen Weg nicht genau kannte so wurde er wenigstens durch die Stelle angedeutet, wo der Unglückliche gefunden wurde, nämlich das Ufer des Parrn an der Grenze von Queensland und Neu-Südwales, im Nordwesten dieser Provinz.


... blieb Dolly auf dem Verdeck des Hinterschiffes. (S. 187.)

[185] Seit dem Jahre 1770, wo der Capitän Cook Neu-Südwales entdeckte und im Namen des Königs von England in Besitz nahm, entwickelte sich der östliche Theil desselben ungemein. Jetzt fehlte nichts, was zur Größe und zum Reichthume eines Landes gehört: Straßen, Canäle, Eisenbahnen, Postverbindungen zu Wasser und zu Lande zwischen den einzelnen Städten und Provinzen.

Da nun Mrs. Branican in Sydney, dieser reichen Stadt, Alles fand, was zur Ausrüstung einer Karawane nothwendig war, so ließ sie sich durch die Vermittlung des Mr. William Andrew einen Credit bei der australischen Bank eröffnen. So konnte sie denn jetzt leicht Leute anwerben, Karren, Wagen, Reit-, Zug-und Saumthiere, kurz Alles kaufen, was für eine Expedition in Australien zu einer Reise von ungefähr zweitausend Meilen nothwendig war. Aber sollte Sydney als Ausgangspunkt der Expedition genommen werden?

Nach der Meinung des amerikanischen Consuls, der mit der Geographie von Australien sehr vertraut war, paßte Adelaïde, die Hauptstadt von Südaustralien, als Basis der Operation besser.

Da die telegraphischen Verbindungen von dieser Stadt bis in den Golf von Van-Diemen reichten, also vom Norden bis zum Süden, und auch ein Schienenstrang in dieser Richtung verlief, würden die Reisenden die entlegensten Gegenden viel rascher erreichen können. Welchen Weg sollte nun Mrs. Branican von Sydney nach Adelaïde einschlagen? Wenn eine ununterbrochene Bahn vorhanden gewesen wäre, so hätte kein Zweifel obgewaltet. Aber die Eisenbahn, welche den Murray an der Grenze der Provinz Victoria übersetzt, geht über Benalla nach Melbourne und zweigt von hier nach Adelaïde ab, aber sie geht nicht über die Station Horscham hinaus und von dort aus giebt es nur sehr schlechte Communicationsmittel.

So beschloß denn Mrs. Branican, nach Adelaïde auf dem Meere zu fahren. Das beanspruchte nur vier Tage, und wenn man die achtundvierzig Stunden dazurechnet, welche die Postschiffe in Melbourne verbringen, so war sie in sechs Tagen in der Hauptstadt von Südaustralien. Das Postschiff »Brisbane« sollte am Morgen des 27. August in Adelaïde anlangen.

Sie ließ zwei Cabinen reserviren und that die nöthigen Schritte, damit der Credit, welcher ihr von der Bank in Sydney eröffnet wurde, auf die von Adelaïde übertragen werde.

Mrs. Branican dachte in dem Hôtel, wo sie eine Wohnung genommen hatte, nur an John, von dem sie wußte, daß er lebte, und den sie retten sollte. Zach Fren, welcher einsah, daß es besser sei, die Frau jetzt allein zu lassen, [186] wollte einen Gang durch die Straßen von Sydney machen, um sich die Stadt anzusehen. Zuerst aber – und das konnte bei einem Seemann nicht in Verwunderung setzen – wollte er den »Brisbane« besuchen, um sich zu versichern, daß Mrs. Branican gut aufgehoben sei. Das Schiff war ganz danach gebaut, um den Anforderungen als Küstendampfer zu genügen. Als er die bestellte Cabine zu sehen wünschte, führte ihn ein junger Matrose hinein, dem er noch einige Anordnungen gab, um sie noch bequemer zu machen. In dem Augenblicke, als er das Schiff verlassen wollte, trat der Knabe auf ihn zu und fragte ihn mit bewegter Stimme:

»Ist es ganz sicher, daß Mrs. Branican sich morgen nach Adelaïde einschiffen wird?

– Ja, morgen, erwiderte Zach Fren.

– Auf dem »Brisbane«?

– Ja!

– Möchte sie doch den Capitän John finden!

– Wir werden unser Bestes thun.

– Davon bin ich überzeugt.

– Du bist auf dem »Brisbane«?

– Ja!

– Also auf Wiedersehen, mein Junge!«

Die letzten Stunden, welche Zach Fren in Sydney zubrachte, verwendete er zur Besichtigung der Sehenswürdigkeiten, denn diese älteste Hauptstadt Australiens verdient wegen ihres Reichthums an Schönheiten und ihrer prächtigen Lage den Ruf, welchen sie genießt.

Am Abend des folgenden Tages begaben sich Mrs. Branican und Zach Fren an Bord des Schiffes. In der ersten Stunde blieb Dolly auf dem Verdeck des Hintertheiles und sah träumerisch nach der Küste hinüber. In diesen Continent mußte sie also eindringen, dem John nicht hatte entrinnen können.

Seit vierzehn Jahren waren sie getrennt!

»Vierzehn Jahre,« murmelte sie.

Dann stieg sie in ihre Cajüte hinab und legte sich nieder. Am folgenden Tage war sie schon frühzeitig auf Deck, und auch Zach Fren befand sich schon oben. In diesem Augenblicke näherte sich ein Schiffsjunge schüchtern der Mrs. Branican und fragte sie im Namen des Capitäns, ob sie nicht etwas bedürfe.

»Nein, liebes Kind, erwiderte Dolly.

[187] – Ei, das ist ja der Bursche, der mir gestern die Cajüte gezeigt hat, sagte Zach Fren.

– Ja, Herr, ich bin es.

– Wie heißt Du?

– Ich heiße Godfrey.

– Nun, Godfrey, jetzt weißt Du es wohl bestimmt, daß Mrs. Branican auf Deinem Schiffe ist... und ich glaube, es wird Dich auch freuen.

– Ja, Herr, wie uns Alle an Bord. Ja, wir beten Alle, daß das Unternehmen der Mrs. Branican gelinge, daß sie den Capitän John auffinden möge.«

Indem Godfrey so sprach, sah er sie mit so viel Achtung und Begeisterung an, daß Dolly ganz gerührt war. Die Stimme dieses Schiffsjungen kam ihr bekannt vor.

»Mein Kind, hast Du mich nicht vor der Thür des Spitals in Sydney angesprochen?

– Das war ich.

– Du hast mich gefragt, ob der Capitän John noch lebe?

– Ja.

– Du gehörst also zu diesem Schiffe?

– Ja... seit einem Jahre. Aber so Gott will, werde ich es bald verlassen.«

Ohne Zweifel wollte er oder wagte er nichts mehr zu sagen und zog sich zurück, um dem Capitän zu melden, daß Mrs. Branican keinen Wunsch habe.

»Dieser Junge scheint Seemannsblut in seinen Adern zu haben, bemerkte Zach Fren. Das zeigt schon sein ganzes Aussehen... Dieser freie, klare, entschlossene Blick... Seine Stimme ist zu gleicher Zeit sanft und entschlossen.

– Seine Stimme!« murmelte Dolly.

Es schien ihr, als wenn sie John sprechen hörte, nur war das Organ ein wenig weicher. Aber noch mehr: Diese Züge erinnerten sie an John... an John, als er noch nicht dreißig Jahre alt war, und der »Franklin« ihn für so lange Zeit von ihr entführte.

»Sie sehen, Mrs. Branican, sagte Zach Fren, indem er sich seine großen Hände rieb, Engländer und Amerikaner, die ganze Welt bringt Ihnen Sympathie entge gen... Sie werden in Australien dieselbe Verehrung finden, wie in Amerika... Jeder hat denselben Wunsch, wie dieser junge Engländer.

– Ist es ein Engländer?« fragte sich Mrs. Branican tief gerührt.

[188] Da das Meer sehr ruhig war, hatten sie an diesem Tage eine herrliche Fahrt, so daß Dolly das Verdeck fast gar nicht verließ. Die übrigen Passagiere brachten ihr ein außerordentliches Interesse entgegen und wetteiferten, ihr Gesellschaft zu leisten. Sie wünschten diese Frau zu sehen, deren Unglück so viel Theilnahme erweckte, und die nicht aufhörte, so vielen Gefahren zu trotzen, so vielen Strapazen die Stirn zu bieten, nur um ihren Gatten zu retten, wenn die Vorsehung ihn am Leben gelassen hatte. Uebrigens hätte dies Niemand bezweifelt. Wie hätte man auch nicht ihre Zuversicht theilen sollen, wenn sie von ihren Plänen sprach, wenn ihr Auge aufleuchtete und sie mit voller Zuversicht hoffte, ihren Gatten zu retten.

Je länger die Ueberfahrt dauerte, desto weniger konnte sie ihre Blicke von Godfrey abwenden. Sein Gesicht, sein Gang, seine Haltung, Alles zog sie zu ihm. Dolly konnte Zach Fren nicht verbergen, daß sie zwischen John und Godfrey eine auffallende Aehnlichkeit finde. Auch Zach Fren sah mit großer Unruhe, welch tiefen Eindruck diese zufällige Aehnlichkeit auf sie machte, und er fürchtete nicht ohne Grund, daß sie sich dabei zu sehr an ihr verlorenes Kind erinnerte.

Doch Godfrey war nicht mehr in ihre Nähe gekommen, weil sein Dienst ihn stets auf dem Vordertheile des Schiffes beschäftigte und das Hinterdeck ausschließlich den Reisenden der ersten Classe zur Verfügung stand. Aber aus der Ferne hatten sich ihre Blicke schon oft begegnet und Dolly wollte ihn rufen... Ja! Godfrey wäre auf das geringste Zeichen sofort herbeigeeilt... Dolly gab dieses Zeichen nicht und Godfrey kam nicht. Als Zach Fren an jenem Abend Mrs. Branican in die Cajüte hinabführte, sagte sie zu ihm:

»Zach, ich muß wissen, wer dieser junge Matrose ist... aus welcher Familie er stammt... seinen Geburtsort... Vielleicht ist er kein Engländer...

– Das ist möglich, Mistreß, antwortete Zach Fren. Er kann auch ein Amerikaner sein. Wenn Sie es wünschen, werde ich bei dem Capitän Erkundigungen einziehen...

– Nein, nein, Zach, ich werde Godfrey selbst fragen.«

Dann hörte er, wie sie leise sagte:

»Mein Kind, mein armer kleiner Wat, wäre jetzt gerade so alt!

– Das fürchtete ich eben,« sagte Zach Fren zu sich, indem er seine Cajüte aufsuchte.

Am folgenden Tage, den 22. August, fuhr man an der Küste von Gippland entlang, eine der hauptsächlichsten Provinzen der Colonie Victoria. Dann [189] schlug das Schiff eine südwestliche Richtung ein und fuhr um das Cap Wilson herum, dem äußersten Vorsprung des Continentes gegen Süden. Hier war die Küste weniger reich an Baien, Häfen und Caps.

Mrs. Branican verließ frühzeitig ihre Cabine und nahm ihren gewohnten Platz auf dem Hinterdeck ein; Zach Fren setzte sich neben sie und bemerkte, daß sie verändert war. Sie starrte in die Ferne, war nachdenklich und antwortete kaum auf die Fragen Zach Fren's. Die Hauptsache war, daß Dolly die eigenthümliche Aehnlichkeit Godfreys mit John vergessen habe, daß sie nicht mehr daran denke, ihn wieder zu sehen, ihn zu fragen. Es war möglich, daß sie darauf verzichtet hatte, daß ihre Gedanken eine andere Richtung eingeschlagen hatten, denn sie ersuchte Zach Fren nicht, ihr den jungen Mann herbeizurufen, der auf dem Verdeck zu thun hatte.

Nach dem Frühstück ging sie in ihre Cajüte hinab und kam erst in der vierten Stunde des Nachmittags wieder auf das Verdeck. Jetzt fuhr das Schiff eben mit vollem Dampfe gegen die Meerenge von Basse, welche Australien von Tasmanien oder Van-Diemensland trennt, und passirte dieselbe während der Nacht.

2. Capitel
Zweites Capitel.
Godfrey.

Der »Brisbane« durchschnitt die Meerenge von Basse. Im August dauert der Tag in jenen Breitegraden nur bis fünf Uhr und der Mond, der hinter den Wolken verschwand, verhinderte jeden Ausblick auf die Küsten des Continentes.

Am 23. August befand sich der »Brisbane« am Eingange der Bai von Port-Philipp, in deren Mitte die Schiffe nichts mehr von den Stürmen zu fürchten haben; aber sie müssen vorsichtig einfahren, besonders wenn die Richtung gegen die lange sandige Spitze von Nepean eingeschlagen wird. Die Bai selbst zerfällt in mehrere Häfen, wo die Schiffe ausgezeichnete Ankerplätze finden, so [190] zu Goelong, Sandrige, Williamstown. Die beiden letzteren bilden den Hafen von Melbourne. Die Küste gewährt hier einen traurigen, monotonen Anblick, da nirgends ein grüner Platz das Auge ergötzt. Der »Brisbane« legte an einem der Quais von Williamstown an, um einen Theil seiner Passagiere auszusetzen. Da man hier einen Aufenthalt von sechsunddreißig Stunden nahm, so beschloß Mrs. Branican, diese Zeit in Melbourne zuzubringen, obwohl sie erst in Adelaïde die Expedition vorbereiten wollte und in dieser Stadt nichts zu thun hatte. Warum verließ sie den »Brisbane«? Fürchtete sie, durch zu viele Besuche belästigt zu werden? Dem hätte sie einfach dadurch ausweichen können, daß sie sich in ihre Cabine zurückzog. Wenn sie in irgend einem Hôtel abstieg, würde sie doch sicher auch sofort erkannt und von Besuchern belästigt worden sein.

Zach Fren wußte sich diesen Entschluß nicht zu erklären. Ueberhaupt konnte er an ihr ein verändertes Wesen wahrnehmen, das sich besonders durch eine gewisse Zurückhaltung kundgab. Sollte sie die Anwesenheit Godfreys zu sehr an ihr Kind erinnert haben? Ja, und Zach Fren täuschte sich nicht. Der Anblick dieses jungen Mannes hatte sie so tief bewegt, daß sie sich nach der Einsamkeit sehnte. Wollte sie ihn fragen? Vielleicht, weil sie dies nicht am vorhergehenden Abende that, obwohl sie es gewünscht hatte. Aber wenn sie jetzt in Melbourne für diese paar Stunden aussteigen wollte, so that sie es nur, um diesen vierzehnjährigen Knaben zu fliehen, zu dem sie eine unerklärliche Macht hinzog. Warum zögerte sie, mit ihm zu sprechen, sich bei ihm nach Allem zu erkundigen, was sie interessirte, nämlich nach der Nationalität, seiner Herkunft, seiner Familie? Fürchtete sie – und das war sehr wahrscheinlich – daß seine Antworten alle die Hoffnungen zerstörten, die sie hegte und denen sie sich so hingab, daß ihre Aufregung Zach Fren auffiel?

Mrs. Branican schiffte sich mit Zach Fren aus; sobald sie die Schffisbrücke betrat, wendete sie sich um. Godfrey stand bei der Brüstung, sah ihr so traurig nach und machte eine so ausdrucksvolle Geberde, als wollte er sie zurückhalten; Dolly bemerkte es und wollte schon sagen: »Mein liebes Kind... ich komme wieder.«

Aber sie bemeisterte sich doch und gab Zach Fren ein Zeichen, ihr zu folgen; dann begaben sie sich nach dem Bahnhof, der den Verkehr mit der Stadt vermittelt. Melbourne liegt ungefähr zwei Kilometer am linken Ufer des Yarra-Yarra entfernt, eine Strecke, welche die Eisenbahnzüge in einigen Minuten zurücklegen Hier erhebt sich nun die Stadt mit ihren dreihunderttausend Einwohnern, [191] die Hauptstadt der Colonie Victoria, die ungefähr eine Million Bewohner hat, und auf die seit dem Jahre 1851 der Alexanderberg im wahren Sinne des Wortes sein ganzes Gold ausgeschüttet hat.

Obwohl Mrs. Branican in einem weniger besuchten Hôtel abstieg, so war sie doch der Gegenstand allgemeiner Neugierde. Sie zog es daher vor, in Begleitung Zach Fren's die herrliche Stadt zu besichtigen. Aber weder die Schönheit derselben, noch die prächtige Umgebung mit ihren zahlreichen Villen schien die kühne Amerikanerin zu interessiren; sie sah Alles gedankenlos an und unter dem Eindrucke einer fixen Idee, als wolle sie jeden Augenblick Zach Fren gegenüber einen Wunsch zu erkennen geben, den sie nicht auszusprechen wagte.

Beide kehrten bei Einbruch der Nacht in das Hôtel zurück. Dolly ließ in ihrem Zimmer serviren, aber sie rührte fast nichts an. Dann legte sie sich nieder und schlummerte ein, indem sie stets ihren Gatten und ihr Kind sah.

Am folgenden Tage blieb sie in ihrem Zimmer bis zwei Uhr Nachmittags. Sie schrieb in dieser Zeit einen langen Brief an Mr. William Andrew, in welchem sie ihm ihre Abreise von Sydney und ihre Ankunft in der Hauptstadt Südaustraliens mittheilte und einen guten Erfolg von der Expedition mit Bestimmtheit voraussagte. Als Mr. William Andrew diesen Brief las, da war er ebenso überrascht als beunruhigt, denn er bemerkte, daß Dolly nicht allein von der bestimmten Auffindung Johns sprach, sondern sie schrieb auch von ihrem Kinde, von ihrem kleinen Wat, in einer solchen Weise, als wäre er gar nicht todt. Der Mann mußte sich fragen, ob diese schwergeprüfte Frau nicht von neuem auf dem Punkte stehe, ihren Verstand zu verlieren.

Die Passagiere, welche nach Adelaïde fahren, hatten sich fast Alle eingeschifft, als Mrs. Branican und Zach Fren an Bord zurückkehrten. Godfrey erwartete mit Ungeduld ihre Ankunft, und als er sie erblickte, leuchtete sein Auge auf, seine Traurigkeit verschwand. Er stürzte der Schiffstreppe zu und stand dicht neben ihr, als die Frau herauf kam.

Zach Fren sah dies nicht gern und er runzelte die Stirn. Was hätte er darum gegeben, wenn dieser Knabe das Schiff verlassen hätte oder wenigstens Dolly nicht immer in den Weg gekommen wäre, da seine Anwesenheit doch die schmerzlichsten Erinnerungen wachrief!

Mrs. Branican erblickte Godfrey, blieb einen Augenblick stehen und sah ihn scharf an; dann stieg sie schweigend nach ihrer Cabine hinab.

[192] [195]Um drei Uhr Nachmittags lichtete der »Brisbane« die Anker und schlug die Richtung gegen Adelaïde ein, indem er wenigstens drei Meilen der Küste von Victoria entlang fuhr.

Es waren ungefähr hundert Passagiere an Bord, die meisten davon Bewohner des südlichen Australiens, die in ihre Heimat zurückkehrten. Doch befanden sich auch einige Fremde unter ihnen, z. B. ein Chinese von ungefähr dreißig bis fünfunddreißig Jahren, mit schläfrigem, citronengelbem Gesicht, fett wie ein Mandarin, obwohl er nur ein einfacher Diener war, dessen Herrn wir etwas näher ins Auge fassen müssen. Dieser war ein Engländer, aber ein Engländer, wie er im Buche steht. Groß, mager, mit blondem Barte, ebenso blondem Kopfhaar, kleinen, listigen Augen, einer spitzigen Nase von nicht ungewöhnlicher Länge und mit einem Schädel, auf dem ein Phrenolog sofort den größten Eigensinn entdeckt hätte – Eigenschaften, die jeden Blick auf sich ziehen und auch dem Ernstesten ein Lächeln abnöthigen.


Die übrigen Passagiere brachten ihr ein außerordentliches Interesse entgegen. (S. 189.)

Dieser Engländer war auch ganz nach der Sitte seines Landes gekleidet:

Er trug den bekannten Hut Albions, die Weste bis zum Kinn zugeknöpft, im Rocke große Taschen, die Hofe carrirt; an den Füßen Gamaschen und nägelbeschlagene Schuhe.

Wer war dieses Original? Man kannte ihn nicht, und auf den englischen Postdampfern kümmert sich Niemand um die Passagiere. Sie sind Reisende und als solche reisen sie eben. Der Kellner konnte nur sagen, daß dieser Engländer eine Cabine unter dem Namen Joshua Meritt – abgekürzt Jos Meritt – aus Liverpool – Diener Gîn-Ghi aus Hong-Kong (Himmlisches Reich) – bestellt habe.

Jos Meritt saß immer auf dem Hinterdeck und verließ dasselbe erst zum Lunch, wenn die Glocke vier Uhr schlug. Um halb fünf kam er wieder, ging um sieben Uhr zum Diner, erschien um acht Uhr und stieg um zehn Uhr in wohl abgemessenen Schritten, den Kopf weder rechts noch links drehend, steif nach der Cabine hinab.

Mrs. Branican begab sich eines Abends um neun Uhr auf das Verdeck, obwohl es ziemlich kühl war. Wollte sie dem Knaben begegnen, mit ihm sprechen, ihn fragen, von ihm erfahren... was erfahren? Da Godfrey aber bis zehn Uhr Dienst hatte und er die Wache erst um zwei Uhr Morgens wieder beziehen sollte, mußte Dolly enttäuscht und abgespannt ihre Cajüte wieder aufsuchen.

Um Mitternacht fuhr der »Brisbane« um das Cap Otway, den äußersten Punkt des Districtes Polwarth. Von hier aus schlug er eine nordwestliche [195] Richtung bis zur Höhe der Bucht von Discovery am 141. Längengrade ein, jener Linie, die Victoria und Neu-Südwales von den Ländern Südaustraliens trennt.

Am folgenden Morgen saß der Engländer wieder steif auf seinem gewohnten Platze; der Chinese schnarchte in einer Ecke. Zach Fren mußte wohl an die Gepflogenheiten dieser Leute gewöhnt sein, aber doch konnte er nicht ohne gewisses Erstaunen diesen so gelungenen Typus einer mechanischen Figur betrachten.

Wie groß war seine Ueberraschung, als er an diesem unbeweglichen Gentleman vorüberging und seinen Namen hörte!

»Hochbootsmann Zach Fren, nicht wahr?

– Ja! erwiderte Zach Fren.

– Der Begleiter der Mrs. Branican?

– Ganz richtig... Ich sehe, Sie wissen...

– Ich weiß... auf Suche nach ihrem Gatten... seit vierzehn Jahren verschollen... Gut!... O!... Sehr gut!

– Wie... sehr gut?

– Ja... Mrs. Branican... Sehr gut!... Ich auch... ich suche auch...

– Ihre Frau?

– O... nicht verheiratet!... Wenn ich meine Frau verloren hätte, so würde ich sie nicht suchen.

– Also warum?

– Um einen... Hut zu finden!

– Einen Hut... Sie haben Ihren Hut verlegt?

– Meinen Hut?... Nein!... Den Hut... Ich weiß schon!... Meine Empfehlung an Mrs. Branican... Gut!... O!... Sehr gut!«

Die Lippen Jos Meritt's schlossen sich und ließen keine Silbe mehr heraus.

»Das ist ein reiner Narr,« sagte Zach Fren für sich und ging weiter.

Als Dolly auf das Verdeck kam, ging Zach Fren auf sie zu und beide setzten sich dem Engländer gegenüber. Dieser rührte sich nicht mehr. Da er Zach Fren beauftragt hatte, Mrs. Branican seine Empfehlung darzubringen, hielt er es ohne Zweifel nicht mehr für nöthig, es noch selbst zu thun.

[196] Uebrigens bemerkte Dolly gar nicht diesen sonderbaren Passagier, denn sie hatte mit Zach Fren eine wichtige Unterredung über alle Vorbereitungen zu der Expedition, die sofort nach der Ankunft in Adelaïde in Angriff genommen werden sollte, um keinen Tag, keine Stunde zu verlieren. Es war nothwendig, daß die Expedition die Länder von Central-Australien wenn möglich schon durchzogen habe, bevor dieselben unter der ungeheuren Hitze der tropischen Zone trockengelegt waren.

Sie sprach von John und seiner unüberwindlichen Energie, spielte aber gar nicht auf Godfrey an, so daß Zach Fren schon glaubte, daß sie anderen Sinnes geworden sei, als sie plötzlich sagte:

»Ich habe heute den jungen Matrosen noch nicht gesehen... Haben Sie ihn gesehen, Zach?

– Nein, erwiderte dieser enttäuscht.

– Vielleicht könnte ich etwas für dieses Kind thun?«

Sie wollte von dem Knaben in gleichgiltigem Tone sprechen, aber Zach durchblickte sie.

»Für diesen Knaben? antwortete er. O, er hat eine ganz hübsche Stellung.... In einigen Jahren wird er Hochbootsmann sein...

– Da liegt nichts daran! Er interessirt mich... in einem Punkte... Aber auch die Aehnlichkeit, ja!... Diese auffallende Aehnlichkeit zwischen John und ihm... Und dann würde Wat... jetzt gerade so alt sein!«

Bei diesen Worten wurde Dolly bleich; ihre Stimme erzitterte und ihr Blick ruhte so fragend auf Zach Fren, daß dieser die Augen niederschlug.

Dann fuhr sie fort:

»Sie werden mir ihn am Nachmittag vorstellen, Zach... Vergessen Sie es nicht... Ich will mit ihm sprechen... Wir schiffen uns morgen aus... Wir werden ihn nie mehr sehen... und bevor ich den »Brisbane« verlasse... will ich wissen... ja, ich will wissen...«

Zach Fren mußte Dolly versprechen, ihr Godfrey vorzustellen; dann zog sie sich in ihre Cabine zurück.

Der Hochbootsmann ging beunruhigt auf dem Verdeck hin und her, bis der Kellner zum zweiten Frühstück läutete. Er wäre beinahe an den Engländer gestoßen, der auf das Glockenzeichen in rhythmischen Schritten der Treppe zuging.

[197] »Gut!... O!... Sehr gut! sagte Jos Meritt. Sie haben... auf meine Bitte... meine Huldigungen... Ihr Gatte verschwunden... Sehr gut!... Gut!... O!... Sehr gut!«

Dann ging er fort und nahm seinen gewöhnlichen Platz im Dining Room ein... versteht sich, den besten und den nächsten der Küche, um sich die besten und schönsten Stücke nehmen zu können.

Gegen drei Uhr fuhr der »Brisbane« am Cap Nelson vorüber und nahm dann die Richtung gegen Norden, indem er sich ziemlich nahe der Küste von Südaustralien hielt. In dieser Zeit setzte Zach Fren Godfrey in Kenntniß, daß Mrs. Branican mit ihm zu sprechen wünsche.

»Mit mir zu sprechen?« rief der Schiffsjunge.

Er gerieth darüber so in Aufregung, daß er sich an die Brüstung anklammern mußte, um nicht zu fallen. Godfrey wurde nun von Zach Fren in die Cabine der Mrs. Branican geführt.

Sie sah ihn einige Zeit an. Er stand vor ihr, die Mütze in der Hand. Zach Fren lehnte sich an die Thüre und betrachtete beide ängstlich, denn er wußte zwar, was Dolly fragen werde, es war ihm aber unbekannt, was der Bursche antworten würde.

»Mein Kind, sagte Mrs. Branican, ich möchte gern wissen... aus welcher Familie Sie stammen... Wenn ich danach frage... so geschieht es aus Interesse für Ihre Lage... Wollen Sie mir antworten?

– Sehr gern, Mistreß, erwiderte Godfrey mit zitternder Stimme.

– Wie alt sind Sie? fragte Dolly.

– Ich weiß es nicht genau, aber so zwischen vierzehn und fünfzehn Jahren.

– So... zwischen vierzehn und fünfzehn... und seit wann sind Sie auf dem Meere?

– Ich bin mit ungefähr acht Jahren als Schiffsjunge eingetreten, und seit zwei Jahren bin ich Matrose.

– Haben Sie große Reisen gemacht?

– Ja, Mistreß. Auf dem Stillen Ocean bis nach Asien... und auf dem Atlantischen Ocean bis nach Europa.

– Sind Sie ein Engländer?

– Nein, ich bin Amerikaner.

– Wie kommen Sie da auf ein englisches Dampfboot?

[198] – Das Schiff, auf dem ich war, wurde nach Sydney verkauft. Da ich nun ohne Stellung war, so ging ich auf dieses Schiff, indem ich auf eine Gelegenheit warte, wieder in die Dienste eines amerikanischen treten zu können.

– Gut, mein Kind, sagte Mrs. Branican, indem sie ihm ein Zeichen gab, näher zu treten. Godfrey gehorchte.

– Nun möchte ich wissen, wo Sie geboren sind.

– Zu San-Diego, Mistreß.

– Ja, zu San-Diego,« wiederholte Dolly, ohne überrascht zu sein, als wenn sie diese Antwort schon geahnt hätte.

Zach Fren konnte kaum erwarten, was er jetzt hören werde.

»Ja, zu San-Diego, wiederholte Godfrey. O, ich kenne Sie sehr gut... Ja, ich kenne Sie... Als ich erfuhr, daß Sie nach Sydney kämen, da freute ich mich... Wenn Sie wüßten, wie ich mich für den Capitän John Branican interessire!«

Dolly nahm den jungen Matrosen bei der Hand und schwieg. Dann fragte sie, woraus man deutlich ihre Zerstreuung ersehen konnte:

»Wie heißen Sie?

– Godfrey.

– Godfrey ist Ihr Taufname... Doch wie lautet Ihr Zuname?

– Ich habe keinen anderen Namen.

– Ihre Eltern?

– Ich habe keine Eltern.

– Keine Eltern, wiederholte sie. Sie sind erzogen worden...?

– Im Wat-House, erwiderte Godfrey. Ja, Mistreß, und unter Ihrer Leitung. O, ich habe Sie oft gesehen, wenn Sie Ihre Kinder im Hospiz besuchten. Sie sahen mich nicht unter den vielen Kleinen, aber ich sah Sie... Ich hätte Sie küssen mögen... Da ich zur See gehen wollte, so trat ich, als ich alt genug war, als Schiffsjunge ein... Auch andere Waisenkinder aus dem Wat-House sind zur See gegangen... Und wir werden nie vergessen, was wir der Mrs. Branican... unserer Mutter, schulden!...

– Ihre Mutter,« rief Dolly zitternd aus, wie wenn dieses Wort ihr ins Innerste gedrungen wäre.

Sie zog Godfrey an sich... sie bedeckte ihn mit Küssen... er küßte sie wieder... er weinte... Zwischen ihr und ihm war ein neues Band geknüpft worden.

[199] Bestürzt sah Zach Fren auf diese Scene und murmelte:

»Die arme Frau!... Die arme Frau!... Wohin soll das führen?«

Mrs. Branican erhob sich und sagte:

»Gehen Sie, Godfrey!... Gehen Sie, mein Kind!... Ich werde Sie wiedersehen... Ich muß jetzt allein sein.«


Um Mitternacht fuhr der »Brisbane« um das Cap Otway. (S. 191.)
Sie sah ihn noch einmal an, dann ging der Matrose fort.
Zach Fren wollte ihm folgen, als Dolly ihn durch eine Handbewegung zurückhielt.

»Hochbootsmann Zach Fren, nicht wahr? (S. 196.)

»Zach, sagte sie in abgebrochenen Worten, die von ihrer großen Aufregung zeugten, dieses Kind wurde mit den Findelkindern im Wat-House erzogen... Es wurde in San-Diego geboren... Es ist vierzehn bis fünfzehn Jahre alt... Zug für Zug gehören John. Seine entschlossene Haltung, seine freie Miene... seine Vor [200] liebe für das Meer... das ist der Sohn eines Seemannes... das ist der Sohn Johns... das ist mein Sohn...! Man glaubte, daß der Golf von San-Diego das arme kleine Wesen für immer verschlungen hätte... Aber er war nicht todt... man rettete ihn... seine Retter kannten [201] seine Mutter nicht... und seine Mutter war ich... ich, damals wahnsinnig... dieses Kind heißt nicht Godfrey... es heißt Wat... es ist mein Sohn!... Gott wollte mir ihn wiedergeben, bevor ich seinen Vater finde.«

Zach Fren hatte Mrs. Branican zugehört, ohne zu wagen, sie zu unterbrechen, denn er sah ein, daß die unglückliche Frau dem Scheine nach nicht anders sprechen konnte. Der brave Seemann glaubte, sein Herz müßte brechen, denn er hielt es für seine Pflicht, diese Illusionen zu zerstören, Dolly von jenem Abgrunde zurückzuhalten, der sich von neuem vor ihr öffnete. Dies that er auch ohne Zögern – fast grausam.

»Mrs. Branican, sagte er, Sie täuschen sich... Ich will nicht, ich kann es nicht zulassen, daß Sie so etwas glauben... Jene Aehnlichkeit ist nur zufällig... Ihr kleiner Wat ist todt... ja, todt... Er ist bei jenem Unfalle ertrunken, und Godfrey ist nicht Ihr Sohn...

– Wat ist todt, rief Mrs. Branican. Wer kann das behaupten?

– Ich, Mistreß.

– Sie?

– Eine Woche nach der Katastrophe wurde in dem Golfe eine Kindesleiche an den Strand der Lomaspitze geworfen... Ich habe sie selbst gefunden... Ich habe Mr. William Andrew benachrichtigt... Der kleine Wat wurde von ihm erkannt und auf dem Friedhofe von San-Diego begraben.

– Wat!... mein kleiner Wat... dort... auf dem Friedhof?... Und man sagte mir nie etwas davon?

– Nein, Mistreß, nein! erwiderte Zach Fren. Sie waren damals wahnsinnig, und als Sie nach vier Jahren wieder gesund wurden, fürchtete man... Mr. William Andrew befürchtete... wenn er Ihnen von neuem Schmerz bereitete... und er schwieg!... Aber Ihr Kind ist todt, und Godfrey kann nicht Ihr Sohn sein... er ist es nicht.«

Dolly sank auf das Sopha, ihre Augen schlossen sich, sie sah nichts mehr um sich als Finsterniß. Sie gab Zach Fren ein Zeichen, sie allein zu lassen.

Am Morgen des 26. August, als Mrs. Branican ihre Cabine noch nicht verlassen hatte, fuhr der »Brisbane« in den Golf von Saint-Vincent ein und warf im Hafen von Adelaïde Anker.

[202]
3. Capitel
Drittes Capitel.
Ein historischer Hut.

Von den drei Hauptstädten Australiens ist Sydney die älteste, Melbourne die folgende, Adelaïde die jüngste. In Wirklichkeit kann man behaupten, daß die letztere die schönste ist. Sie entstand im Jahre 1853 in Südaustralien, dessen politische Unabhängigkeit erst aus dem Jahre 1856 datirt. Es ist wahrscheinlich, daß Adelaïde sich rasch vergrößern wird, da sein Klima ein ungemein gesundes ist.

Mrs. Branican stieg in einem Hôtel der King William-Street ab. Die arme Mutter hatte soeben eine schwere Prüfung durchgemacht. Von dem Augenblicke an, wo ihre Hoffnung zerstört war, wollte sie den Knaben nicht wiedersehen und hatte nicht mehr mit ihm gesprochen. Sie erinnerte sich nur noch an seine überraschende Aehnlichkeit mit John.

Von nun an wollte sie sich ganz ihrem Werke hingeben und sich nur mit den Vorbereitungen zur Expedition beschäftigen. Sie war entschlossen, ihr ganzes Vermögen zu opfern, um die tüchtigsten Leute für diesen letzten Versuch zu begeistern.

Da diese Provinz eine Menge kühner Leute hat, die nach allen Richtungen hin vordringen und sich durch die Urwälder Bahn brechen, so konnte es nicht fehlen, daß ihrem Aufrufe zur Theilnahme an der Expedition von allen Seiten Folge geleistet wurde.

Man kam überein, daß der Sammelpunkt der Personen und aller Theile der Expedition nicht Adelaïde sei, sondern die Endstation der Eisenbahn gegen Norden, wodurch man Zeit gewann und Strapazen vorbeugte. Inmitten dieser culturreichen Districte würde man die nothwendige Zahl von Wagen, Thieren und Pferden finden. Es mußte für Alles gesorgt werden, was etwa vierzig Personen, die Dienerschaft und die kleine Schutzwache in jenen ungeheuren Steppen, die ohne Vegetation und ohne Wasser sind, bedurften.

Dolly fand eine mächtige Stütze in dem Gouverneur von Südaustralien, der ihr bei allen Vorbereitungen hilfreiche Hand leistete. Dank seiner Vermittlung nahmen einunddreißig wohlbewaffnete und wohlberittene Männer, theils Eingeborene, theils Colonisten, die Vorschläge der Mrs. Branican an. Sie versprach[203] ihnen für die Dauer der Expedition eine hohe Löhnung und eine Belohnung von hundert Pfund nach Beendigung derselben, mochte der Erfolg sein, wie er wolle. An ihrer Spitze stand ein ehemaliger Officier der Polizei, Tom Marix, ein kräftiger und entschlossener Mann von ungefähr vierzig Jahren, für den der Gouverneur garantirte.

Tom Marix hatte die tapfersten und verläßlichsten Leute aus den zahlreichen Bewerbern erwählt, so daß man bei den glänzenden Bedingungen auf ihre Ergebung rechnen konnte.

Der Troß stand unter dem Befehle Zach Fren's, der überhaupt der eigentliche Führer der Expedition war; die Seele des Ganzen war aber Mrs. Branican selbst.

Nach Vollendung der Vorbereitungen wurde festgesetzt, daß Zach Fren spätestens am 30. nach der Station Farina aufbrechen sollte, wo Mrs. Branican mit den Uebrigen zu ihm stoßen würde.

»Zach, sagte sie zu ihm, Sie bieten Alles auf, daß unsere Karawane sich in der ersten Woche des September in Bewegung setzen kann. Zahlen Sie Alles und scheuen Sie keine Kosten!

– Alles wird bereit sein, erwiderte er. Nach Ihrer Ankunft brauchen Sie nur den Befehl zum Aufbruche zu geben.«

Man kann sich leicht vorstellen, daß Zach Fren alle diese Befehle ausführte, und zwar so schnell, daß er schon am 29. August nach Farina fahren konnte. Dann setzte er Mrs. Branican telegraphisch in Kenntniß, daß ein Theil der Expedition bereits beisammen sei.

Dolly unterzog sich mit Unterstützung von Tom Marix der ihr zugefallenen Aufgabe mit großer Begeisterung. Die Pferde wurden erst nach der sorgfältigsten Prüfung gekauft, und die australische Race lieferte ausgezeichnete Exemplare, die gegen Ermüdung gefeit, an jede Strapaze gewöhnt waren. So lange sie durch Wälder und Ebenen zogen, würden sie sich nicht um ihre Ernährung zu sorgen brauchen, da hier Gras und Wasser in Fülle vorgefunden wird. Aber von der Station Alice-Spring aus begannen jene Sandwüsten, die einer Expedition in Central-Australien so gefährlich werden können.

Da Mrs. Branican jetzt ungemein viel zu thun hatte, dachte sie weniger an die Vorfälle auf dem »Brisbane«, und von jener Hoffnung, die Zach Fren durch seinen Bericht auf einmal vernichtet hatte, blieb ihr nur noch eine kleine Erinnerung. Sie wußte jetzt, daß ihr kleines Kind dort drüben in einer Ecke [204] des Friedhofes von San-Diego schlafe, daß sie auf seinem Grabe werde weinen können... und doch war die Aehnlichkeit eine so auffallende... und das Bild Godfreys und Johns verschmolz in ihrem Geiste stets in eines.

Seit der Ankunft des Postdampfers hatte Mrs. Branican den jungen Burschen nicht mehr wiedergesehen, und wenn dieser sie in den ersten Tagen nach ihrer Ausschiffung gesucht hatte, so wußte sie es einfach nicht. In jedem Falle schien es, als ob Godfrey nicht in das Hôtel der King William Street gekommen wäre. Was hatte er auch dort zu suchen? Nach der letzten Unterredung mit ihm hatte sich Dolly in ihre Cabine eingeschlossen und ihn nicht mehr zu sich ge rufen. Dolly wußte übrigens, daß der »Brisbane« nach Melbourne zurückgekehrt sei und sie nach seiner Wiederankunft nicht in Adelaïde sein würde.

Während Mrs. Branican ihre Vorbereitungen zur Expedition traf, beschäftigte sich eine andere Persönlichkeit mit nicht weniger Beharrlichkeit mit seiner Unternehmung. In dem Hôtel in der Hindley-Street logirten Jos Meritt und sein Diener, der Chinese Gîn-Ghi.

Woher kamen diese beiden Typen des äußersten Asiens und Europas? Wohin reisten sie? Was machten sie in Melbourne und was suchten sie in Adelaïde? Unter welchen Umständen hatten sich die beiden Menschen da – der eine der Herr, der andere der Diener – zusammengefunden, um die Welt zu durchreisen? Die Beantwortung wird sich aus einem Gespräche ergeben, das Jos Meritt und Gîn-Ghi am Abend des 5. September mit einander hatten.

Zuerst müssen wir noch den Chinesen näher ins Auge fassen. Wenn dieser Gîn-Ghi hieß, so verdiente er wirklich diesen Namen, denn das bedeutete so viel, wie »gleichgiltiger Mensch«. Er war gleichgiltig, und zwar in einem seltenen Grade, gegen jede Gefahr und jeden Befehl: Er hätte nicht zehn Schritte gethan, um einen Befehl auszuführen, nicht zwanzig, um einer Gefahr aus dem Wege zu gehen. Jos Meritt mußte schon eine starke Natur haben, um einen solchen Diener zu behalten; aber das kam wirklich nur auf die Gewohnheit an, denn beide reisten schon seit fünf oder sechs Jahren. Sie hatten sich zufällig in San-Francisco getroffen, wo die Chinesen wie die Ameisen herumlaufen, und der Engländer nahm den Mann nun, »auf Probe« wie er sagte, in seine Dienste, eine Probe, die wahrscheinlich bis zum Tode dauern würde. Nicht unerwähnt darf bleiben, daß Gîn-Ghi in Hong-Kong geboren war und das Englische wie ein Bewohner von Manchester sprach.

[205] Jos Meritt war Phlegmatiker durch und durch. Wenn er Gîn-Ghi auch mit den grausamsten Torturen bedrohte, die im Himmlischen Reiche nur in Gebrauch sind, so würde er ihm doch nicht einmal einen Nasenstüber versetzt haben. Wurden seine Befehle nicht aus geführt, gut, so führte er sie selbst aus, das war ganz einfach. Aber dieser Chinese mußte seinem Herrn überall folgen, wohin die Phantasie dieses Original trieb. Er hätte eher das Gepäck seines Bedienten auf den Schultern getragen, als Gîn-Ghi zurückgelassen, wenn der Zug oder das Schiff abfahren wollte. Der gleichgiltige Mensch folgte ihm auf Schritt und Tritt durch die Tausende von Meilen in der Alten und Neuen Welt, und so kam es denn auch, daß diese Beiden in die Hauptstadt von Südaustralien gelangten.

»Gut!... O!... Sehr gut! sagte an jenem Abend Jos Meritt. Ich glaube, unsere Dispositionen sind getroffen?«

Man kann sich zwar kaum erklären, warum er erst Gîn-Ghi danach fragte, da er doch Alles selbst vorbereiten mußte. Aber er unterließ solche Fragen nie, schon aus Princip.

»Zehntausendmal getroffen, erwiderte der Chinese, der sich gewisse Redensarten der Bewohner des Himmlischen Reiches nicht abgewöhnen konnte.

– Unsre Koffer?

– Sind gepackt.

– Unsre Waffen?

– Sind bereit.

– Unsre Lebensmittel?

– Die haben Sie ja selbst auf den Bahnhof getragen, Mr. Jos. Uebrigens ist es denn nothwendig, sich mit Lebensmitteln zu versehen... wenn man ja früher oder später persönlich aufgefressen werden kann...

– Aufgefressen werden, Gîn-Ghi?... O, sehr gut!... Sehr gut!... Du glaubst also, daß Du aufgefressen werden wirst?

– Freilich, früher oder später... Hat nicht vor sechs Wochen nur wenig daran gefehlt, daß wir unsere Reisen in dem Bauche eines Cannibalen abgeschlossen hätten... besonders ich!

– Du... Gîn-Ghi?

– Ja, weil ich so fett bin, während Sie, Mr. Jos, sehr mager sind, und diese Leute mir den Vorzug geben!

– Den Vorzug?... Gut!... O!... Sehr gut!

[206] – Und haben die Eingebornen von Australien nicht einen besonderen Geschmack für das gelbe Fleisch der Chinesen, das noch viel besser ist, als ihr Reis und ihr Gemüse?

– Deshalb habe ich Dir immer empfohlen zu rauchen, Gîn-Ghi, erwiderte der phlegmatische Engländer. Du weißt doch, daß die Menschenfresser das Fleisch der Raucher nicht lieben.«

Das that auch der vorsichtige »Himmlische«, indem er zwar nicht Opium, wohl aber Tabak rauchte, den ihm Jos Meritt reichlich lieferte. Da, wie es scheint, die Australier, wie ihre cannibalischen Mitbrüder andrer Länder, einen Ekel vor dem Fleische eines Rauchers haben, weil es mit Nicotin imprägnirt ist, so trachtete der Chinese danach, sich so weit wie möglich ungenießbar zu machen.

Aber war es denn wirklich wahr, daß er und sein Herr bei den Menschenfressern gewesen waren, und zwar nicht als Gäste? Ja, an der australischen Küste waren Beide nahe daran gewesen, auf so unmenschliche Weise ihr Dasein abzuschließen. Vor zehn Monaten fielen sie in Queensland den wildesten Stämmen der Cannibalen in die Hände und wären sicher gefressen worden, wenn die Polizei sie nicht zur rechten Zeit befreit hätte. Sie kamen daher wieder in die Hauptstadt von Queensland, dann nach Sydney, von wo sie der Postdampfer nach Adelaïde brachte. Aber dies hinderte die Beiden durchaus nicht, eine Reise in das centrale Australien anzutreten.

»Und dies Alles wegen eines Hutes! rief der Chinese. Ay ya... Ay ya!... Wenn ich daran denke, möchte ich bitterlich weinen!

– Wann wirst Du damit fertig sein... Gîn-Ghi? erwiderte Jos Meritt, die Stirne runzelnd.

– Aber wenn Sie jemals den Hut wiederfinden, so wird er doch nur noch ein Fetzen sein...

– Genug, Gîn-Ghi!... Genug!... Ich verbiete Dir, noch ein Wort über diesen Hut oder über etwas anderes zu verlieren!... Du verstehst mich?... Gut!... O!... Sehr gut!... Wenn das noch einmal vorkommt, werde ich Dir vierzig bis fünfzig Bambushiebe auftragen lassen!

– Wir sind nicht in China!

– Ich werde Dir nichts zu essen geben!

– Da werd' ich wenigstens mager werden.

– Ich werde Dir den Zopf abschneiden.

– Meinen Zopf abschneiden?

[207] – Werde Dir den Tabak entziehen!

– Gott Fô beschützt mich!

– Er wird Dich nicht beschützen!«

Vor dieser Drohung wurde Gîn-Ghi kleinlaut und unterwarf sich.

Um welchen Hut handelte es sich denn und warum jagte Jos Meritt sein ganzes Leben demselben nach?


Er stand vor ihr, die Mütze in der Hand. (S. 198.)

Dieses Original war, wie wir wissen, ein Engländer aus Liverpool, eines jener Exemplare, die sich nicht auf Großbritannien allein beschränken, sondern an der Loire, an der Elbe ebenso zu finden sind, wie in Schottland. Jos Meritt war sehr reich und wegen seiner Sammelwuth in Lancaster und in den benachbarten Grafschaften sehr bekannt.


Tom Marix, ein kräftiger und entschlossener Mann. (S. 204.)

Er sammelte aber keine Gemälde, Bücher oder Kunstgegenstände, sondern Hüte, und zwar jede menschliche Kopfbedeckung, wie Mützen, Hauben, Kappen, breit- und schmalränderige Hüte, Cylinder, Fez, Käp [208] pis, Mitren, Helme u. s. w. Er besaß schon ein ganzes Museum solcher historischer Kopfbedeckungen: So den Helm des Patrokles, als er von Hektor bei der Belagerung von Troja erschlagen wurde, den des Themistokles aus der [209] Schlacht von Salamis, den Hut Cäsar's, den ein Windstoß in den Rubicon getrieben hatte, die Haube der Lucrezia Borgia, den Hut Tamerlan's, als er den Sind überschritt, den des Gengis Khan, als er Boukhara und Samarkand zerstören ließ, das Häubchen der Königin Elisabeth, das der Maria Stuart, als sie aus dem Schlosse Lockleven entfloh, das der Katharina II., als sie in Moskau war, das Käppchen Peter des Großen, als er mit den Zimmerleuten in Saardam arbeitete, den Hut Marlborough's aus der Schlacht von Ramilies, den des dänischen Königs Oläus, der zu Sticklestad ermordet wurde, den Hut Geßler's, den Wilhelm Tell nicht grüßen wollte, die Mütze Pitt's, als er mit dreiundzwanzig Jahren Minister wurde, den Zweimaster Napoleons I. bei Wagram, endlich Hunderte andere nicht weniger berühmte Kopfbedeckungen. Sein größter Schmerz war, daß er noch nicht den Hut Noah's besaß, als seine Arche auf dem Berge Ararat stehen blieb, und die Kappe Abraham's, als er Isaak opfern wollte. Aber Jos Meritt verzweifelte nicht, sie eines Tages zu finden. Was die Kopfbedeckung Adams und Evas anbelangt, als sie aus dem Paradiese gejagt wurden, so verzichtete er auf dieselben, weil tüchtige Historiker nachgewiesen haben, daß das erste Menschenpaar keine Hüte oder Kappen trug.

Wir sehen, daß Jos Meritt ein großes Museum derartiger Curiositäten besaß und daß er sein ganzes Leben der weiteren Bereicherung desselben widmete. Er war von der Echtheit seiner Funde fest überzeugt und durchwanderte Länder, besuchte Städte und Dörfer, durchsuchte die Trödlerläden, verschwendete Zeit und Geld, um nach monatelangem Suchen einen alten zerlumpten Hut aufzutreiben, den man ihm gegen schweres Gold verkaufte. So durchzog er denn die ganze Welt, und war nun auf seinen Reisen über Afrika, Asien, Europa, Amerika und selbst Oceanien nach Australien gekommen.

Da er gehört hatte, daß die Eingebornen Australiens sich mit den verschiedensten männlichen und weiblichen Kopfbedeckungen bekleideten, in welchem Zustande sie dieselben auch gefunden haben mochten, so glaubte der Engländer, hier »einen Hauptschlag ausführen zu können«, um nach der Gewohnheit dieser Antiquitätensammler zu sprechen. Gewiß war Jos Meritt von einer fixen Idee besessen, die ihn ganz verrückt zu machen drohte, denn halb war er es schon. Es handelte sich diesmal um einen bestimmten Hut, der das werthvollste Stück seiner Sammlung ausmachen sollte.

Welches war nun dieses Wunderwerk? Welcher alte oder moderne Fabrikant hatte ihn verfertigt? Auf welchem königlichen, bürgerlichen oder bäuerlichen[210] Haupte hatte er geruht und unter welchen Umständen? Dieses Geheimniß hatte der Engländer Niemand anvertraut. Nach den werthvollsten Untersuchungen kam er zu der Ueberzeugung, daß er seine Rundreise mit der Kopfbedeckung eines hervorragenden Häuptlings australischen Stammes abschließen müsse. Wenn es ihm gelang, dieselbe zu entdecken, so wollte er sie mit dem schwersten Golde bezahlen, stehlen, wenn man sie ihm nicht verkaufen wollte. Das wäre das Siegeszeichen jener Unternehmung, die ihn schon bis in den Nordwesten von Australien geführt hatte. Das war auch der Grund, warum der Chinese von neuem in die Gefahr kam, von den Cannibalen gefressen zu werden. Was für Cannibalen?... Die wildesten, die sie jemals gesehen hatten. Wie anhänglich mußte daher der Chinese seinem Herrn sein, wenn er sich trotz dieser Gefahr nicht von ihm trennen wollte!

»Morgen reisen wir mit dem Expreßzug von hier ab, sagte Jos Meritt.

– Um zwei Uhr? fragte der Chinese.

– Um zwei Uhr, und trachte, daß Alles bereit sei.

– Ich werde mein Möglichstes thun, mein Herr, aber bedenken Sie, daß ich keine zehntausend Hände habe, wie die Göttin Covan-in.

– Ich weiß nicht, ob die Göttin Covan-in zehntausend Hände hat, aber ich weiß, daß Du deren zwei hast, und ich ersuche Dich, sie nach allen Kräften in meinen Diensten zu verwenden...

– Bis ich gefressen werde!

– Gut!... O!... Sehr gut!«

Ohne Zweifel setzte der Chinese seine Hände nicht in größere Bewegung, als er es gewohnt war, indem er die Arbeit seinem Herrn überließ. Am folgenden Tage verließen die beiden Originale Adelaïde und der Expreßzug entführte sie in unbekannte Gegenden, wo Jos Meritt hoffte, den Hut zu finden, der seiner Sammlung noch fehlte.

[211]
4. Capitel
Viertes Capitel.
Der Eisenbahnzug von Adelaïde.

Einige Tage später verließ Mrs. Branican ebenfalls die Hauptstadt von Südaustralien. Tom Marix hatte die Mannschaft seiner Escorte vollzählig gemacht, die aus fünfzehn Weißen, ehemaligen Polizeisoldaten, und fünfzehn Eingebornen bestand, die ebenfalls schon in der Provinz zu Sicherheitsdiensten verwendet worden waren. Diese Escorte hatte den Zweck, die Karawane gegen die Nomaden zu schützen und nicht den Stamm der Indas zu bekämpfen, denn man durfte die Worte Harry Felton's nicht vergessen, welcher sagte, daß der Capitän John eher durch ein Lösegeld, als mit Gewalt befreit werden müßte.

Lebensmittel in hinreichender Menge für etwa vierzig Personen während eines Jahres füllten zwei Gepäckwagen des Zuges, der nach Farina abgehen sollte.

Jeden Tag schrieb Zach Fren an Dolly von dieser Station aus einen Brief, wodurch sie auf dem Laufenden gehalten wurde. Die Ochsen und Pferde, die nach sorgfältiger Auswahl gekauft worden waren, befanden sich schon mit den Leuten, welche ihre Fütterung und Führung zu besorgen hatten, beisammen. Die Wagen standen auf dem Bahnhof bereit, um die Lebensmittel, die Kleiderballen, die Werkzeuge, Waffen, Zelte, kurz Alles, was zu einer Expedition gehört, aufzunehmen. Zwei Tage nach Ankunft des Zuges konnte aufgebrochen werden.

Mrs. Branican setzte ihre Abreise von Adelaïde für den 9. September fest. Sie hatte eine letzte Unterredung mit dem Gouverneur der Provinz, der der unerschrockenen Frau nicht verbarg, welch' großen Gefahren sie entgegenging.

»Diese Gefahren sind zweierlei Art, Mrs. Branican, sagte er, nämlich die, welche von den wilden Stämmen, deren wir nicht Herr werden können, herrühren, und die, welche die Natur jener Gegenden mit sich bringt. Da jene Länder von Wasser ganz entblößt sind, so gehen Sie fürchterlichen Leiden entgegen. Aus diesem Grunde wäre es vielleicht besser, Sie würden erst gegen Ende der heißen Jahreszeit, d. h. sechs Monate später, aufbrechen...

– Ich weiß es, Herr Gouverneur, antwortete Mrs. Branican, und ich bin auf Alles vorbereitet. Seit meiner Abfahrt von San-Diego habe ich auch [212] den Continent von Australien durchstudirt, indem ich die Reisebeschreibungen eines Burke, eines Stuart, eines Giles, eines Forrest, eines Sturt, eines Grégorys, eines Warburton gelesen habe. Ich habe auch die Bekanntschaft des unerschrockenen David Lindsay gemacht, der vom September 1887 bis April 1888 Australien von Port Darwin im Norden bis nach Adelaïde im Süden durchzog. Nein, nein, ich kenne die Gefahren und die Anstrengungen einer solchen Unternehmung, aber ich weiß auch, wohin mich meine Pflicht ruft.

– Der Forscher David Lindsay, erwiderte der Gouverneur, durchzog schon bekannte Länder, indem er der transcontinentalen telegraphischen Verbindung folgte. Auch hatte er nur einen Eingebornen und vier Lastpferde mit. Sie aber, Mrs. Branican, suchen die Nomadenstämme auf und werden daher gezwungen sein, Ihre Karawane über diese Linie hinauszuführen und sich in den Nordwesten des Continents bis zu den Wüsten des Dampierlandes zu wagen...

– Ich werde dahin gehen, wohin es nothwendig sein wird, Herr Gouverneur. Die Forschungen David Lindsay's und seiner Vorgänger wurden im Interesse der Civilisation, der Wissenschaft und des Handels unternommen. Ich aber unternehme diesen Zug zur Befreiung meines Mannes, des einzigen Ueberlebenden vom »Franklin«. Seit seinem Verschwinden hielt ich gegen die Meinung Aller die Behauptung aufrecht, daß er noch lebe, und ich hatte Recht. Ich werde ein halbes Jahr, wenn es nothwendig ist ein ganzes Jahr diese Länder durchziehen und werde meinen Gatten finden, wovon ich fest überzeugt bin. Ich rechne dabei auf die Ergebung meiner Gefährten, Herr Gouverneur, und unsere Devise wird sein: Niemals zurück!

– Das ist die Devise eines Douglas, Mrs. Branican, und ich zweifle nicht, daß Sie damit zum Ziele kommen werden.

– Ja... mit Gottes Hilfe.«

Mrs. Branican nahm von dem Gouverneur Abschied, indem sie ihm für seine Unterstützung herzlichst dankte. Noch an demselben Tage – es war der 9. September – verließ sie Adelaïde. Sie kam um drei Uhr Nachmittags in Farina an und wurde von Zach Fren und seinen Gefährten auf dem Bahnhof begeistert empfangen. Der brave Seemann war tief gerührt, denn seit zwölf Tagen, seit zwölf langen Tagen, hatte er die Frau des Capitäns nicht mehr gesehen. Dolly fühlte sich ungemein glücklich, ihren Begleiter, dessen Ergebung sie sicher war, wieder zu sehen. Sie reichte ihm die Hand, lächelte – sie, die fast das Lächeln verlernt hatte!

[213] Mrs. Branican sollte sich nicht lange an dieser Station aufhalten, denn Zach Fren war ebenso einsichtsvoll wie thätig. Das Material der Expedition war nach sorgfältiger Auswahl beisammen und umfaßte vier Ochsenwagen mit den dazu gehörigen Führern, und zwei Buggys, an die je zwei Pferde gespannt wurden.

Die Karren waren schon theilweise beladen und so brauchte man nur noch auf das Gepäck von der Eisenbahn zu warten, um binnen vierundzwanzig oder sechsunddreißig Stunden bereit zu sein.

Mrs. Branican prüfte sorgfältig die ganzen Vorbereitungen, und man glaubte unter diesen Bedingungen ohne Mühe die Grenze erreichen zu können, wo die Thiere Gras und Wasser finden.

»Mrs. Branican, sagte Tom Marix, so lange wir der telegraphischen Linie folgen, wird das Land genug bieten und die Thiere werden nicht viel zu leiden haben; weiter gegen Westen aber werden wir die Pferde und Ochsen durch Kameele ersetzen müssen, denn nur diese Thiere können jenen heißen Gegenden trotzen, da sie tagelang kein Wasser brauchen.

– Ich weiß es, Tom Marix, erwiderte Dolly, und ich verlasse mich ganz auf Ihre Erfahrung; wir werden die Karawane in dieser Weise bei der Station Alice-Spring umgestalten, wo ich binnen Kurzem einzutreffen hoffe.

– Die Kameeltreiber sind vor vier Tagen dahin aufgebrochen, sagte Zach Fren, und sie werden uns dort erwarten.

– Vergessen Sie nicht, Mistreß, sagte Tom Marix, daß die eigentlichen Schwierigkeiten erst dort beginnen werden...

– Wir werden sie zu besiegen wissen!« erwiderte Dolly.

Der erste Theil der Reise, ein Weg von ungefähr dreihundertfünfzig Meilen, ging seinem Ende entgegen. Sie hatten die Absicht, wenn in Alice-Spring die Karawane durch Kameele ergänzt war, dieselben von den Weißen besteigen zu lassen, weil man von ihnen aus besser das Herannahen eines Feindes oder die zerstreut liegenden Cisternen der Wüste erblicken kann.

Wir müssen hier erwähnen, daß die Forschungsreisen in Australien meist nur mit Kameelen unternommen werden, weil diese Thiere sich vorzüglich dazu eignen. Die Forschungsreisenden Burke, Stuart, Giles wären keinen solchen Strapazen unterworfen gewesen, wenn sie diese Thiere benutzt hätten. Im Jahre 1866 importirte Edler eine große Anzahl Kameele, die auch vorzüglich gediehen. Ohne Zweifel verdankte nur ihnen der Oberst Warburton den glücklichen Erfolg [214] seiner kühnen Forschungsreise, welche Alice-Spring zum Ausgangspunkt und Rockbonne an der Küste von Wittland als Endstation hatte. Den gleichen Erfolg verdankte David Lindsay den Kameelen bei Durchkreuzung des Continents von Norden nach Süden.

Mit Rücksicht auf diese kühnen Forschungsreisenden zögerten auch Mrs. Branican's Leute nicht, den Gefahren und Strapazen aller Art zu trotzen.

»Sie wissen wohl nicht, Mrs. Branican, sagte Zach Fren, daß wir schon auf dem Wege nach Alice-Spring überholt sind?

– Ueberholt, Zach?

– Ja, Mistreß. Erinnern Sie sich nicht mehr an jenen Engländer und dessen chinesischen Diener, die mit uns auf dem Schiffe nach Adelaïde fuhren?

– In der That, erwiderte Dolly. Doch sind sie nicht in Adelaïde zurückgeblieben?

– Nein, Mistreß. Vor drei Tagen kam Jos Meritt – so heißt dieser Engländer – mit der Eisenbahn in Farina an. Er fragte mich nach den Einzelheiten unsrer Expedition und nach dem Wege, den sie nehmen würde; er antwortete nur: »Gut!... O!... Sehr gut!« während sein Chinese mit dem Kopf schüttelte und zu sagen schien: »Schlecht!... O!... Sehr schlecht!« Am folgenden Tage brachen sie frühzeitig auf und schlugen die Richtung gegen Norden ein.

– Wie reisen sie? fragte Dolly.

– Zu Pferd; aber von der Station Alice-Spring werden sie, wie man sagt, ihr Dampfschiff mit einem Segelschiffe vertauschen... was auch wir thun werden.

– Ist dieser Engländer ein Forschungsreisender?

– Danach sieht er mir nicht aus. Er scheint vielmehr von einer fixen Idee besessen zu sein.

– Hat er nicht gesagt, warum er sich in diese Wüste wagt?

– Kein Wort, Mistreß. Nichtsdestoweniger glaube ich, daß er sich mit dem Chinesen nicht einer Gefahr wird aussetzen wollen. Nun, ich wünsche ihm eine glückliche Reise.

– Vielleicht werden wir mit ihm in Alice-Spring zusammentreffen.«

Am folgenden Tage, dem 11. März, um fünf Uhr Nachmittags waren alle Vorbereitungen vollendet. Die Wagen waren voll von all dem Nothwendigen für die lange Reise.

[215] Da waren Fleisch- und Gemüseconserven von den besten amerikanischen Marken, Mehl, Thee, Zucker, Salz, ohne die Medicamente zu rechnen, welche die Apotheke enthielt. Mehrere Fäßchen enthielten Wein, Rum und Branntwein. Auch sehr viel Tabak war vorhanden, der weniger für den ausschließlichen Gebrauch der Männer, als für den Tauschhandel mit den Eingebornen berechnet war, bei denen derselbe so viel wie klingende Münze ist. Mit Tabak und Branntwein würde man ganze Stämme des westlichen Australiens kaufen können. Mehrere große Rollen Tabak und viele andere nützliche Gegenstände bildeten einen besonderen Theil des Gepäcks, da sie als Lösegeld für den Capitän John bestimmt waren. Auf den Ochsenwagen befanden sich Zelte, Decken, Kisten mit Kleidern und Wäsche, die nothwendigen suchen für Mrs. Branican und ihre Dienerin Harriette, die Effecten Zach Fren's, Küchengeräthe, Petroleum zum Kochen, Munition für die Jagd und für die Feinde.

So brauchte denn nur das Signal zum Aufbruche gegeben zu werden. Mrs. Branican, voll Ungeduld, setzte den Aufbruch für den nächsten Tag fest, und es wurde beschlossen, bei Sonnenaufgang Farina zu verlassen und die Richtung gegen Norden längs der Telegraphenlinie einzuschlagen.

Um neun Uhr Abends begaben sich Dolly und ihre Dienerin Harriette mit Zach Fren nach einer nochmaligen Prüfung der Vorräthe in das Haus, das sie neben dem Bahnhofe bewohnten. Sie schlossen die Thüre und wollten sich eben auf ihr Zimmer zurückziehen, als draußen geklopft wurde. Zach Fren öffnete die Thür und prallte überrascht zurück.

Draußen stand der junge Matrose vom »Brisbane«, ein kleines Bündel unter dem Arm, den Hut in der Hand.

In der That, es schien, als ob Mrs. Branican errathen hätte, daß er es war... Ja, ja, und wie soll man sich das erklären?... Obgleich sie nicht darauf gefaßt war, den Knaben zu sehen, so hatte sie doch immer gedacht, daß er versuchen würde, sich ihr zu nähern... Wie dem auch immer sein möge, bevor sie ihn noch erblickte, rief sie Godfrey.

Eine halbe Stunde zuvor war Godfrey mit dem Zug von Adelaïde angekommen.

Einige Tage vor der Abfahrt des Postdampfers hatte er von dem Capitän seine Löhnung verlangt und das Schiff verlassen. Wie oft befand er sich nicht bei dem Hôtel, wo Mrs. Branican wohnte! Wie oft folgte er ihr nach, ohne zu versuchen, sie anzusprechen! Uebrigens wußte er, daß Zach Fren nach Farina aufgebrochen sei, um eine Karawane zu organisiren; sobald er erfahren hatte, daß auch Mrs. Branican Adelaïde verlassen hatte, fuhr er mit der Eisenbahn nach.


... wurde von Zach Fren und seinen Gefährten begeistert empfangen. (S. 213.)

[216] [219]Was wollte denn Godfrey?

Godfrey wurde in das Haus geführt und stand bald Mrs. Branican gegenüber.

»Sie sind es... mein Kind, Sie, Godfrey? sagte sie, ihn bei der Hand nehmend.

– Er ist es, und was will er? murmelte Zach Fren ärgerlich, denn die Anwesenheit dieses Burschen schien ihm sehr lästig zu fallen.

– Was ich will? erwiderte Godfrey. Ich will Ihnen folgen, Mistreß, so weit Sie gehen, ich will mich nie mehr von Ihnen trennen... Ich will mit Ihnen den Capitän Branican suchen, ihn finden, ihn nach San-Diego zurückbringen, ihn seinen Freunden... seinem Vaterlande wiedergeben.«

Dolly konnte sich nicht fassen. Das Gesicht dieses Kindes... es war John... ihr geliebter John, den sie im Geiste sah.

Godfrey lag auf den Knien, erhob die Hände und bat flehentlich:

»Nehmen Sie mich mit... Mistreß, nehmen Sie mich mit!

– Komm, mein Kind, komm!« rief Dolly und zog ihn an ihr Herz.

5. Capitel
Fünftes Capitel.
Durch die Provinz Südaustralien.

Am 12. September setzte sich die Karawane in Bewegung. Die Witterung war schön, die Hitze nicht groß, denn einige leichte Wolken milderten die Gluth der Sonnenstrahlen. Unter dem 31. Breitegrade und in dieser Jahreszeit stieg die Hitze im Innern des Landes schon an, und die Forschungsreisenden wissen nur allzugut, wie furchtbar sie wird, wenn weder Regen noch Schatten sie in diesen Ebenen mildern.

[219] Es war nur zu bedauern, daß Mrs. Branican die Reise nicht fünf oder sechs Monate früher antreten konnte, denn während des Winters wäre sie viel erträglicher gewesen. Wenn auch das Thermometer in dieser Jahreszeit manchmal bis zum Gefrierpunkt sinkt, so ist doch die Kälte weniger zu fürchten als die Hitze, welche die Quecksilbersäule im Schatten bis über vierzig Grad treibt. Vor dem Monat Mai lösen sich die Dünste in reichliche Regengüsse auf, wodurch sich die Cisternen füllen, so daß man nicht tagelang reisen muß, ohne auf Wasser zu stoßen. Die Wüste Australiens ist gegen die Karawanen grausamer als die Sahara, denn letztere hat doch Oasen.

Aber Mrs. Branican hatte weder in der Zeit, noch in der Richtung eine Wahl. Sie brach auf, weil sie aufbrechen mußte, sie wollte diesen furchtbaren Strapazen trotzen, weil sie ihnen trotzen mußte. Den Capitän John aufzufinden, ihn den Eingebornen zu entreißen, das verlangte keinen Aufschub, und sollte sie dabei zu Grunde gehen.

Die Karawane, die seit der Ankunft Godfreys aus einundvierzig Personen bestand, marschirte in folgender Weise. An der Spitze die fünfzehn Eingebornen, bekleidet mit einer Hofe und einer Jacke, auf dem Kopfe einen Strohhut, die Füße nach ihrer Gewohnheit nackt. Sie waren mit einem Gewehre, einem Revolver und einem Schwerte bewaffnet und bildeten die Avantgarde unter dem Befehle eines Weißen, der selbst wieder Kundschafter war. Hinter ihnen zogen zwei Pferde einen Buggy, worin Mrs. Branican und ihre Dienerin Platz genommen hatten. Ein Segeltuch, das weggenommen werden konnte, schützte sie gegen Regen und Sturm. In einem zweiten Buggy saßen Zach Fren und Godfrey. Wenn auch jener zuerst nicht sehr erfreut war über die Ankunft des Burschen, so schloß er doch bald Freundschaft mit ihm, da er für Mrs. Branican so große Anhänglichkeit bewies. Hierauf kamen die vier Ochsenwagen, an den Seiten und rückwärts befanden sich die Männer des Tom Marix, die ganz wie ihr Befehlshaber gekleidet waren. Sie hatten dunkle Hosen, hohe Stiefeln, um die Taille einen Gürtel, auf dem Kopfe einen weißen Leinenhelm, und um den Oberkörper einen gerollten leichten Kautschukrock; bewaffnet waren sie wie die Eingebornen. Diese Leute waren zu Pferd und recognoscirten entweder den Weg oder sahen sich nach einem Lagerplatz für die Nacht um.

Auf solche Weise legte die Karawane täglich zwölf bis dreizehn englische Meilen zurück, manchmal durch dichte Wälder, wo die Wagen nur langsam [220] vorwärts kamen. Abends übernahm Tom Marix die Bewachung des Lagers, und bei Sonnenaufgang brach man wieder auf.

Die Strecke zwischen Farina und Alice-Spring – ungefähr fünfhundertachtzig Kilometer oder dreihundertfünfzig Meilen – bot weder ernste Gefahren noch große Anstrengungen, und würde wahrscheinlich etwa dreißig Tage beanspruchen. Da man nun hierauf die Karawane angesichts der Wüste mit Kameelen ergänzen mußte, so würde man vor dem ersten Drittel des Monats October nicht weiter kommen.

Als die Expedition Farina verließ, zog sie mehrere hundert Meilen dem neuen Eisenbahnbau entlang; dann fuhr sie neben der Telegraphenlinie weiter. Da Tom Marix neben dem Wagen der Mrs. Branican ritt, fragte sie ihn über diese Linie.

»Sie wurde im Jahre 1870, erwiderte Tom Marix, sechzehn Jahre nach der Unabhängigkeitserklärung von Südaustralien, beschlossen und sollte vom Süden bis zum Norden des Continents, zwischen Port Adelaïde und Port Darwin, reichen. Die Arbeiten wurden so rasch in die Hand genommen, daß die Linie im Jahre 1872 fertig war.

– Mußte man zu diesem Zwecke nicht den ganzen Continent in dieser Richtung untersuchen?

– Gewiß, und zwar verdanken wir diese Leistung einem unserer größten Forschungsreisenden, Stuart, der von 1860 bis 1861 diesen Weg genommen hat.

– Wer ist der Erbauer dieser Linie?

– Ein ebenso kühner wie tüchtiger Ingenieur Namens Todd, der Generalpostmeister von Adelaïde, einer unserer Mitbürger, den Australien verehrt, wie er es auch verdient.

– Hat er hier das nothwendige Material gefunden?

– Nein, Mistreß, erwiderte Tom Marix, er mußte die Isolatoren und die Drähte von Europa bringen lassen. Jetzt wäre freilich die Colonie im Stande, Alles für jedes beliebige industrielle Unternehmen zu liefern.

– Haben denn die Eingebornen diese Anlagen nicht zu zerstören versucht?

– Sie thaten im Anfange noch mehr. Sie vernichteten nämlich das Material, und so kamen denn auf einer Strecke von eintausendachthundertfünfzig Meilen fortwährende Kämpfe vor, die zuletzt doch lästig fielen und das ganze Unternehmen gefährdeten. Da kam denn Todd auf eine wahrhaft geniale Idee. Nachdem er sich einiger Häuptlinge bemächtigt hatte, ließ er ihnen mehrere [221] heftige elektrische Schläge zukommen, worüber sie so entsetzt waren, daß ihre Kameraden nicht mehr wagten, sich den Arbeitern und dem Material zu nähern. So konnte die Linie vollendet werden und fungirt jetzt ganz regelmäßig.

– Wird sie nicht von der Polizei bewacht? fragte Mrs. Branican.

– Von der Polizei nicht, wohl aber durch Schwarze, die im Dienste der Gesellschaft stehen.

– Kommt diese Privatpolizei nie in die mittleren und östlichen Landestheile?

– Nie oder wenigstens sehr selten, Mistreß, da es so viel in den bewohnten Districten zu thun giebt.

– Wieso ist es denn Niemand eingefallen, diese schwarze Polizei den Indas auf die Spur zu schicken, als man erfuhr, daß der Capitän Branican von ihnen gefangen gehalten würde... und das seit fünfzehn Jahren?

– Sie vergessen, Mistreß, daß weder wir noch Sie etwas davon wußten und es erst nach der Auffindung Harry Felton's bekannt wurde!

– Das ist richtig, erwiderte Dolly, seit einigen Wochen!

– Ich weiß übrigens, fuhr Tom Marix fort, daß die schwarze Polizei den Befehl erhalten hat, die Gegen den von Tasman- oder Dampierland zu durchstreifen, und daß eine starke Abtheilung dahin gesendet werden soll; aber ich fürchte....

Tom Marix hielt inne. Mrs. Branican bemerkte nicht sein Zögern.

So sicher wie Tom Marix seine übernommenen Pflichten bis zu Ende führen wollte, sah er doch keinen Erfolg von der ganzen Expedition, denn er wußte, wie schwer diese Nomadenvölker zu erreichen sind. Auch konnte er weder das blinde Vertrauen der Mrs. Branican, noch die Ueberzeugung Zach Fren's, noch die Zuversicht Godfreys theilen; doch wollte er, das müssen wir nochmals wiederholen, seine Pflicht thun.

Am 15. September lagerte die Karawane bei dem Dorfe Boorloo, wo die telegraphische Linie fast in rechtem Winkel gegen Westen abbiegt. In der Entfernung von ungefähr zwölf Meilen übersetzt sie den Cabanna, was wohl den ehernen Fäden auf den Pfählen ein leichtes war, nicht aber einer Karawane. Man mußte daher eine Furt suchen, die der junge Matrose schnell entdeckte, indem er kühn in den reißenden Fluß sprang.

Am 20. September kam die Karawane nach Emerald-Spring, nachdem sie oft Wälder mit Bäumen in einer Höhe von zweihundert Fuß durchzogen hatte. So sehr Dolly an den Reichthum der Wälder von Californien aus gewohnt [222] war, so hätte sie doch diese großartige Vegetation bewundern müssen, wenn ihre Gedanken nicht immer in jener Einöde gewesen wären, wo die sandige Düne kaum einiges magere Gestrüpp hervorbringt.

Tom Marix kannte das Land sehr gut, und Mrs. Branican hätte keinen besseren Führer finden können, der sich mit so viel Eifer und Einsicht der Sache widmete.

Tom Marix fand aber auch in dem jungen Godfrey eine kräftige und entschlossene Stütze und er mußte sich oft über den Eifer dieses vierzehnjährigen Knaben wundern. Godfrey erklärte, wenn es nothwendig wäre, so wolle er allem in das Innere vordringen. Kräftig für sein Alter, abgehärtet durch das Seemannsleben, war er oft der Karawane voraus, so daß man ihn manchmal gar nicht sah. Blieb er auf seinem Platze, so geschah es nur auf den ausdrücklichen Befehl Dollys. Weder Zach Fren noch Tom Marix würden bei ihm das erreicht haben, was sie nur durch einen Blick erlangte. Wenn dieser nicht ihr Sohn wäre, so sollte er es, wenn nicht nach den Gesetzen der Natur, wenigstens durch Adoption werden. Godfrey sollte sie nie mehr verlassen... und John würde auch die Liebe theilen, die sie für dieses Kind fühlte.

Eines Tages blieb er sehr lange abwesend, denn er war der Karawane schon einige Meilen voraus.

»Mein Kind, sagte sie zu ihm, Du mußt mir versprechen, Dich nicht mehr ohne meine Einwilligung zu entfernen. Wenn ich Dich fortgehen sehe, bin ich unruhig, bis Du wieder da bist. Du läßt uns immer stundenlang ohne jede Nachricht.

– Mrs. Dolly, erwiderte er, ich muß doch recognosciren... Man hatte einen Nomadenstamm signalisirt, der am Warmercreek lagere... Ich wollte den Häuptling besuchen und ihn fragen...

– Was hat er gesagt? fragte Dolly.

– Er hatte von einem Weißen sprechen hören, der von Westen kam und die Richtung gegen Queensland einschlug.

– Wer war dieser Mann?

– Ich verstand schließlich, daß es sich um Harry Felton handelte, und nicht um den Capitän Branican. Aber wir werden ihn doch finden... ja, wir werden ihn finden... Ach, Mrs. Dolly, ich liebe ihn wie Sie ihn lieben, Sie, die Sie für mich eine Mutter sind.

– Eine Mutter.. sagte Mrs. Branican.

[223] – Doch ich kenne Sie, während ich ihn, den Capitän John, nie gesehen habe... Und ohne diese Photographie, die Sie mir gegeben haben... die ich immer bei mir trage... zu der ich spreche... die mir zu antworten scheint...

– Du wirst ihn eines Tages kennen lernen, mein Kind, erwiderte Dolly, und er wird Dich ebenso lieb haben wie ich.«


Am folgenden Tage brachen sie beide frühzeitig auf. (S. 215.)

Am 24. September machte die Karawane bei William-Spring, zweiundvierzig Meilen nördlich von Emerald, Halt.

[224] Am 29. September verließ sie die Station Umbum und zwei Tage darauf erreichte sie die Station The-Peak, die erst unlängst für den Telegraphendienst gegründet worden war.


Zach Fren öffnete die Thür und prallte überrascht zurück. (S. 216)

Beim Aufbruche von hier bekam die Karawane einen Vorgeschmack von den Strapazen, welche ihr der Durchzug der Wüste Australiens bereiten sollte. Sie mußte über einen sehr trockenen Boden bis zu den Ufern des Macumbaflusses ziehen, dann über diesen, und hierauf begann ein nicht weniger beschwerlicher Marsch bis zu der Station Lady-Charlotte.

[225] Auf diesen ungeheuren Ebenen, wo nur hier und da einige Baumgruppen standen, war immer noch Wild genug, wenn dies der richtige Ausdruck ist. Da sprang eine kleinere Art Känguruhs, die sogenannten Wallabis, in mächtigen Sätzen dahin, dort bemerkte man einige Casuare mit ihrem herausfordernden und stolzen Blick, gleich dem des Adlers. Diese Vögel haben aber das vor ihrem Könige voraus, daß sie ein fettes und nahrhaftes Fleisch, gleich dem des Rindes, liefern. Tom Marix machte seine Gefährten aufmerksam, daß die hohlen Gummibäume gewöhnlich von Bären als Schlupfwinkel benutzt würden, und sie hatten auch bald Gelegenheit, einen derselben zu tödten.

Von den Eingebornen wurde die Karawane bisher noch gar nicht belästigt, denn diese haben nördlich, östlich und westlich von der Telegraphenlinie ihre Lager.

Je weiter sie in diese Gegenden, die immer trockener wurden, vordrangen, desto mehr konnte Tom Marix den Instinct der Ochsen, welche das Gepäck zogen, benutzen. Es scheint, daß sich dieser Instinct in der Rasse seit ihrer Importirung nach Australien entwickelt hat, und daß sich diese Thiere immer zu den Gewässern hinwenden, wo sie ihren Durst löschen können. Sie täuschen sich selten, und die Leute brauchen ihnen nur zu folgen, was unter Umständen sehr werthvoll ist.

Am 7. October blieben die Ochsen des vordersten Wagens plötzlich stehen, was auch die anderen Gespanne sofort thaten. Die Führer trieben sie vergebens an, und es gelang ihnen nicht, sie nur einen Schritt weiter vorwärts zu bringen.

Tom Marix, der sofort davon in Kenntniß gesetzt wurde, ritt zu dem Wagen der Mrs. Branican hin.

»Ich weiß, was das ist, sagte er; wenn wir noch keinen Eingebornen auf unserer Route begegnet sind, so kreuzen wir jetzt einen Pfad, den sie gewöhnlich benutzen, und da unsere Ochsen ihre Spuren riechen, so weigern sie sich weiterzugehen.

– Warum mag das sein? fragte Dolly.

– Den Grund kennt man nicht genau. Aber es ist wahrscheinlich, daß die ersten Ochsen, die in Australien importirt wurden, von den Eingebornen so mißhandelt wurden, daß sie sich dies nicht nur merkten, sondern auch auf die späteren Generationen vererbten.«

Mag nun diese Erklärung richtig sein oder nicht, man brachte die Ochsen nicht dazu, ihren Weg weiter fortzusetzen. Man mußte sie ausspannen, sie umdrehen [226] und mit Peitschenhieben zwingen, zwanzig Schritte nach rückwärts zu machen. Auf solche Weise überschritten sie den Pfad, und als sie wieder eingespannt wurden, setzten sie den Weg ruhig fort.

Als die Karawane die Ufer das Flusses Macumba erreichte, konnte jeder derselben, Mensch wie Thier, seinen Durst löschen.

Am 10. October machten sie in der Station Lady-Charlotte Halt, nachdem sie dreihundertzwanzig Meilen von Farina aus zurückgelegt hatten. Sie befanden sich jetzt an der Grenze zwischen Südaustralien und Alexandra-Land, das von Stuart im Jahre 1860 erforscht wurde.

6. Capitel
Sechstes Capitel.
Eine unerwartete Begegnung.

Auf der Station Lady-Charlotte ersuchte Tom Marix Mrs. Branican um eine Rast von vierundzwanzig Stunden, da die Zugthiere wegen der großen Hitze sehr abgemattet waren. Dolly sah das ein, und man lagerte sich nun, so gut es ging. Die Station bestand nur aus einigen Hütten, deren Bevölkerung die Karawane während eines Tages verdreifachte. Ein Trapper, der in der Nähe ein hübsches Haus hatte, bot Mrs. Branican eine bequemere Unterkunft an, die sie auch annahm, indem sie sich nach Waldek-Hill begab.

Dieser Trapper war nur Pächter einer jener ungeheuren Besitzungen, Runs genannt, die sich in Australien vorfinden. Ein solcher Run umfaßt bis sechstausend Hektar, besonders in der Provinz Victoria. Obgleich Waldek-Hill eine solche Größe nicht hatte, so war es doch nicht unbedeutend. Umgeben von Pallisaden, diente die Ansiedlung besonders zur Schafzucht, weshalb eine Menge Schäfer, Züchter und andere Leute mehr da waren. Der salzige Boden brachte es mit sich, daß man gerade hier einen günstigen Platz für die Schafzucht erkannte.

Um diese Zeit begann eben in Waldek-Hill die Schafschur, und seit einigen Tagen befanden sich eine Menge herumreisender Scheerer dort, um ihr einträgliches Gewerbe auszuüben.

[227] Als Mrs. Branican in Begleitung von Zach Fren die Pallisaden von Waldek-Hill durchschritten hatte, war sie von dem regen Leben überrascht, welches dort herrschte. Die Arbeiter verloren keine Minute. Das Krächzen der Scheere, das Blöcken der Schafe, die Rufe der Männer zu einander, dieses Kommen und Gehen mit den Körben, in denen die Wolle fortgetragen wurde, war sehr interessant. Ueberall, wo viele Arbeiter sind, müssen auch Aufseher sein, von denen sich auch einige in Waldek-Hill befanden. Auf solche Weise verdienen sich Frauen wie Männer ihren Lebensunterhalt.

Wie groß war aber die Ueberraschung der Mrs. Branican – eigentlich nicht Ueberraschung, sondern Bestürzung – als sie plötzlich hinter sich ihren Namen hörte.

Eine Frau stürzte herbei, warf sich auf die Knie und hob flehend die Hände zu ihr empor...

Es war Jane Burker... Jane, weniger durch die Jahre als durch Kummer gealtert, das Haar ergraut, mit fast unerkennbaren Gesichtszügen, die Dolly aber doch erkannte.

»Jane!« rief sie.

Dolly hob sie auf, die beiden Cousinen lagen sich in den Armen.

Welches Leben führten die Burker's seit zwölf Jahren? Ein elendes, sogar ein verbrecherisches, wenigstens was den Gatten der unglücklichen Jane anbelangt.

Als Len Burker sich den Nachstellungen in San-Diego entzog, flüchtete er nach Mazatlan, einem Hafen an der westlichen Küste von Mexiko. Man erinnert sich, daß er im Prospect-House die Mulattin Nô zur Bewachung Dollys, die damals noch in geistiger Umnachtung war, zurückgelassen hatte. Als aber kurze Zeit darauf die unglückliche Kranke in die Heilanstalt des Dr. Brumley übertragen wurde, reiste die Mulattin ihrem Herrn nach, dessen Zufluchtsort sie kannte.

Len Burker ließ sich unter falschem Namen in Mazatlan nieder, so daß ihn die californische Polizei nicht entdecken konnte. Uebrigens blieb er auch nur fünf bis sechs Wochen in dieser Stadt, denn mit dem wenigen Gelde – er besaß nur noch etwa dreitausend Piaster unterschlagener Beträge – konnte er in den Vereinigten Staaten nicht mehr viel anfangen, und er beschloß daher, Amerika ganz zu verlassen. Australien schien ihm ein günstiges Feld zu sein, wo es noch etwas zu »machen« gebe, bevor er seinen letzten Dollar ausgegeben hätte.

[228] Jane, die unter der unumschränkten Herrschaft ihres Mannes stand, hatte nicht die Kraft, ihm entgegenzutreten; Mrs. Branican, ihre einzige Verwandte, wahnsinnig; Capitän John todt, und es war über sein Schicksal kein Zweifel mehr... der »Franklin« war mit Mann und Maus untergegangen. Nichts konnte daher Jane ihrem traurigen Schicksale, dem sie Len Burker entgegenführte, entreißen und sie mußte unter solchen Umständen mit nach Australien auswandern.

Beide kamen in Sydney an und hier verwendete Len seine letzten Hilfsquellen zu neuen Betrügereien, die er aber mit größerer Schlauheit verübte, als in San-Diego. Dann ließ er sich in gewagte Speculationen ein, bei denen er das ganze Geld wieder verlor, das er bei seinen unehrlichen Gebahrungen im Anfange »verdient« hatte.

Achtzehn Monate nach seiner Flucht von San-Diego mußte er auf gleiche Weise Sydney verlassen und sein Glück an einem anderen Orte suchen. Doch dieses war ihm auch in Brisbane nicht mehr hold; er flüchtete sich von neuem und begab sich in die entlegensten Districte von Queensland.

Jane folgte ihm und mußte die schwersten Arbeiten verrichten, um nur die nothwendigsten Bedürfnisse bestreiten zu können. Gemartert und gepeinigt von dieser Mulattin, die noch immer der böse Geist Len Burker's war, wollte die Unglückliche oft entfliehen, oft ihrem elenden Dasein ein Ende bereiten. Das war sie aber bei ihrem schwachen, unentschlossenen Charakter nicht im Stande. Ein armer Hund, der Schläge erhält und das Haus nicht zu verlassen wagt!

Um diese Zeit las Len Burker in den Zeitungen von den Versuchen, die Ueberlebenden des »Franklin« aufzufinden. Die zwei Fahrten des »Dolly-Hope«, welche auf die Initiative der Mrs. Branican hin unternommen wurden, erklärten ihm die ganze Sachlage: 1. Daß Dolly wieder ihre Vernunft erlangt hatte, 2. daß sie das ungeheure Vermögen, welches sie von ihrem Onkel Edward Starter geerbt hatte, für diese beiden Unternehmungen verwende. Er erfuhr auch den Mißerfolg dieser Fahrten und die Gewißheit, daß der letzte Ueberlebende des »Franklin« auf der Insel Browse gestorben sei.

Zwischen dem Vermögen Dollys und Janes, ihrer einzigen Erbin, stand kein Kind, kein Gatte mehr, und so große Schicksalsschläge mußten ihre Gesundheit erschüttert haben. Das sagte sich Burker. Aber was konnte er versuchen? Die Verbindung mit Mrs. Branican wieder aufzunehmen war unmöglich. Sie [229] durch Vermittlung Janes um Hilfe anzuflehen, traute er sich nicht, da er verfolgt wurde und bei dieser Gelegenheit leicht verhaftet werden konnte. Wenn aber Dolly starb, durch welches Mittel konnte er verhindern, daß die Erbschaft Jane – vielmehr ihm – nicht entgehe?

Wir wissen noch, daß ungefähr sieben Jahre seit der zweiten Aussendung des »Dolly-Hope« verflossen waren, als durch die Auffindung Harry Felton's die Katastrophe des »Franklin« wieder zur Frage gestellt worden war.

Während dieser Zeit wurde die Lage Len Burker's noch elender als sie schon war. Da er auf seiner verbrecherischen Laufbahn ohne jeden Erfolg noch weiter schritt, so hatte er nicht einmal mehr ein Heim, und Jane sah sich dem Elende eines Nomadenlebens ausgesetzt.

Die Mulattin Nô war gestorben; aber Mrs. Burker brachte der Tod dieser Peinigerin, deren Einfluß auf ihren Gatten so verderblich war, keine Erleichterung. Da er jetzt auf seiner Laufbahn keine Gefährtin mehr hatte, so zwang er seine Frau, ihm in jene Länder zu folgen, wo die Verbrechen so häufig unbestraft bleiben. Nach Erschöpfung der Goldminen in der Provinz Victoria und nach dem Fortzuge der Tausende von Goldsuchern, wurde dieses Land von einer Masse Menschen überfluthet, die sich wenig um die Gesetze kümmerten. So hatte sich bald eine Classe jener gefürchteten Wegelagerer gebildet, die in den Districten Australiens unter dem Namen »Larrikins« bekannt sind.

Solchen Leuten schloß sich Len Burker an, als er wegen der Verfolgungen keine Stadt mehr betreten konnte, und je mehr er in die entlegeneren, der Polizei fern liegenden Gegenden kam, desto mehr wurde er ein Freund jener herumziehenden Verbrecher, die unter dem Namen »Bushrangers« bekannt sind und die bis heute noch nicht verschwanden. Auf einer solch niedrigen Stufe befand sich Len Burker! An wie viel Plünderungen, Eisenbahnüberfällen und Verbrechen aller Art er in den letzten Jahren theilgenommen hatte, hätte nur er sagen können. Ja, nur er, denn Jane, die in irgend einer Ortschaft zurückgelassen wurde, wußte nichts von den verbrecherischen Thaten. Vielleicht klebte an den Händen dieses Mannes sogar Blut, und doch wagte sie nicht, ihn zu verrathen.

So waren zwölf Jahre verflossen und die Auffindung Harry Felton's hatte von neuem die öffentliche Aufmerksamkeit auf den »Franklin« gelenkt. Da die verschiedensten Zeitungen und Blätter Australiens diese Nachricht brachten, [230] so konnte sie auch Len Burker nicht verborgen bleiben, der sie in dem »Sydney Morning Herald« in einer kleinen Ortschaft von Queensland las, wohin er sich nach einem Plünderungszuge vor der nachsetzenden Polizei geflüchtet hatte.

Zu derselben Zeit, als er von der Auffindung Harry Felton's las, vernahm er auch, daß Mrs. Branican San-Diego verlassen habe und nach Sydney komme, um mit dem zweiten Officier sprechen zu können. Fast ebenso rasch verbreitete sich das Gerücht, daß Harry Felton gestorben war, nachdem er sichere Angaben gemacht hatte.

Ungefähr vierzehn Tage später hörte Len Burker, daß Mrs. Branican in Adelaïde ausgestiegen sei, um eine Karawane zu organisiren, an der sie theilnehmen würde und die den Zweck habe, die Wüsten der Mitte und des Nordwestens von Australien zu durchforschen.

Als Jane die Ankunft ihrer Cousine auf dem Continente erfuhr, war ihr erster Gedanke, sich zu ihr zu flüchten, aber da sie die Drohungen Len Burker's fürchtete, wagte sie es nicht.

Jetzt entwarf der Elende einen Plan, der ihm endlich die gewünschte Zukunft erschließen sollte. Die entscheidende Stunde war gekommen. Er wollte Mrs. Branican auf ihrer Route begegnen, sie bitten, sie begleiten zu dürfen, was Alles sicher ganz leicht zu erlangen sein würde. Es war kaum wahrscheinlich, daß der Capitän John, angenommen er lebte noch, bei den Eingebornen gefunden würde, und es war möglich, daß Dolly den Strapazen dieser gefährlichen Reise unterlag. Ihr ganzes Vermögen käme dann auf Jane, ihre einzige Verwandte... Wer weiß?... Es giebt so viele Zufälle... wenn man das Talent hat, sie herbeizuführen...

Wohl verstanden, Len Burker hütete sich wohl, Jane von seiner Absicht, sich wieder Mrs. Branican zu nähern, in Kenntniß zu setzen. Er trennte sich von den Wegelagerern, ohne auf ihre Dienste für später vollständig zu verzichten, wenn es sich von neuem um einen Handstreich handelte.


Man mußte daher eine Furt suchen. (S. 222.)

In Begleitung Janes verließ er Queensland und begab sich nach Lady-Charlotte, das nur etwa hundert Meilen entfernt war und welche Ortschaft die Karawane auf dem Wege nach Alice-Spring berühren mußte. So flossen drei Wochen hin. Len Burker befand sich in dem »Run« Waldek-Hill als Aufseher; hier erwartete er Dolly, fest entschlossen, vor keinem Verbrechen zurückzuschrecken, das ihn in den Besitz der Erbschaft bringen konnte.

[231] Als Jane nach Lady-Charlotte kam, ahnte sie noch gar nichts. Wie groß mußte ihre Ueberraschung, man möchte eher sagen, Bestürzung gewesen sein, als sie sich so unerwartet Mrs. Branican gegenüber befand.

Len Burker war damals fünfundvierzig Jahre alt und er hatte noch immer jenen lauernden falschen Blick, jenes heuchlerische Gesicht, das sofort Mißtrauen erweckte.

Was Jane anbelangt, so schien sie um zehn Jahre älter zu sein, als sie wirklich war. Die Gesichtszüge waren verwelkt, die Haare an den Schläfen gebleicht, der ganze Körper schwach. Aber ihr Auge bekam doch Glanz, der durch die Leiden schon fast ganz erloschen war, als sie Dolly erblickte.

[232] Nachdem Mrs. Branican Jane in ihre Arme geschlossen hatte, führte sie dieselbe in das Zimmer, das ihr von dem Farmer in liebenswürdiger Weise zur Verfügung gestellt worden war. Hier gaben sich die beiden Frauen ganz ihren Gefühlen hin. Dolly erinnerte sich nur an die Pflege, mit der Jane sie im Prospect-House umgeben hatte. Sie hatte ihr nichts vorzuwerfen und war bereit, ihrem Gatten zu verzeihen, wenn er bereit wäre, sich nicht mehr von ihnen zu trennen.


Mrs. Branican hätte keinen besseren Führer finden können. (S. 223.)

Beide sprachen lange miteinander. Jane erzählte von ihrer Vergangenheit nur das, was sie sagen konnte, ohne Len Burker zu compromittiren, und Mrs. Branican fragte sie auch nicht weiter. Sie fühlte, wie sehr diese Arme gelitten hatte und noch litt. War das [233] nicht genug, daß sie ihres Mitleides, ihrer Liebe würdig war? Die Lage des Capitän John, die unerschütterliche Hoffnung, ihn bald zu finden, die Anstrengungen, die sie machen werde, um dahin zu gelangen, nur davon sprach sie... dann auch von ihrem kleinen, lieben Wat.... Und als sie sogar sagte, daß er noch lebe, da wurde Jane so bleich, daß Dolly glaubte, die Arme befinde sich unwohl.

Jane gelang es jedoch, sich zu beherrschen, und nun erzählte sie ihr trauriges Leben von dem Tage an, wo ihre Cousine wahnsinnig geworden war, bis zu jenem, der Len Burker zu der Flucht aus San-Diego zwang.

»Ist es möglich, arme Jane, sagte dann Dolly, ist es möglich, daß ich in den vierzehn Monaten, während welcher Du mich pflegtest, keinen einzigen lichten Augenblick hatte?... Ist es möglich, daß ich mich gar nicht mehr an meinen John erinnerte?

– Nein... Dolly!

– Nun... Jane... so will ich Dir jetzt sagen, was ich Niemandem gesagt habe... Als ich wieder zur Vernunft kam... ja... da hatte ich die Ahnung, daß John noch lebe, daß ich nicht Witwe sei... und es schien mir auch

Auch?...«

Ihre Augen drückten eine unaussprechliche Furcht aus, der Blick war verstört, sie erwartete voll Angst, was Dolly sagen werde.

»Ja, Jane, hub Dolly wieder an, ich hatte das Gefühl, daß ich immer noch Mutter war.«

Jane sprang auf und schlug mit den Händen herum, als wollte sie ein entsetzliches Bild verscheuchen; ihre Lippen bewegten sich, ohne daß es ihr gelang, nur ein Wort herauszubringen. Dolly, die ganz in Gedanken versanken war, bemerkte von alledem nichts, und Jane war äußerlich wieder ruhiger geworden, als ihr Gatte auf der Schwelle erschien.

Er blieb an der Thür stehen, und sah seine Frau an, als wollte er sagen:

»Was hast Du gesagt?«

[234] Jane, die unter seiner unbesiegbaren Herrschaft stand, fiel vor diesem Blick in ein Nichts zusammen.

Mrs. Branican verstand ihn. Der Blick Len Burker's erinnerte sie an seine Vergangenheit und an die Leiden Janes. Aber diese Auflehnung ihres Herzens dauerte nur einen Augenblick und sie war entschlossen, seine Leidenschaften zu bezähmen, um sich nie mehr von Jane zu trennen.

»Len Burker, sagte sie, Sie wissen, warum ich nach Australien gekommen bin; es ist eine Pflicht, die ich verfolge, bis ich John wiederfinden werde, denn er lebt. Da Sie der Zufall auf meinen Weg gebracht hat, und ich Jane, meine einzige Verwandte, wiedergefunden habe, so lassen Sie mir sie und erlauben Sie, daß sie mich begleitet, wie sie es wünscht...«

Len Burker zögerte mit der Antwort. Da er fühlte, daß sie gegen ihn voreingenommen sei, so wollte er, daß Mrs. Branican ihren Antrag noch in der Weise ergänze, daß sie ihn ersuchte, sich der Karawane anzuschließen. Nun, da Dolly aber schwieg, glaubte er doch, daß er sich selbst anbieten müsse.

»Dolly, sagte er, ich entspreche sofort ohne Umschweife Ihrem Verlangen und war schon darauf gefaßt. Ich bin vollständig damit einverstanden, daß meine Frau bei Ihnen bleibe. Ja, das Leben ist uns Beiden sehr hart geworden, seitdem mich mein Mißgeschick gezwungen hat, San-Diego zu verlassen. Wir haben viel in diesen vierzehn Jahren gelitten, und Sie sehen, daß mir das Glück auch auf der australischen Erde nicht hold war, da ich mir meinen Lebensunterhalt von einem Tage zum anderen suche, und wenn die Schafschur hier in Waldek-Hill vorüber sein wird, weiß ich nicht, wo ich Arbeit finden werde. Da es mir nun aber leid sein würde, mich von Jane trennen zu müssen, so bitte ich meinerseits um die Erlaubniß, mich der Expedition anschließen zu dürfen. Ich kenne die Eingebornen, mit denen ich schon oft zu thun hatte, und kann daher von großem Nutzen sein. Zweifeln Sie nicht, Dolly, daß ich mein Möglichstes thun werde, um zur Befreiung des Capitän John nach Kräften beizutragen...«

Dolly sah ein, daß sie nur unter dieser Bedingung Jane als Gefährtin erhalten werde. Da er doch bis zu einem gewissen Grade auch von Nutzen sein konnte, so erwiderte schließlich Mrs. Branican, aber in sehr kühlem Tone:

»Einverstanden, Len Burker, und machen Sie sich zum Aufbruche fertig, denn morgen verlassen wir frühzeitig Lady-Charlotte...

[235] – Ich werde bereit sein,« erwiderte Len Burker, der das Zimmer verließ, ohne daß er gewagt hätte, Mrs. Branican die Hand zu geben.

Als Zach Fren hörte, daß Len Burker sich an der Expedition betheiligen werde, war er wenig erbaut, denn er kannte diesen Mann, dessen Betrügereien an Dolly ihm Mr. William Andrew seinerzeit völlig enthüllt hatte. Da er nun wußte, unter welchen Umständen dieser betrügerische Curator und alte Sünder von San-Diego flüchten mußte, konnte er sich auch von dem Leben, daß er seit vierzehn Jahren in Australien führte, viel Schlechtes denken... Doch machte er keine weitere Bemerkung, da er sah, wie glücklich Dolly sich fühlte, Jane in ihrer Nähe zu haben; in seinem Innern aber nahm er sich vor, Len Burker nicht aus den Augen zu verlieren.

Dieser Tag verlief ohne weiteren Zwischenfall. Len Burker, der nicht mehr gesehen wurde, traf seine Vorbereitungen zur Abreise und regelte seine Angelegenheit mit dem Squatter von Waldek-Hill. Letzterer machte ihm weiter keine Schwierigkeiten und erbot sich sogar, seinem ehemaligen Aufseher ein Pferd zur Verfügung zu stellen, damit er die Karawane bis Alice-Spring begleiten könne, wo sie reorganisirt werden sollte.

Dolly und Jane blieben den ganzen Nachmittag und Abend im Hause von Waldek-Hill. Dolly vermied es, von Len Burker zu sprechen und machte nicht die geringste Anspielung auf das, was seit der Flucht von San-Diego vorgegangen war, da sie einsah, daß Jane dies nicht sagen konnte.

An jenem Abende kamen weder Tom Marix noch Godfrey in die Farm von Waldek-Hill, da sie auf Recognoscirung nach den ansässigen Eingebornen geritten waren, die in der Nähe von Lady-Charlotte ihre Dörfer hatten. Erst am folgenden Tage hatte Mrs. Branican Gelegenheit, Jane ihren Adoptivsohn Godfrey vorzustellen.

Jane war von der auffallenden Aehnlichkeit dieses Knaben mit dem Capitän John so betroffen, daß sie ihn nicht anzusehen wagte. Welche Gefühle durchwogten ihre Brust, als ihr Dolly erzählte, unter welchen Umständen sie ihm an Bord des »Brisbane« begegnet war... ein Findelkind aus den Straßen von San-Diego, im Wat-House erzogen... ungefähr vierzehn Jahre alt...

Jane hörte, bleich wie der Tod, diesen Worten mit der größten Bestürzung zu.

Als Dolly sie allein ließ, fiel sie auf die Knie und rang die Hände; dann belebten sich ihre Züge...

[236] »Er!... Er! rief sie bewegt aus. Er!... bei ihr!... Gott hat es so gewollt!«

Einen Augenblick darauf verließ Jane Waldek-Hill und eilte in die Hütte, die ihr und ihrem Gatten als Wohnung diente. Len Burker schnürte eben ein Bündel zu, in dem sich einige Kleidungsstücke und andere nothwendige suchen für die Reise befanden. Als er Jane bleich hereinstürzen sah, erschrak er.

»Was giebt es? fragte er barsch. Sprich doch!... Wirst Du sprechen?... Was giebt es?

– Er lebt! rief Jane... Er ist hier... bei seiner Mutter... er, den wir für...

– Bei seiner Mutter... Er lebt... Er?... erwiderte Len Burker, der wie vom Blitze getroffen dastand. Er hatte nur allzugut verstanden, wer »Er« war.

– Er!... wiederholte Jane. Er... das zweite Kind Johns und Dollys.«

Eine kurze Erklärung wird genügen, um uns mit dem bekannt zu machen, was vor Jahren im Prospect-House vorgefallen war.

Einen Monat nach der Uebersiedlung in das Haus zu San-Diego bemerkten Mr. und Mrs. Burker, daß die geisteskranke Dolly zum zweitenmale Mutter wer den sollte. Geschickt von der Mulattin Nô bewacht, wurde Dolly, trotz der flehentlichen Bitten Janes, vor allen Freunden und Bekannten verborgen gehalten, indem man ihre Krankheit zum Vorwande nahm. Sieben Monate später brachte die unglückliche Frau ein zweites Kind zur Welt, ohne daß eine Spur davon in ihrer Erinnerung haften geblieben wäre. Da um diese Zeit der Tod des Capitän John schon allgemein angenommen wurde, so durchkreuzte dieses Kind auf einmal die Hoffnungen Len Burker's auf die Erbschaft Dollys. Aus diesem Grunde wurde nun das ganze Dienstpersonal im Prospect-House entlassen, und Dolly von allen Besuchern ferngehalten, ohne daß Jane sich diesen verbrecherischen Vorgängen ihres Mannes hätte widersetzen können. Das Kind wurde einige Stunden nach seiner Geburt von Nô in einer Straße von San-Diego ausgesetzt, glücklicherweise von einem Vorübergehenden gefunden und in das Findelhaus gebracht. Acht Jahre nach der Gründung von Wat-House ging der Knabe zur See. Jetzt erklärt sich die große Aehnlichkeit Godfreys mit dem Capitän John, seinem Vater, und jetzt sind uns die Gefühle verständlich, welche Dolly, die noch immer Mutter war, ohne es zu wissen, zu diesem Kinde hinzogen.

[237] »Ja, Len, rief Jane, er ist es! Es ist ihr Sohn!... Wir müssen Alles gestehen.«

Aber dies hätte von neuem seine Pläne durchkreuzt. Er fluchte, drohte und schwor; dann faßte er Jane bei der Hand, sah ihr fest in die Augen und sagte:

»Im Interesse Dollys... wie in dem Godfreys... rathe ich Dir, zu schweigen.«

7. Capitel
Siebentes Capitel.
Der Zug nach Norden.

Es war kein Zweifel, Godfrey war das zweite Kind des Ehepaares Branican. Diese Liebe, welche Dolly gleich vom ersten Anblicke zu dem Knaben hatte, quoll nur aus dem mütterlichen Instinct. Aber es blieb ihr ganz unbekannt, daß dieser Knabe ihr Sohn war, und wie hätte sie es jemals erfahren können, da Jane, durch die Drohungen Len Burker's eingeschüchtert, gezwungen wurde, zu schweigen, um Godfrey in keine Gefahr zu bringen. Alles einzugestehen war so viel, als den Knaben der Gnade Len Burker's zu überliefern, dessen sich der Elende, der ihn schon einmal dem Tode ausgesetzt hatte, auf diesem gefährlichen Zuge zu entledigen gewußt hätte... Mutter und Sohn durften nie wissen, welche Bande sie verknüpften.

Als Len Burker Godfrey zum erstenmale sah, da zweifelte er wegen der frappirenden Aehnlichkeit mit John nicht im geringsten, daß er das ausgesetzte Kind sei. Jetzt, wo er den Untergang John Branican's als sicher ansah, erscheint auf einmal dieses Kind! Nun, Tod und Teufel diesem Knaben, wenn Jane das Geheimniß ausplaudern würde! Aber Len Burker konnte beruhigt sein; Jane würde schweigen.

Am 11. October brach die Karawane nach vierundzwanzigstündiger Rast wieder auf. Jane nahm in dem Buggy neben Mrs. Branican Platz; Len Burker, der ein ziemlich gutes Pferd hatte, ritt hin und her und sprach besonders gern [238] mit Tom Marix von den Ländern, welche sie längs der telegraphischen Linie zu durchziehen hatten. Er mied Zach Fren, der aus seiner Antipathie gegen ihn kein Hehl machte; ebenso ging er Godfrey aus dem Wege, dessen Blick er nicht ertragen konnte. So oft der Knabe zu dem Buggy der Mrs. Branican ritt, um mit Dolly und Jane zu sprechen, zog sich Len Burker zurück, um nicht bei ihm sein zu müssen.

Je tiefer die Expedition in das Innere vordrang, desto öder wurde das Land. Hier und da standen einige Farmen, wo sich die Arbeit auf die Schafzucht beschränkte, endlose Prairien breiteten sich aus, und die Gummibäume und Eukalypten bildeten nur noch einzelne Gruppen, die in nichts den Wäldern von Südaustralien glichen.

Am 12. October, Abends sechs Uhr, lagerte die Karawane an den Ufern des Finke-River, in der Nähe des Danielberges, der im Westen emporsteigt. Die Geographen sehen diesen Fluß, den die Eingebornen Larra-Larra nennen, für den größten von Centralaustralien an.

Tom Marix machte Mrs. Branican im Laufe des Abends darauf aufmerksam, während Zach Fren, Len und Jane Burker ihr unter einem der Zelte Gesellschaft leisteten.

»Man wollte wissen, sagte Tom Marix, ob der Finke-River seine Wasser in den ungeheuren Eyresee ergieße, den wir jenseits von Farina-Town umgangen haben. Nun, diese Frage ist von dem berühmten Forscher David Lindsay im Jahre 1885 gelöst worden, der von der Station The-Peak, die wir auch berührt haben, dem Flusse bis zu der Stelle folgte, wo er im Sande verschwindet, nämlich nordöstlich von Dalhousie. Aber man glaubt, daß er in der Regenzeit seine Fluthen bis in den Eyresee wälzt.

– Wie lang mag der Finke-River sein? fragte Mrs. Branican.

– Man giebt ihm eine Länge von ungefähr neunhundert Meilen, erwiderte Tom Marix.

– Müssen wir ihm lange folgen?

– Nur einige Tage, denn er macht sehr viele Biegungen und wendet sich schließlich gegen Westen.

– Diesen David Lindsay, von dem Sie sprachen, habe ich gekannt, sagte da Len Burker.

– Sie haben ihm gekannt? fragte Zach Fren in einem Tone, der deutlich den Zweifel zum Ausdruck brachte.

[239] – Ist denn da etwas gar so Erstaunliches dabei? versetzte Len Burker. Ich bin ihm bei Dalhousie begegnet, von wo er an die Westgrenze von Queensland zog, das ich damals für ein Haus in Brisbane bereiste.


... sie hatten bald Gelegenheit, einen derselben zu tödten. (S. 226.)

– Ja, den Weg schlug Lindsay damals ein, hub Tom Marix wieder an. Dann zog er nach Alice-Spring zurück und von da gegen den Golf vom Carpentaria, wo er seine zweite Reise von Süden nach Norden durch den Continent vollendete.

– Ich füge hinzu, sagte Len Burker, daß David Lindsay von einem deutschen Botaniker, namens Dietrich, begleitet war. Ihre Karawane bediente


Die Arbeiter verloren keine Minute. (S. 228.)

[240] [243]sich nur der Kameele als Lastthiere. Ich glaube, daß Sie, Dolly, auch die Absicht haben, die Ihrige jenseits von Alice-Spring so zusammenzustellen, und ich bin sicher, daß Sie Erfolg haben werden wie David Lindsay...

– Ja, wir werden Erfolg haben, sagte Mrs. Branican.

– Niemand zweifelt daran«, fügte Zach Fren hinzu.

Es schien nicht unwahrscheinlich, daß Len Burker David Lindsay begegnet habe, was auch Jane Burker bestätigte, doch wenn Dolly ihn gefragt hätte, für welches Haus in Brisbane er damals reiste, so wäre er durch diese Frage vielleicht in Verlegenheit gekommen.

In den Stunden, die Mrs. Branican und ihre Gefährten am Ufer des Finke-River zubrachten, erhielt man indirecte Nachrichten über den Engländer Jos Meritt und Gîn-Ghi, seinen chinesischen Bedienten. Beide waren der Karawane ungefähr um zwölf Meilen voraus. Man erfuhr nämlich von den Eingebornen, daß sich dieser famose Hutsammler vor fünf Tagen mit seinem Bedienten in dem Dorfe Kilna, ungefähr eine Meile von der Station entfernt, aufgehalten habe.

Kilna zählt einige hundert Schwarze – Männer, Frauen und Kinder – welche in unförmlichen Hütten aus Rinde wohnen. Diese Hütten heißen in australischer Sprache »Villums«, und wir können nicht umhin, auf die Aehnlichkeit dieses Wortes mit dem französischen »ville« und dem englischen »village« aufmerksam zu machen.

Diese Eingeborenen, von denen einige einen bemerkenswerthen Typus haben und die meist kräftig und von unermüdlichem Temperamente sind, verdienen näher ins Auge gefaßt zu werden. Meistentheils haben sie vorspringende Augenbrauen, dichtes, gekräuseltes Haar, eine kleine Stirn, große Nasenlöcher und großen Mund mit starkem Gebiß.

Woher stammen diese Eingebornen des fünften Welttheiles? Existirte wirklich einmal – wie es mehrere Gelehrte behaupten – ein Continent im Stillen Ocean, von dem nur noch die Bergesspitzen als Inseln über dem großen Wasser übriggeblieben sind? Sind diese Australier Nachkommen jener zahlreichen Rassen, die diesen Continent in uralten Zeiten bewohnten? Solche Theorien dürften wahrscheinlich nur Hypothesen bleiben. Doch wenn diese Erklärung zugelassen wird, müßte man daraus den Schluß ziehen, daß dieses autochthone Geschlecht sowohl in physischer, als auch in moralischer Beziehung entartet ist. Die Australier sind wild geblieben und stehen durch ihre Menschenfresserei – wenigstens [243] einige Stämme – auf der niedrigsten Culturstufe. In einem Lande, wo es keine Löwen, Tiger und Panther giebt, vertreten sie wegen ihres Cannibalismus diese wilden Thiere. Sie bebauen nicht den undankbaren Boden, entbehren der nothwendigsten Hausgeräthe und haben nur rohe Waffen, wie die Lanze, die Axt »Nolla-nolla«, eine Art Keule aus sehr hartem Holze, und den berühmten »Boomerang«, jenes Wurfgeschoß, das, von kräftiger Hand geschleudert, wieder zurückfliegt, kurz, die Australier sind Wilde im vollsten Sinne des Wortes.

Solchen Menschen hat die Natur auch die passende Frau gegeben, die »Lubra«, die wegen ihres kräftigen Körperbaues die Strapazen des Nomadenlebens ertragen und die härtesten Arbeiten verrichten kann. Diese unglücklichen Geschöpfe sind schon mit fünfundzwanzig Jahren alt und häßlich.

Nun – würde man es glauben? – diejenigen, welche mit den europäischen Colonien in Berührung stehen, beginnen den europäischen Moden zu folgen. Ja, sie wollen Kleider mit Schleppen! Sie wollen Hüte mit Federn darauf! Die Männer sind in der Wahl ihrer Kopfbedeckung nicht weniger eigen und geben Alles hin, um dieser Neigung zu huldigen.

Ohne allen Zweifel kannte Jos Meritt die interessante Forschungsreise Carl Lumholtz' in Australien. Wie sollte er sich auch den Marsch dieses kühnen Norwegers nicht gemerkt haben, der sich ein halbes Jahr bei den wilden Cannibalen des Nordwestens aufgehalten hat? Der Reisende berichtet:

»Ich begegnete unterwegs meinen zwei Eingebornen... Sie waren sehr schön: Der eine kam im Hemde daher, der andere hatte einen Frauenhut auf. Diese Kleidungsstücke, die von Australnegern sehr geschätzt sind, gehen von Stamm zu Stamm, von denen, die den europäischen Colonien am nächsten wohnen, bis zu denen, die mit den Weißen nie in Berührung kommen. Mehrere meiner Leute (Eingeborne) borgten sich einen Hut und setzten ihn stolz einer nach dem anderen auf. Einer derselben, der vor mir im Adamscostüm ging und unter der Last meines Gewehres schwitzte, sah von rückwärts in diesem Frauenhute komisch genug aus. Welche Stürme mochte dieser Hut auf dem langen Wege von den Europäern bis zu den Wilden durchgemacht haben!«

Das wußte Jos Meritt und vielleicht fand er auf dem Kopfe eines Häuptlings der westlichen oder nordwestlichen Stämme diesen unschätzbaren Hut, dessen Erwerbung ihn schon einmal bei den Menschenfressern des Continentes von Australien in Lebensgefahr gebracht hatte. Da er bei den Stämmen von Queensland keinen Erfolg hatte, so konnte er einen solchen vielleicht bei den Eingebornen [244] von Kilna erzielen; das war der Grund, weshalb er jetzt seine abenteuerlichen Wanderungen durch die Wüste von Centralaustralien fortsetzte.

Am 13. October gab Tom Marix bei Sonnenaufgang das Zeichen zum Aufbruch, und die Karawane nahm ihre gewöhnliche Ordnung ein. Dolly fühlte sich glücklich, Jane bei sich zu wissen, und Jane war es ein großer Trost, Mrs. Branican wieder gefunden zu haben. Sie saßen in dem Buggy allein und konnten so recht nach Herzenslust ihre Gefühle austauschen. Warum wagte Jane nicht, ihr Versprechen gegenüber Len Burker zu brechen? Wenn sie Zeuge war der mütterlichen und kindlichen Liebe, die jeden Augenblick durch eine Handbewegung oder durch einen Blick zwischen Dolly und Godfrey zum Ausdrucke kam, da schien es, als wolle ihr das Geheimniß entschlüpfen... Aber sie erinnerte sich an die Drohungen Len Burker's, und aus Furcht, den jungen Matrosen ins Verderben zu stürzen, trug sie bei dem Austausch dieser Liebesbezeugungen eine Gleichgiltigkeit zur Schau, die Dolly mit Kummer bemerkte.

Wir können uns leicht vorstellen, was sie litt, als Dolly eines Tages zu ihr sagte:

»Du wirst es begreiflich finden, Jane, daß ich bei dieser Aehnlichkeit und den eigenthümlichen Gefühlen, die mich zu diesem Kinde hinzogen, schließlich glaubte, daß mein Kind nicht ertrunken sei, und daß es weder Mr. Andrew, noch ein anderer meiner Freunde gewußt habe... Deshalb dachte ich, daß Godfrey unser Sohn sei... Aber nein!... Der arme kleine Wat schläft auf dem Friedhofe von San-Diego!

– Ja... Dort haben wir ihn begraben, liebe Dolly, erwiderte Jane. Dort ist sein Grab inmitten von Blumen!

– Jane!... Jane!... rief Dolly, da Gott mir mein Kind nicht zurückgegeben hat, so möge er mir seinen Vater... möge er mir John zurückgeben!«

Am 15. October um sechs Uhr Abends ließ die Karawane den Berg Humphries hinter sich und hielt am Ufer des Palmes-Creek, eines Nebenflusses des Finke-River. Da er wegen der heißen Jahreszeit fast ganz ausgetrocknet war, so konnte man leicht übersetzen, wie man dies bei dem Hughes-Creek nach drei Tagen ebenfalls that.

In dieser Richtung zogen sich die Drähte der Overland-Telegraf-Line wie die Fäden der Ariadne von Station zu Station dahin. Man stieß hie und da auf einige Häusergruppen, seltener auf Farmen, wo Tom Marix für schweres [245] Geld frisches Fleisch kaufte. Godfrey und Zach Fren gingen stets auf Recognoscirung aus, und die Farmer gaben ihnen bereitwilligst Auskunft über die Nomadenstämme, die diese Gegenden durchzogen. Hatten sie nichts von einem Weißen gehört, der von den Indas des Nordens oder Westens gefangen gehalten wurde? Stets ein trostloses Nein! Sie fanden nicht die geringste Spur, welche sie auf die Fährte des Capitän John gebracht hätte, und mußten sich daher beeilen, nach Alice-Spring zu kommen, von dem sie kaum noch achtzig Meilen entfernt waren.

Vom Hughes-Creek an wurde der Weg beschwerlicher, so daß man nur langsam vorwärts kam. Enge Schluchten mit kleinen Gewässern hielten sie oft auf; Tom Marix und Godfrey suchten immer die besten Durchgänge, welche die Reiter und auch die Buggys oft bequem passiren konnten. Etwas anderes war es mit den Lastwagen, die nur mit den größten Anstrengungen hindurchgebracht werden konnten. Da man auch einen Achsen- oder Räderbruch vermeiden mußte, um nicht mit der Reparatur aufgehalten oder gar zur Zurücklassung des Wagens gezwungen zu werden, so wurden solche Hindernisse womöglich umgangen.

Am 19. October kam die Karawane in jenes Gebiet, wo die telegraphische Linie nicht mehr gerade fortging, was übrigens die Beschaffenheit des Bodens schon allein bedingte.

An einigen Stellen dieser Gegenden gab es zahlreiche Känguruhs, welche die Weißen nur aus Vergnügen jagen, denn man müßte ein Neger sein, um ihr Fleisch genießbar zu finden. Tom Marix und Godfrey gelang es nur, zwei oder drei Paare dieser schnellen Thiere zu erreichen, die wie ein Pferd im Galopp dahinlaufen. Wir müssen nach hinzufügen, daß der Schweif dieser Känguruhs eine ausgezeichnete Suppe gibt, die Jedem beim Nachtmahle recht gut schmeckte.

Diese Nacht war unruhig, da das Lager durch einen Angriff jener Ratten in Unruhe versetzt wurde, wie man sie nur in Australien sieht. Niemand hätte schlafen können, ohne nicht von ihnen gebissen zu werden, und man schlief auch nicht.

Am folgenden Tage zog die Karawane weiter, indem sie diese lästigen Thiere verwünschte. Bei Sonnenuntergang erreichte sie Mac-Donnell-Ranges, von wo aus sie ein günstiges Terrain fand. Noch ungefähr vierzig Meilen, und der erste Theil des Weges war zurückgelegt.

[246] Am 23. October durchzogen sie unabsehbare Ebenen; die Wagen folgten ohne Schwierigkeit dem Wege, den die Telegraphenstangen vorzeichneten. Es war fast unglaublich, wie die Linie, die in diesen öden Gegenden so wenig bewacht war, von den Eingebornen so sehr unberührt gelassen wurde. Tom Marix erwiderte auf eine bezügliche Bemerkung hin Folgendes:

»Die Nomaden, welche von unserem Ingenieur elektrisch gezüchtigt wurden, glauben, daß der Donner an diesen Drähten entlang laufe, und sie hüten sich wohl, daran zu rühren. Sie bilden sich sogar ein, daß ihre beiden Enden bis auf die Sonne und den Mond zurückgehen und daß diese Kugeln auf sie fallen würden, wenn sie nur die Pfähle berührten.«

Um elf Uhr wurde der Gewohnheit gemäß ein dreistündiger Halt gemacht, weil man nicht in der größten Hitze weiterziehen wollte. Es war aber nur ein Halt und kein Lagern, denn Tom Marix ließ weder die Ochsen, noch die Pferde ausspannen. Man schlug keine Zelte auf und zündete auch kein Feuer an, da bei dieser Mahlzeit (die erste fand bei Sonnenaufgang statt) nur Conserven und kaltes Wildpret verzehrt wurden.

Jeder setzte oder streckte sich im Grase aus; nach einer halben Stunde schliefen gewöhnlich die Ochsentreiber und die Leute der Escorte ein und erwachten erst, wenn das Zeichen zum Aufbruche gegeben wurde.

Mrs. Branican, Jane und Godfrey bildeten eine Gruppe für sich; während sie ihr Frühstück einnahmen, sprachen sie von ihrer nahen Ankunft in Alice-Spring. Die Hoffnung, welche Dolly nie verlassen hatte, theilte Godfrey, und selbst wenn ein Grund zum Verzweifeln dagewesen wäre, so würde er in seiner Ueberzeugung nicht erschüttert worden sein. Ueberhaupt waren Alle voll Vertrauen auf den Erfolg der Expedition, und ihr Entschluß stand fest, Australien nicht eher zu verlassen, bis sie nicht genau das Schicksal des Capitän John kannten.

Es versteht sich von selbst, daß Len Burker bei jeder Gelegenheit zur Ermuthigung nur noch beitrug. Es paßte ihm gerade in sein Spiel, denn er hatte ein Interesse daran, daß Mrs. Branican nicht nach Amerika zurückkehrte, wohin er nicht mehr gehen konnte. Dolly, die nichts von seinen schändlichen Plänen ahnte, dankte ihm noch für seine stete Unterstützung.

Während dieses Aufenthaltes sprachen Tom Marix und Zach Fren von der nothwendigen Reorganisation der Karawane in Alice-Spring. Sollten nicht erst dort die eigentlichen Schwierigkeiten einer Expedition durch Centralaustralien beginnen?


»Einverstanden, Len Burker, und machen Sie sich zum Aufbruche fertig.« (S. 235.)

[247]

Es mochte ungefähr halb zwei Uhr sein, als ein dumpfes Geräusch gegen Norden vernommen wurde. Es war ein fortwährendes Donnern, wir möchten sagen ein Aufruhr, der sich heulend hinwälzte.

Mrs. Branican, Jane und Godfrey standen auf und horchten. Tom Marix und Zach Fren traten auf sie zu und lauschten ebenfalls.

»Was mag das nur sein? fragte Dolly.

– Ein Gewitter ohne Zweifel, versetzte Zach Fren.

– Ich möchte eher sagen, eine Brandung,« bemerkte Godfrey.

[248] Aber da die Luft elektrisch leer zu sein schien und auch sonst kein Symptom eines Gewitters da war, so konnte man sich die Erscheinung nicht erklären. Als Zach Fren meinte, es könnten vielleicht wüthende Gewässer sein, die auf einmal durch eine Naturgewalt entfesselt wurden, da erwiderte Tom Marix:

»Eine Ueberschwemmung in diesem Theile des Continentes, um diese Zeit, nach einer solchen Trockenheit? Nein, seien Sie ganz beruhigt, das ist unmöglich.«

Er hatte Recht.

[249] In Folge großer Gewitter kommt es oft vor, daß die Flüsse steigen und eine furchtbare Ueberschwemmung anrichten; aber gegen Ende des Monats October war eine solche Erklärung unzulässig.


Len Burker, der ein gutes Pferd hatte, ritt hin und her. (S. 238)

Len Burker, der ein gutes Pferd hatte, ritt hin und her. (S. 238)


Tom Marix, Zach Fren und Godfrey bestiegen eine kleine Anhöhe und blickten unruhig gegen Norden und Osten, aber sie sahen nichts auf diesen ungeheuren trockenen Ebenen. Und doch! Dort am Horizont entwickelte sich eine eigenthümliche Wolke, die man nicht mit jenen Dämpfen vergleichen konnte, welche von der Erde zum Himmel emporsteigen. Es war eher ein dicker Qualm, wie er sich über abgeschossenen Kanonen erhebt. Was den Lärm anbelangt, der dieser Staubwolke entstieg – wie hätte man daran zweifeln können, daß es eine Staubwolke war? – so wuchs er deutlich und hörte sich an, als ob mehrere Regimenter Cavallerie dahergeritten kämen. Woher kam das?

»Ich weiß es... Ich habe es schon einmal gesehen!... Das sind Schafe! rief Tom Marix.

– Schafe? rief Godfrey lächelnd. Wenn das nur Schafe wären!

– Lachen Sie nicht, Godfrey erwiderte der Führer der Escorte. Es sind vielleicht Tausende und Abertausende von Schafen, die vor Entsetzen fliehen... Sie stürzen wie eine Lawine dahin und vernichten Alles auf ihrer Flucht.«

Tom Marix übertrieb nicht. Wenn diese Thiere aus einem oder dem anderen Grunde – was oft im Innern der »Runs« vorkommt – scheu werden, so kann sie nichts aufhalten, sie stürzen die Barrièren um und entfliehen. Ein altes Sprichwort sagt: »Vor den Schafen hält der Wagen des Königs«, und es ist wahr, eine Heerde solcher Thiere läßt sich eher todtschlagen, als daß sie Platz machte. Da sich diese Wolke zwei bis drei Meilen ausdehnte, so konnte man annehmen, daß irgend ein panischer Schrecken Hunderttausende dieser Thiere gegen die Karawane treibe. Sie rannten wie wahnsinnig von Norden nach Süden und würden erst in dem Augenblicke Halt machen, wo sie erschöpft zusammenbrachen.

»Was ist da zu thun? fragte Zach Fren.

– Sich so gut als möglich zu schützen,« erwiderte Tom Marix.

Da nichts anderes zu machen war, so trafen sie gleich alle Maßregeln, denn die Lawine der Schafe war nur noch zwei Meilen entfernt; die Wolke stieg mächtig zum Himmel empor und aus dieser erscholl ein furchtbares Blöken. Die Wagen wurden rasch gegen eine Hügellehne geschoben und die Treiber und Reiter zwangen die Pferde und Ochsen, sich auf der Erde auszustrecken, [250] um so dem Ansturme besser widerstehen zu können, der über ihrem Kopfe dahingehen mußte. Die Menschen drängten sich an die Berglehne hin und Godfrey stellte sich dicht neben Dolly, um sie, wenn nothwendig, zu beschützen.

Unterdessen hatte Tom Marix die kleine Anhöhe noch einmal bestiegen und sah über die Ebene hin, welche »blökte«, wie das Meer unter einem Sturme brüllt. Die Heerde kam mit furchtbarem Getöse daher und füllte ein Drittel des ganzen Horizontes aus. In weniger als zwei Minuten mußte sie bei dem Berge sein.

»Achtung! Da sind sie!« rief Tom Marix.

Schnell eilte er zu der Stelle, wo Mrs. Branican, Jane, Godfrey und Zach Fren dicht nebeneinander standen.

Fast zu gleicher Zeit kam die erste Heerde dahergestürmt; sie hielt nicht ein und würde auch nicht eingehalten haben. Die vordersten Thiere stürzten den Abhang hinab und einige Hundert fielen hin, da ihnen der Boden unter den Füßen fehlte. In das Blöken mischte sich das Wiehern der Pferde, das Brüllen der Ochsen, die von Entsetzen ergriffen waren. Man sah nichts in dieser furchtbaren Staubwolke, während die Lawine den Abhang in unwiderstehlichem Laufe hinunterstürzte: es war ein daherbrausender Sturzbach von Schafen.

Das dauerte ungefähr fünf Minuten, und Tom Marix, Godfrey und Zach Fren, die sich zuerst erhoben, sahen die letzten Reihen gegen Süden weiter eilen.

»Auf!... Auf!« rief der Führer der Escorte.

Alle erhoben sich. Einige Quetschungen und ein wenig Schaden an den Wagen war Alles, was, Dank dem Schutze dieses Abhanges, die Schafe an Menschen und Material der Karawane zufügten.

Tom Marix, Godfrey und Zach Fren stiegen sofort den Hügel hinauf.

Gegen Süden verschwand die fliehende Truppe wie ein Vorhang sandigen Staubes; gegen Norden dehnte sich endlos die weite Ebene aus.

Aber plötzlich rief Godfrey:

»Dort!... Sehen Sie dort!«

In einer Entfernung von ungefähr zweihundert Schritten lagen zwei Menschen – gewiß Eingeborne, die von den Schafen umgeworfen und zertreten worden waren.

Tom Marix und Godfrey eilten hin.

Welche Ueberraschung! Jos Meritt und sein Bedienter Gîn-Ghi lagen leblos da...

[251] Sie athmeten aber noch, und durch schleunige Hilfe erholten sie sich bald von dem furchtbaren Zusammenstoße. Kaum schlugen sie die Augen auf, so erhoben sie sich, so viel Quetschungen sie auch erhalten hatten.

»O!... Gut!... Sehr gut!« sagte Jos Meritt.

Dann drehte er sich um.

»Und Gîn-Ghi? fragte er.

– Gîn-Ghi ist da... oder wenigstens, was von ihm übrig geblieben ist! erwiderte der Chinese, indem er sich die Rippen rieb. Das waren wohl ein bischen zu viel Schafe, Master Jos, mehr als zehntausend!

– Nie zu viel Hammelkeulen, nie zu viel Coteletten, erwiderte der Gentleman, daher auch nicht zu viel Schafe, Gîn-Ghi! Es ist nur ärgerlich, daß wir kein einziges erwischt haben.

– Trösten Sie sich, Herr Meritt, erwiderte Zach Fren, am Fuße des Abhanges liegen Hunderte derselben zu Ihren Diensten.

– Sehr gut!... O!... Sehr gut!« versetzte phlegmatisch der Engländer.

Dann wandte er sich zu seinem Diener, der sich jetzt nicht mehr die Rippen, sondern die Schultern rieb.

»Gîn-Ghi?

– Herr Jos?

– Zwei Coteletten für heute Abend... Zwei Coteletten... blutige!«

Jos Meritt und Gîn-Ghi erzählten dann, was vorgefallen war. Sie waren der Karawane ungefähr drei Meilen voraus, als sie von den Schafen überrascht wurden. Ihre Pferde flohen, trotz ihrer Anstrengung, sie zurückzuhalten. Sie wurden umgerissen, getreten, und ein Glück, daß sie nicht zu Brei zerstampft wurden, und ebenso ein Glück, daß Mrs. Branican und ihre Gefährten zur rechten Zeit gekommen waren, um ihnen zu helfen.

So war denn Jeder dieser ernsten Gefahr entgangen, und man setzte den Weg wieder fort. Gegen sechs Uhr Abends kam die Karawane in Alice-Spring an.

[252]
8. Capitel
Achtes Capitel.
Jenseits von Alice-Spring.

Am folgenden Tage, dem 24. October, beschäftigte sich Mrs. Branican mit der Reorganisation der Karawane für den weiteren Weg, der wahrscheinlich beschwerlich werden würde, da er sich durch fast unbekannte Gegenden von Centralaustralien hindurchzog.

Alice-Spring ist nur eine Station der Overland-Telegraf-Line und besteht aus etwa zwanzig Häusern, so daß sie nicht einmal eine Ortschaft genannt werden kann.

Mrs. Branican begab sich zuerst zu dem Oberhaupte dieser Station, Mr. Flint, der vielleicht etwas über die Indas wußte. Kam dieser Stamm, bei welchem Capitän John gefangen gehalten wurde, nicht manchmal aus dem Westen von Australien bis in die Gegenden des Centrums?

Mr. Flint konnte in dieser Hinsicht nichts Bestimmtes sagen; wenn auch die Indas zeitweilig den westlichen Theil von Alexandraland verlassen, so hatte er doch nie etwas von einem John Branican gehört. Was Harry Felton anbelangt, so wußte er, daß dieser ungefähr achtzig Meilen östlich von der Telegraphenlinie, an der Grenze von Queensland, gefunden wurde. Nach seiner Meinung wäre es das Beste, sich genau an die Angaben zu halten, die der Unglückliche vor seinem Tode gemacht hatte. Er rieth, die Richtung gegen die Districte von Westaustralien einzuschlagen; außerdem hoffte er, daß diese Expedition eben dort erfolgreich enden würde, wo er, nämlich Flint, vor sechs Jahren vergebens Leichhardt aufsuchte, da die Kämpfe der Eingebornen untereinander ihn bald zum Verlassen jener Gegenden zwangen. Er stellte sich Mrs. Branican zur Verfügung, um ihr alle Hilfsquellen der Station zu erschließen. Er hätte dies, fügte er hinzu, auch für David Lindsay gethan, als dieser Forschungsreisende sich im Jahre 1886 in Alice-Spring aufhielt, bevor er die Richtung gegen Nash und die östlichen Gebirge der Mac-Donnell-Ranges einschlug.

So sah um jene Zeit der Theil von Australien aus, den die Expedition jetzt in der Richtung gegen Nordwesten durchsuchen wollte.

[253] Zweihundertsechzig Meilen von Alice-Spring entfernt, bei dem 127. Meridian, befindet sich die Grenze von Norden nach Süden, die Südaustralien, Alexandraland und Nordaustralien von jener Provinz trennt, die unter dem Namen Westaustralien bekannt ist und zur Hauptstadt Perth hat. Diese Provinz ist die größte, am wenigsten bekannte und am wenigsten bevölkerte von Australien. In Wirklichkeit ist sie geographisch nur durch den Umriß ihrer Küsten be stimmt, welche die Länder Nuyts, Lieuwin, Wlaming, Endrack, Witt und Tasmanland umfassen. Die neueren Karten geben im Innern dieses Landes, das nur von den nomadisirenden Eingebornen durchzogen wird, in seinen ungeheuren Einöden drei Wüsten an:

1. Im Süden die Wüste, die sich zwischen dem 30. und 28. Breitegrade ausdehnt, die von Forrest im Jahre 1869 erforscht und von Gilles in ihrer ganzen Länge 1875 durchzogen wurde

2. Die Gibson-Wüste, zwischen dem 28. und 23. Grade, deren ungeheure Flächen Giles im Jahre 1876 durchzog.

3. Die Große Sandy-Wüste, zwischen dem 23. Grade und der nördlichen Küste, welche der Oberst Warburton unter furchtbaren Gefahren im Jahre 1873 von Osten nach Nordwesten bereiste.

Gerade diese Strecke sollte die Karawane der Mrs. Branican durchmessen, indem sie nach den Angaben Harry Felton's den Weg des Obersten Warburton einschlagen wollte. Der Zug dieses kühnen Reisenden von Alice-Spring bis an die Küste des Indischen Oceans dauerte nicht weniger als vier Monate, die ganze Reise aber vom September 1872 bis Januar 1874. Wie lange würden da Mrs. Branican und ihre Gefährten zu diesem Wege brauchen?

Dolly empfahl Zach Fren und Tom Marix, nicht einen Tag zu verlieren und Alles nach den Angaben Mr. Flint's vorzubereiten. Binnen vierzehn Tagen wurden auf Rechnung der Mrs. Branican dreißig Kameele gekauft, die alle in Alice-Spring mit ihren afghanischen Führern des Aufbruches harrten.

Die Kameele wurden erst vor dreißig Jahren in Australien eingeführt, indem Mr. Elder im Jahre 1860 eine große Anzahl derselben aus Indien importiren ließ. Diese nützlichen, mäßigen und starken Thiere können eine Last von hundertfünfzig Kilogramm tragen und vierzig Kilometer in einem Tage zurücklegen, wobei sie immer gleichmäßig dahinschreiten. Außerdem können sie eine Woche ohne Nahrung, drei Tage im Sommer, sechs Tage im Winter ohne Wasser bleiben. Sie werden auf diesem trockenen Continente zu denselben Diensten [254] verwendet, wie in den glühenden Gegenden Afrikas. Dort wie hier ertragen sie geduldig Durst und Hitze. Werden doch die Sahara und die Große Sandwüste von den correspondirenden Breitegraden der beiden Halbkugeln durchschnitten!

Mrs. Branican verfügte nun über dreißig Kameele, zwanzig Reit- und zehn Lastthiere. Die meisten derselben waren männlich und jung, aber auch kräftig und gesund. Wie die Escorte in Tom Marix ihren Führer hatte, ebenso hatten auch diese Thiere ein altes, männliches Kameel zum Führer, dem sie gern folgten. Es leitete sie, sammelte sie bei einer Rast und hinderte sie davonzulaufen. Würde es fallen oder krank sein, so wären die Führer unfähig, die Ordnung aufrecht zu halten. Es ist selbstverständlich, daß dieses werthvolle Thier Tom Marix zugewiesen wurde, und diese beiden Führer – der eine trug den anderen – befanden sich an der Spitze der Karawane.

Man kam überein, die Pferde und Ochsen, welche die Leute von der Station Farina bis nach Alice-Spring getragen hatten, in der Obhut Flint's zu lassen, weil die Karawane wahrscheinlich denselben Rückweg der Telegraphenlinie entlang einschlagen würde.

Dolly und Jane saßen zusammen in einer »Kibitka«, einer Art von arabischem Zelt, das eines der stärksten Kameele der Karawane trug. Sie waren in demselben gegen die Strahlen der Sonne durch Vorhänge geschützt und konnten sich sogar gegen Regengüsse schützen, welche große Gewitter, was freilich selten vorkam, auf diese weiten Ebenen schütten.

Harriette, die Dienerin der Mrs. Branican, war an die langen Nomadenmärsche gewöhnt und zog es vor, zu Fuß zu gehen, da sie diese großen buckeligen Thiere mehr als Last-, denn als Reitthiere ansah. Len Burker, Godfrey und Zach Fren erhielten je ein Kameel und gewöhnten sich rasch an dieses lästige Reiten. Uebrigens konnte keine andere Gangart als der regelmäßige Schritt dieser Thiere eingeschlagen werden, da nur ein Theil der Menschen ritt. Ein Trab sollte nur dann stattfinden, wenn sich die Nothwendigkeit ergab, die Karawane wegen Aufsuchung eines Brunnens oder einer Quelle in der Großen Wüste in schnelleres Tempo zu setzen.


... welche Mrs. Branican und ihre Gefährten am Finke-River zubrachten. (S. 243.)

Die übrigen Weißen hatten noch die anderen fünfzehn Kameele; die Schwarzen, denen die Führung der zehn Lastkameele oblag, mußten die zwölf bis vierzehn Meilen täglich zu Fuß machen, was für sie sicher nicht zu viel war.

So wurde denn die ganze Karawane auf diese Weise für den zweiten Theil der Reise reorganisirt, um in jeder Richtung hin allen Anforderungen [255] zu genügen; da sie viel besser mit Transport- und Lebensmitteln ausgerüstet war, als je eine der früheren Forschungsreisenden, so hatte man begründete Hoffnung, daß ein Erfolg erzielt werden würde.

Es bleibt noch übrig zu erwähnen, was aus Jos Meritt geworden war. Blieb dieser Gentleman mit seinem Diener Gîn-Ghi in Alice-Spring zurück? Oder, wenn sie weiterzogen, nahmen sie die Richtung gegen Norden längs der Telegraphenlinie? Setzten sie nicht eher östlich oder westlich die Reise fort, um auf Eingeborne zu stoßen? Es war das in der That der einzige Weg, damit [256] der berühmte Sammler endlich einmal die Kopfbedeckung finde, nach der er schon so lange jagte. Da er aber jetzt kein Reitthier, kein Gepäck und keine Lebensmittel mehr besaß, wie sollte er da seine Reise fortsetzen?

Zach Fren hatte diesbezüglich schon einigemale den Chinesen Gîn-Ghi gefragt, der aber selbst nie wußte, was sein Herr beschloß, da es eben dieser selbst noch nicht wußte. Dennoch konnte er mit Bestimmtheit erklären, daß sein Herr Jos Meritt nie den Rückweg einschlagen werde, so lange nicht seine fixe Idee befriedigt sei, und daß er, nämlich Gîn-Ghi, der Hong-Konger, nie mehr [257] sein Vaterland sehen werde, wo die jungen Chinesen, in Seide gekleidet, mit ihren langen Fingern »Nenupharblüthen pflücken«.


Enge Schluchten mit kleinen Gewässern hielten sie oft auf. (S. 246.)

Unterdessen neigte sich der letzte Tag vor dem Aufbruche seinem Ende zu und Jos Meritt hatte noch nichts von seinen Absichten verlauten lassen. Da setzte Gîn-Ghi Mrs. Branican in Kenntniß, daß Jos Meritt sie um die Gunst einer wichtigen Unterredung bitte.

Mrs. Branican, die nach Kräften die Wünsche dieses originellen Menschen erfüllen wollte, ließ ihm sagen, daß sie den hochgebornen Jos Meritt bitte, sich in das Haus Mr. Flint's zu bemühen, wo sie seit ihrer Ankunft in der Station wohnte.

Jos Meritt begab sich augenblicklich dahin – es war am 25. October Nachmittags – und als er sich Mrs. Branican gegenüber befand, sagte er:

»Mrs. Branican... Gut!... O!... Sehr gut!... Ich zweifle nicht... Nein!... Ich zweifle keinen Augenblick, daß Sie den Capitän John wiederfinden werden... und ich möchte gar so gern den Hut finden... für dessen Entdeckung ich so oft mein Leben gewagt habe... Gut!... O!... Sehr gut!... Sie sollen erfahren, warum ich durch die entlegensten Gegenden Australiens ziehe...

– Ich weiß es... Herr Meritt, erwiderte Mrs. Branican, und von meiner Seite aus zweifle ich nicht, daß Sie eines Tages für Ihre Ausdauer werden belohnt werden...

– Ausdauer!... Gut!... O!... Sehr gut!... Ja, dieser Hut ist einzig in der Welt!

– Fehlt er Ihrer Sammlung?

– Leider... und ich möchte meinen Kopf hingeben, um ihn aufsetzen zu können!

– Ist es ein Herrenhut? fragte Dolly, die sich mehr aus Güte als aus Neugierde für die Phantasien dieses Menschen interessirte.

– Nein, Mistreß, nein... ein Frauenhut... Aber welcher Frau!... Sie werden mir schon verzeihen, wenn ich das Geheimniß über seinen Namen und seine Eigenschaft für mich behalte... aus Furcht... Concurrenz zu erhalten... Bedenken Sie... Mistreß... wenn ein anderer...

– So sind Sie ihm auf der Spur?

– Eine Spur?... Gut!... O!... Sehr gut! Durch vieles Correspondiren, viele Untersuchungen und Nachforschungen ist es mir gelungen zu erfahren, [258] daß dieser Hut nach mannigfachen Schicksalen nach Australien gekommen ist... und daß... und daß... er jetzt den Kopf des Häuptlings eines hiesigen Stammes schmückt.

– Doch was ist das für ein Stamm?

– Es ist einer derjenigen, welche den Continent von Norden nach Westen durchziehen. Gut!... O!... Sehr gut!... Wenn es sein muß... so werde ich Alle aufsuchen... Alle durchstöbern... Und weil es mir da gleich bleibt, bei welchem ich beginne, so bitte ich um die Erlaubniß, Ihre Karawane bis zu den Indas begleiten zu dürfen.

– Sehr gern, Herr Meritt, erwiderte Dolly, und ich werde sofort Befehl geben, daß man, wenn möglich, noch zwei Kameele kaufe...

– Es genügt schon eines, Mistreß, nur eines für mich und meinen Bedienten... umsomehr, weil ich mir vornehme zu reiten... und Gîn-Ghi daneben zu Fuß gehen soll...

– Sie wissen doch, daß wir morgen aufbrechen, Herr Meritt?

– Morgen?... Gut!... O!... Sehr gut!... Ich werde Sie nicht auf halten, Mistreß. Aber es ist selbstverständlich, nicht wahr, daß ich mich um nichts kümmere, was den Capitän John angeht... Das ist Ihre Sache... Ich kümmere mich nur um meinen Hut...

– Um Ihren Hut, abgemacht, Herr Meritt!« erwiderte Dolly.

Darauf zog sich Jos Meritt zurück, indem er erklärte, daß eine so einsichtsvolle, energische und edle Frau würdig sei, ihren Gatten zu finden, wie er selbst, daß er die Hand auf das Kleinod lege, das seiner Sammlung von historischen Hüten die Krone aufsetzen sollte.

Gîn-Ghi, der aufgefordert wurde, sich für den folgenden Tag bereitzuhalten, mußte die wenigen suchen, welche ihnen aus dem linglücke erhalten geblieben waren, in Ordnung bringen. Was das Thier anbelangt, das der Gentleman mit seinem Diener auf die oben angedeutete Weise theilen wollte... so gelang es Mr. Flint, dieses herbeizuschaffen. Als es Jos Meritt sah, da sagte er:

»Gut!... O!... Sehr gut!«

Am folgenden Tage, dem 26. October, wurde das Signal zum Aufbruche gegeben, nachdem Mrs. Branican von Mr. Flint Abschied genommen hatte. Tom Marix und Godfrey eilten an die Spitze der Weißen, Dolly und Jane nahmen in der Kibitka Platz, indem sie rechts und links Len Burker und Zach Fren hatten. Dann kam Jos Meritt, der voll Majestät zwischen den beiden [259] Buckeln ritt, gefolgt von Gîn-Ghi. Den zweiten Theil der Karawane bildeten die Lastkameele mit den Schwarzen.

Um sechs Uhr Morgens ließ die Expedition die Overland-Telegraf-Line und die Station Alice-Spring rechts und verschwand hinter einem Hügel der Mac-Donnell-Ranges.

Da im Monate October die Hitze in Australien sehr groß ist, so rieth Tom Marix, nur in den ersten Stunden des Tages zu reisen – von vier bis neun Uhr – und Nachmittags von vier bis acht Uhr. Sogar die Nächte begannen erstickend zu werden, so daß lange Aufenthalte genommen werden mußten, um die Karawane an die Anstrengungen dieser Reise zu gewöhnen. Und doch war das noch nicht die Wüste mit ihren unendlichen Ebenen, ihren fast ausgetrockneten Flüssen und Cisternen, die nur ein schmutziges Wasser oder gar keines enthielten. Am Fuße der Gebirge zog sich eine wenig vegetationsfähige Gegend dahin, welche die Telegraphenlinie nach Nordwesten durchschnitt. Diese Richtung mußte die Karawane verlassen, um sich mehr westlich fast auf dem Breitegrade zu halten, der mit dem Wendekreise des Steinbocks gleichläuft. Es war das fast derselbe Weg, den Gilles im Jahre 1872 nahm und der den Stuart's in einer Entfernung von hundertfünfzig Meilen nördlich von Alice-Spring kreuzte.

Die Kameele schritten nur langsam dahin. Bäche bewässerten hin und wieder das Land, so daß die Menschen im Schatten der Bäume ein fließendes, hinreichend frisches Wasser fanden, mit dem sich auch die Thiere für einige Stunden den Durst stillen konnten. Die Jäger schoffen in diesen Gegenden eine Art Kaninchen, so daß die Vorräthe ergänzt wurden.

Man weiß, daß das Kaninchen in Australien dieselbe Stellung einnimmt wie die Gazelle in Afrika. Diese Nagethiere vernichten Alles, wenn man nicht auf der Hut ist. Bis jetzt hatte die Karawane wegen des großen Vorrathes an Lebensmitteln diese Thiere verschmäht, da in den Wäldern und Ebenen von Südaustralien genug anderes Wild vorhanden war und sie immer noch diese Thiere haben konnten, wenn keine Hafen, Rebhühner, Wachteln, Enten, Tauben u. a. m. vorhanden sein würden. Aber in dieser Gegend mußte man sich schon mit dem begnügen, was man fand, nämlich mit Kaninchen.

Godfrey, Jos Meritt und Zach Fren kamen am Abend des 31. October auf die Vernichtung dieser Thiere zu sprechen, nachdem ersterer gefragt hatte, ob es schon von jeher Kaninchen in Australien gegeben habe.

[260] »Nein, mein Junge, erwiderte Tom Marix, ihre Importation fand erst vor etwa dreißig Jahren statt. Das war ein schönes Geschhenk, das man uns da machte. Diese Thiere haben sich so vermehrt, daß sie unsere Ländereien verwüsten, und gewisse Districte sind von ihnen derart überfluthet, daß man dort weder Schafe noch Vieh halten kann. Die Felder sind durch ihre Baue untergraben und das Gras wird bis auf die Wurzel abgenagt. Das ist ein vollständiger Ruin, und ich glaube, daß nicht die Colonisten die Kaninchen, sondern die Kaninchen die Colonisten vernichten werden.

– Hat man denn keine wirksamen Mittel gefunden, sich ihrer zu entledigen? bemerkte Zach Fren.

– Reden wir nicht von wirksamen Mitteln, erwiderte Tom Marix, da ihre Zahl sich eher vermehrt als vermindert. Ich kenne einen Farmer, der eine Million Francs ausgeben mußte, um diese Thiere, die seinen ganzen »Run« zerstörten, zu vernichten. Die Regierung hat Preise auf ihre Erlegung ausgesetzt, wie sie es nur bei Tigern und giftigen Schlangen in Britisch- Indien thut. Bah! Sie vermehrten sich wie die Hydra ihre Köpfe, wenn einer abgeschlagen wurde. Man verwendete Strychnin, wodurch Hunderttausende vergiftet wurden und bald das ganze Land verpestet worden wäre. Alles vergebens!

– Ich habe doch gehört, bemerkte Godfrey, daß ein französischer Gelehrter, Namens Pasteur, diese Nagethiere dadurch vernichten wollte, daß er ihnen den Hühnercholerabacillus einimpfte.

– Ja, und vielleicht hätte dieses Mittel auch gewirkt. Aber man wendete es nicht an... obwohl fast zwanzigtausend Pfund als Preis ausgesetzt waren. Queensland und Neu-Südwales ergreifen alle Mittel, um den Osten des Continents gegen diese Kaninchenplage zu schützen. Das ist wirklich eine Landplage.

– Gut!... O!... Sehr gut! Eine wirkliche Landplage... erwiderte Jos Meritt, wie auch der gelbe Typus, der schließlich die fünf Welttheile überfluthen wird. Die Chinesen sind die Kaninchen der Zukunft...«

Glücklicherweise war Gîn-Ghi nicht da, denn sonst wäre diese Beleidigung nicht ohne Einsprache geblieben. Ja, wenigstens mit den Achseln hätte er gezuckt und gelächelt, in der seiner Rasse eigenthümlichen Weise, die nur in einem langen, pfeifenden Athmen besteht.

»So werden also, sagte Zach Fren, die Australier auf diesen Kampf verzichten?

[261] – Was sollten sie denn anfangen? erwiderte Tom Marix.

– Ich glaube doch, daß es ein Mittel giebt, diese Thiere zu vernichten, sagte Jos Meritt.

– Und welches? fragte Godfrey.

– Man sollte von dem englischen Parlamente die Erlassung des folgenden Gesetzes verlangen: »Es werden von nun an nur mehr Biberhüte in ganz Großbritannien und den dazu gehörigen Colonien getragen.« Da nun die Biberhüte aus nichts anderem bestehen als aus Kaninchenfellen... so... Gut!... O!... Sehr gut!«

Mit der gewohnten Redensart vollendete der Engländer seine Erklärung.

Wie dem auch sei, so wäre es das Beste, bis zur Erlassung dieses Gesetzes recht viel Kaninchen zu essen. Auf solche Weise würde in Australien schon Mangel daran eintreten.

Was nun die anderen Thiere anbelangt, so konnten dieselben nicht genossen werden.

Eines Tages war Godfrey, der sich unter den Mitgliedern der Karawane als ein tüchtiger Schütze auszeichnete, so glücklich, einen »Jarri«, eine Art Känguruh, anzuschießen, der aber trotz seiner Verwundung entkam. Der junge Matrose war darüber nicht besonders ärgerlich, denn nach der Ansicht des Tom Marix hat dieses Thier nur deshalb einen Werth, weil es wegen seines rasenden Laufes sehr schwer ist, es zu erlegen. Auf gleiche Weise verhält es sich mit dem »Bungari«, einem großen Thiere mit schwarzem Pelze, das in den hohen Aesten der Bäume herumkriecht, indem es sich nach Art der Katzen mit den Krallen festhält. Dieses Wesen, das vorzugsweise in der Nacht aus seinem Schlupfwinkel kommt, kann sich so geschickt in den Aesten verbergen, daß es schwer ist, es daselbst zu erkennen.

Tom Marix erwähnte, daß das Fleisch des Bungari ein ausgezeichnetes Wildpret sei, wenn es am Spieße gebraten werde. Man bedauerte ungemein, das nicht selbst kosten zu können, da es wahrscheinlich war, daß, je näher sie der Wüste kämen, sich die Bungaris auch nicht mehr zeigen würden. Allem Anscheine nach war die Karawane, je weiter nach Westen, auf ihren eigenen Vorrath von Lebensmitteln angewiesen.

Trotz der großen Schwierigkeiten des Terrains gelang es doch Tom Marix, täglich zwölf bis vierzehn Meilen zurückzulegen – die Strecke, welche ursprünglich gleich festgesetzt wurde. Obwohl die Hitze schon sehr groß war [262] – dreißig bis fünfunddreißig Grad im Schatten – so vertrug man sie doch noch. Am Tage fand man einige Baumgruppen, in deren Schatten es sich bequem lagerte, und außerdem trat noch kein Wassermangel ein, so daß die tägliche Rast, neun bis vier Uhr Nachmittags, Menschen und Thieren wieder neue Kräfte gab.

Das Land war unbewohnt, und nirgends sah man mehr Einfriedigungen oder Schafhürden, da das kurze und trockene Gras für diese Thiere keine Nahrung gab. Nur selten begegnete man Eingebornen, welche die Richtung gegen die Stationen der Overland-Telegraf-Line einschlugen.

Am 7. November kam Godfrey, der ungefähr eine halbe Meile vorausgeritten war, mit der Nachricht zurück, das er einen Menschen zu Pferde gesehen habe. Dieser Reiter verfolgte einen schmalen Pfad am Fuße der Mac-Donnell-Ranges; als er die Karawane bemerkte, ritt er im Galopp auf dieselbe zu.

Binnen kurzem stellte Godfrey denselben Mrs. Branican vor, die ihm zuerst einen tüchtigen Schluck Branntwein reichen ließ, wofür er sich nicht genug bedanken konnte.

Es war ein weißer Australier, ungefähr fünfunddreißig Jahre alt, einer jener unermüdlichen Reiter, die in Wind und Regen in ihrem Sattel wie auf einem Stuhle sitzen und denen die Sonnenstrahlen nichts mehr im Gesichte verbrennen können. Er war Courier seines Staates und versah sein Amt mit großem Eifer und Lust: Er ritt durch die Districte der Provinz, stellte Briefe zu und trug die Neuigkeiten von Dorf zu Dorf, selbst in die zerstreut liegenden Dörfer, östlich und westlich von der Telegraphenlinie. Er kam damals von Emu-Spring, einer Ortschaft am Südabhange der Buff-Ranges, nachdem er die Gegend, die sich bis zu den Mac-Donnell-Ranges ausdehnt, durchzogen hatte.


Godfrey gelang es nur zwei oder drei dieser schnellen Thiere zu erreichen. (S. 246.)

Dieser Courier, welcher zu der Classe der »Roughmen« gehörte, glich recht den alten französischen Postillonen. Er ertrug Hunger und Durst, wurde überall freundlich aufgenommen, wenn er auch keinen Brief aus der Tasche zog, war muthig, entschlossen und ritt, den Revolver im Gürtel, auf seinem tüchtigen Rosse Tag und Nacht dahin, indem er keine Gefahr scheute.


»Achtung! Da sind sie!« rief Tom Marix. (S. 251.)

Mrs. Branican fand ein Vergnügen daran, mit ihm zu sprechen und sich bei ihm nach den Stämmen zu erkundigen, mit denen er in Berührung gekommen war.

[263] Dieser tüchtige Mann antwortete in schlichter und einfacher Weise. Er hatte, wie alle Leute, von der Katastrophe des »Franklin« reden hören, doch wußte er nicht, daß unter der Leitung der Frau des John Branican eine Expedition von Adelaïde aus unternommen würde, um die Gebiete Centralaustraliens zu durchforschen.

Mrs. Branican erzählte ihm noch, daß nach den Berichten Harry Felton's der Capitän John bei den Indas seit vierzehn Jahren gefangen gehalten werde.

[264] [267]»Haben Sie auf Ihren Wegen, fragte sie, einige Eingeborne dieses Stammes kennen gelernt?

– Nein, Mistreß, obwohl diese Indas manchmal dem Alexandralande nahe gekommen sind, erwiderte der Courier, und ich oft von ihnen habe sprechen hören.

– Können Sie uns nicht sagen, wo sie sich jetzt befinden? fragte Zach Fren.

– Mit den Nomaden ist es schwer... In dieser Jahreszeit sind sie da, in jener wieder dort...

– Aber ihren letzten Aufenthaltsort? fragte wieder Mrs. Branican, die auf dieser Frage beharrte.

– Ich glaube behaupten zu können, erwiderte der Courier, daß sie sich vor einem halben Jahre im Nordwesten von Ostaustralien an den Ufern des Fitz-Roy aufgehalten haben. denn diese Gegenden suchen die Völker Tasmaniens sehr gern auf. Zum Teufel! Sie wissen doch, wenn man in diese Ländereien vordringen will, daß man die Wüsten des Centrums und des Westens durchwandern muß, und ich brauche Ihnen wohl nicht zu sagen, welche Gefahren da zu bestehen sind!... Nun, mit Muth und Energie kommt man weit... So wünsche ich Ihnen denn eine glückliche Reise, Mrs. Branican.«

Der Courier nahm noch ein Glas Branntwein zu sich und einige Büchsen Conserven in die Tasche. Dann bestieg er wieder sein Pferd und verschwand bald hinter dem Rücken der Mac-Donnell-Ranges.

Zwei Tage darauf überschritt die Karawane die höchsten Uebergänge dieser Gebirgskette, die der Gipfel des Liebigberges beherrscht, und gelangte an die Grenze der Wüste, hundertdreißig Meilen nordwestlich von der Station Alice-Spring.

[267]
9. Capitel
Neuntes Capitel.
Das Tagebuch der Mistreß Branican.

Bei dem Namen »Wüste« erinnern wir uns sofort an die Sahara mit ihren ungeheuren sandigen Ebenen, die von grünen, frischen Oasen unterbrochen wird. Aber die Gegenden von Centralaustralien haben mit den Gegenden Afrikas nichts gemeinschaftlich, höchstens den Wassermangel. Das Wasser hat sich in den Schatten gezogen, sagen die Eingebornen, und die Reisenden müssen von Cisterne zu Cisterne ziehen, die meistens in großer Entfernung von einander liegen. Obwohl der Sand, sei es in der Ebene, sei es als Düne, sich über einen großen Theil der australischen Erde ausbreitet, so ist der Boden doch nicht ganz öde, indem hin und wieder Strauchwerk mit Blüthen, Gummibäume, Akazien oder Eukalypten vorkommen und so dem Ganzen doch nicht jenen nackten Anschein geben, den die Sahara zeigt. Aber diese kleinen Sträucher und Bäume geben weder eßbare Früchte noch Blätter, so daß die Karawanen ihre Lebensmittel mitbringen müssen, umsomehr, als man in dieser Einöde kaum auf animalisches Leben stößt und nur selten den Flug eines Zugvogels beobachten kann.

Mrs. Branican trug Alles regelmäßig und mit großer Genauigkeit in ihr Tagebuch ein, so daß einige Blätter desselben uns diesen beschwerlichen Marsch viel besser beschreiben können, als ein bloßer Bericht; sie werden auch deutlicher zeugen von dem Muthe Dollys, ihrer Entschlossenheit, unerschütterlichen Zähigkeit, nie zu verzweifeln, selbst in dem Augenblicke, wo alle Gefährten um sie jede Hoffnung aufgaben. Man wird auch sehen, was eine Frau im Stande ist, wenn sie sich die Erfüllung einer Pflicht auferlegt.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

10. November. Wir sind um vier Uhr Früh vom Fuße des Liebigberges aufgebrochen. Der Courier hat uns sehr werthvolle Angaben gemacht, die mit denen des armen Felton übereinstimmen. Ja, im Nordwesten und besonders an den Ufern des Flusses Fitz-Roy müssen wir die Indas suchen. Ungefähr noch achthundert Meilen sind zu machen. Ich muß hinkommen, und sollte ich den [268] Weg allein zurücklegen, sollte ich auch von Indas gefangen genommen werden. Wenigstens wäre ich bei John!

Wir wenden uns gegen Nordwesten, ungefähr auf dem Wege, den Oberst Warburton genommen hat; unser Zug wird dem seinen bis zum Fitz-Roy-River gleich sein. Könnten wir nicht ebenso wie er dieselben Strapazen ertragen, ohne einige unserer Gefährten, die vor Erschöpfung gestorben sind, zurücklassen zu müssen? Unglücklicherweise sind die Umstände weniger günstig, denn Oberst Warburton verließ Alice-Spring im Monat April, was gleich dem Monat October in Nordamerika ist, also gegen Ende der heißen Jahreszeit.

Die Marschordnung, wie sie Tom Marix festgesetzt hat, ist sehr praktisch. Auch die Dauer und Stunden des Marsches sind sehr gut, denn wir marschiren zwischen vier und acht Uhr Früh, dann rasten wir bis vier Uhr. Der zweite Aufbruch beginnt um vier Uhr und die zweite Rast ist um acht Uhr Abends, so daß wir dann die ganze Nacht ruhen. Aber wie viel Zeit wird da verloren! Wie viel Verzögerung! Wenn nichts dazwischen kommt, so können wir in drei Monaten an den Ufern des Fitz-Roy-River sein...

Ich bin mit den Diensten des Tom Marix sehr zufrieden. Zach Fren und er sind zwei entschlossene Männer, auf die man unter allen Umständen rechnen kann.

Godfrey macht mir durch seine Unerschrockenheit Kummer. Er ist immer voraus und wir sehen ihn fast gar nicht. Ich kann ihn kaum bei mir zurückhalten, und doch liebt mich dieses Kind so, als wäre er mein Sohn. Tom Marix hat ihm schon Vorstellungen wegen seiner Tollkühnheit gemacht, und ich hoffe, daß er darauf achten wird.

Len Burker ist fast immer bei der Nachhut der Karawane und scheint mehr die Gesellschaft der Schwarzen als die der Weißen zu suchen. Er kennt seit Langem ihre Gewohnheiten und Sitten. Wenn wir auf Eingeborne stoßen, so ist er uns von großem Nutzen, denn er kann sich mit ihnen verständigen. Möge sich der Gatte meiner armen Jane bessern, aber ich fürchte... Sein Blick ist noch derselbe, einer jener mißtrauischen Blicke, die jeden abstoßen!

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

13. November. In diesen drei Tagen ist nichts Neues vorgefallen. Wie froh und glücklich bin ich, daß Jane bei mir ist! Welche Pläne schmieden wir [269] in der Kibitka, wo wir uns Beide eingeschlossen haben! Ich habe meine Ueberzeugung Jane beigebracht, und sie zweifelt nicht mehr, daß ich John wiederfinden werde. Aber die arme Frau ist immer traurig. Ich bedränge sie nicht mit Fragen über ihre Vergangenheit seit dem Tage, wo Len Burker sie zwang, ihm nach Australien zu folgen. Ich verstehe, daß sie sich nicht ganz aussprechen kann. Manchmal kommt es mir vor, als wollte sie mir etwas Wichtiges sagen... Man könnte fast sagen, Len Burker lasse sie nie aus den Augen... Wenn er sie sieht und sich nähert, so erschrickt sie und hat ein ganz anderes Benehmen... Sie fürchtet ihn... Es ist sicher, daß dieser Mensch sie beherrscht und sie ihm auf einen Wink bis an das Ende der Welt folgen würde.

Jane scheint Godfrey gern zu haben, und doch, wenn dieses Kind zu unserer Kibitka kommt, um zu plaudern, wagt sie weder mit ihm zu sprechen, noch ihm zu antworten... Sie sieht weg, senkt den Kopf... Ich möchte sagen, sie wird verlegen, wenn er bei uns ist.

Heute ziehen wir durch eine große, sumpfige Ebene, in welcher sich einiges Wasser, das etwas salzig schmeckt, vorfindet. Tom Marix sagt, daß diese Sümpfe Ueberreste alter Seen sind, die ehemals mit dem Cyre- und Torrenssee in Verbindung standen und ein ungeheures Meer bildeten. Zum Glück haben wir am vorhergehenden Abend Wasservorräthe nehmen und die Kameele ihren Durst löschen können.

Man findet, wie mir scheint, mehrere dieser Lagunen nicht nur in den niedriger gelegenen Theilen des Bodens, sondern auch in den höheren.

Das Terrain ist feucht; der Fuß des Thieres läßt eine Spur darin zurück und manchmal widersteht die Rinde des Bodens sogar diesem Drucke, aus dem, wenn der Fuß plötzlich darauf gesetzt wird, ein Zischen zu vernehmen ist.

Wir gelangen nur mit Mühe über diese Sümpfe, die sich zehn Meilen gegen Nordwesten hin ausdehnen.

Wir sind seit unserem Aufbruche von Adelaïde auch schon auf Schlangen gestoßen, die in Australien sehr zahlreich sind und in größerer Anzahl an der Oberfläche dieser Lagunen, die mit kleinem Strauchwerk und Gestrüpp bedeckt sind, vorkommen. Einer unserer Leute von der Escorte wurde sogar von einem solchen giftigen Reptil gebissen, das braun war, eine Länge von ungefähr drei Fuß hatte und, wie man mir sagt, in der Naturgeschichte Trimesurus ikaheca heißt. Tom Marix unterband die Wunde sogleich und brannte sie dann aus, [270] wobei der Mann – es war ein Weißer – keinen Laut von sich gab. Ich hielt ihm während der Operation den Arm, wofür er mir dankte. Hierauf wurde ihm ein Glas Branntwein gegeben, und wir können hoffen, daß die Wunde heilen wird.

Man muß wirklich Acht geben, wohin man den Fuß setzt, denn sogar da oben auf den Kameelen ist man nicht ganz sicher vor diesen Schlangen. Ich fürchte immer, daß Godfrey noch eine Unvorsichtigkeit begehe, und ich fange an zu zittern, wenn ich die Schwarzen rufen höre: »Vin'dohe!«, was in ihrer Sprache »Schlange« bedeutet.

Als Abends die Zelte aufgestellt wurden, tödteten zwei von unseren Eingebornen eine ebenso große Schlange. Tom Marix sagt, daß wenn zwei Drittel von den Schlangen, die in Australien vorkommen, giftig sind, nur fünf Arten sich darunter befinden, deren Gift dem Menschen gefährlich ist. Die Schlange, welche man soeben getödtet hatte, war eine Boa und hatte eine Länge von ungefähr zwölf Fuß. Unsere Schwarzen wollten sie für ihre Abendmahlzeit bereiten, und wir ließen ihnen die Freude. Sie gehen dabei in folgender Weise vor:

Sie graben in den Sand ein Loch, das sie dann mit Steinen, die vorher schon an einem Feuer heiß gemacht worden sind, ausfüllen. Die Schlange, der der Kopf und der Schweif abgehauen worden ist, wird nun in das Loch gelegt und mit den Steinen ganz bedeckt. Darüber kommt eine Schicht Erde, dicht genug, daß der Dampf nicht heraus kann. Wir sahen dieser Zubereitung nicht ohne einen gewissen Ekel zu; aber als die Schlange, genügend gedämpft, aus dem Ofen gezogen wurde, mußten wir zugeben, daß sie einen ganz angenehmen Geruch verbreitete. Weder Jane noch ich wollten davon kosten, obgleich Tom Marix uns versicherte, daß, wenn auch das Fleisch nicht gerade gut ist, doch die Leber zu den feinsten Delicatessen gehöre.

»Man kann sie, sagte er, mit dem bestbereiteten Wildpret und Huhn vergleichen.

– Huhn... Gut!... O!... Sehr gut!... Fein... ein Huhn!« rief Jos Meritt aus.

Als er ein Stück von der Leber gekostet hatte, ließ er sich ein noch größeres Stück geben, bis er schließlich die ganze gegessen hatte. Nun ja... die englische Kaltblütigkeit.

Was Gîn-Ghi anbelangt, so ließ er sich nicht lange bitten. Ein hübsches Stück Schlangenfleisch versetzte ihn in die beste Laune.


Als er die Karawane bemerkte, ritt er im Galopp auf dieselbe zu. (S. 263.)

»Ay-ya, rief er nicht ohne Bedauern aus, mit einigen Austern von King-Po und einer Flasche Wein von Tong-King würde man glauben, in Té-Coung-Yuan zu sein!«

Und er wollte mir einreden, daß es wie der berühm [271] te Eisenthee von Peking schmecke.

Godfrey und Zach Fren überwanden ihren Ekel und kosteten auch ein Stück Schlangenfleisch, indem sie sagten, es schmecke sehr gut; ich glaubte es ihnen.


Mrs. Branican fand ein Vergnügen daran, mit ihm zu sprechen. (S. 263.)

Es ist selbstverständlich, daß dieses Reptil bis auf das letzte Stück gegessen wurde.

[272]

Die Eingebornen ließen nicht einmal das Fett übrig, das während des Bratens aus demselben gelaufen war.

In der Nacht wurden wir durch unheimliches Brüllen, das sich aus einer gewissen Entfernung vernehmen ließ, im Schlafe gestört. Dies war eine Schaar »Dingos«, die man mit Recht die Schakale von Australien nennen könnte, da sie zwischen Hund und Fuchs stehen. Sie haben einen gelblichen oder rothbraunen [273] Pelz und einen langen, buschigen Schweif. Glücklicherweise heulten diese Thiere nur und griffen nicht das Lager an, denn in großer Zahl können sie gefährlich werden.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

19. November. Die Hitze wird immer drückender und die Cisternen, auf die wir stoßen, sind fast ganz ausgetrocknet. Wir müssen nach Wasser graben, wenn wir unsere Fäßchen füllen wollen.

Ich muß zugeben, daß zwischen Len Burker und Godfrey eine wirklich unerklärliche Antipathie besteht, die man fast Instinct nennen möchte. Nie spricht Einer mit dem Anderen, und es ist klar, daß sie sich ausweichen, wo sie nur können.

Ich sprach eines Tages mit Godfrey darüber.

»Du hast Len Burker nicht gern? sagte ich zu ihm.

– Nein, Mrs. Dolly, erwiderte er mir, und verlangen Sie nicht, daß...

– Aber er gehört doch zu meiner Familie, und er ist mein Verwandter. Wenn Du mich liebst, Godfrey, so...

– Mrs. Dolly, ich liebe Sie, aber ihn werde ich nie lieben.«

Theurer Godfrey, welche Ahnung, welcher geheime Grund mag ihn in solcher Weise sprechen lassen?

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

27. November. Heute breiten sich vor unseren Augen ungeheure Steppen aus, bedeckt mit Spinifex, einem spitzigen Grase, das sich an manchen Stellen bis zu fünf Fuß über dem Boden erhob und mit seinen scharfen Spitzen unsere Thiere zu verwunden drohte. Wir mußten daher solche Stellen umgehen. Es ist augenscheinlich, daß ein solch eigenthümliches Gras nicht zur Ernährung der Thiere benutzt werden konnte, und die Kameele weigern sich auch, so lange die Halme gelb und grün sind, es zu fressen. Aber darum handelt es sich jetzt nicht, und die Thiere nehmen sich selbst in Acht, an diese spitzen Gräser zu stoßen.

Auf diese Weise wurde der Marsch außerordentlich beschwerlich, denn wir hatten mehr als hundert Meilen in diesen Gräsern dahinzugehen.

[274] Die Hitze stieg immer mehr und nirgends war Schatten. Unsere Fußgänger litten besonders furchtbar darunter. Hätte man glauben können, daß fünf Monate früher, wie der Oberst Warburton constatirt hat, das Thermometer unter Null gesunken war und die Cisternen sich mit einer dichten Eiskruste bedeckt hatten?

Tom Marix gab den Befehl, daß die Männer der Escorte, welche ritten, von Zeit zu Zeit absteigen und die anderen, welche zu Fuß gingen, aufsetzen lassen sollten. Diese Maßregel wurde auf die Forderungen der Schwarzen hin getroffen, wobei ich aber mit Bedauern sehen mußte, daß Len Burker sich zu ihrem Vertreter machte. Gewiß sind diese Menschen zu beklagen, da sie barfuß in dem spitzen Grase bei einer fast unerträglichen Hitze Morgens und Abends marschiren müssen. Aber es gehört sich nicht, daß Len Burker sie gegen die weiße Escorte aufstachelt; er mischt sich da in suchen, die ihn nichts angehen. Ich bat ihn, sich da zurückzuhalten.

»Ich thue es nur im allgemeinen Interesse, Dolly, erwiderte er mir.

– Ich will es glauben, gab ich ihm zur Antwort.

– Es muß sogar das Gepäck vertheilt werden.

– Ueberlassen Sie dies nur mir, Herr Burker, sagte Tom Marix, der zu diesem Gespräche kam. Ich werde alle nothwendigen Maßregeln ergreifen.

– Das seh' ich«, versetzte Len Burker, indem er uns mit einem wüthenden Blicke den Rücken zukehrte. Jane bemerkte es, wie sich die Blicke ihres Gatten gerade auf sie hefteten und sie wandte sich ab.

Tom Marix versprach mir Alles zu thun, was von ihm abhänge, damit die Männer der Escorte, seien es Weiße oder Schwarze, sich in nichts zu beklagen hätten.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

5. December. Während unserer Rast haben wir viel von den weißen Ameisen zu leiden, die uns in Myriaden überfallen. Sie sind unter dem Sande, aber ein Tritt genügt, um sie an die Oberfläche zu bringen.

»Ich habe eine harte Haut, sagte Zach Fren, eine wahre Elephantenhaut, und doch beißen mich diese verdammten Thiere.«

Nicht einmal das Leder schützt vor den Bissen dieser Ameisen, und wir können uns nicht auf die Erde setzen, ohne sofort von ihnen bedeckt zu sein.

[275] Um ihnen zu entgehen, müssen wir uns gerade in die Sonne setzen, deren Hitze sie nicht ertragen können, und da kommen wir wieder aus dem Regen in die Traufe.

Am wenigsten wurde der Chinese von den Ameisen belästigt. War er zu faul, daß er sich um die lästigen Bisse nicht kümmerte? Ich weiß es nicht, aber während wir uns kratzten, von einem Orte zum anderen gingen und alle möglichen Verrenkungen machten, lag Gîn-Ghi im Schatten des Grases ausgestreckt und schlief ruhig, als wenn die bösen Ameisen vor seiner gelben Haut Respect hätten.

Jos Meritt zeigte sich ebenso gleichgiltig. Obgleich sein langer Körper diesen Thieren ein weites Feld zum Angriff bot, so beklagte er sich doch gar nicht. In regelmäßiger automatischer Bewegung erheben sich seine Arme, fallen herab, streichen mechanisch Tausende Ameisen ab, und er sagt nur, indem er auf seinen Diener schaut:

»Diese Chinesen sind wirklich von der Natur außerordentlich begünstigt worden – Gîn-Ghi!

– Herr Jos?

– Wir werden unsere Haut vertauschen.

– Warum nicht, erwiderte der Himmlische, wenn wir auch das Geld vertauschen können.

– Gut!... O!... Sehr gut!... Doch dazu gehört, daß erst Einer von uns ausgeschält werden muß, und da werden wir zuerst mit Dir beginnen.

– Nun wir können in drei Monaten weiter darüber sprechen,« erwiderte Gîn-Ghi. Dann legte er sich auf das andere Ohr und schlief bis zu dem Augenblicke, wo die Karawane wieder aufbrach.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

10. December. Wir werden nicht eher Ruhe vor den Ameisen haben, als bis unsere Karawane aufbricht. Es ist nur ein Glück, daß diese Thiere nicht an den Beinen der Kameele hinaufklettern, aber unsere Fußgänger sind von diesen lästigen Insecten nicht frei.

Wir werden aber noch von einem anderen Feinde angegriffen, nämlich von den Mosquitos, die durch ihre Stacheln eine der furchtbarsten Geißeln Australiens sind. Unter ihren Stichen, besonders in der Regenzeit, magern die [276] Thiere wie in Folge einer Epidemie ab, und gehen sogar zu Grunde, ohne daß man etwas dagegen thun kann.

Und doch, was würden wir darum gegeben haben, wenn wir in der Regenzeit hätten sein können!

Denn diese Ameisen und Mosquitos waren nichts gegen die Qualen des Durstes, welche die Hitze des Monates December in Australien mit sich bringt. Der Wassermangel führt schließlich die Vernichtung aller geistigen und physischen Kräfte herbei. Jetzt gehen unsere Vorräthe aus, unsere Fäßchen klingen hohl! Wir haben sie bei der letzten Cisterne gefüllt, aber mit schmutzigem, schlechtem Wasser, das unseren Durst nicht löschen kann. Unsere Lage wird bald der der Heizer an Bord der Dampfschiffe gleichen, welche das rothe Meer durchfahren: Die Unglücklichen stürzen vor dem Feuer ihrer Kessel ohnmächtig zusammen.

Es dient uns nicht gerade zur Beruhigung, daß unsere Kameele einen schleppenden Gang beginnen, anstatt jenen regelmäßigen Schritt beizubehalten, der ihnen eigen ist. Sie strecken den Hals gegen den Horizont, der die lange und breite Ebene umzieht. Immer nur Steppe und Steppe, bedeckt mit diesem trockenen Grase, das seine starken Wurzeln im Sande halten. Kein Baum, keine Spur von einem Brunnen, einer Cisterne oder einer Quelle.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

16. December. In zwei Märschen haben wir heute nicht einmal neun Meilen zurückgelegt. Uebrigens habe ich seit mehreren Tagen zu meinem Leidwesen constatirt, daß unsere Mittel bedeutend zusammengeschmolzen sind. Die Thiere kommen trotz ihrer Stärke nur langsam vorwärts, besonders diejenigen, welche die Lasten trugen. Tom Marix wird wüthend, wenn seine Leute plötzlich stehen bleiben, bevor er das Zeichen zur Rast gegeben hat. Er geht auf die Lastkameele los, schlägt sie mit der Karawatsche, deren Hiebe die Thiere wegen ihrer starken Haut kaum fühlen.

Jos Meritt sagte mit seinem Phlegma, das ihn nie verließ:

»Gut!... O!... Sehr gut! Herr Marix! Aber ich gebe Ihnen einen guten Rath: Schlagen Sie nicht die Kameele, sondern die Führer.«

Gewiß wäre Tom Marix diesem Rathe auch gefolgt, wenn ich ihn nicht daran gehindert hätte. Bei den furchtbaren Strapazen, welche unsere Leute erdulden, müssen wir vorsichtig sein und dürfen sie nicht noch mißhandeln! Einige [277] von ihnen würden schließlich desertiren. Ich fürchte, daß das doch noch eintritt, besonders wenn ein solcher Gedanke die Schwarzen der Escorte erfaßt, obwohl Tom Marix nicht aufhört, mir in dieser Richtung hin die beruhigendsten Versicherungen zu geben.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Vom 17. bis 27. December. Der Marsch wird immer noch unter gleichen Umständen fortgesetzt.

In den ersten Tagen der Woche schlug das Wetter mit einem heftigen Winde ein wenig um. Im Norden stiegen einige Wolken auf, die wie ungeheure Kanonenkugeln aussahen, welche schon ein Funke zum Platzen bringen könnte.

An diesem Tage, es war der 23. December, fuhr ein Blitz mit furchtbar grellem Lichte aus denselben, ohne aber von jenem dröhnenden Donner begleitet zu sein, den wir in den Gebirgsgegenden hören. Zu gleicher Zeit entfesselte sich ein plötzlicher Sturm mit so elementarer Gewalt, daß wir uns auf den Thieren nicht halten konnten. Wir mußten absteigen und uns auf dem Boden ausstrecken. Zach Fren, Godfrey, Tom Marix und Len Burker hatten die größte Mühe, unsere Kibitka gegen die entfesselten Elemente zu schützen. Unter solchen Umständen war es unmöglich, an das Aufschlagen der Zelte zu denken.

»Das macht nichts, sagte Zach Fren, indem er sich die Hände rieb. Ein Gewitter ist bald vorüber.

– Es lebe das Gewitter, wenn es regnet! rief Godfrey.

– Godfrey hat Recht: Wasser! Wasser! Das ist unser Ruf... Aber wird es regnen?.... Das ist die Frage.«

Ja, darum handelt es sich, denn ein ausgiebiger Regen wäre für uns Manna der Wüste. Unglücklicherweise war die Luft so trocken – das konnte man aus dem kurzen Donner annehmen – daß die Wolken nur Dunst blieben und sich nicht in Regen auflösen konnten. Und doch wäre es schwer gewesen, sich ein furchtbareres Gewitter, ein furchtbareres Blitzen und Donnern vorzustellen.

Ich konnte damals auch sehen, wie sich die Schwarzen bei einem Gewitter benehmen, was ich schon nach den Reisebeschreibungen kannte. Weder fürchteten sie, daß der Blitz unter sie einschlage, noch schlossen sie die Augen vor dem grellen Aufleuchten des Blitzes, oder schraken sie bei dem furchtbaren Donner [278] zusammen. Die Schwarzen unserer Escorte stießen Freudenrufe aus und fühlten durchaus nicht jenen physiologischen Eindruck, dem jedes Wesen unterworfen ist, wenn sich die elektrische Spannung der Wolken über unserem Haupte entladet.

Gewiß ist die Nervosität bei Menschen auf niedriger Bildungsstufe wenig vorhanden. Vielleicht begrüßen sie in diesem Gewitter die Sündfluth! Und in der That war es auch nichts anderes.

»Mrs. Dolly... Mrs. Dolly, sagte Godfrey zu mir, es ist doch Wasser, reines gutes Wasser, Himmelswasser, das über unserem Kopfe hängt! Die Blitze da bringen die Wolken zum Bersten und doch fällt nichts herunter!

– Ein wenig Geduld, liebes Kind, erwiderte ich ihm, verzweifeln wir nicht!

– Ja, versetzte Zach Fren, die Wolken verdichten sich und kommen zu gleicher Zeit der Erde näher. Ach, wenn der Wind nachließe, so würden sich auf einmal die Schleusen des Himmels öffnen!«

Und wirklich war zu befürchten, daß der Sturm diese aufgehäuften Wolken gegen Süden treibe, ohne uns einen Tropfen Wasser zu geben.

Gegen drei Uhr Nachmittags scheint sich der Himmel gegen Norden aufzuheitern; daß das Gewitter bald vorüber sein wird, das wäre eine furchtbare Enttäuschung!

»Gut!... O... Sehr gut!«

Jos Meritt brachte seine gewöhnliche Redensart vor, die nie gerechtfertigter war. Unser Engländer streckte die Hand aus und constatirte, daß er einige Tropfen Regen gefühlt habe.

Der Wolkenbruch ließ nicht lange auf sich warten. Wir mußten schnell unsere Gummimäntel umwerfen und dann wurden alle zur Verfügung stehenden Gefäße auf den Boden gestellt, um das kostbare Naß recht reichlich aufzufangen.

Man spannte Decken, Wäsche, Leintücher auf, um nur recht viel Wasser zu erhalten, mit dem man die armen Thiere tränken konnte.


Wenn dieses Kind zu unserer Kibitka kommt. (S. 270.)

Uebrigens konnten die Kameele sofort ihren Durst löschen, denn es bildeten sich überall Pfützen und kleine Rinnsale, und die weite Ebene drohte ein Sumpf zu werden. Es war Wasser da, genug für Jedermann. Wir erquickten uns an diesem reichlichen Wasserschwalle, welchen die trockene Erde bald wie ein Schwamm aufsaugen, und das die Sonne, die auf dem Horizonte wieder erschien, bald bis zum letzten Tropfen in Dunst verwandelt haben würde.

So hatten wir denn wieder einen Wasservorrath für mehrere Tage und wir konnten unsere täglichen Märsche von neuem beginnen, da die Leute an Leib und Seele gestärkt und die Thiere wieder gut zu Fuße waren. [279] Die Tonnen wurden bis zum Rande gefüllt, und jedes hohle Gefäß, das nicht unumgänglich nothwendig war, als Wasserbehälter benutzt. Was die Kameele betrifft, so füllten diese ihre innere Tasche, mit der sie die Natur ausgestattet hat, für eine gewisse Zeit reichlich mit Wasser. Soll man sich nicht wundern, daß diese Tasche ungefähr siebenundsechzig Liter aufnimmt?

Unglücklicherweise sind diese Gewitter selten, welche gerade um diese Zeit, wo die Hitze am größten ist, die Oberfläche von Australien am wenigsten [280] befeuchten. Es wäre daher unvorsichtig, auf eine so günstige Eventualität für die Zukunft zu rechnen. Dieses Gewitter hatte kaum drei Stunden gedauert und die Cisternen werden von den glühenden Sonnenstrahlen binnen Kurzem wieder trocken gelegt worden sein. Die Brunnen werden zwar viel mehr Wasser aufgefangen haben, und wir können uns Glück wünschen, wenn dieses Gewitter nicht local gewesen ist. Hoffen wir, daß es auf einige hundert Meilen die australische Ebene erquickt hat!


... zwei von unseren Eingebornen tödteten eine ebenso große Schlange. (S. 271.)

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

[281] 29. December. Indem wir uns unter solchen Umständen fast genau an den Weg des Obersten Warburton hielten, erreichten wir ohne weiteren Unfall Waterlow-Spring, hundertvierzig Meilen vom Berge Liebig entfernt. Unsere Expedition berührte damals den 126. Meridian, den Tom Marix und Godfrey auf der Karte entdeckten. So hatten wir also die Grenze überschritten, die sich vom Norden nach Süden zwischen den anstoßenden Provinzen und Theilen des Continentes hinzieht, der als Westaustralien bekannt ist.

10. Capitel
Zehntes Capitel.
Noch einige Auszüge.

Waterlow-Spring ist weder ein Dorf noch eine Ortschaft... einige Hütten der Eingebornen, die in dieser Zeit leer waren, weiter nichts. Die Nomaden halten sich dort nur um die Jahreszeit auf, wo die Regengüsse die Gewässer jener Gegend speisen, was ihnen erlaubt, dort einige Zeit zu bleiben. Waterlow rechtfertigt durchaus nicht den zweiten Theil seines Namens, nämlich »Spring« (Quelle), der gewöhnlich allen Ortschaftsnamen der Wüste beigesetzt ist. Nirgends ist eine Quelle zu sehen, wenigstens nicht an der Oberfläche; während in der Sahara mit ihrem frischen Rasen, ihren schattigen Bäumen und fließenden Gewässern solche Quellen hin und wieder vorkommen, würde man solche in der australischen Wüste vergebens suchen.

In dieser Weise ist das Tagebuch der Mrs. Branican geschrieben, aus welchem noch einige Auszüge gegeben werden sollen, denn sie lassen besser als die genaueste Beschreibung die Beschaffenheit des Landes erkennen und alle die furchtbaren Qualen verstehen, welche die Reisenden dort zu erdulden hatten. Wir werden auch die moralische Kraft, die unbezwingliche Energie der Verfasserin ebenso erkennen, wie ihren festen Entschluß, das Ziel zu erreichen, mochten die Opfer noch so groß sein.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

[282] 30. December. Wir müssen uns in Waterlow-Spring achtundvierzig Stunden aufhalten, worüber ich trostlos bin, wenn ich an die Entfernung denke, die uns noch von dem Thale des Fitz-Roy trennt. Und weiß man, ob wir den Stamm der Indas nicht noch jenseits dieses Thales suchen müssen? Mag sich seit dem Tage, wo Harry Felton ihn verlassen hat, die Lage Johns verändert haben?... Werden die Eingebornen nicht an ihm Rache genommen haben, weil sein Gefährte geflohen ist?... Ich darf an so etwas nicht denken!...

Dieser Gedanke würde mich tödten!

Zach Fren versucht mich zu beruhigen:

»Da der Capitän John und Harry Felton bei diesen Indas seit so viel Jahren gefangen gehalten wurden, sagte er zu mir, so haben sie auch ein Interesse daran, sie am Leben zu erhalten. Die Eingebornen haben in diesem Weißen einen werthvollen Häuptling erkannt, und sie warten nur auf eine Gelegenheit, wo sie ihn gegen ein hohes Lösegeld ausliefern können. Nach meiner Ansicht hat die Flucht Harry Felton's die Lage des Capitän John nicht verschlechtert.«

Wolle Gott, daß dem so wäre.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

31. December. Heute geht das Jahr 1890 zu Ende, und somit sind es fünfzehn Jahre, daß der »Franklin« den Hafen von San-Diego verlassen hat... Fünfzehn Jahre!... Erst seit vier Monaten hat unsere Karawane Adelaïde verlassen! Wie wird dieses Jahr für uns enden, das in der Wüste beginnt!

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

1. Januar. Meine Gefährten wollten diesen Tag nicht vorübergehen lassen, mir ein »Glückliches Neues Jahr« zu wünschen. Meine liebe Jane umarmte mich tiefgerührt und ich hielt sie lange in meinen Armen. Zach Fren und Tom Marix drückten mir die Hand. Ich weiß, daß ich in ihnen zwei Freunde habe, die für mich in den Tod gehen würden. Alle Leute drängten sich an mich heran und brachten mir ihre Glückwünsche dar. Ich sage Alle, mit Ausnahme der Schwarzen der Escorte, deren Unzufriedenheit sich bei jeder Gelegenheit zeigte. Es ist klar, Tom Marix hält sie nur mit Mühe in Ordnung.

[283] Len Burker sprach zu mir in seinem gewöhnlichen Tone, indem er mir versicherte, daß unsere Unternehmung Erfolg haben werde, doch es fragt sich, ob es gut ist, wenn wir den Weg zu dem Flusse Fitz-Roy einschlagen. Die Indas sind nach seiner Meinung Nomaden, welche man häufiger in den benachbarten Gegenden von Queensland, d. h. im Osten des Continentes, findet. »Es ist wahr, sagte er, daß wir uns an jenen Ort begeben, wo Harry Felton seinen Capitän zurückgelassen hat... Aber wer kann wissen, ob die Indas nicht ihre Plätze verlassen haben...« u. s. w.

Diese Worte wurden in jenem Tone gesagt, welcher kein Vertrauen einflößt, jenem Tone, den manche Leute anschlagen, ohne einen beim Sprechen anzusehen. Aber Godfreys Aufmerksamkeit hat mich am meisten gerührt. Er hatte ein Bouquet aus jenen kleinen Blumen gebunden, die zwischen den Grashalmen wachsen, und bot es mir mit so zärtlichen Worten an, daß ich darüber ganz gerührt war und weinen mußte, als ich ihn umarmte und seine Küsse den meinigen antworteten... Warum erinnerte ich mich wieder, daß mein kleiner Wat so alt... so gut wie er sein würde!

Jane war auch dabei... Sie war gerührt und auffallend bleich... Ich dachte, daß sie ohnmächtig werden würde, aber sie konnte sich beherrschen und ihr Mann führte sie weg... ich wagte nicht, sie zurückzuhalten.

Wir setzten an diesem Tage bei trübem Wetter um vier Uhr Nachmittags unseren Weg fort. Die Hitze war ein wenig erträglicher, und alle Kameele, Reit-wie Lastthiere, hatten sich von ihrer Ermüdung erholt und schritten kräftig dahin. Man mußte sie sogar zurückhalten, damit die Leute, die zu Fuß gingen, ihnen folgen konnten.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

15. Januar. Während einiger Tage haben wir einen ziemlich großen Weg zurückgelegt. Zwei- oder dreimal regnete es noch reichlich, wir litten keinen Durst und ergänzten unsere Vorräthe vollständig. Die Wasserfrage ist die ernsteste und auch die erschreckendste, wenn es sich um eine Reise in der Wüste handelt, denn sie verlangt eine beständige Fürsorge. In der That scheinen sehr wenig Cisternen auf den Wegen, die wir nehmen, zu sein. Der Oberst Warburton machte dieselbe Erfahrung auf seiner Reise, welche an der westlichen Küste von Tasmanien endigte.

[284] Wir leben jetzt nur von unseren Vorräthen, denn das Wild hat diese traurigen Einöden geflohen. Kaum sieht man einige Tauben, denen man sich nicht nähern kann. Sie ruhen nach langem Fluge zwischen dem Grase aus, wenn ihre Flügel nicht mehr die Kraft haben, sie zu halten. Nichtsdestoweniger haben wir noch Vorräthe für mehrere Monate und ich kann nach dieser Richtung vollständig beruhigt sein. Zach Fren achtet mit großer Sorgfalt darauf, daß Fleisch, Conserven, Thee, Mehl, Kaffee regelmäßig und in der festgesetzten Menge vertheilt werden. Wir selbst sind diesem Gesetze unterworfen und Niemand bildet eine Ausnahme. Die Schwarzen haben keine Ursache sich zu beklagen, und wir werden nicht besser behandelt wie sie. Hin und wieder fliegen einige verirrte Sperlinge über die Oberfläche dieser Gegenden dahin, aber sie sind nicht werth, daß man sich die Mühe nimmt, sie zu jagen.

Immer bereiteten uns Hunderttausende von weißen Ameisen während der Raststunden große Schmerzen, aber von den Mosquitos blieben wir, da das Land zu trocken war, verschont. »Wir werden sie an feuchten Stellen wiederfinden«, bemerkte Tom Marix. Nun, wir wollen gerne ihre Bisse ertragen, wenigstens stoßen wir wieder auf Wasser.

Wir erreichten am 23. Januar Mary-Spring, neunzig Meilen von Waterlow entfernt.

Eine Gruppe magerer Bäume, halb verwelkt, steht an diesem Orte.

»Ihre Blätter hängen wie durstige Zungen herunter,« sagte Godfrey.

Dieser Vergleich ist ganz richtig.

Ich bemerke, daß dieser Bursche nichts von der Heiterkeit seines Alters verloren hat. Seine Gesundheit läßt nichts zu wünschen übrig, worüber ich sehr beruhigt bin, denn er ist in einem Alter wo die jungen Leute schnell wachsen und kräftiger Nahrung bedürfen. Diese unglaubliche Aehnlichkeit verwirrt mich manchmal... Ganz derselbe Blick, wenn er mich ansieht, derselbe Ton seiner Stimme... er nennt die Dinge und drückt seine Gedanken geradeso aus, wie mein armer John.

Eines Tages machte ich Len Burker auf diese Eigenthümlichkeiten aufmerksam.

»Nein, Dolly, antwortete er, das ist eine reine Sinnestäuschung. Ich gestehe, daß ich über die Aehnlichkeit gar nicht erstaunt bin, die nach meiner Meinung nur in Ihrer Einbildung existirt. Nun, da liegt weiter nichts daran, wenn Sie aus diesem Grunde für den Burschen ein so großes Interesse haben.

[285] – Nein, Len, antwortete ich, denn ich fühle mich blos deshalb zu Godfrey hingezogen, weil er sich für das einzige Ziel meines Lebens so begeisterte... John wiederzufinden und zu retten. Er bat mich inständigst, ihn mitzunehmen, und gerührt von diesen Bitten, willigte ich ein. Und dann ist er ja eines meiner Waisenkinder in San-Diego, die im Wat-House erzogen wurden... Godfrey ist wie ein Bruder meines kleinen Wat...

– Ich weiß, ich weiß, Dolly, erwiderte Len Burker, und ich verstehe Sie auch bis zu einem gewissen Grade. Wolle der Himmel, Sie möchten nie eine That bereuen, wo mehr Ihre Einbildungskraft als Ihre Vernunft im Spiele ist.

– Ich höre Sie nicht gern so sprechen, Len Burker, erwiderte ich lebhaft. Solche Bemerkungen verletzen mich. Was haben Sie gegen Godfrey?

– O nichts... nichts bis jetzt. Aber wer weiß... später... könnte er vielleicht Ihre Güte ein wenig zu sehr mißbrauchen... Ein Findelkind... Man weiß nicht, woher es kommt... woher es ist... welches Blut in sei nen Adern fließt...

– Das Blut braver, ehrlicher Leute, dafür bürge ich, rief ich aus. An Bord des »Brisbane« hatten ihn Alle gern, Vorgesetzte wie Kameraden, und wie mir der Capitän selbst sagte, erhielt Godfrey noch nie einen Tadel! Zach Fren, der sich auf Menschen versteht, schätzt ihn ebenso wie ich! Sagen Sie mir also Len Burker, was Sie gegen diesen Knaben haben?

– Ich... Dolly!... Ich liebe ihn und liebe ihn auch nicht... Er ist mir vollständig gleichgiltig... Was meine Freundschaft anbelangt, so gebe ich sie eben nicht dem ersten Besten, und ich denke nur an John, ihn den Eingebornen zu entreißen...«

Wenn Len Burker mir durch diese Worte eine Lehre geben wollte, so beachte ich sie nicht. Ich werde meinen Gatten nicht um dieses Kindes willen vergessen, aber der Gedanke macht mich glücklich, daß Godfrey seine Anstrengungen mit den meinigen vereinigt. Ich bin fest überzeugt, daß John Alles billigen wird, was ich gethan habe, und ich rechne auch für die Zukunft auf diesen jungen Mann.

Als ich Jane dieses Gespräch mittheilte, schlug sie die Augen nieder und gab keine Antwort.

In Zukunft werde ich schweigen, denn Jane will und kann Len Burker nicht Unrecht geben. Ich verstehe diese Zurückhaltung, es ist ihre Pflicht.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

[286] 29. Januar. Wir sind an den Ufern eines kleinen Sees angelangt, den Tom Marix für den White-Lake hält. Er rechtfertigt auch seinen Namen »Weißer See«, denn an Stelle des Wassers, das verdunstet ist, befindet sich da eine dicke Salzkruste, die bis auf den Grund geht. Dieser See ist noch ein Rest jenes großen Binnenmeeres, das ehemals Australien in zwei große Inseln theilte.

Zach Fren ergänzte unsere Salzvorräthe; hätten wir lieber trinkbares Wasser gefunden!

In der Umgebung sind eine Menge Ratten, die kleiner sind wie die gewöhnlichen, vor denen wir aber sehr auf der Hut sein müssen, weil sie wegen ihrer Gefräßigkeit Alles benagen, was man unbeachtet stehen läßt.

Uebrigens fanden die Schwarzen, daß diese Thiere ein gar nicht so übles Wildpret liefern. Sie singen daher einige Dutzend, zogen sie ab, brieten sie dann und ergötzten sich an diesem ekelhaften Fleische. Wir müßten wohl schon gar keine Lebensmittel mehr haben, wenn wir diese Thiere essen sollten. Gebe Gott, daß wir nie auf solches Fleisch angewiesen seien!

Nun sind wir an der Grenze der Wüste, welche man unter dem Namen der »Great-Sandy-Desert« versteht.

Während der letzten zwanzig Meilen veränderte sich allmählich das Terrain. Die Gräser sind weniger dicht, und diese mageren Pflanzen sind ganz im Verschwinden begriffen. Ist denn der Boden so trocken, daß er kaum dieser so anspruchslosen Vegetation entspricht? Niemand würde es für möglich halten, der nicht diese ungeheure, sandige Wüste sähe. Es muß daher in diesen Gegenden, die von den Sonnenstrahlen förmlich verzehrt werden, gar nicht regnen, nicht einmal im Winter.

Vor dieser fürchterlichen Trockenheit und Einöde konnte sich Keiner von uns eines gewissen ängstlichen Gefühles erwehren. Tom Marix zeigte mir diese öden Gegenden auf der Karte. Ein weißer Fleck, den die Reisenden Giles und Gibson durchschnitten. Gegen Norden zeigt die Linie, welche den Weg des Obersten Warburton angiebt, deutlich die Unsicherheit und die Umwege, welche er machen mußte, um Wasser zu finden. Da sind seine kranken, hungrigen Leute am Ende ihrer Kräfte... Dort fallen seine Thiere um... stirbt sein Sohn... Besser ist es, wir lesen seinen Reisebericht nicht... Die Kühnsten würden zu entsetzt zurückweichen... Aber ich habe ihn gelesen und... ich lese ihn wieder... Ich lasse mich nicht in Schrecken setzen... Den Gefahren, denen dieser Reisende zur Erforschung unbekannter Strecken Australiens getrotzt hat, werde auch ich trotzen, um John aufzufinden... Das ist das einzige Ziel meines Lebens, und ich werde es erreichen.


»Schlagen Sie nicht die Kameele...« (S. 277.)

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

3. Februar. Seit fünf Tagen müssen wir unseren Marsch um die Hälfte verringern... nichts ist bedauerlicher. Unsere Karawane, welche durch Terrainschwierigkeiten aufgehalten wird, ist unfähig, geradeaus zu marschiren. Der Boden ist manchmal zerklüftet, so daß wir oft absteigen müssen. An einigen [287] Orten sind Dünen, welche die Kameele umgehen müssen; manchmal erheben sich die Sandhügel bis zu einer Höhe von hundert Fuß, welche wiederum Thäler von sechshundert bis siebenhundert Fuß Breite trennen. Da die Leute tief in den Sand einsinken, so wird der Marsch immer beschwerlicher.


Zach Fren ergänzte unsere Salzvorräthe. (S. 287.)

[288]

[289] [291]Die Hitze ist erstickend, und man kann sich nicht vorstellen, mit welcher Gluth die Sonne ihre Strahlen herabsendet. Es sind förmliche Feuerpfeile, die an tausend Stellen den Körper durchdringen. Jane und ich konnten kaum in unserer Kibitka bleiben. Was mußten erst unsere Gefährten von Früh bis Abends leiden! Zach Fren, der doch so kräftig ist, wird müde, aber er hat nichts von seinem guten Humor verloren. Dieser treue Freund, dessen Leben mit dem meinigen so verknüpft ist! Jos Meritt erträgt diese Strapazen mit einer Seelenruhe und einem Widerstande, um welche er zu beneiden ist; sein Diener, der weniger geduldig ist, klagt, ohne daß es ihm gelingt, seinen Herrn zu rühren. Wenn man bedenkt, daß dieser Mensch solche Strapazen um eines Hutes willen erträgt!

»Gut!... O!... Sehr gut! antwortet er, wenn man ihm das sagt; aber welch seltener Hut!...

– Ein alter Komödiantenhut!« murmelte Zach Fren, indem er mit den Achseln zuckte.

Zwischen acht und vier Uhr ist es unmöglich, einen Schritt zu thun. Man lagert sich gleich hin, wo man steht, man schlägt ein oder zwei Zelte auf. Die Leute, Weiße und Schwarze, strecken sich, wenn sie es können, im Schatten der Kameele aus. Aber was erschreckend ist – das Wasser geht aus; was soll aus uns werden, wenn wir nur auf ausgetrocknete Brunnen stoßen? Ich fühle, daß Tom Marix außerordentlich unruhig ist, obgleich er mir seine Angst zu verbergen sacht. Er hat Unrecht, es wäre besser, er würde mir nichts verhehlen. Ich kann Alles hören und ich werde nicht schwach werden...

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

14. Februar. Elf Tage sind verflossen und nur an zweien hat es geregnet. Wir waren nicht im Stande, unsere Fäßchen zu füllen; weder konnten die Menschen ihren Durst löschen, noch die Thiere genügenden Wasservorrath [291] zu sich nehmen; wir sind in Emily-Spring angekommen, wo die Quelle ganz ausgetrocknet ist. Unsere Thiere sind erschöpft, Jos Meritt weiß nicht mehr, welche Mittel er ergreifen soll, um sein Kameel weiter zu bringen. Er schlug es nicht, sondern sachte ihm von einer anderen Seite beizukommen. Ich hörte ihn sagen:

»Armes Thier, wenn Du auch leidest, so hast Du wenigstens keinen Kummer.«

Das Thier schien diese Auszeichnung nicht zu verstehen. Wir setzten unseren Weg fort mit größerer Unruhe als sonst. Zwei Thiere sind krank, sie schleppen sich kaum weiter und werden wohl die Reise nicht fortsetzen können. Die Lebensmittel, welche diese Thiere trugen, wurden auf ein Reitkameel gelegt, das einem der Leute von der Escorte genommen wurde.

Seien wir glücklich, daß das männliche Kameel, worauf Tom Marix sitzt, noch kräftig ist, denn ohne dieses Thier würden auch die anderen erlahmen und nichts könnte sie dann weiter bringen!

Die armen kranken Thiere mußten getödtet werden, denn sie verhungern, verdursten, oder als Beute eines langen Todeskampfes zu lassen, wäre unmenschlich gewesen. Besser man macht ihren Leiden durch einen Schuß ein Ende!

Die Karawane zieht weiter und umgeht einen Sandhügel... zwei Schüsse ertönen... Tom Marix kommt wieder zu uns und der Marsch wird fortgesetzt. Der Zustand zweier unserer Leute macht mir sehr viel Sorge, sie haben das Fieber, und wir sparen keine Arznei aus unserer Apotheke. Aber ein brennender Durst verzehrt sie, unsere Wasservorräthe sind weg und nichts zeigt uns an, daß wir in der Nähe von Cisternen sind.

Die Kranken liegen auf dem Rücken eines Kameels ausgestreckt, das ihre Gefährten führen. Man kann Menschen nicht zurücklassen, wie man Thiere zurückläßt. Wir werden sie pflegen, das ist unsere Pflicht... aber die furchtbare Hitze reibt sie allmählich auf.

Tom Marix, der die Schrecken der Wüste gewöhnt ist und seine reichen Erfahrungen oft bei der Pflege von Provinzpolizisten verwendet hat, weiß keinen Rath mehr... Wasser!... Wasser!... Das verlangen wir von den Wolken, weil es uns der Boden unmöglich geben kann.

Die Schwarzen ertragen am Besten die Strapazen und scheinen nicht sehr unter der furchtbaren Hitze zu leiden. Wenn sie auch weniger zu erdulden haben, [292] so wächst doch ihre Unzufriedenheit von Tag zu Tag. Die Unwilligsten flüstern während der Rast miteinander, und Alles deutet auf eine Empörung hin.

Am 21. verweigerten alle gemeinschaftlich, den Weg nach Nordwesten fortzusetzen, weil sie vor Durst dem Tode nahe wären. Ach! Wie haben sie Recht! Seit zwölf Stunden ist kein Tropfen Wasser mehr in unseren Fässern; wir müssen Branntwein trinken, dessen Wirkungen schlimm sind.

Ich mußte persönlich unter die aufrührerischen Schwarzen treten, denn es handelte sich darum, es ihnen verständlich zu machen, daß ein Aufenthalt unter solchen Umständen ihre Leiden nicht beenden würde.

»Wir wollen, erwiderte einer von ihnen, den Rückweg einschlagen.

– Zurück?... und bis wohin?

– Bis nach Mary-Spring.

– In Mary-Spring ist auch kein Wasser, erwiderte ich, und das wißt Ihr sehr gut.

– Wenn in Mary-Spring auch kein Wasser ist, so werden wir es ein wenig weiter finden auf der Seite des Wilson-Berges.«

Ich sah Tom Marix an, welcher die Karte unserer Wüste brachte; wir schauen nach und sehen wirklich nördlich von Mary-Spring einen ziemlich großen Fluß, der vielleicht noch nicht ausgetrocknet war. Er hieß Sturt-Creek. Wie konnte der Eingeborne eine Kenntniß von diesem Flusse haben? Ich fragte ihn; er zögerte zuerst und antwortete schließlich, daß Herr Burker es ihnen gesagt habe. Er ist es auch, der ihnen den Vorschlag gemacht habe, dorthin zu ziehen. Ich war wirklich entrüstet über die Unvorsichtigkeit Len Burker's, einen Theil der Escorte aufzuhetzen, nach Osten zu ziehen. Es würde daraus nicht nur eine Verzögerung, sondern eine bedeutende Abweichung unserer Reise nach dem Flusse Fitz-Roy eintreten.

Ich stellte ihn sofort zur Rede.

»Was wollen Sie, Dolly, besser ist es, wir setzen uns Verzögerungen aus oder Abänderungen, als daß wir auf einem Wege weiter ziehen, wo kein Wasser zu finden ist.

– In jedem Falle, Herr Burker, sagte Zach Fren erregt, gehört es sich, daß Sie Ihre Meinung darüber Mrs. Branican und nicht den Eingebornen mittheilen.

– Sie verkehren mit unseren Schwarzen auf solche Weise, fügte Tom Marix dazu, daß ich sie nicht mehr halten kann. Bin ich ihr Chef oder sind Sie es, Herr Burker?

[293] – Ich finde Ihre Bemerkungen unpassend, erwiderte Burker.

– Unpassend oder nicht, sie sind durch Ihr Benehmen vollständig gerechtfertigt.

– Es hat mir hier Niemand zu befehlen, außer Mrs. Branican...

– Gut, Len Burker, versetzte ich, wenn Sie künftighin etwas zu sagen haben, so bitte ich, sich an mich zu wenden und nicht an Andere.

– Mrs. Dolly, sagte dann Godfrey, soll ich nicht vorausreiten, um nach einer Cisterne zu suchen?... Ich werde schließlich doch eine finden.

– Cisternen ohne Wasser«, sagte Len Burker leise, der sich mit einem Achselzucken entfernte.

Ich kann mir lebhaft vorstellen, was Jane, die dieser peinlichen Scene auch beiwohnte, leiden mußte. Das Benehmen ihres Gatten kann für uns von den schlimmsten Folgen sein. Ich mußte mich mit Tom Marix vereinigen, um von den Schwarzen zu erlangen, daß sie nicht mehr auf den Rückzug bestanden. Es gelang uns ohne Mühe. Aber sie erklärten, wenn wir binnen vierundzwanzig Stunden kein Wasser fänden, so würden sie nach Mary-Spring zurückkehren, um den Sturt-Creek zu erreichen.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

23. Februar. Welch unbeschreibliche Qualen in beiden darauffolgenden Tagen! Der Zustand unserer beiden kranken Gefährten verschlimmerte sich. Drei Kameele fielen um und standen nicht mehr auf, unfähig, sich zu bewegen. Sie mußten getödtet werden, und somit waren vier Mann der Escorte gezwungen, zu Fuß zu gehen.

Kein menschliches Wesen in dieser Great-Sandy-Wüste! Kein Australier aus den Gegenden Tasmaniens, der uns zu Cisternen geführt hätte! Gewiß war unsere Karawane von dem Wege des Obersten Warburton abgewichen, denn dieser hatte nie so lange Märsche ohne Wasser zu machen gehabt. Oft enthielten die halb ausgetrockneten Cisternen nur wenig schmutziges Wasser. Aber es war doch Wasser! Und wir...

Heute konnten wir nach dem ersten Marsche unseren Durst löschen, indem es Godfrey gelang, in nicht geringer Entfernung eine Cisterne zu finden.

Seit früh befand sich das arme Kind immer zwei Meilen voraus, als wir ihn gegen zwei Uhr in aller Eile zurückkommen sahen, [294] »Eine Cisterne!... Eine Cisterne!« rief er schon von weitem.

Bei diesem Rufe bekam Alles wieder Leben. Die Kameele gingen rascher; es schien, als ob das Thier Godfreys ihnen gesagt hätte:

»Wasser!... Wasser!«

Nach einer Stunde hielt die Karawane bei einer Baumgruppe, deren trockenes Laub die Cisterne beschattete. Glücklicherweise waren es Gummibäume und keine Eukalypten, die wohl den letzten Tropfen aufgezehrt hätten. Aber es darf nicht unerwähnt bleiben, daß eine kleine Schaar Menschen diese selten vorkommenden Cisternen in einem Augenblick leeren kann. Das Wasser ist nicht reichlich vorhanden und muß auch noch oft aus dem Sande gegraben werden, weil diese Cisternen keine menschlichen Werke sind, sondern natürliche Aushöhlungen, die sich während der Winterregen bilden. Sie haben kaum fünf bis sechs Fuß Wasser, was aber genügt, daß es, gegen die Sonnenstrahlen geschützt, vor Verdunstung bewahrt bleibt und sich sogar während der langen Sommerhitze erhält.

Manchmal verrathen sich diese Wasserbehälter an der Oberfläche nicht durch eine Gruppe von Bäumen, und man kann leicht an ihnen vorübergehen, ohne sie zu sehen. Man muß daher das Land sehr sorgfältig absuchen, was Oberst Warburton den Wüstenreisenden nicht oft genug empfehlen kann.

Diesmal hatte Godfrey eine glückliche Hand, denn die Cisterne, an der wir seit elf Uhr unser Lager aufgeschlagen hatten, enthielt mehr Wasser, als den Menschen, Thieren, und zur Füllung unserer Fässer nothwendig war. Das Wasser war, da es durch den Sand sickerte, frisch, weil es, am Fuße einer Düne, nicht direct den Sonnenstrahlen ausgesetzt war.


Die Kranken liegen auf dem Rücken eines Kameels. (S. 292.)

Jeder von uns labte sich an diesem kühlen Naß und wir mußten sogar unsere Gefährten auffordern, nur mäßig zu trinken, da sie sich schließlich krank machen konnten.

Am folgenden Tage setzten wir um vier Uhr früh unseren Weg fort, indem wir uns nach Nordwest wandten, um auf dem kürzesten Weg Joanna-Spring zu erreichen, das ungefähr hundertneunzig Meilen von Mary-Spring entfernt liegt.


Jeder von uns labte sich an diesem kühlen Naß. (S. 295.)

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

[295] Diese wenigen Blätter aus dem Tagebuch der Mrs. Branican zeigen zur Genüge, daß ihre Energie sie nicht einen Augenblick verlassen hat.

Wir nehmen nun die Beschreibung dieser Reise wieder auf, der die Zukunft noch so Vieles vorbehielt, was unmöglich vorausgesehen werden konnte und so ernste Folgen nach sich zog.

[296]
11. Capitel
Elftes Capitel.
Spuren und Ereignisse.

Wie uns die letzten Blätter des Tagebuchs der Mrs. Branican erkennen ließen, wurde die Karawane wieder muthig und vertrauensvoll. An Lebensmitteln war nie Noth und sie hatten auch deren für mehrere Monate vorräthig. Nur der Mangel an Wasser machte sich dann und wann recht fühlbar, und [297] auch mit diesem waren sie jetzt durch die glückliche Auffindung einer Cisterne reichlich versorgt.

Nur mußten sie immer noch eine furchtbare Hitze ertragen, eine erstickende Luft einathmen, während weit und breit kein Baum und Strauch stand. Es giebt wenige Reisende, die diesen Strapazen Stand halten können, wenn sie nicht in dem Lande geboren sind. Wo der Eingeborne fest weiterschreitet, unterliegt der Fremde. Zu diesem mörderischen Klima muß man geboren sein.

Nichts als jene Dünen und rothen Sandmassen! Der gleichsam brennende Boden, dessen intensive Farbe noch durch die Sonnenstrahlen gesteigert wurde, blendete fortwährend die Augen. Der Sand war so heiß, daß es einem Weißen unmöglich war, barfuß zu gehen; die Schwarzen konnten dies vermöge ihrer abgehärteten Haut wohl thun, und sie klagten auch in dieser Beziehung nie. Aber sie klagten doch und ihr Unwille trat bei jeder Gelegenheit hervor. Wenn Tom Marix nicht eingesehen hätte, daß er seine Escorte vollständig beisammen haben mußte, weil sie doch mit einigen Stämmen in Kampf gerathen könnten, so hätte er Mrs. Branican gerathen, sie aus ihrem Dienste zu entlassen.

Uebrigens sah Tom Marix die Schwierigkeiten immer mehr wachsen und er konnte sich nicht verschließen, daß trotz aller Qualen und Gefahren, denen man bisher getrotzt hatte, sie doch dem sicheren Verderben entgegengingen. Er behielt das für sich, und ließ gegen Niemanden ein Wort darüber fallen. Nur Zach Fren durchschaute ihn und war förmlich beleidigt darüber, daß er ihn nicht ins Vertrauen zog.

»Tom, sagte er eines Tages zu ihm, ich hätte Sie nicht für den Mann gehalten, der den Muth verliert!

– Ich den Muth verlieren!... Sie täuschen sich, Zach, wenigstens in dem Sinne, daß ich nie den Muth verlieren werde, meine übernommene Mission bis zu Ende zu führen. Den Durchzug durch diese Wüsten fürchte ich nicht, sondern nach demselben gezwungen zu werden, ohne Erfolg wieder zurückzukehren..

– Glauben Sie denn, Tom, daß der Capitän John seit der Flucht Harry Felton's zugrunde gegangen ist?

– Ich weiß nichts davon, Zach, und Sie wissen darüber auch nicht mehr.

– O ja, ich weiß es, wie ich sicher weiß, daß zwei mal zwei vier ist.

– Sie sprechen hier geradeso, wie Mrs. Branican oder Godfrey sprechen, und Sie nehmen ebenso wie jene die Hoffnung als Gewißheit an. Ich wünschte,[298] Sie hätten Recht. Aber der Capitän John befindet sich, wenn er am Leben ist, in den Händen der Indas, und wo sind diese Indas?

– Sie sind dort, wo sie sind, Tom, und dahin muß die Karawane ihren Weg nehmen, sollte sie auch noch ein halbes Jahr herumwandern müssen. Zum Teufel! Erst wenn wir nicht mehr weiter können, gehen wir wieder zurück...

– Ja, Zach, auf dem Meere geht das schon, wenn man weiß, man kehrt in diesen oder jenen Hafen wieder zurück. Aber wissen wir etwas, wohin wir durch diese Gegenden da kommen?

– In der Verzweiflung wird man es freilich nicht wissen.

– Ich verzweifle nicht, Zach.

– O ja, Tom, und was noch furchtbarer ist, Sie werden es schließlich nicht mehr verbergen können. Derjenige, welcher seine Unruhe nicht verhehlt, ist ein schlechter Capitän und bringt in seine Mannschaft Unruhe. Hüten Sie sich davor, Tom, nicht um Mrs. Branican's willen, die nichts von ihrem Wege abbringen könnte, sondern vor den Weißen unserer Escorte! Wenn sie mit den Schwarzen gemeinsame Sache machen...

– Ich bürge für sie, wie für mich!

– Wie ich für Sie bürge, Tom! Sprechen wir nicht mehr davon, daß wir die Flagge herablassen wollen. so lange noch die Mastbäume stehen.

– Wer spricht denn davon, Zach? Nur Len Burker...

– O, der, Tom! Wenn ich Commandant wäre, so hätte ich ihn längst in Fesseln schlagen lassen. Nun, er möge wohl auf der Hut sein, denn ich lasse ihn nicht aus den Augen!«

Zach Fren hatte Recht, Len Burker zu beobachten, denn wenn eine Empörung in der Escorte ausbräche, so hätte man dies nur ihm zu verdanken, denn er hetzte die Schwarzen auf, denen Tom Marix so vertraute. Dies wäre ein Grund, weshalb die Expedition mißlingen könnte. Aber war er nicht schon vorhanden, als Tom Marix es kaum mehr für möglich hielt, mit den Indas zusammenzutreffen und den Capitän John zu befreien?

Obwohl die Karawane nicht ganz aufs Gerathewohl weiterzog, indem sie die Richtung gegen den Fitz-Roy einhielt, so konnten doch unter Umständen die Indas Tasmanien verlassen haben; vielleicht befanden sie sich auch auf dem Kriegspfade, denn es kommt selten vor, daß diese Stämme untereinander in Frieden leben. Sie hassen einander, und die kleinsten Streitigkeiten führen zu blutigen Kämpfen, denn der Krieg ist bei den Cannibalen mehr eine Jagd. In [299] Wahrheit ist der Feind nicht der Feind, sondern er ist das Wild, und der Sieger verzehrt den Besiegten. Daher rühren denn auch diese Kämpfe und Verfolgungen, die die Eingebornen so oft zwingen, ihre Ansiedlungen zu verlassen. Es war deshalb von großem Interesse zu hören, ob die Indas ihre Plätze noch innehatten, was man aber nur von einem Schwarzen erfahren konnte, der von Nordwesten kam.

Dahin gingen nun die Bemühungen des Tom Marix und Godfrey's, der es sich trotz aller Ermahnungen Mrs. Branican's nicht nehmen ließ, immer auf einige Meilen vorauszureiten. Wenn er kein Wasser sachte, so wollte er einen Eingebornen finden – bisher leider ohne Erfolg.

Das Land war wüste. Welches menschliche Wesen hätte daher hier leben können?

Am 9. März gegen neun Uhr früh hörte man endlich in kurzer Entfernung einen Ruf – einen Ruf, der aus folgenden zwei Wörtern bestand:

»Coo-eeh!

– Da sind Eingeborne in der Nähe! sagte Tom Marix.

– Eingeborne? fragte Dolly.

– Ja, Mistreß, denn sie haben die Gewohnheit, ein ander so zu rufen.

– Versuchen wir, mit ihnen zusammenzutreffen!«

Die Karawane näherte sich bis auf ungefähr hundert Schritte, und Godfrey signalisirte zwei Schwarze. Es war nicht leicht, sich ihrer zu bemächtigen, denn sie fliehen die Weißen schon von weitem. Die Schwarzen suchten sich auch hinter dem Gestrüpp einer Düne zu verstecken; der Escorte gelang es aber, sie zu umzingeln, und sie führte dieselben zu Mrs. Branican.

Einer von ihnen war ungefähr fünfzig Jahre alt, der zweite, sein Sohn, etwa zwanzig. Beide begaben sich eben nach der Station an dem See Woods, die zu dem telegraphischen Netz gehört. Verschiedene Geschenke an Stoffen und besonders einige Pfund Tabak machten sie bald zutraulicher, und sie zeigten den Willen, auf die Fragen des Tom Marix zu antworten – Antworten, welche dieser sofort für Mrs. Branican, Godfrey, Zach Fren und ihre Gefährten übersetzte.

Die Australier sagten zuerst, wohin sie gingen – was von geringem Interesse war.

Aber Tom Marix fragte sie, woher sie kämen, was sehr wichtig war.

»Wir kommen von dort her... weit... sehr weit her, erwiderte der Vater, indem er nach Nordwesten zeigte.

[300] – Von der Küste?

– Nein... aus dem Innern.

– Von Tasmanien?

– Ja... vom Ufer des Fitz-Roy.«

Wir wissen, daß gerade dies das Ziel der Karawane war.

»Von welchem Stamme seid Ihr? fragte Tom Marix.

– Von dem Stamme der Gursis.

– Sind das Nomaden?«

Der Schwarze schien diese Frage nicht zu verstehen.

»Ist es ein Stamm, der von einem Lager zum anderen zieht? fragte Tom Marix wieder, ein Stamm, der kein Dorf hat?

– Er bewohnt das Dorf der Gursis, antwortete der Sohn, der ziemlich verständig zu sein schien.

– Liegt dieses Dorf am Fitz-Roy?

– Ja, zehn große Tagereisen von der Stelle entfernt, wo er ins Meer mündet.«

Der Fitz-Roy mündet in den Königsgolf, wo im Jahre 1883 die zweite Fahrt des »Dolly-Hope« endigte. Die zehn Tagereisen, welche der junge Mann da anführte, zeigten an, daß das Dorf der Gursis ungefähr hundert Meilen von der Küste entfernt lag.

Das fand Godfrey auch auf der Karte, und zwar auf einer, welche den Lauf des Flusses Fitz-Roy in einer Strecke von zweihundertfünfzig Meilen von der Quelle bis in die öden Gegenden Tasmaniens wiedergiebt.

»Kennt Ihr den Stamm der Indas?« fragte dann Tom Marix die Eingebornen.

Als die Beiden diesen Namen hörten, leuchteten ihre Augen auf.

»Gewiß, die Indas und die Gursis führen Krieg miteinander, bemerkte Tom Marix, indem er sich an Mrs. Branican wandte.

– Es ist möglich, erwiderte Dolly, und sogar wahrscheinlich, daß diese Gursis wissen, wo sich jetzt die Indas befinden. Fragen Sie sie danach, Tom Marix, und versuchen Sie so genau wie möglich darüber Auskunft zu erhalten. Von dieser Antwort hängt vielleicht der Erfolg unserer Expedition ab.«

Tom Marix stellte nun diese Frage und der Aeltere antwortete ohne Zögern, daß die Indas sich am Oberlaufe des Fitz-Roy befänden.

»Wie weit sind sie von dem Dorfe der Gursis entfernt? fragte Tom Marix.

[301] – Ungefähr zwanzig Tagereisen gegen Sonnenaufgang,« erwiderte der Jüngere.

Diese Entfernung war auf der Karte gleich zweihundertachtzig Meilen von dem Punkte, wo sich die Karawane eben befand. Was die Auskünfte anbelangt, so stimmten sie mit denen Harry Felton's überein.

»Führt Euer Stamm mit den Indas oft Krieg?

– Immer!« erwiderte der Sohn.

Dabei schlug er einen Ton an und machte eine Handbewegung, die deutlich von dem Hasse dieser Cannibalen zeugten.

»Wir werden sie immer verfolgen, fügte der Aeltere hinzu, dessen Kinnbacken vor sinnlicher Lust klapperten, und sie werden geschlagen werden, wenn der weiße Häuptling nicht mehr an ihrer Spitze sein wird.«

Man kann sich leicht vorstellen, welche Bewegung diese Antwort bei Mrs. Branican und ihren Gefährten hervorrief. Konnte man zweifeln, daß dieser langjährige Gefangene der Indas der Capitän John war?

Auf Bitten Dollys hin fragte nun Tom Marix die Wilden weiter, die aber über diesen Häuptling nur sehr unsichre Auskunft geben konnten. Sie erklärten jedoch mit Bestimmtheit, daß vor drei Monaten, wo der letzte Kampf zwischen den Indas und Gursis stattfand, der Weiße noch in der Gewalt der ersteren war.

»Ohne ihn, rief der junge Australier aus, wären die Indas nur Weiber!«

Das war jetzt Nebensache, denn man wußte nun von ihnen, was man wissen wollte. John Branican und die Indas befanden sich also dreihundert Meilen nordwestlich entfernt und man mußte sie an den Ufern des Fitz-Roy suchen.

In dem Augenblicke, als das Lager abgebrochen werden sollte, hielt Jos Meritt die beiden Wilden, die Mrs. Branican eben mit Geschenken entlassen hatte, einen Augenblick auf, und bat Tom Marix, sie nach der Kopfbedeckung zu fragen, welche die Indas und Gursis bei festlichen Gelegenheiten tragen.

Jos Meritt sah ihrer Antwort mit nicht geringerer Bewegung entgegen, als Dolly der über den Capitän John.

Er mußte zufriedengestellt sein, denn ein »Gut!... O!... Sehr gut!« entschlüpfte seinen Lippen, weil er erfuhr, daß eigenthümliche Kopfbedeckungen [302] bei den Völkerstämmen des Nordwestens nichts Ungewöhnliches seien und daß bei festlichen Gelegenheiten die Häuptlinge stets Hüte trügen.

»Sie verstehen, Mrs. Branican, sagte Jos Meritt, den Capitän John zu finden, ist sehr gut... aber die Hand auf einen Schatz zu legen, den ich in der ganzen Welt suche... das ist noch besser...

– Gewiß, erwiderte Mrs. Branican.

– Du hast es gehört, Gîn-Ghi, setzte Jos Meritt hinzu, indem er sich seinem Diener zuwendete.

– Ich habe es gehört, Jos, erwiderte der Chinese, und wenn wir den Hut gefunden haben werden...

– Kehren wir nach England, nach Liverpool zurück, wo Du, Gîn-Ghi, nichts anderes zu thun haben wirst, als ihn in einem rothseidenen Rocke mit gelbem Besatz und eine schwarze Mütze auf dem Kopfe den Liebhabern zu zeigen. Bist Du es zufrieden?

– Wie die Blume Haïtang, die sich vor dem Zephyr erschließt, wenn Joda gegen Westen hinabsteigt,« erwiderte poetisch Gîn-Ghi.

Doch schüttelte er ebenso ungläubig mit dem Kopfe über dieses zukünftige Glück, als wenn sein Herr ihm gesagt hätte, daß er zum Mandarin mit sieben Knöpfen ernannt werden solle.

Len Burker hatte der Unterredung des Tom Marix mit den Wilden beigewohnt, ohne daran theilzunehmen, obwohl er ihre Sprache verstand. Er stellte gar keine Frage über den Capitän John, hörte aber aufmerksam zu und prägte sich die Einzelheiten betreffs des gegenwärtigen Aufenthaltes der Indas wohl ein. Er sah auf der Karte die Stelle nach, wo die Indas wahrscheinlich am Oberlaufe des Fitz-Roy lagerten, und berechnete die Entfernung, welche die Karawane noch zurückzulegen hatte, und die Zeit, welche der Zug durch Tasmanien brauchen würde.

Dieser Weg konnte in einigen Wochen zurückgelegt werden, wenn nichts dazwischen kam, die Thiere kräftig blieben und die Strapazen des Weges und die Qualen von der Gluth der Sonne glücklich überstanden wurden. Len Burker sah ein, daß durch die Auskünfte Alle neuen Muth schöpften, worüber er wüthend wurde. Nun würde die Befreiung des Capitän John erfolgen und es in Folge des Lösegeldes Dolly gelingen, ihn den Händen der Indas zu entreißen.

Während Len Burker über diese Eventualitäten nachdachte, sah Jane seine Stirn sich runzeln, seine Augen leuchten, sein Gesicht die furchtbaren Gedanken


Der Escorte gelang es aber, sie zu umzingeln. (S. 300.)

zum Ausdruck bringen. Sie gerieth in Furcht, sie ahnte eine nahe Katastrophe, und in dem Augenblic [303] ke, als sich die Augen ihres Gatten auf sie hefteten, fühlte sie sich einer Ohnmacht nahe.


Tom Marix fragte sie. (S. 300.)

Die unglückliche Frau sah, was im Innern ihres Gatten vorging, der aller Verbrechen fähig war, um in den Besitz des Vermögens der Mrs. Branican zu gelangen. Len Burker sagte sich in seinem Innern, daß durch die Begegnung Johns und Dollys seine ganze Zukunft vernichtet würde. Früher oder später müsse auch das Verhältniß Godfreys zu Mrs. Branican aus Tageslicht [304] kommen, denn schließlich würde das Geheimniß seiner Frau entschlüpfen, und doch war er von Jane abhängig, da nur ihr das Vermögen nach dem Tode der Mrs. Branican zufallen konnte.

Dolly und Jane mußten also getrennt werden und John Branican vor der Ankunft der Karawane bei den Indas verschwinden.

Einem solchen gewissenlosen und entschlossenen Menschen wie Len Burker war die Verwirklichung eines derartigen Planes nicht unmöglich, besonders da ihm alle Umstände bald zu Hilfe kamen.

[305] An diesem Tage gab Tom Marix um vier Uhr das Signal zum Aufbruche, und die Karawane setzte sich in ihrer gewöhnlichen Ordnung in Bewegung.

Von Dolly ging jetzt die Energie auf ihre Gefährten über. Man näherte sich dem Ziele... Der Erfolg schien sicher zu sein... Die Schwarzen der Escorte unterwarfen sich scheinbar gern allen Anordnungen und Tom Marix hätte auf ihre Mitwirkung bis an das Ende der Reise rechnen können, wenn sie nicht Len Burker fortwährend zu Verrath und Empörung aufgehetzt hätte.

Die Karawane war beinahe auf dem Wege des Obersten Warburton, aber die Hitze wurde immer größer, die Nächte waren zum Ersticken, und auf diesen ungeheuren, baumlosen Ebenen fand man keinen Schatten, als neben den Dünen, der bei dem hohen Stande der Sonne oft sehr gering war.

Diese Hitze war vielleicht nicht eine so ausnahmsweise große, sondern gehörte unter diesem Breitegrade zu den alltäglichen. Hierzu kam auch der Wassermangel, der jeden Tag stieg. Sie mußten in großen Entfernungen Cisternen suchen, wodurch bedeutende Umwege nöthig wurden und somit das Fortkommen sehr gehindert war. Meist bot sich Godfrey an, Wasser zu suchen, und auch Tom Marix war darin unermüdlich. Mrs. Branican sah sie immer mit der größten Unruhe fortreiten, aber sie konnten auf keine Gewitter hoffen, die unter diesem Breitegrade zu den größten Seltenheiten gehören. Am Himmel sah man kein Wölkchen, so daß nur der Boden Wasser geben konnte.

Als Godfrey und Tom Marix eine Cisterne entdeckten, lag sie gerade in der Richtung, welche die Karawane einhielt. Man eilte vorwärts, trieb die Thiere an und bot unter dem Stachel des Durstes Alles auf, so schnell wie möglich hinzukommen... und was fand man? Eine schlammige Flüssigkeit, in der es von Ratten wimmelte. Die Schwarzen und Weißen der Escorte stürzten darauf los und tranken dieses ekelhafte Wasser, aber Dolly, Jane, Godfrey, Zach Fren und Len Burker hatten die Vorsicht und warteten, bis Tom Marix neben der Cisterne aus dem Sande ein etwas reineres Wasser grub. Dann füllte man die Fäßchen, deren Inhalt bis zu dem nächsten Brunnen reichen mußte.

So ging der Zug etwa acht Tage – vom 10. bis 17. März – weiter, ohne daß etwas Besonderes vorfiel, nur die Strapazen wurden immer größer und waren kaum mehr auszuhalten. Der Zustand der beiden Kranken besserte sich nicht, im Gegentheil, es war ein schlimmer Ausgang zu befürchten. Fünf [306] Kameele waren gefallen, so daß man die größten Schwierigkeiten hatte, das Gepäck weiter zu befördern.

Der Führer der Escorte gerieth in die größte Unruhe und auch Mrs. Branican befürchtete das Aergste, obwohl sie es nicht zeigte. Sie war bald an der Spitze, bald am Ende des Zuges, und gab so ein Beispiel außerordentlichen Muthes, den, mit Vertrauen gepaart, nichts erschüttern konnte.

Zu welchen Opfern wäre sie nicht bereit gewesen, um diese unaufhörlichen Verzögerungen zu vermeiden, diesen unendlichen Weg abzukürzen! Eines Tages fragte sie Tom Marix, warum er nicht die gerade Richtung gegen den Oberlauf des Fitz-Roy einschlage, wo nach den Aussagen der beiden Wilden die Indas lagern sollten.

»Ich habe daran gedacht, erwiderte Tom Marix, doch die Wasserfrage hält mich immer zurück, Mrs. Branican. Wenn wir die Richtung gegen Joanna-Spring einhalten, können wir nicht verfehlen, auf einige Cisternen zu stoßen, die der Oberst Warburton signalisirt hat.

– Sind denn keine in der Richtung gegen Norden? fragte Dolly.

– Vielleicht, aber ich weiß es nicht sicher, sagte Tom Marix. Uebrigens ist es auch möglich, daß diese Brunnen jetzt austrocknen, während wir, wenn wir gegen Westen ziehen, sicher den Okaoverfluß erreichen, wo der Oberst Warburton Halt machte. Da dies ein fließendes Gewässer ist, so können wir dort unsere Vorräthe mit Leichtigkeit erneuern, bevor wir das Thal des Fitz-Roy erreichen.

– Gut, Tom Marix, erwiderte Mrs. Branican, da es so sein muß, halten wir also die Richtung gegen Joanna-Spring ein.«

So geschah es auch, doch die Strapazen auf diesem Wege übertrafen alle bisher erduldeten Qualen. Obgleich man schon im dritten Sommermonat war, hielt die Hitze doch immer noch an und im Schatten waren vierzig Grad, worunter man aber die Nacht zu verstehen hat. Vergebens hätte man am Himmel ein Wölkchen, auf der sandigen Oberfläche der Erde einen Baum suchen können. Der Weg wurde unter einer erstickenden Hitze fortgesetzt; die Cisternen enthielten kaum noch das hinreichende Wasser für die Karawane, so daß man täglich mit Mühe zehn Meilen zurücklegte. Die Pflege, welche Dolly, Jane und Harriette, die selbst ganz schwach waren, den Kranken angedeihen ließen, brachte diesen keine Erleichterung. Man hätte rasten, in irgend einem Dorfe halten und abwarten müssen, bis die Temperatur gesunken wäre... dies[307] Alles war nicht möglich. Am 17. März Nachmittags verloren sie wieder zwei Lastkameele, darunter gerade dasjenige, welches das Lösegeld für den Capitän John trug.

Tom Marix ließ das Gepäck auf zwei Reitthiere legen, wodurch wieder zwei Männer der Escorte absitzen mußten. Diese braven Leute murrten nicht und unterwarfen sich geduldig der neuen Vermehrung ihrer Leiden. Welch ein Unterschied zwischen ihnen und den Schwarzen, die fortwährend Ansprüche machten und über die Qualen klagten! War es nicht zu befürchten, daß diese Schwarzen eines Tages versucht sein könnten, die Karawane zu verlassen, vielleicht gar, nachdem sie dieselbe geplündert hatten?

Endlich konnte die Karawane neben einer Cisterne, deren Wasser sechs Fuß unter dem Sande war, rasten – es war am 19. März; obwohl man sich nur ungefähr fünf Meilen von Joanne-Spring entfernt befand, war es doch unmöglich, den Weg fortzusetzen. Die Menschen und Thiere waren zu sehr ermüdet.

Die Luft war schwer, man konnte kaum athmen. Der Himmel hatte jene eigenthümliche bleierne Farbe, wie man sie manchmal in den südlichen Gegenden vor einer elektrischen Entladung der Atmosphäre beobachten kann.

Tom Marix sah ängstlich gegen den Himmel, was Zach Fren nicht entging.

»Sie wittern etwas, sagte er zu Tom Marix, was Ihnen nicht paßt?

– Ja, Zach, erwiderte er, ich mache mich auf den Samum gefaßt, einen Wüstensturm, der furchtbar ist.

– Gut... also Wind... nun da wird es ja ohne Zweifel Wasser geben? bemerkte Zach Fren.

– Nein, nein, Zach, daraus wird eine noch schrecklichere Trockenheit entstehen; außerdem ist dieser Sturm in Centralaustralien zu Allem fähig.«

Diese Worte eines so erfahrenen Mannes mußten bei Mrs. Branican und ihren Gefährten die lebhafteste Unruhe erregen.

Es wurden nun alle möglichen Vorsichtsmaßregeln ergriffen. Es war neun Uhr Abends. Die Zelte wurden nicht in den Sanddünen aufgeschlagen, was auch in diesen erstickenden Nächten unnütz war. Jeder löschte seinen Durst an dem Wasser der Fäßchen und nahm dann seine Portion Speise entgegen, die Tom Marix vertheilte. Man dachte kaum daran, den Hunger zu stillen, nur frische Luft ersehnten Alle, wenn diese auch weniger dem Magen, als den Athmungsorganen[308] zu Statten kam. Einige Stunden Schlaf hätte diesen Leuten wohler gethan, als einige Bissen Nahrung; aber es war unmöglich, in einer solch erstickenden Atmosphäre zu schlafen. Bis Mitternacht ereignete sich nichts Besonderes. Tom Marix, Zach Fren und Godfrey wachten und erhoben sich alle Augenblicke, um den Horizont im Norden zu beobachten. Während sich zuerst der prachtvollste Sternenhimmel über sie wölbte, wurde es gegen drei Uhr plötzlich dunkel.

»Auf!... Auf!... rief Tom Marix.

– Was giebt es? fragte Mrs. Branican, die rasch aufgestanden war. Neben ihr suchten Jane, Harriette, Godfrey und Zach Fren sich in der Dunkelheit auszukennen. Die Thiere, die auf dem Boden ausgestreckt lagen, erhoben den Kopf und stießen Rufe des Schreckens aus.

– Was giebt es denn? fragte Mrs. Branican von neuem.

– Der Samum kommt!« erwiderte Tom Marix.

Das waren die letzten Worte, welche gehört werden konnten. Heulend kam der Sturm dahergebraust, so daß das Ohr keinen anderen Ton vernehmen konnte, während die Augen vergebens die Finsterniß zu durchdringen suchten.

Ja, es war der Samum, wie es Tom Marix gerufen hatte, einer jener plötzlichen Stürme, welche die Wüsten Australiens auf weite Strecken durchbrausen. Eine ungeheure Wolke erhob sich im Süden und senkte sich auf die Ebene herab – eine Wolke, die nicht nur aus Sand, sondern auch aus Asche bestand, welche dem heißen Boden entrissen wurde. Ein undurchdringlicher, seiner Staub sauste dahin, der blendete und in alle Poren des Körpers drang. Wenn die Zelte aufgeschlagen gewesen wären, so würde keine Spur von ihnen zurückgeblieben sein.

Alle fühlten den furchtbaren Luftstrom über sich hinweggehen. Godfrey hielt Dolly mit beiden Händen fest, denn er wollte sich nicht von ihr trennen, falls die Karawane von dem furchtbaren Sturme nach Norden geschleudert werden würde.

Das geschah auch wirklich, und ein Widerstand wäre ganz unmöglich gewesen.

Während einer Stunde wüthete der Sturm, wodurch der Boden eine ganz andere Gestalt annahm, denn die Dünen verschwanden und eine endlose Fläche breitete sich aus. Mrs. Branican und ihre Gefährten wurden vier bis fünf Meilen weit getrieben, standen auf und wurden wieder niedergeworfen und [309] wie Strohhalme weitergeschleudert. Sie sahen und hörten einander nicht, und hofften kaum, sich wiederzufinden. Auf solche Weise kamen sie in die Nähe von Joanna-Spring zu den Ufern des Okaover im Augenblicke, als die ersten Strahlen der Sonne die weite Ebene erleuchteten.

Waren Alle da, als man die Namen rief?... Alle?... Nein!

Mrs. Branican, die Dienerin Harriette, Godfrey, Jos Meritt, der chinesische Diener, Zach Fren, Tom Marix, die Weißen waren da, ebenso vier Reitkameele. Aber die Schwarzen waren verschwunden! Und mit ihnen zwanzig Kameele – die, welche die Lebensmittel und das Lösegeld für den Capitän John trugen!...

Als Dolly Jane rief, erhielt sie keine Antwort.

Len und Jane Burker waren nicht da!...

12. Capitel
Zwölftes Capitel.
Die letzten Anstrengungen.

Das Verschwinden der Schwarzen, der Reit- und Lastthiere brachte Mrs. Branican und diejenigen, welche ihr treu geblieben waren, in eine verzweifelte Lage.

»Verrath!« rief zuerst Zach Fren. »Verrath!« wiederholte Godfrey. Es war zu augenscheinlich, daß diesem Verschwinden Verrath zu Grunde lag, was auch die Meinung des Tom Marix war, der ja wußte, welchen verderblichen Einfluß Len Burker auf die Escorte von Eingebornen ausübte.

Dolly bezweifelte dies noch immer, denn sie wollte an eine solche Niedertracht nicht glauben.

»Konnte Len Burker nicht ebenso von dem Sturme weitergeschleudert werden wie wir?

– Ja, gerade mit den Schwarzen, erwiderte Zach Fren, und mit ihnen auch die Kameele, die unsre Lebensmittel trugen?

[310] – Meine arme Jane, murmelte Dolly, sie wurde von mir getrennt, ohne daß ich es bemerkte.

– Len Burker wollte sie nicht bei Ihnen lassen, Mrs. Branican, versetzte Zach Fren, der Elende!...

– Elende?... Gut!... O!... Sehr gut! sagte Jos Meritt. Wenn das nicht Verrath ist, so will ich nie den Hut finden... dessen...«

Dann wendete er sich zu dem Chinesen:

»Was denkst Du davon, Gîn-Ghi?

– Ay-ya, Herr Jos, ich denke, daß ich tausendmal besser gethan hätte, ein so unfreundliches Land nicht zu betreten.

– Vielleicht!« erwiderte Jos Meritt.

Der Verrath wurde von allen Seiten mit solcher Gewißheit ausgesprochen, daß Mrs. Branican sich zu folgenden Worten genöthigt sah:

»Aber warum haben sie mich getäuscht, was habe ich Len Burker gethan?... Habe ich nicht Alles vergessen... Habe ich sie nicht wie meine Verwandten aufgenommen, seine unglückliche Frau und ihn?... und er verläßt uns, raubt uns alle Hilfsmittel und stiehlt mir das Lösegeld für John!... Aber warum?«

Niemand kannte das Geheimniß Len Burker's und Niemand hätte ihr darauf eine Antwort geben können. Nur Jane wäre im Stande gewesen, die schändlichen Pläne ihres Mannes zu enthüllen, und diese war nicht da.

Indes war es nur allzu richtig, daß Len Burker soeben einen Plan zur Ausführung gebracht hatte, den er lange mit sich herumtrug und der die erhoffte Wirkung bringen mußte. Unter dem Versprechen, die Schwarzen gut zu zahlen, gewann er sie leicht für seinen Anschlag. Zwei der Eingebornen schleppten während des Sturmes Jane davon, ohne daß ihr Hilfsgeschrei gehört werden konnte, und die anderen trieben die um das Lager zerstreuten Kameele gegen Norden.


... und erhoben sich alle Augenblicke, um den Horizont zu betrachten. (S. 309.)

Niemand hatte sie in der tiefen Dunkelheit bemerkt, die durch den Wirbelsand noch verdichtet wurde, und bevor die Sonne aufging, waren Len Burker und seine Gefährten schon einige Meilen östlich von Joanna-Spring.

Da Jane jetzt von Dolly getrennt war, hatte ihr Gatte nicht mehr zu fürchten, daß vielleicht doch zuletzt das Geheimniß Dolly enthüllt werden würde. Uebrigens konnte er annehmen, daß Mrs. Branican und ihre Gefährten, entblößt von Lebensmitteln, in der ungeheuren Wüste zu Grunde gehen würden.

[311] In der That war die Karawane jetzt immer noch dreihundert Meilen von Fitz-Roy entfernt.

Wie konnte Tom Marix auf einem so langen Wege für die Bedürfnisse von Menschen und Thieren sorgen?

Der Okaover ist einer der wichtigsten Nebenflüsse des Grey, der in den Indischen Ocean mündet. An den Ufern desselben, den die glühende Sonne nie austrocknet, fand Tom Marix schattige Plätze und jene angenehmen Stellen wieder, die der Oberst Warburton nicht genug loben konnte.

[312] [315]Welch herrlicher Anblick, nach monatelangem Zuge durch die Wüste wieder fließende Gewässer und eine grüne Natur zu sehen! Doch wenn Warburton an den Ufern dieses Flusses fast bestimmt wußte, daß er sein Ziel erreichen werde, da er nur stromabwärts bis an die Küste zu ziehen brauchte, so hatte Mrs. Branican noch den Weg durch die öden Gegenden vor sich, die den Okaover vom Fitz-Roy trennen.


Alle fühlten den furchtbaren Luftstrom über sich hinweggehen. (S. 309.)

Die Karawane bestand nur noch aus zweiundzwanzig Personen gegen dreiundvierzig, die sie bei dem Aufbruche von Alice-Spring zählte: Dolly und die Dienerin Harriette, Zach Fren, Tom Marix, Godfrey, Jos Meritt, Gîn-Ghi und fünfzehn Weiße der Escorte, von denen zwei ernstlich krank waren. Als Reitthiere hatten sie nur vier Kameele, da die anderen von Len Burker geraubt worden waren, darunter auch das Männchen, welches die anderen leitete und auf dessen Rücken sich die Kibitka befand. Auch das Thier Jos Meritt's war verschwunden, so daß er wie sein Diener zu Fuß gehen mußte. Was die Lebensmittel anbelangt, so waren nur noch wenige Büchsen Conserven vorhanden, da ein Kameel eine Kiste derselben hatte fallen lassen. Kein Mehl, kein Kaffee, kein Thee, kein Zucker, kein Salz, keine alkoholischen Getränke, keine Medicamente! Wie hätte Dolly die beiden Fieberkranken pflegen können! Sie standen inmitten dieses nackten Landes aller Mittel entblößt da.

Beim ersten Morgengrauen versammelte Mrs. Branican, die nie den Muth verlor, ihre Getreuen um sich und sprach ihnen in begeisterten Worten neuen Muth zu.

Sie setzten ihren Marsch fort, aber unter solchen Umständen, daß der Vertrauensvollste an jedem Erfolge verzweifelt hätte. Von den vier Kameelen mußten zwei den Kranken überlassen werden, die man doch nicht in Joanna-Spring, einer jener unbewohnten Stationen, welche Warburton so oft auf seinem Marsche antraf, dem sicheren Tode preisgeben konnte. Würden diese braven Leute die Kraft haben, bis an die Ufer des Fitz-Roy auszuhalten, von wo es vielleicht möglich wäre, sie an einen Punkt der Küste zu befördern?... Es war zweifelhaft, und es preßte das Herz Mrs. Branican's zusammen, wenn sie dachte, daß die Katastrophe des »Franklin« vielleicht noch zwei neue Opfer fordern könnte...

Und doch gab Dolly ihren Plan nicht auf! Nein! Sie würde noch weiter suchen! Nichts sollte sie in der Erfüllung ihrer Pflicht aufhalten – auch wenn sie allein bliebe!

[315] Als die Karawane das rechte Ufer des Okaover verließ, dessen Bett an einer Furt ungefähr eine Meile stromaufwärts von Joanna-Spring übersetzt wurde, schlug sie eine nord-nordöstliche Richtung ein, da Tom Marix auf diese Weise hoffte, den Fitz-Roy an einer jener zahlreichen Krümmungen zu erreichen, welche dieser Fluß bildet, bevor er sich dem Königsgolfe zuwendet.

Die Hitze war erträglicher. Es bedurfte der lebhaftesten Vorstellungen, daß Dolly bewogen wurde, eines der Kameele zu besteigen. Godfrey und Zach Fren schritten rüstig weiter, ebenso Jos Meritt mit seinen langen Beinen. Als Mrs. Branican ihm ihr Thier anbot, sagte er:

»Gut!... O!... Sehr gut! Ein Engländer ist ein Engländer, Mistreß, aber ein Chinese ist nur ein Chinese, und ich sehe durchaus nichts Ungehöriges darin, wenn Sie diesen Antrag Gîn-Ghi machen... Ich muß ihn aber abschlagen!«

Auch Gîn-Ghi ging zu Fuß, doch er dachte immer mit Wehmuth an die fernen Reize der Blumenstadt Sou-Tchëu, der angebeteten Stadt der »Himmlischen«.

Das vierte Kameel wurde bald von Tom Marix, bald von Godfrey benutzt, denn sie mußten nun recognosciren. Der Wasservorrath, den man vom Okaover mitnahm, würde bald verbraucht sein, und dann drohten von neuem furchtbare Qualen.

Von dem Flusse aus schlugen sie die directe Richtung gegen Norden ein, auf der nur wenig Sandhügel zu erblicken waren. Da das Gras zeitweilig dichtere Gruppen bildete und auch hin und wieder kleine Sträucher zu sehen waren, so gewährte diese Gegend keinen solchen eintönigen Anblick. Vielleicht konnten sie sogar auf Wild stoßen, denn Tom Marix, Godfrey und Zach Fren, die nie ihre Waffen ablegten, waren glücklicherweise noch im Besitze ihrer Gewehre und Waffen, von denen sie tüchtig Gebrauch machen wollten, wenn sich die Gelegenheit dazu bot. Freilich mußte die Munition sehr geschont werden, da sie nur noch wenig davon hatten.

So ging es dann einige Tage weiter. Die Flußbetten, die dieses Territorium durchschnitten, enthielten nur Kieselsteine und trockenes Gras, und der Sand zeigte nicht die geringste Feuchtigkeit. Sie mußten daher auf die Entdeckung von Cisternen ausgehen, und zwar aller vierundzwanzig Stunden eine, weil sie nicht mehr Fäßchen zur Verfügung hatten.

Godfrey ging nach links und nach rechts, wenn er glaubte, Wasser zu finden.

[316] »Mein Kind, sagte Mrs. Branican zu ihm... sei nicht unvorsichtig!... Setze Dich keiner Gefahr aus!

– Mich keiner Gefahr aussetzen, wenn es sich um Sie und um das Heil des Capitän John handelt!«

Dank seiner Hingebung und Dank einem gewissen Instinct, der ihn leitete, wurden einige Cisternen aufgefunden, indem sie sich manchmal mehrere Meilen nach Süden oder Norden wandten.

Wenn auch der Durst sie somit nicht mehr so quälte, so erreichten doch ihre Leiden den höchsten Punkt: Es fehlte ihnen an Nahrung, denn die Conserven waren bis auf wenige aufgezehrt, Thee, Kaffee, Tabak war nicht mehr da. Nach zweistündigem Marsche stürzten die Kräftigsten erschöpft zusammen.

Die Thiere fanden in dieser öden Gegend weder einen Halm noch ein genießbares Blatt. Keine Spur von jenen Zwergakazien, deren nahrhaftes Harz von den Eingebornen während einer Hungersnoth gesucht wird! Mit vorgestrecktem Kopfe schleppten sich die Kameele weiter, fielen auf die Knie und konnten nur mit Mühe wieder zum Aufstehen gebracht werden.

Am 25. März gelang es Tom Marix, Godfrey und Zach Fren, sich ein wenig frische Nahrung zu verschaffen, indem einige Schaaren von Tauben daher geflogen kamen. Trotz ihrer Schnelligkeit erlegten sie einige, und wenn diese Vögel nicht gut gewesen wären – aber sie waren es wirklich – so hätten diese Halbverhungerten sie doch ungemein schmackhaft gefunden. Man röstete sie an einem Feuer aus trockenen Wurzeln, und Tom Marix konnte für zwei Tage Nahrung aufbewahren.

Aber die Thiere hatten nichts zu fressen. Am 26. März fiel eines der Kameele, welches dem Transporte der Kranken diente, zu Boden und mußte zurückgelassen werden, denn es konnte nicht mehr aufstehen. Tom Marix schoß ihm eine Kugel in den Kopf, und da er das Fleisch, das sie durch einige Tage ernähren konnte, nicht zurücklassen wollte, so zerlegte er das magere Thier nach australischem Brauche. Er wußte ganz genau, daß alle Theile des Kameels gegessen werden können. Aus den Knochen und einem Theile der Haut, welche er in dem ihnen einzig verbliebenen Topfe auskochte, erhielt er eine Suppe, die den Hungerigen ausgezeichnet schmeckte. Das Gehirn, die Zunge und die Lenden, gehörig zubereitet, lieferten eine ganz gute Nahrung; ebenso wurde das Fleisch in ganz kleine Stücke zerschnitten, in der Sonne getrocknet und aufgehoben; die Füße aber sind am besten.

[317] Es war nur zu bedauern, daß sie kein Salz hatten, denn das eingesalzene Fleisch hält sich viel länger. Unter solchen Umständen machten sie täglich einige Meilen. Unglücklicherweise besserte sich aus Mangel an Heilmitteln, vielleicht auch an Pflege, der Zustand der Kranken nicht. Keiner sollte vielleicht das Ziel erreichen, welches Mrs. Branican unter solchen Qualen zu erreichen strebte, diesen Fluß Fitz-Roy, wo ihr Elend sich doch in etwas mildern mußte!

Am 29. März fielen die zwei Kranken der ungeheuren Anstrengung zum Opfer. Beide waren aus Adelaïde, und Beide erreichte nun in dieser Wüste der Tod. Die Armen! Sie waren die ersten, welche diesem Marsche unterlagen, worüber sich ihre Gefährten nicht wenig entsetzten. Stand ihnen nicht dasselbe Schicksal bevor, nachdem sie durch den Verrath Len Burker's in diesen öden Gegenden in Stich gelassen wurden, wo nicht einmal die Thiere Nahrung fanden?

Was konnte Zach Fren antworten, als Tom Marix zu ihm sagte:

»Zwei Menschen sind todt, um einen zu retten, ohne die zu rechnen, welche noch zugrunde gehen werden.«

Mrs. Branican gab sich ganz ihrem Schmerze hin, den jeder theilte; sie betete für diese zwei Opfer und steckte auf ihr Grab ein kleines Kreuz, das die glühenden Sonenstrahlen bald in Staub verwandeln würden.

Die Karawane setzte ihren Marsch fort.

Die drei Kameele, welche übrig blieben, bestiegen die Müdesten nacheinander, um nicht ihre Gefährten zurückzulassen; Mrs. Branican weigerte sich mit Entschiedenheit, eines derselben zu besteigen. Während der Raststunden suchten Godfrey und Tom Marix mit Hilfe dieser Thiere Wasser, denn man begegnete nicht einem Schwarzen, der sie hätte führen können. Sie entnahmen daraus, daß die Stämme sich gegen Nordosten Tasmaniens zurückgezogen hatten. Wenn sich das so verhielt, so mußten sie den Indas bis in das Thal des Fitz-Roy folgen, was ihren Weg um einige Meilen verlängert haben würde.

Im Anfange des Monats April bemerkte Tom Marix, daß die Conserven ausgingen, weshalb eines der drei Kameele geopfert werden mußte. Auf solche Weise hatten sie wieder für einige Tage Nahrung, während der sie doch die Ufer des Fitz-Roy erreichen mußten, von dem sie nur noch fünfzehn Tagesmärsche entfernt waren.

Da sie keine andere Rettung vor dem Hungertode kannten, so mußten sie zu diesem Mittel greifen. Er wurde nun das Thier ausgesucht, das am wenigsten[318] im Stande schien, seinen Dienst zu verrichten. Eine Kugel machte seinem Leben ein Ende. Dann wurde es zerlegt und das Fleisch an der Sonne getrocknet; die anderen Theile, wie das Herz und die Leber, wurden sorgfältig aufbewahrt.

Zeitweilig gelang es Godfrey, mehrere Tauben zu schießen – eine geringe Nahrung für zwanzig Personen! Tom Marix bemerkte, daß die niedrigen Akazien hin und wieder zu erscheinen begannen, deren Körner, am Feuer geröstet, ihnen ebenfalls als Nahrung dienen konnten.

Ja, es war die höchste Zeit, daß sie das Thal des Fitz-Roy erreichten und jene Hilfsquellen fanden, die sie vergebens von diesem trostlosen Lande verlangten. Noch einige Tage, und die meisten dieser armen Leute hätten nicht mehr die Kraft gehabt, dahin zu gelangen.

Am 5. April hatten sie kein Fleisch mehr und mußten sich von den Akazienkörnern ernähren. Tom Marix zögerte, die beiden letzten Kameele zu opfern, da er an den Weg dachte, der ihnen noch übrig blieb. Und doch mußte er sich dazu entschließen, denn die Armen hatten seit fünfzehn Stunden nichts mehr gegessen.

Sie hielten eben still, als einer der Männer herbeilief und sagte:

»Tom Marix... Tom Marix... die zwei Kameele sind gestürzt.

– Versucht sie aufzurichten!

– Es ist unmöglich.

– So tödte man sie sofort.

– Sie tödten?... erwiderte der Mann, aber sie liegen ja im Sterben, wenn sie nicht schon todt sind!

– Todt!« rief Tom Marix aus.


»Todt!« rief Tom Marix aus. (S. 319.)

Er rang verzweifelt die Hände, denn wenn diese Thiere einmal todt sind, so ist ihr Fleisch ungenießbar.

Tom Marix, gefolgt von Mrs. Branican, Zach Fren, Godfrey und Jos Meritt, eilte zu der Stelle, wo die beiden Thiere zusammengestürzt waren.

Sie lagen auf dem Boden, zuckten mit den Gliedern, athmeten schwer; der Schaum kam ihnen zum Munde heraus. Sie starben – und nicht einmal eines natürlichen Todes.

»Was ist ihnen denn zugestoßen? fragte Dolly. Das ist doch keine Ermüdung... keine Erschöpfung?

– Nein, erwiderte Tom Marix, ich fürchte, sie haben irgend ein giftiges Gras gefressen.

[319] – Gut!... O!... Sehr gut! Ich weiß, was es ist! erwiderte Jos Meritt. Ich habe das schon in den östlichen Provinzen gesehen... in Queensland! Diese Kameele sind vergiftet worden!

– Vergiftet? wiederholte Dolly.

– Ja, sagte Tom Marix, das ist Gift!

– Nun, hub Jos Meritt wieder an, da wir jetzt keine anderen Nahrungsquellen haben, so bleibt nichts anderes übrig... als die Cannibalen nachzuahmen... um nicht Hungers zu sterben... Was wollen Sie?...

[320] Jedes Land hat seine Gebräuche... und das beste ist, man fügt sich in dieselben.«

Der Gentleman sprach diese Worte so ironisch, daß er mit seinen eingefallenen Augen und seiner mageren Gestalt fürchterlich aussah.

So starben denn die Kameele an einer Vergiftung, die wohl von einer Art giftigen Strauches herrührte, welcher in diesen Gegenden des Nordwestens nicht selten vorkommt.


Der Capitän John wurde von den Eingebornen angegriffen. (S. 323.)

Es ist dies die »Moroides laportea«, eine Art Himbeere, deren Blätter kleine Stacheln haben. Schon ihre Berührung ruft heftige [321] Schmerzen hervor; die Frucht aber ist tödtlich, wenn man nicht als Gegengift die »Colocasia macrorhiza« nimmt, eine Pflanze, die gewöhnlich in der Nähe derselben wächst.

Der Instinct, der sonst die Thiere von der Berührung dieser giftigen Pflanzen abhält, verschwand diesmal unter dem verzehrenden Hunger, der sie quälte. Wie die zwei folgenden Tage vergehen würden, wußte weder Mrs. Branican, noch einer ihrer Gefährten. Sie mußten die beiden Cadaver verlassen, denn sie waren nach einer Stunde in vollständiger Verwesung, so schnell wirkt dieses Pflanzengift. Dann schleppte sich die Karawane weiter in der Richtung gegen den Fitz-Roy zu... Würden sie ihn Alle erreichen?... Nein, denn Einige verlangten schon jetzt, daß man ihnen lieber den Gnadenschuß geben solle, um einem fürchterlichen, langwierigen Todeskampfe zu entgehen...

Mrs. Branican ging von Einem zum Andern... Sie versuchte sie zu ermuthigen... sie flehte sie an, noch eine letzte Anstrengung zu machen... Das Ziel ist nicht weit... Nur noch einige Meilen... Dort unten ist Rettung... Aber was konnte sie von diesen Unglücklichen erreichen?

Am 8. April Abends hatte Niemand mehr die Kraft, das Lager aufzuschlagen. Die Unglücklichen stürzten in das Gestrüpp und aßen die Blätter ab... Sie konnten nicht mehr sprechen... Sie konnten nicht mehr weiter gehen... Alle stürzten hier zusammen.

Nur Mrs. Branican leistete noch Widerstand. Godfrey kniete neben ihr und sah sie an... Er nannte sie Mutter!... wie ein Kind, das seine Mutter flehentlich bittet, es nicht sterben zu lassen...

Dolly steht allein aufrecht und blickt auf gegen den Horizont.

»John!... John!« ruft sie voll Verzweiflung aus.

Als ob John ihr hätte Rettung bringen können!

[322]
13. Capitel
Dreizehntes Capitel
Bei den Indas.

Der Stamm der Indas, der aus einigen Hundert Eingebornen bestand, hielt sich um diese Zeit an den Ufern des Fitz-Roy auf, ungefähr hundertvierzig Meilen von seiner Mündung entfernt. Diese Schwarzen kamen aus den Gegenden Tasmaniens, welche von dem Oberlaufe des Flusses bewässert werden. Seit einigen Tagen waren sie zufällig auf ihren Nomadenzügen ungefähr bis auf fünfundzwanzig Meilen in die Nähe der Stelle gekommen, wo die Karawane ihre letzte Rast hielt, nachdem sie übermenschliche Qualen erduldet hatte.

Capitän John und Harry Felton hatten neun volle Jahre bei den Indas gelebt. Mit Zuhilfenahme der folgenden Ereignisse wurde es möglich, ihre Lebensgeschichte in dieser langen Zeit zusammenzustellen, welche der Bericht Harry Felton's auf dem Sterbebette ergänzte.

In den Jahren zwischen 1867 und 1881 – der Leser hat es wohl nicht vergessen – fand die Bemannung des »Franklin« auf der Insel Browse eine Zufluchtsstätte. Zwei der Matrosen waren während des Sturmes zu Grunde gegangen, und die zwölf Schiffbrüchigen lebten nun sechs Jahre auf dieser Insel, ohne jedes Mittel, in die Heimat zurückzukehren, bis ein Boot an den Strand geworfen wurde.

Der Capitän John, der dieses Boot zur Rettung Aller verwenden wollte, ließ es in einen solchen Stand setzen, um auf demselben Australien zu erreichen. Aber es faßte nur sieben Matrosen; daher schifften sich John, Harry Felton und fünf andere Gefährten ein und ließen die übrigen zurück, welche warten sollten, bis sie ein Schiff holen werde. Wir wissen, wie diese Unglücklichen zu Grunde gingen und unter welchen Umständen der Capitän Ellis ihre Ueberreste fand, als er im Jahre 1883 mit dem »Dolly-Hope« die zweite Fahrt unternahm.

Nach einer gefährlichen Fahrt durch diese klippenreiche See landete das Boot auf der Höhe des Cap Lévêque und gelangte in den Golf, in den der Fitz-Roy mündet. Aber das Unglück wollte, daß der Capitän von den Eingebornen angegriffen wurde, wobei vier Matrosen im Kampfe fielen.

[323] Diese Eingebornen, welche zu dem Stamme der Indas gehörten, schleppten John, Harry Felton und den letzten Matrosen in das Innere des Landes. Der Matrose, welcher verwundet worden war, sollte nicht aufkommen, und John Branican mit Harry Felton waren die einzigen Ueberlebenden der Katastrophe des »Franklin«.

Nun begann für sie ein Leben, das in den ersten Tagen ernstlich bedroht war. Man weiß, daß diese Indas, wie alle herumziehenden Stämme des südlichen Australien, wild und blutdürstig sind. Die Gefangenen, welche sie in ihren fortwährenden Kriegen mit den anderen Stämmen machen, werden getödtet und gegessen, da bei keinem Stamm der Cannibalismus noch so eingewurzelt ist wie bei diesem.

Warum wurden nun John und Harry Felton geschont?

Es ist bekannt, daß seit undenklichen Zeiten ein steter Krieg zwischen den Stämmen des Innern und der Küste wüthet. Sie greifen gegenseitig die Dörfer an, zerstören sie, führen die Gefangenen fort und feiern den Sieg durch eine große Menschenfresserei.

Diese Hinschlachtungen werden die unvermeidliche. Vernichtung der australischen Rasse herbeiführen. Dazu kommt noch die unerhörte Grausamkeit der Weißen gegen die Schwarzen, von der die Worte eines australischen Colonisten am besten zeugen: »Alle Männer, denen ich auf meinen Weideplätzen begegne, erschieße ich, weil sie das Vieh tödten; alle Frauen, weil sie solche Schwarze in die Welt setzen, alle Kinder, weil sie Männer werden.«

Man kann daher den Haß der Schwarzen gegen ihre Henker begreifen, und es ist selten, daß ein Weißer, der ihnen in die Hände fällt, geschont wird. Warum wurden nun die Schiffbrüchigen des »Franklin« geschont?

Sehr wahrscheinlich würde dem Matrosen, der bald nach der Gefangennahme gestorben war, dasselbe Schicksal zutheil geworden sein. Aber der Häuptling des Stammes, Namens Willy, der mit den Colonisten an den Küsten in Verbindung stand, erkannte sofort in ihnen zwei Officiere, von denen er einen doppelten Vortheil haben konnte. Im Kriege mit den feindlichen Stämmen würden sie ihm durch ihre Erfahrungen zum Siege verhelfen, und in geschäftlicher Beziehung würde er für ihre Befreiung ein hohes Lösegeld beanspruchen und auch erhalten. Sie blieben also am Leben, mußten aber mit diesen Nomaden überall herumziehen, was ihnen um so peinlicher war, als sie Tag und Nacht scharf bewacht wurden. Sie konnten sich keinen Schritt vom Lager entfernen, so daß ihre Fluchtversuche stets mißlangen.

[324] Zeitweilig verhalfen sie in den häufigen feindlichen Zusammenstößen mit den anderen Stämmen durch ihre Rathschläge Willy stets zum Siege, wodurch dieser Stamm einer der mächtigsten wurde, welche die verschiedenen Länder von Westaustralien durchziehen.

Die Völkerschaften des Nordwestens gehören sicher den Mischrassen der Australier und der Eingebornen von Papuasien an. Die Judas tragen, wie ihre Mitbrüder, langes, gekraustes Haar; ihre Gesichtsfarbe ist nicht so dunkel wie die der Eingebornen der südlichen Provinzen und ihre Größe hält sich zwischen hundertzwanzig bis hundertdreißig Centimeter. Die Männer sind kräftiger gebaut als die Frauen. Die Stirn ist ein wenig zurücktretend, die Brauen sind buschig, die Augen leuchten feurig, das Haar ist braun, der Schädel groß.

Man nennt sie Schwarze, obwohl sie nicht jene schwarze Körperfarbe haben wie die Nubier; man könnte sie »Chocoladebraun« nennen, wenn diese Bezeichnung, welche ihre eigenthümliche Farbe genau trifft, erlaubt wäre.

Der Geruchssinn der austraulischen Neger ist außerordentlich entwickelt, so daß sie es darin mit den besten Jagdhunden aufnehmen können. Sie erkennen sofort die Spuren eines menschlichen Wesens oder eines Thieres, indem sie sich bücken und die Gräser oder das Strauchwerk beriechen. Auch ihr Gehörsinn ist außerordentlich entwickelt, so daß sie, wie es scheint, sogar die Ameisen in ihrem Baue arbeiten hören. Ihre Geschicklichkeit im Klettern ist bewunderungswerth, denn es ist kein Gummibaum zu hoch, dessen Gipfel sie nicht erreichen würden, indem sie sich dabei eines biegsamen Rotangs bedienen, den sie »Kâmin« nennen.

Die Frau altert schnell und erreicht kaum das vierzigste Lebensjahr; die Männer werden in einem Theile von Queensland gewöhnlich fünfzig Jahre alt. Die unglücklichen Weiber haben die härtesten Arbeiten der Hauswirthschaft zu verrichten. Sie sind die Sklaven eines äußerst grausamen Herrn und müssen Bündel, Werkzeuge, Waffen tragen, eßbare Pflanzen, Eidechsen, Würmer, Schlangen suchen, welche dem Stamme zur Nahrung dienen. Aber sie pflegen in hohem Grade ihre Kinder, um die sich der Vater gar nicht kümmert, denn ein Kind fällt nur der Mutter zu. Welch grausame Sitte! Wenn gewisse Stämme, bei denen der Cannibalismus noch ganz in Blüthe steht, in Noth gerathen, so essen sie ihre kleinen Kinder!

Diese Neger Australiens, die nicht würdig sind, als Menschen angesehen zu werden, concentriren ihr Leben nur in dem einzigen Worte: »Ammeri!... Ammeri!« das fortwährend in ihrer Sprache vorkommt und Hunger bedeutet.

[325] Ihre häufigste Handbewegung besteht darin, daß sie sich an den Bauch schlagen, denn ihr Bauch ist nur allzu oft leer. In diesen wild- und culturlosen Ländern ißt man bei Tag und Nacht, wenn sich gerade die Gelegenheit bietet. Wovon können sich denn diese Eingebornen ernähren, diese unglücklichsten Menschen, die je die Natur auf die Oberfläche der Erde verpflanzt hat? Sie haben eine Art grobes Brot, das sie aus Getreide ohne Hefe nicht im Ofen, sondern unter glühender Asche backen; dann manchmal Honig, den sie in den Gipfeln der Bäume finden, wo die Bienen ihre Stöcke aufschlagen; Eier, welche eine Hühnerart in den Sand legt und von der Sonne ausbrüten läßt; jene Tauben, die ihre Nester an der äußersten Spitze der Aeste hoher Bäume bauen, dann noch die Larven gewisser Insecten, die sie hinter der Rinde der Bäume oder aus der Mitte verfaulten Holzes graben. Das ist Alles.

Aus diesem steten Kampfe um das tägliche Brot erklärt sich auch ihr Cannibalismus mit all seinen Schrecken, der nicht ein Zeichen natürlicher Wildheit, sondern die Folge einer Nothwendigkeit ist, wozu die Natur den Australier treibt, denn er müßte sonst verhungern. Wird dieser Cannibalismus daher eines Tages schwinden?

Die Stämme am Unterlaufe des Murray und in den nördlichen Gebieten haben die Gewohnheit, ihre eigenen Kinder zu verzehren. Furchtbar! Wenn man nichts mehr zu essen hat, so verzehrt die Mutter ihr Kind, dem sie das Leben gegeben hat, und die Reisenden haben die Unglücklichen von dieser Grausamkeit wie von etwas ganz Natürlichem sprechen hören!

Aber nicht der Hunger allein treibt die Australier zum Cannibalismus, sondern auch ein besonderer Geschmack für Menschenfleisch, das sie »Talgoro« nennen. Dank ihren fortwährenden Kriegen, die nur zu diesem Zwecke unternommen werden, verschaffen sie sich »Talgoro« und essen es nicht nur frisch, sondern heben es sich auch auf.

Dr. Carl Lumholtz sagt bei der Beschreibung seiner Reise durch die nordöstlichen Provinzen, daß die Schwarzen seiner Escorte stets diese Ernährung im Auge hatten, denn »Menschenfleisch geht dem Australier über Alles«. Und doch verschmähen sie das Fleisch der Weißen, weil es einen unangenehmen, salzigen Nachgeschmack haben soll.

Die Australier haben noch einen Grund, sich gegenseitig aufzufressen, indem sie ungemein grausam sind. Was ihre Religion anbelangt, so geben sie die Gegenwart eines höheren und bösen Wesens zu, dessen Stimme Kving'gan' [326] sie fürchten; es eilt die Länder entlang und wohnt in den Klüften der hohen Gebirge, obwohl diese Stimme nur der melancholische Gesang eines reizenden Vogels ist, eines der sonderbarsten der Ornithologie Australiens. Aber diese Wilden beten nie, wie wir aus den Reiseberichten hören, und nirgends kann bei ihnen die Spur eines Cultus gefunden werden.

Aber sie sind sehr abergläubisch, und da sie der Meinung sind, daß ihre Feinde sie durch Zauberei vernichten, so trachten sie dieselben zu tödten, wodurch diese dem Cannibalismus ergebenen Gegenden allmählich entvölkert werden.

Wir müssen noch erwähnen, daß die Australier Achtung vor den Todten haben. Sie bringen dieselben nicht mit der Erde in Berührung, sondern umgeben den Leichnam mit Blüthen und Rinde, legen ihn dann in ein wenig tiefes Grab, mit den Füßen gegen Sonnenaufgang; doch machen sie das Grab nicht zu, wie dies auch bei anderen Stämmen Sitte ist. Das Grab eines Häuptlings wird mit einer Hütte bedeckt, deren Eingang gegen Osten ist. Nicht unerwähnt soll bleiben, daß die Wilden glauben, die Todten stehen als weiße Menschen auf; nach der Bemerkung des Dr. Carl Lumholtz haben diese Australier für den Geist und den Weißen dasselbe Wort.

So beschaffen sind die Stämme des australischen Continentes, die ebenso einmal verschwinden werden, wie die Bewohner von Tasmanien. So waren nun auch die Indas, in deren Hände Capitän John und Harry Felton gefallen waren.

Nach dem Tode der Matrosen mußten John und Harry Felton die Indas auf ihren fortwährenden Wanderungen durch die Gegenden des Nordwestens und des Centrums begleiten. Bald von anderen Stämmen angegriffen, bald sie angreifend, gelangten sie allmählich, Dank den Rathschlägen ihrer Gefangenen, zu großer Macht. Sie legten mehrere hundert Meilen zurück, von dem Königsgolfe bis zu dem von Van-Diemensland zwischen dem Thale des Fitz-Roy und Victoria und bis in die Ebenen des Alexandralandes. So kamen John und Harry Felton in ganz unbekannte Länder, die auf den neuesten Karten noch nicht angegeben sind, östlich von dem Tasman- und Arnheimlande, neben der »Großen Sandywüste«.


Aber sie wurden scharf bewacht. (S. 324.)

Wenn dieses Herumwandern ihnen sehr lästig wurde, so kümmerten sich die Wilden nicht darum, denn es ist ihre Gewohnheit, so zu leben, ohne Rücksicht auf Zeit oder Entfernung, wovon sie kaum eine Vorstellung haben. Wie alt der Wilde ist, weiß er nicht, wie viel Uhr es ist, weiß er noch weniger. Es[327] scheint, als ständen die Australier auf derselben Stufe der Wesen, wie gewisse Thiere ihres Landes.


Es ist kein Gummibaum zu hoch. (S. 325.)

Solchen Gebräuchen mußten sich nun Capitän John und Harry Felton anbequemen. Die Strapazen dieser Wanderzüge mußten sie ertragen, sich mit der oft ungenügenden und immer ekelerregenden Nahrung begnügen, gar nicht von den cannibalischen Scenen zu reden, deren Schrecken sie nicht verhindern konnten, wenn in den Schlachten hunderte von Feinden gefallen waren.

[328] John und Harry Felton trachteten nun die Wachsamkeit ihres Stammes einzuschläfern, um bei Gelegenheit entfliehen zu können. Aber sie wurden so scharf bewacht, daß sie in den neun Jahren nur selten Gelegenheit fanden, das zu versuchen. Ein einzigesmal – und zwar gerade ein Jahr vor der Expedition der Mrs. Branican nach Australien – hätte die Flucht gelingen können. Das kam auf folgende Weise zu Stande.

Die Indas lagerten damals an den Küsten des Amadäussees im Südwesten des Alexandralandes. Da es selten vorkam, daß sie so tief in das [329] Centrum des Continentes vordrangen und die beiden Gefangenen wußten, daß die Overland-Telegraf-Line nur etwa dreihundert Meilen entfernt war, so beschlossen sie, die Gelegenheit zu benutzen und zu entfliehen. Sie hielten es für besser, wenn sie getrennt flöhen und sich einige Meilen jenseits des Lagers wieder träfen. Sie täuschten die Wachsamkeit der Eingebornen, und Harry Felton gelang es, den Ort zu erreichen, an dem er seinen Leidensgefährten erwarten sollte. Unglücklicherweise wurde John zu Willy berufen, der ihn wegen einer Wunde um Rath fragte, welche er im letzten Kampfe erhalten hatte. John konnte daher nicht fliehen und Harry Felton wartete vergebens einige Tage... Da er nun glaubte, daß, wenn er eine Station oder eine Ortschaft erreiche, eine Expedition zur Befreiung des Capitäns unternommen werden könnte, so schlug er eine südöstliche Richtung ein. Aber er hatte so furchtbar zu leiden, daß er vier Monate nach seiner Flucht sterbend an den Ufern des Parrn im Districte Ulakarasa von Neu-Südwales gefunden wurde.

Nach Sydney gebracht, lag er einige Wochen darnieder und starb, nachdem er Mrs. Branican Alles gesagt hatte, was den Capitän John betraf.

Für John brachen nun fürchterliche Tage an, und es bedurfte seiner ganzen moralischen und physischen Energie, um nicht über die Abwesenheit seines Gefährten in Verzweiflung zu gerathen. Mit wem sollte er jetzt von Allem sprechen, was ihm so theuer war: Von seiner Heimat, von San-Diego, von den Lieben, die er dort zurückgelassen hatte, von seiner muthigen Frau, seinem Sohne Wat, der schon groß sein würde, von William Andrew, von allen seinen Freunden?... Schon seit neun Jahren war John bei den Indas gefangen, und wie viel Jahre würden noch verfließen, bis er die Freiheit wieder erlangte? Aber er verlor die Hoffnung nicht und hielt sich mit dem Gedanken aufrecht, daß Harry Felton die Küste erreichen und alles Menschenmögliche versuchen werde, um seinen Capitän zu retten...

In der ersten Zeit seiner Gefangenschaft lernte John die Sprache der Eingebornen, die durch ihre logische Grammatik, die Fülle der Ausdrücke zu beweisen scheint, daß die Stämme Australiens einst eine gewisse Stufe der Cultur eingenommen haben müssen. Auch machte er Willy oft aufmerksam, daß er durch die Entlassung seiner Gefangenen nach Quensland oder dem südlichen Australien jedes gewünschte Lösegeld erhalten würde. Aber der Häuptling, von Natur aus mißtrauisch, hörte nicht darauf und erklärte, daß, wenn das Lösegeld [330] käme, er John und seinen Gefährten die Freiheit geben würde. Auf bloße Versprechungen könnte er sich in keinem Falle einlassen.

Die Flucht Harry Felton's brachte es mit sich, daß Willy den Capitän John noch schärfer bewachen ließ. Man verbot ihm, während der Rast oder des Marsches hin und herzugehen, und er mußte sich der Aufsicht eines Eingebornen unterwerfen, der mit seinem Kopfe für ihn haftete.

Monate verstrichen, ohne daß John etwas von seinem Gefährten gehört hätte. War es nicht möglich, daß Harry Felton unterwegs zugrunde gegangen war? Wenn der Flüchtige Queensland oder die Provinz Adelaïde erreichte, hätte er da nicht schon längst einen Versuch zu seiner Befreiung gemacht?

Im Anfange des Jahres 1881 – d. h. in den ersten Sommermonaten – zog der Stamm der Indas gegen das Thal des Fitz-Roy, wo Willy gewöhnlich die heiße Jahreszeit zubrachte, und seine Leute genügende Nahrungsmittel fanden.

Hier hielten sich die Indas auch in den ersten Tagen des April auf, und ihr Lager stand an der Mündung eines kleinen Nebenflusses, der aus den nördlichen Ebenen kam.

Sobald der Stamm in diese Gegend kam, wußte John, daß er in der Nähe der Küste war, die er zu erreichen gedachte. Wenn er dahin gelangte, so würde es ihm vielleicht möglich sein, jene Ortschaften im Süden zu erreichen, die der Oberst Warburton auf seinem Zuge berührte.

John war fest entschlossen, Alles zu wagen und sollte er auch dabei zu Grunde gehen.

Unglücklicherweise vernichtete eine Abänderung des Reiseplanes der Indas alle seine Hoffnungen, denn Willy traf in der Mitte des. April Anstalten, sein Winterlager an dem Oberlaufe des Flusses zu beziehen.

Was war da vorgefallen, und was war die Ursache, daß dieser Stamm so ganz von seiner gewohnten Richtung abwich?

Dem Capitän John gelang es nur mit Mühe zu erfahren, daß der Stamm deshalb an den Oberlauf des Flusses ziehe, weil die schwarze Polizei soeben an dem Unterlaufe des Fitz-Roy gesehen worden sei.

Wir dürfen nicht vergessen, daß auf Grund der Berichte Harry Felton's die schwarze Polizei den Befehl erhielt, den Capitän John in den Gebieten des Nordwestens zu suchen.

Diese von den Eingebornen so gefürchtete schwarze Polizei steht unter dem Befehle eines Hauptmannes, »Mani« genannt, der unter sich einen Sergeanten, [331] etwa dreißig Weiße und achtzig Schwarze hat, die, Alle wohlbewaffnet, auf guten Pferden dahinreiten. Diese »Eingebornen-Polizei«, wie sie hieß, genügte für die Sicherheit der Bewohner in den entlegenen Gegenden, welche sie zu bestimmten Zeiten besuchte. Während die Einen vom Standpunkte der Humanität aus das Vorgehen dieser Polizei gegen die Eingebornen tadeln, loben es die Anderen wieder wegen der öffentlichen Sicherheit. Ihr Dienst ist ungemein anstrengend; trotzdem eilen sie mit unglaublicher Schnelligkeit von einem Punkte zum anderen. Auch die Nomadenstämme fürchten diese Polizei, und dies war der Grund, warum Willy beschloß, an den Oberlauf des Flusses zu ziehen.

Aber die Gefahr der Indas konnte die Rettung Johns sein. Wenn es ihm gelang, eine Abtheilung jener Polizei zu erreichen, so war seine Befreiung ebenso sicher wie seine Heimkehr. Würde es nicht möglich sein, während des Abbruches des Lagers seine Wächter zu täuschen?

Willy mußte die Absichten Johns durchblickt haben, denn die Thüre seiner Hütte wurde zu der gewohnten Stunde nicht aufgesperrt und vor derselben stand ein Wächter. Als John nach dem Grunde dieser Maßregel fragte, erhielt er keine Antwort; auch seiner Bitte, ihn zum Häuptlinge zu führen, kam man nicht nach.

Was war denn vorgefallen? Beschleunigten etwa die Indas ihre Vorbereitungen, um weiter zu ziehen? Das war wahrscheinlich, denn John hörte ein fortwährendes Kommen und Gehen in der Nähe seiner Hütte, wohin Willy ihm einige Nahrungsmittel geschickt hatte.

Ein ganzer Tag verfloß, dann noch einer. Nirgends zeigte sich eine Aenderung, denn der Gefangene wurde noch immer scharf bewacht. Endlich in der Nacht vom 22. zum 23. April konnte John bemerken, daß das unruhige Hasten und Treiben draußen aufgehört hatte, und er mußte sich fragen, ob denn die Indas wirklich das Lager am Fitz-Roy verlassen wollten.

Am folgenden Tage wurde plötzlich die Thüre der Hütte aufgerissen.

Ein Mensch – ein Weißer – stand vor dem Capitän John.

Es war Len Burker.

[332]
14. Capitel
Vierzehntes Capitel.
Das Trugspiel Len Burker's.

Es waren ungefähr zweiunddreißig Tage verflossen – seit der Nacht vom 22. zum 23. März – daß Len Burker sich von Mrs. Branican und ihren Gefährten getrennt hatte, indem der Samum seinen Plänen Vorschub leistete. Er hatte Jane, die Schwarzen der Karawane und besonders die Kameele bei sich, welche das Lösegeld des Capitän John trugen.

Len Burker befand sich daher in einer viel günstigeren Lage, die Indas im Thale des Fitz-Roy aufzusuchen. Schon während seines Vagabundenlebens war er in Berührung mit den Eingebornen gekommen, deren Sprache und Sitte er kannte. Das gestohlene Lösegeld sicherte ihm eine gute Aufnahme bei Willy, und wenn der Capitän einmal befreit war, dann hatte er ihn in seinen Händen und dann...

Nachdem sich Len Burker mit seinen Gefährten von der Karawane getrennt hatte, eilte er nach Nordwesten weiter und befand sich beim Aufgange der Sonne schon einige Meilen entfernt.

Jane wollte ihren Gatten anflehen, ihn inständigst bitten, Dolly und die ihrigen nicht in der Wüste zu lassen, ihn erinnern, daß dies ein neues Verbrechen wäre zu dem, das er bei der Geburt Godfrey's begangen hatte...

Jane that es – und erreichte nichts, es war Alles vergebens. Len Burker auf seinem Marsche aufzuhalten, stand in keiner Macht, und somit mußte er sein Ziel bald erreichen. Dolly und Godfrey verhungert oder verdurstet, John Branican verschollen – nichts stand mehr im Wege, daß die Erbschaft Starter's auf Jane überging, d. h. in seine Hände kam. Wie wollte er diese Millionen verwenden!

Von diesem Elenden war nichts Anderes zu erwarten. Er gebot seiner Frau Schweigen, die seinen Drohungen nachgeben mußte, da sie wohl wußte, daß er sie schon längst verlassen hätte, wenn sie nicht ein passendes Werkzeug für die Erreichung seiner Pläne wäre. Wie hätte sie nur daran denken können, zu fliehen oder die Karawane Dollys zu erreichen? Was wäre aus ihr geworden? Uebrigens ließen sie zwei Schwarze keinen Augenblick aus den Augen.

[333] Da es Len Burker auf seinem Marsche weder an Thieren noch an Lebensmitteln fehlte, so konnte er große Tagesreisen zurücklegen, besonders weil auch die Schwarzen der Escorte an diese Strapazen viel mehr gewöhnt waren als die Weißen.

In siebzehn Tagen erreichte Len Burker das linke Flußufer, an dem Tage, wo Mrs. Branican und ihre Gefährten in der Wüste erschöpft zusammenstürzten.

Hier begegnete Len Burker einigen Eingebornen und erfuhr von ihnen den gegenwärtigen Aufenthalt der Indas. Da sich dieselben mehr in dem Thale nach Westen befanden, beschloß er, den Fluß abwärts zu ziehen.

Der Weg war nicht beschwerlich, denn im Monate April ist im nördlichen Theile von Australien das Klima nicht so heiß, so daß die Karawane am Flusse Fitz-Roy das Ende ihrer Leiden erreicht hätte. Einige Tage darauf wäre sie mit den Indas in Verbindung getreten, denn John und Dolly waren nur noch fünfundachtzig Meilen von einander entfernt.

Als Len Burker bestimmt wußte, daß er nur noch zwei oder drei Tagemärsche vor sich habe, machte er Halt. Jane mit sich zu nehmen, sie John gegenüberzustellen und Gefahr zu laufen, von ihr entlarvt zu werden, nein, so unvorsichtig war der Schurke nicht! Er befahl Halt zu machen, und trotz der inständigen Bitten wurde die unglückliche Frau unter der Bewachung zweier Schwarzen zurückgelassen.

Hierauf zog Len Burker mit seinen Gefährten weiter nach Westen, gefolgt von den Reit- und Lastkameelen mit dem Lösegelde.

Am 20. April traf Len Burker mit dem Stamme zusammen, und zwar gerade in der Zeit, wo die Eingebornen durch die Nähe der schwarzen Polizei so beunruhigt waren. Schon hatte Willy Vorbereitungen getroffen, das Lager abzubrechen und sich in die obersten Gegenden des Arnheimlandes zurückzuziehen, das zu Nordaustralien gehörte.

Auf Befehl Willy's war eben John in seine Hütte eingesperrt worden, um jeden Fluchtversuch zu vereiteln. Auch sollte er nichts von den Unterhandlungen vernehmen, die wahrscheinlich zwischen Len Burker und dem Häuptlinge der Indas gepflogen wurden.

Diese Unterhandlungen boten keine Schwierigkeiten, denn Len Burker kannte Willy schon von früher her, und dann handelte es sich ja nur um den Loskauf Johns.

[334] Der Häuptling zeigte sich gern bereit, den Gefangenen gegen ein Lösegeld freizugeben, denn das Angebot von Stoffen, Perlen und besonders Tabak sagte ihm ganz zu. Aber er ließ doch durchblicken, daß ihm die Trennung von einem so wichtigen Manne, der so viele Jahre in ihrer Mitte lebe, schwer falle u. s. w. Uebrigens wußte er, daß John ein Amerikaner war, und daher bald eine Expedition zu seiner Befreiung ausgesendet werde, was auch Len Burker bestätigte, indem er sich als den Führer derselben vorstellte. Als er erfuhr, daß Willy sich über die Nähe der schwarzen Polizei beunruhigte, benutzte er das sofort, um die Unterhandlungen zu Ende zu führen. Es lag Len Burker selbst sehr viel daran, daß die Befreiung Johns ein Geheimniß bleibe, und er konnte auch aller Wahrscheinlichkeit nach darauf rechnen; das Verschwinden John Branican's könnte mit ihm nie in Zusammenhang gebracht werden, wenn die Schwarzen seiner Escorte schwiegen, was ihm schon gelingen würde.

So wurde denn das Lösegeld von Willy angenommen, und das Geschäft am 22. April abgeschlossen. Noch an demselben Abend brachen die Indas ihr Lager ab und zogen den Fitz-Roy stromaufwärts.

Len Burker war am Ziel seiner Wünsche! Das Folgende wird uns zeigen, welchen Nutzen er davon hatte.

Am 23. April morgens acht Uhr wurde die Thüre der Hütte aufgerissen; John Branican stand Len Burker gegenüber.

Vierzehn Jahre waren seit dem Tage verflossen, wo der Capitän ihn zum letztenmale bei der Abfahrt des »Franklin« die Hand reichte.

Er erkannte ihn nicht, aber Len Burker war über das Aussehen Johns ganz betroffen, denn er hatte sich gar nicht so sehr verändert. Er war gealtert selbstverständlich – denn er zählte damals dreiundvierzig Jahre – aber weniger, als man nach einem so langen Aufenthalte bei den Eingebornen hätte annehmen können. Er hatte noch immer seine ausgeprägten Züge, seinen entschlossenen Blick, dessen Feuer noch nicht erloschen war, sein dichtes Haar, nur gebleicht. Da er kräftig und stark war, vielleicht noch stärker als Harry Felton, so hätte er bei einer Flucht die Strapazen durch die Wüste besser ertragen als sein Gefährte, der ihnen unterlag.

Als John Len Burker erblickte, wich er zuerst zurück, denn er befand sich seit der Gefangenschaft bei den Indas jetzt zum erstenmale einem Weißen gegenüber.

»Wer sind Sie? fragte er.


Ihr Lager stand an der Mündung eines kleinen Nebenflusses. (S. 331.)

[335]
– Ein Amerikaner von San-Diego.
– Von San-Diego?
– Ich bin Len Burker...
– Sie!«

Diese Unterhandlungen boten keine Schwierigkeiten. (S. 334.)

Der Capitän stürzte auf ihn zu, nahm ihn bei den Händen, zog ihn an sich und küßte ihn... Was?... Dieser Mensch wäre Len Burker!... Nein!... Das war nicht möglich!... Das war nur ein Trugbild... John hatte nur schlecht gehört... Er träumte... Len Burker... Der Gatte Janes...

[336] Jetzt dachte John nicht an die Antipathie, welche er stets gegen Len Burker empfand gegen den Menschen, dem er mit Recht nicht getraut hatte.

»Len Burker, wiederholte er...

– Ja, ich selbst, John!

– Hier in... in diesem Lande!... Ach... Sie... Len... sind auch gefangen gewesen?«

Wie hätte sich John die Anwesenheit Len Burker's im Lager der Indas anders erklären können?

[337] »Nein, erwiderte Len Burker schnell, nein, John, ich bin nur gekommen um Sie von dem Häuptlinge dieses Stammes loszukaufen... Sie zu befreien...

– Mich befreien?«

Der Arme glaubte wahnsinnig zu werden...

Als er sich endlich fassen konnte... da wollte er aus der Hütte stürzen... Er wagte es nicht... Len Burker redete von Befreiung?... Aber war er denn frei?... Und Willy?... Und die Indas?...

»Sprechen Sie, Len, sprechen Sie!...« sagte er, indem er die Arme über der Brust kreuzte, als wollte er verhindern, daß sie ihm zerspringe.

Getreu seinem Plane wollte Len Burker nur einen Theil der Ereignisse verrathen und sich das ganze Verdienst dieser Expedition zuschreiben... Er begann eben mit der Erzählung, als John mit fast erstickender Stimme rief:

»Und Dolly?... Dolly?

– Sie lebt, John.

– Und Wat?... Mein Kind?

– Lebt!... Beide leben... zu San-Diego.

– Meine Frau... Mein Sohn!... sagte John und weinte.

– Jetzt sprechen Sie... Len... sprechen Sie! sagte er nach einigen Augenblicken. Ich habe jetzt die Kraft... Ihnen zuzuhören.«

Len Burker trieb die Frechheit so weit, daß er ihm bei seiner Erzählung offen ins Gesicht sah.

»John! begann er, als vor einigen Jahren kein Zweifel mehr über den Untergang des »Franklin« obwaltete, da mußten meine Frau und ich San-Diego und Amerika verlassen, denn wichtige Geschäfte riefen mich nach Australien. Hier eröffnete ich nun in Sydney eine Kanzlei. Seit unserer Abreise blieben Jane und Dolly in brieflichem Verkehr miteinander, denn Sie wissen, wie lieb sich die beiden Frauen hatten, die weder Zeit noch Entfernung trennen konnte.

– Ja!... Ich weiß, erwiderte John. Dolly und Jane waren Freundinnen und die Trennung mußte beiden schwer fallen!

– Sehr schwer, John, fuhr Len Burker fort, aber nach einigen Jahren kam der Tag, wo die Trennung ein Ende nahm. Vor ungefähr elf Monaten trafen wir Vorbereitungen, Australien zu verlassen und nach San-Diego zurückzukehren, als eine unerwartete Nachricht unsere Abreise aufhielt. Man hatte [338] soeben erfahren, was aus dem »Franklin« geworden war, wo er scheiterte, und zu gleicher Zeit entstand das Gerücht, daß der einzige Ueberlebende des Schiffbruches als Gefangener bei einem australischen Stamme sich aufhalte, und das waren Sie, John!...

– Aber wie hat man dies erfahren können, Len?... Hat Harry Felton?...

– Ja, diese Nachricht brachte Harry Felton... fast am Ziele, wurde Ihr Gefährte ganz erschöpft an den Ufern des Parrn, im Süden von Queensland, gefunden und nach Sydney gebracht...

– Harry... mein braver Harry... rief der Capitän John aus. Ach, ich wußte, daß er mich nicht vergessen würde... Als er in Sydney ankam, organisirte er gewiß gleich eine Expedition?

– Er ist todt... gestorben an den Strapazen!...

– Todt!... wiederholte John. Mein Gott!... Todt!... Harry Felton... Harry... Thränen stürzten aus seinen Augen.

– Doch bevor er starb, fuhr Len Burker fort, konnte Harry Felton noch Alles erzählen, was nach dem Schiffbruche des »Franklin« vorgefallen war... Ich stand an seinem Bette... Ich hörte Alles... Alles aus seinem Munde... Dann schlossen sich seine Augen, John, indem er noch einmal Ihren Namen aussprach...

– Harry!... Mein armer Harry!... murmelte John bei dem Gedanken an die furchtbaren Leiden, denen dieser treue Freund, welchen er nie mehr sehen würde, zum Opfer gefallen war.

– John, sagte Len Burker weiter, der Schiffbruch des »Franklin,« über den man vierzehn Jahre hindurch ohne jede Nachricht war, brachte eine tiefe Bewegung hervor. Sie können sich daher vorstellen, welche Sensation es machte, als es auf einmal hieß, daß Sie lebten... daß Harry Felton Sie einige Monate vorher in der Gefangenschaft eines nördlichen Stammes zurückgelassen habe... Ich telegraphirte sofort an Dolly, indem ich sie zugleich in Kenntniß setzte, daß ich mich auf den Weg mache, um Sie den Händen der Indas zu entreißen, was etwas ganz Leichtes wäre, da es sich, nach den Berichten Harry Felton's, nur um ein Lösegeld handle... Dann organisirten wir eine Expedition, deren Führung ich übernahm, und so brachen denn ich und Jane von Sydney auf. Seitdem sind sieben Monate verflossen... während der wir den Fitz-Roy erreichten... Endlich kamen wir mit Gottes Hilfe in das Lager der Indas...

[339] – Tausend Dank, Len, tausend Dank... rief der Capitän John aus. Was Sie da für mich thaten...

– Hätten Sie unter gleichen Umständen auch für mich gethan, antwortete Len Burker.

– Gewiß!... Und wo ist Jane, diese muthige Frau, welche sich nicht gescheut hat, so vielen Gefahren zu trotzen?

– Drei Tagereisen von hier entfernt, bei zweien meiner Leute, erwiderte Len Burker.

– Ich will sie sehen...

– Ja, John, und ich habe sie nur deshalb nicht mit hierhergenommen, weil ich nicht wußte, welche Aufnahme ich bei den Indas finden würde...

– Aber Sie sind doch nicht allein hier?

– Nein, ich habe meine Escorte hier, die aus etwa zwölf Schwarzen besteht. Ich bin seit zwei Tagen in diesem Thale...

– Seit zwei Tagen?

– Ja, und ich habe sie wohl zu verwenden gewußt, denn dieser Willy hing sehr an Ihnen, lieber John... Er kannte Ihren Werth... Ich mußte lange mit ihm unterhandeln, bis er einwilligte, Sie gegen ein Lösegeld freizugeben.

– So bin ich also frei?

– So frei wie ich selbst.

– Aber die Indas?

– Sind mit ihrem Häuptling weitergezogen und nur wir sind noch im Lager.

– Fort?

– Seht selbst.«

Der Capitän stürzte aus der Hütte.

In diesem Augenblicke waren am Ufer des Flusses nur die Schwarzen der Escorte; nirgends war einer der Indas zu sehen.

Wir erkennen, was in dem Berichte Len Burker's Wahrheit und Lüge war. Von dem Wahnsinne der Mrs. Branican sagte er kein Wort; die große Erbschaft, die Dolly durch den Tod Edward Starter's zugefallen war, verschwieg er; die erfolglosen Fahrten des »Dolly-Hope« durch die Gewässer der Philippinen und die Meerenge von Torres im Jahre 1879 und 1880 existirten nicht für ihn. Kein Wort von der Unterredung der Mrs. Branican mit Harry [340] Felton! Nichts von dem furchtbaren Marsche dieser muthigen Frau durch die Große Wüste! Nur er allein hatte mit Lebensgefahr John, den lieben John gerettet!

Wie hätte auch John an der Wahrheit dieses Berichtes zweifeln können? Warum hätte er nicht dem heiß danken sollen, der ihn den Händen der Indas nach so langer Gefangenschaft entriß? Ihm, der ihn seiner Frau und seinem Kinde wiedergeben würde?

Seine übervollen Dankesworte hätten jeden weniger schlechten Menschen rühren müssen... Len Burker aber hatte kein Gewissen, und nichts konnte ihn hindern, seine verbrecherischen Pläne durchzuführen. Jetzt beeilte sich John Branican, ihm in das Lager zu folgen, wo Jane ihn erwartete. Warum hätte er zögern sollen?... Auf diesem Wege würde Len Burker Gelegenheit finden, ihn verschwinden zu lassen, ohne bei den Schwarzen seiner Escorte Verdacht zu erregen.

Da der Capitän sehr ungeduldig war, beschlossen sie noch an demselben Tage aufzubrechen. Sein sehnlichster Wunsch war, Jane wiederzusehen, die aufopfernde Freundin seiner Frau, mit ihr von Dolly und ihrem Kinde, von Mr. William Andrew, von San-Diego zu sprechen.

Sie machten sich am 23. April Nachmittags auf den Weg.

Len Burker hatte Lebensmittel für mehrere Tage, während der Fitz-Roy das Wasser der kleinen Karawane liefern konnte. Die Kameele, welche Len Burker und John als Reitthiere dienten, brachten sie der Escorte immer um einige Meilen voraus, was gerade in die finstren Pläne des Elenden paßte... John durfte nicht in das Lager kommen... und er würde auch nicht hinkommen. Um acht Uhr Abends rasteten Beide am linken Ufer des Flusses, um dort zu übernachten. Da aber Len Burker wegen der geringen Entfernung irgend welche unliebsamen Begegnungen befürchtete, so fand er den Zeitpunkt noch nicht für passend.

Sie zogen am folgenden Morgen weiter.

Die folgende Tagereise zerfiel in zwei Märsche, die durch eine zweistündige Rast getrennt waren. Da die Hitze groß war, schliefen die Schwarzen nach der Mahlzeit sofort ein. Einige Augenblicke später fiel auch der Capitän in tiefen Schlaf.

Vielleicht bot sich jetzt eine Gelegenheit für Len Burker dar. Er konnte John erschlagen, den Leichnam etwa zwanzig Schritte weiterschleppen und ihn [341] in den Fluß werfen, so daß alle Umstände sich vereinigen würden, jede Spur des Verbrechens zu verwischen. Am folgenden Tage hätte man John vergebens suchen können...

Um zwei Uhr Morgens erhob sich Len Burker geräuschlos, schlich mit einem Dolche zu seinem Opfer hin und wollte ihm eben die Mordwaffe ins Herz stoßen, als John erwachte.

»Ich dachte, Sie riefen mich, sagte Len Burker.

– Nein, lieber Len, erwiderte John. In dem Augenblicke, als ich erwachte, träumte ich von meiner Dolly und unserem Kinde.«

Um sechs Uhr früh zog die kleine Karawane den Fitz-Roy entlang weiter.

Als sie zu Mittag rasteten, schlug Len Burker dem Capitän vor, etwas vorauszureiten, denn er war fest entschlossen, jetzt ans Ziel zu kommen, weil sie an demselben Abend das Lager erreichen mußten.

John war damit einverstanden, denn er wollte so bald als möglich bei Jane sein, um mit ihr von seinen Lieben sprechen zu können.

Eben wollten sie aufbrechen, als einer der Schwarzen in einer Entfernung von hundert Schritten einen Weißen signalisirte, der nicht ohne Vorsicht näher kam.

Ein Schrei entrang sich Len Burker...

Er hatte Godfrey erkannt.

15. Capitel
Fünfzehntes Capitel.
Das letzte Lager.

Der Capitän John, ohne daß er wußte, was er that, stürzte auf den jungen Mann los.

Len Burker stand wie versteinert da.

Godfrey gegenüber... Godfrey, der Sohn Dollys und Johns! Aber war denn die Karawane der Mrs. Branican nicht zugrunde gegangen?... Sie war also hier... einige Meilen entfernt... vielleicht nur einige hundert Schritte [342] ... oder war Godfrey der einzige Ueberlebende von Jenen, welche der Elende verlassen hatte?

Wie dem auch sei, diese unerwartete Begegnung konnte den ganzen Plan Len Burker's vernichten. Wenn dieser junge Matrose spräche, so würde er sagen, daß Mrs. Branican an der Spitze der Karawane sei... Er würde sagen, daß Dolly tausend Strapazen und Gefahren in den Wüsten bestanden hatte, um ihrem Gatten Hilfe zu bringen... daß sie da sei... daß sie ihm folge...

Und so war es auch.

Am Morgen des 27. März hatte sich nach dem Verrathe Len Burker's die kleine Karawane gegen Nordwesten gewendet. Am 8. April sanken die Armen halbtodt vor Hunger und Durst in den heißen Sand.

Mit allen ihren Kräften versuchte Mrs. Branican ihre Gefährten zu ermuthigen, flehte sie an, noch einmal aufzustehen, die letzte Anstrengung zu machen, um den Fluß zu erreichen, wo sie einige Hilfsmittel finden würden... Sie sprach wie zu Leichnamen... sogar Godfrey hatte das Bewußtsein verloren.

Aber die Seele der Expedition war Dolly, und Dolly that, was ihre Gefährten nicht mehr thun konnten.

Sie hatten die Richtung gegen Nordwesten eingeschlagen; nach dieser Richtung hin hatten Tom Marix und Zach Fren ihre Arme ausgestreckt... Dolly eilte nach dieser Richtung weiter.

Was hoffte die muthige Frau in dieser endlosen Ebene, aller Hilfsmittel entblößt?... Ihr Ziel war der Fitz-Roy! Dort wollte sie bei den Weißen oder bei den Eingebornen Hilfe suchen... Sie eilte weiter und legte in drei Tagen etwa zwanzig Meilen zurück... Aber ihre Kräfte verließen sie, sie stürzte zusammen und wäre gestorben, wenn ihr nicht – man möchte sagen – vom Himmel Hilfe gekommen wäre.

Um diese Zeit ritt die schwarze Polizei der Grenze der »Großen Wüste« entlang, und der Hauptmann unternahm, indem er etwa dreißig Mann an dem Fitz-Roy zurückließ, mit sechzig Mann einen Streifzug in diesen Theil der Provinz.

Diese fanden Dolly. Als sie wieder zum Bewußtsein kam, sagte sie gleich, wo ihre Gefährten wären, zu denen man sie sofort führte. Dem Mani und seinen Leuten gelang es, die Armen wieder zum Bewußtsein zu bringen,


In diesem Augenblicke waren an dem Ufer nur die Schwarzen der Escorte. (S. 340.)

von denen kein Einziger nach vierundzwanzig Stunden noch lebend angetroffen worden wäre.

Tom Marix, der ein Bekannter des Mani war, be [343] richtete, was seit ihrer Abreise von Adelaïde vorgefallen war. Als er die Indas erwähnte, erwiderte der Hauptmann, daß dieser Stamm an den Ufern des Fitz-Roy, ungefähr sechzig Meilen entfernt, lagere.

Es war keine Zeit zu verlieren, wenn sie die Pläne Len Burker's vereiteln wollten, den der Mani wegen Theilnahme an verschiedenen Plünderungen


Aber er und John wurden überwältigt. (S. 347.)

[344]

und Raubzügen schon von früher her zu verhaften hatte. Es unterlag keinem Zweifel, daß es Len Burker gelingen werde, den Capitän John zu befreien, der keine Ursache hatte, ihm zu mißtrauen.

Würde es möglich sein, ihre Spuren zu finden?

Mrs. Branican konnte auf den Mani und seine Leute rechnen, die mit ihren Gefährten die Lebensmittel theilten und ihnen ihre Pferde abtraten. Die Truppe brach noch denselben Abend auf, und Nachmittags am 21. April zeigten sich am Horizonte die Höhen des Thales.

[345] Hier stieß der Mani auf zwei seiner Leute, die er am Ufer des Fitz-Roy zurückgelassen hatte; diese theilten ihm mit, daß die Indas ungefähr hundert Meilen weiter am Oberlaufe lagerten. Man mußte sie sofort erreichen, denn wenn Mrs. Branican jetzt nach dem Verrathe Len Burker's kein Lösegeld mehr hatte, so konnte John nur mit Gewalt den Indas entrissen werden. Doch als sie das Thal erreichten, wo sich sonst das Lager der Indas befand, waren diese fortgezogen. Der Mani verfolgte sie, und so kam es, daß am 25. April sich Godfrey, der eine halbe Meile vorausgeeilt war, plötzlich dem Capitän John gegenüber befand.

Aber Len Burker gelang es, sich zu fassen; er sah Godfrey an, ohne ein Wort zu sagen, und wartete, was der junge Mann thun werde.

Godfrey sah ihn gar nicht, denn sein Auge hing nur an dem Capitän, den er nach der Photographie, die ihm Mrs. Branican gegeben hatte, sofort erkannte. Kein Zweifel – dieser Mann war der Capitän John.

Auch John sah Godfrey mit ungewöhnlicher Bewegung an. Obwohl er nicht errathen konnte, wer dieser junge Mann war, so verschlang er ihn doch mit seinen Blicken... er streckte ihm die Arme entgegen... er rief ihn mit zitternder Stimme... Ja! Er rief ihn, als wäre er sein Sohn!

Godfrey stürzte in seine Arme, indem er rief:

»Capitän John!

– Ja... ich... ich bin es! erwiderte John. Doch Du... mein Kind... wer bist Du?... Woher kommst Du?... Wie kennst Du meinen Namen?«

Godfrey konnte nicht antworten, denn plötzlich erblickte er Len Burker und erbleichte.

»Len Burker! rief Godfrey.

– Ja, mein Kind, erwiderte John, es ist Len Burker... ihm verdanke ich meine Rettung!

– Rettung! rief Godfrey. Nein, Capitän John, nein, Len Burker rettete Sie nicht!... Er wollte Sie vernichten, er verließ uns in der Wüste, er stahl Mrs. Branican das Lösegeld...«

Bei diesem Namen that John einen Schrei und ergriff Godfrey bei der Hand:

»Dolly?... Dolly?... wiederholte er.

– Ja... Mrs. Branican, Capitän John, Ihre Frau, die ganz in der Nähe ist!

– Dolly? rief John.

[346] – Der Bursche ist verrückt! sagte Len Burker, indem er sich Godfrey näherte.

– Ja... Verrückt!... sagte John leise. Das arme Kind ist verrückt!

– Len Burker, hub Godfrey wieder an, der vor Zorn zitterte, Sie sind ein Verräther... Sie sind ein Mörder!... Wenn dieser Mörder da ist... so will er Sie, Capitän John, ebenso vernichten, wie er Mrs. Branican und ihre Gefährten vernichten wollte...

– Dolly!... Dolly!... rief Capitän John. Nein... Du bist nicht verrückt, mein Kind!... Ich glaube Dir... Komm!... Komm!«

Len Burker und seine Leute warfen sich auf Godfrey und John; der junge Matrose zog seinen Revolver und schoß einem Schwarzen eine Kugel in die Brust. Aber er und John wurden überwältigt und von den Schwarzen gegen den Fluß hingeschleppt.

Glücklicherweise wurde der Schuß gehört, wurden Rufe laut, und sofort stürmten der Mani und seine Polizeisoldaten, Tom Marix und seine Genossen herbei. Mrs. Branican, Zach Fren, Jos Meritt, Gîn-Ghi eilten zu Hilfe.

Len Burker und die Schwarzen konnten keinen Widerstand leisten, und einen Augenblick darauf lagen sich John und Dolly in den Armen.

Die Partie war für Len Burker verloren, wenn man ihn erwischte, konnte er auf keine Gnade hoffen. Dies sah er ein, deshalb floh er. Der Mani und seine Leute, Zach Fren, Tom Marix, Jos Meritt eilten ihm nach.

Es ist unmöglich, die rührende Scene zu beschreiben, als Dolly und John sich nach so langer Trennung in den Armen lagen. Sie weinten, und Godfrey theilte ihre Küsse, ihre Thränen, ihre Freude.

So viel Glück konnte Dolly nicht ertragen. Ihre Kräfte verließen sie und eine tiefe Ohnmacht umfing sie.

Godfrey kniete neben ihr und half Harriette, sie zum Bewußtsein zu bringen. John wußte es nicht, wohl aber die Anderen, daß Dolly das erstemal vor Schmerz wahnsinnig geworden war... Konnte sie ihren Geist nicht ein zweitesmal vor Freude verlieren?...

»Dolly!... Dolly!« rief John.

Godfrey küßte ihre Hände und rief:

»Mutter!... Mutter!«

Dolly schlug die Augen auf, ihre Hand drückte die Johns, dessen Freude keine Grenzen kannte; er schloß Godfrey in seine Arme.

[347] »Komm... Wat!... Komm!... Mein Kind!«

Aber Dolly konnte ihn nicht in diesem Irrthum, nicht in dem Glauben lassen, daß Godfrey sein Kind wäre:

»Nein, John, sagte sie, nein... Godfrey ist nicht unser Sohn!... Unser armer Wat ist gestorben... gestorben kurz nach Deiner Abfahrt.

– Todt!« rief John, der von Godfrey keinen Blick abwandte.

Dolly wollte ihm eben sagen, welches Unglück sie vor fünfzehn Jahren betroffen habe, als plötzlich ein Schuß auf der Seite ertönte, wohin Len Burker geflohen war.

War dieser Elende gerichtet oder hatte er ein neues Verbrechen begangen?

Fast in demselben Augenblicke erschien eine Gruppe Leute am Ufer des Fitz-Roy. Zwei Polizisten trugen eine Frau, die aus einer Wunde in der Brust heftig blutete.

Es war Jane.

Was war da vorgegangen?

Trotz der schnellen Flucht Len Burker's ließen ihn seine Verfolger nicht aus den Augen, und sie waren nur noch hundert Schritte von ihm entfernt, als er bei dem Anblicke Janes plötzlich stehen blieb.

Am vorhergehenden Abend war es der Unglücklichen gelungen, ihren Wächtern zu entfliehen. Sie wanderte aufs Gerathewohl weiter; als sie die ersten Schüsse hörte, war sie nur noch eine Viertelmeile von der Stelle entfernt, wo sich Godfrey und John gefunden hatten. Sie eilte vorwärts und befand sich plötzlich ihrem Gatten gegenüber.

Len Burker packte sie am Arme und wollte sie vergebens fortziehen. Da er dachte, daß Jane bei einer Begegnung mit Dolly das Geheimniß von der Geburt Godfreys verrathen könnte, so stieß er ihr den Dolch in die Brust.

In diesem Augenblicke ertönte ein Schuß, der von folgenden, jetzt ganz treffenden Worten begleitet war:

»Gut!... O... Sehr gut!«

Jos Meritt hatte sich Len Burker von der Seite genähert und ihm eine Kugel durch die Brust geschossen, so daß der Elende todt in den Fitz-Roy stürzte.

Tom Marix beugte sich über Jane, die nur noch schwach athmete. Zwei Polizeisoldaten hoben die unglückliche Frau auf und trugen sie zu Mrs. Branican.

[348] Als Dolly sie erblickte, stieß sie einen herzzerreißenden Schrei aus. Sie stürzte auf sie los, beugte sich über sie, lauschte dem langsamen Schlagen des Herzens. Aber die Wunde Janes war tödtlich, der Dolch hatte ihre Lunge durchbohrt.

»Jane!... Jane!« rief Dolly schmerzlich aus.

Die Sterbende schlug die Augen auf, und als sie Dolly erblickte, lächelte sie.

»Dolly!... Liebe Dolly!« sagte sie leise.

Plötzlich belebte sich ihr Blick; sie sah den Capitän John.

»John... Sie... John! sagte sie, aber so leise, daß man es kaum hörte.

– Ja... Jane, erwiderte John... Ich bin es... ich... den Dolly gerettet hat...

– John... John... ist da, murmelte sie.

– Ja... bei uns, liebe Jane, sagte Dolly. Er wird uns nicht mehr verlassen... Wir werden ihn mit Dir zu uns nehmen... mit Dir... mit Dir...«

Jane hörte nicht mehr. Ihr Auge schien Jemand zu suchen... und sie sagte:

»Godfrey!... Godfrey!«

Die Todesangst begann schon ihre Gesichtszüge zu verzerren.

Mrs. Branican gab Godfrey ein Zeichen, der an sie herantrat.

»Er!... Er!... Endlich!« rief Jane mit der letzten Kraft.

Dann ergriff sie die Hand Dollys.

»Komm näher... komm näher, Dolly, sagte sie. John... auch Du... höret, was ich Euch sage!«

Beide beugten sich über die Sterbende, um kein Wort zu überhören.

»John, Dolly, sagte sie, Godfrey... Godfrey, der da steht... Godfrey ist Euer Kind...

– Unser Kind?« fragte Dolly leise.

Dabei wurde sie so bleich wie die Sterbende.

»Wir haben keinen Sohn mehr, sagte John, er ist gestorben.

– Ja, erwiderte Jane, der kleine Wat... ist... im Golfe von... San-Diego... Aber Ihr habt ein zweites Kind gehabt... und dieses Kind... ist Godfrey.«

In abgebrochenen Sätzen konnte Jane noch Alles erzählen, was seit der Abfahrt Johns im Prospect-House vorgefallen war. Die geisteskranke Dolly wurde, ohne daß sie es wußte, zum zweitenmale Mutter, das Kind wurde auf [349] Befehl Len Burker's einige Stunden nach der Geburt ausgesetzt, glücklicherweise aber gefunden und unter dem Namen Godfrey im Wat-House erzogen...

»Wenn ich schuldig bin, fuhr die Sterbende fort, weil ich nicht den Muth hatte, es Dir zu gestehen, liebe Dolly, so verzeihe mir... verzeihe auch Du mir, John!

– Verzeihung, Jane... Dir, die uns unser Kind wiedergegeben hat...

– Ja... Euer Kind, rief Jane. Vor Gott... John, Dolly, ich schwöre es... Godfrey ist Euer Kind!«

Als die Sterbende sah, daß Beide Godfrey in ihre Arme schlossen, da lächelte sie glücklich und schloß dann die Augen für immer.

16. Capitel
Sechzehntes Capitel.
Schluß.

Wir brauchen uns nicht mehr bei den folgenden Ereignissen aufzuhalten, wie auch nicht bei dem Rückwege, den die Glücklichen jetzt unter ganz anderen Umständen nach der Provinz Adelaïde einschlugen.

Zuerst wurde folgende Frage aufgeworfen: Sollten sie den Fluß Fitz-Roy hinab zur Küste ziehen, oder sich gegen den Hafen Prinz Friedrich im Yorksund wenden? Aber da sehr viel Zeit verfließen würde, bevor ein Schiff an diese Küste geschickt werden könnte, so war es besser, denselben Weg zurückzulegen. Unter dem Schutze der Schwarzen Polizei, durch die Fürsorge des Hauptmannes reichlich mit Lebensmitteln versorgt und mit allen Kameelen, welche Len Burker gestohlen hatte, brauchten sie nichts zu fürchten.

Bevor sie aufbrachen, wurde Jane Burker am Fuße einer Gummibaumgruppe begraben. Dolly verrichtete ein inbrünstiges Gebet für die unglückliche Frau.

Die Karawane verließ den Fitz-Roy am 25. April unter der Leitung des Mani, der sich angeboten hatte, sie bis zur nächsten Station der Telegraphenlinie zu begleiten.

[350] Alle waren überaus glücklich und wußten nichts mehr von den erlittenen Qualen. Zach Fren sagte in seiner Freude wiederholt zu Tom Marix:

»Nun, Tom, wir haben den Capitän doch gefunden.

– Ja, Zach, aber bald wäre es anders gekommen. Die Vorsehung hat es so gewollt.«

Aber Einer war doch nicht zufrieden, nämlich Jos Meritt.

Mrs. Branican hatte ihren Gatten gefunden, aber der berühmte Sammler fand nicht den Hut, um dessen Auffindung er so viele Qualen erduldet hatte. Welches Unglück, bis zu den Indas vorzudringen und nicht mit Willy sprechen zu können, der vielleicht den schönsten historischen Hut trug. Er tröstete sich ein wenig, als ihm der Mani sagte, daß die Stämme des Nordwestens noch keine europäische Kopfbedeckung hätten, was aber gerade das Entgegengesetzte von Jos Meritt's Ansicht war. Wenn sich auch sein Wunsch bei den Eingebornen des nördlichen Australien nicht erfüllt hatte, so konnte er sich wenigstens zu dem Meisterschusse gratuliren, durch den er die Familie Branican von dem elenden Burker befreit hatte.

Der Rückweg der Karawane ging so schnell wie möglich von Statten. Sie hatten nicht viel Durst zu leiden, denn die Brunnen wurden von den Herbstregen wieder gefüllt und die Temperatur war erträglich. Uebrigens schlug man nach dem Rathe des Mani den directen Weg in die Gegenden ein, welche von der Telegraphenlinie durchschnitten wurden, so daß sie immer auf wohlversorgte Stationen stießen und mit der Hauptstadt in Verbindung waren.

Dank dem Telegraphen erfuhr bald die ganze Welt, daß die kühne Reise der Mrs. Branican von Erfolg gewesen war.

Auf der Höhe des Woodsees erreichten John, Dolly und ihre Gefährten eine der Stationen der Overland-Telegraf-Line, und hier mußten der Mani und sein Gefolge sich verabschieden. Mr. und Mrs. Branican dankten ihnen in heißen Worten und versprachen, sofort nach ihrer Ankunft in Adelaïde sie für ihre großen Dienste zu belohnen.

Sie hatten nur noch die Districte des Alexandralandes zu durchziehen, um nach Alice-Spring zu kommen, das sie am 19. Juni Abends. nach einem Marsche von sieben Wochen erreichten.

Hier fand Tom Marix Alles vor, was er in der Obhut des Stationschefs Mr. Flint zurückgelassen hatte: Ochsen, Wagen, Karren, Buggys und [351] Pferde. Am 3. Juli gelangten sie nach Farina-Town, der ersten Eisenbahnstation, und waren am nächsten Tage in Adelaïde. Welcher Empfang wurde da dem Capitän John und seiner muthigen Frau zutheil!

Die ganze Stadt erwartete sie auf dem Bahnhofe und begleitete sie unter steten Zurufen bis in das Hôtel in der King William-Street. So oft John, seine Frau und ihr Sohn sich am Fenster zeigten, brach die versammelte Menge in solche Hurrahrufe aus, daß sie, wie Gîn-Ghi sagte, bis an die äußerste Grenze des Himmlischen Reiches gehört wurden.


Als die Sterbende sah, daß Beide Godfrey in ihre Arme schlossen. (S. 350.)

Der Aufenthalt in Adelaïde dauerte nicht lange, denn John und Dolly Branican sehnten sich schon [352] nach San-Diego, ihren Freunden und ihrem Prospect-House, wo sie das lang verlorene Glück wiederfinden würden. Sie nahmen von Tom Marix und seinen Leuten Abschied, nachdem sie dieselben reichlich belohnt hatten. Nie würden sie ihre Dienste vergessen.

Aber sie würden auch nie den Sonderling Jos Meritt vergessen, der sich ebenfalls entschloß, mit seinem Diener Australien zu verlassen. Doch da er seinen Hut dort nicht finden konnte, wo befand sich wohl dieser?

In einer königlichen Wohnung, wo er mit der ihm gebührenden Achtung aufbewahrt wurde. Ja! Jos Meritt war in allen fünf Welttheilen umhergeirrt, um diesen Hut zu finden – der, wie man ein halbes Jahr später erfuhr, in dem Schlosse Windsor war. Dies war der Hut, den Ihre Majestät anläßlich des Besuches Ludwig Philipps im Jahre 1841 trug, und es konnte sich nur ein Verrückter einbilden, daß dieses Meisterwerk einer Pariser Modistin sein Dasein auf dem Schädel eines Wilden in Australien beschließen werde.

Die Folge davon war, daß die Wanderungen Jos Meritt's aufhörten – zur großen Freude Gîn-Ghi's, zum Aerger des Sammlers, der mißgestimmt nach Liverpool zurückkehrte, weil es ihm nicht gelang, sein Museum mit diesem in der Welt einzig dastehenden Hute zu bereichern.

John, Dolly und Godfrey schifften sich in Adelaïde auf dem »Abraham Lincoln« ein, begleitet von Zach Fren und Harriette, und kamen nach drei Wochen in San-Diego an.

Hier wurde John von Mr. William Andrew, dem Capitän Ellis und Tausenden von Menschen jubelnd empfangen, die Alle stolz waren, daß einer der berühmtesten Söhne ihrer Stadt endlich wieder zurückkehrte.


Ende.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Verne, Jules. Romane. Mistreß Branican. Mistreß Branican. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-7592-9