Jules Verne
Die Gebrüder Kip


1. Band

1. Kapitel
[5]
Erstes Kapitel.
Die Schenke zu den »Three-Magpies«.

Zur Zeit unserer Geschichte – 1885 – wurde Neuseeland, das sechsundvierzig Jahre früher von Großbritannien in Besitz genommen und zunächst Neusüdwales angegliedert, zweiunddreißig Jahre später aber zur selbständigen, von der Krone unabhängigen Kolonie umgewandelt worden war, vom endemischen Goldfieber heimgesucht. Die Unordnung, die überall eine traurige Folge dieses Fiebers ist, war hier nicht so verheerend hervorgetreten wie in verschiedenen Provinzen des australischen Festlandes. Immerhin entstanden dadurch bedauerliche Störungen, von deren Nachwehen die Bevölkerung der beiden Inseln noch genug zu leiden hatte. Vorzüglich wurde damals die Provinz Otago, der südliche Teil von Tawai-Pounamon, von Goldsuchern förmlich überschwemmt. Die reichen Erzlager von Clutha lockten zahllose Abenteurer herbei. Das wird niemand verwundern angesichts der Tatsache, daß die Ausbeute der Goldfundstätten Neuseelands zwischen 1864 und 1889 zwölfhundert Millionen Francs betrug.

Australier und Chinesen waren nicht die einzigen, die gleich einem Schwarme gieriger Raubvögel über die reichen Gebiete herfielen, auch Amerikaner und Europäer strömten dahin zusammen. Da war es denn auch kein Wunder, daß die Mannschaften der Handelsschiffe, die Auckland, Wellington, Christchurch, Napier, Invercargill oder Dunedin anliefen, nach der Ankunft in diesen Häfen der Verlockung, die ihnen hier entgegentrat, meist nicht widerstehen konnten. Vergeblich versuchten die Kapitäne ihre Matrosen zurückzuhalten, vergeblich bemühten sich die Behörden, ihnen dabei zu helfen! Das Desertieren wurde allgemein, und die Reeden füllten sich mit Fahrzeugen, die wegen Mangel an Mannschaft nicht abfahren konnten.

Zu den vor Dunedin liegenden Schiffen gehörte auch die englische Brigg »James-Cook«.

Von den sieben, zu deren Besatzung gehörenden Matrosen waren nur drei an Bord zurückgeblieben, die anderen vier aber davongelaufen mit dem [6] festen Vorsatze, sich nicht wieder einfangen zu lassen. Zwölf Stunden nach ihrer Flucht mochten sie wohl schon weit weg von Dunedin sein und sich auf dem Wege nach den Goldfeldern der Provinz befinden. Der Kapitän, der seine Rückfracht längst eingenommen hatte und nun schon vierzehn Tage müßig vor Anker lag, hatte die Fehlenden nicht zu ersetzen vermocht. Weder der Köder einer größeren Heuer, noch die Aussicht einer nur wenige Monate dauernden Fahrt hatte ihm Ersatz zugeführt, und obendrein befürchtete er auch immer, daß die noch an Bord gebliebenen Leute sich versucht fühlen könnten, dem Beispiel ihrer Kameraden zu folgen. Und während er sich einerseits bemühte, Seeleute zu finden, bemühte sich anderseits sein Bootsmann Flig Balt in den Schenken, am Hafen und bei den Schlafbasen der Stadt, die Besatzung wieder zu vervollständigen.

Dunedin liegt an der Südostküste der südlichen Insel, die die Cookstraße von der nördlichen, in der Sprache der Eingebornen Tawai-Pounamon von Ikana-Maoui, scheidet, den beiden Teilen, die Neuseeland bilden. Im Jahre 1839 hatte Dumont d'Urville an der Stelle der heutigen Stadt nur einzelne Maorihütten gefunden, während man jetzt hier Paläste, Hotels, freie Plätze, Squares in üppigstem Grün, von Spurwagen befahrene Straßen, Bahnhöfe, Niederlagen, Märkte, Banken, Kirchen, Schulen und Krankenhäuser, und ganze Industrieviertel neben Vorstädten sieht, die immer weiter hinauswachsen. Dunedin ist heutzutage eine reiche und glänzende Industrie- und Handelsstadt, von der zahlreiche Bahnlinien nach allen Richtungen ausstrahlen. Es hat fast fünfzigtausend Einwohner, eine geringere Volksmenge als die Aucklands, der Hauptstadt der Nordinsel, doch eine größere als die von Wellington, dem Regierungssitze der Kolonie Neuseeland.

Am Fuß der amphitheatralisch einem Hügel angeschmiegten Stadt breitet sich der Hafen aus, in den nach der Herstellung eines von Part-Chalmers ausgehenden Kanals Schiffe von jedem Tonnengehalte einlaufen können.

Von den Schankstätten, deren es im unteren Stadtteile eine große Menge gibt, ist eine der geräuschvollsten und besuchtesten die Adam Frys, des Wirtes der»Three-Magpies«. Dieser wohlbeleibte Mann mit hochrotem Gesicht ist kaum mehr wert als die Getränke seines Schanktisches, man kann eigentlich sagen: ebensoviel wert wie seine gewöhnlichen, aus Landstreichern und Trunkenbolden bestehenden Gäste.

Am heutigen Abend saßen in einem Winkel der Spelunke zwei Männer vor zwei Gläsern und einer halbgeleerten Pinte Gin, den sie vor dem Fortgehen[7] aber gewiß noch bis zum letzten Tropfen verzehrten. Es waren das zwei Seeleute vom »James-Cook«, der Bootsmann Flig Balt und ein Matrose Namens Vin Mod.

»Du hast also immer Durst, Mod? fragte Flig Balt, während er seinem Genossen aufs neue einschenkte.

– Zwischen den Mahlzeiten immer, Bootsmann, antwortete der Matrose. Der Gin nach dem Whisky und dann der Whisky nach dem Gin! Das hindert einen doch nicht zu schwätzen, zu horchen und zu beobachten. Die Augen sind dann vielmehr weit heller, die Ohren seiner und die Zunge nur um so freier!«

Es unterlag wohl auch keinem Zweifel, daß bei Vin Mod die genannten Organe inmitten des Getöses in der Schenke mit wunderbarer Leichtigkeit fungierten.

Der fünfunddreißigjährige Matrose, ein Mann von kleiner Gestalt, war mager, aber muskulös und geschmeidig; er hatte das Gesicht eines Marders mit scharf geschnittener Nase, hervorstehendem Munde und Augen, worin eine Alkoholflamme zu flackern schien, dabei die Zähne einer Ratte, doch im ganzen einen listigen und intelligenten Gesichtsausdruck. Völlig bereit zu jedem schlechten Streiche, ganz wie sein Genosse, der das recht wohl wußte, waren die beiden einander würdig und konnten sich einer auf den anderen verlassen.

»Die Geschichte muß nun aber ein Ende nehmen, sagte Flig Balt mit rauher Stimme, indem er mit der Faust auf den Tisch hämmerte.

– Wir brauchen ja dort aus dem Haufen nur zu wählen!« erwiderte Vin Mod.

Er wies dabei auf die trinkenden, gröhlenden und fluchenden Gruppen hin, die in dem Alkoholdunste und Tabakrauche, die den Raum verdüsterten, ihr Unwesen trieben. Man wurde schon halb berauscht, wenn man nur die Luft der Schenke einatmete.

Flig Balt, ein Mann von achtunddreißig bis neununddreißig Jahren, war von Mittelgröße und hatte breite Schultern, einen mächtigen Kopf und kräftige Gliedmaßen. Wer ihn einmal gesehen, konnte sein Gesicht mit der großen Warze auf der linken Wange, die Augen mit dem strengen Blicke und den dichten, gekräuselten Augenbrauen, dem rötlichen Bart um das Kinn, doch ohne Schnurrbart – wie nach amerikanischer Mode – nicht wieder vergessen... alles verriet an ihm den zum Hassen geneigten, eifersüchtigen und rachelüsternen Charakter. Vor wenigen Monaten erst hatte er sich zur ersten Reise auf dem [8] »James-Cook« als Bootsmann eingeschifft. Aus Queenstown, einem Hafen des Vereinigten Königreiches, gebürtig, ergab sich aus seinen Papieren, daß er von irländischer Abkunft war. Jetzt, wo er schon seit einigen zwanzig Jahren zur See fuhr, wußte er von seinen Angehörigen sogar selbst nichts mehr, wie ja so viele Seeleute keine andere Familie als ihre Bordkameraden, keine andere Heimat kennen als das Schiff, das sie gerade trägt. Was seinen Dienst betraf, versah ihn Flig Balt streng und pünktlich, und wenn auch nur Bootsmann, verrichtete er an Bord doch auch den des ersten Steuermannes. Der Kapitän [9] Gibson glaubte auch bezüglich aller untergeordneten Einzelheiten des Dienstes auf ihn bauen zu können, so daß er sich in der Führung der Brigg nur den Oberbefehl vorzubehalten pflegte.


»Wir brauchen ja dort aus dem Haufen nur zu wählen!« erwiderte Vin Mod. (S. 8.)

Tatsächlich war Flig Balt jedoch nur ein Schurke, auf den wegen mancher Freveltat gefahndet wurde und der auch noch unter dem verderblichen Einfluß Vin Mods stand und sich dessen unbestreitbarer Überlegenheit beugte. Vielleicht bot sich ihm jetzt Gelegenheit, einen längst erwogenen, verbrecherischen Plan auszuführen.

»Ich sage Ihnen, nahm der Matrose weiter das Wort, hier in der Schenke zu den »Drei Elstern« braucht man nur mit verbundenen Augen zuzugreifen... hier gibt's genug Burschen, wie wir sie wünschen und die sofort bereit sind, auf eigene Rechnung Handel zu treiben...

– Mag sein, warf Flig Balt ein, wir müssen aber doch wissen, woher sie kommen.

– Wozu denn, Bootsmann? Wenn sie nur dahin gehen, wohin wir wollen. Wenn man sie aus der Kundschaft Adam Frys wählt, kann man den Kerlen alles zutrauen!«

In der Tat war über den Ruf, in dem diese Spelunke stand, gar nicht zu streiten. Die Polizei konnte hier ihre Schlingen auswerfen, ohne befürchten zu müssen, daß sie einen ehrbaren Burschen singe, mit dem sie noch nichts zu tun gehabt hätte. Sah sich aber der Kapitän Gibson genötigt, seine Mannschaft auf jede nur mögliche Weise zu ergänzen: an die Kundschaft der»Three-Magpies« hätte er sich darum gewiß nicht gewendet. Flig Balt hatte ihm auch weislich verheimlicht, daß er in dieser Spelunke seine Angel auswerfen werde.

Der mit Tischen, Bänken und Schemeln ausgestattete Gastraum, mit einem Schanktisch an dem einen Ende, hinter dem der Wirt sich aufhielt, und mehrere Reihen größerer und kleinerer Flaschen auf Regalen standen, bekam sein Licht durch zwei vergitterte Fenster, die nach einer engen, zum Kai hinabführenden Straße zu lagen. Den Eingang bildete eine mit festem Schlosse und tüchtigen Riegeln versehene Tür mit einem Schilde darüber, worauf drei weniger gemalte als hingesudelte Elstern sich mit den Schnäbeln bearbeiteten... ein Wappen, das dieser Schenke völlig würdig erschien. Im Oktober wird es unter fünfundvierzig Grad südlicher Breite auch in der schönen Jahreszeit schon halb neun abends recht finster. Einige mit übel riechendem [10] Petroleum gespeiste Blechlampen hingen über dem Schanktische und im Zimmer verteilt von der Decke herab. Die, die davon rauchten, ließ man einfach rauchen, und die, die bei aufgezehrtem Dochte knisterten, ließ man ruhig knistern, hier genügte ja die dämmerige Beleuchtung. Wo es sich nur darum handelt, sinnlos zu trinken, braucht man nicht klar sehen zu können: die Gläser finden den Weg zum Munde schon allein.

Etwa zwanzig Matrosen saßen auf den Bänken und Schemeln... Leute aus allen Ländern: Amerikaner, Engländer, Irländer, Holländer, zum größten Teile Deserteure, die einen bereit, nach den Goldlagern aufzubrechen, die anderen von da zurückgekehrt und jetzt dabei, ohne Überlegung die letzten Goldklümpchen zu verschwenden. Alle schwatzten, fangen und heulten so laut, daß bei dem wilden, betäubenden Lärm Revolverschüsse kaum vernehmbar gewesen wären. Die Hälfte der Gäste lag schon umfangen von der stumpfsinnigen Trunkenheit nach verfälschten Branntweinen, die sie mechanisch hinuntergossen und deren scharfes Brennen sie in der Kehle gar nicht mehr empfanden. Dann und wann erhob sich einer, taumelte und brach wieder zusammen. Mit Hilfe des Kellners, eines kräftigen Eingebornen, hob Adam Fry die halb Bewußtlosen auf, schleppte sie aus dem Wege und warf sie in eine Ecke des Zimmers. Immer knarrte die Tür in ihren Angeln, immer schwankten einige Gäste hinaus, tasteten sich an den Mauern hin oder fielen klatschend in den Rinnstein der Straße, und immer traten andere herein und nahmen auf den eben freien Bänken Platz. Da gab es so manches Wiederfinden, da wurden unflätige Worte gewechselt und mit Händedrücken begleitet, wobei die Knochen zu zerbrechen drohten. Hier sahen sich Kameraden nach langer Wanderung durch die Fundstätten von Otago vielleicht zum ersten Male wieder. Zuweilen flogen auch spitzige Bemerkungen, grobe Scherzreden, Beleidigungen und Herausforderungen von einem Tische zum anderen. Wahrscheinlich verging der Abend nicht ohne Streitigkeiten zwischen einzelnen, die dann zu einer allgemeinen Rauferei ausarteten. Das war übrigens für den Wirt der »Three-Magpies« und für seine Gäste nichts neues.

Flig Balt und Vin Mod beobachteten gespannt die unruhige Gesellschaft, ehe sie, je nach Umständen, mit ihren Absichten hervortreten wollten.

»Na, um was handelt es sich denn eigentlich? sagte der Matrose, der sich auf die Ellbogen gestützt so vorlehnte, daß er dem Bootsmanne näher kam. Wir haben ja nur durch vier andere die vier Burschen zu ersetzen, die uns davongelaufen sind. Nun, denen brauchen wir keine Träne nachzuweinen, die hätten[11] doch nicht zu uns gehalten. Ich sage Ihnen, hier blüht unser Weizen! Ich lasse mich auf der Stelle hängen, wenn hier einer darunter ist, der sich weigerte, sich eines guten Schiffes zu bemächtigen und damit auf dem Pacific umherzusegeln, statt nach Hobart-Town zurückzukehren... das zieht bei allen!

– Kann wohl sein, bestätigte Flig Balt.

– Nun bedenkt einmal, fuhr Vin Mod fort, vier solche verwegene Burschen, der Koch Koa, Ihr und ich, gegen den Kapitän, die drei anderen und den Schiffsjungen... da sind wir mehr als genug, um mit diesen fertig zu werden. Eines schönen Morgens betritt man die Kabine Gibsons... niemand mehr da! Man trommelt die Mannschaft zusammen... da fehlen drei Leute... na, die wird während ihrer Nachtwache eine Sturzsee über Bord gespült haben, so etwas kommt ja auch bei ruhigem Wetter gelegentlich vor. Und dann... dann ist der ›James-Cook‹ nicht wieder zu sehen... er ist mit Mann und Maus im Großen Ozeane untergegangen. Nun fragt niemand mehr nach ihm, und unter einem andern Namen, einem hübschen Namen – die ›Pretty-Girl‹ zum Beispiel – segelt er von Insel zu Insel, betreibt seinen ehrbaren Handel... Kapitän Flig Balt... Steuermann Vin Mod... er vervollständigt seine Mannschaft durch zwei bis drei brauchbare, flotte Burschen, an denen es auch in den Hafenplätzen des Ostens und des Westens nicht mangelt... und jeder sammelt sich dabei ein hübsches Vermögen statt der mageren Heuer, die doch meist eher vertrunken ist, als sie angerührt wird!«

Ob das Geräusch ringsum die Worte Vin Mods manchmal verhinderte, bis zu Flig Balts Ohren zu dringen, das hatte nichts zu bedeuten. Der zweite brauchte sie gar nicht zu hören. Alles was sein Gefährte sagte, sagte er sich schon selbst. Nachdem sein Entschluß einmal feststand, suchte er nur dessen Durchführung zu sichern. So bemerkte er denn jetzt auch nur:

»Die vier neuen, du und ich, sechs gegen fünf, den Jungen eingerechnet.. das stimmt schon. Doch hast du denn vergessen, daß wir in Wellington den Reeder Hawkins und den Sohn des Kapitäns an Bord nehmen müssen?

– Ja freilich, wenn wir von Dunedin aus nach Wellington segeln. Wenn wir aber nicht dahin gehen...

– O, das ist bei günstigem Winde nur eine Sache von achtundvierzig Stunden, erwiderte Flig Balt, und mir scheint es doch nicht so sicher, daß wir bei der kurzen Fahrt unser Vorhaben schon ausgeführt haben könnten...

[12] – Gleichviel! rief Vin Mod. Machen Sie sich keine Gedanken darüber, wenn auch Hawkins und der junge Gibson mit an Bord wären; sie fliegen über die Reling hinaus, ehe sie recht zu Verstande gekommen sind. Die Hauptsache bleibt immer, noch einige Genossen aufzutreiben, denen das Leben eines Menschen nicht mehr gilt als eine alte, unbrauchbare Tabakpfeife... verwegene Kerle, die sich nicht vor dem Stricke ängstigen... und solche Burschen werden wir hier schon finden!

– Na... wollen's versuchen,« antwortete der Bootsmann Balt.

Beide begannen nun die Gäste Adam Frys noch etwas schärfer ins Auge zu fassen, und einige von diesen warfen ihnen auch schon wiederholt forschende Blicke zu.

»Da seht, sagte Vin Mod, der da... ein Kerl wie ein leibhaftiger Boxer... der mit dem dicken Kopfe. Wenn der Bursche nicht schon zehnmal mehr auf dem Kerbholz hat als nötig ist, gehenkt zu werden...

– Jawohl, fiel der Bootsmann ein, das scheint der rechte zu sein...

– Und der da, der nur ein Auge hat... und was für eins! Glaubt mir, das andere hat er auch nicht bei einem Streite verloren, wo er im Rechte war...

– Wahrhaftig, Vin... ja, wenn er unser Angebot annähme...

– Natürlich tut er das.

– Freilich, bemerkte Flig Balt, vorher können wir sie doch nicht in alles einweihen.

– Natürlich erfahren sie alles erst, wenn die Zeit zur Ausführung da ist, dann werden sie schon mit zugreifen!.. Und jetzt... sehen Sie einmal den, der eben hereinkommt. Schon nach der Art, wie er die Tür zuwirft, könnte man darauf schwören, daß ihm die Polizei an den Fersen hängt...

– Wir wollen ihm etwas zu trinken anbieten, meinte der Bootsmann Balt.

– Und ich setze meinen Kopf gegen eine Flasche Gin, daß er das nicht abschlägt! Dann, weiter da unten... der Seebär, der den Südwester schief auf dem Kopfe sitzen hat, der sieht mir auch aus, als ob er mehr im Arrest im Frachtraume als auf dem Vorderkastell gewesen wäre, und daß er häufiger die Füße in Ketten als die Hände frei gehabt hätte!«

Wirklich machten die vier von Vin Mod bezeichneten Personen vollständig den Eindruck gewissenloser Schnapphähne. Wenn Flig Balt sie anmusterte, schien [13] es doch sehr fraglich, ob der Kapitän Gibson zustimmen würde, Leute dieses Schlages als Matrosen anzunehmen. Sie nach ihren Papieren zu fragen, wäre unnütz gewesen, sie hätten doch keine vorgewiesen, und das aus triftigen Gründen.

Nun mußte freilich erst festgestellt werden, ob diese Männer überhaupt geneigt wären, sich anwerben zu lassen, ob sie nicht eben erst von ihrem Schiffe desertiert und vielleicht gerade im Begriffe wären, die Matrosenjacke mit der Goldsucherbluse zu vertauschen. Jedenfalls boten sie sich doch nicht von allein an, und es blieb immerhin fraglich, was sie auf den Vorschlag, an Bord des »James-Cook« anzutreten, antworten würden. Das mußte sich ja zeigen, wenn man mit ihnen gesprochen und das Gespräch freigebig, nach ihrer Wahl mit Gin oder Whisky, begossen hatte.

»Heda... guter Freund... ein Gläschen gefällig? rief Vin Mod, um den eben Eingetretenen an seinen Tisch zu locken.

– Lieber zwei... wenn's euch recht ist, antwortete der Matrose mit der Zunge schnalzend.

– Drei... auch vier oder ein halbes Dutzend, wenn du eine trockene Kehle hast!«

Len Cannon – so hieß der Mann oder so nannte er sich wenigstens – nahm ohne Umstände an dem Tische Platz und verriet die beste Lust, es auch mit einem Dutzend Glas aufzunehmen, er sah aber recht gut ein, daß man – wenn es geschah – ihn nicht um seiner schönen Augen und seines hübschen Äußeren willen so reichlich bewirten werde.

»Na... um was handelt es sich denn?« platzte er so fort mit der heiseren Stimme des Schnapstrinkers heraus.

Vin Mod klärte ihn über die Sachlage auf: Die Brigg »James-Cook« sei zum Auslaufen fertig... eine anständige Löhnung... eine Fahrt von wenigen Monaten... mehr eine Spaziertour von Insel zu Insel... gutes Essen.. reichliches und vorzügliches Getränk... ein Kapitän, der sich auf seinen Bootsmann verließ, auf den hier sitzenden Flig Balt, dem die Sorge für das Wohlergehen der Mannschaft zufiele... Heimathafen Hobart-Town, dazu alles, was einen Matrosen verlocken konnte, der sich während des Aufenthaltes am Lande zu zerstreuen liebte... und vor allem: dem Hafenkapitän keine Papiere vorzulegen... Morgen mit Tagesanbruch gedächte man, wenn die Besatzung vollständig wäre, in See zu gehen... und für den Fall, daß der Mann ein paar Bekannte hätte, die gerade brach lägen und sich einzuschiffen bereit wären, [14] so sollte er sie nur bezeichnen, wenn sich jene jetzt vielleicht hier in den »Three-Magpies« aufhielten...

Len Cannon betrachtete den Bootsmann Flig Balt nebst dessen Genossen und zog bedenklich die Stirn in Falten. Was bedeutete denn dieser Vorschlag?... Was mochte wohl dahinter stecken?... So vorteilhaft das Angebot auch zu sein schien, beantwortete er es doch nur mit einem einzigen Worte.

»Nein! sagte er bestimmt.

– Du tust damit unrecht! erwiderte Vin Mod.

– Mag sein... kann mich aber nicht anmustern...

– Warum denn?

– Will eben heiraten!..

– Ach... Possen!

– Nein, Ernst... Kate Verdax... eine Witwe...

– Oho... Freundchen, entgegnete Vin Mod, ihn auf die Schulter klopfend, wenn du dich jemals verheiratest, wirst du nicht mit Kate Verdax, sondern mit Kate Gibbet... der Witwe Galgen getraut werden!«

Len Cannon lachte hell auf und leerte sein Glas mit einem Zuge. Trotz des Zuredens des Bootsmannes Balt beharrte er aber bei seiner Weigerung; dann stand er auf und mischte sich unter eine lärmende Gruppe, in der stark beleidigende Sticheleien gewechselt wurden.

»Nun, dann wird's mit einem anderen versucht!« sagte Vin Mod, der sich durch den ersten Fehlschlag nicht entmutigen ließ.

Er verließ jetzt den Bootsmann Balt und setzte sich neben einen Matrosen in einer andern Ecke des Gastzimmers. Dieser sah auch nicht gerade besser aus als Cannon, schien auch wenig mitteilsam zu sein und unterhielt sich offenbar am liebsten nur mit seiner Flasche... eine endlose Unterhaltung, die dem Manne jedenfalls genügte. Vin Mod ging ohne Umschweife auf seine Angelegenheit ein.

»Kann man wohl deinen Namen erfahren?

– Meinen Namen? antwortete der Matrose mit einigem Zögern.

– Ja...

– Und wie ist denn der deinige?

– Vin Mod.

– Und das ist einer...

– Eines Seemannes von der Brigg »James-Cook«, die jetzt vor Dunedin liegt.

[15] – Warum willst du denn meinen Namen wissen?...

– Nur um ihn vielleicht in unsere Mannschaftsrolle einzutragen.

– Mein Name ist Kyle... sagte jetzt der Matrose, ich möchte aber doch auf eine bessere Gelegenheit warten.

– Wenn sich eine solche findet, Freundchen...

– O, die findet sich allemal!«

Damit wendete Kyle Vin Mod den Rücken zu, dem diese zweite abschlägige Antwort doch etwas von seiner Zuversicht raubte. In der Schenke Adam Frys ging's wie an der Börse: die Nachfrage übertraf das Angebot, es eröffnete sich also nur eine geringe Aussicht zum Abschluß eines Geschäftes.

Auch mit den beiden andern Kunden, die schon lange hin und her stritten, wer mit dem letzten Schilling die letzte Pinte bezahlen sollte, kam es nur zu demselben Ergebnisse.

Sexton, ein Irländer, und Bryce, ein Amerikaner, wollten lieber zu Fuße nach Amerika und nach Irland gehen, als sich – sei es auf der Yacht Ihrer graziösen Majestät oder auf dem besten Kreuzer der Vereinigten Staaten – anwerben lassen.

Einige Versuche, andere zu ködern, blieben trotz der Fürsprache Adam Frys ebenso erfolglos, und Vin Mod kam ziemlich kleinlaut an den Tisch Flig Balts zurück.

»Na... nichts ausgerichtet? fragte dieser.

– Hier ist nichts zu machen.

– Gibt's denn in der Nähe der ›Three-Magpies‹ keine anderen Matrosenschenken?

– Das wohl, antwortete Vin Mod, doch wenn wir hier keine passenden Leute gefunden haben, anderswo finden wir solche erst recht nicht.«

Flig Balt konnte einen kräftigen Fluch nicht unterdrücken und schlug dabei so heftig auf den Tisch, daß die Flaschen und Gläser darauf umhertanzten. Sollte sein Plan vereitelt werden? Sollte es ihm nicht gelingen, vier Leute seiner Wahl unter die Mannschaft des »James-Cook« einzuschmuggeln? Dann blieb vielleicht nichts anderes übrig, als die Lücken mit ehrbaren Matrosen auszufüllen, die jedenfalls zu Kapitän Gibson halten würden.


Ansicht von Sydney.

Georgsstraße in Sydney.

Georgsstraße in Sydney.


An guten Matrosen fehlte es freilich eher noch mehr als an schlechten, und so verstrichen voraussichtlich noch mehrere Wochen, ehe die Brigg – wegen Mangel an Mannschaft – die Anker lichten konnte.

[16] [19]Da hieß es denn, sich anderswo umzusehen. An Matrosenkneipen fehlte es in dem Stadtviertel hier ja nicht, wo es deren, wie Vin Mod sagte, mehr gab als etwa Kirchen und Bankhäuser. Flig Balt war schon dabei, die Zeche zu bezahlen, als sich am anderen Ende des Raumes erneut ein wüster Lärm erhob.

Die Streitfrage zwischen Bryce und Sexton bezüglich der Bezahlung dessen, was sie verzehrt hatten, nahm eine beunruhigende Wendung. Beide hatten offenbar mehr getrunken, als es der Stand ihrer Finanzen erlaubte. Adam Fry war aber nicht der Mann dazu, Kredit zu geben, selbst wenn sich's nur um wenige Pence handelte. Die beiden Seebären hatten für zwei Schillinge Branntwein vertilgt, und entweder erlegten sie die zwei Schillinge oder die Polizei nahm sich der Zechpreller an und brachte sie dort unter, wo sie wegen Schlägereien, grober Beleidigungen und Übertretungen jeder Art schon oft sicher untergebracht gewesen waren.

Der von dem Kellner über die Schlage verständigte Wirt der »Three-Magpies« zögerte keinen Augenblick, sein Guthaben einzufordern, und doch hätten Sexton und Bryce den Mann nicht befriedigen können, denn ihre Taschen waren ebenso leer an Geld wie sie selbst voll von Gin und Whisky. Vielleicht wäre jetzt ein Dazwischentreten Vin Mods mit gut gefüllter Hand von Erfolg gewesen und die beiden Matrosen hätten jetzt vielleicht ein paar Piaster als Vorschuß auf zukünftige Löhnung angenommen. Vin Mod machte auch einen solchen Versuch, er wurde damit aber schleunigst zum Teufel gejagt. Im Schwanken zwischen dem Wunsche, bezahlt zu werden, und der Unannehmlichkeit, zwei Kunden einzubüßen, wenn diese sich am nächsten Tage auf dem »James-Cook« einschifften, kam ihm jetzt nicht einmal Adam Fry, wie er gehofft hatte, zu Hilfe.

Als der Bootsmann Balt das bemerkte, meinte er, daß der Sache hier ein Ende gemacht werden müsse.

»Komm, wir wollen gehen, rief er Vin Mod zu.

– Ja, antwortete dieser, noch ist es nicht neun Uhr. Wir wollen die ›Old-Brothers‹ oder den ›Good-Seeman‹ aufsuchen; bis dahin sind's nur zwei Schritte, und ich will mich hängen lassen, wenn wir unverrichteter Sache nach dem Schiffe zurückkommen!«

Das »sich hängen lassen« als beteuernde oder metaphorische Ausdrucksweise kehrte in den Worten des »braven« Vin Mod sehr häufig wieder; vielleicht war er der Ansicht, daß das doch das Ende seiner irdischen Laufbahn sein werde.

[19] Hatte Adam Fry anfänglich sein Geld nur barsch gefordert, so war er inzwischen zu Drohungen übergegangen. Sexton und Bryce sollten bezahlen oder sie würden noch heute in Polizeigewahrsam sitzen. Der Kellner erhielt gleichzeitig Auftrag, ein paar Konstabler herbeizurufen, an denen es in diesem Teile der Stadt niemals fehlt. Vin Mod und Flig Balt wollten schon mit ihm hinausgehen, als drei oder vier handfeste Burschen an der Tür Stellung nahmen, um keinen hinaus-, vorzüglich aber auch keinen hereinzulassen.

Diese Matrosen waren offenbar bereit, mit ihren Kameraden gemeinschaftliche Sache zu machen. Jetzt wurde die Lage der Dinge ungemütlich, und wie so oft endigte gewiß auch der heutige Abend mit einer allgemeinen Schlägerei.

Adam Fry und den Kellner ließ das ziemlich kalt, sie dachten nur daran, den Schutz der Polizei anzurufen, wie sie das unter solchen Umständen gewöhnt waren. Da sie die Tür besetzt sahen, versuchten sie auf der Rückseite des Hauses nach der dort vorüberführenden Gasse zu gelangen.

Dazu ließ man ihnen aber keine Zeit. Die ganze Bande stand gegen sie auf, und vor allen taten sich Kyle, Sexton, Len Cannon und Bryce darin hervor. An dem Getümmel unbeteiligt blieb nur ein halbes Dutzend sinnlos betrunkener Burschen, die in den Ecken lagen und sich überhaupt nicht mehr auf den Füßen erhalten konnten.

Dem Bootsmann Balt und Vin Mod war es also unmöglich, die Gaststube zu verlassen.

»Wir müssen aber auf jeden Fall fortkommen, sagte der erste, hier regnet es doch bald Püffe und Schläge...

– Wer weiß, meinte der zweite, laßt sie sich nur prügeln, vielleicht haben wir zuletzt noch den Vorteil davon!«

Wenn beide von dem Streite Nutzen zu ziehen hofften, wollten sie davon doch keinen Schaden haben, und so flüchteten sie eiligst hinter den Schanktisch.

Zunächst entbrannte ein Kampf mit »blanker Waffe«, wenn dieser Ausdruck für die Fäuste und die Füße der Streitenden erlaubt ist. Sehr bald kam gewiß aber auch das Messer an die Reihe, und es wäre nicht das erste- und auch nicht das letztemal gewesen, daß es in der Gaststube der »Three-Magpies« zum Blutvergießen kam. Es sah schon aus, als müßten Wirt und Kellner dem Ansturme der überlegenen Rotte unterliegen, zum Glück stellten sich aber doch einige der Stammgäste der Schenke auf ihre Seite. Fünf bis sechs Irländern, [20] die sich jedenfalls für die Zukunft einigen Kredit sichern wollten, gelang es, die Angreifer zurückzudrängen.

Jetzt herrschte ein Tumult ohnegleichen. Der Bootsmann Balt und Vin Mod hatten, obwohl sie sich so gut wie möglich zu schützen suchten, die größte Not, nicht getroffen zu werden, als nun Flaschen und Gläser in allen Richtungen durch die Luft zu stiegen anfingen. Alles fluchte, gröhlte und schlug durcheinander. Die Lampen wurden dabei umgestülpt und gingen aus, und der Raum wurde nur noch notdürftig von einer Laterne erhellt, die vor einer Scheibe an der Eingangstür angebracht war.

Die allerhitzigsten, Len Cannon, Kyle, Sexton und Bryce, die zuerst zum Angriff übergegangen waren, hatten sich jetzt nur noch zu verteidigen. Der Wirt und der Kellner gehörten nämlich auch nicht mehr zu den Lehrlingen in der edeln Kunst des Boxens. Einige furchtbare Stöße streckten Kyle und Bryce mit halb gesprengten Kinnladen zu Boden; sie rafften sich jedoch wieder auf, um ihren Kameraden beizustehen, die von den Irländern mehr und mehr in eine Ecke getrieben wurden.

Der Kampf schwankte unentschieden nach der einen und der anderen Seite, und eine Entscheidung wurde voraussichtlich nur durch einen Eingriff von außen herbeigeführt. Wiederholt übertönte der Ruf »Zu Hilfe!« »Hierher Hilfe!« das Getümmel. Die Nachbarn bekümmerten sich kaum um den wilden Lärm, der in der Schenke zu den »Three-Magpies« tobte, an derlei Prügeleien zwischen dem Seevolk waren die Leute von jeher gewöhnt. Es wäre auch ganz nutzlos gewesen, sich vermittelnd unter die Hitzköpfe zu wagen. Das war Sache der Polizisten, die ja, wie man zu sagen pflegte, für so etwas bezahlt werden.

Die Rauferei wurde immer erbitterter, der Zorn der Kampfhähne artete zur sinnlosen Wut aus. Tische und Bänke lagen umgestürzt durcheinander.

Man hämmerte einander mit Schemelbeinen auf den Kopf. Die Messer flogen aus den Taschen, die Revolver aus den Gürteln, und es knallte und krachte bald hier, bald da in dem entsetzlichen Getöse.

Der Wirt suchte noch immer entweder die Tür nach der Straße oder die nach dem Hofe zu gewinnen, als ein Dutzend Polizisten von der Rückseite des Hauses her eindrang. Es war nicht nötig gewesen, bis zu ihrer, einige hundert Schritt entfernten Wache zu laufen. Sobald vorübergehende Personen sie unterrichtet hatten, daß es in der Schenke Adam Frys wieder einmal blutige Köpfe gab, gingen sie, ohne sich besonders zu beeilen, dorthin, und mit dem Ordonnanzschritt, [21] der allen englischen Polizisten eigen ist, kamen sie gleich in hinreichender Zahl, Ruhe und Ordnung wieder herzustellen. Wahrscheinlich machten sie zwischen denen, die angegriffen hatten, und denen, die sich verteidigten, keinen besonderen Unterschied. Sie wußten aus Erfahrung, daß die einen gewöhnlich ebensoviel wert waren wie die anderen. Wenn sie die ganze Gesellschaft verhafteten, erfüllten sie ihre Pflicht jedenfalls am besten.

Obwohl das Schlachtfeld nur sehr dürftig erleuchtet war, erkannten die Polizisten unter den wütendsten Raufbolden doch sofort Len Cannon, Sexton, Kyle und Bryce; diese hatten sie ja schon wiederholt nach dem Gefängnis abgeführt. Die vier Schnapphähne sahen auch gleich, was ihnen bevorstände, und deshalb beeilten sie sich schleunigst, durch den Hof zu entkommen. Freilich, wohin sie auch fliehen mochten, morgen wurden sie doch höchst wahrscheinlich eingefangen.

Da benutzte Vin Mod, wie er Flig Balt gesagt hatte, den günstigen Augenblick, und während die übrigen sich noch weiter balgten und stießen und gegen die Polizisten vorgingen, um die Flucht der am meisten kompromittierten zu begünstigen, holte Mod Len Cannon noch ein.

»Alle vier nach dem ›James-Cook!‹ rief er ihm zu.«

Sexton, Bryce und Kyle hatten die Aufforderung gehört.

»Wann fährt der ab? fragte Len Cannon.

– Morgen mit Tagesanbruch.«

Und trotz der Polizeibeamten, gegen die sich wie auf Verabredung die ganze Bande gewendet hatte, und trotz Adam Fry, dem es besonders daran lag, sie verhaftet zu sehen, gelang es Len Cannon und seinen drei Spießgesellen, denen Flig Balt und Vin Mod nachfolgten, der drohenden Gefahr glücklich zu entwischen.

Eine Viertelstunde später trug das Boot der Brigg sie an Bord, und hier befanden sie sich im Volkslogis vorläufig in Sicherheit.

[22]
2. Kapitel
Zweites Kapitel.
Die Brigg »James-Cook«.

Die zweihundertfünfzig Tonnen große Brigg »James-Cook« war ein festgebautes Fahrzeug mit reichlicher Segelfläche und breitem Rumpfe, der ihr große Stabilität verlieh. Am Heck scharf abfallend und am Bug erhöht, hatte es nur schwach geneigte Masten und hielt sich vortrefflich bei jeder Segelstellung. Das Schiff konnte noch sehr scharf am Winde. aufkommen, glitt leicht über die Wellen dahin und legte bei einer frischen Brise bequem seine elf Knoten zurück.

Seine Besatzung bestand, wie der Leser aus dem Vorstehenden erfahren hat, aus dem Kapitän, einem Bootsmanne, sieben Matrosen, einem Koch und einem Schiffsjungen. Es fuhr unter britischer Flagge und hatte als Heimathafen Hobart-Town, die Hauptstadt Tasmaniens, das, eine der wichtigsten Kolonien Großbritanniens, der Regierung über Australien angegliedert ist.

Schon etwa seit zehn Jahren betrieb der »James-Cook« die sogenannte große Küstenfahrt im Westen des Stillen Ozeans, zwischen Australien, Neuseeland und den Philippinen, und hatte sich immer glücklicher und einträglicher Fahrten zu erfreuen gehabt, dank der mehrseitigen Beanlagung seines Kapitäns, der einen guten Seemann und einen guten Kaufmann in seiner Person vereinigte.

Der jetzt fünfzig Jahre alte Kapitän Gibson hatte die Brigg niemals verlassen, seit sie aus der Werft von Brisbane hervorgegangen war. Zu einem Viertel war sie sein persönliches Eigentum, während die anderen drei Viertel dem Reeder Hawkins in Hobart-Town gehörten. Das Schiff hatte immer reichlichen Ertrag abgeworfen, und auch die jetzige Fahrt versprach von Anfang an, guten Verdienst zu bringen.

Die Familien des Kapitäns und des Reeders standen schon seit langer Zeit in freundschaftlichster Verbindung, denn Harry Gibson war von jeher für das Haus Hawkins gefahren. Beide wohnten in Hobart-Town in demselben Stadtteile. Die Hawkins'sche Familie war ohne Kinder, die Gibsons hatte nur einen einzigen Sohn, der jetzt einundzwanzig Jahre zählte und sich dem Handelsstande widmete. Die beiden Frauen sahen sich täglich, was ihnen die Trennung von ihren Ehegatten weniger fühlbar machte. Der Reeder befand sich zur Zeit [23] nämlich in Wellington, wo er mit Nat Gibson, dem Sohne des Kapitäns, ein neues Kontor eingerichtet hatte. Von dort sollte der »James-Cook« beide nach Hobart-Town zurückbefördern, sobald das Schiff in den Archipelen der Umgebung von Neuguinea, nördlich von Australien und in der Gegend des Äquators eine volle Ladung eingenommen hatte.


Die Rauferei wurde immer erbitterter. (S. 21.)

Vom Bootsmann Flig Balt erübrigt es jetzt, zu sagen, welch Geisteskind und was er wert war, auch über welche Pläne der gewissenlose Bursche brütete. Zu seinen verbrecherischen Neigungen und seiner Eifersucht gegen den [24] [27]Kapitän gesellte sich noch eine Heuchelei, die den vertrauensseligen Gibson von Anfang an getäuscht hatte.


Ein Geyser.

Auf seine scheinbar echten Zeugnisse hin war er als Bootsmann der Brigg zu derselben Zeit angenommen worden, wo Vin Mod hier als Matrose antrat. Die beiden Männer kannten sich schon seit langem, sie waren zusammen gefahren, gleichzeitig von einem Schiffe zum anderen übergegangen und auch zusammen wieder davongelaufen, wenn sich ihnen keine Gelegenheit zu einem Schurkenstreiche bot... jetzt, bei der letzten Fahrt des »James-Cook« vor seiner Heimkehr nach Hobart-Town, hofften sie, ihr Ziel zu erreichen.

Mit seinem zur Schau getragenen Eifer und den Versicherungen seiner Ergebenheit hatte es Flig Balt verstanden, dem Kapitän Gibson das größte Vertrauen einzuflößen. Immer in Verbindung mit der Mannschaft, ließ er kein Mittel unbenutzt, seinen Einfluß auf die Leute geltend zu machen. Bei allem, was die Navigation und die geschäftlichen Angelegenheiten betraf, verließ sich Harry Gibson zwar nur auf sich selbst. Da er sich aber nur wenig zeigte, spielte sich Flig Balt meist als der erfahrene Seemann auf, der er doch keineswegs war, trotz seiner Versicherung, schon als zweiter Offizier gefahren zu sein. Daran wollte aber auch der Kapitän Gibson nicht so recht glauben. Da der gewöhnliche Dienst jedoch nichts zu wünschen übrig ließ, hatte er keine Ursache, seinem Bootsmanne irgendwelche Vorwürfe zu machen. Voraussichtlich wäre die Reise der Brigg unter den günstigsten Verhältnissen verlaufen, wenn die Desertion der vier Matrosen diese nun nicht schon vierzehn Tage zum Stilliegen in Dunedin genötigt hätte.

Die Leute, die dem Beispiele ihrer Kameraden nicht gefolgt waren, Hobbes, Wickley und Burnes, gehörten zu dem Schlage tüchtiger, dienstwilliger und mutiger Matrosen, auf die sich ein Kapitän unter allen Umständen verlassen kann. Das Entweichen der anderen wäre nicht groß zu beklagen gewesen, wenn Vin Mod sie nicht durch die Spitzbuben ersetzt hätte, die er in den »Three-Magpies« angeworben hatte. Der Leser weiß ja, was er von diesen zu halten hat und wird sie später auch beim Werke sehen.

Zur Besatzung gehörten auch noch ein Schiffsjunge und ein Koch.

Der vierzehnjährige Schiffsjunge Jim stammte aus einer ehrbaren Handwerkerfamilie, die in Hobart-Town wohnte und ihren Sohn dem Kapitän Gibson anvertraut hatte. Es war ein guter Junge, voller Liebe zu seinem Berufe und so behende und dienstwillig, daß er ein tüchtiger Seemann zu werden versprach.

[27] Gibson behandelte ihn gewissermaßen als Vater, obwohl er ihm nichts durchgehen ließ, und Jim bewahrte jenem dafür die wärmste Zuneigung. Anderseits hegte Jim instinktmäßig einen gewissen Widerwillen gegen den Bootsmann Flig Balt, und dieser, dem das keineswegs entging, suchte den Jungen immer bei einem Fehler zu ertappen, was nicht selten das Dazwischentreten Gibsons nötig machte.

Der Koch Koa gehörte zu der Klasse von Eingebornen, die die »zweite Rasse der Neuseeländer« bildet, die Leute von mittlerer Größe mit der Hautfarbe des Mulatten, aber kräftig und sehr gelenkig sind und krause, wollige Haare haben. Ihnen gehört in der Hauptsache das Volk der Maoris an. Nach Beendigung der jetzigen ersten Reise an Bord der Brigg, die der Schiffskoch mitmachte, wollte Harry Gibson diesen verabschieden, denn er hatte sich als mürrischer, boshafter und rachsüchtiger – überdies recht unsauberer – Patron gezeigt, bei dem alle Zurechtweisungen und Strafen keinerlei Wirkung hatten. Flig Balt hatte gewiß nicht unrecht, ihn zu denen zu zählen, die nicht zögern würden, sich gegen den Kapitän aufzulehnen. Vin Mod und der Koch verstanden sich vortrefflich. Der Bootsmann sah dem zweiten alles nach, entschuldigte ihn, so gut er konnte, und bestrafte ihn nur, wenn das nicht zu umgehen war. Koa wußte auch bereits, daß er mit der Ankunft in Hobart-Town abgemustert werden sollte, und mehr als einmal drohte er, sich dafür zu rächen. Flig Balt, Vin Mod und er nebst den vier Neuangeworbenen, das waren also ihrer sieben gegenüber Gibson, den drei anderen Matrosen und dem Schiffsjungen. Freilich sollten der Reeder Hawkins und Nat Gibson in Wellington noch an Bord kommen, und dann war das Stärkeverhältnis nicht mehr so ungleich. Dagegen lag die Möglichkeit vor, daß Flig Balt sich schon während der Überfahrt zwischen Dunedin und Wellington des Schiffes bemächtigen konnte, so kurz diese Fahrt auch war. Wenn sich dazu eine Gelegenheit bot, wollte Vin Mod sie sich nicht entgehen lassen.

Seit vier Monaten auf der Küstenfahrt, hatte der »James-Cook« verschiedene Häfen angelaufen, wo er seine Fracht mit gutem Nutzen gelöscht oder andere eingenommen hatte. Nachdem er der Reihe nach Malikolo, Merena und Eromanga an den Neuen Hebriden und darauf Vanoua Linon an den Fidschiinseln berührt hatte, sollte die Brigg noch vor Wellington ankern, wo Hawkins und Nat Gibson sie erwarteten. Von hier wollte sie, mit allerhand minderwertigen Kleinwaren für die Eingeborenen wohl versorgt, nach den Inselgruppen [28] von Neuguinea segeln, von wo dafür Perlmutter und Koprah, wenigstens für zehn-bis zwölftausend Piaster, zurückbefördert werden sollten. Von dort gedachte man die Heimreise nach Hobart-Town anzutreten und höchstens noch, wenn es die Umstände erheischten, in Brisbane oder in Sydney Halt zu machen. Noch zwei Monate, dann lag die Brigg voraussichtlich wieder in ihrem Heimathafen.

Der unfreiwillige Aufenthalt vor Dunedin kam Gibson erklärlicherweise höchst ungelegen. Durch Briefe und zwischen Dunedin und Wellington gewechselte Telegramme war Hawkins von der Ursache der unliebsamen Verzögerung unterrichtet, und er drängte den Kapitän deshalb, seine Mannschaft zu vervollständigen. Er sprach sogar davon, im Notfalle selbst nach Dunedin zu kommen, obschon Geschäftsangelegenheiten vorläufig noch seine Anwesenheit in Wellington verlangten.

Gibson hatte, wie der Leser weiß, nichts versäumt, dem Wunsche des Reeders nachzukommen, er war dabei nur gar zu vielen Schwierigkeiten begegnet, ganz wie eine Anzahl anderer Kapitäne, die sich in derselben Notlage befanden. Endlich hatte Flig Balt Erfolg gehabt, und als die vier Matrosen aus der Schenke zu den »Three-Magpies« das Deck der Brigg betreten hatten, ließ er sofort alle Boote aufwinden, damit die neuen Leute in der Nacht nicht etwa wieder entweichen könnten.

Noch im Laufe des Abends berichtete Flig Balt dem Kapitän, wie die Sache zugegangen war und wie er bei einer Rauferei den Augenblick benutzt hatte, Len Cannon und die drei anderen den Händen der Polizei zu entrücken. Was sie wert seien, würde er – der Kapitän – ja bald sehen. Meist beruhigten sich solche Hitzköpfe sofort, wenn das Schiff in Fahrt wäre, und wenn sie dann sozusagen unter sich sind, werden es oft die brauchbarsten Matrosen. Jedenfalls glaubte der Bootsmann, unter den vorliegenden Verhältnissen sein Bestes getan zu haben.

»Ich werde sie mir morgen ansehen, sagte Gibson.

– Ja... morgen, antwortete Flig Balt, es ist auch das beste, Kapitän, sie ihren Gin über Nacht verdauen zu lassen.

– Meinetwegen; übrigens liegen die Boote ja auf ihren Ständern, und wenn die Burschen nicht über Bord springen...

– Das können sie auch nicht, Kapitän; ich habe sie hinunter in den Frachtraum geschickt, und von da kommen sie erst im Augenblick der Abfahrt wieder heraus...

[29] – Ja, aber morgen... bei hellem Tage, Balt?

– O, morgen wird sie schon die Furcht, der Polizei in die Hände zu fallen, hier zurückhalten.

– Nun also, auf morgen,« antwortete Gibson beruhigter.

Die Nacht verstrich; jedenfalls war es aber unnötig gewesen, Len Cannon und seine Kameraden einzusperren, denn sie dachten gar nicht daran, sich zu erheben und schliefen den Totenschlaf der Betrunkenen.

Mit Anbruch des nächsten Tages traf der Kapitän Gibson die erforderlichen Vorbereitungen zur Abfahrt. Seine Schiffspapiere waren schon in Ordnung, so daß er nicht noch einmal ans Land zu gehen brauchte. Jetzt mußten die Neuangeworbenen aufs Deck gerufen werden.

Vin Mod öffnete die große Luke, und völlig ernüchtert kamen die vier Matrosen herauf und gingen an die Arbeit ohne das geringste Anzeichen dafür, daß sie vielleicht wieder fliehen möchten.

Als sie da vor dem Kapitän erschienen, erhielt dieser von ihnen zwar einen höchst ungünstigen Eindruck, er wußte das aber nicht sichtbar werden zu lassen, betrachtete sie nur aufmerksam und fragte schließlich nach ihren Namen, um diese in die Mannschaftsrolle einzutragen.

Bei der Namensnennung gaben sie gleichzeitig ihre Nationalität an: es waren zwei Engländer, ein Irländer und ein Amerikaner. Eigene Wohnungen hatten sie nicht, ihr Heim waren die Spelunken beim Hafen, deren Wirte meist gleichzeitig Nachtgäste aufnehmen. Ihre Habseligkeiten, das heißt das, was der Matrose an unumgänglichen Bedürfnissen in seinem Sacke mitzubringen pflegt, hatten sie nicht mitnehmen können. Flig Balt stellte ihnen dafür die Kleidungsstücke, die Leibwäsche und die sonstigen Gegenstände der früher Desertierten zur Verfügung, da diese ihr Eigentum doch niemals zurückfordern würden. Dadurch wurde es unnötig, sie erst noch nach ihren eigenen Reisesäcken zu schicken, und den Leuten schien das auch sehr recht zu sein.

Als Len Cannon, Sexton, Kyle und Bryce sich nach dem Vorderdeck begeben hatten, sagte Gibson achselzuckend:

»Eine verdächtige Gesellschaft, Balt! Ich glaube kaum, daß Ihr dabei eine glückliche Hand gehabt habt. Man muß die Burschen im Auge behalten, und zwar sehr scharf...

– Ja... natürlich, Kapitän. Übrigens sollen sie ihre Sache recht gut verstehen, wie mir ein Offizier vom ›West-Pound‹, der auch hier still liegt, mitteilte [30] – Sie hatten diese Leute also schon vorher ins Auge gefaßt?

– Ja... das heißt, erst seit wenigen Tagen...

– Und jener Offizier kannte sie?...

– Er hat sie auf langer Fahrt unter sich gehabt, und seiner Aussage nach sind es tüchtige Seeleute.«

Der Bootsmann log hier in unverschämtester Weise. Kein Offizier hatte ihm von den vier Männern ein Wort gesprochen; seine Aussage konnte aber nicht weiter kontrolliert werden, und Gibson hatte keine Ursache, an ihrem Werte zu zweifeln.

»Es wird jedenfalls zu verhüten sein, daß alle vier gleichzeitig Wache haben, sagte der Kapitän. Bringen Sie mir immer die beiden Engländer mit Hobbes und Wickley, und den Irländer und den Amerikaner mit Burnes und Vin Mod zusammen. Das dürfte sicherer sein...

– Wie Sie wünschen, Kapitän; ich wiederhole Ihnen aber: einmal draußen auf hoher See, werden sie schon ihre Schuldigkeit tun. Nur beim Aufenthalt in einem Hafen, und vorzüglich in Wellington, müssen die Leute streng überwacht werden. Jedenfalls dürfen sie keinen Landurlaub bekommen, sonst kehrten sie vielleicht nicht wieder an Bord zurück!

– Mag sein, Balt, Vertrauen flößen sie mir aber nicht ein, und wenn ich in Wellington für sie andere einstellen kann...

– So werden sie abgemustert,« stimmte der Bootsmann ein.

Flig Balt wollte nicht widersprechen, um nicht den Schein zu erwecken, daß ihm an diesen »Gelegenheits-Matrosen« besonders gelegen wäre.

»Ich kann Ihnen nur versichern, Kapitän, setzte er noch hinzu, daß ich mein Bestes getan habe, und große Auswahl hatte ich ja auch nicht!«

Gibson begab sich nach dem Hinterdeck zu dem Manne am Ruder, während Flig Balt nach dem Vorderdeck ging, um den Anker aufwinden und am Deck festlegen zu lassen, sobald die Segel in Ordnung wären.

Der Kapitän beobachtete den Kompaß in der Messingumhüllung, der auf einer Art Säule frei vor dem Steuer stand, sah dann nach dem Wimpel am Top des Großmastes und hierauf nach der britischen Flagge, die an der Gaffel des Briggsegels im Winde flatterte.

Noch schwankte der »James-Cook« an seiner Kette inmitten des Hafens. Der von Nordwesten wehende Wind mußte sein Auslaufen begünstigen. Wenn das Schiff durch den Kanal bis zum Chalmershafen gekommen war, fand es [31] auch eine günstige Brise, längs der Ostküste Neuseelands bis zu der, die beiden Inseln trennenden Meerenge hinabzusegeln. Einige vor dem Kanal verankerte Fahrzeuge nötigten es jedoch, erst seitwärts zu steuern, wodurch es sehr in die Nähe des Kais kam, der, von ihm zur Rechten, den Hafen begrenzte.

Gibson erteilte seine Befehle. Nach einander wurden die beiden Marssegel, dann das Focksegel, hierauf die Klüver- und das Briggsegel gehißt. Dabei zeigte es sich überall, daß Len Cannon und seine Kameraden ihre Sache verstanden, und wenn sie nach den Stengen der Bramsegel hinaufzusteigen hatten, geschah das in einer Weise, die deutlich zeigte, daß sie für den Dienst als Marsgasten nichts mehr zu lernen brauchten.

Der schon aufgerichtete Anker wurde in dem Augenblick aufgewunden, wo man die Schoten anzog, um der Brigg die gewünschte Richtung zu geben. Flig Balt und Vin Mod konnten während dieses Manövers einige Worte wechseln.

»Na, sagte der zweite, unsere Neuen machen ja ihre Sache gut...

– Ganz wie sich's gehört, Mod...

– Noch drei solche Burschen, und wir hätten die Mannschaft, die wir brauchen...

– Und das Schiff, das wir brauchen, obendrein, setzte Flig Balt halblaut hinzu.

– Und auch den Kapitän, den wir brauchen!« er klärte Vin Mod, der die Hand an die Mütze legte, als stände er vor seinem Vorgesetzten.

Flig Balt bedeutete ihm, zu schweigen, aus Furcht, daß die Worte von dem Schiffsjungen verstanden werden könnten, der eben beschäftigt war, die Schote des kleinen Klüversegels umzulegen. Der Bootsmann schickte sich schon an, nach dem Volkslogis zu gehen, als Vin Mod ihn noch fragte, wie die vier Stammgäste der »Three-Magpies« dem Kapitän denn gefallen hätten.

»O, nicht besonders, antwortete Flig Balt.

– Ja freilich, äußerlich machen sie gerade keinen einnehmenden Eindruck, gab Vin Mod zu.

– Es würde mich gar nicht wundern, wenn er sie schon in Wellington ablohnte, sagte Flig Balt.

– Um in Wellington vor Anker zu gehen, meinte Vin Mod, die Achseln zuckend, müßte man freilich nach Wellington steuern. Ich hoffe aber, wir kommen überhaupt nicht dahin und es wird dort niemand ausgesetzt.

– Keine Unklugheiten, Mod...

[32] – Nun also... Flig Balt, der Kapitän ist nicht zufrieden?

– Nein.

– Was tut das, wenn wir's nur sind?«

Der Bootsmann begab sich nach dem Hinterdeck.

»Nun... ist alles in Ordnung? fragte ihn Gibson.

– Alles, Herr Kapitän.«


Len Cannon und Bryce.

Der »James-Cook« schlug nun eine Richtung ein, mit der er sich dem Kai näherte, dessen Kopf er in kaum einer halben Kabellänge Entfernung umschiffen mußte.

[33] Hier hatte sich eine Gruppe von Seeleuten und müßigen Zuschauern gesammelt, für die ein Fahrzeug unter Segel allemal ein gewisses Interesse haben... Seit mehreren Wochen war man dieses Anblickes beraubt gewesen, da die Schiffe hier ihren Ankerplatz nicht hatten verlassen können.

In der Gruppe befanden sich aber auch einige Polizisten, deren Aufmerksamkeit dem »James-Cook« ganz besonders gewidmet schien, das zeigte sich in ihrer Haltung und in ihren Bewegungen. Zwei oder drei der Beamten liefen sogar ganz vorn nach dem Kopfende des Kais, wo die Brigg ganz nahe vorbeikommen mußte.

Offenbar gehörten diese Polizisten – Flig Balt und Vin Mod konnten sich darüber gar nicht täuschen – zu denen, die sie gestern in der Schenke Adam Frys gesehen hatten. Len Cannon und seine Kameraden liefen also Gefahr, erkannt zu werden, und wer weiß, ob der »James-Cook«, wenn er angerufen und ihm befohlen wurde, beizudrehen, nicht in die Lage kam, die Matrosen aus den »Three-Magpies« wieder auszuliefern.

Der Kapitän Gibson jedoch, der nun einmal entschlossen war, die neuen Leute streng zu beobachten, fand es zweckmäßiger, sie zu behalten, was es ihm wenigstens ermöglichte, in See zu gehen, und er wäre ja in die größte Verlegenheit gekommen, wenn er die Matrosen wieder der Polizei überlassen müßte. Nach wenigen Worten, die ihm Flig Balt hastig zuflüsterte, stimmte er auch zu, daß Vin Mod sofort, und ehe sie bemerkt würden, Len Cannon, Sexton, Kyle und Bryce vom Deck wegschickte.

»Hinunter!... Hinunter!« rief Vin Mod ihnen zu.

Die Matrosen warfen einen flüchtigen Blick nach dem Kai, sie erkannten sofort die Lage der Dinge und verschwanden eiligst durch die Treppenkappe. Am Deck wurden sie gerade jetzt nicht mehr gebraucht, denn der Steuermann konnte den »James-Cook« ohne weitere Veränderung der Segelstellung nach dem Kanale führen.

Die Brigg näherte sich dem Ende des Kais immer mehr und fuhr sogar noch dichter, als es die Schiffe sonst tun, an dieses heran, da sie eben noch einem amerikanischen Dampfer ausweichen mußte, der ihr unter den kreischenden Tönen seiner Heulpfeife entgegenkam.

Die Polizisten konnten sich also die Matrosen an Bord leicht genau ansehen, und wenn Len Cannon und die übrigen sich nicht versteckt hätten, wären sie gewiß erkannt und auf der Stelle abgeführt worden.

[34] Die Beamten sahen sie jedoch nicht, und die Brigg konnte in den Kanal einlaufen, sobald der Dampfer den Eingang freigegeben hatte.

Jetzt war nichts mehr zu fürchten; die vier Matrosen kamen wieder zum Vorschein.

Ihre Hilfe war auch wieder nötig. Der sich von Südwesten nach Nordosten hinziehende Kanal macht mehrere Windungen, so daß bei jeder solchen die Schoten angezogen oder nachgelassen werden müssen.

Von einer günstigen Brise getrieben, segelte die Brigg ohne Schwierigkeiten zwischen den grünen, mit Villen und Landhäusern übersäten Ufern hin, auf deren einem die Eisenbahn verläuft, die Dunedin mit dem Chalmershafen verbindet.

Es war kaum acht Uhr, als die Brigg diesen Außenhafen passierte und nun aufs offene Meer hinauskam. Dann steuerte sie mit Backbordhalsen, den Leuchtturm von Otago und das Kap Sanders im Süden liegen lassend, rasch längs der Ostküste Neuseelands hin.

3. Kapitel
Drittes Kapitel.
Vin Mod am Werke.

Die Strecke zwischen Dunedin und Wellington, mit Einschluß der Meerenge, die die beiden großen Inseln trennt, beträgt kaum vierhundert Seemeilen. Hielt der Nordwestwind an, so stand an der Küste auch weiter eine freundliche See, und bei zehn Knoten konnte der »James-Cook« dann am zweitfolgenden Tage in Wellington eintreffen.

Ob es während dieser kurzen Fahrt Flig Balt wohl gelingen sollte, seinen schändlichen Plan auszuführen, sich des Kapitäns und der anderen Mannschaft zu entledigen, um die Brigg in seine Gewalt zu bekommen und sie weit hinaus nach dem Stillen Ozean zu steuern, wo ihm Sicherheit und Straflosigkeit winkte?...

[35] Wie Vin Mod zu Werke gehen wollte, ist dem Leser bereits bekannt: Gibson und die Leute von der Mannschaft, die treu zu diesem hielten, sollten überrascht, gepackt und über Bord geworfen werden, ehe sie dazu kämen, sich zu verteidigen. Zunächst war es freilich nötig, Len Cannon und dessen Kameraden in das Komplott einzuweihen – was voraussichtlich keine Schwierigkeiten machte – bei ihnen sozusagen vorsichtig anzuklopfen und sich ihren Beistand zu sichern. Das gedachte Vin Mod gleich am ersten Reisetage zu tun, um schon in der nächsten Nacht seine Pläne ausführen zu können. Nach achtundvierzig Stunden sollte die Brigg ja in Wellington die Herren Hawkins und Nat Gibson an Bord nehmen; es war also notwendig, daß der »James-Cook« schon in der nächsten oder spätestens in der zweitfolgenden Nacht Flig Balt und seinen Helfershelfern in die Hände fiel, da sich sonst die Aussicht auf Erfolg nicht wenig verminderte und eine gleichgute Gelegenheit sich wahrscheinlich niemals wieder darbot.

Was die Zustimmung Len Cannons, Sextons, Kyles und Bryces betraf, glaubte Vin Mod, daß das gar nicht in Frage kommen könne bei Leuten ohne Glauben und ohne Achtung vor dem Gesetz, ohne Gewissen und Skrupel, denen es doch verlockend genug erscheinen mußte, im Stillen Ozean, wo der Arm der Gerechtigkeit sie nicht mehr erreichte, einträgliche Fahrten auf gemeinsame Rechnung zu unternehmen.

Der südliche Teil Neuseelands, die Insel Tawai-Pounamon, zeigt die Gestalt eines in seiner Mitte etwas ausgedehnten, länglichen Viereckes, dessen Achse von Nordost nach Südwest verläuft. Der nördliche Teil der Insel Ikana-Maoui dagegen erscheint als ein unregelmäßiges Dreieck mit einer schmalen Landzunge, die in das Kap Nord ausläuft.

Die Küste, der die Brigg folgte, ist vielfach zerrissen und mit gewaltigen, sonderbar geformten Felsblöcken gesäumt, die aus der Ferne fast riesigen Mastodons gleichen, welche daran gestrandet wären. Da und dort täuscht eine Reihe von Bogen den Kreuzgang eines Klosters vor, und donnernd braust die Flut selbst bei schönem Wetter zwischen die Pfeiler hinein. Ein Schiff, das geradenwegs auf diese Küste zuliefe, wäre rettungslos verloren, und drei oder vier anstürmende Wogen würden hinreichen, es zu zertrümmern. Glücklicherweise können Schiffe, die von einem Sturme aus Osten oder aus Westen überfallen werden, die äußersten Vorgebirge Neuseelands allemal leicht umschiffen. Außerdem finden sie, bei der Unmöglichkeit, in einen Hafen einzulaufen, guten Schutz in [36] zwei Meerengen: in der Cookstraße, die beide Inseln trennt, und in dem Foveauxsunde zwischen Tawai-Pounamou und der Insel Stewart ganz im Süden des Landes. Hier gilt es nur den gefährlichen Riffen von Snares auszuweichen, wo die Wogen aus dem Indischen und Stillen Ozean aufeinander prallen, eine Stelle, die schon viele schreckliche Schiffsunfälle gesehen hat.

Hinter dem Ufer steigt eine mächtige Bergkette auf, die zahlreiche Krater enthält und von der aus mehrere herabstürzende Wasserfälle verschiedene, trotz ihrer Kürze doch recht ansehnliche Flüsse speisen. Auf dem Bergabhange erheben sich Waldungen mit oft außerordentlich hohen Bäumen, wie Fichten von hundert Fuß Höhe und zwanzig Fuß Duchmesser, eine Zedernart mit Blättern gleich denen der Olive, mit dem harzreichen »Kudy«, dem »Kaïkatea« mit sehr zäher Belaubung und roten Beeren, dessen Stamm zwischen Fuß und Gipfel keine Äste hat.

Kann Ika-na-Maoui sich brüsten mit dem Reichtum seines Bodens, mit seiner fast unerschöpflichen Fruchtbarkeit und einer Pflanzenwelt, die an manchen Stellen der der prächtigsten Erzeugnisse der Tropenflora gleichkommt, so ist Tawai-Pounamou dagegen von der Natur entschieden weniger begünstigt. Kaum der zehnte Teil seines Gebietes hat kulturfähigen Boden. In den bevorzugteren Bezirken können die Eingebornen aber immer noch etwas Mais, mancherlei krautartige Nutzpflanzen und eine große Menge Kartoffeln erbauen, abgesehen von der sehr reichlichen Ernte an einer Farrenkrautwurzel, der Pteris esculenta, die einen Hauptbestandteil ihrer Nahrung bildet.

Der »James-Cook« näherte sich der Küste, deren Wassertiefen Harry Gibson genau kannte, zuweilen so weit, daß der Gesang verschiedener Vögel, darunter als melodiösester der des »Pou«, an Bord deutlich gehört werden konnte. Dazwischen vernahm man die Gaumenlaute von mancherlei Papageien, den Schrei von Enten mit scharlachrotem Schnabel und ebenso gefärbten Beinen und Füßen, ohne von zahlreichem anderen Wassergeflügel zu reden, von dem einzelne kühne Vertreter sogar durch die Takelage des Fahrzeuges flatterten. Und wenn dessen Kiel ihre Kreise störte, wie hastig entwichen da die Cetaceen, diese Elefanten, diese Löwen der Weltmeere, wie stoben da die wegen ihres Fettes und ihres Pelzfelles so geschätzten Robben auseinander, von denen zweihundert genügen, hundert Barrels mit Öl zu füllen!

Die Witterung blieb beständig. Wenn der Wind abflaute, konnte das erst gegen Abend der Fall sein, da er dann vom Lande her wehte und sich an der [37] Bergkette im Inneren brach. Bei dem herrschenden klaren Sonnenscheine wehte er in den höheren Luftschichten und trieb auch die Brigg, die ihre Stag- und Leesegel führte, schnell vorwärts. Kaum je brauchte man die Schoten nachschießen zu lassen oder das Steuer umzulegen. Die Neuangeworbenen verstanden auch als Seeleute die guten nautischen Eigenschaften des »James-Cook« zu würdigen.

Gegen elf Uhr zeigte kurz vor dem Hafen von Oamaru der Herbertberg seinen kugelähnlichen Gipfel, der fünftausend Fuß über die Meeresfläche emporragt.

Vergebens versuchte Vin Mod im Laufe des Vormittages mit Len Cannon zu sprechen, den er für den gewecktesten und einflußreichsten der vier Matrosen aus Dunedin ansah. Gibson hatte, wie erwähnt, angeordnet, daß diese Leute eine Wache niemals gemeinsam übernehmen sollten, denn jedenfalls war es ratsamer, sie von einander getrennt zu halten. Da übrigens mit der Segelführung nichts zu tun war, überließ der Kapitän dem Bootsmanne die Aufsicht über das Schiff und beschäftigte sich in seiner Kabine mit der Ordnung und dem Abschluß verschiedener Rechnungen.

Eben jetzt stand Hobbes am Steuer. Vin Mod ging, abwechselnd an jeder Seite des Volkslogis, zwischen Großmast und Heck hin und her. Zwei andere Matrosen, Burnes und Bryce, schlenderten an der Schanzkleidung hin, ohne ein Wort zu wechseln. Vin Mod und Len Cannon standen beide unter dem Winde, so daß ein Gespräch zwischen ihnen jetzt von niemand gehört werden konnte.

Als der Schiffsjunge Jim in ihre Nähe kam, wiesen sie ihn barsch weg, und aus Vorsicht beauftragte ihn Balt auch noch, das Kompaßgehäuse zu putzen.

Die beiden anderen Kameraden Len Cannons, Sexton und Kyle, die jetzt keine Wache hatten, zogen die frische Seeluft der dunstigen, warmen Atmosphäre des Volkslogis vor. Vorn am Bug belustigte sie der Koch Koa mit seinen groben Scherzen und abscheulichen Grimassen. Man mußte es sehen, wie stolz sich dieser Eingeborne auf die Tätowierung seines Gesichtes, seines Rumpfes und seiner Glieder zeigte, auf den »Moko« der Neuseeländer, der die Haut tief einfurcht, statt sie nur zu ritzen, wie das bei den meisten Völkerschaften der Inseln des Stillen Ozeans Gebrauch ist. Alle Eingebornen werden der Ausführung des »Moko« nicht unterzogen. Die Koukis oder Sklaven würdigt man dieser »Verschönerung« nicht, überhaupt nicht die Leute der niederen Kasten, wenn sie sich nicht durch hervorragende Kriegstaten besonders ausgezeichnet haben Deshalb war Koa auf seinen Hautschmuck auch nicht wenig eitel.

[38] Er verstand es – was Sexton und Kyle stark zu interessieren schien – diesen seine Tätowierungen gründlich zu erklären, er erzählte, unter welchen Umständen seine Brust mit der und jener Zeichnung geschmückt worden war, und wies auf seine Stirn, die seinen Namen in unverwischbaren Schriftzeichen aufwies, die er auch am alles in der Welt nicht verwischt gesehen hätte.

Infolge dieser Operationen, die sich meist über den ganzen Körper erstrecken, gewinnt die Haut der Eingebornen ansehnlich an Dicke und Festigkeit. Die Leute erlangen dadurch eine vermehrte Widerstandsfähigkeit gegen die Unbill des Winterklimas und... gegen die Stiche der Moskitos, so daß viele Europäer sich beglückwünschen würden, wenn sie um den gleichen Preis der Plage durch jene unausstehlichen Insekten entgehen könnten.

Während nun Koa, instinktiv getrieben durch eine natürliche Sympathie für Sexton und dessen Kameraden, den Grund zu einem engeren Freundschaftsbündnis legte, »bearbeitete« Vin Mod selbst Len Cannon, der wiederum nur auf diesen zu warten schien.

»Na, Freund Cannon, begann Vin Mod, da wärst du ja an Bord des ›James-Cook‹!... Ein hübsches Schiff, nicht wahr?... Und eins, das seine elf Knoten läuft, ohne daß man die Hand zu rühren braucht...

– Ja wohl, Mod...

– Und mit einer schönen Ladung im Bauche... einer kostbaren Fracht...

– Desto besser für den Reeder.

– Für den Reeder... hm... oder für einen anderen! Indes... wir haben ja nur die Arme zu kreuzen, während die Brigg flott dahinsegelt...

– Heute... ja, heute ist alles gut und schön, antwortete Len Cannon, doch morgen... wer weiß...

– Morgen... übermorgen... immerfort! rief Vin Mod, indem er Len Cannon auf die Schulter klopfte. Ist es so nicht weit schöner, als am Lande kleben geblieben zu sein? Wo wäret ihr denn, deine Kameraden und du, wenn ihr jetzt nicht auf dem Deck hier ständet?

– Wo?... Natürlich in den »Three-Magpies«, Mod...

– Nein... nach dem, wie ihr dort aufgetreten seid, hätte euch Adam Fry vor die Türe gesetzt. Dann wären die Polizisten gekommen, hätten euch alle vier zum Mitgehen eingeladen, und da ihr allem Anscheine nach nicht die Leute dazu seid, euch vor dem Polizeigericht reinzuwaschen... na, da hätte man euch[39] eben Gelegenheit gegeben, im Gefängnis von Dunedin euch so ein paar Monate lang zu erholen...

– Ach was... so eine Zelle in der Stadt und ein Schiff auf dem Meere, das kommt ja doch auf eins hinaus, erwiderte Len Cannon, der mit seinem Geschick noch immer zu hadern schien.

– Was? rief Vin Mod, eine Teerjacke, die solches Zeug schwätzt!

– Wir hatten einmal nicht die Absicht, zu fahren, erklärte Len Cannon, und ohne die gestrige, verwünschte Katzbalgerei wären wir schon weit weg auf dem Wege nach Otago.

– Um euch zu schinden und zu plagen... halb zu verhungern und zu verdursten, und um was denn zu erwerben?...

– Natürlich, um ein Vermögen zu erwerben, entgegnete Len Cannon.

– Ein Vermögen?... Dort in den Goldfundstätten? antwortete Vin Mod. O, da ist ja nichts mehr zu erangeln... Hast du denn die vielen nicht gesehen, die von da zurückgekehrt sind?... Taube Kiesel haben sie eingesteckt, um nicht mit ganz leeren Taschen zurückzukommen! An Pepiten (Goldklümpchen) ist die Ernte eingeheimst, und so etwas wächst nicht wieder von einem Tage... nicht einmal von einem Jahre zum anderen!

– O, ich kenne doch so manche, die es nicht zu bereuen hatten, ihr Schiff mit den Erzlagern der Clutha vertauscht zu haben...

– Und ich, ich kenne vier, die es nicht bereuen werden, an Bord des »James-Cook« gekommen zu sein, statt im Inneren umherzuirren!

– Und das sagst du zu uns?

– Zu und für euch, und für zwei oder drei andere unternehmende Burschen deines Schlages!

– Und du willst uns weismachen, ein Matrose könnte den Rest seiner Tage etwas zu essen, zu trinken und ein bischen darüber dadurch gewinnen, daß er für Rechnung eines Kapitäns und eines Reeders von einer Insel zur anderen segelte?

– Nein, das gewiß nicht, erwiderte Vin Mod, außer wenn er's für eigene Rechnung tut.

– Und wie macht er das, wenn er nicht selbst Eigentümer des Schiffes ist?

– O, das kann man doch manchmal werden...

– So?... Glaubst du denn, meine Kameraden und ich hätten in der Bank von Dunedin Geld liegen, ein Schiff zu kaufen?

[40] – Nein... alter Freund, das nicht! Und wenn ihr je einen Sparpfennig erübrigt hättet, so wäre der doch bald durch die Hände Adam Frys oder eines anderen Bankiers dieser Art gegangen.


Tätowierter Neuseeländer.

– Na also, Mod: kein Geld, kein Schiff, denn ich glaube doch nicht, daß es Gibson etwa einfiele, uns das seinige zu schenken...

– Nein, doch es könnte sich ja ein Unglück ereignen. Wenn der Kapitän Gibson nun verschwände... durch einen Unfall... einen Sturz über Bord... das kann selbst den besten Kapitänen passieren. Eine überbrechende Woge... [41] weiter braucht's ja nichts, euch aus dem Schlamm zu ziehen... und dann in der Nacht... ohne daß es einer bemerken kann... und am nächsten Morgen... ja, da ist niemand mehr da...«

Len Cannon sah Vin Mod scharf in die Augen und fragte sich, ob er diese Sprache wohl richtig verstehe...

Der andere fuhr in seiner Rede fort:

»Und was geschieht nachher? Man ersetzt natürlich den Kapitän, und in einem solchen Falle übernimmt der Obersteuermann als zweiter Offizier die Führung des Fahrzeuges, fehlt es an einem solchen, so tritt der Leutnant ein...

– Ja, und wenn kein Leutnant da ist, fiel Len Cannon mit gedämpfter Stimme ein, nachdem er den anderen verständnisvoll mit dem Ellbogen gestoßen hatte, wenn kein Leutnant da ist, dann kommt der Bootsmann an die Reihe...

– Ganz recht, alter Freund, und mit einem Bootsmann wie unserem Flig Balt, da kommt man schon fort...

– Doch nicht, wohin man kommen sollte? warf Len Cannon mit einem scheuen Seitenblick dazwischen.

– Nein... doch wohin man kommen will, antwortete Vin Mod, dahin, wo ein gutes Geschäft zu machen ist... wo man wertvolle Ladung bekommt... Perlmutter, Koprah, Gewürze... alles das im Lastraume der›Little-Girl‹.

– Wie... der ›Little-Girl‹?...

– Das würde der neue Name des ›James-Cook‹ sein... ein hübscher Name, nicht wahr?... Einer, der uns doch Glück bringen muß!«

Mochte es nun dieser oder ein anderer Name sein – obgleich Vin Mod an dem genannten besonders zu hängen schien – jedenfalls stand hier ein Geschäft in Aussicht. Len Cannon war hell genug einzusehen, daß diese Andeutungen an ihn und seine Kameraden aus den »Three-Magpies« gerichtet waren. Gewissensbisse würden sie sicherlich nicht zurückschrecken. Vor jeder wirklichen Zusage mußte man die Sache aber ebenso gründlich kennen und wissen, wie die Ausführung möglich wäre. Nach kurzer Überlegung sagte dann Len Cannon, der sich vorsichtig umsah, ob jemand sie hören könnte, zu Vin Mod:

»Na, so packe nur mit allem aus!«

Vin Mod teilte ihm nun mit, was er bezüglich dieser Angelegenheit mit Flig Balt verabredet hatte. Der für einen derartigen Vorschlag sehr empfängliche Len Cannon verriet kein Erstaunen über das, was er eben gehört hatte, keinen Widerwillen, es ausführlicher zu besprechen, und kein Zögern, darauf einzugehen. [42] Sich des Kapitäns Gibson und der Leute, die einer Meuterei gegen ihn abhold waren, zu entledigen, sich der Brigg zu bemächtigen, deren Namen und, wenn nötig, deren Nationalität zu wechseln und im Stillen Ozean auf Teilung des Gewinnes damit umherzusegeln, das war Wasser auf die Mühle dieses Schurken. Immerhin wollte er erst gewisse Sicherheiten haben und sich überzeugen, daß der Bootsmann mit Vin Mod wirklich übereinstimmte.

»Noch heut Abend nach dem Glas um acht Uhr, sobald du am Steuer stehst, wird Flig Balt mit dir sprechen, Len... und dann halt die Ohren auf...

– Er soll also den Befehl auf dem ›James-Cook‹ übernehmen? fragte Len Cannon, der es lieber gesehen hätte, überhaupt keinen Vorgesetzten zu haben.

– Natürlich... alle Wetter, wir müssen doch einen Kapitän haben! erwiderte Vin Mod. Dagegen werden wir alle, und auch du und deine Kameraden, die Reeder sein...

– Also abgemacht, Mod. Sobald ich mit Sexton, Bryce und Kyle allein bin, werd' ich ihnen Mitteilung machen...

– Die Sache hat aber Eile...

– So große Eile?...

– Ja... noch heute Nacht. Sind wir erst die Herren an Bord, dann geht's hinaus in die Weite!«

Vin Mod erklärte seinem Spießgesellen noch, warum der Gewaltstreich vor der Ankunft in Wellington ausgeführt sein müsse, da sich dort noch Hawkins und der Sohn Gibsons einschiffen sollten. Bei zwei Männern mehr wäre die Sache doch weniger sicher. Wenn es nicht diese Nacht geschehe, müßte es auf jeden Fall in der nächsten vollbracht werden... später nicht... sonst wäre der glückliche Ausgang doch zu sehr in Frage gestellt.

Len Cannon billigte diese Gründe. Noch heute Abend wollte er seine Kameraden, für die er einstehe, über die Angelegenheit unterrichten. Von dem Augenblick, wo der Bootsmann beföhle, würden sie ihm gehorchen. Vorher sollte ihm Flig Balt nur alles das bestätigen, was Vin Mod gesagt hätte. Zwei Worte würden genügen und ein Handschlag den Vertrag besiegeln. O, beim heiligen Patrick! Len Cannon würde keine schriftliche Abmachung verlangen... was versprochen würde, würde auch streng gehalten u. s. w.

Und wie es Vin Mod vorhergesagt hatte, trat Flig Balt gegen acht Uhr, als Len Cannon am Steuerruder war, aus dem Volkslogis und begab sich [43] nach dem Hinterdeck. Da sich auch der Kapitän hier gerade aufhielt, mußte er warten, bis dieser, nach Erteilung seiner Befehle für die Nacht, seine Kabine wieder aufgesucht hatte.

Noch immer wehte die nordwestliche Brise, wenn sie auch gegen Sonnenuntergang etwas abgeflaut war. Der Seegang versprach bis zum Morgen günstig zu bleiben, so daß an der Segelführung kaum etwas zu verändern war, außer daß höchstens das große und das kleine Bramsegel eingezogen würde. Die Brigg lief dann noch vor ihren Mars-, den unteren und den Klüversegeln. Übrigens hielt sie sich dicht am Winde, immer bereit, einen Kurs nach Nordosten einzuschlagen.

Der »James-Cook«, der sich jetzt gegenüber dem Hafen von Timaru befand, hatte die ausgedehnte, unter dem Namen der Canterbury-Bight bekannte Bucht zu durchfahren. Um aber die Halbinsel Banks, die jene abschließt, zu umschiffen, mußte man nun zwei Quarts anluven und backstagsweise segeln.

Gibson ließ also die Raaen brassen und die Schoten nachschießen, um die gewünschte Richtung einzuschlagen. Wenn es wieder tagte, hoffte er, unter der Bedingung, daß sich der Wind nicht gänzlich legte, die Pompeys Pillars (Pompejussäulen) hinter sich zu haben und schon Christchurch gegenüber zu liegen.

Nach Ausführung seiner Befehle blieb Harry Gibson zum größten Leidwesen Flig Balts noch bis zehn Uhr auf dem Deck und wechselte entweder mit dem Bootsmanne einige Worte oder setzte sich auf dem Hackbord nieder. Der Bootsmann, dem Vin Mod das Nötige mitgeteilt hatte, sah sich infolge dessen verhindert, mit Len Cannon zu sprechen.

Kurz, an Bord ging alles seinen gewohnten Gang. Die Brigg brauchte ihren Kurs erst gegen drei oder vier Uhr früh zu wechseln, wenn sie in Sicht des Hafens von Akarva kam. Nach einem letzten Blick nach dem Horizonte und nach den Segeln zog sich Gibson endlich nach seiner Kabine zurück, deren Fenster nach dem Vorderteile des Volkslogis zu lag.

Zwischen Flig Balt und Len Cannon bedurfte es keiner langen Verhandlung. Der Bootsmann bestätigte die Aussagen Vin Mods. Keine halben Maßregeln... der Kapitän sollte, nachdem man ihn in seiner Kabine überrumpelt hatte, einfach über Bord geworfen werden, und da man auf Hobbes, Wickley und Burnes doch nicht zählen konnte, sollten diese ihm nachfolgen. Len Cannon hatte sich also nur der Mithilfe seiner drei Kameraden zu versichern, und von ihrer Seite war gewiß kein Widerspruch zu befürchten.

[44] »Und wann? fragte Len Cannon.

– Noch diese Nacht, antwortete Vin Mod, der sich zu den beiden gesellt hatte.

– Um welche Zeit?...

– Zwischen elf Uhr und Mitternacht, erklärte Flig Balt. Dann wird Hobbes mit Sexton die Wache haben und Wickley am Steuer sein. Da brauchen wir sie nicht erst aus dem Logis hervorzuholen, und nachdem wir uns dieser ehrenwerten Teerjacken entledigt haben...

– Ja ja... ganz einverstanden,« antwortete Len Cannon, bei dem es kein Zögern und keine Gewissensbisse gab.

Er überließ damit das Steuer an Vin Mod und begab sich nach dem Vorderteile, um nun Sexton, Bryce und Kyle in den verbrecherischen Plan einzuweihen.

Am Fockmast angelangt, sah er sich aber vergeblich nach Sexton und Bryce um. Sie hätten jetzt eigentlich die Wache gehabt, doch keiner von ihnen war auf seinem Posten.

Wickley, den er deshalb fragte, zuckte als Antwort nur mit den Achseln.

»Wo sind sie denn? erkundigte sich Len Cannon.

– Im Logis... toll und voll betrunken... einer wie der andere!

– O, diese Säue! murmelte Len Cannon. Nun liegen sie die ganze Nacht im Rausche, und es ist nichts zu machen!«

Als er selbst hinunterkam, fand er seine Kameraden auf ihren Lagern ausgestreckt.... Er schüttelte sie tüchtig... wahrlich, betrunken wie unvernünftiges Viehzeug! Sie hatten aus der Kambüse eine Flasche Gin gestohlen und sie bis zum letzten Tropfen geleert. Es erwies sich unmöglich, sie aus ihrem Taumel zu erwecken, der voraussichtlich bis zum Morgen anhielt. Natürlich war auch gar nicht daran zu denken, ihnen Vin Mods Absichten mitzuteilen, und ebenso unmöglich war es, diese noch vor Sonnenaufgang auszuführen, denn ohne sie stand die Partie doch zu ungleich.

Daß Flig Balt, als er von der Sachlage hörte, in hellen Zorn geriet, kann man sich leicht denken. Vin Mod beruhigte ihn nur mit großer Mühe, und auch er hätte die elenden Trunkenbolde am liebsten an den Galgen gewünscht. Am Ende war aber doch noch nichts verloren. Was diese Nacht nicht ausgeführt werden konnte, war ja in der nächsten auszuführen. Kyle und Sexton sollten bis dahin gut beaufsichtigt und am weiteren Trinken gehindert werden.

[45] Jedenfalls hütete sich Flig Balt, sie beim Kapitän anzuzeigen; er sah ihnen jetzt ebenso wegen des Rauches wie wegen des gestohlenen Gins aus erklärlichen Gründen durch die Finger. Gibson hätte sie ja bis zur Ankunft in Wellington in den Frachtraum hinuntergeschickt, sie nachher der Hafenpolizei ausgeliefert und vielleicht, wie Vin Mod bemerkte, Len Cannon und Kyle obendrein fortgeschickt. Vin Mod hatte damit gewiß recht. Anderseits denunzieren Matrosen einander kaum jemals. Hobbes, Wickley und Burnes schwiegen also voraussichtlich still, und der Schiffsjunge wohl ebenso, so daß dem Kapitän der Vorfall also verborgen blieb.

Die Nacht verging; die Ruhe an Bord des »James-Cook« erlitt keine Störung.

Als Gibson am frühen Morgen das Deck betrat, fand er die Wachhabenden auf ihrem Posten und die Brigg nach Umschiffung der Halbinsel Banks im richtigen Kurse seewärts von Christchurch.

Der junge Tag, der 27., ließ sich gut an. Glänzend stieg die Sonne aus den Dünsten, die sich schnell auflösten, am Horizonte empor. Einen Augenblick schien es zwar, als ob ein Wind von der Seeseite her aufspringen wollte, schon von sieben Uhr ab wehte aber Landwind, der sich jedenfalls, wie am Tage vorher, aus Nordwesten halten würde. Wenn der »James-Cook« den Wind – wie die Seeleute sagen – »abkniff«, konnte er ohne die Halsen zu wechseln, nach Wellington kommen.

»Nichts Neues? fragte Gibson den Bootsmann, als dieser aus seiner Kabine herauskam, wo er die letzten Nachtstunden zugebracht hatte.

– Nein... gar nichts, Herr Gibson, antwortete Flig Balt.

– Wer ist jetzt am Ruder?

– Der Matrose Cannon.

– Über die Neuangeworbenen ist dienstlich keine Klage zu führen?

– In keiner Weise. Ich glaube, die Leute sind besser als sie aussehen.

– Desto besser, Balt, denn mir ahnt, in Wellington wird es den Kapitänen ebenso an Leuten fehlen wie in Dunedin.

– Das wäre wohl möglich, Herr Gibson...

– Ja, und wenn ich mit denen, die wir haben, halbwegs auskommen könnte...

– So wäre das das Beste!« fiel Flig Balt ein.

Bei seiner Fahrt nach Norden lief der »James-Cook« nur drei bis vier Seemeilen von der Küste dahin. Deren Einzelheiten traten bei dem hellen Sonnenlichte [46] deutlich hervor. Die hohe Kette des Kaikoura, die die Provinz Marlborough durchzieht, zeigte ihren zerrissenen Kamm in der Höhe von zehntausend Fuß. Auf den Abhängen grünten, vom Lichte vergoldet, ungeheuere, dichte Wälder, und glänzende Wasserläufe schlängelten sich nach dem Uferlande hinunter.

Inzwischenen schien die Brise sich abschwächen zu wollen, und dann legte die Brigg heute keine so große Strecke zurück, wie gestern, und voraussichtlich traf sie also noch nicht im Laufe der Nacht in Wellington ein.

In der fünften Nachmittagsstunde hatte man erst die Gipfel des Ben More in Sicht, und zwar etwas südlich von dem kleinen Hafenplatz Flaxbourne. Noch brauchte man wenigstens fünf bis sechs Stunden, den Eingang der Cookstraße zu erreichen. Da dieser Wasserweg auch ziemlich genau von Süden nach Norden verläuft, war es nicht nötig, die Segelstellung des Schiffes zu ändern.

Flig Balt und Vin Mod konnten also mit Sicherheit darauf rechnen, daß sie die ganze Nacht zur Verfügung hatten, ihre Pläne auszuführen.

Natürlich war mit Len Cannon und dessen Kameraden die Mitwirkung dabei verabredet. Sexton und Bryce, die wieder nüchtern geworden waren, und der schon vorher ins Vertrauen gezogene Kyle hatten keinerlei Einwand erhoben. Nachdem Vin Mod Len Cannon noch weiter angestachelt hatte, wartete man nur noch auf den Augenblick zum Handeln. Das war in folgender Weise gedacht:

Zwischen Mitternacht und ein Uhr, wenn der Kapitän voraussichtlich im Schlafe lag, wollten sich Vin Mod und Cannon in dessen Kabine schleichen, ihn knebeln, herausschleppen und ihn ins Meer werfen, bevor er nur einen Hilferuf ausstoßen könnte. Gleichzeitig sollten Hobbes und Burnes, die dann die Wache hatten, von Kyle, Sexton und Bryce überfallen werden und das Schicksal des Kapitäns teilen. Dann war nur noch Wickley im Volkslogis übrig, und den müßten doch Koa und Flig Balt, ebenso wie den Schiffsjungen, überwältigen können. Wenn das gelungen war, befänden sich an Bord nur noch die Urheber der Schandtat, doch kein einziger Zeuge, und der »James-Cook« sollte dann sofort wenden und mit allen Segeln nach dem Stillen Ozean im Osten von Neuseeland hinaussteuern.

Vorläufig waren die besten Aussichten vorhanden, daß die abscheuliche Verschwörung ihren Zweck erreichte. Mit Tagesanbruch würde die Brigg unter der Führung Flig Balts dann schon weit von hier entfernt sein.

[47] Gegen sieben Uhr abends kam das Kap Campbell im Nordosten in Sicht, eigentlich die äußerste Landspitze, die die Cookstraße im Süden abschließt, und der gegenüber in der Entfernung von fünfzig Seemeilen das Kap Palliser als der Ausläufer der Insel Ika-na-Maoui hervorspringt.

Mit allen Segeln, sogar mit den Leesegeln, da der Wind gegen Abend noch mehr abgeflaut war, glitt die Brigg jetzt kaum zwei Meilen von der Küste hin. Das Uferland war frei sichtbar mit seinen Basaltwänden, die schon den Fuß zu den Bergen des Inneren bilden. Der Gipfel des Waldberges erglühte wie eine feurige Spitze in den Strahlen der untergehenden Sonne. Obgleich die Gezeiten im Stillen Ozean nur gering auftreten, lief hier augenblicklich doch eine Strömung in nördlicher Richtung, die die Einfahrt des »James-Cook« in die Meerenge begünstigte.

Gegen acht Uhr war es, wo sich der Kapitän hätte in seine Kabine zurückziehen sollen, nachdem er dem Bootsmanne die Oberaufsicht übertragen hatte. Es war jetzt ja nur noch auf die Schiffe zu achten, die am Eingange zu der Wasserstraße im Ein- oder Auslaufen wären. Übrigens versprach die Nacht klar zu bleiben, und vorläufig tauchte kein Segel am Horizonte auf.

Da wurde aber um acht Uhr hinter dem Steuerbord das Erscheinen einer Rauchsäule gemeldet und bald wurde auch ein Dampfer sichtbar, der um das Kap Campbell steuerte.

Vin Mod und Flig Balt legten darauf zunächst kein Gewicht, denn seinem Kurse nach mußte das Fahrzeug die Brigg bald überholt haben.

Er war ein Aviso von der Flotte, der augenblicklich seine Flagge noch nicht zeigte. Eben jetzt krachte aber ein Gewehrschuß, und sofort flatterte der britische Unionjack von der Gaffel des Briggsegels.

Harry Gibson war auf dem Deck geblieben. Sollte er hier ausharren, so lange der Aviso sichtbar war, der offenbar denselben Kurs wie der »James-Cook« einhielt und entweder die Meerenge durchschiffen oder ebenfalls nach Wellington dampfen wollte?

Diese Frage legten sich Flig Balt und Vin Mod mit einiger Besorgnis und noch mehr Ungeduld vor, denn sie konnten es kaum noch erwarten, auf dem Deck allein zu sein.

Eine Stunde verstrich. Gibson saß noch immer in der Nähe des Deckhauses und schien gar nicht daran zu denken, hinunter zu gehen. Er wechselte einige Worte mit dem Manne am Steuer, dem Matrosen Hobbes, und betrachtete [48] [51]im übrigen den Aviso, der sich kaum noch eine Seemeile von der Brigg befand.


Gibson saß noch immer in der Nähe des Deckhauses. (S. 48.)

Die Enttäuschung Flig Balts und seiner Spießgesellen, die sich sogar zur stillen Wut steigerte, kann man sich wohl denken. Das englische Schiff fuhr jetzt nur noch mit halber Geschwindigkeit und sein überflüssiger Dampf strömte geräuschvoll aus dem Rohre neben dem Schornstein. Es schwankte auf den Wellen der langen Dünung auf und ab und rührte das Wasser nur schwach mit seinen Schraubenflügeln auf, so daß es kaum einen längeren Kielwasserstreifen als den des »James-Cook« hinter sich ließ.

Warum der Aviso seine Fahrt verlangsamt haben mochte, konnte niemand sagen. Vielleicht war an seiner Maschine etwas in Unordnung geraten oder vielleicht wollte er auch nur in der Nacht nicht nach Wellington einlaufen, wo das Fahrwasser ein ziemlich gefährliches ist.

Jedenfalls schien er aus dem oder jenem Grunde die Nacht über unter Halbdampf und deshalb stets in Sicht der Brigg bleiben zu wollen.

Das war für Flig Balt, Vin Mod und die anderen natürlich sehr störend, ja sogar ziemlich beunruhigend.

Len Cannon, Sexton, Kyle und Bryce kamen dabei nämlich auf die Vermutung, der Aviso könnte von Dunedin abgesendet sein, sie zu verfolgen, weil die Polizei, die doch von ihrer Einschiffung auf der Brigg und ihrer Abfahrt mit dieser Wind bekommen haben mochte, sie vielleicht abzufangen suchte. Freilich eine grundlose, übertriebene Befürchtung. Da erschien es doch viel einfacher, telegraphisch den Befehl abzusenden, sie beim Eintreffen in Wellington zu verhaften. Man benutzt auch kein Fahrzeug der Flotte, sich einiger Polterer von Matrosen zu bemächtigen, zumal wenn man sie im nächsten Hafen leicht dingfest machen kann.

Len Cannon und seine Kameraden sollten sich jedoch bald beruhigt sehen. Der Aviso zeigte kein Signal, mit der Brigg in Verbindung zu treten, und setzte auch kein Boot aufs Meer. Dem »James-Cook« stand also keine Durchsuchung bevor, und die Teerjacken aus den »Three-Magpies« konnten an Bord ruhig sein.

Wenn damit auch jede Besorgnis nach dieser Seite geschwunden war, so bewahrten der Bootsmann und Vin Mod doch ihren Ingrimm wie vorher. In dieser Nacht war nichts auszurichten und am nächsten Tage lag ja die Brigg in Wellington vor Anker. Sich auf den Kapitän Gibson und die drei [51] Matrosen zu stürzen, das wäre ohne Lärmen nicht abgegangen. Diese würden doch Widerstand geleistet, sich gewehrt und würden um Hilfe gerufen haben, was auf dem höchstens zwei bis drei Kabellängen entfernten Aviso gehört werden mußte. Die Meuterei konnte unter diesen Verhältnissen keinen Erfolg versprechen. Sie wäre durch das englische Schiff, das mit wenigen Schraubenschlägen neben der Brigg gelegen hätte, sofort unterdrückt worden.

»Tod und Teufel, fluchte Vin Mod halb für sich, da ist nichts zu machen! Wir liefen doch nur Gefahr, in der nächsten Stunde an der großen Raa des verwünschten Dampfers zu baumeln!

– Und morgen, setzte Flig Balt hinzu, werden der Reeder und Nat Gibson mit an Bord sein!«

Ein einziger Ausweg wäre der gewesen, sich von dem Aviso zu entfernen, und vielleicht hätte der Bootsmann das versucht, wenn der Kapitän nicht, statt seine Kabine aufzusuchen, den größten Teil der Nacht auf dem Deck geblieben wäre. So war es unmöglich, nach der offenen See hin zu wenden... auf die Absicht, sich der Brigg jetzt zu bemächtigen, mußte man also verzichten.

Zu früher Stunde wurde es schon wieder hell. Der »James-Cook« war gegenüber Blenheim vorbeigekommen, das an der Küste von Tawai-Pounamou, an der Westseite der Meerenge liegt; dann hatte er sich der Nicholsonspitze am Eingange der Bucht von Wellington genähert. Um sieben Uhr des Morgens lief er endlich, gleichzeitig mit dem Aviso, in diese Bucht ein und ging in der Mitte des Hafens vor Anker.

4. Kapitel
Viertes Kapitel.
In Wellington.

Die Stadt Wellington ist an der Südwestspitze der Nordinsel im Hintergrunde einer hufeisenförmigen Bucht erbaut. Sehr geschützt gegen die Winde vom offenen Meere her, bietet sie einen vortrefflichen Ankerplatz. Die Brigg war von der Witterung begünstigt gewesen, das ist aber nicht immer der [52] Fall. Meist ist die Schiffahrt durch die Cookstraße mit ernsten Schwierigkeiten verbunden, denn hier laufen zu Zeiten Strömungen mit der Geschwindigkeit von zehn Knoten, obwohl der Wasserstand im Stillen Ozean bei Ebbe und Flut nur wenig verschieden ist. Der Seefahrer Tasman, dem man die Entdeckung Neuseelands – im Dezember 1642 – verdankt, hatte hier große Gefahren zu bestehen, teils wegen einer immer drohenden Strandung und teils wegen etwaiger Überfälle der Eingebornen. Daher der Name der »Bai des Massacres«, der unter den geographischen Bezeichnungen der Meerenge noch fortlebt. Der holländische Seefahrer verlor hier vier seiner Leute, die von den Kannibalen des Uferlandes sofort verzehrt wurden, und hundert Jahre später mußte der britische Seefahrer James Cook die Besatzung eines der Boote seines von Kapitän Furneaux befehligten Begleitschiffes in den Händen dieser Wilden zurücklassen. Endlich fand hier, zwei Jahre darauf, der französische Seefahrer Marion du Frène mit sechzehn seiner Leute den Tod durch einen Überfall, der mit der scheußlichsten Schlächterei endigte.

Im März 1840 läuft dann Dumont d'Urville mit der »Astrolabe« und der »Zélée« die Bai von Otago an der Südinsel an und besucht auch die Snaresinseln nebst der Stewartinsel an der Südspitze von Tawai-Pounamou. Dann verweilt er eine Zeitlang im Hafen von Akaroa, ohne über seinen Verkehr mit den Eingebornen zu klagen zu haben. Das Andenken an den Aufenthalt dieses berühmten Seefahrers wird durch die Insel, die seinen Namen erhielt, gesichert. Nur von Pinguinvölkern und Albatrosschwärmen bewohnt, ist sie vom Südende des Hauptlandes durch den »Frenchpaß« getrennt, worin ein so schwerer Seegang herrscht, daß sich die Schiffe beim Verlassen der Meerenge nicht gern hineinwagen.

Jetzt, wo über Neuseeland die britische Flagge weht, ist die allgemeine Sicherheit – wenigstens soweit hierbei die Maoris in Betracht kommen – hier überall gewährleistet. Die früher von der wilden Bevölkerung drohenden Gefahren sind vollständig beseitigt. Nur die, die das Meer bietet, bestehen noch fort, doch auch in vermindertem Maße, dank den sorgsamen hydrographischen Arbeiten und der Errichtung des sehr hohen Leuchtturmes auf einem einzeln aufragenden Felsen vor der Nicholsonbucht, in deren Hintergrunde sich Wellington ausbreitet.

Es war im Januar 1849, als die New-Zealand Land Company die »Aurora« absendete, die diesem entlegenen Lande die ersten Ansiedler zuführte.

[53] Die Bevölkerung beider Inseln beträgt jetzt nicht weniger als achthunderttausend Seelen, wovon auf Wellington, die Hauptstadt der Kolonie, allein dreißigtausend kommen.

Die schön gelegene und regelmäßig erbaute Stadt hat breite, gut unterhaltene Straßen. Die meisten Häuser bestehen freilich nur aus Holz, aus Furcht vor den in der Südprovinz ziemlich häufigen Erdbeben, sogar die öffentlichen Gebäude, wie der in einem hübschen Parke gelegene Palast des Gouverneurs, und auch die Kathedrale, die ihr religiöser Charakter doch nicht gegen solche Naturereignisse schützt. Ist Wellington jetzt auch unbedeutender und dessen Industrie und Handel geringfügiger als in zwei oder drei anderen blühenden Städten Neuseelands, so wird es diese unter dem Einfluß der kolonisatorischen Geschicklichkeit Großbritanniens doch später noch sicherlich einholen. Mit seiner Universität, der gesetzgebenden Versammlung, die aus vierundfünfzig Mitgliedern – darunter vier vom Gouverneur dazu ernannten Maoris – besteht, mit der aus allgemeinem Wahlrecht hervorgegangenen Volksvertretung, seinen höheren und mittleren Schulen, seinem Museum, den stark beschäftigten Anstalten zur Herstellung gefrorenen Fleisches für die Ausfuhr, seinem Mustergefängnisse und den öffentlichen Plätzen und Parkanlagen, wo die Elektrizität schon das Gas zu verdrängen anfängt, erfreut sich Wellington doch schon heute mancher Vorzüge und Annehmlichkeiten, um die es so manche Stadt in der Alten wie in der Neuen Welt beneiden könnte.

Der »James-Cook« hatte sich nicht unmittelbar an den Kai angelegt, weil der Kapitän das Entweichen seiner Leute zu erschweren hoffte. Das Goldfieber wütete in Wellington nämlich nicht minder heftig als in Dunedin und den übrigen neuseeländischen Hafenplätzen. Auch hier sahen sich mehrere Schiffe dadurch am Auslaufen gehindert. Gibson mußte also vor allem darauf bedacht sein, seine Mannschaft vollzählig zu erhalten, und darunter sogar die Neuangeworbenen aus den »Three-Magpies«, obwohl er diese gern gegen andere ausgewechselt hätte. Übrigens sollte sein Aufenthalt in Wellington nur sehr kurze Zeit, höchstens vierundzwanzig Stunden dauern.

Die ersten Personen, die Gibson aufsuchte, waren Hawkins und sein Sohn Nat. Der Kapitän hatte sich gleich nach der Ankunft im Hafen ans Land setzen lassen, und es schlug eben sieben, als er das Kontor des Reeders Hawkins betrat, das am Ende einer der am Hafen ausmündenden Straßen lag.

»Ah... mein Vater!...

[54] – Herzlich gegrüßt, lieber Freund!«

Mit diesen Worten wurde Gibson bei seinem Erscheinen im Kontor bewillkommt.

Er war seinem Sohne und dem Reeder zuvorgekommen, die sich eben anschickten, nach dem Kai hinunter zu gehen, um zu sehen, ob der »James-Cook« nicht endlich von den Wärtern des Küstentelegraphen gemeldet würde.

Der junge Mann hatte sich seinem Vater gleich an die Brust geworfen, und dann schloß auch der Reeder diesen erfreut in die Arme.

Der zur Zeit fünfzigjährige Hawkins war ein Mann von mittlerer Größe, mit wenig ergrautem Haar und bartlosem Gesicht, mit klaren, sanften Augen und dabei von trefflicher Gesundheit und kräftiger Konstitution, im übrigen rasch in seinen Bewegungen, sehr tätig in seinem Berufe und ziemlich kühn in seinen Geschäften. Seine Verhältnisse in Hobart-Town waren in gesichertem, blühendem Zustande, und bei seinem bereits erworbenen Vermögen hätte er sich getrost zur Ruhe setzen können. Es hätte ihm nach einem so tätigen Leben aber noch nicht gepaßt, schon müßig zu bleiben. Um seine Geschäfte noch zu erweitern, wollte er, wenn auch schon Teilhaber an einigen anderen Schiffen, in Wellington eben noch ein Kontor mit einem Teilhaber, einem gewissen Balfour, eröffnen. Hier sollte Nat Gibson als erster Buchhalter und mit Gewinnanteil angestellt werden, sobald der »James-Cook« seine jetzige Rundfahrt beendigt hätte.

Der Sohn des Kapitäns Gibson, zur Zeit einundzwanzig Jahre alt und lebhaften, aber ernsten Geistes, hegte für seinen Vater und seine Mutter, doch auch für den Reeder Hawkins die wärmste Zuneigung. Der letztere und der Kapitän standen zu einander in so enger, vertrauter Beziehung, daß Nat Gibson für beide leicht gleiche Gefühle bewahren mußte. Leicht erregbar, enthusiastisch, für alles Schöne begeistert, zeigte er eine wirkliche Künstlernatur neben vollem Verständnis und warmem Eifer für geschäftliche Dinge. Etwas über mittelgroß, schwarz von Augen und mit nußbraunem Bart und Haar, einer eleganten Haltung und mit sehr ansprechenden Gesichtszügen, gefiel der junge Mann allen auf den ersten Blick und er kannte wirklich auch nur Freunde. Anderseits unterlag es keinem Zweifel, daß er mit zunehmenden Jahren sich als ein entschlossener, energischer Charakter erweisen würde. Von seiner Mutter hatte er das entschiedenere Temperament geerbt, das seinem Vater nicht so ausgesprochen eigen war.

[55] In den Mußestunden beschäftigte sich Nat Gibson mit Vergnügen und mit gutem Geschmack mit der Photographie, die jetzt, dank dem sehr verkürzten Aufnahmeverfahren, womit dennoch die vollendetsten Bilder gewonnen werden, eine so weite Verbreitung gefunden hat. Sein Apparat verließ ihn fast nie, und man kann sich denken, daß er diesen im Laufe der Reise hierher sehr häufig benutzt und von malerischen Landschaften, vielfach von Eingebornen und sonstigen interessanten Dingen Aufnahmen gemacht hatte.

Seitdem er in Wellington war, hatte er auch eine Menge Ansichten von der Stadt selbst und von deren Umgebung aufgenommen. Hawkins interessierte sich lebhaft für seine Liebhaberei. Häufig sah man sie beide mit dem photographischen Apparate ausgerüstet hinauswandern vor die Stadt, und stets kehrten sie mit neuen Schätzen für ihre Sammlung von diesen Ausflügen zurück.

Als Hawkins den Kapitän seinem Teilhaber Balfour vorgestellt hatte, zog er sich nach seinem Privatkontor zurück, wohin ihm Gibson und dessen Sohn folgten. Hier kam das Gespräch zuerst auf Hobart-Town, von wo es, dank der regelmäßigen Verbindung zwischen Tasmanien und Neuseeland, an Nachrichten nicht fehlte. Erst am Tage vorher war ein Schreiben der Frau Hawkins eingetroffen, und einige Briefe der Frau Gibson erwarteten schon mehrere Tage den »James-Cook« in Wellington.

Der Kapitän durchflog sie mit erklärlichem Inte resse. Da unten ging alles recht gut; die beiden Frauen waren wohlauf. Die Abwesenheit der Männer erschien ihnen freilich etwas lang und sie hofften nun auf ein baldiges Wiedersehen, da die Reise des Schiffes ja ihrem Ende entgegenging.

»Ja ja, sagte Hawkins, nur noch fünf oder sechs Wochen, dann werden wir in Hobart-Town zurück sein...

– O, meine gute Mutter, rief Nat Gibson, welche Freude wird es für sie sein, uns wiederzusehen, ganz so, wie wir uns gefreut haben, dich, liebster Vater, wieder zu begrüßen...

– Und wie ich, dich, mein Kind, endlich wiederzufinden!

– Lieber Freund, begann jetzt der Reeder, ich glaube annehmen zu dürfen, daß der letzte Teil der Fahrt des ›James-Cook‹ nicht mehr viel Zeit beanspruchen werde...

– Das hoffe ich ebenfalls, Hawkins.

– Und selbst bei mäßiger Geschwindigkeit, fuhr dieser fort, muß ja die Strecke zwischen Neuseeland und Neuirland in kurzer Zeit zurückgelegt werden...

[56] – Vorzüglich zur jetzigen Jahreszeit, antwortete der Kapitän. Bis zum Äquator hin bleibt das Meer gewöhnlich schön, der Wind hält sich gut, und ich denke wie du, daß wir keine Verzögerungen zu erleiden haben werden, wenn sich unser Aufenthalt im Praslinhafen nicht unversehens verlängert...


Herr Hawkins und der Kapitän Gibson.

– Das ist kaum zu befürchten, Gibson. Ich habe von meinem Vertreter, Herrn Zieger, darüber sehr befriedigende Nachricht erhalten. Im dortigen [57] Archipel lagern große Vorräte von Perlmutter, Koprah und so weiter, so daß die Brigg keine Schwierigkeiten haben wird, volle Ladung einzunehmen.

– Ist denn Herr Zieger auch erbötig, die jetzige Fracht des Schiffes zu übernehmen? fragte der Kapitän.

– Gewiß, lieber Freund, und ich wiederhole dir, ich bin überzeugt, daß wir dieser Sache wegen keine Verzögerung zu befürchten haben.

– Bedenke aber, Hawkins, daß die Brigg vom Praslinhafen erst noch Karawera anlaufen muß...

– Das wird binnen vierundzwanzig Stunden abzumachen sein, Gibson.

– Nun, Vater, dann können wir ja die Reisedauer ausrechnen. Wie viel Tage brauchen wir einschließlich des Aufenthaltes im Praslinhafen und in Karawera?

– Etwa drei Wochen.

– Und von Wellington nach Praslinhafen?

– Eben so lange.

– Und zur Rückfahrt nach Tasmanien?

– Ungefähr einen Monat.

– Danach wäre also anzunehmen, daß der ›James-Cook‹ in zweiundeinhalb Monaten nach Hobart-Town zurückgekehrt sein kann.

– Jawohl... eher noch zeitiger, als später.

– Nun gut, erwiderte Nat Gibson, so werd' ich noch heute an die Mutter schreiben, da der Postdampfer nach Australien übermorgen abgeht. Ich werde sie noch um zweiundeinhalb Monat Geduld bitten, und Frau Hawkins wird ja ihren Teil davon auf sich nehmen, nicht wahr, Herr Hawkins?

– Ganz gewiß, liebes Kind.

– Zu Anfang des Jahres werden die beiden Familien dann wieder vereinigt sein...

– Zwei Familien, die eigentlich nur eine bilden!« bemerkte dazu Hawkins.

Ein Händedruck zwischen dem Reeder und dem Kapitän besiegelte diese Worte.

»Lieber Gibson, fuhr Hawkins darauf fort, wir werden mit Herrn Balfour gleich hier frühstücken...

– Ganz einverstanden, Hawkins.

– Hast du in der Stadt etwas auszurichten?

– Nein, antwortete der Kapitän, ich werde aber erst noch einmal an Bord zurückkehren müssen.

[58] – O, das ist schön! rief Nat Gibson. Es wird mich sehr freuen, unsere Brigg wiederzusehen, ehe wir unser Gepäck dahin schaffen lassen.

– Nun, antwortete Hawkins, das Schiff wird doch etliche Tage in Wellington liegen bleiben.

– Höchstens vierundzwanzig Stunden, erklärte der Kapitän, da ich weder Havarien auszubessern, noch hier Fracht zu löschen oder einzunehmen habe. Zur Erneuerung des Proviants wird der Nachmittag hinreichen, und nur in Bezug hierauf wollte ich Flig Balt noch die nötigen Anweisungen geben.

– Bist du mit deinem Bootsmann noch immer zu frieden?

– Noch immer. Der Mann ist eifrig und versteht sich auf den Dienst.

– Und die übrige Mannschaft?

– O, gegen die alten Matrosen ist nicht das geringste einzuwenden.

– Wie steht es aber mit denen, die du in Dunedin angenommen hast?

– Die flößen mir allerdings nicht das beste Vertrauen ein, ich habe nur keine besseren austreiben können.

– Der ›James-Cook‹ soll also schon...

– Schon morgen abfahren, wenn's uns hier nicht ebenso ergeht wie in Dunedin. Gegenwärtig ist es für Handelskapitäne nicht ratsam, sich in den neuseeländischen Häfen längere Zeit aufzuhalten.

– Du denkst wohl an die Desertion, die die Besatzungen dezimiert? fragte Hawkins.

– Noch mehr als dezimiert, erwiderte Gibson, denn von acht Matrosen sind mir vier davongelaufen, von denen ich keine Spur wieder gehört habe.

– Ja freilich, Gibson, da wirst du auf der Hut sein müssen, damit es dir hier nicht ebenso ergeht wie in Dunedin...

– Ich habe deshalb schon insofern Vorsorge getroffen, daß keiner, unter welchem Vorwande es auch sei, ans Land gehen darf... nicht einmal der Koch Koa...

– Das ist recht, Vater, ließ Nat Gibson sich vernehmen. Im Hafen liegen schon ein halbes Dutzend Schiffe, die wegen Mannschaftsmangel nicht auslaufen können.

– Das wundert mich gar nicht, antwortete Harry Gibson. Ich denke auch sofort unter Segel zu gehen, sobald wir unseren Proviant übergenommen haben, und morgen werden wir schon ganz früh zur Abfahrt bereit sein.«

[59] Als der Kapitän den Namen des Bootsmannes aussprach, hatte Hawkins ein leises Stirnrunzeln nicht unterdrücken können.

»Daß ich dich wegen Flig Balts fragte, nahm er jetzt das Wort, kam daher, daß er auf mich gleich bei seiner Anmusterung in Hobart-Town keinen Vertrauen erweckenden Eindruck machte.

– Ja ja... ich weiß es, antwortete der Kapitän, deine Vermutungen gingen aber nicht in Erfüllung. Er kommt seiner Pflicht mit allem Eifer nach, die Leute wissen, daß sie ihm zu gehorchen haben, und ich versichere dir, daß der Dienst an Bord bisher nichts zu wünschen übrig gelassen hat.

– Desto besser, Gibson; ich will mich in Bezug auf ihn gern getäuscht haben, und wenn er sich dein Vertrauen erworben hat...

– Übrigens weißt du, Hawkins, daß ich mich, was die Schiffsführung angeht, einzig auf mich selbst verlasse, nur das übrige überlasse ich meinem Bootsmanne. Seit unserer Abfahrt habe ich ihm noch keinen Vorwurf zu machen gehabt, und wenn er zur nächsten Reise wieder auf der Brigg antreten will...

– Nun, das ist ja ausschließlich deine Sache, lieber Gibson, du kannst am besten beurteilen, was in dieser Hinsicht zu tun oder zu lassen ist.«

Das Vertrauen, das Flig Balt seinem Kapitän bisher eingeflößt hatte, war also, so sehr es am unrechten Platze war, wie die vorstehenden Äußerungen ergaben, noch in keiner Weise erschüttert, so gut hatte dieser Elende, ebenso wie Vin Mod, seine Rolle zu spielen verstanden. Deshalb antwortete Harry Gibson auch, als ihn Hawkins fragte, ob er sich auf die anderen vier Matrosen, die nicht entwichen waren, verlassen könnte:

»Vin Mod, Hobbes, Wickley und Burnes sind vortreffliche Seeleute, und was sie in Dunedin nicht getan haben, werden sie auch hier nicht versuchen.

– Das sollen sie bei der Heimkehr nicht zu bereuen haben, erklärte der Reeder.

– Um ihretwillen, fuhr der Kapitän fort, geschah es auch nicht, daß ich den Leuten verbot, ans Land zu gehen, sondern nur der vier neuen wegen.«

Gibson erzählte nun, unter welchen Umständen Len Cannon, Sexton, Kyle und Bryce an Bord gekommen wären, und daß sie dringend Anlaß gehabt hätten, wegen einer Schlägerei in der Schenke zu den »Three-Magpies« vor der Polizei in Dunedin zu flüchten.

»Sind es denn wenigstens befahrene Matrosen? fragte der Reeder.

[60] – Gewiß, lieber Freund. Du weißt aber, in welcher Verlegenheit ich war, und daß ich schon vierzehn Tage still liegen mußte. Ja ich fragte mich, ob nicht vielleicht noch Monate vergehen würden, ehe ich meine Mannschaft vervollständigen könnte, und unter solchen Verhältnissen... ja, da nimmt man eben, was zu haben ist.

– Und entledigt sich dessen, was man gefunden hatte, sobald es möglich ist, meinte Hawkins.

– Gewiß, Hawkins. Das hätte ich, wenn es die Umstände erlaubten, schon hier in Wellington getan, in Hobart-Town wird es aber jedenfalls geschehen.

– Daran zu denken, ist ja noch Zeit genug übrig, bemerkte Nat Gibson. Die Brigg wird doch so wie so dann einige Monate aufliegen, nicht wahr, Herr Hawkins? Und diese Zeit werden wir im Familienkreise verleben, bis ich wieder nach Wellington zurückkehre.

– Natürlich, mein junger Freund!« antwortete der Reeder.

Hawkins, Gibson und sein Sohn verließen nun das Kontor, begaben sich nach dem Kai hinunter und riefen eines der Boote an, die für den Hafendienst be stimmt sind, um sich an Bord der Brigg rudern zu lassen.

Hier empfing sie der immer zuvorkommende und diensteifrige Bootsmann, den Hawkins, durch die Versicherungen des Kapitäns beruhigt, sehr freundlich begrüßte.

»Ich sehe mit Vergnügen, daß Sie ja recht wohlauf sind, Herr Hawkins, sagte Flig Balt.

– Gott sei Dank, ganz wohlauf... ich danke Ihnen,« erwiderte der Reeder.

Die drei Matrosen, Hobbes, Wickley und Burnes, die schon mehrere Jahre mit dem »James-Cook« fuhren, ohne zu Beschwerden Veranlassung gegeben zu haben, wurden von Hawkins mit einem warmen Glückwunsche begrüßt.

Den Schiffsjungen Jim umarmte der Reeder und küßte ihn auf beide Wangen, und der junge Bursche erwies sich hoch erfreut, den väterlichen Freund wiederzusehen.

»Ich bringe auch gute Nachrichten von deiner Mutter, sagte Hawkins, sie hofft übrigens, daß der Kapitän mit dir zufrieden sei...

– Vollständig zufrieden, bestätigte Gibson.

– Ich danke Ihnen, Herr Hawkins, sagte Jim, Sie haben mir eine große Freude bereitet!

[61] – Nun... und ich? fragte Nat Gibson. Für mich hast du wohl gar nichts übrig?

– O, doch, Herr Nat, antwortete Jim und warf sich dem jungen Manne in die Arme.

– Wie vortrefflich du aussiehst! fuhr dieser fort. Wie würde sich deine brave Mutter freuen, wenn sie dich jetzt sähe! Nun, ich werde vor der Abfahrt noch ein Bild von dir aufnehmen, Jim...

– Ein recht gut getroffenes, Herr Nat?...

– Gewiß, wenn du ordentlich still hältst.

– Ich werde still halten, Herr Nat, werde mich gewiß nicht rühren!«

Nachdem Hawkins dann Hobbes, Wickley und Burnes einiges von ihren in Hobart-Town wohnenden Familien berichtet hatte, wendete er sich auch an Vin Mod. Dieser zeigte sich für diese Aufmerksamkeit recht empfänglich. Der Reeder kannte ihn weit weniger, als seine Kameraden, denn es war Mods erste Reise an Bord des »James-Cook«.

Den Neuangeworbenen sagte Hawkins einfach, aber freundlich nur Guten Tag.

Ihre äußere Erscheinung machte auf ihn keinen besseren Eindruck, als es bei Gibson der Fall gewesen war. Übrigens hätte man sie hier getrost ans Land gehen lassen können; es wäre ihnen nicht eingefallen, nach der achtundvierzigstündigen Fahrt davonzulaufen, und sie hätten sich jedenfalls vor der Abfahrt der Brigg wieder eingestellt. Vin Mod hatte sie ja bearbeitet, und trotz der Anwesenheit des Reeders und Nat Gibsons rechneten sie noch immer darauf, daß schon eine günstige Gelegenheit eintreten werde, die es ihnen ermöglichte, sich der Brigg zu bemächtigen. Die Sache wäre jetzt nur ein wenig schwieriger. Was erscheint aber Leuten ohne Treu und Glauben unmöglich, wenn sie einmal entschlossen sind, vor keinem Verbrechen zurückzuweichen?

Nach Verlauf einer Stunde, in der Hawkins und Gibson die Abrechnung von der Reise durchsahen, verkündigte der Kapitän, daß die Brigg am nächsten Morgen mit Tagesanbruch absegeln werde. Der Reeder und Nat Gibson würden noch am heutigen Abend wiederkommen und ihre Kabinen beziehen, wohin das Reisegepäck noch vorher befördert werden sollte.

Vor der Rückkehr nach dem Kai fragte Gibson den Bootsmann, ob er etwa Veranlassung habe, sich ans Land zu begeben.

»Nein, Kapitän, antwortete Flig Balt. Ich ziehe es vor, an Bord zu bleiben, das ist ratsamer...schon wegen der Überwachung der Mannschaft...

[62] – Sie haben recht, Balt, sagte Gibson. Jedenfalls muß aber der Koch hinüberfahren, um noch Proviant zu besorgen.

– Ich werde ihn übersetzen lassen, Kapitän, und wenn nötig noch zwei Matrosen mitschicken.«

Nachdem in dieser Weise alles geordnet war, brachte das Boot, das den Reeder und seine Begleiter hierher befördert hatte, diese wieder nach dem Kai zurück. Von da aus begaben sie sich nach dem Kontor, mit dem Balfours Wohnung in Verbindung stand, und alle setzten sich bald zum Frühstück nieder.

Das Gespräch bei diesem betraf meist Geschäftsangelegenheiten. Bisher war die Rundfahrt des »James-Cook« ganz nach Wunsch verlaufen und versprach einen recht ansehnlichen Gewinn.

Die große Küstenfahrt entwickelte sich in dieser Gegend des Stillen Ozeans gerade jetzt immer mehr und mehr. Die Besitznahme der Inselgruppen in der Nachbarschaft Neuguineas durch Deutschland versprach die Eröffnung noch weiterer Absatzplätze, und nicht ohne Grund hatte Hawkins noch engere Beziehungen zu dem Herrn Zieger, seinem Korrespondenten in Neuirland – jetzt Neumecklenburg – angeknüpft. Das eben in Wellington zu gründende Kontor sollte sich vor allem des Geschäftes dahin annehmen und von Balfour und Nat Gibson geleitet werden, von denen der zweite sich nach wenigen Monaten hier niederzulassen gedachte.

Nach Beendigung des Frühstückes wollte sich Gibson mit der Verproviantierung der Brigg beschäftigen und dem Koch aufgeben, was er am Nachmittage holen sollte: Konserven, Geflügel, Pöckelfleisch, Mehl, trockene Gemüse, Käse, Bier, Gin und Sherry, Kaffee und Gewürze verschiedener Art.

»Ja, Vater, du wirst aber nicht von hier weggehen dürfen, ohne daß ich ein Bild von dir aufgenommen habe, erklärte da Nat.

– Wie?... Auch das noch?

– Laß dir sagen, lieber Freund, fiel Hawkins ein, daß wir beide von dem Dämon der Photographie angesteckt sind und den Leuten nicht eher Ruhe lassen, als bis sie uns vor dem Objektiv gesessen haben. Da mußt du dich schon wohl oder übel fügen.

– Ich habe ja aber schon zwei oder gar drei solche Bilder zu Hause in Hobart-Town!

– Nun, so bekommst du eben noch eines dazu, antwortete Nat Gibson, und da wir morgen auslaufen, wird Herr Balfour so freundlich sein, es meiner Mutter mit dem nächsten Postschiffe zu übersenden.

[63] – Mit größtem Vergnügen, versicherte Balfour.

– Siehst du, Vater, fuhr der junge Mann fort, so ein Porträt ist ganz wie ein Fisch... der hat auch nur Wert, wenn er ganz frisch ist! Bedenke doch, seit deiner Abfahrt von Hobart-Town sind schon mehr als zehn Monate vergangen, und ich glaube bestimmt, du ähnelst deiner letzten Photographie fast gar nicht mehr, dem Bilde, das in deinem Zimmer auf dem Kaminsimse steht...

– Nat hat recht, bestätigte Hawkins lachend. Ich hätte dich heute Morgen beinahe kaum wiedererkannt.

– Das ist doch etwas stark! rief Gibson.

– Nein nein, ich versichr' es dir. Nichts verändert das Aussehen des Menschen mehr als so eine zehnmonatige Seereise!

– So tue, was du nicht lassen kannst, mein Sohn, antwortete der Kapitän, ich bin zu jedem Opfer bereit.

– Und welche Haltung willst du einnehmen, fragte der Reeder scherzend, die des Seemannes, der gerade abfährt, oder die dessen, der eben ankommt?... Willst du dich als Befehlshaber zeigen... den Arm nach dem Horizonte ausgestreckt... in der Hand den Sextanten oder das Fernrohr... die Haltung des ›Nächsten nach Gott‹?

– Ganz wie du es willst, Hawkins.

– Und wenn du dann vor dem Apparate sitzt, so denke an irgend etwas. Das gibt dem Gesicht einen lebendigeren Ausdruck... Woran wirst du denn denken?

– O, an meine liebe Frau zu Hause, antwortete Gibson, an meinen Sohn... an dich... meinen Freund...

– Nun, dann werden wir ja ein vortreffliches Bild bekommen!«

Nat Gibson besaß einen jener tragbaren und jetzt hoch vervollkommneten Apparate, die ein Negativ in wenigen Sekunden liefern, Gibson war auch augenscheinlich sehr befriedigt von dem, was sein Sohn nach Besichtigung der Platte sagte, die nun zur weiteren Benutzung Herrn Balfour überlassen wurde.

Hawkins, der Kapitän und Nat verließen darauf das Kontor, um sich alles zu besorgen, was sie für eine neun- bis zehnwöchige Reise brauchten.


Eingang zu den Jenolan-Höhlen.

Zickzackbahn in den Blauen Bergen.

Zickzackbahn in den Blauen Bergen.


In Wellington fehlt es nicht an Warenhäusern, wo man allen Schiffsbedarf findet: Nahrungsmittel, Hilfsmaschinen, Takelwerk, Blöcke, Taue und Seile, Werkzeuge, Wechselsegel, Angelgeräte, Tönnchen mit Teer und Pech, Kalfater- und Zimmermannswerkzeuge u. s. w. Außer dem Ersatze für einige aufgeschossene Scheiben [64] [67]Tau, beschränkten sich die Bedürfnisse der Brigg aber auf die für Passagiere und Mannschaften nötigen Nahrungsmittel. Das war schnell eingekauft und wurde, sobald die Matrosen Wickley und Hobbes und der Schiffskoch ans Land gekommen waren, sofort nach dem »James-Cook« geschafft.

Gibson erledigte auch gleich noch die Formalitäten, die beim Ein- und Auslaufen jedes Schiffes zu erfüllen sind. Nun hinderte die Brigg also nichts mehr, mit Tagesanbruch abzusegeln, da sie in glücklicherer Lage als viele Fahrzeuge war, die infolge der Desertion ihrer Leute in Wellington brach liegen bleiben mußten.

Auf ihren verschiedenen Wegen durch die Stadt und inmitten einer sehr geschäftigen Menge trafen Hawkins und seine Begleiter auf eine Anzahl Maoris aus der Umgebung. Ihre Kopfzahl hat sich in Neuseeland ebenso stark verringert wie die der eingebornen Australier in Australien und vorzüglich die der Tasmanier in Tasmanien, von welcher Rasse schon fast die letzten Vertreter verschwunden sind. Auf der Nordinsel leben kaum noch mehr als etwa vierzig Eingeborne, und auf der Südinsel deren vielleicht noch zweitausend. Die Maoris betreiben ziemlich ausgebreiteten Gemüsebau und vorzüglich die Kultur des hier sehr reichlich vorkommenden ausgezeichneten Obstes.

Die Männer sind von recht stattlicher Erscheinung mit den Merkmalen eines tatkräftigen Charakters und einer kräftigen, zähen Konstitution. Ihre Frauen scheinen dagegen auf etwas niedrigerer Stufe zu stehen. Hier muß man sich daran gewöhnen, in den Straßen das schwächere Geschlecht mit der Pfeife im Munde und es fast unmäßiger als die Männer rauchen zu sehen. Freilich erschwert das etwas den Austausch der gewöhnlichsten Höflichkeiten mit diesen Maoridamen, da es hier einmal Sitte ist, einander nicht allein Guten Tag zu wünschen und die Hand zu drücken, sondern zur Begrüßung sich gegenseitig mit der Nase zu reiben.

Die Eingebornen sind allem Anscheine nach polynesischer Abstammung, und es ist sogar möglich, daß die ersten Einwanderer, die sich nach Neuseeland wendeten, von der gegen zwölfhundert Seemeilen weiter nördlich gelegenen Inselgruppe von Tonga-Tabu gekommen wären.

In der Hauptsache verschulden es zwei Ursachen, daß die Urbevölkerung so erschreckend abnimmt und in Zukunft zu verschwinden bestimmt ist. Die eine Ursache ihres Verfalles sind die Krankheiten – vor allem die Lungenschwindsucht – die in deren Familien arge Verheerungen anrichten; die zweite, noch[67] furchtbarere, ist die Trunksucht, und gerade die Frauen huldigen am meisten dem abscheulichen Mißbrauch geistiger Getränke.

Anderseits ist aber auch nicht zu vergessen, daß die Art der Ernährung bei den Maoris tiefgreifende Veränderungen erfahren hat. Dank den Missionaren ist jetzt vielfach der Einfluß des Christentums erkennbar. Die Eingebornen waren früher Menschenfresser, und dieser an Stickstoff überreichen Nahrung dürfte sich ihr ganzer Organismus angepaßt haben. Sei dem, wie ihm wolle: jedenfalls ist es besser, sie verschwinden von der Bildfläche, als daß sie einander aufzehren; »der Kannibalismus, bemerkt ein aufmerksamer Beobachter, hat ja doch nur ein einziges Ziel, das Abschlachten, das Verschlingen der Augen und des Herzens des Feindes, um dessen Mut zu erben und seine Sehschärfe zu gewinnen.«

Die Maoris widerstanden der Unterjochung durch die Briten bis zum Jahre 1875, wo sich der letzte König des Landes deren Oberhoheit unterwarf.

Gegen sechs Uhr kehrten Hawkins, der Kapitän und Nat Gibson nach dem Kontore zur Mittagsmahlzeit zurück, und nachdem sie sich dann von Balfour verabschiedet hatten, ließen sie sich nach der Brigg übersetzen, die nun fertig war, beim ersten Grauen des folgenden Morgens die Anker zu lichten.

5. Kapitel
Fünftes Kapitel.
Einige Reisetage.

Es war um sechs Uhr früh, als sich der »James-Cook«, der alle seine Segel trug, in Bewegung setzte. Der Kapitän mußte das Schiff wiederholt wenden lassen, um aus der Bai zu kommen und die windungsreiche Ausfahrt zu passieren. Nachdem er auf diese Weise die Nicholsonspitze umschifft hatte, steuerte er in die eigentliche Meerenge ein, wo jetzt gerade ein ihm ungünstiger Nordwind wehte. Auf der Höhe von Orokiwa angelangt, konnte er jedoch schon den mehr aus Westen kommenden Seewind benutzen, dicht an diesem fahrend [68] die große Bucht zu kreuzen, die zwischen Wellington und New-Plymouth, jenseits des Kaps Egmont, tief in das Uferland von Ika-na-Maoui einschneidet.

Der »James-Cook«, der diese Bucht in schräger Richtung durchsegelte, hatte sich damit vom Lande entfernt, das er erst in der Nähe des genannten Kaps wiedersehen sollte.

Die längs der Westküste der Nordinsel zu durchmessende Strecke war etwa hundert Meilen lang. Blieb der Wind stetig, so konnte sie binnen drei Tagen zurückgelegt werden. Infolge der Windrichtung war es übrigens unmöglich, in Sicht der Küste zu bleiben, deren hydrographische Gliederung der Kapitän vollkommen kannte, so daß es für ihn keine Gefahr hatte, in jeder beliebigen Entfernung davon zu fahren.

Der erste Tag verlief unter den angenehmsten Umständen Neben dem Deckhause sitzend, überließen sich Hawkins und Nat Gibson dem bezaubernden Eindruck der glatten Segelfahrt. Ein wenig übergebeugt, gleitet das Schiff schnell durch die langen Wellenhügel der Dünung und läßt einen schäumenden Kielwasserstreifen hinter sich. Der Kapitän ging auf und ab, warf zuweilen einen Blick auf das Kompaßhäuschen vor dem Mann am Steuer, und wechselte dann wieder einige Worte mit seinen Passagieren. Die eine Hälfte der Mannschaft befand sich am Vorderdeck auf Wache, die andere ruhte im Volkslogis nach Einnahme des Frühstückes aus. Mehrere Angelschnüre wurden am Heck mitgeschleppt und lieferten für den Mittagstisch bald einige der schmackhaften Fische, die es hier in großer Menge gibt.

Es verdient auch Erwähnung, daß die Gewässer um Neuseeland vielfach von Walfischen besucht werden, deren Fang hier mit großem Erfolge betrieben wird. Auch in der Umgebung der Brigg tauchten in der ausgedehnten Bucht mehrere Spritzwale auf, die recht wohl hätten erlegt werden können.

Das veranlaßte Hawkins, während er und der Kapitän die mächtigen Säugetiere beobachteten, zu diesem zu sagen:

»Mich verlangt es eigentlich schon immer, den Walfang neben der Küstenfahrt zu betreiben, und ich glaube, Gibson, daß der eine leicht ebenso viel Nutzen abwerfen könnte wie die andere.

– Das mag wohl sein, antwortete der Kapitän. Die Walfänger, die diese Gegenden aufsuchen, füllen ja ohne Mühe ihren Frachtraum mit Tranfässern, mit Speck und Fischbein.

[69] – In Wellington, bemerkte Nat Gibson, behauptete man allgemein, daß die Walfische sich hier auch leichter als anderswo fangen ließen.

– Ja, das ist richtig, bestätigte der Kapitän, und kommt nämlich daher, daß die hier heimischen Wale ein weniger seines Gehör haben als die anderen Arten. Man kann ihnen deshalb mit der Harpune leichter auf Wurfweite nahe kommen. Eigentlich ist hier jeder Walfisch, den man sieht, so gut wie gefangen, wenn das nicht durch schlechtes Wetter verhindert wird. Leider sind in diesem Meeresteile sehr heftige Winde ebenso häufig wie gefährlich.

– Das mag ja sein, meinte der Reeder; über kurz oder lang richten wir uns aber doch auf den Walfang ein...

– Aber mit einem anderen Kapitän, alter Freund! Jeder bleibe bei seinem Berufe, und ich bin nun ein mal nicht Walfänger!

– Natürlich mit einem anderen Kapitän, Gibson, und auch mit einem anderen Schiffe, denn dann würde eine ganz andere Ausrüstung nötig, für die sich der ›James-Cook‹ gar nicht eignet.

– Gewiß, Hawkins; das verlangt ein Fahrzeug, das bei einer zweijährigen und noch längeren Reisedauer seine zweitausend Faß Tran unterbringen kann, das mehrere Boote zur Verfolgung der Tiere mitführt und an Harpunieren, Böttcher, Schmied, Zimmermann, an Matrosen und Jungmatrosen, nebst mindestens drei Offizieren und einem Arzte, so gegen dreißig bis vierzig Mann Besatzung hat...

– O, lieber Vater, fiel Nat Gibson ein, Herr Hawkins würde es gewiß an nichts fehlen lassen, was zu einer solchen Ausrüstung gehört.

– Dazu gehört sehr viel, mein Kind, antwortete der Kapitän, und meiner Ansicht nach bietet in diesen Meeresteilen die Küstenschiffahrt immerhin den zuverlässigsten Nutzen. Solche Walfischjagdzüge gehen nicht selten mit argen Verlusten aus, überdies ziehen sich die hier allzu eifrig verfolgten Wale jetzt mehr und mehr nach den Polargebieten zurück. Man ist deshalb genötigt, sie zwischen den Kurilen und der Behringstraße oder in den antarktischen Meeren aufzusuchen, und das erfordert lange und gefährliche Reisen, von denen so manches Schiff nicht zurückgekehrt ist.

– O, lieber Gibson, nahm da der Reeder das Wort, vorläufig ist die ganze Sache ja nur ein Projekt, das erst später einmal in Frage kommen kann Vorläufig bleiben wir bei der Küstenfahrt, die bisher immer nutzbringend gewesen ist, und zunächst wollen wir die Brigg mit einer guten Ladung im Raume nach Hobart-Town zurückführen.«

[70] Gegen sechs Uhr bekam der »James-Cook« gegenüber der Waimahbucht, in der Höhe der kleinen Häfen von Ohawe, die Küste wieder in Sicht. Da am Horizonte einige Wolken herauszogen, ließ der Kapitän die Bramsegel streichen und die Marssegel reffen... eine Vorsichtsmaßregel, die sich allen Schiffen in dieser Gegend aufnötigt, wo oft ebenso plötzliche wie heftige Böen auftreten und man deshalb jeden Abend die Segelfläche zu verkleinern pflegt.

Auch heute wurde die Brigg bis zum folgenden Morgen tüchtig abgeschüttelt. Sie mußte, nachdem das Leuchtfeuer des Kaps Egmont gepeilt war, einige Meilen nach der hohen See hinaus steuern. Als es wieder hell wurde, wendete das Schiff von neuem, da sich Gibson nicht zu weit vom Lande entfernen wollte, und kam bald an der Einfahrt nach New-Plymouth, einer der bedeutendsten Städte der Nordinsel, vorüber.

Die Brise hatte in der Nacht noch weiter zugenommen und jetzt wehte ein frischer Wind. Die am Abend vorher eingezogenen Bramsegel konnten noch nicht wieder gehißt werden, und Gibson mußte sich begnügen, die Reffe der Marssegel wieder losbinden zu lassen. Über Steuerbord geneigt und auf den langen Wasserbergen auf und ab schwankend, glitt die Brigg jetzt mit der Geschwindigkeit von zwölf Knoten in der Stunde dahin. Zuweilen brachen sich an ihrem Bug die Wellen und überschütteten das Vorderdeck mit einer Wolke aus Wasserstaub. Ja zuweilen tauchte sie bis über ihre Gallion ein, stieg dann aber gleich wieder mit dem Vordersteven in die Höhe.

Das Stampfen und Schlingern des Schiffes konnte Leute wie Hawkins und Nat Gibson aber nicht belästigen. Beide waren durch mehrfache Seefahrten an dergleichen gewöhnt und wurden von der Seekrankheit nicht mehr angefochten. Im Gegenteil atmeten sie mit Vergnügen die belebende, mit Salzdünsten geschwängerte Luft ein, die so wohltuend die Lunge füllte. Gleichzeitig betrachteten sie mit großem Interesse die an Abwechslung überreiche Linie der westlichen Küste.

Diese ist fast noch merkwürdiger als die Küste der Südinsel. Ika-na-Maoui – der Name bedeutet in der polynesischen Sprache: der Fisch des Maoui – zeigt sich reicher an Buchten, Baien und Häfen, als Tawai-Pounamon – ein Name, womit die Eingebornen ursprünglich nur einen See bezeichneten, wo grüner Nephrit gefunden wurde. Von der Seeseite aus reicht der Blick bis zu einer mit dichtem Grün bedeckten Bergkette, die früher noch tätige Vulkane enthielt.


Neuseeländische Kähne.

Sie bildet das Skelett oder richtiger das Rückgrat der im Mittel etwa [71] dreißig Lieues breiten Insel. Im Ganzen ist die Bodenfläche Neuseelands nicht kleiner als die des britischen Inselreiches, und Großbritannien besitzt damit sozusagen ein zweites Vereinigtes Königreich bei seinen Antipoden im Großen Ozean. Während England von Schottland aber nur durch den Tweedfluß getrennt ist, ist hier die Nordinsel von der Südinsel durch einen Meeresarm geschieden.

Seitdem der »James-Cook« den Hafen von Wellington verlassen hatte. war die Aussicht, sich seiner bemächtigen zu können, offenbar vermindert. Flig Balt [72] und Vin Mod sprachen oft über die Sachlage, und heute, zur Frühstückstunde, wo Hawkins, Nat Gibson und der Kapitän im Deckhause bei einander saßen, bildete diese wieder den Gegenstand ihrer Unterhaltung. Vin Mod stand am Steuer und sie liefen deshalb keine Gefahr, von den Matrosen auf dem Vorderdeck gehört zu werden.

»O, dieser vermaledeite Aviso! wiederholte Vin Mod immer wieder, er hat uns einen Strich durch die Rechnung gemacht! Vierundzwanzig Stunden hat sich der verwünschte Kasten an unserer Seite gehalten! Wenn sein Kommandant jemals an einer Raa zu baumeln verurteilt wird, melde ich mich, den Strick anzuziehen, der ihm die Kehle zuschnürt!... Konnte er denn nicht seine Fahrt fortsetzen, statt neben der Brigg kleben zu bleiben?... Ohne ihn wäre der[73] »James-Cook« jetzt seines Kapitäns und seiner Mannschaft entledigt, und heute steuerte er schon lustig aufs Meer nach Osten hinaus... hinaus mit einer guten Ladung für die Tonga- oder die Fidschiinseln...


Der Maorikönig Tawhiao.

– Ach, das sind ja alles nur leere Worte! bemerkte Flig Balt.

– Nun ja, man erleichtert sich das Herz doch so gut man kann, antwortete Vin Mod.

– Vor allem haben wir zu überlegen, erwiderte der Bootsmann, ob die Anwesenheit des Reeders und Nat Gibsons uns nicht zwingt, auf unser Vorhaben zu verzichten.

– Nimmermehr! rief Vin Mod. Eine solche Melodie pfeifen die anderen nicht mit! Len Cannon und seinen Kameraden wäre es in Wellington recht gut möglich gewesen, zu desertieren, wenn sie geglaubt hätten, daß die Brigg ruhig nach Hobart-Town zurückkommen sollte. Sie wollen unbedingt nur noch für eigene Rechnung, nicht für die des Reeders Hawkins fahren!

– Das sind alles nur leere Worte, wiederhol' ich dir, sagte Flig Balt, mit den Achseln zuckend. Können wir denn hoffen, daß sich noch eine passende Gelegenheit finden wird?...

– Natürlich... natürlich! erklärte Vin Mod, der schon hitzig wurde, als er die Entmutigung des Bootsmannes sah, natürlich, und die soll nicht unbenützt bleiben. Ist es nicht heute, nun dann morgen... oder noch später... in den Gewässern von Papuasien... dort, zwischen den Inselgruppen, wo uns keine Polizei auf den Fersen sitzt! Denke dir doch einfach: der Reeder und ein paar andere erscheinen eines Morgens nicht wieder an Bord... kein Mensch weiß, was aus ihnen geworden ist... die Brigg segelt ab... fertig! Nicht wahr?«

Vin Mod, der mit gedämpfter Stimme sprach, zischte sozusagen diese verbrecherischen Pläne Flig Balt ins Ohr. Entschlossen, dabei zu verharren und es aufs äußerste ankommen zu lassen, konnte er einen schrecklichen Fluch nicht unterdrücken, als der Bootsmann ihm zum dritten Male die wenig ermutigende Antwort gab:

»Leere Worte... alles nur leere Worte!«

Vin Mod schleuderte ihm dafür nochmals einen greulichen Fluch ins Gesicht, der diesmal aber auch im Inneren des Deckhauses gehört wurde. Gibson erhob sich vom Tische und erschien in der nach dem Hinterdeck führenden Tür.

»Was gibt es denn hier?

[74] – Ach nichts, Herr Gibson, antwortete Flig Balt, Vin Mod wäre nur durch eine stärkere Schwankung des Schiffes beinahe zu Boden geworfen worden...

– Ich glaubte schon, über die Reling hinauszufliegen, setzte der Matrose hinzu.

– Nun ja, bei dem starken Winde steht eine grobe See, sagte Gibson, nachdem er mit flüchtigem Blicke die Besegelung der Brigg gemustert hatte.

– Die Brise läuft mehr nach Osten um, bemerkte Flig Balt.

– Jawohl, halten Sie etwas ab, Vin Mod. Wir können uns ohne Gefahr dem Lande etwas mehr nähern.«

Nach Ausführung dieses Befehles begab sich Gibson ins Deckhaus zurück.

»Ah, murmelte Vin Mod, wenn du jetzt den ›James-Cook‹ kommandiertest, würden wir eher anluven, statt abzuhalten.

– Ja, ich bin aber einmal nicht der Kapitän, antwortete Flig Balt und wendete sich dem Vorderdeck zu.

– Er wird's aber noch werden, sagte Vin Mod für sich, er muß es später sein und sollte ich deswegen gehängt werden!«

Im Laufe dieses Tages zeigten sich weniger Walfische als am Tage vorher, womit sich wohl auch die geringe Zahl der Walfänger in der hiesigen Gegend erklärte. Jetzt stellt man den Tieren mehr längs der Ostküste nach, vorzüglich bei Akaroa und seewärts von der Bai der Inseln von Tawai-Pounamou. Das Meer war aber keineswegs ganz verlassen. Unter dem Schutze des Landes segelte eine Anzahl Küstenfahrer durch die Taranakibai oder mehr draußen davon hin.

Am Nachmittage kam der »James-Cook«, noch immer von recht steifer Brise getrieben und nachdem er den zweitausend Fuß hohen Gipfel des Whare-Orino, der bis ans Meer heranreicht, aus dem Gesicht verloren hatte, vor den Häfen von Kawhia und Aotea vorüber, in die eben eine Flottille von Fischerfahrzeugen einsegelten, da sie sich bei dem starken Seegange draußen nicht mehr halten konnten.

Gibson mußte auch in die Focksegel Reffe einziehen lassen und behielt nur das Fock- und das Großsegel, sowie ein Klüversegel bei. Wurde das Meer noch aufgeregter und verwandelte sich der Wind zum Sturm, so konnte er für die Nacht noch immer Schutz suchen, da sich das Schiff gegen sechs Uhr Abends vor der Einfahrt nach Auckland befinden mußte. Er zog es also vor, jetzt nicht aus seinem Kurse abzuweichen.

[75] Mußte der »James-Cook« wirklich vor dem gar zu groben Seegange Zuflucht suchen, so fand er sie leicht bei Auckland. Die Bai, deren Hintergrund die Stadt einnimmt, ist eine der sichersten in dieser Gegend des Großen Ozeans. Hat ein Schiff hier einmal den etwas beschränkten Eingang zwischen den Klippen von Parera und dem sogenannten »Manukanhasen« hinter sich, so schwimmt es im Innern einer von allen Seiten trefflich geschützten Reede. In den eigentlichen Hafen braucht es da gar nicht einzulaufen; diese Reede genügt, und darauf liegen auch häufig zahlreiche Fahrzeuge ganz sicher vor Anker.

Bei den vielen Vorteilen, die die Stadt dem Handelsverkehr bietet, ist es nicht zu verwundern, daß sie sich in kurzer Zeit zu großer Bedeutung aufgeschwungen hat. Mit Einschluß ihrer angrenzenden Vororte zählt sie schon fast sechzigtausend Seelen. Ihre Lage – sie steigt auf den Hügeln der Südseite der Bai empor – ist überraschend schön. Durchsetzt von schönen Squares und Gärten mit den Kindern der Tropenflora, mit ihren breiten, sauberen Straßen, die mit Hotels und Läden vielfach besetzt sind, könnte sie den Neid Dunedins und Wellingtons herausfordern.

Hätte sich Gibson jetzt in ihren Hafen geflüchtet, so würde er hunderten von ein- und auslaufenden Schiffen begegnet sein. Hier im nördlichen Teile Neuseelands machte sich der Zug nach den Goldgruben weniger bemerkbar als im mittleren Teile von Ika-na-Maoui und vorzüglich in den Bezirken von Tawai-Pounamou. Hier hätte sich die Brigg auch leicht der in Dunedin angemusterten Leute entledigen und sie durch vier oder fünf Matrosen ersetzen können, da hier solche immer infolge des Aufliegens mancher Schiffe zu finden sind. Es war auch kaum zweifelhaft, daß der Kapitän, der Len Cannon und dessen Kameraden nur sehr gering schätzte, das tun würde, natürlich zum großen Bedauern Flig Balts und Vin Mods, wenn die Brigg überhaupt bei Auckland vor Anker ging. Zur Vermeidung jedes neuen Zeitverlustes hielt es Gibson jedoch für richtiger, die Nacht über bei verkleinerter Segelfläche weiter zu fahren. Zuweilen ließ er sogar soweit beidrehen, daß er den aus Westen heranstürmenden Wellen gerade entgegen lag und sich damit etwas von der Küste entfernte, deren Leuchtfeuer ihm zu nahe an Steuerbord zu sein schienen.

Kurz, der »James-Cook« hielt sich vorzüglich, dank dem geschickten Seemanne, der ihn führte. Weder am Rumpfe noch am Mastwerk erlitt er irgend eine ernsthaftere Beschädigung.

[76] Am nächsten Tage, am 2. November, wo der Wind mäßiger und das Meer etwas ruhiger wurde, kam die Brigg ziemlich weit draußen vor einer anderen Reede vorüber, die noch größer als die von Auckland war: an der Reede von Kaipara, in deren Hintergrunde der Port Albert angelegt ist.

Nach weiteren vierundzwanzig Stunden war die Brigg – der Wind war inzwischen fast gänzlich abgeflaut – an den Höhen des Manganni-Bluff, der Hokiangabucht, an der Beefspitze und dem Kap Van Diemen nach einer Fahrt von siebzig bis achtzig Seemeilen vorübergekommen. Von hier aus blieben die Klippen der Three-Kings zur Linken liegen, und nun lag vor dem Bug die weite Meeresfläche bis zu dem Gewirre der Tongainseln, der Hebriden und der Salomonsinseln, die zwischen dem Äquator und dem Wendekreis des Steinbocks verstreut liegen.

Jetzt mußte also ein nordöstlicher Kurs auf Neuguinea zu eingeschlagen werden, auf die große, noch neunzehnhundert Seemeilen entfernte Insel, um auf die Luisiaden zu treffen und jenseits dieser auf die Inselgruppen, die gegenwärtig dem deutschen Kolonialbesitz angegliedert sind.

Blieben ihm Wind und Wasser günstig, so hoffte Gibson, die bevorstehende Fahrt in kurzer Zeit zu vollenden. Mehr in der Nähe der Äquinoktiallinie (des Wendekreises) herrscht nicht so oft schlechtes Wetter und sind die Stürme nicht so heftig, wie in der Umgebung von Australien und Neuseeland. Anderseits ist ein Schiff dort eher Windstillen ausgesetzt, die eine Segelfahrt um viele Tage verzögern können, während sie den Dampfern eine ruhige und schnelle Fahrt ermöglichen. Die Dampfschiffahrt stellt sich aber zu teuer, wo es sich um die große und kleine Küstenfahrt in diesen entlegenen Meeresgebieten handelt, und deshalb zieht man es hier vor, sich auf den Wind zu verlassen, statt so viel Kohle zu verbrennen.

Jetzt drohte die schwache und zuweilen aussetzende Brise freilich, die Geschwindigkeit der Brigg auf zwei bis drei Seemeilen in der Stunde zu verringern, obwohl diese alle Leinwand bis auf die Stag- und die Leesegel trug. Wurde es jedoch ganz still, so daß kein Windhauch die Oberfläche des Wassers mehr kräuselte. wo dann die lange Dünung ein Schiff nur auf und ab wiegt, ohne es von der Stelle zu bewegen, dann nützte der Brigg natürlich auch die Entfaltung ihrer ganzen Segelfläche nichts mehr. Gibson konnte in einem solchen Falle nur noch die Meeresströmungen benützen, die in diesem Teile des Großen Ozeans nach Norden zu verlaufen.

[77] Der Wind legte sich jedoch nicht gänzlich. Glühend lag die Sonne auf dem Meere, das sie bis zu großer Tiefe hinunter erhitzte. Wenigstens die höheren Segel blieben gespannt und der »James-Cook« ließ ein leichtes Kielwasser hinter sich.

Am Morgen, als Hawkins, Nat Gibson und der Kapitän von dem plauderten, was sich auf einer Seefahrt als nächstliegender Unterhaltungsgegenstand bietet, von der Witterung, wie sie eben ist und wie sie sich voraussichtlich gestalten wird, sagte Gibson:

»Ich glaube nicht, daß das jetzige Wetter anhält.

– Und warum nicht? fragte der Reeder.

– Draußen am Horizonte sehe ich gewisse Wolken, die uns Wind bringen werden... ich müßte mich denn arg täuschen.

– Diese Wolken steigen aber nicht in die Höhe, bemerkte Hawkins, und wenn es doch ein wenig der Fall ist, lösen sie sich auf.

– Gleichviel, lieber Freund; sie werden sich schon noch verdichten, und solche Wolken sind so gut wie Wind.

– Der uns von Nutzen sein würde, setzte Nat Gibson hinzu.

– O, meinte der Kapitän, wir brauchen keine Dreiressbrise. Nur so viel, unsere Leesegel und die unteren Segel aufzublähen.

– Und was verspricht der Barometer? fragte Hawkins.

– Er ist im Fallen begriffen, antwortete Nat Gibson, nachdem er das im Deckhause hängende Instrument besichtigt hatte.

– Mag er immer fallen, sagte der Kapitän, doch nur langsam, und nicht tolle Sprünge machen, wie der Affe, der auf seine Palme klettert und zuletzt herunterpurzelt! Sind die Windstillen lästig, so werden die Sturmböen manchmal gefährlich, mir sind die zweiten aber doch lieber...

– Ich will dir sagen, was das Beste wäre, Gibson, unterbrach ihn Hawkins; wir sollten eine kleine Hilfsmaschine, so von fünfzehn bis zwanzig Pferdekraft, an Bord haben, damit käme man wenigstens ein Stück weiter, wenn sich gar kein Lüftchen mehr regen will. Auch zur Einfahrt in die Häfen und zum Auslaufen von da würde eine solche sich nützlich erweisen.

– O, man hat bisher keine gebraucht und wird auch noch lange Zeit ohne Hilfsmaschine auskommen, erwiderte der Kapitän.

– Das meinst du, lieber Freund, du bist eben der unveränderte Seemann der alten Handelsflotte geblieben..

[78] – Nein, Hawkins, doch ich bin einmal nicht für solche gemischte Schiffe. Sind sie gut geeignet zum Dampfen, so sind sie es nicht zum Segeln, und umgekehrt.

– Mag sein, Vater, fiel Nat Gibson ein; sieh aber einmal da draußen die Rauchsäule; wär' es nicht hübsch, wenn die jetzt von der Brigg aus aufwirbelte?«

Der junge Mann wies dabei mit der Hand nach einem langen, schwärzlichen Streifen, der über dem nordwestlichen Horizont aufgetaucht war. Mit einer Wolke konnte man ihn nicht verwechseln: es war bestimmt der Rauch von einem Dampfer, der in gleicher Richtung mit der Brigg schnell dahinglitt. Binnen einer Stunde mußten die beiden Fahrzeuge voraussichtlich nebeneinander liegen.

Die Begegnung mit einem Schiffe ist auf dem Meere stets ein interessantes Ereignis. Noch bevor es die Flagge zum Gruße gehißt hat, sucht man seine Nationalität aus der Gestalt des Rumpfes und der Anordnung des Takelwerkes zu erkennen. Henry Gibson sah deshalb mit dem Fernrohre hinaus, und kaum zwanzig Minuten nach dem ersten Sichtbarwerden des Dampfers glaubte er behaupten zu können, daß es ein französisches Schiff sei.

Er täuschte sich hierin auch nicht, denn als es nur noch zwei Meilen von »James-Cook« entfernt war, stieg die Trikolore nach der Gaffel des Briggsegels empor.

Die Brigg antwortete sofort durch Entfaltung der Flagge des Vereinigten Königreiches.

Es war ein Dampfer von acht- bis neunhundert Tonnen, dem Anscheine nach ein Kohlenschiff auf der Fahrt nach einem der Häfen Neuhollands.

Gegen halb zwölf Uhr befand er sich nur noch einige Kabellängen weit von der Brigg und näherte sich dieser noch mehr, als wollte er sie unmittelbar ansprechen. Das sehr ruhige Meer begünstigte dieses Manöver, das unter den obwaltenden Umständen keinerlei Gefahr bot. An Bord ging man auch schon daran, ein Boot aufs Meer zu setzen, so daß eine mündliche Verständigung ermöglicht wurde.


Waffen und Musikinstrumente der Neuseeländer.

Zwischen dem Dampfer und der Brigg kam es nun zu folgendem Gespräch:

»Der Name eures Schiffes?...

– ›James-Cook‹ aus Hobart-Town.

[79] – Der des Kapitäns?...

– Kapitän Gibson.

– Verstanden.

– Und ihr?

– Die ›Assomption‹ aus Nantes, Kapitän Foucault.

– Ihr fahrt?...

– Nach Sydney, Australien.

– Verstanden.

– Und ihr?...

[80] [83]– Nach Port-Praslin, Neuirland.

– Ihr kommt wohl von Auckland?

– Nein, von Wellington.

– Verstanden.

– Und ihr?...

– Von Amboine in den Molukken.

– Gute Reise gehabt?

– Sehr gute, doch eine Mitteilung: In Amboine ist man sehr beunruhigt wegen der Goëlette ›Wilhelmina‹ aus Rotterdam, die, von Auckland ausgesegelt, schon seit einem Monate angekommen sein müßte. Ihr habt wohl nichts von ihr gehört?

– Nein... gar nichts.


»Glückliche Reise, Kapitän Foucault.« (S. 83.)

– Ich bin ziemlich westlich durch das Korallenmeer gefahren, meldete der Kapitän Foucault weiter, bin ihr da aber nicht begegnet, und ihr habt sie doch wohl auch nicht gesehen?

– Nein, antwortete Gibson.

– Wollt ihr mit östlichem Kurse nach Neuirland segeln?

– Das ist unsere Absicht.

– Möglicherweise ist die ›Wilhelmina‹ nur durch einen Sturm weit aus ihrem Kurs verschlagen worden...

– Das könnte wohl sein.

– Wir ersuchen euch also, bei der weiteren Fahrt etwas acht darauf zu haben.

– Daran soll's nicht fehlen.

– Und nun, glückliche Reise, Kapitän Gibson.

– Glückliche Reise, Kapitän Foucault.«

Eine Stunde später steuerte der »James-Cook«, der den Dampfer aus dem Gesicht verloren hatte, nach Nordnordwesten auf die Insel Norfolk zu.

[83]
6. Kapitel
Sechstes Kapitel.
In Sicht der Insel Norfolk.

Ein auf drei Seiten fast regelmäßiges Viereck, dessen Küste an der vierten sich abrundet, aufsteigt und nach Nordwesten zu diese Regelmäßigkeit unterbricht; an den Ecken die Howes-, Nord-Est-, Rocs- und die Rockyspitze, mehr auf einer Seite einen Pik, den Pitt-Mount, dessen Gipfel etwa in elfhundert Fuß Höhe liegt: das ist die geometrische Gestalt der Insel Norfolk, die in dieser Gegend des Großen Ozeans unter 29°2' südlicher Breite und 168° östlicher Länge von Greenwich zu suchen ist.

Die Insel hat nur einen Umfang von sechs Lieues (etwas über dreiundzwanzig Kilometer) und ist, wie alle ihresgleichen in diesem weiten Meeresteile, mit einem Korallenring umgeben, der sie ebenso wie eine Mauer eine Festung schützt. Die Wogen des Meeres werden niemals ihre aus gelblicher Kreide bestehende Unterlage abnagen, die schon eine leichte Brandung allmählich zerstören müßte, denn auch der schwerste Seegang bricht sich an den Korallenfelsen, ohne die Insel zu erreichen. Das Anlaufen Norfolks bereitet den Schiffen auch viele Schwierigkeiten, da sie sich dazu durch enge, gefährliche Wasserstraßen fast zwängen müssen, durch Zugänge, worin es an Strömungen und Wirbeln obendrein nicht fehlt. Einen eigentlichen Hafen hat Norfolk überhaupt nicht. An seiner Südseite und der Sydneybucht waren Gefangenanstalten errichtet, und durch ihre vereinsamte Lage, die Schwierigkeit, daran zu landen, und die Schwierigkeit, daraus wegzukommen, scheint die Insel wirklich von der Natur zu einem Gefängnis bestimmt zu sein.

Hier sei auch noch bemerkt, daß die erwähnten Korallenriffe sich im Süden noch sechs bis sieben Lieues von der Küste aus nach den kleinen Inseln Nepcan und Philips zu erstrecken, die noch zur Norfolkgruppe gerechnet werden.

Trotz seiner beschränkten Ausdehnung ist Norfolk ein reiches Stückchen Land unter dem britischen Kolonialbesitze. Als Cook die Insel 1774 entdeckte, erstaunte er nicht wenig über die wunderbare Vegetation, die sich hier bei dem milden und doch warmen Tropenklima entwickelt hatte. Der Anblick erinnerte an einen Blumenkorb aus den Gefilden Neuseelands, den man, mit den dortigen

[84] [86]Am Nachmittage meldete ein Wachhabender eine Höhe, die im Nordosten von der Brigg sichtbar wurde. Es war das der Gipfel des Pitt-Mount, und gegen fünf Uhr lag das Schiff dem nordöstlichen Ausläufer der Insel Norfolk gegenüber.

Während der Fahrt hierher hatte Gibson diesen Teil des Großen Ozeans sorgfältig im Auge halten lassen. Auf dem Wege des »James-Cook« hatte sich aber keine Spur von Trümmern gezeigt, und das Schicksal der holländischen Goëlette »Wilhelmina« blieb also nach wie vor in Dunkel gehüllt.

Je tiefer die Sonne hinter den Höhen der Insel hinabsank, desto mehr legte sich der Wind. Das Meer nahm fast ein milchiges Aussehen an und kein Streifchen zeigte sich mehr auf seiner nur von einer langen Dünung bewegten Oberfläche.

Bei Anbruch des Tages befand sich die Brigg sicherlich noch in Sicht der Insel. Sie lag jetzt nur noch zwei Seemeilen von ihr entfernt und vermied vorsichtigerweise eine weitere Annäherung, da hier gefährliche Korallenbänke an manchen Stellen sehr weit hinausreichen. Der »James-Cook« lag übrigens fast ebenso still, als wenn er von seinen Ankern gehalten wäre. Keine Strömung trug ihn weiter, und in großen Falten hingen die Segel an den Raaen. Erhob sich wieder eine Brise, so brauchte man sie nur fallen zu lassen, um Fahrt zu machen.

Gibson und seine Passagiere konnten also bei völlig dunstfreiem Himmel einen außerordentlich schönen Abend genießen.

Nach dem Essen nahmen Hawkins, der Kapitän und der junge Gibson auf dem Hinterdeck Platz.

»Da sitzen wir nun in der schönsten Windstille, sagte Gibson, und ich sehe leider auch nirgends ein Zeichen, das auf zu erwartenden Wind deutete.

– Meiner Ansicht nach wird das ja nicht lange dauern, bemerkte Hawkins.

– Und warum? fragte der Kapitän.

– Weil wir jetzt nicht mitten in der warmen Jahreszeit sind, Gibson, und der Stille (oder Große) Ozean steht nicht in dem Rufe, den Namen zu rechtfertigen, den man ihm etwas eilfertig gegeben hat.

– Das ist schon richtig, lieber Freund. Immerhin werden die Schiffe auch zur jetzigen Jahreszeit meist mehrere Tage von einer solchen Windstille zurückgehalten, und dem »James-Cook« wird es nicht besser ergehen, verlaß dich darauf.

[86] – Zum Glück, erwiderte der Reeder, beherbergt die Insel Norfolk jetzt nicht, wie früher, eine Bevölkerung von Raubgesindel... sonst wäre es nicht gerade erwünscht, in deren Nachbarschaft zu liegen.

– Ja freilich, dann hieße es, scharf Wache halten.

– In meiner Kindheit, fuhr Hawkins fort, hab' ich von diesen Tollköpfen reden hören, die keine Strafe, keine noch so strenge Kerkerzucht zur Vernunft zu bringen vermochte, so daß die Regierung zu dem Entschlusse kam, sie nach der Insel Norfolk zu deportieren...

– Und da waren sie gut aufgehoben, fiel Nat Gibson ein, einerseits streng bewacht und andererseits verhindert, von einer Insel zu entfliehen, die von Schiffen kaum angelaufen werden konnte.

– Streng bewacht... ja, das waren sie, junger Freund, auch eine Flucht war sehr schwierig auszuführen. Solchen Verbrechern aber, die einmal vor nichts zurückschrecken, ist, wenn die Wiedererlangung ihrer Freiheit in Frage kommt, alles möglich, selbst das, was fast unmöglich erscheint.

– Kamen denn hier öfters Entweichungen vor, Herr Hawkins?

– Jawohl, Nat, sogar ganz unglaubliche! Entweder gelang es den Verurteilten einmal, sich eines dem Staate gehörigen Bootes zu bemächtigen, oder sie erbauten sich auch wohl selbst aus Rindenstücken ein gebrechliches Fahrzeug, wagten sich damit aufs Meer hinaus...

– Und gingen unter hundert Fällen dabei neunzigmal zu Grunde, sagte Gibson.

– Ohne Zweifel, bestätigte Hawkins die Bemerkung des Kapitäns. Wenn sie aber im Gewässer der Insel gelegentlich ein Schiff wie das unsrige trafen, dann stürmten sie an dessen Bord und vertrieben, wenn es anging, die Besatzung. Nachher segelten sie zwischen den Polynesischen Inseln, wo ihre Fährte schwer zu finden ist, als freche Seeräuber umher...

– Jetzt ist so etwas aber kaum mehr zu befürchten,« versicherte Gibson.

Alles, was Hawkins eben gesagt hatte und was auch der Wahrheit entsprach, fiel, wie man sieht, völlig mit dem Plane zusammen, den Flig Balt und Vin Mod ausgebrütet hatten. Obwohl diese nicht auf der Insel Norfolk gefangen waren, erfüllten sie doch dieselben verbrecherischen Instinkte, wie die Deportierten; sie ersehnten weiter nichts, als das zu tun, was diese an ihrer Stelle getan hätten: die ehrsame Brigg des Hauses Hawkins in Hobart-Town in ein Piratenschiff zu verwandeln und ihr Räuberhandwerk mitten auf dem [87] Großen Ozean zu betreiben, wo diesem erfahrungsgemäß so schwer beizukommen ist.

Hatte der »James-Cook« heute also von der Annäherung an die Insel Norfolk nichts mehr zu fürchten, da die Verbrecher von hier nach Port Arthur übergeführt worden waren, so drohte ihm doch keine geringere Gefahr durch die in Dunedin neu angeworbenen Leute, die entschlossen waren, die Absichten Vin Mods und des Bootsmannes zu unterstützen.

»Da also keine Gefahr mehr vorliegt, Vater, begann Nat Gibson, kann ich ja wohl unser Boot einmal benützen?

– Was hast du damit vor?

– Ich möchte da drüben am Fuße der Felsen angeln. Noch haben wir zwei Stunden Tageslicht vor uns. Das ist gerade die beste Zeit, und ich werde von der Brigg aus stets in Sicht bleiben.«

Der Erfüllung des Wunsches Nat Gibsons stand nichts entgegen. Zwei Matrosen und er mußten genug sein, die Angelschnüre am Rande des Korallenriffes auszulegen. Das Wasser hier war sehr fischreich, und sie kehrten gewiß nicht ohne eine recht ansehnliche Beute zurück.

Gibson sah sich so wie so genötigt, an dem jetzigen Platze der Brigg liegen zu bleiben, da die Strömung mehr nach Südosten zu verlief. Er ließ also den Anker mit fünfunddreißig Faden Kette auf den sandigen Grund hinuntersinken.

Als das Boot klar gemacht war, schickten Hobbes und Wickley sich an, den jungen Gibson zu begleiten, beide, wie der Leser weiß, höchst ehrbare Seeleute, denen der Kapitän volles Vertrauen schenken konnte.

»So fahre denn hinaus, Nat, sagte dieser zu seinem Sohne, doch bleib' nicht bis zur Dunkelheit aus...

– Und bring' uns eine hübsche Schüssel Backfische für das Frühstück morgen Vormittag mit, setzte Hawkins noch hinzu, und womöglich auch ein Bischen Wind, wenn sich an der Küste davon noch etwas findet.«

Das Boot stieß ab, und von kräftigen Ruderschlägen getrieben, hatte es bald die zwei Seemeilen zurückgelegt, die die Brigg von den ersten Korallenklippen trennten.

Hier wurden nun die Schnüre ausgelegt. Nat Gibson hatte nicht einmal nötig, einen Wurfanker aus bringen zu lassen, da hier keine Strömung, nicht einmal eine leichte Brandung zu bemerken war, das Boot blieb vielmehr nach dem Einziehen der Ruder ganz ruhig liegen.


Die Wentworthfälle.

[88] [91]Von der Insel aus reichten die Korallenbänke hier etwa eine halbe Meile weit hinaus, also weniger weit als im Süden in der Richtung nach den Philippsinseln, und obgleich die Küste nicht von der, jetzt durch den Pitt-Mount verdeckten Sonne erhellt war, konnte man an ihr doch alle Einzelheiten erkennen: schmale Strandstreifen zwischen den gelblichen Kalkfelsen, fast ganz abgeschlossene Buchten, scharfkantige Felsvorsprünge und zahlreiche Rios, die nach dem Meere herunterflossen. In den dichten Waldungen und auf den grünenden Ebenen gibt es deren übrigens eine sehr große Menge. Dagegen war keine Hütte unter den Bäumen, kein Rauch, der über das Laubdach emporstieg, und keine Pirogue zu sehen, die in einem Ufereinschnitte angelegt oder auf den Sand gezogen gewesen wäre.

An Leben fehlte es deshalb jedoch zwischen dem Kamm des Risses und dem Lande keineswegs. Das rührte aber nur von zahlreichen Wasservögeln her, die die Luft mit ihrem abscheulichen Geschrei erfüllten, von Raben mit weißlichem Flaum, Spornkuckucken mit grünem Gefieder, von Eisvögeln, deren Leib schön aquamarinfarbig aussieht, ferner von luisianischen Staren mit rubinroten Augen, Meerschwalben, Raupenfressern und Fliegenschnäppern, ohne von den Fregattvögeln zu reden, die mit mächtigem Flügelschlag vorüberzogen.

Hätte Nat Gibson sein Gewehr bei sich gehabt, so hätte er hier manches Stück Federwild erlegen können... freilich ohne jeden Nutzen, denn die genannten Vögel sind alle nicht eßbar. Mit Rücksicht auf die nächste Mahlzeit war es jedenfalls besser, das einzuheimsen, was das Meer liefern konnte, und das Meer erwies sich im allgemeinen auch recht freigebig.

Nach einstündigem Aufenthalt an der Korallenbank hatte das Boot genug erbeutet, alle Schiffsinsassen zwei volle Tage zu ernähren. In dem klaren Gewässer, auf dessen Grunde viele Wasserpflanzen wuchern, gibt es einen Überfluß von Krustentieren, Mollusken, Muscheln, Heuschreckenkrebsen, großen und kleinen Garnelen, von Eischnecken, Schüsselschnecken und anderen Arten, und der Vorrat an diesen muß rein unerschöpflich sein, da manche Amphibien, Robben und andere, davon ungeheuere Mengen verzehren.

Unter den Fischen, die sich an den Schnüren singen und einer überraschenden Zahl von Arten angehörten, die alle die lebhaftesten Farben zeigten, fielen Nat Gibson und den beiden Matrosen auch mehrere Blennies (Schleimsische) in die Hände. Der Blenny ist ein merkwürdiges Tier, dessen Augen am höchsten Punkte des Kopfes sitzen und dessen Kiefer mit Kehlflossen besetzt und [91] hellgrau gefärbt ist; dabei lebt es ebenso im Wasser, wie es sich auf dem Strande hinbewegt oder gar mit den Bewegungen der brasilianischen Beutelratte oder des Känguruhs auf Felsblöcke am Ufer springt.

Es war jetzt sieben Uhr und die Sonne schon im Untergehen; ihre letzten Strahlen umflossen nur noch goldpurpurn den Gipfel des Mount-Pitt.

»Herr Nat, begann da Wickley, wäre es nicht an der Zeit, an Bord zurückzukehren?

– Das erscheint mir auch ratsam, setzte Hobbes hinzu. Gegen Abend springt nicht selten ein Landwind auf, und wenn die Brigg sich den zunutze machen könnte, dürfen wir sie nicht warten lassen.

– So zieht die Schnüre ein, antwortete der junge Mann, wir wollen nach dem ›James-Cook‹ zurückfahren. Ich befürchte freilich, daß ich den von Herrn Hawkins gewünschten Wind noch nicht mitbringe.

– Nein, stimmte Hobbes ein, nicht so viel, eine Mütze füllen zu können.

– Und draußen am Horizonte steigt auch kein Wölkchen auf, setzte Wickley hinzu.

– Gleichviel... wir wollen zurückfahren,« wiederholte Nat Gibson.

Vor dem Abfahren von der Korallenbank erhob er sich jedoch auf dem Hinterteile des Bootes noch einmal und überflog mit dem Blick die ganze Linie des Risses, die den nordöstlichen Landvorsprung einrahmte. Eben erinnerte er sich der verschwundenen Goëlette, von der niemand wieder etwas gehört hatte. Vielleicht entdeckte er hier einzelne Trümmer von der »Wilhelmina«, eine Seetrift, die von den Strömungen nach der Insel getragen worden wäre. Es war ja möglich, daß der vielleicht nicht völlig zerstörte Rumpf des Fahrzeuges oder wenigstens dessen Wrack im Norden oder Süden der Landspitze noch sichtbar wäre.

Auch die beiden Matrosen lugten aufmerksam nach der mehrere Seemeilen weit erkennbaren Küste hinaus, doch auch sie entdeckten nichts von der Goëlette, deren Verschwinden der Dampfer ihnen gemeldet hatte.

Wickley und Hobbes wollten schon wieder zu den Rudern greifen, als Nat Gibson auf einem vom Ufer getrennt aufragenden Felsblock eine menschliche Gestalt zu erkennen glaubte. Da er sich etwa eine Meile davon entfernt befand und auch die Dämmerung schon einsetzte, fragte er sich, ob er sich nicht getäuscht hätte. War das wirklich ein Mann, den vielleicht das Erscheinen des Bootes ans Ufer gelockt hatte?... Bewegte er jetzt nicht die [92] Arme, wie um Hilfe zu bitten? Es war fast unmöglich, sich darüber sofort klar zu sein.

»Seht einmal dorthin,« sagte Nat Gibson zu den Matrosen.

Eben hatte sich ein tieferer Schatten auf den betreffenden Teil des Ufers gelegt, und die menschliche Gestalt – wenn es eine solche war – war verschwunden.

»Ich kann dort nichts sehen, erklärte Wickley.

– Und ich auch nicht, sagte Hobbes.

– Dennoch glaub' ich nicht, mich getäuscht zu haben, fuhr Nat Gibson fort; vor ganz kurzer Zeit stand ein Mann da drüben...

– Sie glauben, einen Mann gesehen zu haben? fragte Wickley.

– Ja... dort... uns gegenüber... auf einem Felsblock. Er winkte mit den Armen... er schien auch zu rufen, doch drang seine Stimme jedenfalls nicht bis hierher.

– Gegen Sonnenuntergang kommen nicht selten Robben nach dem Strande, bemerkte Hobbes, und wenn eine solche sich aufrichtet, kann man sie leicht mit einem Menschen verwechseln.

– Das ist freilich möglich, antwortete Nat Gibson, und bei dieser Entfernung könnte ich doch vielleicht falsch gesehen haben.

– Ist denn die Insel Norfolk jetzt bewohnt? fragte Hobbes.

– Nein, erwiderte der junge Mann. Eingeborne gibt es hier nicht, doch Schiffbrüchige könnten ja genötigt gewesen sein, darauf Zuflucht zu suchen.

– Und wenn sich hier Schiffbrüchige aufhielten, setzte Wickley hinzu, könnten es nicht Leute von der ›Wilhelmina‹ sein?

– Vorläufig gehen wir an Bord zurück, erklärte Nat Gibson. Voraussichtlich liegt die Brigg morgen noch an derselben Stelle, und dann suchen wir die Küste bei vollem Tageslichte mit unseren Fernrohren ab.«

Die beiden Matrosen griffen zu den Rudern. Binnen zwanzig Minuten hatte das Boot den »James-Cook« erreicht, und der Kapitän, der ja einem Teile seiner Mannschaft nicht recht traute, beeilte sich, das kleine Fahrzeug wieder auf das Deck holen zu lassen.

Die erbeuteten Fische kamen Hawkins sehr willkommen, denn jetzt konnte er, der viel Interesse für Naturgeschichte hatte, einmal mit Muße die Blennies besichtigen, von denen ihm bisher noch keiner in die Hände gekommen war.

[93] Nat Gibson erzählte seinem Vater, was er gesehen zu haben glaubte, als das Boot von der Korallenbank eben abfahren sollte.

Der Kapitän und der Reeder lauschten aufmerksam den Mitteilungen des jungen Mannes. Sie wußten ja, daß die Insel nach Aufhebung der früheren Verbrecherkolonie völlig verlassen war, und daß es auch den Eingebornen der benachbarten Archipele, sowie Australiern, Maoris und Papuas nie eingefallen war, sich hier anzusiedeln.

»Immerhin ist es möglich, daß sich gerade jetzt Fischer dort zeitweise aufhielten, fiel Flig Balt ein, der dem Berichte Nats zugehört hatte.

– Ja freilich, meinte der Reeder, und das wäre zu dieser Jahreszeit auch gar nichts so wunderbares.

– Hast du vielleicht ein Boot innerhalb des Riffkranzes gesehen? fragte der Kapitän seinen Sohn.

– Nein, Vater.

– Dann glaub' ich doch, ließ der Bootsmann sich vernehmen, daß Herr Nat sich getäuscht hat. Es war ja schon ziemlich dunkel. Ich rate Ihnen also, Kapitän, daß wir jedenfalls weitersegeln, wenn im Laufe der Nacht etwas Wind aufkäme.«

Natürlich fürchtete Flig Balt, dem schon die Anwesenheit des Herrn Hawkins und Nat Gibsons an Bord der Brigg wider den Strich ging, nichts mehr, als die Aufnahme weiterer Passagiere; in einem solchen Falle mußte er dann wohl oder übel auf seine Pläne verzichten, und das wollte er doch nicht. Seine Genossen und er waren nun einmal entschlossen, das Schiff vor dessen Ankunft in Neuirland in ihre Gewalt zu bringen.

»Und doch, fuhr der Kapitän fort, wenn Nat keinen Irrtum begangen hat, wenn auf der Insel Norfolk Schiffbrüchige schmachten, die ja recht wohl Überlebende von der ›Wilhelmina‹ sein könnten, müssen wir ihnen Hilfe bringen. Ich würde meine Menschenpflicht und meine Seemannsehre zu verletzten glauben, wenn ich davonführe, ohne über die Sachlage Gewißheit erlangt zu haben.

– Du hast recht, Gibson, stimmte ihm Hawkins bei. Doch, da fällt mir ein, ob der Mann, den Nat gesehen zu haben geglaubt hat, nicht vielleicht ein Verbrecher sein könnte, der aus der früheren Gefangenanstalt entwichen und auf der Insel zurückgeblieben wäre...

– Dann müßte der Mann wenigstens sehr alt sein, antwortete der Kapitän, denn die Auflassung der Anstalt erfolgte 1842, und wenn er sich [94] schon damals darin befand, wäre er jetzt, wo wir 1885 schreiben, gewiß schon ein hoher Siebziger!

– Das ist ja richtig, Gibson. Ich komme auch mehr und mehr auf den Gedanken, daß Schiffbrüchige von der holländischen Goëlette nach der Insel Norfolk verschlagen sein könnten, wenn sich Nat nicht überhaupt getäuscht hat.

– Nein nein... das nicht! versicherte der junge Mann.

– Dann müßten sich die armen Leute, fuhr Hawkins fort, dort etwa seit vierzehn Tagen befinden, denn wahrscheinlich hat der Schiffsunfall nicht früher stattgefunden.

– Jawohl, wenigstens nach dem, was uns der Kapitän der ›Assomption‹ mitgeteilt hat, antwortete Gibson. Morgen wollen wir auch alles versuchen, was sich hierbei tun läßt. Befindet sich, woran Nat ja nicht zweifelt, ein Mann an diesem Teile der Küste, so wird er, wenn es wieder hell wird, gewiß noch einmal Umschau halten, und mit den Fernrohren werden wir ihn trotz der Entfernung erkennen können...

– Ich muß Ihnen aber wiederholen, Herr Kapitän, fiel der Bootsmann ein, wenn sich in der Nacht noch Wind erhöbe, wär' es doch wohl ratsamer...

– Ob wir Wind bekommen oder nicht, Balt, der ›James-Cook‹ bleibt vorläufigverankert, und wir segeln nicht eher ab, ehe nicht ein Boot hinausgegangen ist, die Sachlage zu untersuchen. Ich gehe von der Insel Norfolk nicht weg, ohne die Umgebung der Nordostspitze abgesucht zu haben, wenn uns das auch vierundzwanzig Stunden kostete.

– Das ist recht, Vater; ich bin auch überzeugt, daß dieser Tag kein verlorener sein wird.

– Ist das nicht auch deine Ansicht, Hawkins? fragte der Kapitän, sich dem Reeder zuwendend.

– Vollständig,« erklärte Hawkins.

Gibson war ja wegen seines Entschlusses nicht einmal zu rühmen, denn mit dem, was er vor hatte, erfüllte er nur seine einfache Menschenpflicht.

Nach dem Vorderdeck zurückgekehrt, erhielt Vin Mod von Flig Balt Mitteilung von dem, was hier eben besprochen und beschlossen worden war. Dem Matrosen paßte das natürlich ebensowenig wie dem Bootsmanne. Immerhin konnte Nat Gibson sich dennoch getäuscht haben. Vielleicht hatte sich keiner von den Schiffbrüchigen der »Wilhelmina« auf diese Küste gerettet. Jedenfalls sollte man ja binnen zwölf Stunden darüber Klarheit haben.

[95] Die Nacht, es war eben Neumond, wurde sehr dunkel. Ein Nebelschleier in den höheren Luftschichten verdeckte alle Sterne Im Westen war jedoch das Land als eine noch etwas dunklere Masse undeutlich sichtbar.

Gegen neun Uhr brachte eine leichte Brise dann und wann ein Anklatschen des Wassers am »James- Cook« hervor, der sich um ein Viertel vor seinem Anker drehte. Mit diesem aus Südwesten kommenden Winde wär' es ja möglich gewesen, nach Norden zu zu segeln. Der Kapitän beharrte indes bei seinem Beschlusse und die Brigg blieb also vor Anker liegen.

Übrigens handelte es sich nur um einen zeitweiligen Windhauch, der den Gipfel des Mount-Pitt streifte, und das Meer glättete sich stets bald von neuem.

Hawkins saß nebst Gibson und dessen Sohne auf dem Hinterdeck. Sie waren noch nicht in ihre Kabinen gegangen, um die nach der Hitze des Tages doppelt erquickende, frische Nachtluft zu genießen.

Es mochte fünfundzwanzig Minuten nach neun Uhr sein, als Nat Gibson sich erhebend nach der Küste hinausspähte, während er sich dem Backbord näherte.

»Ein Feuer! rief er plötzlich. Da draußen lodert ein Feuer!

– Wie... ein Feuer? wiederholte der Reeder.

– Ja, Herr Hawkins.

– Und in welcher Richtung?

– In der des Felsblockes, wo ich den Mann gesehen habe...

– Ja, wirklich, bestätigte der Kapitän.

– Da wäre ja der Beweis, daß ich mich nicht getäuscht hatte!« sagte Nat Gibson mit einer gewissen Befriedigung.

An der bezeichneten Stelle flackerte ein Feuer, ein Holzfeuer, dessen hohe Flammen in einem dicken Rauchwirbel emporloderten.

»Gibson, ließ sich Hawkins vernehmen, das ist ein Zeichen, das uns gilt.

– Ohne Zweifel! bestätigte der Kapitän. Auf der Insel befinden sich Verunglückte!«


»Seht einmal dorthin,« sagte Nat Gibson zu den Matrosen. (S. 93.)

Ob nun Schiffbrüchige oder andere, jedenfalls menschliche Wesen, die Hilfe verlangten. Welche Angst mußten sie ausgestanden und welche Furcht empfunden haben, daß die Brigg schon die Anker gelichtet haben könnte!

Jetzt galt es deshalb, sie zu beruhigen, was sofort geschehen sollte.

»Nat, sagte der Kapitän, hole dein Gewehr und beantworte das Signal.«

[96] [99]Der junge Mann begab sich nach dem Deckhause und kam mit einem Karabiner in der Hand wieder heraus.

Drei Schüsse krachten... rollend tönte das Echo vom Ufergelände zum »James-Cook« zurück.

Gleichzeitig schwenkte ein Matrose dreimal eine Fackel, die am Top des Fockmastes befestigt wurde.

Jetzt war also nur noch das Grauen des Tages abzuwarten, dann sollte sich der »James-Cook« mit dem Landvorsprünge der Insel in Verbindung setzen.

7. Kapitel
Siebentes Kapitel.
Die beiden Brüder.

Zur Zeit des Morgenrotes verhüllte ein ziemlich dicker Nebel den Horizont im Westen. Vom Ufer der Insel Norfolk waren kaum die Umrisse der Felsen zu erkennen. Diese Dünste mußten ja voraussichtlich bald verschwinden. Über der Nebelschicht sah man schon den Gipfel des Mount-Pitt in Sonnenlicht gebadet.

Der oder die Schiffbrüchigen konnten jetzt übrigens nicht mehr so beunruhigt sein; denn obwohl die Brigg augenblicklich für sie unsichtbar war, hatten sie gestern Abend doch sicherlich die Antwort auf ihr Signal gehört und verstanden. Das Schiff konnte seinen Ankerplatz also wohl nicht verlassen haben, und binnen einer Stunde sollte ja wirklich ein Boot ans Land geschickt werden.

Bevor ein solches jedoch flott gemacht wurde, wollte Gibson mit gutem Grunde warten, bis die Landspitze nebelfrei wäre. Von da hatte ja der Feuerschein herübergeleuchtet und da hatten sich die Verlassenen. gezeigt, die den Beistand des »James-Cook« erflehten. Offenbar verfügten sie nicht einmal über eine Pirogue, denn sonst wären sie doch wohl schon selbst an Bord gekommen.

Allmählich erwachte eine Brise aus Südosten. Einige an der Linie zwischen Himmel und Wasser lagernde Wolken deuteten darauf hin, daß sie noch am[99] Morgen auffrischen werde. Ohne die Veranlassung, die ihn jetzt vor Anker zurückhielt, hätte Gibson Befehl gegeben, abzusegeln.

Etwas vor sieben Uhr kam der Fuß der Korallenbank, längs der eine weißliche Brandung aufschäumte, deutlicher zum Vorschein. Die Dunstmassen wälzten sich eine nach der anderen weiter, und die Landspitze tauchte klar sichtbar heraus.

»Er ist noch da, rief Nat... oder richtiger: sie sind noch da!

– Mehrere Männer? fragte der Reeder.

– Zwei, Herr Hawkins.«

Jetzt nahm dieser das Fernrohr vors Auge.

»Ja, rief er, sie geben uns Zeichen... sie schwenken ein Stück Leinwand an einem Stocke!«

Der Kapitän, der nun auch durch das Fernrohr sah, bestätigte die Anwesenheit zweier Männer, die auf den äußersten Felsblöcken der Landspitze standen. Da der Nebel sich verzogen hatte, konnte man sie sogar mit bloßen Augen erkennen. Daß es dieselben beiden Gestalten wären, die Nat am Abend vorher gesehen hatte, war ja nicht zu bezweifeln.

»Das große Boot ausgesetzt,« befahl der Kapitän.

Gleichzeitig hißte Flig Balt auf seine Anordnung die britische Flagge an der Gaffel des Besanmastes als Antwort auf das Zeichen.

Wenn Gibson das große Boot aussetzen ließ, geschah das für den Fall, daß noch mehr als zwei Personen aufzunehmen wären. Es war ja nicht ausgeschlossen, daß hier noch andere Schiffbrüchige von der »Wilhelmina« Zuflucht gefunden hätten, und es wäre ja allen Verunglückten zu wünschen gewesen, daß sie nach der Flucht von der Goëlette diese Küste hätten erreichen können.

Als das Boot hinuntergelassen war, nahmen der Kapitän und sein Sohn – dieser am Steuerruder – Platz, und vier Matrosen setzten sich an die Ruder. Unter diesen war auch Vin Mod, und als er über die Reling stieg, deutete er dem Bootsmann noch durch ein Zeichen an, wie ihn die ganze Sache erregte.

Das Boot fuhr auf die Korallenbank zu. Beim Angeln längs der Bank hatte Nat Gibson eine schmale Öffnung entdeckt, die einen Weg durch den Klippengürtel bildete. Die Entfernung bis zur Landspitze betrug von da an nur noch sieben bis acht Kabellängen.

In noch nicht einer Viertelstunde erreichte das Boot die enge Wasserstraße. Von hier aus bemerkte man die letzten Rauchwölkchen von dem Feuer, [100] das die ganze Nacht hindurch unterhalten worden war und woneben die beiden Männer gestanden hatten.

Vorn im Boote drehte sich Vin Mod in seiner Ungeduld, diese zu sehen. wiederholt um und störte dabei schließlich die Bewegung der anderen Ruder.

»Achtung auf die Riemen, Vin Mod! rief ihm der Kapitän zu. Du wirst deine Neugier schon befriedigen können, wenn wir am Lande sind...

– Ja freilich... am Lande... später!« murmelte der Matrose, der vor Wut am liebsten sein Ruder zerbrochen hätte.

Die Einfahrt wand sich zwischen hervorstehenden Korallenblöcken hin, mit denen zusammenstoßen nicht ohne Gefahr gewesen wäre. Die spitz auslaufenden, fast stahlharten Kanten hätten den Rumpf eines Bootes leicht ernstlich beschädigen können. Gibson ließ deshalb auch die Fahrgeschwindigkeit verringern. Im übrigen hatte es keine Schwierigkeiten, nach der Landspitze zu gelangen. Der Wind wirkte auch hier auf das Wasser und trieb das Fahrzeug fast allein in der erwünschten Richtung. Am Fuße der Felsen schäumte deshalb auch eine ziemlich starke Brandung.

Der Kapitän und sein Sohn betrachteten gespannt die beiden Männergestalten, die Hand in Hand, unbeweglich und schweigsam – selbst ohne einen Anruf ihrer Retter – dastanden. Als das Boot dann an der Spitze abschwenkte, konnte auch Vin Mod sie bequem sehen.

Der eine mochte fünfunddreißig, der andere dreißig Jahre alt sein. Wie sie so barhäuptig und nur mit Lumpen bekleidet dastanden, verriet nichts, daß sie Seeleute wären. Etwa von gleicher Größe, mit blondem Haar und ungepflegtem Barte, ähnelten sie einander so auffallend, daß man beide für Brüder halten mußte. Jedenfalls waren es keine eingebornen Polynesier.

Noch vor der eigentlichen Landung und als der Kapitän und sein Sohn noch auf der Bank im Hinterteile saßen, trat der ältere der beiden Männer bis ans Ende der Landspitze vor und rief in englischer Sprache, doch mit fremdem Dialekt:

»Dank euch, daß ihr uns zu Hilfe gekommen seid, tausend Dank!

– Wer seid ihr? fragte Gibson, jetzt näher am Lande.

– Wir sind Holländer.

– Schiffbrüchige?...

– Ja; von der Goëlette ›Wilhelmina‹.

– Und die einzigen Geretteten?...

[101] – Die einzigen, wenigstens nach dem Schiffbruche die einzigen, die an diese Küste gekommen sind.«

Aus dem unbestimmten Tone der letzten Worte ließ sich erkennen, daß der Mann nicht wußte, ob er auf einem Festlande oder einer Insel Zuflucht gefunden hatte.

Der Wurfanker des Bootes wurde ans Land gebracht, und nachdem ihn einer der Matrosen in einer Felsaushöhlung festgelegt hatte, stiegen Gibson und die übrigen aus dem Fahrzeug aus.

»Wo befinden wir uns? fragte der ältere Mann.

– Auf der Insel Norfolk, antwortete der Kapitän.

– Auf Norfolk!« wiederholte der jüngere.

Die Schiffbrüchigen erfuhren hiermit also, wo sie eigentlich waren: auf einer vereinzelt liegenden Insel im westlichen Teile des Großen Ozeans. Sie waren hier übrigens die einzigen von denen, die die holländische Goëlette an Bord gehabt hatte.

Auf die Frage, was aus der »Wilhelmina« geworden und ob sie mit Mann und Maus untergegangen sei, konnten sie Gibson keine bestimmte Antwort geben. Über die Ursache des Schiffbruches berichteten sie folgendes:

Vor vierzehn Tagen war die Goëlette in der Nacht angefahren worden. Das mochte drei bis vier Seemeilen östlich von der Insel Norfolk geschehen sein.

»Als wir aus unserer Kabine hinauseilten, sagte der ältere der beiden Brüder, wurden wir schon mit einem Wirbel hinabgezogen. Die Nacht war dunkel und dunstig. Wir klammerten uns an einen Hühnerkäfig, der zum Glück in unsere Nähe trieb. Drei Stunden später hatte uns die Strömung hier an die Korallenbank getragen, und von da sind wir nach dem Lande hinübergeschwommen.

– Ihr seid also jetzt seit vierzehn Tagen auf der Insel? fragte Gibson.

– Seit vollen vierzehn Tagen.

– Und ihr habt hier keinen Menschen getroffen?

– Nicht einen einzigen.

– Wir sind auch, setzte der jüngere hinzu, überzeugt, daß es auf diesem Lande kein menschliches Wesen gibt, mindestens daß dieser Küstenstrich völlig unbewohnt ist.

– Habt ihr denn gar nicht daran gedacht, weiter ins Innere vorzudringen? sagte Nat Gibson.

[102] – O doch, erklärte der ältere. Da hätten wir aber durch dichte Wälder dringen müssen, auf die Gefahr hin, daß wir uns darin verirrten, und vielleicht hätten wir auf dem Wege nichts gefunden, nur das Leben zu fristen.

– Wozu hätte es auch dienen können, fuhr der jüngere fort, da wir uns, wie wir eben erfahren haben, doch auf einer verlassenen Insel befanden? Da war es doch besser, am Ufer auszuharren; wir hätten uns sonst doch jeder Aussicht beraubt, beim Vorüberkommen eines Schiffes bemerkt und, so wie es jetzt geschehen ist, gerettet zu werden.

– Das ist freilich richtig.

– Und Ihre Brigg... welche ist diese? fragte der jüngere der Brüder.

– Die englische Brigg ›James-Cook‹.

– Und deren Kapitän?

– Bin ich selbst, antwortete Gibson.

– Nun, Herr Kapitän, bemerkte der andere, Gibsons Hand drückend, Sie sehen also, daß wir gut daran getan haben, hier an der Küste zu bleiben!«

Unzweifelhaft wären die Schiffbrüchigen bei einem Versuche, den Mount-Pitt zu umwandern oder ihn zu ersteigen, um eine weitere Aussicht zu gewinnen, infolge unüberwindlicher Schwierigkeiten vor Hunger und Ermüdung in den undurchdringlichen Wäldern des Inneren umgekommen.

– Wie habt ihr aber, von allem entblößt, hier überhaupt so lange aushalten können? fragte Gibson teilnehmend.

– Unsere Nahrung bestand aus einigen Vegetabilien, antwortete der ältere, aus da und dort gefundenen Wurzelfrüchten, aus Palmenkohl, den wir von den Bäumen holten, aus wildem Sauerampfer, Gänsedisteln, Meerfenchel und den Zapfen der Araukarien. Ja, wenn wir Angeln gehabt oder solche hätten anfertigen können, wär' es leicht gewesen, Fische zu fangen, denn davon gibt es Überfluß zwischen den Uferfelsen...

– Wie stand es aber mit dem Feuer, fiel Nat Gibson ein. Wie habt ihr euch das verschaffen können?

– Nun, die ersten Tage, erwiderte der jüngere, mußten wir darauf verzichten. Zündhölzchen hatten wir nicht, oder doch nur völlig durchnäßte, die nicht mehr brauchbar waren. Da entdeckten wir nach dem Berge zu zum Glück eine Solfatare, woraus einzelne Flämmchen emporzüngelten. Rund umher war reichlich Schwefel abgelagert, und das ermöglichte es uns, Wurzeln und Gemüse abzukochen.

[103] – Und auf diese Weise habt ihr vierzehn Tage lang gelebt? fragte Gibson.

– Ja wohl, Herr Kapitän. Freilich schwanden uns dabei die Kräfte und wir waren zuletzt der Verzweiflung nahe. Da bemerkte ich gestern, auf dem Rückweg von der Solfatare, ein Fahrzeug, das zwei Meilen von der Küste vor Anker lag.

– Ja, erklärte Gibson, der Wind hatte sich völlig gelegt, und da die Strömung uns nach Südosten zurückzutragen drohte, sah ich mich gezwungen, zu ankern.

– Es war schon recht spät, fuhr der ältere fort, kaum noch eine Stunde Tageslicht, und wir befanden uns etwa noch eine halbe Lieue weit landeinwärts. Nun liefen wir so schnell wie möglich nach der Landspitze und sahen von da aus ein Boot, das sich zur Rückkehr nach seinem Schiffe anschickte. Ich rief, so laut ich konnte, um Hilfe, suchte mich durch Zeichen verständlich zu machen...

– In diesem Boote befand ich mich, unterbrach ihn Nat Gibson; ich glaubte auch, einen Menschen zu er kennen, doch nur einen, der hier auf dem Felsblocke stände. Es wurde gestern aber schon zu dunkel...

– Da haben Sie mich gesehen, antwortete der ältere. Ich war meinem Bruder vorausgeeilt. Doch welche Enttäuschung, als ich sah, daß das Boot sich entfernte, ohne mich bemerkt zu haben! – Wir gaben schon fast jede Hoffnung auf Errettung verloren, vorzüglich, weil gleichzeitig eine leichte Brise aufsprang. Da konnte die Brigg doch in der Nacht davonsegeln und am Morgen befand sie sich dann schon weit weg von der Insel.

– Ihr armen Leute! murmelte der Kapitän.

– Die Küste lag bald in tiefer Finsternis... von dem Schiffe war nichts mehr zu sehen. Die Stunden verstrichen. Da kamen wir auf den Gedanken, an der Landspitze ein Feuer zu entzünden. Nun trugen wir dürres Gras und trockenes Holz zusammen und holten einige glühende Kohlen von dem Herdfeuer, das wir etwas entfernter von der Küste unterhielten. Bald loderten helle Flammen empor. Lag die Brigg noch an ihrem Ankerplatze, so konnte der Schein ihren Wachtposten nicht entgehen. Da vernahmen wir zu unserer größten Freude gegen zehn Uhr den Schall von drei Schüssen, und in der Richtung, wo die Brigg offenbar lag, leuchtete eine Fackel auf. Wir waren also gesehen worden! Jetzt glaubten wir, daß die Brigg bis zum nächsten Tage liegen bleiben [104] und uns jedenfalls schon in der Morgenfrühe aufnehmen werde.


»Dank euch, daß ihr uns zu Hilfe gekommen seid...« (S. 101.)

Es war aber auch die höchste Zeit, Herr Kapitän, die allerhöchste Zeit... drum noch einmal: Dank Ihnen, tausend Dank!«

Die Schiffbrüchigen waren offenbar am Ende ihrer Kräfte. Bei ihrer unzureichenden Nahrung, der vollständigen Erschöpfung und dem Mangel an Kleidung, denn die Lumpen, die sie trugen, deckten nur notdürftig ihre Blößen, kann man sich wohl vorstellen, daß sie es eilig hatten, nach dem »James-Cook« zu kommen.

[105] »Einsteigen! befahl jetzt auch Gibson. Ihr braucht zunächst Nahrung und Kleidung. Das weitere wird sich dann schon finden.«

Die Überlebenden von der »Wilhelmina« brauchten nicht erst nach dem Uferlande zurückzukehren, wo sie doch nichts zu holen hatten. Alles Notwendige sollte ihnen ja geliefert werden und sie sollten den Fuß nicht weiter auf diese Insel setzen.

Als Gibson, sein Sohn und die beiden Brüder auf den Bänken am Achter Platz genommen hatten, wurde der Wurfanker eingeholt, und das Boot glitt durch die schmale Einfahrt zurück.

Aus der Redeweise der beiden Geretteten hatte Gibson bald erkannt, daß diese jedenfalls einer höheren Gesellschaftsklasse angehörten als der, woraus die Matrosen gewöhnlich hervorgehen. Er wollte aber bis zum Zusammentreffen mit Hawkins warten, ehe er weitere Fragen an sie richtete und sich entschiede, was später mit ihnen geschehen sollte.

Auch Vin Mod hatte sich, freilich zu seinem Mißvergnügen, sagen müssen, daß er hier keine Seeleute vor sich sah, die wie Len Cannon und dessen Kameraden aus Dunedin zu all und jedem fähig wären, und auch keine jener Abenteurer, denen man in diesem Teile des Großen Ozeans sonst so häufig begegnet. Die beiden Brüder hatten offenbar nicht zur Mannschaft der Goëlette gehört. Sie mochten auf dieser also wohl als Passagiere und von deren Insassen die einzigen gewesen sein, die sich bei dem Schiffsunfall gerettet hatten. Vin Mod kehrte von der Ausfahrt also nur ärgerlicher zurück, da er sich sagen mußte, daß die Ausführung seiner Pläne jetzt noch auf mehr Hindernisse stoßen werde.

Das Boot legte an der Brigg an. Gibson, sein Sohn und die Schiffbrüchigen stiegen an Bord. Die letzteren wurden sofort Hawkins vorgestellt, der seine Erregung nicht verhehlen konnte, als er sah, in welch elendem Zustande sie sich befanden. Zuvorkommend streckte er ihnen die Hand entgegen mit den Worten:

»Seid uns willkommen, liebe Freunde!«

Die beiden, nicht minder erregten Brüder wollten sich ihm zu Füßen werfen, was er jedoch verhinderte.

»Nein... nein! rief er. Wir freuen uns ja über die glückliche Rettung!«

Dem braven Manne raubte die Rührung fast die Sprache, und er konnte Gibson nur zustimmen, als dieser mahnte: »Nun aber zu Tische! Sie müssen etwas zu essen bekommen... die Ärmsten sterben ja fast vor Hunger!«

[106] Die beiden Brüder wurden nach der gemeinschaftlichen Kajüte geführt, wo das erste Frühstück aufgetragen war, und nun endlich konnten sie sich nach vierzehntägigen Entbehrungen und Leiden einmal wieder sättigen und erholen.

Gibson wies sie dann nach einer Seitenkabine, wo Kleidungsstücke aus den Vorräten für die Mannschaft lagen. Nachdem sie sich umgezogen hatten, erschienen die Schiffbrüchigen auf dem Hinterdeck und hier erzählten sie im Beisein Hawkins, des Kapitäns und dessen Sohnes ihre Geschichte.

Die Männer waren Holländer, gebürtig aus Groningen. Sie hießen Karl und Pieter Kip. Der ältere, Karl, ein Offizier der niederländischen Handelsflotte, hatte schon viele Fahrten, zuerst als Leutnant, später als Oberbootsmann, mitgemacht. Der jüngere, Pieter, war Teilhaber eines Kontors auf Amboina, einer der Molukken, und Korrespondent der Firma Kip in Groningen.

Das Haus betrieb den Groß- und den Kleinhandel mit den Erzeugnissen des zu Holland gehörigen Archipels, vorzüglich mit Muskatnüssen und Gewürznelken, die hier in großer Menge gewonnen werden. Wenn das Geschäft auch nicht zu den allerersten der Stadt gehörte, so hatte sich dessen Inhaber doch des besten Rufes in den kaufmännischen Kreisen zu erfreuen gehabt.

Kip, der Vater der Schiffbrüchigen und seit einigen Jahren Witwer, war vor fünf Monaten gestorben... ein schwerer Schlag für die Geschäfte der Firma, der zu gewissen Maßnahmen drängte, eine Liquidation des Handelshauses zu verhindern, die gerade jetzt unter ungünstigen Umständen stattgefunden hätte, und deshalb mußten vor allem die beiden Brüder nach Groningen zurückkehren.

Karl Kip war gegenwärtig fünfunddreißig Jahre alt. Ein tüchtiger Seemann und auf der Vorstufe zum Kapitänsrange, wartete er nur auf ein Kommando, das ihm gewiß bald übertragen werden sollte. Vielleicht von weniger entwickelter Intelligenz, als sein jüngerer Bruder, jedenfalls weniger Geschäftsmann und minder geeignet, ein Handelshaus zu leiten, übertraf er diesen doch an Entschlossenheit und Energie ebenso, wie an Kraft und Ausdauer. Sein größter Kummer war nur der gewesen, daß die Vermögenslage des Hauses Kip es ihm niemals ermöglicht hatte, ein eigenes Schiff zu führen. Karl Kip hätte dann die Lange Fahrt auf seine Rechnung betrieben. Es war aber unmöglich gewesen, den im Handel selbst festgelegten Kapitalien der Firma etwas zu entziehen, und so blieb der Wunsch des älteren Sohnes eben unerfüllt.

[107] Karl und Pieter umschlang ein Band fester Freundschaft, die noch durch keinen Mißklang gestört wor den war und sich noch mehr als die Blutsverwandtschaft auf ihre gegenseitige Anhänglichkeit stützte. Zwischen ihnen gab es keinen Schatten, kein Wölkchen der Eifersucht oder des Neides. Jeder blieb in seiner Sphäre: der eine unternahm die weiten Reisen und trotzte den Gefahren des Meeres, der andere besorgte die Arbeiten im Kontore von Amboina und pflegte die Beziehungen zu dem Geschäftshause in Groningen. Ihre Familie war für beide genug. Sie hatten gar nicht daran gedacht, eine zweite zu begründen, die ihnen neue Verpflichtungen auferlegt und sie vielleicht mehr von einander entfernt hätte. Sie empfanden es schon drückend, daß der Vater in Holland, Karl meistens auf der Fahrt und Pieter auf den Molukken war. Der letztere widmete sich, bei seiner hervorragenden Begabung für den Handel, ausschließlich den Geschäften. Sein Teilhaber, ein Holländer wie er, suchte diese noch zu erweitern. Im Vertrauen auf die zunehmende Befestigung des Kredites, den die Firma Kip genoß, widmete er diesem Ziele seine Zeit mit rastlosem Eifer.

Beim Ableben des alten Herrn Kip befand sich Karl gerade im Hafen von Amboina an Bord eines Dreimasters aus Rotterdam, auf dem er die Stellung eines Oberbootsmannes einnahm. Die beiden Brüder wurden tiefschmerzlich von dem Schlage betroffen, der sie eines Vaters beraubte, für den sie die wärmste Zuneigung hegten. Und nun waren sie nicht einmal an der Seite des geliebten Familienoberhauptes gewesen, seine letzten Worte zu hören und seine letzten Seufzer zu vernehmen!

Der Todesfall führte sie dann zu dem Beschlusse, daß Pieter die Teilhaberschaft an dem Kontor in Amboina aufgeben und die Leitung des väterlichen Hauses in Groningen übernehmen sollte.

Der Dreimaster »Maximus«, mit dem Karl Kip nach den Molukken gekommen war, wurde aber – es war schon ein altes Schiff – für eine Rückreise als nicht mehr seetüchtig genug erklärt. Auf der Reise zwischen Holland und den Inseln hatte er durch schweres Wetter stark gelitten und war nur noch gut genug, abgetakelt zu werden. Sein Kapitän samt den Offizieren und Matrosen sollte dann auch auf Kosten der Firma Hoppers in Rotterdam, der Eigentümerin des »Maximus«, nach Europa zurückbefördert werden.

Das war aber mit einem langen Aufenthalte in Amboina verknüpft, wenn die Mannschaft auf ein Schiff warten sollte, das nach Europa segelte, und die beiden Brüder hatten es doch so eilig, in Groningen einzutreffen.

[108] Karl und Pieter Kip beschlossen also, das erste Schiff zu benutzen, das entweder von Amboina, von Ceram, von Ternate oder einer anderen Insel der Molukken auslief.

Da traf die dreimastige Goëlette »Wilhelmina« von Rotterdam ein, die sich hier nur ganz kurze Zeit aufhalten sollte. Es war das ein Fahrzeug von fünfhundert Tonnen und sollte, nur unter Anlaufen des Hafens von Wellington, unter Führung des Kapitäns Roebok nach Umschiffung des Kap Horn nach seinem Heimathafen zurückkehren.

Wäre die Stelle des Oberbootsmannes unbesetzt gewesen, so hätte sie Karl Kip ohne Zweifel erhalten. Die Mannschaft war aber vollzählig, so daß auch kein Matrose vom »Maximus« angemustert werden konnte. Karl Kip, der diese Reisegelegenheit nicht unbenutzt lassen wollte, belegte also auf der »Wilhelmina« eine Kabine als Passagier.

Der Dreimaster ging am 23. September in See. Seine Besatzung bestand aus dem Kapitän Roebok, dem Oberbootsmann Stourn, zwei Schiffern und zehn Matrosen, alle holländischer Abkunft.

Zuerst verlief die Fahrt sehr günstig über das Meer der Arafura, das zwischen der Nordküste Australiens, der Südküste Neuguineas und der Gruppe der Sundainseln im Westen so gut eingeschlossen liegt, daß der Wogenschwall des Indischen Ozeans davon abgesperrt bleibt. Nach Osten zu hat es keinen anderen Ausgang als die Torresstraße, die mit dem Kap York endigt.

Am Eingang zu dieser Straße traf das Schiff auf widrige Winde, die es einige Tage aufhielten. Erst am 6. Oktober kam es aus den zahlreichen Klippen heraus und konnte nun auf das freie Korallenmeer hinaussteuern.

Vor der »Wilhelmina« lag jetzt der endlose Große Ozean bis zum Kap Horn, in dessen Nähe diese nach kurzem Aufenthalte in Wellington auf Neuseeland vorüberkommen sollte. Das war ein weiter Weg, die Gebrüder Kip hatten aber keine andere Wahl gehabt.

Bis zur Nacht vom 19. zum 20. Oktober ging alles nach Wunsch, da aber ereignete sich, obwohl die Wachen sich auf dem Vorderdeck befanden, ein entsetzlicher Unfall, den auch die schärfste Achtsamkeit nicht hätte verhüten können.

Die Nacht war sehr dunkel. Schwere Nebelmassen lagerten auf dem Meere, das – wie gewöhnlich bei solchen Wetterverhältnissen – übrigens ganz ruhig war.

[109] Die »Wilhelmina« führte ihre vorschriftsmäßigen Lichter, ein grünes an Steuer- und ein rotes an Backbord. Leider waren diese bei dem dichten Nebel selbst in der Entfernung einer halben Kabellänge nicht mehr zu erkennen.

Plötzlich wurde der Dreimaster, ohne daß der Ton einer Sirene hörbar oder eine Positionslaterne zu sehen gewesen wäre, luvwärts an Backbord, in der Nähe des Volkslogis angerannt. Durch den furchtbaren Stoß brachen der Großmast und der Besanmast augenblicklich zusammen.

Als Karl und Pieter erschrocken auf Deck kamen, konnten sie nichts erblicken als eine ungeheuere, Rauch und Dampf speiende Masse, die gleich einer Bombe vorüberflog, nachdem sie die »Wilhelmina« tatsächlich entzweigeschnitten hatte.

Eine halbe Sekunde lang war ein weißes Licht am großen Stag dieses Fahrzeuges zu sehen gewesen. Es handelte sich also um die Kollision mit einem Dampfer, doch das war auch alles, was man von ihm wußte.

Die »Wilhelmina« – das Vorderteil auf der einen, das Hinterteil auf der anderen Seite – sank fast augenblicklich. Die beiden Passagiere fanden nicht einmal Zeit, sich der Mannschaft anzuschließen. Kaum bemerkten sie noch einen der Matrosen, die sich irgendwo ans Takelwerk klammerten. An die Benützung der Boote war gar nicht zu denken, denn diese hatten sich schon mit Wasser gefüllt. Der Kapitän und der Obersteuermann hatten ihre Kabinen wohl überhaupt nicht mehr verlassen können.

Notdürftig bekleidet, standen die beiden Brüder schon bis zum halben Leibe im Wasser. Sie bemerkten, daß die Überreste von der »Wilhelmina« sofort verschlungen werden müßten und daß sie in den Wirbel, der sich dann um das Fahrzeug bildete, mit hineingezogen würden.

»Achtung, daß wir nicht von einander gerissen werden! rief Pieter.

– Verlass' dich ruhig auf mich!« antwortete Karl.

Beide waren vortreffliche Schwimmer; es fragte sich nur, ob hier Land in der Nähe wäre, an welcher Stelle sich der Dreimaster zur Zeit der Kollision in dem Teile des Großen Ozeans befände, der zwischen Australien und Neuseeland, sowie unterhalb Neukaledoniens lag, das der Kapitän Roebok vor achtundvierzig Stunden, als er das letzte Besteck machte, in östlicher Richtung gepeilt hatte.

Selbstverständlich mußte der Dampfer, wenn er nicht nach dem Zusammenstoße gestoppt hatte, jetzt schon weit weg sein. Doch selbst wenn er [110] Rettungsboote ausgesetzt hätte, wäre von den Überlebenden des Unfalles bei dem düsteren Nebel doch kaum jemand zu finden gewesen.

Karl und Pieter hielten sich für verloren. Tiefe Finsternis umhüllte das Meer. Kein Laut einer Dampfpfeife, kein Ton einer Sirene verriet die Anwesenheit eines Schiffes, ebensowenig hörte man etwas von dem Ausstoßen von Dampf, als ein Zeichen, daß jenes noch an der Unglücksstelle zurückgeblieben war. Kein Trümmerstück, das die Brüder hätten erfassen können, trieb auf dem Wasser hin.

Eine halbe Stunde erhielten sich Karl und Pieter schwimmend, wobei der ältere dem jüngeren immer Mut zusprach und ihn mit dem Arm unterstützte, wenn dieser schwach zu werden anfing. Immerhin nahte der Augenblick, wo beide am Ende ihrer Kräfte sein mußten, und nach einem letzten Händedrucke, einem Lebewohl für ewig, versanken sie dann voraussichtlich in den Abgrund.

Da gelang es Karl Kip gegen drei Uhr morgens einen Gegenstand zu erfassen, der in seiner Nähe geschwommen kam. Es war ein Hühnerkäfig von der »Wilhelmina«, und an diesen klammerten sich beide nun an.

Endlich blitzte das Morgenrot durch die gelblichen Dunstmassen, die bald mehr in die Höhe stiegen, und eine aufspringende Brise erregte ein leichtes Plätschern kleiner Wellen.

Karl Kip ließ den Blick über den Horizont hin schweifen.

Im Osten war das Meer verlassen; im Westen aber erblickte er bald eine hochaufsteigende Landmasse.

Diese lag kaum drei Seemeilen von ihnen entfernt. Wind und Strömung trugen sie darauf zu. Mit Sicherheit konnten sie erwarten, dahin zu gelangen, wenn nur der Seegang nicht allzu stark wurde.

Welchem Lande – Festlande oder Insel – die nahe Küste auch angehören mochte, jedenfalls bedeutete sie für die Schiffbrüchigen eine vorläufige Rettung.

Das weit nach Westen verlaufende Ufergelände wurde von einem steilen Berge überragt, dessen Gipfel schon die Sonnenstrahlen vergoldeten.

»Da!... Da drüben!« rief Karl Kip.

In der Tat, nur in dieser Richtung winkte das Heil, denn draußen auf dem hohen Meere wäre kein Segel, kein Licht eines Dampfers zu entdecken gewesen. Von der »Wilhelmina« war keine Spur übrig... sie war scheinbar mit Mann und Maus untergegangen. Auch von dem Dampfer, der sie angerannt hatte,[111] konnte man nichts entdecken, dieser befand sich, beim Zusammenstoß jedenfalls wenig beschädigt, offenbar schon in weiter Ferne.

Obwohl Karl Kip sich bis zur halben Körperhöhe aus dem Wasser aufrichtete, konnte er doch keine Spur des Rumpfes, kein Stück der Takelage von der Goëlette entdecken. Der Hühnerkäfig, woran sich die Brüder festhielten, war das einzige Überbleibsel von der schrecklichen Katastrophe.

Pieter, der aufs äußerste erschöpft und halb erstickt war, wäre wohl rettungslos in die Tiefe gesunken, wenn ihm sein Bruder nicht den Kopf gehalten hätte. Karl aber schwamm kraftvoll weiter und trieb dabei den Käfig nach einem Klippengewirr zu, an dem das Meer in unregelmäßiger Linie weißschäumend aufbrandete.

Diese erste Linie des Korallenringes zog sich ein Stück weit vor der eigentlichen Küste hin, die zu erreichen noch eine Stunde schwerer Anstrengung nötig machte. Bei dem Auf- und Abwogen des Wassers wäre es sehr schwierig gewesen, auf den äußeren Korallenblöcken Fuß zu fassen. Die Schiffbrüchigen mußten sich deshalb erst noch durch eine enge Wasserstraße hindurcharbeiten, und erst kurz nach sieben Uhr gelang es ihnen, den Landvorsprung zu erklimmen, von dem aus das Boot des »James-Cook« sie endlich aufgenommen hatte.

Auf dieser ihnen unbekannten und unbewohnten Insel führten nun die beiden kaum bekleideten Brüder, denen es an jedem Werkzeug, jedem Geräte fehlte, vierzehn volle Tage ein höchst elendes Leben.

So lautete der Bericht Pieter Kips, den sein Bruder, der dabei schweigend zuhörte, nur wiederholt durch eine zustimmende Handbewegung bekräftigte.

Jetzt war es also klar, warum die in Wellington erwartete »Wilhelmina« daselbst nicht mehr eintreffen sollte, warum der französische Dampfer »Assomption« kein Wrackstück auf seiner Fahrt angetroffen hatte. Der Dreimaster ruhte tief im Schoße des Meeres, höchstens konnte die Strömung einzelne Trümmer davon weiter nach Norden getragen haben.

Der Eindruck, den die Erzählung der Schiffbrüchigen hervorbrachte, stimmte alle zu ihren Gunsten. Natürlich fiel es niemand ein, an deren Wahrhaftigkeit zu zweifeln. Sie bedienten sich der englischen Sprache mit einer Geläufigkeit, die auf gute Erziehung und gründlichen Unterricht schließen ließ.


Neukaledonier.

Ihr ganzes Auftreten war nicht das vieler der Abenteurer, die auf dem Großen Ozean ihr Unwesen treiben, und man bemerkte an ihnen, vorzüglich an Pieter Kip, ein unerschütterliches Gottvertrauen.

[112] Hawkins verheimlichte auch gar nicht den guten Eindruck, den er von beiden empfangen hatte.

»Sie befinden sich, liebe Freunde, sagte er, nun an Bord des »James-Cook«, und werden hier bleiben...

– O, Dank... Dank Ihnen, werter Herr, antwortete Pieter Kip.

– Nach Europa wird er Sie freilich nicht zurückbringen, setzte der Reeder hinzu.

– Gleichviel, meinte Karl Kip. Wir sind doch endlich von der Insel Norfolk gerettet, wo es uns so gut wie an allem fehlte... mehr verlangen wir vorläufig nicht.

[113] – Wir werden ja auch überall, wo Sie einmal landen, setzte Pieter Kip hinzu, Gelegenheit zur Rückkehr nach unserem Vaterlande finden.

– Und ich werde Ihnen dabei behilflich sein, versicherte Gibson.

– Wohin, nahm Karl Kip wieder das Wort, ist der ›James-Cook‹ denn jetzt bestimmt?

– Nach Port Praslin in Neuirland, antwortete der Kapitän.

– Und wie lange wird er da liegen bleiben?

– Etwa drei Wochen.

– Segelt er darauf nach Neuseeland zurück?

– Nein, nach Tasmanien, nach seinem Heimathafen Hobart-Town.

– O, Herr Kapitän, erklärte Karl Kip, in Hobart- Town werden wir uns ja ebensogut einschiffen können, wie in Dunedin, in Auckland oder in Wellington.

– Gewiß, versicherte Hawkins, und wenn Sie da einen Dampfer anträfen, der durch den Suezkanal nach Europa führe, kämen Sie sogar noch schneller nach Hause.

– Das wäre uns recht erwünscht, antwortete Karl Kip.

– Da Sie, Herr Hawkins, und Sie, Herr Kapitän, sagte Pieter Kip, zunächst so freundlich sein wollen, uns als Passagiere aufzunehmen...

– Nicht als Passagiere, sondern als unsere Gäste, fiel Hawkins ein; wir fühlen uns glücklich, Ihnen auf dem ›James-Cook‹ Gastfreundschaft anbieten zu können!«

Noch einmal drückten die Männer einander die Hände, dann zogen sich die beiden Brüder in ihre Kabine zurück, um ein wenig der Ruhe zu pflegen, denn sie hatten ja die ganze Nacht bei dem Signalfeuer an der Landspitze gewacht.

Die leichte Brise, die den Nebel zerstreut hatte, frischte ein wenig auf. Mit den Windstillen schien es hier zu Ende zu sein und grünlich schimmerte weiter draußen das Meer im Südosten der Insel.

Diesen Umschlag galt es zu benutzen, und Gibson gab denn auch sofort Befehl zur Abfahrt. Die Segel wurden wieder aufgegeit, der Anker mittels des Spills eingeholt, und mit gutem Rückenwinde steuerte die Brigg nach Nordnordwest hinaus.

Zwei Stunden später war auch der höchste Gipfel der Insel Norfolk verschwunden, und der »James-Cook« wendete nun nach Nordost auf Neukaledonien an der Grenze des Korallenmeeres zu.

[114]
8. Kapitel
Achtes Kapitel.
Das Korallenmeer.

Etwa vierzehnhundert Seemeilen trennen die Insel Norfolk von Neuirland. Nach Zurücklegung der ersten fünfhundert Meilen mußte der »James-Cook« als erstes Land die französische Besitzung Neukaledonien in Sicht bekommen, an das sich die kleine Gruppe der Loyalitätsinseln anschließt.

Begünstigten Wind und Wasser die weitere Fahrt der Brigg, so mußten für den ersten Teil der Reise fünf und für den zweiten zehn Tage völlig ausreichen.

Das Leben an Bord ging seinen gewohnten Gang. Regelmäßig vollzog sich die Ablösung der Wachen in der Eintönigkeit günstig verlaufender Seefahrten, die deshalb aber ihres Reizes nicht entbehren. Seeleute und Passagiere pflegen sich ja für den geringsten Zwischenfall zu interessieren... für jedes vorüberkommende Schiff, für eine Vogelschar, die gelegentlich die Takelage umflattert, oder für eine Gruppe von Cetaceen, die sich im Kielwasser des Fahrzeuges tummelt.

Sehr häufig saßen die Gebrüder Kip auf dem Hinterdeck im Gespräch mit Hawkins, woran sich auch der Kapitän und sein Sohn gern beteiligten. Die Holländer gaben dabei auch ihrer Besorgnis wegen der Lage des Geschäftshauses in Groningen unverhohlen Ausdruck und betonten, wie dringend notwendig es sei, daß Pieter Kip die Leitung der vielleicht schon in ihrem Kredit erschütterten Firma baldigst übernehme. Weder der eine noch der andere verhehlte seine Befürchtungen, wenn sich beide mit dem Reeder über dieses Thema unterhielten.

Hawkins bemühte sich, ihnen guten Mut zuzusprechen. Die beiden Brüder würden schon Kredit finden, und die Geschäftsauflösung – wenn sie sich nicht umgehen ließe – würde ohne Zweifel unter günstigeren Verhältnissen verlaufen, als sie es jetzt befürchteten. Die sorgenvolle Unruhe Karl und Pieter Kips war freilich nur allzu gerechtfertigt durch die Verzögerung ihrer Heimreise infolge des Schiffbruches der »Wilhelmina«.

[115] Der Leser erinnert sich wohl des Eindruckes, den Karl und Pieter auf Vin Mod gemacht hatten. Daß auf ihre Mithilfe zur Ausführung seiner verruchten Pläne nicht zu rechnen war, lag ja auf der Hand. Die Schiffbrüchigen waren keine gewissen- und skrupellosen Abenteurer. Geistig und moralisch der Klasse, aus der die Matrosen gewöhnlich hervorgehen, überlegen, machte ihre Anwesenheit an Bord schon jeden Versuch einer Meuterei fast unmöglich.

Danach kann man sich auch leicht vorstellen, welche Gedanken Flig Balt und Vin Mod bei ihrem ersten Gespräche, an dem auch Len Cannon teilnahm, über die veränderte Sachlage austauschten.

Bezüglich der Gebrüder Kip ging die Ansicht des Bootsmannes dahin, daß sie sich gegebenen Falles auf die Seite des Reeders und des Kapitäns stellen würden.

Len Cannon dagegen, der andere gern nach sich selbst beurteilte, schien dieser Meinung nicht zu sein.

»Weiß man denn genau, entgegnete er, wer und was diese Holländer sind?... Hat jemand ihre Papiere gesehen? Nein... nicht wahr?... Und warum ihnen dann aufs Wort glauben? Da sie beim Schiffbruche obendrein alles, was sie besaßen, verloren haben, haben sie ja nur alles zu gewinnen!... Ich habe mehr als einen gekannt, der wie ein waschechter Biedermann aussah, und sich doch als etwas ganz anderes entpuppte, wenn sich die Gelegenheit zu einem vorteilhaften Handstreiche bot.

– Wirst du es unternehmen, sie dazu zu bestimmen? fragte Flig Balt achselzuckend.

– Nein... ich natürlich nicht, antwortete Len Cannon. Matrosen können ja nicht mit Passagieren in nähere Verbindung treten, und Passagiere sind sie nun einmal, die uns quer über den Weg gelaufen sind.

– Len hat recht, bestätigte Vin Mod, weder er noch ich kann etwas derartiges unternehmen.

– So?... Dann fiele es wohl mir zu? fragte der Bootsmann.

– Nein, auch dir nicht, Flig Balt.

– Und wem denn sonst?...

– Dem neuen Kapitän des ›James-Cook‹.

– Wie?... Dem neuen Kapitän? rief Flig Balt verwundert.

– Was verstehst du darunter, Mod? fragte Len Cannon.

[116] – Nun, sehr einfach, erwiderte Vin Mod, daß man mindestens Kapitän sein muß, um mit den schönen Herren Kip zu verhandeln. Dazu wird es natürlich nötig... und solange das noch nicht geschehen ist...

– Ja, was denn? rief Flig Balt ungeduldig über dieses Zaudern des Matrosen.

– Es ist dazu eins nicht zu umgehen, fuhr Vin Mod ebenso zögernd fort, ja, ich komme immer auf meinen ersten Gedankengang zurück. Nehmen wir an... Gibson stürzt ins Meer... in der Nacht... ein unglücklicher Zufall... Wer soll dann an Bord befehligen?... Offenbar der bisherige Bootsmann Balt. Der Reeder und der junge Mensch verstehen nichts von der Seefahrt, und statt daß wir die Brigg dann nach Port Praslin führen oder gar damit nach Hobart-Town zurücksegeln... nun ja, wer weiß denn, was später geschieht...«

Ohne seine Gedanken jetzt noch weiter auszuführen und im Grunde entschlossen, auf den ersten Plan nicht zu verzichten, fuhr der Matrose ablenkend fort:

»Wahrlich, das nennt man doch starkes Pech haben! Zuerst jener Aviso, der uns nicht von der Seite weicht, zweitens Hawkins und Nat Gibson, die in Wellington an Bord kommen, und drittens auch noch die zwei Holländer, die als Passagiere aufgenommen werden... das macht vier Männer mehr! Gerade so viele, wie wir in der Dunediner Schenke zu den›Three-Magpies‹ glücklich gewonnen hatten. Das sind ja alles brauchbare Burschen. Jene zählen nun acht gegen uns sechs... ich wünsche ihnen aber acht haltbare Strickenden an den Hals!«

Flig Balt hörte mehr zu, als daß er sprach. Die Aussicht, den Befehl über das Schiff zu bekommen, war ja geeignet, ihn noch weiter in Versuchung zu führen. Einen Unfall herbeizuführen, wobei Gibson von der Bildfläche verschwand, das erschien ihm ratsamer als ein offener Kampf gegen die Passagiere des »James-Cook« und gegen die Hälfte seiner Mannschaft.

Len Cannon warf dagegen jedoch ein, daß sechs entschlossene Männer doch mit achten fertig werden müßten, die sich keines Angriffes versähen, wenn man nur so rasch über sie herfiele, daß sie sich über den Vorgang gar nicht erst klar werden könnten. Zunächst würde es ja genügen, sich zweier von ihnen, gleichviel welcher, zu entledigen, dann stünde die Partie gleich u. s. w.

»Das muß nun aber, schloß er seine Worte, in der kommenden Nacht geschehen. Stimmt Meister Balt dem zu, so werde ich die anderen vorbereiten, und morgen... morgen fährt die Brigg hinaus in die Weite...

[117] – Nun, Balt, was meint Ihr dazu?« fragte Vin Mod.

Der Bootsmann verhielt sich auch dieser Aufforderung gegenüber noch schweigend.

»Heraus mit der Sprache!... Also einverstanden?«... bedrängte ihn Len Cannon.

In diesem Augenblicke rief Gibson, der sich auf dem Hinterdeck befand, Flig Balt zu sich, und dieser folgte der Aufforderung anscheinend recht gern.

»Er will also nicht mitmachen? wendete sich Len Cannon an Vin Mod.

– O doch, antwortete der Matrose, und wenn nicht in der nächsten Nacht, so doch, wenn sich die passende Gelegenheit bietet.

– Und wenn sich eine solche nicht bietet?...

– Dann werden wir sie herbeizuführen wissen, Cannon!

– Jedenfalls, erklärte der Matrose, muß das vor dem Eintreffen in Neuirland sein. Meine Kameraden und ich, wir haben auf der Brigg nicht Heuer genommen, um unter dem Befehl des Kapitäns Gibson zu fahren, und das versichere ich dir, Mod: wenn die Sache nicht von hier bis dahin ausgeführt ist, laufen wir euch in Port Praslin davon.

– Einverstanden, Len...

– Also abgemacht, Mod! Wir bringen den ›James-Cook‹ auf keinen Fall nach Hobart-Town zurück, denn dort müßten wir auch nur sofort die Beine unter die Arme nehmen!«

Vin Mod fühlte sich im Grunde doch etwas beunruhigt wegen der Zögerung Flig Balts. Er kannte dessen vorsichtige Natur, die ihn mehr schlau als kühn handeln ließ. Er hatte sich auch schon längst vorgenommen, ihn gelegentlich so fest zu engagieren, daß er nicht mehr zurückweichen könnte. Dabei begriff er recht wohl, daß ein glücklicher Erfolg des schwarzen Planes nur dann in Aussicht stand, wenn die Führung des Schiffs in die Hand des Bootsmannes überging. Übrigens versprach er sich, Len Cannon im Zaume zu halten, da dessen Ungeduld die ganze Sache zu gefährden drohte.

Die Fahrt verlief in günstigster Weise weiter. Am Tage blieb es windig bis zur frischen Brise, und gegen Abend wurde es stiller, die Nächte waren so schön und so erquickend nach der Hitze des Tages, die in gleichem Verhältnisse zunahm, wie die Brigg sich dem Wendekreise des Steinbocks näherte. Hawkins, Gibson mit seinem Sohne, und Karl und Pieter Kip blieben deshalb auch plaudernd und rauchend immer sehr lange, zuweilen bis zum ersten Morgengrauen, [118] auf dem Deck bei einander sitzen. Auch die meisten Matrosen gaben, selbst wenn sie keine Wache hatten, der freien Luft den Vorzug vor der erstickenden Atmosphäre des Volkslogis. Unter diesen Verhältnissen wäre es unmöglich gewesen, Hobbes, Burnes und Wickley zu überrumpeln, denn alle drei wären im Augenblicke zur Abwehr fertig gewesen.

Der Wendekreis wurde am Nachmittage des 7. Novembers erreicht. Fast gleichzeitig damit kamen die Pinieninsel und die Höhen von Neukaledonien in Sicht.

Die große Insel Bolade oder Baladea – kanakische Namen für Neukaledonien – hat von Südosten nach Nordwesten nicht weniger als zweihundert Seemeilen Länge und fünfundzwanzig bis dreißig Seemeilen Breite. Zu ihr gehören der Lage nach die Pinieninseln, Beaupré, Botanique und Hohohana, an der Ostseite die Gruppe der Loyalitätsinseln, deren südlichste die Insel Britannia ist.

Der neukaledonische Archipel gehört bekanntlich zu dem Kolonialbesitze Frankreichs. Er bildet einen Deportationsort, wo sehr viele Verbrecher gegen das gemeine Recht ihre Strafe verbüßen. Obwohl einzelne Entweichungen von hier vorgekommen sind, ist es doch sehr schwierig, aus diesem Gefängnis bei den Antipoden zu entfliehen. Dazu bedarf es der Hilfe von außen, jedenfalls eines zu diesem Zwecke bereit liegenden Schiffes, auf welche Weise auch wirklich schon einige Deportierte (politische Strafgefangene) entwichen sind. Sind solche Flüchtlinge aus Mangel an Booten gezwungen, nach einem Schiffe hinaus zu schwimmen, so sind sie auch noch den Zähnen der furchtbaren Haifische ausgesetzt, von denen es zwischen den Klippen wimmelt.

Übrigens ist es, mit Ausnahme des Hafens von Numea, der Hauptstadt der Insel, kaum möglich, an diesem Archipel zu landen, der durch madreporische Bänke und die daran anstürmende, wilde Brandung dagegen geschützt ist.

Sich auf einem nördlichen Kurse haltend, segelte der »James-Cook« ein gutes Stück seitwärts von der Küste der Insel hin. Bei der zwei bis drei Seemeilen betragenden Entfernung traten die Einzelheiten der Landmasse jedoch noch deutlich sichtbar hervor, vor allem die amphitheatralisch aufsteigenden Hügel an der Küste, die so kahl und dürr aussehen, daß sie zu dem Glauben verleiten, die ganze Gruppe müsse stark an Unfruchtbarkeit leiden. Auch der Kapitän Cook hatte sich 1774 hierdurch täuschen lassen, als er diese neuen Inseln [119] entdeckte, deren hydrographische Aufnahme der französische Admiral d'Entrecasteaux erst 1792 und 1793 vervollständigte.

Die Verhältnisse liegen hier aber ganz anders. Die auf sechzigtausend Seelen geschätzte Bevölkerung Neukaledoniens sieht ihre Bedürfnisse bequem durch die Produkte des reichen Inselbodens gedeckt, denn dieser erzeugt in großer Menge Yamswurzeln, Zuckerrohr, Taro, Hibiskus, Pinien mit eßbaren Früchten, Bananen, Orangen, Kokospalmen, Brod- und Feigenbäume, sowie Zimtbäume, und das Innere ist erfüllt mit ausgedehnten Urwäldern, worin die Bäume oft eine erstaunliche Größe erreichen.

Im Laufe des 9. Novembers konnten Hawkins, Nat Gibson und die beiden Brüder hinter dem Uferlande die hohe Bergkette betrachten, die das Skelett der Insel bildet. Von Bergbächen zerrissen, wird sie von einzelnen Gipfeln noch weiter überragt, darunter vom Mont Kogt, Mont Nu, Mont Arago und vom Homedebua, der über fünfzehnhundert Meter emporsteigt. Brach dann die Nacht herein, so sah man nichts weiter als die – auch allmählich erlöschenden – Feuer der im Hintergrunde vieler Buchten siedelnden Kanaken.

Auch Flig Balt, Vin Mod, Len Cannon und dessen Kameraden hielten den Blick auf die Insel geheftet, freilich mit anderen Gedanken als die übrigen. Sie konnten ja nicht vergessen, daß sich hier mehrere hundert Verurteilte aufhielten, von denen sie gern ein halbes Dutzend noch an Bord genommen hätten.

»Da drüben, bemerkte Vin Mod, gibt es einen ganzen Haufen tüchtiger Kerle, die mit Freuden dabei wären, sich eines guten Schiffes zu bemächtigen und damit den Großen Ozean zu befahren. Hätten nur wenigstens einige darunter den Gedanken, heute Nacht zu entfliehen!... Wenn dann ihr Boot an der Brigg anlegte, wenn sie sich dann auf das Deck schwängen, ohne Hawkins und den Kapitän darum um Erlaubnis zu fragen... wie schnell würden wir uns mit ihnen verständigen...

– Gewiß, meinte Cannon, es wird nur keiner kommen.«

Er sollte damit recht behalten. Gegebenen Falles aber wären Flüchtlinge von Numea, wenn sie nicht unbemerkt an Bord gelangten, gewiß nicht in gleicher Weise aufgenommen worden, wie die Schiffbrüchigen von der »Wilhelmina«. Ein ehrbares Schiff begünstigt niemals die Flucht von Verbrechern.

Als am nächsten Tage, am 8., von Neukaledonien noch der nördliche Teil in Sicht war, segelte der »James-Cook« am Nachmittage noch an den [120] [123]letzten, gegen hundert Seemeilen nach Norden hinausreichenden Klippen der Insel vorüber und schlug dann einen Kurs quer durch das Korallenmeer ein.

Bei günstigem Winde konnte die Brigg die Strecke von neunhundert Seemeilen, die Neukaledonien von Neuirland trennt, binnen zehn Tagen zurücklegen.

Dieses Korallenmeer ist nach dem Urteil der Kapitäne eines der gefährlichsten Fahrwässer der Erde. Über zwei volle Breitengrade hin ist es über und unter seiner Oberfläche mit madreporischen Spitzen durchsetzt, vielfach von Korallenbänken versperrt und von unregelmäßigen, wenig bekannten Strömungen durchflossen.


Das ruhige Meer überflutete die Hauptkabine nicht. (S. 126.)

Hier sind auch schon viele Fahrzeuge spurlos zu Grunde gegangen. Es wäre wirklich geboten, dieses Meer ebenso mit Baken zu besetzen, wie das bei vielen Buchten Europas und Amerikas geschehen ist. In der Nacht des 10. Juni 1770 war auch, trotz recht handlichen Windes und klarsten Mondscheins, der berühmte Cook hier nahe daran gewesen, Schiffbruch zu erleiden.

Heute durfte man jedoch hoffen, daß Gibson jede Gefahr zu vermeiden wissen werde, daß der Rumpf seiner Brigg nicht, wie es dem englischen Seefahrer begegnet war, so heftig gegen eine der harten Felsenspitzen stieße, daß es notwendig würde, ein Segel unter dem Kiel hin auszubreiten, um ein Leck wenigstens notdürftig zu schließen. Immerhin mußte die Mannschaft Tag und Nacht scharf Ausguck halten um Klippen aus dem Wege zu gehen. Gegenwärtig konnte man sich schon, dank den neueren, sorgsamen hydrographischen Aufnahmen, auf die an Bord vorhandenen Seekarten verlassen. Übrigens durchsegelte Gibson das Korallenmeer nicht zum ersten Male und war mit dessen Gefahren hinlänglich vertraut.

Auch Karl Kip hatte dieses schwierige Fahrwasser schon besucht, entweder auf der Fahrt nach Osten auf die Torresstraße zu oder wenn er vom äußersten Osten auf dem Rückwege aus dem Haraforas-(Alfuras-)meer kam. An Aufmerksamkeit sollte es an Bord der Brigg gewiß nicht fehlen.

Im allgemeinen begünstigte die Witterung die Reise des »James-Cook«, der bei dem beständigen Wehen der Passate des Großen Ozeans schnell dahinglitt, ohne viele Segelmanöver notwendig zu machen.

Die Meeresgegend hier wird übrigens wenig besucht. In der Richtung auf Europa zu schlagen die Handelsschiffe, wenn sie von den Philippinen, den Molukken, den Sundainseln oder Indo-China kommen, den weit kürzeren Weg durch den Indischen Ozean, den Suezkanal und durch das Mittelländische Meer ein. Die Dampfer vermeiden gern das heimtückische Korallenmeer, wenn [123] sie nicht gerade auf dem Wege nach den Häfen des westlichen Amerika sind. Sonst begegnet man hier nur Seglern, die den Weg um das Kap Horn dem um das Kap der Guten Hoffnung vorziehen, oder denen, die – wie der »James-Cook« – die große Küstenfahrt zwischen Australien, Neuseeland und den nördlich davon gelegenen Inselgruppen betreiben. Es kommt hier also nur selten vor, daß man ein Segel am Horizonte wahrnimmt. Die Fahrt verläuft deshalb meist recht eintönig, und wenn sich die Schiffsmannschaften darum nicht besonders bekümmern, so müssen sich doch die etwaigen Passagiere, denen eine Reise hier kein Ende zu nehmen scheint, wohl oder übel mit diesem Umstande abfinden.

Als Nat Gibson am Nachmittage des 9. Novembers kurze Zeit auf dem Vorderdeck an der Reling gestanden hatte, rief er seinen Vater, der eben aus dem Deckhause trat, heran und wies ihn auf eine schwärzliche Masse hin, die von Backbord aus etwa zwei Seemeilen draußen zu sehen war.

»Sieh dort, Vater, sagte er, sollte das vielleicht ein Riff sein?

– Ich glaube nicht, antwortete Gibson. Erst zu Mittag hab' ich ein gutes Besteck aufnehmen können, und ich bin mir über unsere Lage klar.

– Auf der Karte ist hier kein Riff, keine Korallenbank angegeben?

– Nein, nichts davon, Nat.

– Irgend etwas befindet sich aber doch da draußen«...

Der Kapitän sah durch das Fernrohr hinaus.

»Ich kann leider noch nichts richtig erkennen,« sagte er danach.

Eben traten auch die beiden Brüder und Hawkins zu dem Kapitän und seinem Sohn heran. Aufmerksam betrachteten sie die unregelmäßig gestaltete Masse, die man recht wohl hätte für einen Korallenfelsen halten können.

»Nein, nein, erklärte Karl Kip, nachdem auch er sich des Fernrohrs bedient hatte, ein Riff ist das nicht.

– Die Masse scheint sich ja mit den Wellen zu heben und zu senken«, sagte Hawkins.

In der Tat lag der noch unerkennbare Gegenstand nicht unbeweglich auf dem Meere, sondern folgte dem Auf- und Abwogen des Seeganges.

»Obendrein, bemerkte Karl Kip, sieht man daran keine Brandung anschäumen.

– Ja, man möchte glauben, die Masse triebe langsam weiter,« setzte Nat Gibson hinzu.

Der Kapitän rief jetzt Hobbes, der am Steuer stand, den Befehl zu:

[124] »Leicht anluven, damit wir mehr in die Nähe der Trift kommen!

– Sofort, Herr Kapitän,« antwortete der Matrose, der das Steuerrad schon ein wenig drehte.

Zehn Minuten später lag die Brigg ziemlich nahe an dem Gegenstande der allgemeinen Aufmerksamkeit.

»Das ist eine Seetrift... rief Karl Kip.

– Ja wahrhaftig, eine Trift!« bestätigte Gibson.

Jetzt bestand kein Zweifel mehr, da draußen, seitwärts vom »James-Cook«, schwamm der Rumpf eines Fahrzeugs.

»Sollten das die Überreste der ›Wilhelmina‹ sein?« fragte Hawkins.

Das erschien ja nicht unmöglich. Leute, zwanzig Tage nach dem Zusammenstoß, konnten die Wrackstücke des Dreimasters reckt wohl bis hierher getrieben worden sein.

»Herr Kapitän, begann da Pieter Kip, würden Sie uns gestatten, die Trift näher zu untersuchen? Wenn sie von der ›Wilhelmina‹ herrührt, könnten wir dort vielleicht noch mancherlei finden...

– Und außerdem, fiel Hawkins ein, wär' es ja möglich, daß sich noch Menschen darauf befänden, die zu retten es die höchste Zeit wäre.«

Etwas weiteren bedurfte es nicht: sofort erging der Befehl, in den Wind zu kommen und zwei bis drei Kabellängen von der Trift zu brassen.

Einen Augenblick flatterten die Segel, dann spannten sie sich an und die Brigg glitt einige Minuten in der veränderten Richtung hin.

»Ja ja, rief jetzt Karl Kip, das ist die ›Wilhelmina‹... das sind die Reste des Hinterdecks mit dem Deckhause.«

Flig Balt und Vin Mod, die nebeneinander standen, sprachen gedämpften Tones miteinander.

»Das fehlte uns bloß noch, da von dem Wracke vielleicht noch ein oder zwei Mann aufzunehmen!«

Der Bootsmann begnügte sich mit einem Achselzucken. Es war ja kaum anzunehmen, daß sich noch Schiffbrüchige auf dem Wrack befänden.

In der Tat wurde auch niemand sichtbar. Befanden sich hier noch einzelne Menschen, so hätten sie sich, und selbst wenn sie vor Entbehrung halbtot gewesen wären, jetzt auf jeden Fall gezeigt, hätten der Brigg sich gewiß schon längst durch Signale bemerkbar ge macht... doch nein: hier war keine Seele.

»Das kleine Boot ausgesetzt!« befahl Gibson, der sich an Flig Balt wandte.

[125] Das Boot wurde sofort von seinen Dävits hinabgelassen. Drei Matrosen, Vin Mod, Wickley und Hobbes, nahmen auf den Ruderbänken Platz. Dann stiegen Nat Gibson und die beiden Brüder ein, von denen Karl Kip das Steuer ergriff.

Es war wirklich das Achterdeck der »Wilhelmina«, was man hier vor sich sah, und darauf stand das Deckhaus äußerlich ziemlich unversehrt von dem Schiffsunfalle. Der ganze Vorderteil fehlte; er mochte wohl infolge des Gewichtes der Fracht versunken sein, wenn ihn die Meeresströmung nicht schon weiter weggetragen hatte. Der Schiffsjunge Jim, der bis zum Eselshaupt des Großmastes hinausgeschickt worden war, rief aber herunter, daß auf dem Meere nirgends noch etwas zu sehen wäre.

Am unbeschädigten Heck des Schiffes las man die beiden Namen:

»Wilhelmina. Rotterdam.«.

Das Boot legte an dem Wracke an. Stark nach links geneigt schwamm noch das Deckhaus mit einem Teile des Deckes, auf dem auch die. jetzt gänzlich überflutete Kambüse gestanden hatte. Von dem Besanmast, der mitten durch die gemeinschaftliche Kajüte ging, ragte nur noch ein zwei bis drei Fuß langer Stumpf empor. Der Mast war in der Höhe der Kimpen gebrochen, von wo noch einige Tauenden herabhingen. Vom Giekbaume, der bei dem Zusammenstoße abgerissen wurde, war nichts mehr zu sehen.

Übrigens war es leicht, in das Deckhaus einzudringen. Dessen Tür war aufgesprengt und nur zuweilen wälzte sich ein mäßiger Wasserschwall hinein.

Jetzt galt es also, auf das Wrack zu gelangen, die Kabinen neben der gemeinschaftlichen Kajüte zu durchsuchen, und vorzüglich die der beiden Brüder.

Die Kabinen des Kapitäns und des Steuermannes, die weiter nach vorn zu lagen, erwiesen sich gänzlich zerstört.

Karl Kip steuerte das Boot so, daß es sich längs des Wracks anlegte; von dieser Stelle aus konnte man das Deck erklettern, nachdem Vin Mod ein Seil an einer Schanzkleidstütze des Steuerbords befestigt hatte.

Das augenblicklich ziemlich ruhige Meer überflutete die Hauptkabine nicht, sondern schwabbte nur auf dem Reste des Verdeckes hin und her. Zuweilen hob sich auch der – vollständig entleerte – Rumpfteil hoch aus dem Wasser.

Karl und Pieter Kip, Nat Gibson und Vin Mod überließen das Boot der Obhut der Matrosen und drangen in das Deckhaus ein.

[126] Zunächst mußte hier nachgesehen werden, ob viel leicht noch ein Lebender von der »Wilhelmina« zu finden wäre. Es erschien ja nicht unmöglich, daß einzelne Leute von der Mannschaft in der Deckhütte Zuflucht gefunden hätten, als der andere Teil des Fahrzeugs unterging.

Vergeblich... hier traf man kein lebendes Wesen an. Jedenfalls wurde es auch niemals aufgeklärt, ob der Kapitän und der Obersteuermann ihre Kabinen noch hatten verlassen können, oder ob sich vielleicht gar der Vorderteil des Schiffes mit einem Teile der Mannschaft darauf hatte noch eine Zeitlang schwimmend erhalten können. Höchstwahrscheinlich bildete jedoch das, was der »James-Cook« hier gefunden hatte, alles, was von der »Wilhelmina« noch übrig war.

Der Stoß, mit dem das eine Schiff das andere getroffen hatte, mußte mit furchtbarer Gewalt erfolgt sein. Der trotz des Nebels mit größter Fahrgeschwindigkeit dahineilende Dampfer war gleich einem Riesengeschosse durch den Rumpf des Dreimasters gedrungen, vielleicht sogar ohne ernsthaftere Beschädigungen zu erleiden, die ihn an der Fortsetzung seiner Fahrt gehindert hätten. Ob er hatte stoppen, seine Boote aufs Meer setzen und einige Schiffbrüchige hatte retten können... das blieb eine ungelöste Frage.

Bis zum Knie im Wasser watend, durchsuchten die beiden Brüder nebst Nat Gibson und Vin Mod die gemeinschaftliche Kajüte.

In ihrer Kabine fanden Karl und Pieter Kip noch verschiedene, mehr oder weniger beschädigte Gegenstände, darunter Kleidungsstücke, Leibwäsche, Toilettengeräte und auch zwei Paar Schuhe. Auf ihren übereinanderliegenden Lagerstätten befand sich ferner noch das Bettzeug, das zusammengerafft und nach dem Boote gebracht wurde.

Sehr wünschenswert wäre es gewesen, wenn die beiden Brüder auch ihre Papiere hätten wiedererlangen können, vorzüglich die, die auf das Kontor in Amboina und auf das Geschäftshaus in Groningen Bezug hatten. Der Verlust dieser Schriftstücke erschwerte ja sehr empfindlich die Ordnung ihrer geschäftlichen Angelegenheiten. Leider fand sich davon keine Spur mehr; das Wasser, das ja zeitweise auch hier eingedrungen war, hatte sein Zerstörungswerk schon vollendet. Ebenso war es mit einer Summe von tausend Piastern, die Pieter Kip gehörten, aber verschwunden waren, da der Zusammenstoß das Wandschränkchen, worin sie aufbewahrt waren, völlig zertrümmert hatte.

»Nichts... hier findet sich nichts mehr!« sagte der jüngere Kip.

[127] Während der Durchsuchung der Hauptkajüte durchstöberte Vin Mod, getrieben von seiner raubsüchtigen Natur, schon alle Winkel und war dabei auch in die Kabine der beiden Brüder gekommen.

Da entdeckte er unter der unteren Lagerstatt in einem Schubkasten einen Gegenstand, den die beiden Brüder bei ihrer Nachsuchung übersehen hatten.

Es war ein Dolch, wie ihn die Malaien führen, ein sogenannter Kriß mit Sägezähnen, der bei dem Unfalle zwischen zwei auseinander gewichene Bretter geraten war. Die bei den Bewohnern der pacifischen Inseln sehr verbreitete Waffe hatte übrigens keinen besonderen Wert und hätte höchstens zur Vervollständigung einer Ritterrüstung in der Sammlung eines Liebhabers dienen können.

Ob sich Vin Mod bei der Aneignung dieser Waffe von einem geheimen Gedanken leiten ließ, wer hätte das sagen können? Jedenfalls ergriff er den Kriß, steckte ihn, ohne von jemand beobachtet zu werden, unter seine Jacke mit der Absicht, ihn bei der Rückkehr nach der Brigg in seinem Sacke aufzubewahren.

Hätte er statt dieser Handwaffe Pieter Kips tausend Piaster gefunden, so würde er sie sicherlich ohne Gewissensbisse ebenso entführt haben.

An Bord des verunglückten Fahrzeuges war nun nichts mehr zu bergen. Alle Dinge, Kleidungsstücke, Leibwäsche und Bettausrüstung, wurden in das Boot geschafft. Das Wrack mußte übrigens binnen kurzem gänzlich auseinanderbrechen. Der vom Wasser halb zerstörte Bodenbelag der gemeinsamen Kajüte gab schon unter dem Fuße nach. Nur noch einmal schlimmeres Wetter, und es trieben nur noch formlose Bruchstücke auf dem Meere hin.

Die Brigg lag gegengebraßt seitwärts von dem Wracke, glitt mit der Strömung aber schon langsam weiter. Dazu frischte der Wind etwas auf der Seegang wurde lebhafter, es empfahl sich also, bald an Bord zurückzukehren. Wiederholt hörte man auch das Sprachrohr des Bootsmannes, der die Leute im Boote zur Umkehr antrieb.

»Man ruft uns zu, zurückzukommen, sagte Nat Gibson, und da wir hier alles geholt haben, was noch zu holen war...

– Wollen wir dem Rufe folgen, fiel Karl Kip ein.

– Du arme, arme ›Wilhelmina‹!« murmelte Pieter Kip.

Beide Brüder suchten die Empfindungen, die sie jetzt bestürmten, gar nicht zu verhehlen. Hatten sie vorher noch gehofft, einen Teil von dem, was [128] sie besaßen, wiederzufinden, so mußten sie jetzt auf jede derartige Hoffnung verzichten.

Das Boot warf sein Halteseil los. Nat Gibson setzte sich aus Steuer, während Karl und Pieter Kip, mit dem Gesicht nach rückwärts gerichtet, die Überreste der »Wilhelmina« betrachteten.

Sobald das Boot wieder in seinen Dävits befestigt war, entfaltete die Brigg ihre Segel, und von günstiger Brise getrieben, fuhr sie in nordöstlicher Richtung weiter.


Haus im Hafen von Dori (Neuguinea).

Fünf Tage lang wurde die Fahrt ohne jeden Zwischenfall fortgesetzt, und am Morgen des 14. meldete die Deckwache die ersten sichtbaren Anhöhen von Neuguinea.

[129]
9. Kapitel
Neuntes Kapitel.
Durch die Louisiaden.

Am folgenden Morgen, am 15. November, hatte der »James-Cook« seit dem gestrigen Abend nur einige dreißig Seemeilen nach Nordosten zurückgelegt. Als es zu dunkeln angefangen hatte, war die Brise schon wieder fast eingeschlafen. Die Passagiere verbrachten die stille, warme Nacht auf dem Verdeck. In den Kabinen hätte bei der erstickenden Temperatur niemand auch nur eine Stunde schlafen können.

Das Schiff befand sich obendrein jetzt in gefährlichem Fahrwasser, das eine unausgesetzte Wachsamkeit erforderte.

Gibson hatte vor dem Deckhause von den Stützen der Schanzkleidung aus ein Zelt herstellen lassen, unter dessen Schutze alle Mahlzeiten in angenehmerer Weise als in der Kajüte eingenommen wurden.

Am heutigen Morgen drehte sich das Gespräch um die Louisiadeninseln, zwischen denen die Brigg den gefahrvollsten Teil ihrer Fahrt zu überwinden hatte. Gegenwärtig befand sie sich noch etwa vierhundertfünfzig Seemeilen von der Inselgruppe Neuirlands entfernt; nach vier Tagen sollte sie, wenn keine völlige Windstille eintrat – was in der warmen Jahreszeit zwischen dem Wendekreise und dem Äquator freilich keine Seltenheit ist – auf der Reede von Port-Praslin vor Anker gehen.

»Sie haben den Archipel der Louisiaden schon öfters befahren? wandte sich Pieter Kip fragend an den Kapitän.

– Ja, zu wiederholten Malen, wenn ich nach Neuirland ging, um Fracht einzunehmen, antwortete Gibson.

– Ist die Fahrt hier nicht recht schwierig? setzte Karl Kip hinzu.

[130] – Ja freilich, das ist sie, Herr Kip. Sie haben also wohl nie Gelegenheit gehabt, diesen Teil des Großen Ozeans zu besuchen?

– Niemals, Herr Gibson; über die Breite von Papuasien bin ich bisher noch nicht hinaufgekommen.

– Nun, erklärte Gibson, ein Kapitän, der unklugerweise die Augen hier nicht stets offen hielte, liefe Gefahr, mit seinem Schiffe auf den unzähligen Klippen und Bänken dieser Gegend aufzulaufen. Bedenken Sie nur, daß es hier madreporische Bänke gibt, die in der Länge zweihundert und in der Breite fast hundert Seemeilen messen. Ohne die nötige Erfahrung kann man hier sehr leicht seine Rumpfbekleidung, ja das ganze Schiff einbüßen.

– Haben Sie schon einmal an den größten Inseln der Gruppe angelegt? fuhr Pieter Kip fort.

– Nein, noch niemals, erwiderte Gibson. Von Rossel, Saint-Aignan, Trobrïant und Entrecasteaux ist nichts zu holen, wenigstens wenn man seinen Laderaum nicht ausschließlich mit Kokosnüssen füllen will. Auf diesen Inseln gedeihen nämlich entschieden die herrlichsten Kokospalmen der ganzen Erde.

– Wenn Schiffe hier aber auch kaum Fracht erhalten können, bemerkte Hawkins, sind die Louisiaden doch keineswegs unbewohnt...

– Nein, gewiß nicht, lieber Freund, bestätigte Gibson. Hier gibt es aber nur eine wilde, grausame Bevölkerung, die trotz aller Bemühungen von Missionaren wohl gar noch dem Kannibalismus huldigt.

– Sind solche Fälle auch neuerdings vorgekommen? fragte Pieter Kip.

– Leider ja, versicherte der Kapitän, und noch dazu solche recht haarsträubender Art. Ein Schiff, das nicht sorgsam auf seiner Hut ist, läuft gar zu leicht Gefahr, von den Eingebornen überfallen zu werden...

– Und nicht allein von den Bewohnern der Louisiaden, fügte Karl Kip hinzu, sondern auch von denen Neuguineas. Ich halte auch die Papuas für nicht weniger gefährlich...

– Alle diese Wilden geben einander nichts nach, antwortete der Kapitän, sie sind an Rohheit und Blutgier einander gleich! Schon sind drei Jahrhunderte. verflossen, seit diese Länder von dem Portugiesen Serrano entdeckt, dann 1610 von dem Holländer Shouten besucht und 1770 von Cook, den man hier mit Wurfspießen begrüßte angelaufen wurden. Ebenso mußte der Franzose Dumont d'Urville bei Gelegenheit der Fahrt der »Astrolabe«, 1827, sich mit Feuerwaffen der Angriffe dieser kriegerischen Völkerschaften erwehren... und seit jener Zeit [131] hat die Zivilisation unter den Polynesiern eigentlich noch keinerlei Fortschritt gemacht.

– Ganz ebenso, ließ sich Nat Gibson vernehmen, liegen die Dinge im Großen Ozean zwischen Neuguinea und den Salomonsinseln überall. Man braucht sich nur der Reisen Carterets, Hunters und des Amerikaners Morrel zu erinnern, der hier nahe daran war, sein Schiff, die ›Australie‹, zu verlieren. Eine von den Inseln heißt deshalb auch Ile des Massacres (Insel der Schlächtereien), und viele von den anderen verdienten wahrlich denselben Namen.

– Nun, meine Herren Holländer, nahm Hawkins jetzt das Wort, Ihre Aufgabe ist es, diese Eingebornen zu zivilisieren. Ihre Flagge weht ja über den benachbarten Ländern... sie beschützt den Archipel der Molukken, und man wird es Holland immer Dank wissen, dort die Handelsschiffahrt gesichert zu haben.

– O, erwiderte Karl, die Regierung von Batavia hält dieses Ziel auch schon immer im Auge. Es vergeht gewiß kein Jahr, ohne daß ein Schiff nach der Bai von Triton, an der Nordküste Neuguineas, gesendet würde, wo wir ja eine Kolonie begründet haben.

– Und wo die Niederlande versuchen werden, noch andere zu gründen, setzte Pieter Kip hinzu. Das liegt ja in unserem eigenen Interesse, vorzüglich seit Deutschland die Inselgruppen im Norden von Neuguinea in Besitz genommen hat.

– Ja freilich, alle Seemächte hätten Veranlassung, Sie darin zu unterstützen, bemerkte Nat Gibson. Die meisten haben ja in diesem Teile des Großen Ozeans Fuß gefaßt, dafür sprechen doch schon die geographischen Bezeichnungen, wie Neukaledonien, Neuseeland, die Neuen Hebriden, Neuhannover, Neubritannien und Neuirland, ohne von Australien zu reden, das ja anfänglich Neuholland hieß und das gänzlich in Besitz Englands übergegangen ist.«

Dieser Hinweis war ja ganz richtig. Flaggen aller Farben wehen über diesem Kolonialgebiete, wo die Zivilisation eigentlich schnellere Fortschritte gemacht haben sollte.

Ebenso richtig ist freilich, daß das genannte Gebiet bisher noch zu wenig von den Seemächten im Auge behalten worden ist. Zwischen den Salomonsinseln, den Hebriden, Papuasien und den nördlicheren Inselgruppen ist die Schiffahrt noch immer von ernsten Gefahren bedroht.

Es kann unter solchen Umständen nicht wundernehmen, daß der »James-Cook« mit einem kleinen kupfernen Geschütz ausgerüstet war, das fünfzehnpfündige [132] Kugeln sechshundert Meter weit schleuderte, und daß am Gewehrständer im Deckhause ein halbes Dutzend Flinten und Revolver hingen. Damit konnte man schon einige verdächtige Piroguen, die sich etwa heranzuschleichen suchten, erfolgreich abwehren.

Die Papuas oder Papus, eigentlich Negritos, bilden ein Zwischenglied zwischen Malaien und Negern. Sie zerfallen wieder zu den Alfakis, die in den Bergen wohnen, und den eigentlichen Papuas, den Bewohnern des Küstenlandes. Diese Eingebornen, die weder Ackerbau noch Viehzucht treiben, bilden wieder vereinzelt dastehende Stämme unter dem Befehl bejahrter Häuptlinge, die als »Kapitane« bezeichnet werden. Alle bewohnen recht elende Hütten und sind nur höchst notdürftig mit Tierfellen oder Schürzen aus Rindengewebe bekleidet. Übrigens macht auf Neuguinea und den Louisiaden die Lebensführung keine Schwierigkeiten. Nahrungsmittel gibt es in Hülle und Fülle: Schildkröten, Fische, Taros, Yamswurzeln und eßbare Muscheln finden sich hier in ebenso großer Menge wie Zuckerrohr, Bananen, Kokosnüsse, Sago und Palmenkohl. In den prächtigen Wäldern des Innern mit ihrem reichen Bestand an Muskatbäumen, Fächerpalmen, Bambus- und Ebenholzbäumen, tummeln sich Wildschweine, Känguruhs, Kalaotauben und eßbare Holztauben, außerdem als Vertreter der Vogelwelt Kakadus, Papageien, Kukals, Loris, Gimpel, Turteltauben, Gucas, Nikobars, Taucherenten und Leierschwänze. Dazu kommen endlich noch die schönsten Paradiesvögel, acht verschiedene, herrliche Arten, von dem großen Smaragdvogel an bis zur sogenannten königlichen Manucoda, die auf den Märkten Ostasiens alle hoch im Preise stehen. Hieraus erklärt es sich ja, daß ein Reisender diese Weltgegend das Dorado Ozeaniens nennen konnte, dem es weder an kostbaren Holzarten, noch an Gold und wertvollen Perlen fehlt.

Es kam nicht in Frage, daß der »James-Cook« die Hauptpunkte Neuguineas besuchen sollte, wie den Hafen von Dori, den Mac Cluergolf, die Geelwinkbai, die Humboldt- oder die Tritonbai. An der letztgenannten haben die Holländer einige Faktoreien angelegt. Die Brigg sollte vielmehr ohne Aufenthalt das Kap Rodney, an der östlichsten Spitze der großen Insel, umsegeln und sofort, zur Vermeidung der zahllosen Risse der Umgebung, aufs offene Meer hinaussteuern.

Das geschah denn auch im Laufe des 15. Novembers. Während dieser Fahrt wurde die drei- bis viertausend Fuß hohe Astrolabe-Bergkette mit den sie noch überragenden Gipfeln des Simson und des Sucking sichtbar. Unter [133] verminderter, doch leicht zu handhabender Segelfläche, die ebenso schnell weiter eingezogen, wie erweitert werden konnte, fuhr die Brigg nun auf das mit Klippen besäte Meer ein, das sich zwischen den Salomonsinseln und dem langen Landvorsprünge ausbreitet, der von Papuasien weit nach Südwesten hinausreicht.

Hier war kein Schiff in Sicht, kein Boot der Eingebornen zu entdecken.

Die Nacht über wurde von allen Insassen der Brigg scharf Ausguck gehalten. Die oberen Segel waren, trotz des nur schwachen Windes, aufgegeit, und der »James-Cook« trug nur noch die beiden Marssegel, das Fock-nebst einem Klüversegel und das Brigg-(Gaffel-)segel.

Jenseits des Kap Rodney zeigten sich zahlreiche Feuer längs der Küste, sowohl an der Rückseite der papuasiatischen Landspitze, als auch auf der Insel Entrecasteaux, die von jener durch eine nur wenige Seemeilen breite Wasserstraße getrennt ist. Infolge bedeckten Himmels herrschte sonst die tiefste Finsternis, kein einziger Stern leuchtete hernieder. Schon eine Stunde nach Sonnenuntergang war der zunehmende Mond hinter einer Wolkenbank am Horizonte verschwunden.

Zwischen elf und zwölf Uhr glaubten die Leute der Wache einige Piroguen in der Nähe des »James-Cook« zu bemerken, sie konnten das aber nicht mit Sicherheit sagen. Jedenfalls wurde es nicht nötig, einen Angriff abzuwehren, die Nacht verlief vielmehr in ungestörter Ruhe.

Hatte sich bei Tagesanbruch auch etwas mehr Wind erhoben, so legte sich dieser doch bald wieder. Das Meer lag vollständig glatt, wie mit einer Ölschicht bedeckt, so weit man sehen konnte. Gegen zehn Uhr zerteilten sich die Wolken, ein Zeichen, daß es bald sehr heiß werden würde, denn das Schiff lag jetzt nur noch zehn Grade vom Äquator entfernt, und der Monat November entspricht hier ja dem Monat Mai auf der nördlichen Halbkugel.

Kurz vor Mittag, als die Brigg backbords nahe der Insel Entrecasteaux lag, meldete die Wache die Annäherung einer Pirogue. Diese kam offenbar von dem großen Lande um die Südspitze der Insel herum, und bewegte sich auf den »James-Cook« zu, der in der Windstille unbeweglich auf dem Wasser ruhte.

»Wenn ich mich nicht irre, begann Karl Kip, als er die Pirogue gesehen hatte, an Hawkins gewendet, hat jenes Boot die Absicht, an der Brigg anzulegen.

– Das glaub' ich auch,« antwortete der Reeder.

[134] Gibson, sein Sohn und Pieter Kip, die eben aus dem Deckhause kamen, begaben sich nach dem Vorderdeck.

Die aus Baumrinde bestehende Pirogue, die auch einen sogenannten Ausleger hatte, war nur klein. Sie kam, von Pagaien getrieben, nur langsam heran, da sie sich zwischen den Felsenköpfen, die im Südosten der Insel Entrecasteaux anfragen, vorsichtig hindurchwinden mußte.

Gibson hatte das Fernrohr darauf gerichtet.

»Es sitzen nur zwei Männer darin, sagte er.

– Nur zwei? wiederholte Hawkins. Nun, wenn diese beabsichtigen, an Bord zu kommen, steht wohl nichts entgegen, es ihnen zu gestatten.

– Mich verlangt es sogar recht sehr, setzte Nat Gibson hinzu, den papuanischen Typus einmal genauer zu betrachten.

– So mögen die Leute kommen, erklärte der Kapitän. Binnen zehn Minuten werden sie mit uns Bord an Bord liegen, und dann wird sich's ja zeigen, was die beiden Eingebornen von uns wollen.

– Doch jedenfalls ein kleines Geschäft machen, meinte Hawkins.

– Und ist auch kein anderes Boot zu sehen? fragte Pieter Kip.

– Kein einziges,« antwortete Gibson, der mit dem Fernrohr die Wasserfläche nach dem offenen Meere zu und dann im Norden und Süden der Insel Entrecasteaux abgesucht hatte.

Näher und näher glitt die Pirogue heran, getrieben von zwei Pagaien, deren Blätter mit großer Regelmäßigkeit ins Wasser ein- und daraus auftauchten.

Als sie nur etwa noch fünfzig Fuß vom »James-Cook« entfernt war, erhob sich einer der Eingebornen und rief mit lauter Stimme:

»Ebura!... Ebura!«

Der Kapitän, der sich über die Schanzkleidung hinausgebeugt hatte, kehrte sich den anderen wieder zu und sagte:

»Das ist ein Wort, das in der Sprache der Bewohner Neuirlands ›Vogel‹ bedeutet, und ich glaube, daß es bei den Papuas von Neuguinea dieselbe Bedeutung hat.«

Gibson täuschte sich hierin nicht. Der Wilde hielt in der rechten Hand einen Vogel empor, der jedenfalls wert war, einer ornithologischen Sammlung einverleibt zu werden.

Es war nämlich ein Paradiesvogel von der Art der Manucoden, ein sogenannter Königs-Paradiesvogel mit rotbraunem, sammetartigem Gefieder, [135] zum Teil orangefarbigem Kopfe mit einem schwarzen Fleckchen nahe dem Augenwinkel, mit bräunlicher, durch eine dunklere und eine metallisch-grüne Linie gestreifter Kehle und im übrigen weißem Leibe, an der Seite mit Federn, die teils rot, teils gelb, an der Spitze aber smaragdgrün aussahen und noch in zusammengebogene Fäden mit seinen, kurzen Seitenfasern ausliefen. Der etwa sechs Zoll lange Vogel gehört – allgemeiner Annahme nach – zu denen, die nirgends nisten, wenigstens wollen die dortigen Eingebornen noch kein Nest von ihm gefunden haben. Er gehört zu den merkwürdigsten und interessantesten Paradiesvögeln des Papuagebietes, wo solche in großer Menge vorkommen.

»Ich wäre wirklich nicht böse, sagte Hawkins, mir einen solchen Paradiesvogel zu erwerben, von dem mir Gibson schon so häufig gesprochen hat.

– Das wird ja nicht schwierig sein, meinte Pieter Kip, denn der Wilde ist doch jedenfalls gekommen, um den Vogel zu verkaufen oder zu vertauschen.

– So mag er an Bord kommen,« sagte der Kapitän.

Einer der Matrosen ließ eine Strickleiter hinunter. Die Pirogue legte daran an und der Eingeborne kletterte, den Vogel in der Hand haltend, gewandt hinaus.

»Ebura!... Ebura!« rief er, oben angelangt.

Sein Begleiter war in der Pirogue geblieben, die an einer Klampe des Schiffes festgelegt worden war, und er musterte aufmerksam die Brigg, ohne auf die Zeichen zu achten, die die Matrosen ihm machten, daß er auch herauskommen sollte.

Der Eingeborne, der sich auf dem Deck befand, zeigte den ausgesprochenen Typus der Rasse der Papua-Malaien, die an den Küsten Neuguineas wohnen: eine mittlere Größe, untersetzte Gestalt und kräftige Konstitution, dabei eine dicke, abgestumpfte Nase, großen Mund mit wulstigen Lippen, eckige Züge, starre, gerade Haare, dunkelschmutziggelbe Haut und harten Gesichtsausdruck, der aber doch eine gewisse Intelligenz verriet.

Der Mann mußte, nach Gibsons Ansicht, ein »Kapitan«, ein Stammeshäuptling sein. Einige fünfzig Jahre alt, ging er fast vollständig nackt und trug nur ein Känguruhsell um die Hüften und ein Stück Rindenzeug auf den Schultern.

Da Hawkins seine Bewunderung des Vogels von Anfang an nicht verhehlt hatte, wendete sich der Eingeborne auch gleich an ihn. Er hob den Paradiesvogel bis in Kopfhöhe empor und drehte und wendete ihn nach allen Seiten, um seine Schönheit zu zeigen.

[136] Hawkins, der die prächtige Manucode auf jeden Fall erwerben wollte, fragte sich nur, was er – als Tauschgeschäft – dafür anbieten könnte. Wahrscheinlich erwies sich der Papua nicht unempfindlich für einen Piaster, dessen Wert ihm jedenfalls bekannt war.

Der Wilde beseitigte jedoch sehr bald selbst die Ungewißheit des Reeders, indem er mit weitoffenem Munde wiederholt. Wobba!... Wobba!« rief.

Dieses Wort übersetzte Gibson mit »Zu trinken!... Zu trinken!«, und er ließ deshalb aus der Kambüse eine Flasche Whisky herbeischaffen.

[137] Der Kapitan ergriff sie, überzeugte sich auch, daß sie mit der weißlichen Flüssigkeit gefüllt sei, die er recht gut kannte, und steckte die Flasche ohne ein weiteres Wort unter den Arm.


Schwer getroffen, ertranken noch mehrere von ihnen. (S. 144.)

Dann ging er ungeniert vom Hinterdeck nach dem Vorderdeck und zurück, musterte dabei aber weniger das Oberschiff und die Takelage, als die Matrosen, die Passagiere und den Kapitän. Es hatte den Anschein, als wollte er sich über die Zahl der an Bord befindlichen Personen genau unterrichten, das vermutete wenigstens Pieter Kip, der es seinem Bruder gegenüber auch aussprach.

Jetzt kam Nat Gibson noch auf dem Einfall, den Wilden zu photographieren. Nicht daß er diesem mit dem Bilde ein Geschenk machen wollte, denn zur Vollendung eines solchen hätte es ihm an Zeit gefehlt... er wünschte nur seine Sammlung mit der Abbildung eines echten Papuas zu bereichern.

»Das ist ein guter Gedanke, sagte Hawkins, wie sollen wir aber den Teufelskerl dazu bringen, hübsch still zu halten?

– Nun, wir wollen es mindestens versuchen,« erwiderte Nat Gibson.

Er faßte dabei den Eingebornen am Arm, um ihn weiter nach dem Hinterdeck zu führen. Dieser begriff natürlich nicht, was man mit ihm vorhatte, und setzte dem jungen Manne daher einigen Widerstand entgegen.

»Assaï!« rief Gibson ihm zu.

Dieses Wort ist in der Papuasprache der Vokativ des Zeitworts »kommen«, und der Kapitan ging darauf hin willig mit nach dem Deckhause zu.

Nat Gibson brachte seinen Apparat auf das Hinterdeck und stellte die Camera auf das Stativ. Ehe er die matte Scheibe auf den Wilden einstellte, suchte er diesem eine geeignete Haltung zu geben, um ein gutes Negativ zu bekommen.

Der etwas verblüffte und sehr aufgeregte Kapitan hielt aber weder Kopf noch Arme still, und es schien unmöglich, ihn dazu zu bringen, sich während der wenigen, zur Aufnahme nötigen Sekunden nicht zu bewegen. Als Nat Gibson aber unter der schwarzen Decke der Camera verschwand, erstaunte er darüber dermaßen, daß er wie erstarrt völlig unbewegt blieb.

Diese kurze Zeit genügte für die Aufnahme, und nach deren Beendigung lief der Kapitan mit der Flasche unter dem Arme schleunigst nach der Falltreppe am Steuerbord.

Als er aber an der Vorderseite des Deckhauses, dessen Tür offen stand, vorüber kam, trat er auf einen Augenblick hinein, wie um nachzusehen, ob sich [138] noch jemand darin befände. Scheinbar dieselbe Absicht führte ihn auch noch nach dem Volkslogis, dessen Treppenkappe aufgeschlagen war. Endlich hafteten die Blicke des Wilden auf dem kleinen Kupfergeschütz am Vorderteile, dessen Wirkung ihm sicherlich nicht unbekannt war, denn er rief dabei laut: »Mera!... Mera!«

Dieses Wort bedeutet in der Sprache der Eingebornen »Donner«, wie das Wort »Ura« den Blitz oder ein blendendes Licht bezeichnet.

Dabei leuchtete das Auge des Kapitans ganz unheimlich auf, diese Flamme erlosch jedoch sofort wieder und sein Gesicht zeigte den gleichgültigen Ausdruck, den man bei den Angehörigen der andamanischen Rasse allgemein beobachtet.

An der Falltreppe angekommen, schwang sich der Papua über die Schanzkleidung, kletterte in die Pirogue hinunter und musterte noch einmal die Brigg vom Bug bis zum Heck. Dann ergriff er die eine Pagaie und sein Begleiter die andere. Bald darauf verschwand das kräftig angetriebene Fahrzeug hinter dem Vorlande der Insel Entrecasteaux auf dem Wege nach dem großen Lande.

»Haben Sie bemerkt, fragte da Karl Kip, wie aufmerksam jener Mann den ›James-Cook‹ und vor allem dessen Mannschaft betrachtete?

– Ja, das ist mir auch aufgefallen,« antwortete Hawkins.

Dem Kapitän Gibson war das Benehmen des Wilden ebenfalls nicht entgangen. Offenbar war der Papua an Bord gekommen, um sich über die Wehrfähigkeit der Brigg zu unterrichten. Er hatte einen Vogel zu verkaufen gehabt, hatte diesen verkauft und war, scheinbar zu seiner großen Befriedigung, dafür mit einer Flasche Whisky bezahlt worden. Dann hatte ihn die Pirogue dahin zurückbefördert, woher er gekommen war. Vor Ablauf einer Stunde – so meinten alle – würde er vollständig berauscht sein und man würde ihn nicht wieder zu Gesicht bekommen.

Das erschien ja möglich; immerhin blieb es recht bedauerlich, daß der »James-Cook« durch die fast vollständige Windstille hier gegenüber der Insel Entrecasteaux festgehalten wurde. Von der Brise war nur zeitweilig ein schwacher Hauch zu spüren. Die letzten Streifchen auf der Meeresfläche glichen sich allmählich aus und das Wasser hob und senkte sich nur in einer sanften, glatten Dünung. Gibson dachte schon daran, ob es nicht geratener sei, mit fünfzig Faden Kette vor Anker zu gehen. Weiter nach der Insel hin mußte sich dafür eine geeignete Stelle finden, wo er das Wiederaufspringen des Südostwindes abwarten könnte.

[139] Er besprach sich darüber mit dem Bootsmanne, der gegen eine solche Absicht auch keine Einwendungen zu erheben wußte.

Flig Balt hatte jedoch seine besonderen Gründe, dem Kapitän zuzustimmen.

»Das Wetter ist trübe, hatte nämlich Vin Mod gegen ihn geäußert, die Nacht wird Regen bringen, einen Regenfall ohne Wind, der dann meist vom Abend bis zum Morgen anhält. Wahrscheinlich begeben sich Hawkins, die beiden Holländer und der junge Gibson zum Schlafen in ihre Kabinen. Auf Deck bleiben dann nur noch der Kapitän und die Leute der Wache. Wenn dann die Reihe an Len Cannon, Sexton, Bryce und Kyle kommt, dann... nun ja, dann findet sich vielleicht die Gelegenheit, an der es uns bisher gefehlt hat... die Gelegenheit, Gibson zu überraschen, uns seiner zu entledigen, und wenn es gelingt, die Brigg in unsere Gewalt zu bekommen, wenigstens Flig Balt als Kapitän zu bekommen...«

Ein ähnliches Gespräch, dem auch Sexton, Kyle und Bryce beigewohnt hatten, hatte schon vorher zwischen Vin Mod und Len Cannon stattgefunden. Ja ja... zuerst nur den Kapitän abtun... das andere würde sich schon finden.

Die Umstände gestalteten sich desto günstiger, wenn die Brigg vor Anker ging, statt daß sie die Nacht über unter Segel blieb. Gibson würde dann jedenfalls allein wach bleiben und wie durch einen Unfall verschwinden.

Vin Mods Pläne wurden jedoch dadurch durchkreuzt, daß der Kapitän Gibson auch noch die Ansicht Karl Kips hören wollte, ob es rätlich sei, bis zum Anbruch des Tages zu ankern oder nicht.

Karl Kip hatte das ohne Zögern verneint.

»Ich an Ihrer Stelle, Herr Gibson, täte das nicht. Die Gegend hier ist zu unsicher und ein Überfall durch Eingeborne stets zu befürchten. Käme es zu einem solchen, so wäre es doch besser, nicht verankert zu liegen, um, wenn etwas Wind aufkäme, sogleich davonfahren zu können, ohne mit der Einholung des Ankers Zeit zu verlieren.«

Der Kapitän erkannte die Berechtigung dieser Gründe an und fügte sich ihnen ohne Gegenrede. Zur großen Enttäuschung des Bootsmannes und seiner Spießgesellen, behielt der »James-Cook« also nach Sonnenuntergang seine Segel für die Nacht bei und blieb zwei bis drei Meilen von der Insel Entrecasteaux entfernt liegen.

Andererseits hielt auch der Regen, der gegen fünf Uhr begonnen hatte, nicht lange an. Ein fernes Gewitter verriet sich durch Wetterleuchten und [140] gelegentliches schwaches Donnerrollen. Die Temperatur war sehr hoch; das Fahrenheitsche Thermometer wies auf neunzig Grad (32°22 Celsius). Da dachten denn auch weder Hawkins, noch Nat Gibson oder Karl und Pieter Kip daran, sich in ihre Kabinen zurückzuziehen. Alle streckten sich, ebenso wie die Matrosen, die keine Wache hatten, auf dem Verdeck aus.

Offenbar hatten Flig Balt, Vin Mod und ihre Parteigänger wiederum Unglück.

Selbstverständlich hatte Gibson Befehl erteilt und geeignete Maßregeln getroffen, die Umgebung der Brigg mit größter Sorgfalt im Auge zu behalten. Auf dem Vorder- und dem Hinterdeck waren einige Leute dazu angewiesen. Was Hawkins auch gesagt hatte, die Anschauung Karl Kips behielt doch die Oberhand. War der Kapitan nur an Bord gekommen, um seinen Paradiesvogel gegen irgend einen anderen Gegenstand zu vertauschen, oder nicht vielmehr, um sich über die Widerstandsfähigkeit des »James-Cook« zu vergewissern?

Vor dem Deckhause drehte sich das Gespräch noch um diese Frage, ging dann aber auf andere Gegenstände über. Das Zeltdach war zusammengerollt worden, um der Luft freieren Zutritt zu lassen. Rings um das Schiff herrschte tiefe Stille. Kein Lichtschein schimmerte weder draußen auf dem Meere, noch von der jedenfalls unbewohnten Insel Entrecasteaux herüber.

Nach und nach schlief das Gespräch ein. Alle Augenlider sanken nieder, und bald hätte gewiß auch die Widerstandsfähigsten der Schlummer besiegt, wenn jetzt nicht ein Ruf erschallt wäre, ein Ausruf Jims, der ausspähend auf- und abwandelte.

»Piroguen!... Piroguen!« rief der Schiffsjunge.

Alle – Kapitän, Passagiere und Mannschaft – waren sofort auf den Füßen und eilten nach dem Backbord.

Von diesem aus hatte Jim nämlich Boote, die auf die Brigg zuhielten, gesehen oder doch zu sehen geglaubt.

Sollte er sich bei der Dunkelheit der Nacht nicht vielleicht getäuscht haben?

Das nahm man noch im ersten Augenblick an, doch eine Wellenbewegung des Wassers, wie sie von Ruderschlägen erzeugt wird, zeigte sehr bald, daß der Schiffsjunge sich nicht geirrt hatte.

»Da... da draußen... Eingebornenboote!« rief jetzt Nat Gibson.

Einer der Matrosen richtete das Strahlenbündel eines Scheinwerfers nach der angedeuteten Stelle, und dadurch konnte man mehrere Piroguen, die kaum[141] noch dreißig Fuß vom Schiffe entfernt waren, deutlich erkennen. Ohne die Aufmerksamkeit Jims wäre die Brigg durch einen plötzlichen Angriff überrascht worden, ohne daß Zeit gewesen wäre, Mittel zur Abwehr zu ergreifen.

»An die Gewehre!... Die Revolver herbei!« befahl Gibson augenblicklich.

Die Matrosen eilten nach dem Deckhause und die Waffen wurden verteilt. Jeder erhielt ein Gewehr oder einen Revolver mit den nötigen Patronen, und alle stellten sich an Backbord längs der Schanzkleidung auf, um die Angreifer zurückzuweisen, die es versuchen sollten, das Verdeck zu erklettern.

Nach der Seeseite, also der der Insel Entrecasteaux entgegengesetzten Seite hin, war nichts Verdächtiges zu bemerken und auch kein Geräusch von Pagaien zu hören. Das Meer lag hier völlig glatt, es war also nicht zu befürchten, daß noch andere Boote von Osten her kämen.

Der Anblick des Scheinwerfers belehrte die Eingebornen natürlich, daß sie entdeckt wären. Eine Überraschung war daher nicht mehr möglich. Dennoch eröffneten die Wilden sofort den Angriff. Eine Wolke von Pfeilen und ein Hagel mit der Schleuder geworfener Steine prasselte gegen die Längswand der Brigg oder flog oben durch das Takelwerk.

Getroffen wurde zum Glück niemand, nach der Menge der Geschosse ließ sich aber annehmen, daß die Angreifer sehr zahlreich sein mußten. In der Tat waren es ihrer sechzig, die etwa zehn große Piroguen füllten. Der Kapitän verfügte dagegen, selbst den Schiffsjungen Jim eingerechnet, nur über fünfzehn Mann.

»Feuer!« kommandierte Gibson.

Sofort knatterten, als Antwort auf den Angriff der Papuas, eine Anzahl auf die Boote gerichteter Gewehre. Ohne Zweifel hatten mehrere Kugeln ihr Ziel getroffen, denn man hörte noch den Aufschrei von Verwundeten, als eine zweite Wolke von Pfeilen auf das Schiff zuschwirrte.

»Haltet jetzt ein, sagte der Kapitän. Schießt nur aus unmittelbarer Nähe auf die ersten der Schufte, die etwa die Schanzkleidung zu erklettern versuchen!«

Das ließ nicht lange auf sich warten. Nach wenigen Augenblicken stießen die Piroguen schon an den Rumpf der Brigg. Sich an den Jungfern der Wanten anklammernd, versuchten mehrere Papuas die Reling zu packen, um sich auf das Deck zu schwingen und hier Mann gegen Mann zu kämpfen.

Einmal an Bord, wären die Eingebornen zwar außer stande gewesen, sich der Bogen oder der Schleuder zu bedienen; sie wären aber trotzdem nicht waffenlos gewesen, denn sie konnten dann eine Art eisernes Hackmesser, in der [142] Sprache der Insulaner »Parang« genannt, benutzen, in dessen Gebrauch als Waffe sie außerordentlich geschickt sind.

Das allein nötigte also schon dazu, die Eingebornen mit Flinten- und Revolverschüssen, sowie mit Seitengewehren zu empfangen und sie ins Meer zu stürzen, ehe sie den Fuß auf das Verdeck setzen könnten.

Wirklich zeigten sich mehrere Papuas in der Höhe der Reling, während sie sich an den Rüsten des Groß-und des Fockmastes festhielten. Sie wurden jedoch sofort zurückgestoßen und fielen wieder in die Piroguen hinunter.

Bei dem Aufleuchten der Schüsse hatte man übrigens einen davon erkannt.

Es war das der Kapitan, der Anführer der ganzen Rotte, der in der Absicht dieses Angriffes an Bord gekommen war.

Die Zahl der Feinde war indes so beträchlich und das Mißverhältnis der Kräfte so bedeutend, daß die Lage der Dinge sich recht ernstlich gestalten konnte. Drangen der Kapitan und die Papuas auf das Verdeck ein, so mußten die Insassen des »James-Cook« trotz der Überlegenheit ihrer Waffen schließlich unterliegen, und waren diese erst genötigt, sich nach dem Deckhause auf dem Hinterdeck zu flüchten, so wurden sie gewiß bald überwältigt. Das kleine Geschütz konnte unter den jetzigen Umständen nicht benutzt werden. So gut es sich bewährte, auf eine noch etwas entfernte Pirogue zu feuern, war es doch unbrauchbar, wo die feindlichen Fahrzeuge wie jetzt ganz dicht an der Brigg lagen.

Die Passagiere und Matrosen des »James-Cook« verteidigten sich ebenso kräftig wie mutig. Anfänglich hatten sich fünf oder sechs Eingeborne bis zu den Deckleisten hinaufschwingen können und schon versuchten sie über die Schanzkleidung zu klettern. Mit Revolverschüssen und Seitengewehrhieben wurden sie aber abgewehrt, wobei einige in die Boote zurück, andere ins Meer stürzten.

Auch auf der Seite der Angegriffenen trugen einzelne freilich Verwundungen davon, darunter Pieter Kip und der Matrose Burnes, die von einem Schlage mit dem Parang, der eine am Arme, der andere an der Schulter, getroffen worden waren. Zum Glück waren die Verwundungen nur leichter Art und verhinderten beide Männer nicht, am Kampfe noch weiter teilzunehmen. Die Feuerwaffen richteten unter den Eingebornen natürlich viel ärgere Verheerungen an.

Der Kampf dauerte nur zehn Minuten, und den Papuas gelang es nicht, sich der Brigg zu bemächtigen. Einen Augenblick hatte es der Kapitan nebst zwei Wilden erreicht, bis nach einer der Rüsten hinauszugelangen, und sie [143] wollten sich schon über die Reling schwingen, während zwei oder drei Piroguen nach dem Achter der Brigg abschwenkten. Karl Kip stürzte sich aber, unterstützt von Nat Gibson, auf den Kapitan und jagte ihm zwei Kugeln in die Brust, während der junge Mann auf die Boote unten feuerte.

Als die Papuas ihren Häuptling fallen sahen, dessen Körper bald im Wasser verschwand, erlahmte ihr Angriff und sie schienen geneigt, ihn ganz aufzugeben. Da sie das Schiff nicht hatten überrumpeln können, mochten sie sich doch wohl sagen, daß sie keinen Sieg erringen könnten, obwohl sie ihrer vier gegen je einen Mann waren. Auch die, die schon nahe daran waren, entweder über den Bug oder über das Hackbord auf das Deck zu springen, wichen jetzt zurück. Da sie nun in die Lage gedrängt waren, sich selbst so gut wie möglich zu verteidigen, bemühten sie sich nur noch, wieder in die Piroguen zu entkommen. Schwer getroffen, ertranken noch mehrere von ihnen. Waren auch noch zwei oder drei Matrosen durch Paranghiebe verletzt worden, so hatte man auf der Brigg doch wenigstens keinen Todesfall zu beklagen.

Kaum ein viertel elf Uhr war es, als die Piroguen sich von der Brigg schon wieder zurückzogen. Solange sie noch sichtbar blieben, wurden ihnen die letzten Kugeln nachgesendet. Da geschah es, daß durch den Fehlschuß eines Ungeschickten – die tiefe Dunkelheit war für ihn ja eine Entschuldigung – eine Kugel so nahe am Kopfe Gibsons vorübersauste, daß dessen Hut davon bis zur Rückseite des Deckhauses geschleudert wurde.

Der Kapitän legte dem Vorfalle kein besonderes Gewicht bei, obgleich das Geschoß ja nahe daran gewesen war, ihm den Kopf zu zerschmettern. Er eilte nur mit seinem Sohne nach dem Vorderdeck, und beide brachten das kleine Kupfergeschütz schnell in die für den Augenblick geeignete Stellung.

Die jetzt eine Kabellänge vom »James-Cook« entfernten Piroguen bildeten noch eine unbestimmte Masse, auf die der Matrose Hobbes das Licht des Scheinwerfers richtete.

Das Geschütz war schnell geladen, mit einer Schlagröhre versehen, und also fertig, durch eine an Backbord aufgeschlagene Stückpforte Feuer zu geben.

Der Schuß krachte... ein Schmerzgeheul antwortete ihm von draußen.

Wenn es auch nicht zu sehen war, so unterlag es doch keinem Zweifel, daß das Geschoß eine der Piroguen getroffen und mit den Insassen versenkt hatte.


Der »James-Cook« nahm noch dieselbe Stelle wie am vorigen Tage ein. (S. 146.)

Das Geschütz wurde sofort wieder geladen, nicht um noch einmal zu feuern, sondern vorsichtshalber wegen eines etwa erneuten Angriffes, der jedoch nicht erfolgte.

Beim Absuchen der Gegend im Westen beleuchtete der Scheinwerfer nur eine völlig verlassene Meeres [144] fläche... die Piroguen hatten sich bereits in den Schutz der Insel Entrecasteaux zurückgezogen.

Jetzt hatte der »James-Cook« nichts mehr zu befürchten, mindestens war er außer Gefahr, überrascht zu werden. Dennoch wurde keine Vorsichtsmaßregel[145] versäumt, scharf Wache gehalten, und auch die Waffen blieben bis zum Tagesanbruch bei der Hand.

Inzwischen waren die Verwundungen Pieter Kips, Burnes und die dreier anderer Matrosen untersucht worden. Hawkins, der sich auf dergleichen verstand, konnte die tröstliche Erklärung abgeben, daß sie nicht ernstlicher Natur wären. Die Schiffsapotheke genügte völlig zu einem ersten Verbande, und keiner der Verwundeten dachte auch nur daran, sich in seiner Kabine oder im Volkslogis niederzulegen.

Als Flig Balt und Vin Mod sich dann einmal allein auf dem Vorderteile der Brigg befanden sagte der Matrose gedämpften Tones:

»Gefehlt... man hat ihn verfehlt!«

Antwortete Flig Balt, seiner Gewohnheit nach, hierauf auch nicht, so wußte sich Vin Mod dieses Schweigen doch zu deuten.

»Ja, was denkt Ihr, Balt, setzte er hinzu, in so finsterer Nacht mag der Kuckuck richtig zielen! Übrigens scheint er von der Geschichte kein Aufhebens machen zu wollen. Ein andermal wird's besser ablaufen.«

Sich nach dem Ohre seines Genossen beugend, fügte er noch hinzu:

»Ärgerlich bleibt's auf alle Fälle!... Jetzt könnte sonst Flig Balt schon Kapitän der Brigg und Vin Mod sein Bootsmann sein.«

10. Kapitel
Zehntes Kapitel.
Auf der Fahrt nach Norden.

Als die letzten Schatten der Nacht verschwunden waren, spähten alle Blicke nach der Umgebung der Brigg hinaus. Der »James-Cook« nahm noch dieselbe Stelle wie am vorigen Tage ein, lag also noch immer, wie fest verankert, gegen drei Seemeilen östlich von der Insel Entrecasteaux. Keine Strömung machte sich bemerkbar, kein Windhauch kräuselte die Oberfläche des Meeres, die sich kaum in sanfter, langer Dünung hob und senkte, das Schiff aber nicht von der Stelle trug.

[146] Keine Pirogue war zu entdecken, nur die Trümmer von der, die das nachgesendete Geschoß zerschmettert hatte, trieben da und dort umher. Ihre Insassen waren entweder von anderen Booten aufgenommen worden oder der Abgrund hatte sich über ihnen geschlossen.

Gibson musterte mit dem Fernrohre das Ufer der Insel und besichtigte dann das Gewirr von Korallenklippen, das deren Südspitze umsäumt.

Tausende von Vögeln flatterten mit mächtigem Flügelschlag darüber hin, von einem Kanot oder einem Menschen war dagegen nichts zu sehen. Niemand zweifelte auch mehr daran, daß die Eingebornen jenseit der engen Wasserstraße nach einem Küstendorfe Neuguineas zurückgekehrt wären.

Immerhin blieb es wünschenswert, diese Gegend zu verlassen, sobald die Abfahrt sich ermöglichen ließ. Gibson erkannte schon an gewissen Vorzeichen, daß die Brise nicht mehr lange auf sich warten lassen werde.

Karl Kip war derselben Meinung, als er die Sonne durch die purpurroten Dunstmassen am Horizonte aufsteigen sah. Das Meer »fühlte schon etwas«, und gelegentlich vernahm man bereits das Anschlagen leichter Wellen.

»Es sollte mich wundern, sagte der Kapitän, wenn wir nicht binnen ein oder zwei Stunden Segelwind hätten...

– Und wenn der dann nur vier Tage anhielte, setzte Hawkins hinzu, würden wir unser Ziel erreicht haben.

– Ja freilich, antwortete Gibson, denn von hier haben wir nur noch dreihundert Seemeilen bis Neuirland.«

Vorausgesetzt, daß Gibsons Meinung sich bestätigte, die Windstille also mit dem heutigen Morgen aufhörte, war die Reise des »James-Cook« eine recht günstig verlaufene zu nennen. Er befand sich dann ja im Gebiete des Südostpassats, der vom Mai bis zum November weht und in den übrigen Monaten des Jahres von dem Monsun abgelöst wird.

Gibson hielt sich also bereit, auch die oberen Segel beisetzen zu lassen, sobald der Wind sie anspannen könnte. Es war ja nicht zu zeitig, sich aus der gefährlichen Gegend von Papuasien und der Louisiaden zu entfernen. Wurde der »James-Cook« erst unter vollen Segeln von einem günstigen Winde getrieben, so konnten ihn keine mit Pagaien bewegten Piroguen mit oder ohne Ausleger einholen, wenn die Eingebornen ja ihren Angriff erneuern wollten.

Das geschah indes nicht. Die Waffen, Gewehre und Revolver wurden deshalb wieder im Deckhause untergebracht und das kleine Geschütz von der [147] Stückpforte zurückgezogen. Die Brigg brauchte sich nicht mehr zu einer Verteidigung bereit zu halten.

Bei dieser Gelegenheit erwähnte Gibson auch die verirrte Kugel, die ihn in der Nacht fast gestreift hatte, als Karl Kip gerade den Kapitan zurückstieß und ins Meer stürzte.

»Wie? rief Hawkins erstaunt, du wärest beinahe...

– Beinahe getroffen worden, lieber Freund; noch einen halben Zoll tiefer, und ich hätte einen durchlöcherten Schädel gehabt.

– Davon wußten wir ja bis jetzt noch gar nichts, erklärte Pieter Kip. Sind Sie denn Ihrer Sache gewiß, daß es sich dabei um einen Schuß handelte? Sollte es nicht ein von den Wilden abgeschossener Pfeil oder eine Zagaie gewesen sein?

– Nein, entgegnete Nat Gibson. Hier ist der Hut meines Vaters; Sie sehen doch, daß er von einer Kugel durchbohrt ist«

Eine Besichtigung des Hutes ließ hierüber keinen Zweifel übrig. Bei dem Kampfe in tiefer Finsternis war es ja nichts so Auffälliges, daß ein Revolver in falscher Richtung abgefeuert worden war, und deshalb ließ man den Vorfall auf sich beruhen.

Gegen halb acht Uhr war die Brise kräftig und stetig genug geworden, daß die Brigg in der Richtung nach Nordnordwesten weiterfahren konnte. So wurden denn Bram- und Oberbramsegel, Lee- und Stagsegel, die beim Backstagsegeln recht wirksam sind, sofort wieder gehißt, und sobald alles in Ordnung war, nahm der »James-Cook« seine etwa zwanzig Stunden unterbrochene Fahrt wieder auf.

Noch vor der Mittagsstunde wurde der nördliche Landvorsprung der Insel Entrecasteaux umschifft. Weiter draußen kam dann noch einmal das große Land in Sicht mit dem zerrissenen Kamme des hohen Bergzuges, der hinter der Ostküste von Neuguinea emporragt.

So weit der Blick reichte, war das Meer völlig verlassen und jede Befürchtung wegen eines erneuten Überfalles also ausgeschlossen. Nach Osten hin dehnte sich die ungeheuere Wasserfläche bis zu der Linie aus, wo Himmel und Wasser sich berühren.

Brauchte man sich jetzt wegen der Eingebornen also keine weitere Sorge zu machen, so war dafür aber auf plötzliche starke Windstöße zu achten, die in diesem Teile des Großen Ozeans zwischen Papuasien, den Salomonsinseln [148] und den nördlich davon gelegenen Inselgruppen ziemlich häufig auftreten. Sie dauern übrigens niemals lange an und sind nur gefährlich für nachlässige und unerfahrene Kapitäne, die sich davon überraschen lassen. Man nennt sie »schwere Böen«. Ein Fahrzeug, das nicht auf seiner Hut ist, läuft dabei Gefahr, zu kentern.

Im Laufe dieses Tages und der folgenden Nacht war von einer solchen Bö nichts zu spüren und die Richtung des Windes blieb unverändert. Als der »James-Cook« die unfruchtbare und unbewohnte Insel Monyon, die sich in der Mitte eines Korallenringes, eines sogenannten Atolls, erhebt, an Backbord hinter sich gelassen hatte, kam er auf ein, weniger von madreporischen Bänken durchsetztes Meer und konnte seine mittlere Geschwindigkeit von zehn Seemeilen in der Stunde sorglos beibehalten.

Es liegt auf der Hand, daß sich die von Flig Balt, Vin Mod und den anderen herbeigewünschte Gelegenheit unter diesen Verhältnissen nicht bieten konnte. Gibson, sein Sohn, der Reeder und die Gebrüder Kip suchten für die Nacht ihre Kabinen ebensowenig auf, wie die Matrosen Hobbes, Wickley und Burnes oder der Schiffsjunge Jim das Volkslogis. Es war daher unmöglich, sich des Kapitäns durch einen herbeigeführten Unfall zu entledigen, denn dieser war niemals allein auf dem Verdecke.

Obwohl die jetzige Jahreszeit für die große Küstenfahrt in den melanesischen Meeren die günstigsten Aussichten bot. begegnete die Brigg auf ihrem Wege doch keinem einzigen Schiffe. Eine Erklärung dafür liegt darin, daß auf den Inselgruppen zwischen dem Äquator und dem nördlichen Teile Papuasiens bisher sehr wenige Kontore und Faktoreien entstanden sind und zu einem regeren Handelsverkehre, wie er sich in Zukunft jedenfalls entwickeln wird, noch keinen Anstoß gegeben haben.

Wir geben im folgenden einen gedrängten Überblick über die politische und geographische Verteilung dieser Archipele.

Seit langen Jahren schon hatte England, alter Gewohnheit gemäß, mit mehr oder weniger Berechtigung seine Schutzherrschaft über die Nachbarinseln von Neuguinea ausgedehnt, bis es 1884 zu einem Vertrag zwischen Deutschland und dem Vereinigten Königreiche kam.

Infolge dieses Vertrages wurden alle Inseln im Nordosten von Papuasien bis zum hunderteinundvierzigsten Grade der Länge östlich von Greenwich als deutsche Besitzungen erklärt.

[149] Damit erhielt das Kolonialgebiet des Deutschen Reiches, das es sich bald sehr angelegen sein ließ, Einwanderer hierher zu ziehen, einen Bevölkerungszuwachs von rund hunderttausend Seelen.

Wir möchten die Aufmerksamkeit des Lesers auf die Hauptgruppe in dieser Inselwelt hinlenken, in der sich unsere Erzählung abspielt.

Die beiden bedeutendsten Inseln der Gruppe sind Tombara oder Neuirland, und Biara oder Neubritannien. Beide haben die Gestalt eines engen Bogens. Die erste ist von Neuguinea durch die Dampierstraße getrennt. Der St. Georgkanal verläuft mitten durch zahlreiche Korallenriffe von der Süd- nach der Nordostspitze der zweiten.

Auf den Karten findet man ferner die wesentlich kleineren Inseln Hannover und York, nebst einigen anderen bewohnten oder unbewohnten Eilanden – das Ganze mit einer Oberfläche von fünfzehnhundertachtzig Quadratkilometern.

Natürlich wurden nach dem Teilungsvertrag der beiden Mächte die früher melanesischen oder englischen Namen der Inseln durch deutsche ersetzt; so ist Tombara oder Neuirland zu Neumecklenburg geworden, Birara oder Neubritannien wurde zu Neupommern, und York zu Neulimburg umgetauft. Nur Neuhannover hat seinen ja an sich schon germanischen Namen behalten.

Nun galt es noch, der Gesamtheit der Inseln, die in diesem Teile des Großen Ozeans eine ziemlich bedeutende Besitzung bilden, einen gemeinschaftlichen Namen zu geben, und heute findet man sie auf den Karten als »Bismarck-Archipel« bezeichnet.

Pieter Kip fragte Hawkins, unter welchen Umständen und Bedingungen er mit diesem Archipel besonders mit Neuirland, in Handelsverbindung stände.

»Ich war in früherer Zeit, antwortete der Reeder, Korrespondent einer Firma in Wellington auf Neuseeland, die mit Tombara in Geschäftsverbindung stand.

– Also schon vor dem Teilungsabkommen, Herr Hawkins?

– Schon zehn Jahre vorher, Herr Kip. Als dann dieses Haus liquidierte, übernahm ich das Geschäft auf eigene Rechnung. Nach dem 1884 zwischen Deutschland und England abgeschlossenen Vertrage trat ich dann mit den von den deutschen Ansiedlern gegründeten Kontoren in Verbindung. Unser »James-Cook« wurde ausschließlich für diese Reisen ausersehen, die einen steigenden Nutzen abzuwerfen versprachen.

– Hat der Handel seit jenem Vertrage schon an Umfang zugenommen?

[150] – Ganz unleugbar, Herr Kip, und ich glaube, er wird sich auch noch weiter entwickeln. Die teutonische Rasse ist leicht zum Auswandern bereit, wenn das einen reellen Nutzen erwarten läßt.

– Worin besteht die Hauptausfuhr der Inselgruppe?

– In Perlmutter, wovon es hier Überfluß gibt, und da auf diesen Inseln ferner die schönsten Kokosbäume der Welt in großer Menge vorkommen, wie Sie sich selbst bald überzeugen werden, liefern sie reiche Frachten von Koprah 1, wovon ich in Port-Praslin dreihundert Tonnen einzunehmen denke.

– Und wie hat sich Deutschland seine Oberhoheit über die Inselgruppe gesichert? fragte Karl Kip.

– In sehr einfacher Weise, erklärte Hawkins. Das Reich hat die Inseln an eine Handelsgesellschaft verpachtet, der auch die Rechte einer politischen Behörde zuerteilt sind. Seine eigentliche Herrschaft hat indes tatsächlich keine große Ausdehnung und sein Einfluß auf die Eingebornen ist gegenwärtig noch ziemlich gering. Es begnügte sich bisher, für die Sicherheit der Eingewanderten und für die der Handelsinteressen einzustehen.

– Übrigens, setzte Nat Gibson hinzu, deutet, wie Herr Hawkins schon sagte, alles darauf hin, daß die gedeihliche Entwicklung des Archipels weiter zunehmen wird. Schon jetzt zeigen sich darin große Fortschritte, vorzüglich auf Tombara, das 16!6 von dem Holländer Shouten entdeckt worden war. Ja, Herr Kip, einer Ihrer Landsleute war es, der sich zuerst auf diese gefährlichen Meere wagte.

– Ich weiß es, Herr Nat, antwortete Karl Kip. Übrigens hat Holland im melanesischen Gebiete überall seine noch ungetilgten Spuren hinterlassen, und seine Seeleute sind hier wiederholt mit Auszeichnung aufgetreten.

– Ganz richtig, bemerkte Gibson.

– Holland hat sich nur nicht alle seine Entdeckungen zu erhalten vermocht, äußerte Hawkins.

– Nein, das leider nicht. Da es aber die Molukken behauptete, ist ihm davon ein großer Teil verblieben, und es überläßt an Deutschland gern dessen jetzigen Bismarck-Archipel.«

[151] In der Tat war es der Seefahrer Shouten gewesen, der zu Anfang des 17. Jahrhunderts die Ostküste Neuirlands entdeckt hatte. Die ersten Beziehungen zu den Eingebornen gestalteten sich freilich sehr ungünstig: es kam zu Angriffen durch Piroguen, von denen aus Steine geschleudert wurden und die mit Musketenfeuer abgewiesen werden mußten, so daß die erste Berührung mit den Wilden diesen wohl ein Dutzend Tote kostete.

Nach Shouten war es wieder ein Holländer, Tasman, derselbe, nach dem Tasmanien benannt wurde, das auch den Namen Van Diemensland führt, wiederum nach einem Holländer, nach Van Diemen, der dessen Küste 1643 in Sicht bekam.

Nach ihnen kamen die Engländer, darunter Dampier, dessen Namen auf die Wasserstraße zwischen Neuguinea und Birara übertragen wurde. Dampier nahm die Küste von Norden nach Süden segelnd auf, landete an verschiedenen Stellen davon und mußte auch einmal einen Angriff von Insulanern in einer Bucht abschlagen, die er deshalb die Bucht der Schleuderer nannte.

Im Jahre 1667 besuchte Carteret, wiederum ein englischer Seefahrer, die Südwestküste der Insel, verweilte hier eine Zeitlang im jetzigen Port-Praslin, und später in dem seinen Namen führenden Hafen in der sogenannten Bucht der Engländer.

Bei Gelegenheit seiner Reise um die Erde ankerte auch Bougainville in Port-Praslin, und benannte dieses so zur Ehre des französischen Marineministers, des geistigen Urhebers der ersten Reise um die Erde, die von Franzosen ausgeführt wurde.

Später, 1792, begab sich Entrecasteaux nach der bis dahin unbekannten Westküste der Insel, bestimmte deren Umrisse und blieb eine Woche im Carterethafen liegen.

Endlich führte im Jahre 1823 Duperrey sein Schiff nach dem Praslinhafen, der unter seiner Aufsicht hydrographisch aufgenommen wurde. Er trat auch vielfach mit Eingebornen in Verbindung, die auf Piroguen von dem Dorfe Like-Like herkamen, das an der Ostseite von Neuirland liegt.

Am Vormittage des 18. mußte die Fahrtrichtung der Brigg einige Stunden lang etwas geändert werden. Der Wind, der bis jetzt mit der den Passaten eigenen Stetigkeit geweht hatte, legte sich plötzlich ziemlich vollständig. Die Segel flatterten an den Raaen hin und her und schlugen an die Maste, der »James-Cook« aber steuerte fast gar nicht mehr.


»Ja, wir werden eine schwere Bö bekommen,« sagte Gibson. (S. 155.)

[152] [155]Jeder aufmerksame Kapitän mußte einer solchen Erscheinung Rechnung tragen, und Gibson war vorsichtig genug, sich nicht unvorbereitet überraschen zu lassen.

Eben wies ihn nämlich Karl Kip, der die Blicke über den Horizont schweifen ließ, auf eine im Westen aufsteigende Wolke hin, eine Art Ballon von Dunstmassen mit abgerundeten Seiten, der – das sah man an seinem Größerwerden – offenbar sehr schnell heraufstieg.

»Ja, wir werden eine schwere Bö bekommen, sagte Gibson.

– Die aber nicht lange anhalten dürfte, antwortete Karl Kip.

– Nein, das zwar nicht, sie droht aber sehr heftig zu werden,« meinte der Kapitän.

Auf seinen Befehl ging die Mannschaft sofort an die Arbeit. Bram- und Oberbramsegel, Lee- und Stagsegel wurden binnen einer Minute geborgen, auch das Fock- und das Großsegel sowie die Brigantine wurden aufgegeit. Der »James-Cook« trug nur noch die gerefften Marssegel und das zweite Klüversegel.

Es war die höchste Zeit gewesen. Kaum hatte man die Segelfläche in der angegebenen Weise verkleinert, als die Bö schon mit außerordentlichem Ungestüm losbrach.

Die Matrosen hielten sich an ihrem Posten, der Kapitän stand vor dem Deckhause, und Hawkins, Nat Gibson und Pieter Kip hatten sich nach dem Hinterdeck begeben, während Karl Kip am Ruder stand, und unter seiner Hand wurde der »James-Cook« gewiß mit größter Geschicklichkeit gesteuert.

Als die Bö mit voller Kraft das Fahrzeug packte, wurde dieses natürlich umhergeschleudert, als ob es kentern sollte. Es neigte sich zuweilen so weit nach Steuerbord, daß seine Großraa in das weißschäumende Meer eintauchte. Eine Wendung des Steuers richtete das Schiff wieder auf und hielt es auch in besserer Lage. Statt sich dem Sturmwinde gerade entgegen zu stellen, zog es Gibson vor, mit diesem zu fliehen, da er aus Erfahrung wußte, daß solche Böen wie Meteore vorübergehen und niemals lange anhalten.

Dabei entstand nur die Frage, ob die Brigg nicht etwa bis zu den Salomonsinseln verschlagen oder wenigstens bis in Sicht der Insel Bougainville getrieben würde, bis zur ersten der Gruppe, die sich im Nordosten der Louisiaden erhebt. Diese lag von der jetzigen Brigg nur gegen dreißig Seemeilen entfernt.

[155] Jedenfalls konnte diese Insel wenigstens für kurze Zeit in Sicht kommen. Sie steigt als hohe Bergmasse im Nordosten auf, und wenn man sie sah, bewies das, daß der »James-Cook« aus seinem Kurse bis zum hundertdreiundfünfzigsten Grade östlicher Länge abgetrieben worden war.

Flig Balt und Vin Mod sahen es wahrscheinlich nicht ungern, sich in dieser Weise vom bisher verfolgten Wege verschlagen zu sehen, da das mindestens eine Verspätung der Ankunft in Neuirland verursachen mußte. Die Gruppe der Salomonsinseln ist einem Handstreiche überhaupt günstig. Hier tummeln sich Abenteurer in Menge umher, und diese Gegend ist schon oft der Schauplatz verbrecherischer Unternehmungen gewesen. Der Bootsmann konnte auf der Insel Rossel oder einer der anderen recht leicht alte Bekannte finden, die sich nicht weigern würden, seine Pläne zu unterstützen. Und Vin Mod, der ja seinen Schiffssack schon überall auf dem Großen Ozean umhergeschleppt hatte, begegnete erst recht vielleicht alten Kameraden, die zu allem fähig waren.

Am ärgerlichsten war es für den Bootsmann aber, daß Len Cannon und dessen Genossen ihm unablässig zusetzten. Unter den jetzigen Verhältnissen, erklärten sie wiederholt, wollten sie auf keinen Fall noch weiter mitfahren.

»Ist die Sache nicht vor dem Eintreffen in Port-Praslin abgetan, so kommen wir dort nicht wieder an Bord... das steht fest!

– Und was sollte in Neuirland aus euch werden? bemerkte Vin Mod.

– O, dort nimmt man uns als Kolonisten auf, antwortete Len Cannon. Die Deutschen brauchen kräftige Arme... Dann warten wir eine gute Gelegenheit ab, die sich in Tasmanien doch niemals böte... nach Hobart-Town gehen wir aber niemals.«

Dieser Entschluß brachte Flig Balt und seinen Genossen natürlich nicht wenig in Wut. Fehlten ihnen die vier Burschen, so mußten sie auf ihre Pläne überhaupt verzichten. Sollte ihnen also auch diese Fahrt des »James-Cook« nicht den Nutzen bringen, den sie davon erhofft hatten?

Wenn Len Cannon, Kyle, Sexton und Bryce in Port-Praslin desertierten, würde es dem Kapitän freilich sehr erschwert sein, von da wieder auszulaufen. An die Anmusterung neuer Matrosen war auf der Insel Tombara ja kaum zu denken. Port-Praslin war weder Dunedin, noch Wellington oder Auckland, wo es für gewöhnlich viele Seeleute gibt, die nur darauf warten, sich einzuschiffen.

[156] Hier gab es nur auf eigene Rechnung arbeitende Kolonisten oder Angestellte in den verschiedenen Handelshäusern; es bot sich also gewiß keine Gelegenheit, etwaige Lücken in einer Mannschaft auszufüllen.

Gibson wußte aber nicht, was ihm drohte, und hatte überhaupt keine Ahnung von dem gegen ihn und sein Schiff angezettelten Komplotte. Die zuletzt angeworbenen Matrosen hatten bisher zu keiner Klage Anlaß gegeben. Auch der immer unterwürfige und willfährige Flig Balt konnte keinerlei Verdacht bei seinem Kapitän aufkommen lassen. Hatte er Hawkins ebenso zu täuschen verstanden, so behielten ihn die Gebrüder Kip, denen er nun einmal kein Vertrauen einflößte, immer scharf im Auge, was ihm übrigens nicht entgangen war. Wahrlich, das reine Unglück, die Schiffbrüchigen von der Insel Norfolk gerettet zu haben! Und wenn der »James-Cook« diese wenigstens in Port-Praslin abgesetzt hätte! Doch nein, er sollte sie ja auch bis Hobart-Town mit zurückbringen.

Was Len Canon und seine Genossen anging, war die Hoffnung, die sie daran geknüpft hatten, nach dem Salomonsarchipel verschlagen zu werden, nur von kurzer Dauer. Nach drei Stunden – so lange wütete die Bö mit voller Gewalt – nahm der Sturm plötzlich ein Ende und der Wimpel am Großmast flatterte nicht mehr ausgestreckt in der Luft. Unter der Führung Karl Kips hatte sich das Schiff vortrefflich gehalten und nicht einmal eine der so gefährlichen Sturzseen übergenommen, denen man sonst beim Segeln vor dem Winde so selten entgeht. Dann steuert ein Fahrzeug entweder gar nicht oder doch nur sehr schlecht, und es wird stets schwierig, dessen Schwanken von einer Seite zur anderen zu vermeiden. Karl Kip hatte hier Gelegenheit gehabt, seine Geschicklichkeit und Kaltblütigkeit glänzend zu erweisen. Kein Mann aus der Besatzung hätte während der Sturmbö das Ruder besser regieren können, als er.

Wenn sich der Wind auch urplötzlich legte, blieb das Meer doch noch länger furchtbar aufgewühlt. Die Wogen wälzten sich durcheinander, so als ob die Brigg inmitten einer schweren Brandung oder madreporischer Bänke segelte. Mindestens herrschte jetzt aber wieder Ruhe in der Atmosphäre, und nach einem tüchtigen Platzregen, der die Bö begleitet und die von Westen herangezogenen Wolken entleert hatte, sprang der Passatwind in seiner gewöhnlichen Richtung wieder auf.

Gibson ließ jetzt die Reffe der Marssegel wieder lösen und das Focksegel nebst Brigantine, sowie Bram- und Oberbramsegel beisetzen; nur die Leesegel wurden weggelassen, um die Maste nicht zu überlasten. Mit Steuerbordhalfen [157] machte die Brigg so gute Fahrt, daß sie sich am nächsten Tage, am 19., nachdem sie von der Insel Bougainville aus hundertfünfzig Seemeilen zurückgelegt hatte, schon gegenüber dem St. Georgskanal befand, der zwischen den Bergküsten von Neuirland und Neuguinea verläuft.

Dieser Kanal hat nur einige Seemeilen Breite. Die Fahrt darauf ist nicht leicht, denn in seiner ganzen Länge erheben sich zahlreiche Klippen, er verkürzt aber die Fahrstrecke reichlich um die Hälfte. Für Schiffe, die die Westseite von Tombara unmittelbar umsegeln, statt sich an der Südküste von Birara zu halten und die Dampierstraße aufzusuchen, bedarf es gar sehr der Hand eines erfahrenen, ortskundigen Kapitäns, wie Harry Gibsons.

Im vorliegenden Falle kam das aber nicht in Frage, weil Port-Praslin an der Südseite Neuirlands, an der nach dem Großen Ozean gewendeten Küste und nahe am Kap Saint-Georges liegt, das fast am Eingange der Wasserstraße emporragt.

Da der »James-Cook« bei seiner Annäherung an das Land noch einmal von einer fast vollständigen Windstille überrascht wurde, hatten Hawkins, Nat Gibson und die Gebrüder Kip die beste Gelegenheit, diesen Teil der Küste eingehend zu besichtigen.

Das Gerippe der Insel wird von einer doppelten Bergkette gebildet, die im Mittel sechstausend Fuß hoch ist und von dem vorliegenden Punkte der Küste ausgeht. Beide Bergzüge sind bis zum Gipfel mit Wäldern bedeckt. Undurchdringlich für jeden Sonnenstrahl, strömt daraus fortwährend eine feuchte Luft herab, wodurch die Temperatur eine erträglichere bleibt als in anderen, dem Äquator benachbarten Gegenden. Jener Umstand vermindert also recht glücklich die starke Wärme, die im Bismarck-Archipel gewöhnlich herrscht, und es kommt nur selten vor, daß der Thermometer über achtundachtzig Grad Fahrenheit (30° C.) aufweist.

An diesem Tage kam die Brigg nur an wenigen Piroguen ohne Ausleger vorüber, die viereckige, fast quadratische Segel führten. Übrigens ist von den Eingebornen Neuirlands, oder – seit die schwarzweißrote Flagge darüber weht – Neumecklenburgs nichts mehr zu befürchten.

Keinerlei Zwischenfall störte die Ruhe der Nacht. Als die Brise nach vierundzwanzig Stunden wieder aufsprang, konnte man zwischen den zahlreichen madreporischen Bänken und Korallenriffen vor dem Eingange nach Port-Praslin nur eine verminderte Segelfläche führen. Jedes Schiff muß hier vorsichtig sein[158] und alle Havarien zu verhüten suchen, da solche hier nicht leicht ausgebessert werden könnten. Die ganze Mannschaft mußte deshalb auf dem Verdeck bleiben, um für die oft plötzlich nötig werdenden Segelmanöver zur Hand zu sein. Selbstverständlich entbehren diese Küsten in der Nacht bisher noch der Leuchtfeuer, und die sonstigen Merkpunkte sind in der Dunkelheit natürlich nutzlos. Gibson war mit dem Fahrwasser in der Nähe von Port-Praslin jedoch hinlänglich bekannt.

Mit Tagesanbruch meldete die Wache den Eingang zu der mit hohen Bergen eingerahmten Reede. Der »James-Cook« fuhr bei Hochwasser durch die am besten schiffbaren Zugänge ein, und gegen neun Uhr Morgens legte er sich inmitten des Hafens mit zwei Ankern fest.

Fußnoten

1 Die Koprah ist die Mandel, der Kern der Kokosnuß, nachdem diese, zerstückelt und auf dem Sande in den Strahlen der Sonne gedörrt, soweit zubereitet ist, daß sie in die dafür bestimmten Mühlen geschafft werden kann, wo man daraus das zur Seifenfabrikation dienende Kokosnußöl gewinnt.

11. Kapitel
Elftes Kapitel.
Port-Praslin.

Der erste Besucher, der sich auf der Brigg einfand, war Herr Zieger, der Kaufmann von Neuirland, der mit dem Hause Hawkins in Geschäftsverbindung stand. Zieger, ein Mann in den besten Jahren, hatte in Port-Praslin sein Kontor schon seit zwölf Jahren errichtet, also lange bevor der Teilungsvertrag der Insel den Namen Neumecklenburg und der ganzen Gruppe den des Bismarck-Archipels gegeben hatte.

Das Verhältnis zwischen Hawkins und Zieger war stets ein vortreffliches gewesen, und es beschränkte sich auch nicht allein auf den Austausch von Waren zwischen Hobart-Town und Port-Praslin. Herr Zieger war schon mehrmals nach der Hauptstadt von Tasmanien gekommen, wo ihn der Reeder stets mit großer Freude aufnahm. Die Handelsherren bewahrten vor einander eine aufrichtige Hochachtung. Auch Nat Gibson war Herrn Zieger kein Fremder mehr, so wenig wie der Frau Zieger, die ihren Gatten auf seinen Reisen zu begleiten pflegte. Jetzt hofften auch alle, die Zeit des Aufenthaltes in Neuirland recht angenehm zu verbringen.

[159] Der Kapitän und Herr Zieger waren langjährige Bekannte und vertraute Freunde, die sich mit einem warmen Händedruck begrüßten, als wären sie erst gestern zusammen gewesen.

Herr Zieger, der sehr geläufig englisch sprach, sagte zu dem Reeder:

»Ich hoffe bestimmt, Herr Hawkins, daß Sie von der Gastfreundschaft Gebrauch machen, die meine Frau und ich Ihnen in unserem Hause in Wilhelmstaf bieten können.

– Sie meinen, daß wir den »James-Cook« verlassen sollen? antwortete der Reeder.

– Gewiß, Herr Hawkins!

– Doch nur unter der Voraussetzung, Herr Zieger, daß wir Ihnen nicht zur Last fallen...

– O, seien Sie überzeugt, in keiner Weise. Ihr Zimmer ist schon zurecht gemacht und für Gibson und seinen Sohn ist natürlich auch eines da.«

Die Einladung erfolgte in so warmem Tone, daß man sie unmöglich abweisen konnte. Hawkins, der auch nicht sehr gewöhnt war, in der beschränkten Kajüte eines Schiffes zu wohnen, wünschte ja nichts mehr, als seine Kabine gegen ein bequemes Zimmer der Villa Wilhelmstaf zu vertauschen.

Nat Gibson nahm die Einladung ebenfalls mit Freuden an, nur der Kapitän lehnte sie ab, wie er das bisher immer getan hatte.

»Wir werden uns ja jeden Tag sehen, sagte er. Meine Anwesenheit ist aber an Bord notwendig, und ich habe einmal den Grundsatz, mein Schiff, auch so lange es in einem Hafen liegt, nicht zu verlassen.

– Wie es Ihnen beliebt, Gibson, antwortete Herr Zieger, Sie werden aber jedenfalls des Morgens und des Abends mein Tischgast sein.

– Das recht gern, erklärte Gibson. Schon heute werd' ich mit Hawkins und meinem Sohne Ihrer Gattin einen Besuch abstatten und an Ihrem Familienfrühstück mit Vergnügen teilnehmen.«

Hierauf erfolgte noch die Vorstellung der beiden Schiffbrüchigen, deren Geschichte der Reeder mit kurzen Worten erzählte. Herr Zieger begrüßte die Gebrüder Kip in teilnehmendster Weise und sprach den Wunsch aus, sie so oft wie möglich in Wilhelmstaf empfangen zu können. Konnte er ihnen auch kein Zimmer anbieten, so würden sie doch in Port-Praslin einen ihnen zusagenden Gasthof finden, den sie, wenn sie es wünschten, bis zur Wiederabfahrt des »James-Cook« beziehen könnten.

[160] [163]»Unsere Mittel, erwiderte darauf Pieter Kip, sind sehr beschränkt oder eigentlich ganz erschöpft. Alles, was wir besaßen, haben wir bei dem traurigen Schiffbruche eingebüßt, und da Herr Hawkins so gütig war, uns als Passagiere aufzunehmen, ist es wohl besser, wir bleiben hier an Bord.

– Betrachten Sie sich hier als zu Hause, liebe Freunde, erklärte der Reeder. Die Brigg ist ja noch immer auf der Reise.


Deutsches Konsulat in Apia.

Die Missionshäuser von Maloa auf Upolu (Samoa-Insel).

Die Missionshäuser von Maloa auf Upolu (Samoa-Insel).


Ja, wenn Sie Bedarf haben, bin ich gern erbötig, Ihnen Kleidungsstücke, Leibwäsche und dergleichen zur Verfügung zu stellen.

– Und ich nicht minder, meine Herren, sagte Herr Zieger.

– Wir danken Ihnen herzlich, versicherte Karl Kip. Sobald wir in Holland zurück sind, wird es unsere erste Aufgabe sein, Ihnen die...

– O, davon ist nicht die Rede, unterbrach ihn Hawkins, das wird sich schon später finden; jetzt brauchen Sie sich darüber keine Gedanken zu machen.«

Gibson fragte nun den Geschäftsfreund, wie lange die Brigg wohl seiner Meinung nach in Port-Praslin werde liegen bleiben müssen, um ihre Fracht zu löschen und neue einzunehmen.

»Etwa drei Wochen, sagte Zieger, wenn eine Woche zur Löschung Ihrer Fracht ausreicht, die ich in der Kolonie schon vorteilhaft unterbringen werde.

– Gewiß... eine Woche ist dazu genug, versicherte Gibson, und wenn dann unsere dreihundert Tonnen Koprah bereit liegen...

– Hundertfünfzig Tonnen davon hab' ich schon in meinem Lagerhause, erklärte Zieger; die anderen hundertfünfzig werden Sie in Kerawara verladen müssen.

– Jawohl... einverstanden, erwiderte der Kapitän, die Fahrt dahin ist ja sehr kurz. Wir gehen zuerst nach Kerawara, und dann kehrt der »James-Cook« nach Port-Praslin zurück, seine Fracht zu vervollständigen.

– Die Kisten mit Perlmutter stehen schon bereit, lieber Gibson, sagte Zieger; Sie werden deshalb also keine Verzögerung erfahren.

– Es ist wirklich ein Vergnügen, mit Ihrem Hause zu arbeiten, Herr Zieger, setzte Hawkins hinzu. Ich sehe schon, wir werden mit einem dreiwöchigen Aufenthalte auskommen.

– Heute haben wir den 20. November, sagte Gibson, Havarien sind an der Brigg nicht auszubessern, am 14. Dezember würde sie also fertig sein, wieder abzusegeln.

[163] – Und in diesem Zeitraume, Herr Hawkins, könnten Sie die Umgebungen von Port-Praslin besuchen, die das wirklich wert sind. Außerdem werden meine Frau und ich unser Bestes tun, Ihnen den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen.«

Hawkins, die Gebrüder Kip und Nat Gibson gingen nun ans Land. Der Kapitän blieb vorläufig pflichtgemäß zurück, sollte mit den übrigen aber zur Frühstücksstunde in Wilhelmstaf wieder zusammentreffen.

Wie Gibson vermutet hatte, lag jetzt kein Schiff in Port-Praslin vor Anker, und vor Neujahr wurde auch kein weiteres erwartet. Außer verschiedenen Booten der Faktoreien und zahlreichen Piroguen von Eingebornen war im Hafen nichts zu sehen. Die deutschen Schiffe suchten mit Vorliebe den Hauptort des Kolonialgebietes an der Insel, Kerawara, auf, die im Süden der früheren Insel York, des jetzigen Neulauenburg liegt.

Port-Praslin ist übrigens tiefer im Innern seiner Bai auch recht gut geschützt und bietet größeren Fahrzeugen sehr guten Ankergrund. Die Wassertiefe ist überall die gleiche; zwischen Birara und Tombara erreicht sie sogar vierzehnhundert Meter. Die Brigg hatte mit dreißig Faden Kette vor Anker gehen können. Der Meeresboden, der aus madreporischem, mit Muschelresten vermengtem Sande besteht, ermöglicht ein festes Haften des Ankers.

Port-Praslin zählte in jener Zeit nur etwa hundert Ansiedler, meist solche deutscher Abstammung und daneben einige eingewanderte Engländer. Ihre Wohnstätten lagen zerstreut in dem erquickenden Schatten des Ufergeländes im Osten und Westen des Hafens.

Das Haus des Herrn Zieger befand sich etwa eine Seemeile von der Küste auf sanft ansteigendem Terrain; Kontor und Magazine bildeten dagegen eine unregelmäßige Gebäudegruppe im Hintergrunde des Hafens, wo auch andere Kaufleute ihre Schreibstuben und Faktoreien errichtet hatten.

Die Eingebornen Neuirlands führen dieselbe Lebensweise wie die Koloniebevölkerung. Ihre Dörfer bestehen aus Haufen von Hütten, die in der Mehrzahl auf Stämmen, also über der Erde freistehend, erbaut sind. Sie kommen gern nach Port-Praslin und zu den Agenten, die im deutschen Melanesien die Staatsgewalt vertreten. Als Hawkins und seine Begleiter ans Land fuhren, begegneten sie auch schon mehreren dieser Eingebornen.

Obwohl diese wenig arbeitsamer Natur sind und die meisten den Tag mit Nichtstun hinbringen, erliegen sie doch zuweilen dem Verlangen, einige Piaster[164] zu verdienen. Nicht selten bieten sie sich dann zum Löschen und Beladen der Schiffe an. Man beschäftigt sie im allgemeinen gern, denn wenn man sie nur scharf beaufsichtigt, da die Leute gern kleine Diebstähle begehen, geben sie zu Klagen keinen Anlaß.

Der Neuirländer ist nicht gerade groß; er mißt im Durchschnitt nur fünf Fuß und zwei Zoll. Seine Haut ist braun, nicht schwarz wie die des Negers. Der Unterleib tritt etwas hervor und die Glieder sind dünn und schlank. Das wollige Haar läßt der Eingeborne zu zierlichen Locken gewunden über die Schultern hinabfallen, eine Haartracht, die in zivilisierten Ländern nur beim weiblichen Geschlechte vorkommt. Ferner zeigen die Urbewohner eine abgeflachte Stirn, ziemlich platte Nase und einen breiten Mund mit Zähnen, die durch den Mißbrauch von Betel meist verdorben sind. In der Zwischenwand und in den Flügeln der Nase, die ebenso wie die Ohren durchlöchert sind, stecken kleine Stäbchen, woran Tierzähne oder auch Blumen und nicht selten sogar kleine Gebrauchsgegenstände hängen. Die Kleidung besteht gewöhnlich nur aus Stoffschürzen, die seit einigen Jahren die früher getragene Schürze aus Rindengewebe verdrängt haben. Wie zur Vervollständigung der Kleidung bemalen sich die Leute verschiedene Stellen des Körpers. Mit Ocker, der in Kokosöl verrieben ist, färben sie sich die Wangen, die Stirn, die Nasenspitze, das Kinn, die Schultern, die Brust und den Leib. Nur wenige sind tätowiert, und diese Tätowierungen sind dann nicht durch Einstiche hergestellt, sondern mittels Steinkanten und scharfrandigen Muscheln eingeschnitten. All dieser »Schmuck« verhüllt aber noch nicht die Lepra, an der sie vielfach leiden, trotz der öligen Einreibungen, die sie dagegen anwenden, und auch nicht die Narben der Wunden, die sie in häufigen Kämpfen, besonders mit ihren Nachbarn auf Birara, davongetragen haben.

Daß die Eingebornen dieser Inselgruppe Menschenfresser gewesen wären, unterliegt kaum einem Zweifel... vielleicht sind sie es gelegentlich auch jetzt noch. Wie dem auch sei, jedenfalls ist die abscheuliche Sitte der Menschenfresserei jetzt stark eingeschränkt, dank den Missionaren, die sich auf der Insel Roon, im Südwesten von Neupommern, niedergelassen haben.

Die auf dem Kai stehenden Eingebornen gehörten dem stärkeren Geschlecht an. Keine Frau, kein Kind befand sich darunter. Diese kann man fast nur in den Dörfern und auf dem Lande zu sehen bekommen, wo die Neuirländerinnen die Feldarbeit verrichten; in die Nähe der Faktoreien wagen sie sich dagegen nur sehr selten.

[165] »Wir werden einige Ausflüge ins Innere unternehmen, sagte Zieger, das wird Ihnen Gelegenheit geben, diese Völkerschaften genauer zu betrachten.

– Ich bin mit Vergnügen dabei, versicherte Hawkins.

– Zunächst aber, setzte Zieger hinzu, drängt es mich, Sie meiner Frau vorzustellen, denn sie dürfte uns schon erwarten.

– Wir folgen Ihnen,« antwortete der Reeder.

Der Weg, der erst am Ufer hin nach Wilhelmstaf führte, war reichlich beschattet. Die weiter im Innern terrassenartig emporsteigenden Anpflanzungen reichten herunter bis zur Linie der Brandung an den äußersten Felsen der Buchten. Zur Rechten stiegen dichte Waldmassen bis zum Kamme der Bergkette des Landes empor, der noch von zwei oder drei Gipfeln der Lanutberge überragt wird. Zwang irgend ein Hindernis, ein Rio oder ein Stück sumpfigen Bodens, vom Ufer abzuweichen, so wendete man sich unter die Bäume, wo – allerdings wenig betretene – Fußsteige dahinliefen. Hier gediehen in Menge Arecapalmen, Pandanusbäume, Barringtonias und Bananen-Feigenbäume. Ein Netz von Lianen, die zuweilen hochgelb wie Gold aussahen, umstrickte die Stämme, wand sich um die Aste und kletterte bis zu den Wipfeln hinaus. Daneben mußte man sich auch vor sehr spitzigen Dornen in acht nehmen.

»Seien Sie vorsichtig, ermahnte deshalb Zieger seine Gäste, ich empfehle es Ihnen dringend, wenn Sie nicht halb nackt bei meinem Hause ankommen wollen, und das ist selbst bei uns auf Neumecklenburg noch nicht Sitte.«

Ihrer Verschiedenheit und ihres prächtigen Aussehens wegen fordern die Baumarten der neuirländischen Wälder unbedingt die Bewunderung des Beschauers heraus. So weit der Blick reichte, erhoben sich hier Hibisken, deren Blätter an die der Linde erinnern, Palmen, mit leicht gewundenen Girlanden umschlungen, Calophyllums, deren Stamm im Umfange oft dreißig Fuß mißt, ferner Rotangs, Pfefferbäume, Cycaspalmen mit schnurgeradem Schafte, aus dem die Eingebornen das Mark zur Herstellung von einer Art Brot benutzen, halb in Wasser stehende Lobelien, Pancratiums mit Zweigen, die wie mit Korallen verziert aussehen und zwischen deren Blättern Skarabäen nisten, unter denen man aber keine Vögel, sondern eine Art Muscheln zu verstehen hat.

Das ganze Waldgebiet zeigte wirklich Riesenverhältnisse in seinen Kokos- und Sagopalmen, den Brot- und Muskatbäumen, Latanen, den Arekapalmen, deren Endknospe sich wie die des Palmenkohls spaltet und ebenso gut eßbar ist wie dieser. Daneben gab es hier Überfluß an strauchartigen Gewächsen, an [166] Farn mit seinen Blättern, parasitischen Epidendrons und Inokarpen, die hier größer werden als auf allen anderen Inseln des Großen Ozeans, und deren über der Erde sich ausbreitende Wurzeln Naturhütten bilden, worin fünf bis sechs Personen Platz finden.

Zuweilen traf man auch auf Lichtungen mit einem Rahmen mächtiger Gebüsche und bewässert von klaren Rios. Diese Flächen werden schon angebaut, und zwar mit Zuckerrohr, süßen Pataten, mit sorgsam gepflegten Tarosen. Hier sah man auch schon eingeborne Frauen bei ihrer Arbeit.

Von Raubtieren oder anderen gefährlichen Vierfüßlern war hier ebensowenig zu befürchten, wie von giftigen Reptilien. Die Tierwelt blieb an Reichhaltigkeit überhaupt gegenüber der Pflanzenwelt zurück. Sie beschränkte sich meist auf wilde Schweine, die harmloser waren als ihre europäischen Verwandten und von denen viele gezüchtet wurden, ferner auf Hunde, in tombarischer Sprache »Pulls« genannt, auf Kuskus, Beutelratten, Eidechsen und auf eine Menge Ratten von sehr kleiner Art. Daneben zeigten sich noch Termiten, jene weißen Ameisen, die ihr schwammähnliches Nest an Baumzweigen hängend erbauen, zwischen denen sich häufig gleich einem Netze die schimmernden Webfäden einer Unmasse purpurroter und azurblauer Spinnen ausspannen.

»Höre ich da nicht Hunde? sah Nat Gibson sich veranlaßt zu fragen, als ein fernes Gebell einen Augenblick an sein Ohr schlug.

– Nein, entgegnete Zieger, das sind keine Hunde, die bellen, sondern Vögel, die da schreien.

– Vögel? wiederholte Hawkins, erstaunt über diese Antwort.

– Jawohl, erklärte Zieger, jene Laute rühren von einem Raben her, der nur im Bismarck-Archipel vorkommt.«

Nat Gibson und Hawkins hatten sich ebenso getäuscht wie Bougainville, als er zum ersten Male in die neuirländischen Wälder eindrang. Jener Rabe ahmt das Hundegebell auch wirklich zum Verwechseln ähnlich nach.

Im übrigen zählt die Ornithologie dieser Inseln zahlreiche und merkwürdige Vertreter, Handlanger, »Mains«, wie die Eingebornen sich ausdrücken.

Überall hüpfen und flattern hier Loris, eine Art scharlachroter Papageien, neben Papus umher, die eine ebenso heisere und rauhe Stimme haben wie die Papuas, ferner Papageien verschiedener Art, Nikobarentauben, Krähen mit weißem Flaum und schwarzem Gefieder, die die Eingebornen »Cocos« nennen, Lucals, metallisch grüne Gimpel, und eine Art Holztauben mit rötlichgrauem Kopf und [167] Halse und goldiggrünem Rücken mit kupferfarbenen Reflexen, deren Fleisch sehr schmackhaft sein soll.

Kamen Zieger und seine Begleiter dem Ufer näher, so schwirrten ganze Schwärme von Vögeln davon in die Höhe: Stare und Schwalben, Tauchervögel verschiedener Art, darunter der Alcyon, dem die Eingebornen den Namen »Kiu-kiu« gegeben haben und dessen Kopf und Rücken braungrün, Flügel und sechs Zoll langer Schwanz aquamarinfarbig aussehen; dazwischen flatterten olivengrüne und gelbgeschwänzte Zuckerfresser, Raupenfresser, graue Strandläufer, Fliegenschnäpper, in melanesischer Bezeichnung »Conice, Tenuri, Kine und Rukine«. Und während Schildkröten auf dem Strande hinkrochen, bewegten sich zweifach kahnförmige Krokodile und Flossenhaie in den Wasserstraßen zwischen dem Ufergestein, und Seeadler mit fast unbeweglich ausgebreiteten Flügeln schwebten darüber in der Luft.

Der Strand selbst, der je nach dem Stande der übrigens unbeträchtlichen Flut mehr oder weniger weit frei lag, hätte dem Konchyologen große Schätze geliefert, denn darauf fanden sich Krustaceen und Mollusken in großer Auswahl: Krebse, große Garnelen, Krabben, Paquren, Ocypoden, Kegelschnecken, Schwämme, Madreporen, Röhren- und Scheibenkorallen, Kreisel- und Dreifingerschnecken, Hippopen, Porzellan- und Eimuscheln, Halionden, Stachel- und Schüsselschnecken, Austern, Miesmuscheln, und von Zoophyten verschiedene Hoiolurien, Aktinien, Salpas, Meduren und merkwürdige Akalephen.

Die Muscheltiere aber, die die Aufmerksamkeit Hawkins und Nat Gibsons besonders erregten, waren die Skarabäen, die sich unter die immer feuchten Blätter des Pancratiums am Rande der Buchten zurückziehen, ferner die Bulinen nebst den Schnirkelschnecken, die auch unter Gezweig Zuflucht zu suchen pflegen, und die Mondflußmuscheln, von denen man nicht selten ziemlich weit von jedem Wasserlaufe einzelne an den Zweigen der höchsten Pandanen findet.

Beim Erblicken einer dieser Wandermuscheln, über die Zieger mehrfach Aufklärung gegeben hatte, sagte Nat Gibson zu dem Geschäftsfreunde:

»Ich glaube doch gehört zu haben, daß es auch einen Fisch geben soll, der den Mondmuscheln bei ihren Wanderungen nachfolgt, und den die beiden Herren Kip, wenn ich nicht irre, auch auf der Insel Norfolk angetroffen haben...

– Ah, Sie haben den Springer-Blenny im Sinne, fiel Zieger ein.

– Ganz recht, diesen meint er..., bestätigte Hawkins.

[168] – Nun, erklärte Zieger, der fehlt hier ebenfalls nicht, und Sie werden in der Bai von Port-Praslin auch noch Amphibien beobachten können, die im Salz- und im Süßwasser leben, auf dem Ufergelände wie eine Beutelratte umherspringen und wie Insekten auf Bäume klettern.«


Jim nahm den Dolch auf und untersuchte seine gezähnte Klinge. (S. 173.)

Jetzt tauchte die Wohnstätte des Herrn Zieger nahe der Ecke eines kleinen Hochwaldes auf, eine Art Villa, aus Holz errichtet, in der Mitte einer geräumigen Einhegung von lebenden Hecken, worin Orangen-und Kokosbäume, Bananen und manche andere Baumarten aufragten. Beschattet von den hohen Wipfeln [169] lag das freundliche Wilhelmstaf, ein Bauwerk, das nur aus einem Erdgeschosse und ziemlich steilen, geteerten Dache bestand. Ein solches Dach ist hier notwendig wegen der häufigen, starken Regengüsse, die das Klima des so nahe am Äquator liegenden Archipels so erträglich machen.

Frau Zieger war eine Dame von ungefähr vierzig Jahren und wie ihr Gatte von deutscher Herkunft. Sobald sich die Tür der Einzäunung öffnete, eilte sie ihren Gästen freudig entgegen.

»Ah, Herr Hawkins! rief sie, dem Reeder die Hand bietend, wie freu' ich mich, Sie hier zu sehen!

– Und ich nicht minder, verehrte Frau, antwortete Hawkins, sie auf beide Wangen küssend. Ihre letzte Reise nach Hobart-Town liegt schon vier Jahre zurück...

– Vier und ein halbes Jahr, Herr Hawkins!

– Mag sein, erwiderte der Reeder lächelnd, doch wenn seitdem auch schon noch sechs Monate mehr verflossen, finde ich Sie noch immer so aussehend wie früher.

– Das könnt' ich von Nat Gibson nicht sagen, bemerkte Frau Zieger. Er hat sich sehr zu seinem Vorteil verändert und aus dem jungen Burschen ist ein junger Mann geworden...

– Der Sie um die Erlaubnis bittet, es Herrn Hawkins gleich zu tun, antwortete Nat Gibson und gab ihr einen Kuß auf die Wange.

– Und Ihr Vater?... fragte Frau Zieger.

– Der ist vorläufig an Bord zurückgeblieben, sagte Hawkins, er wird aber nicht verfehlen, zum Frühstück hier einzutreffen.«

Das Ziegersche Ehepaar hatte keine Kinder. Beide bewohnten ihre Villa Wilhelmstaf nur allein mit ihren Dienern und einer Haushälterin, ebenfalls einer Deutschen; in einem Nebenhause war eine Kolonistenfamilie untergebracht. Das zur Besitzung gehörige Land wurde mit Hilfe eingeborner Frauen sorgfältig angebaut. Die Felder mit Zuckerrohr, Bataten, Taros und Yamswurzeln hatten eine Ausdehnung von einer (englischen) Quadratmeile.

Vor dem Wohnhause breitete sich eine Fläche seinen Rasens mit Kasuarinen- und Lalaniengruppen aus, durchschnitten von einem schmalen Wasserarme, der aus einem Rio in der Nachbarschaft abgeleitet war. Hinter den ebenfalls reichlich beschatteten Wirtschaftsgebäuden befand sich noch ein Geflügelhof und eine große Volière, diese belebt von den schönsten Vogelarten der Inselgruppe, jener [170] bevölkert von vielen Tauben und der Haushuhnart, die die Eingebornen onomatopoetisch wegen ihrer gurrenden Kehllaute »Cog« genannt haben.

Selbstverständlich fanden Hawkins und seine Begleiter im Salon der Villa mancherlei Erfrischungen bereit.

Karl und Pieter Kip waren der Frau Zieger vorgestellt worden, die mit teilnahmsvollem Interesse hörte, unter welchen Umständen die beiden Brüder an Bord des »James-Cook« gekommen waren. Die vortreffliche Dame stellte beiden sofort alles zur Verfügung, was dem einen oder dem anderen nützlich sein könnte, und erntete auch den wärmsten Dank für die zuvorkommende Aufnahme.

Hawkins und Nat Gibson suchten die für sie bestimmten Zimmer auf, die nur mit einfachen Möbeln deutschen Fabrikats, doch ebenso bequem ausgestattet waren, wie der Salon und das Eßzimmer. Frau Zieger entschuldigte sich noch, die beiden Holländer nicht ebenfalls in ihrem Hause aufnehmen zu können, es war jedoch, wie der Leser weiß, schon abgemacht worden, daß diese, ihrem eigenen Wunsche entsprechend, ihre Kabine auf der Brigg nicht verlassen sollten.

Kurz vor Mittag kam auch Gibson, begleitet von dem Matrosen Burnes. Dieser brachte verschiedene Gegenstände, Geschenke des Reeders für Frau Zieger, z. B. Kleiderstoff, Leinen und auch ein sehr hübsches Armband, das der Empfängerin viel Vergnügen machte. Natürlich wurde auch der Kapitän mit offenen Armen aufgenommen.

Man setzte sich zu Tische, und die Gäste, die sich alle eines guten Appetits erfreuten, taten dem Frühstück alle Ehre an. Die Hauptgerichte hatte der Geflügelhof und die Bai von Port-Praslin geliefert. Von Gemüsen und Zuspeisen gab es: Palmenkohl, Ignamen, süße Bataten und Laka, das köstliche Erzeugnis aus den Inokarpen; von Früchten: Bananen, Orangen, Kokosnüsse, die eben erst aus der Schale kamen. Gegorene Getränke brauchten nur aus dem guten Keller geholt zu werden, der mit deutschen und französischen Weinen gefüllt war, von denen alle Neumecklenburg anlaufenden Schiffe immer einen Teil als Frachtgut mitbrachten.

Der Frau Zieger wurde manch aufrichtiges Lob gespendet für ihren ausgezeichneten Tisch, der sich mit den besten in Hobart-Town messen konnte, und die liebenswürdige Wirtin schien dafür recht erkenntlich zu sein.

»Ein einziges Gericht freilich bin ich nicht imstande Ihnen vorzusetzen, meine Herren, sagte Frau Zieger, weil es hierzulande überhaupt nicht zubereitet wird.

[171] – Und das wäre?... erkundigte sich Hawkins.

– Eine Pastete aus Sago, Kokosnuß und... Menschengehirn...

– Und das wäre ein gutes Essen?

– Die Königin der Pasteten!

– Haben Sie sie denn gekostet? fragte Hawkins lachend.

– Nein... niemals, und ich werde auch nie Gelegenheit haben, sie zu bereiten.

– Nun ja, da haben wir's! rief der Kapitän. Das kommt davon, daß man dem Kannibalismus ein Ende macht!

– Wie Sie sagen, lieber Gibson!« antwortete Zieger.

Der Kapitän mußte sofort nach Beendigung des Frühstücks an Bord zurückkehren. Er liebte es nicht, längere Zeit abwesend zu bleiben, obgleich er zu seinem Bootsmanne volles Vertrauen hatte. Er fürchtete aber immer, durch neue Desertionen nochmals in Verlegenheit zu kommen, denn auf die in Dunedin angeworbenen Matrosen glaubte er sich nicht verlassen zu können.

Wirklich kam diese Frage auch am nämlichen Tage durch Len Cannon und seine Kameraden Flig Balt und Vin Mod gegenüber wieder zum Gespräch. Die ersteren äußerten, wie schon früher, die Absicht, das Schiff nun zu verlassen. Vergebens bot Vin Mod unter Anspielung auf das gewohnte »sich hängen lassen« all seine Beredsamkeit auf... es gelang ihm nicht, sie umzustimmen. Die Starrköpfe bestanden darauf, von der Brigg zu verschwinden.

»Nun, sagte er endlich nach Erschöpfung aller sonstigen Gegengründe, gefällt euch das Schiff etwa nicht?

– O, doch, versicherte Len Cannon, von dem Augenblick an, wo es einen Kapitän hätte...

– Und wenn der jetzige Kapitän nun verschwände?...

– Ach, das ist schon zum zwanzigsten Male, daß du uns dies alte Lied vorsingst! erwiderte der Matrose Kyle. Jetzt sitzen wir schon hier in Port-Praslin, und in drei Wochen geht's zurück nach Hobart-Town...

– Wohin wir eben nicht mitgehen wollen, fiel Bryce ein.

– Kurz und gut, erklärte Sexton, heute Abend machen wir uns davon.

– Wartet nur noch ein paar Tage, mischte Flig Balt sich jetzt ein, höchstens bis zur Abfahrt der Brigg. Wer weiß, was sich bis dahin ereignen kann.

– Und bedenkt auch, fügte Vin Mod hinzu, desertieren... nun ja, das ist ja ganz gut, doch was soll hier aus euch werden?«...

[172] In diesem Augenblicke trat der Schiffsjunge Jim, dem solche Unterredungen des Bootsmannes mit den neuen Leuten immer etwas verdächtig vorkamen, näher an die Gruppe heran. Flig Balt konnte das nicht entgehen.

»Was hast du hier zu schaffen, Junge? rief er Jim zu.

– Ich... ich wollte ein wenig frühstücken...

– Das wirst du später tun.

– Und ich glaube bestimmt, daß die Kabine der beiden Kips noch nicht in Ordnung gebracht ist, setzte Vin Mod hinzu. Du wirst auch noch einmal am Galgen enden, unnützer Bengel.

– Hinunter in die Kajüte! befahl der Bootsmann. Besorge deine Arbeit!«

Vin Mod sah dem abgehenden Schiffsjungen nach und machte Flig Balt ein Zeichen, das dieser jedenfalls verstand. Darauf ging das Gespräch weiter.

Jim hatte sich ohne Widerrede nach dem Hinterdeck begeben und betrat, da ihm die Reinhaltung und Ordnung der Kabinen oblag, die der Gebrüder Kip.

Der erste Gegenstand, der ihm hier ins Auge fiel, war ein malaiischer Dolch, den er auf einer der Lagerstätten fand und bisher noch niemals gesehen hatte.

Es war das die Waffe, die Vin Mod vom Wrack der »Wilhelmina« gestohlen hatte und von der die Brüder nicht ahnten, daß sie sich in dessen Besitz befand.

War der Kriß nun mit Absicht hierher gelegt worden, daß der Schiffsjunge ihn gar nicht übersehen konnte?

Jim nahm den Dolch auf, untersuchte seine gezähnte Klinge und den mit Kupfernägeln verzierten Griff, dann legte er ihn auf das Tischchen der Kabine. Er dachte bei der ganzen Sache nur, daß einer der Brüder diesen Kriß neben anderen Gegenständen vom Wrack mitgenommen haben werde, und ohne auf seinen Fund besonderes Gewicht zu legen, verrichtete er ruhig seine Arbeit.

Flig Balt, Vin Mod und die anderen setzten inzwischen ihr Gespräch fort, doch so, daß weder Wickley noch Hobbes – die der Bootsmann in die Takelage hinaufgeschickt hatte – etwas davon hören konnten. Burnes hatte, wie wir wissen, Gibson nach der Villa Wilhelmstaf begleitet.

Len Cannon beharrte bei seinem Entschlusse, Vin Mod sachte ihn davon abzubringen. Wenigstens während des Aufenthaltes der Brigg würde es ihm und seinen Kameraden ja an nichts fehlen... dann wäre es doch immer noch Zeit, davonzulaufen. Vielleicht bot sich auch eine Gelegenheit bei der Überfahrt [173] des »James-Cook« nach Kerawara, wo die weitere Fracht eingenommen werden sollte... Es war ja möglich, daß weder Hawkins noch Nat Gibson die kurze Reise mitmachten... bezüglich der Gebrüder Kip wäre das auch unsicher... nun... und dann...

Kurz, Len Cannon, Kyle, Sexton und Bryce stimmten endlich zu, bis zu dem Tage, wo die Brigg nach Hobart-Town absegeln sollte, noch auszuharren.

Flig Balt und Vin Mod standen nach diesem Erfolge ihres Zuredens allein beieinander.

»Das hat Mühe genug gekostet, sagte der eine.

– Ja... aber weiter sind wir damit immer noch nicht, meinte der andere.

– Nur Geduld, schloß Vin Mod das Zwiegespräch mit dem Tone eines Mannes, dessen Entschluß unverrückbar feststeht, nur Geduld, und wenn der Kapitän Balt sich später einen Bootsmann erwählt, hoffe ich bestimmt, daß er dabei seinen Freund Vin Mod nicht vergessen wird!«

12. Kapitel
Zwölftes Kapitel.
Drei Wochen im Bismarck-Archipel.

Die nächstfolgenden Tage wurden zur Entladung der Brigg benutzt. Len Cannon und seine Kameraden beteiligten sich ohne Widerspruch an der Arbeit, und Gibson ahnte natürlich nichts von ihren Plänen.

Einige Eingeborne – etwa ein halbes Dutzend – kräftige und gar nicht ungeschickte Männer, kamen der Besatzung noch zu Hilfe, und so ging das Löschen der Brigg unter den günstigsten Umständen vor sich.

Jim hatte von dem malaiischen Dolche gegen die Gebrüder Kip nichts erwähnt. Sie wußten also nicht, daß dieser in ihrer Kabine läge.

Vin Mod hatte sich nämlich beeilt, ihn vor ihrer Rückkehr an Bord wieder an sich zu nehmen, und jetzt lag der Kriß versteckt in seinem Reisesacke, wo ihn niemand entdecken konnte. Es genügte dem Matrosen jedenfalls, daß der Schiffsjunge [174] den Dolch gesehen hätte. Was er damit bezweckte, das hätte nicht einmal Flig Balt sagen können.

Während der Kapitän die Entladung überwachte, verwendeten Hawkins, Nat Gibson, Karl und Pieter Kip ihre Muße, in Begleitung des Ziegerschen Ehepaares die interessante Umgebung von Port-Praslin zu durchstreifen. Sie besuchten unter anderem die bedeutendsten, an dieser Seite der Küste errichteten Faktoreien. Die einen waren in Besitz deutscher Kolonisten, die anderen, die schon vor dem Teilungsvertrage gegründet waren, befanden sich noch in der Hand englischer Handelshäuser. Alle machten recht gute Geschäfte. Die Einfuhr und die Ausfuhr im früheren Tombara – jetzt Herbertshöhe genannt – und im früheren Birara – dem heutigen Matupi – nahm zum Vorteil des deutschen Melanesien ununterbrochen zu.

Überall fanden die Gäste des Herrn Zieger einen vortrefflichen Empfang. Der ehrenwerte Kaufmann nahm in der Handelsgesellschaft, in deren Hand auch die Verwaltung liegt, einen hervorragenden Rang ein. Er war durch seine Stellung mit einer gewissen richterlichen Gewalt bekleidet, der sich die Eingebornen willig fügten. Übrigens verging auch kein Jahr. ohne daß ein Kriegsschiff eine der Inseln des Bismarck-Archipels anlief und den deutschen Farben die vorschriftsmäßige Ehrenbezeugung erwies, wenn Herr Zieger an der Fahnenstange in Port-Praslin die deutsche Flagge hissen ließ.

Die kaiserliche Regierung hatte den Eingebornen ihre Unabhängigkeit fast uneingeschränkt gelassen. Die Stämme haben nur sozusagen keine Häuptlinge mehr. Wird auch einzelnen Greisen noch einige Autorität zugesprochen, so leben doch alle Zugehörigen eines Stammes auf der Stufe völliger Gleichheit. Sklaven gibt es nicht mehr, auch nicht in den Dorfschaften des Innern, und alle Arbeiter sind freie Männer. Als solche werden sie gegen eine verabredete Entschädigung, die in Gebrauchsgegenständen oder Nahrungsmitteln besteht, von den Fabriken oder beim Anbau des Landes beschäftigt. Übrigens wurden die Sklaven hier auch schon vor der Aufhebung der Sklaverei von ihren Herren freundlich behandelt

Dieser Anlauf zur Zivilisation ist sicherlich dem Eifer und der Opferwilligkeit der Missionare zu verdanken, die sich an verschiedenen Stellen des Archipels niedergelassen haben. Sie durchstreifen die Inseln immer mit dem Evangelium in der Hand. In Port-Praslin besteht auch eine protestantische Kapelle, an der zwei Geistliche tätig sind und die den religiösen Bedürfnissen bis jetzt genügt.

[175] Bei einem Ausfluge nach dem Innern der Insel und bis auf drei Seemeilen vom Hafen, besuchten Hawkins und Nat Gibson und die Gebrüder Kip in Gesellschaft des Herrn Zieger auch ein tombarisches Dorf.

Dieses bestand nur aus einem Haufen hölzerner Hütten, die, obgleich der Erdboden hier nicht sumpfig war, alle frei auf Baumstämmen oder Pfählen standen.

Die Eingebornen daselbst gehörten zweifellos zur papuanischen Rasse und unterschieden sich überhaupt nicht sehr von denen Neuguineas. Das Dorf bewohnten, jede Familie für sich, etwa hundertsechzig Männer, Frauen, Kinder und Greise. Natürlich kannten alle den Herrn Zieger und unterwarfen sich seiner Amtsgewalt, obgleich er diese unter den Stämmen im Innern nur selten geltend zu machen Veranlassung hatte.

Seine Begleiter und er wurden von zwei Persönlichkeiten empfangen, die eine Ehre darin zu suchen schienen, recht gemessen und gleichgültig aufzutreten. Die Frauen und die Kinder hielten sich in den Hütten zurück, und es war ziemlich schwierig, sich ihnen zu nähern. Tatsächlich ist man über die Familienverhältnisse und über die soziale Stellung der verschiedenen melanesischen Völkerschaften auch heute noch nicht vollständig aufgeklärt.

Die Zeiten waren schon vorüber, wo diese Wilden noch fast völlig nackt gingen oder nur mit einem Lendenschurz aus der Rinde des Vakoi bekleidet waren, der in lange Streifen zerschnitten und mit einer Naht aus Pflanzenfasern zusammengehalten wurde.

Dank den englischen und deutschen Baumwollstoffen, die heute im ganzen Gebiete verbreitet sind, bekleiden sich jetzt Männer und Frauen mit streifigen Geweben. Diese Dezenz darf wohl als ein Anfang zivilisatorischer Wandlung betrachtet werden.

Zieger konnte recht zuverlässige und wertvolle Mitteilungen über diese Eingebornen machen, deren Gesichts-, Geruchs- und Gehörssinn ganz erstaunlich entwickelt ist.


Echosee und »Loch in der Wand«-Krater.

Terrasse in Whakarewarewa.

Terrasse in Whakarewarewa.


Auch in allen Körperbewegungen zeigen sie eine auf fallende Schmiegsamkeit und man könnte fast sagen – Eleganz. Sie aber zum Arbeiten zu veranlassen, das bedarf der Nötigung durch Mangel an Nahrungsmitteln. Von Natur recht phlegmatischen Charakters, lieben sie die Ruhe über alles. Hier im Dorfe lagen die meisten männlichen Einwohner träge vor ihren Hütten ausgestreckt auf der Erde. So überließen sie sich einem vollständigen Nichtstun, hatten die Beine gekreuzt, die Arme auf die Brust gelegt, sahen nach nichts, [176] [179]sprachen kein Wort, sondern kauten nur ununterbrochen Betel, wie die Morgenländer ihr Opium und die Abendländer ihren Tabak rauchen.

Der Betel ist eine Mischung aus Kalk, der durch Kateinieren von Madreporen gewonnen wird, und einer Frucht mit rotem Oberhäutchen mit dem (melanesischen) Namen »Kamban«. Es ist ein den Speichelfluß stark anregendes Mittel, dessen scharfe Bestandteile eine schwach berauschende Wirkung und einen nicht unangenehmen Geschmack haben. Ein Nachteil des Betels liegt darin, daß er die Zähne schwärzt und angreift und leicht Blutungen der Mundschleimhaut erzeugt. Streng beobachteter Sitte gemäß dürfen sich die jungen Leute dem so sehr gesuchten Genuß nicht hingeben. und nur Eingebornen von einem gewissen Alter ist es gestattet, Betel zu kauen.

Was die Industrie der Neuirländer angeht, so beschränkt sie sich auf das Weben von Matten aus Pandanusblättern und auf die Herstellung weniger anderer Dinge, vor allem grober Topfwaren. Und auch das ist den Frauen überlassen, die weniger träge als die Männer sind, ebenso wie ihnen die Feldarbeit und die tägliche Zubereitung der Speisen obliegt.

Die Ernährung erfordert übrigens nur wenige Kenntnisse in der Kochkunst. Zu bestimmter Stunde essen die Eingebornen nicht, vielmehr eigentlich zu jeder Stunde.

»Welches Tier – äußert sich hierüber ein Reisender – es auch sein mag, das den Wilden in die Hand fällt, es wird sofort auf glühende Kohlen geworfen, geröstet und verzehrt, ohne daß man sich, wenn es ein Vierfüßler war, die Mühe nimmt, es zu häuten, oder wenn es Geflügel war, es zu rupfen.«

Die Leute mästen sich mit Fischen, Seeschildkröten, Achtfüßern, Muscheltieren aller Art, mit Heuschreckenkrebsen, sehr großen, Kukiavars genannten Krabben, mit Reptilien, Eidechsen und sehr wenig schmackhaften Insekten, die sie schmunzelnd verschlingen. Von Früchten genießen sie Mapes und Lakas, eine sehr viel vorkommende Art von Kastanien des Inokarpus, Kokosnüsse, deren holzige Umhüllung als »Larime« und deren Milchsaft als »Kauro« bekannt ist, ferner Unis oder Bananen, Nios oder Ignamen, Tos oder Zuckerrohr und Berkos, die Früchte des wilden Brotbaumes. Von Vierfüßlern züchten die Eingebornen nur Schweine, und jagen Kuskus, Tiere, die einer Unterart der Beutelratten angehören.

Die Neuirländer erweisen sich nebenbei aber nicht unempfänglich für die Segnungen der Zivilisation. Die Missionare bemühen sich, sie zum Christentume[179] zu bekehren. Leider ist bei ihnen das Heidentum sehr tief eingewurzelt und mit muselmanischen Glaubenssätzen vermischt, die sie infolge ihrer Beziehungen zu den Malaien angenommen haben. Man geht wohl auch nicht fehl, diese Wilden für Polygamen zu halten. In jedem Dorfe findet man ein Tambu, eine öffentliche Hütte, das Haus der Götzenbilder, dessen Instandhaltung und Bewachung den ältesten Männern obliegt.

Hawkins und seine Begleiter stießen auf keine Schwierigkeiten, den Tambu zu besuchen, dessen Türen, die weniger fest als die der Hütten geschlossen waren, sich vor Herrn Zieger ohne Widerspruch öffneten. Sie fanden im Innern der sehr geräumigen Hütte mehrere roh ausgeführte tönerne Figuren, die weiß, schwarz und rot angepinselt waren und deren aus Perlmutterschalen hergestellte Augen wie ein Herdfeuer glänzten. Diese Götzengestalten werden Bakui genannt. Unter anderen hier vorhandenen Dingen befanden sich auch zwei Tamtams, auf die ein Eingeborner unter Aufsicht eines Greises mit langem, mit Ocker überstreutem Barte aus Leibeskräften losschlug. Die Götzenbilder waren ferner mit einem besonderen Schmuckstücke, einem ziemlich sein aus Holz geschnitzten »Prapraghan« ausgestattet, der gewöhnlich am Vorderteil der Piroguen zu sehen ist.

Nat Gibson hatte seinen photographischen Apparat mitgenommen gehabt. Er erhielt vom Innern und Äußern des Tambu recht gelungene Bilder, die die Sammlung des Reeders bereichern sollten.

Während dieses Besuches in dem tombarischen Dorfe war der Nachmittag verstrichen. Schon begann es zu dämmern, als Zieger und seine Gäste den Rückweg durch den Wald einschlugen. Funkelten über den Wipfeln der mächtigen Bäume die Abertausende Sterne des Himmels, so warfen Millionen irdischer Sterne ihren phosphoreszierenden Lichtschein durch die Gebüsche und das hohe Gras des Erdbodens, ebensoviele Leuchtkäfer, »Kalloltes« in melanesischer Sprache, von denen das ganze Unterholz schimmerte. Es machte den Eindruck, als bewegten sich die Füße über und durch einen leuchtenden Rasenteppich, während eine Wolke glimmender Funken zwischen dem Gezweig darüber glitzerte.

So verliefen die Tage unter anregenden, lehrreichen Ausflügen längs der Küste oder im Innern der Insel. Eines Tages unternahmen sogar Karl Kip, Nat Gibson und Hawkins, geführt von einem Angestellten der Faktorei, eine Besteigung des hinter der Villa aufragenden Berges. Das verlangte ein [180] paar Stunden tüchtiger Anstrengung, obwohl der Weg im dichten Waldschatten verlief.

Dieser Berg gehört nicht zu den höchsten der etwa fünftausend Fuß hohen Zentralkette. Sein Gipfel gestattete jedoch eine ausgedehnte Rundschau über den Sankt Georgskanal zwischen Neubritannien und Neuirland. Weiterhin tauchten noch andere Höhen auf und nach Süden bin dehnte sich Neupommern bis über Sehweite hin aus.

Selbstverständlich vergaßen Herr und Frau Zieger als Landinsassen, die auf jedes Stück ihres Gebietes stolz sind, auch nicht auf eine ihrer malerischsten Gegenden, die im Osten von Port-Praslin die Bewunderung aller Touristen am entschiedensten herausfordert, hinzuweisen... auf den berühmten Wasserfall, den der Franzose Duperrey nach dem Franzosen Bougainville getauft hat.

Die Quellen, die der Berg nach dem Meere entsendet, stürzen hier aus der Höhe von fünfzig Fuß herab. Sie entspringen der Seite der Bergkette und hüpfen schäumend zwischen grünen Steilwänden über fünf übereinander liegende Absätze hinunter. Die eine große Menge Salze enthaltenden Quellen verbrämen die Wände aus kohlensaurem Kalke, woneben sie vorbeieilen, mit schönen, kalkigen Steingebilden. Bei dem hier gebotenen Anblick kann man nur bestätigen, was Duperrey darüber sagt, »daß diese hüpfenden Gruppen bei ihrem fast regelmäßigen, gegenseitigen Abstande der lärmenden Kaskade einen unvergeßlichen Stempel aufprägen, ebenso wie das trotzige Gestein, das wohl hundert ungleich große Becken bildet, worin sich die kristallene Flut anstaut, die noch von riesigen Bäumen, deren Fuß zuweilen in die Becken selbst eintaucht, einen grünlichen Schimmer annimmt.« Der Ausflug hierher brachte Hawkins noch neue Photographien ein, die schönsten, die bisher von der »Bougainville-Kaskade« aufgenommen worden waren.

Die Entladung des »James-Cook« war am Nachmittage des 25. beendet. Die gesamte, an die Firma Zieger konsignierte Fracht fand sofortige Aufnahme, da sie aus immer verlangten Waren von deutscher und britischer Fabrikation bestand.

Die Brigg sollte nun ihre Rückfracht einnehmen, wie der Leser schon weiß, Fässer mit Koprah und Kisten mit Perlmutter, die für Hobart-Town bestimmt waren. Von dreihundert Tonnen Koprah sollten hundertfünfzig in Port-Praslin aus den Niederlagen des Hauses Zieger und hundertfünfzig in Kerawara angeliefert werden, einer der kleineren Inseln, die im Süden von der Insel York oder Neulauenburg liegen.

[181] Der Kapitän beschloß in Übereinstimmung mit den Herren Hawkins und Zieger, daß das Frachtgut aus Kerawara zuerst an Bord genommen werden sollte. Der »James-Cook« sollte also nach dieser Insel absegeln, dann aber Port-Praslin nochmals anlaufen, um seine Ladung zu vervollständigen.

Hatte die Brigg auch keine Havarien auszubessern, so war es doch notwendig, ihren Rumpf einmal gründlich zu säubern und ihr Oberwerk an Bug und Heck frisch anzustreichen. Diese Arbeiten erforderten drei bis vier Tage. Die Mannschaft fing damit sofort an und wurde auch in der dafür vorgesehenen Zeit fertig, so daß die Abfahrt auf den Morgen des 29. festgesetzt werden konnte.

Flig Balt und Vin Mod hatten bekanntlich erwartet, daß die Passagiere während des Abstechers nach Kerawara in Port-Praslin zurückbleiben würden, daß der Kapitän sich also allein an Bord befände und sie diese Gelegenheit zur Ausführung ihrer schwarzen Pläne benutzen könnten. Einmal erst Herren des Fahrzeuges, gedachten sie nach Nordosten hinauszusteuern, und Hawkins würde dann vergeblich das Wiedererscheinen des »James-Cook« im Gewässer Neuirlands erwarten.

Der Bootsmann und seine Spießgesellen sollten aber enttäuscht werden. Nicht allein die Herren Hawkins, Nat Gibson und die Gebrüder Kip beschlossen, an der kurzen Fahrt teilzunehmen, Herr Zieger schlug noch obendrein vor, sie zu begleiten, was natürlich mit Vergnügen angenommen wurde.

Flig Balt und Vin Mod hatten einige Mühe, ihren Ingrimm zu verhehlen. Die Möglichkeit, sich des »James-Cook« zu bemächtigen, oder doch die günstige Gelegenheit dazu, worauf sie stark gerechnet hatten, ging ihnen wiederum verloren.

»Der leibhaftige Teufel schützt diesen Kapitän vor allem Unglück! rief Vin Mod, als er von jenen Entschlüssen hörte.

– Du wirst schon sehen, Mod, daß er auch noch nach Hobart-Town zurückkommt, antwortete Flig Balt.

– Nein, Bootsmann, erklärte Vin Mod; können wir uns seiner nicht auf dem Schiffe selbst entledigen... nun, dann gelingt's vielleicht...

– Was werden aber die anderen tun?« erwiderte Flig Balt.

Die anderen... das waren Len Cannon, Sexton, Kyle und Bryce. Es fragte sich ja, ob diese nun vom Schiffe fortlaufen oder ob sie die Fahrt nach Kerawara noch mitmachen würden, ehe sie ihre Matrosensäcke packten, denn wenn sie im Laufe dieser Überfahrt auch noch nichts erreichten, beharrten [182] sie wahrscheinlich auf ihrem Entschluß, den Dienst auf dem Schiffe zu verlassen.

Während des Aufenthaltes in Port-Praslin hatten sie freilich die Überzeugung gewinnen müssen, daß es ihnen hier schwer fallen werde, ihren Lebensunterhalt zu erwerben, und das mochte ihnen wohl zu denken gegeben haben. Vin Mod stellte ihnen die Schwierigkeiten ausdrücklich vor und erhielt auch die Zusage, daß sie noch bis Kerawara und zurück mitfahren, dann aber sich ausschiffen wollten.

Die Brigg segelte also am Morgen des 29. ab. Dauerte es vierundzwanzig Stunden, bis zur Insel York zu kommen, zwei Tage, die Koprahladung zu verstauen, und wieder vierundzwanzig Stunden, nach Port-Praslin zurückzukehren, so konnte die Reise nur vier, höchstens fünf Tage in Anspruch nehmen.

Der politische und kommerzielle Hauptort des Bismarck-Archipels war, wie gesagt, bisher die kleine Insel Mioko, südlich von der Insel York, gewesen, die ziemlich genau in der Mitte zwischen den zwei größeren Inseln der Gruppe lag. Aus Gesundheitsrücksichten wurde der Regierungssitz später nach der Insel Matupi verlegt, die ihre Entstehung nur vulkanischen Ausbrüchen eines Kraters in der Weißen Bai, am Westende von Birara, verdankt. Hier wurden aber wiederholte Erderschütterungen recht lästig, und deshalb siedelte man nach dem Eilande Kerawara, im Nordwesten von Kioko, über.

Die Reise ging durch den Sankt Georgskanal, doch nur ziemlich langsam zufolge widriger Winde auf dieser Wasserfläche, wo man Tiefen bis viertausend Fuß mit der Sonde nachgewiesen hat. Der Kanal oder die Straße wird von den Inseln Tombara und Birara gebildet, deren äußerste Vorsprünge sich im Südosten und Nordosten beträchtlich nähern.


Die »Bougainville-Kaskade«. (S. 181.)

Zu ihrem Bedauern konnte hier weder Hawkins noch Nat Gibson einmal ans Land gehen, und gerade Birara ist eines Besuches wohl wert. Umrahmt von einem Amphitheater vulkanischer Gipfel – wie der »Mutter«, der »Tochter des Nordens« und der »Tochter des Südens« – ist diese Insel die größte der Gruppe, daneben auch die bergigste und waldreichste mit einem ungeheueren Bestande an Kokospalmen. Ethnologische Seltenheiten verleihen ihr noch ein besonderes Interesse. Wo in aller Welt fände man noch eine Insel, wo ein Schwiegersohn kein Wort an seine Schwiegermutter zu richten wagt und er sich sogar versteckt, wenn er dieser begegnet, wo die Zehen der Bewohner angeblich durch häutige Brücken verbunden [183] sind, eine Insel, von der die Sage geht, daß die Menschen daselbst noch mit einem Schwanzanhängsel ausgestattet sein sollen!

Ging die Brigg hier aber auch nicht ans Land, so segelte sie doch im Sankt Georgskanal längs der Küste hin, um nach der Insel York oder Neulauenburg zu kommen.

Den Namen York hatte diese 1707 von Carteret an Stelle ihres melanesischen Namens Amakata erhalten. In späterer Zeit wurde die Insel mehrmals besucht, so 1791 von Hunter und 1792 von Entrecasteaux und ferner [184] 1823 von Duperrey, die ihre geographische Lage zwischen 152 Grad 2 Minuten und 152 Grad 7 Minuten östlicher Länge (von Greenwich) und 4 Grad 5 Minuten bis 4 Grad 10 Minuten südlicher Breite bestimmten.


Man rief laut... Keine Antwort. (S. 189.)

Ihre Länge beträgt von Nordosten nach Südwesten acht Seemeilen, ihre Breite fünf Meilen, und im Mittel steigt sie ziemlich hoch über das Meer empor.

Trotz ihrer dichten Bevölkerung und mehrerer recht sicherer Häfen trägt sie jedoch nicht den Hauptort des Archipels. In ihrer Umgebung liegt eine Anzahl Eilande, wie Makada, Burnan, Ulu, Utuan, Kabokon, Muarlin, Mioko [185] und Kerawara. Auf das letzte, das südlichste Eiland, war schließlich die Wahl zum Sitz der Regierung gefallen.

Am frühen Morgen des 30. meldete die Wache das Kap Brown auf Makada. Der »James-Cook« wendete darauf mehr nach Süden, bekam von der großen Insel das Kap Makukar in Sicht, steuerte darauf nach der Wasserstraße im Nordwesten zwischen dieser und der Insel Ulu, sichtete noch das Eiland Kabokon und kam dann nach seinem Ankerplatze vor Kerawara.

Dieses Eiland, das etwa die Gestalt einer Gärtnerhippe hat, mißt nicht mehr als drei Seemeilen von Westen nach Osten. Sein besonders sicherer Hafen bietet aber den Schiffen alle Bequemlichkeiten auch für einen längeren Aufenthalt.

Der hiesige deutsche Hauptagent, ein Herr Hamburg, dem auch die Funktionen des Gouverneurs des Bismarck-Archipels übertragen sind, stand mit Herrn Zieger in vielfacher Verbindung. Er leitete eine der bedeutendsten Faktoreien der Inselgruppe und sollte dem »James-Cook« die noch fehlenden hundertfünfzig Tonnen Koprah liefern, die man binnen achtundvierzig Stunden an Bord zu schaffen hoffte. Der Aufenthalt in Kerawara sollte also nur sehr kurz sein.

Während die Mannschaft unter Aufsicht des Kapitäns mit der Übernahme der Fracht beschäftigt war, hatten Hawkins, Nat Gibson und die Gebrüder Kip Muße, das Eiland zu besuchen.

Dieses besteht hauptsächlich aus einem großen Walde, worin alle verschiedenen Baumarten Neuirlands vorkommen. Im Innern erheben sich mehrere Hügel, der höchste davon auf sieben- bis achthundert Fuß. Der hier liegende Hauptort der Inselgruppe zählt gegen tausend Einwohner, zu einem Viertel Europäer, der Rest melanesischen Ursprunges. Die Eingebornen sind hier nicht eigentlich seßhaft. Meist auf der Insel York oder den benachbarten Eilanden wohnend, kommen sie nur ihrer Geschäfte halber nach Kerawara herüber. Die Wasserwege zwischen den Inselchen sind fast unausgesetzt von ihren merkwürdig konstruierten Piroguen belebt.

Herr Hamburg konnte über die hiesige Inselgruppe interessante Aufklärungen geben. Die Wahl des Eilandes Kerawara als Regierungssitz erschien ihm recht glücklich, da der Verkehr von hier nach Neubritannien und Neuirland ein sehr bequemer war.

Augenblicklich lagen im Hafen zwei Kauffahrteischiffe, eines mit deutscher und eines mit britischer Flagge, beide beschäftigt mit dem Löschen eines Teiles [186] ihrer Ladung. Das eine sollte von hier aus noch nach Sydney in Australien, das andere nach Auckland in Neuseeland weiter gehen, und ihr Aufenthalt in Kerawara dauerte voraussichtlich noch gegen drei Wochen. Hawkins und Gibson kannten den englischen Kapitän und waren sehr erfreut, mit ihm einen Händedruck wechseln zu können.

Die Wohnung des Herrn Hamburg lag auf einem Hügelabhange inmitten des Waldes, durch den ein von dichtem Gebüsch begrenzter Fußweg führte. Die Besitzung war etwa eine halbe Seemeile vom Kontor entfernt. Der Gouverneur hatte Hawkins, Gibson und dessen Sohn für den nächsten Tag zum Mittagessen eingeladen.

Die Verstauung der hundertfünfzig Tonnen Koprah sollte am Nachmittage des 2. Dezember beendigt sein, und der »James-Cook« wollte dann am 3. nach Port-Praslin zurücksegeln.

Die Gebrüder Kip waren von Herrn Hamburg zwar auch mit eingeladen worden, hatten aber aus Bescheidenheit abgelehnt, da sie sich nicht überall aufzudrängen wünschten. Dagegen wollten sie diesen letzten Abend zu einem Spaziergange in der Umgebung des Hafens benutzen. Da hier an eine Entweichung kaum zu denken war, hatte auch die Mannschaft Landurlaub erhalten, wobei sich die Leute voraussichtlich mit denen von den beiden anderen Schiffen in gewohnter Weise belustigten. Der Abend endete dann freilich jedenfalls mit einem tüchtigen Trinkgelage in der größten Schenke Kerawaras, doch so etwas war einmal kaum zu verhüten, und Gibson empfahl seiner Mannschaft nur, die Sache nicht gar zu weit zu treiben.

Flig Balt versicherte dem Kapitän, daß er sich auf ihn verlassen könne. Während er aber mit gewohnter Scheinheiligkeit sprach, konnte er doch eine gewisse Aufgeregtheit nicht verbergen, die auch Gibson an ihm bemerkte.

»Was haben Sie denn, Balt? fragte der Kapitän.

– Ach... nichts... Herr Gibson, antwortete der Bootsmann. Ich bin nur etwas müde... das ist alles.«

Seine Blicke wendeten sich dabei von dem Vorgesetzten ab und dem ihn beobachtenden Vin Mod zu.

Gegen fünf Uhr trafen Hawkins, Nat Gibson und Zieger in der Wohnung des Herrn Hamburg ein, wo halb sieben Uhr gegessen werden sollte. Der Kapitän, der noch mit Erledigung der letzten Formalitäten an Bord zurückgeblieben war, konnte sich vor diesem Zeitpunkte nicht einstellen. Er brachte dann den Betrag [187] von zweitausend Goldplastern mit, um die Rechnung für das nun im Raum des »James-Cook« verladene Frachtgut zu begleichen.

In der Zwischenzeit besichtigten die Gäste des Gouverneurs dessen sorgsam unterhaltene Besitzung, die wohl eine der schönsten auf Kerawara war. Nat Gibson machte einige photographische Aufnahmen von der Wohnung und ihrer terrassenförmigen Umgebung. Über das Waldesdickicht hinaus reichte der Blick von hier aus bis zum Meere. Im Nordwesten erhob sich das äußerste Vorgebirge der großen Insel Ulu, im Westen der letzte Landvorsprung der kleinen Insel Kabokon, jenseit der die Sonne hinter dem mit Purpurwolken gesäumten Horizonte herabsank.

Als es halb sieben Uhr geworden war, war der Kapitän noch nicht erschienen.

In Erwartung seines Eintreffens verweilten Herr Hamburg und seine Gäste noch im Garten.

Der Abend war herrlich und die Luft erfrischend abgekühlt durch den Wind, der sich gegen die Nacht hin immer zu erheben pflegte. Alle atmeten mit Wollust den köstlichen Duft der Orangen im Garten des Hauses.

Inzwischen verstrich die Zeit. Auch um sieben Uhr hatte sich Gibson noch nicht eingefunden.

»Mein Vater wird im letzten Augenblick noch aufgehalten worden sein, meinte Nat Gibson. Anders kann ich mir sein Ausbleiben nicht erklären.

– Sollte er sich nicht erst noch nach Ihrem Kontor begeben haben, Herr Hamburg? fragte der Reeder.

– Jawohl, doch nur, um seine Schiffspapiere in Empfang zu nehmen.

– Das hat doch einige Zeit beanspruchen können...

– Nur Geduld, meine Herren, es sind kaum dreißig Minuten über die verabredete Zeit.«

Als aber eine Stunde verflossen war, wurden Hawkins, Zieger und Nat Gibson doch allmählich unruhig.

»Sollte sich Gibson, bemerkte Zieger, auf dem Wege verirrt haben?

– Das ist fast unmöglich, antwortete Hamburg. Der Fußpfad verläuft ganz gerade, und er kennt ihn, denn er ist schon mehrmals in meiner Wohnung gewesen.

– Was meinen Sie: wenn wir nun meinem Vater entgegengingen? schlug Nat Gibson vor.

[188] – Ja, das wollen wir tun,« sagte Hawkins.

Herr Hamburg rief einen Diener herbei, der eine Laterne mitnahm, und begleitet von seinen Gästen machte er sich nach dem Walde zu auf den Weg.

Unter dem dichten Laube, das ein völliges Dach über dem Pfade bildete, herrschte bereits tiefe Dunkelheit.

Alle lauschten, ob sich vom Hafen her Schritte vernehmen ließen.

Nichts... gar nichts war zu hören.

Man rief laut...

Keine Antwort.

Dieser Teil des Waldes schien gänzlich vereinsamt zu sein. Nach Zurücklegung einer halben Seemeile gelangten alle auf den Hauptplatz von Kerawara.

Aus der erleuchteten, großen Schenke schallte das Gröhlen übermütiger Trinkgenossen heraus. War ein Teil der Mannschaft der Brigg auch schon an Bord der Brigg zurückgekehrt, so saßen doch noch einige der Matrosen an einem Tische der Taverne, darunter Len Cannon mit seinen Kameraden.

Pieter und Karl Kip hatten nach der Heimkehr von ihrem Spaziergange auf dem Hinterdeck des »James-Cook« Platz genommen.

Kurz vor ihnen hatten sich auch schon Flig Balt und Vin Mod nach kaum einstündiger Abwesenheit an Bord zurückbegeben.

Am Kai angelangt, rief Nat Gibson mit ängstlicher Stimme:

»Wo ist denn der Kapitän?...

– Der Kapitän, Herr Gibson? antwortete Vin Mod. Ist er denn nicht bei Herrn Hamburg?

– Nein, erwiderte der Gouverneur.

– Er verließ aber die Brigg, um sich zu Ihnen zu begeben, erklärte der Matrose Burnes.

– Und ich habe ihn den Weg dahin einschlagen sehen setzte Hobbes hinzu.

– Seit wann ist er denn fortgegangen? fragte Herr Zieger.

– Etwa seit einer Stunde, antwortete Vin Mod.

– Sollte ihm ein Unfall zugestoßen sein?« rief Hawkins erregt.

Darauf zerstreuten sich seine Gefährten und er in den Straßen des Hafenortes, gingen von Kontor zu Kontor, suchten alle Gasthäuser ab...

Nirgends hörte man, daß der Kapitän dagewesen sei.

Jetzt galt es, den Weg durch den Wald in seiner Umgebung zu durchsuchen.

[189] Vielleicht war Gibson jetzt doch auf einem Umwege nach der Wohnstätte des Gouverneurs gekommen.

Die Mühe erwies sich vergeblich. Nach mehreren Stunden mußten Hamburg, Zieger, Hawkins, Nat Gibson und die Gebrüder Kip, die sich auch bei der Nachsuchung beteiligt hatten, unverrichteter Sache an Bord zurückkehren.

Mit welcher Herzensangst verbrachten alle diese Nacht! Der Kapitän erschien nicht wieder. Der Pfad zwischen dem Hafen und der Wohnung des Herrn Hamburg wurde noch mehrmals mit Laternen und Fackeln abgeleuchtet... von Harry Gibson fand sich keine Spur...

Nat Gibson war eine Beute der Verzweiflung, und Hawkins, dem die Sache ebenso nahe ging, vermochte es nicht, den jungen Mann zu beruhigen, der seinen Vater niemals wiederzusehen befürchtete.

Diese Ahnung täuschte ihn nicht.

Bei Tagesanbruch verbreitete sich wie ein Lauffeuer die Meldung, daß der Leichnam des Kapitän Gibson eine halbe Seemeile vom Hafen im Walde gefunden worden sei.

13. Kapitel
Dreizehntes Kapitel.
Der Mord.

Über das Ereignis verlautete das folgende:

Sobald der Kapitän Gibson die letzten Anordnungen getroffen hatte, damit der »James-Cook« am nächsten Morgen frühzeitig zur Abfahrt bereit wäre, hatte er das Schiff verlassen und sich nach dem Kontore begeben.

Eine kleine Ledertasche, die er bei sich trug, enthielt in Goldstücken die zweitausend Piaster, die er an Herrn Hamburg auszahlen wollte.

Ein Teil der Mannschaft war nach ihm ebenfalls von der Brigg fortgegangen, und die Gebrüder Kip lustwandelten schon in der Nähe des Hafens umher.

[190] Als Gibson in das Kontor gekommen war, gab ihm einer der dort Angestellten seine Papiere, sein Konnossement und andere zurück.

Noch zwei Stunden lang sollte jetzt die Sonne die Höhen des Eilandes Kabokon beleuchten. Dem Kapitän war übrigens der Weg nach der Villa so gut bekannt, daß er gar nicht zu befürchten brauchte, sich dabei zu verirren.

Vom Hintergrund des Hafens aus unter den Bäumen verschwindend. schritt Gibson gut eine halbe Seemeile ungestört dahin, und wollte eben nach links abweichen, als er mit Gewalt zu Boden geschleudert wurde.

Zwei Männer hatten sich über ihn gestürzt, von denen der eine ihn an der Kehle würgte.

Durch den heftigen, gegen die Brust erhaltenen Stoß betäubt, erkannte er die Angreifer nicht sogleich und verlor bald darauf überhaupt die Besinnung.

Die beiden Männer packten ihn dann an den Schultern und an den Füßen und schleppten ihn etwa fünfhundert Schritt weit seitwärts durch das Dickicht.

Am Rande einer Waldblöße angekommen, legten sie ihr Opfer wieder auf die Erde.

»Jetzt heißt's, der Sache ein Ende machen,« sagte der eine.

Gerade bei diesen Worten schlug Gibson die Augen wieder auf.

»Flig Balt!... Vin Mod!« stieß er mühsam hervor.

Es waren der Bootsmann und Vin Mod, die das Verbrechen begangen hatten. Vin Mod mußte sich endlich Harry Gibsons in der gerechtfertigten Hoffnung entledigen, daß er dann Flig Balt als Kapitän bekommen werde. Unter Führung des neuen Befehlshabers würde die Brigg, statt nach Hobart-Town zurückzusegeln, dann einen ganz anderen Kurs einschlagen, und ehe Hawkins sich darüber Rechenschaft geben könnte, nach Osten in die Gegend der Salomonsinseln kommen.

Dort würde man schon sehen, wie der Reeder, Nat Gibson, die Gebrüder Kip, und von der Mannschaft die, die sich dem Seeräuberzuge anzuschließen weigerten, auf die eine oder andere Weise bei Seite zu schaffen wären. Was also nicht zwischen Neuseeland und dem Bismarck-Archipel geschehen war, sollte nach der Abfahrt von Port-Praslin ausgeführt werden.

Als Gibson die Namen der beiden Mörder genannt hatte, rief er noch keuchend:

»Ihr Elenden!... Ihr Schurken!«

[191] Er wollte sich erheben, sich verteidigen, doch was vermochte er, ohne eine Waffe in der Hand zu haben, gegen die zwei kräftigen und bewaffneten Männer?

»Hilfe!... Zu Hilfe!« rief er noch einmal.

Vin Mod stürzte sich auf den Unglücklichen und schloß ihm mit der Hand den Mund, während Flig Balt mit dem Dolche, der von dem Diebstahle auf der »Wilhelmina« herrührte, das Herz mit kräftigem Stoße durchbohrte.

Harry Gibson stieß einen schmerzlichen Seufzer aus und zum letzten Male starrte er weit offenen Auges auf die beiden Mordbuben. Der Dolch hatte das Herz gut getroffen, und nach kurzem Röcheln sank der Kapitän tot vollends zur Erde.

»Kapitän Balt... meinen Glückwunsch!« sagte Vin Mod, indem er zwei Finger grüßend an die Mütze legte.

Erschreckt wich der Bootsmann zurück vor den Augen seines Opfers, die, von der Sonne erhellt, noch immer auf ihn gerichtet schienen.

Vin Mod, der sich sein kaltes Blut vollständig gewahrt hatte, durchwühlte die Taschen des Kapitäns, worin er die Schiffspapiere und den Lederbeutel mit den zweitausend Piastern fand.

»Eine angenehme Überraschung!« rief er.

Dann klopfte er dem, vor den Augen des Leichnams noch immer regungslos dastehenden Bootsmann mahnend auf die Schulter.

»Nun aber fort von hier!« drängte er seinen Genossen.

Die Beiden ließen den Toten an Ort und Stelle liegen, wo er wahrscheinlich erst nach der Abfahrt der Brigg gefunden würde, und begaben sich nach dem Fußpfade zurück, dann aber eiligen Schrittes nach dem Hafen.

Eine Stunde später standen sie schon wieder auf dem Deck des »James-Cook«. Flig Balt schlüpfte in seine Kabine; Vin Mod begab sich nach dem jetzt leeren Volkslogis hinunter und verbarg die Papiere des Kapitäns, die gestohlenen Piaster und den Dolch tief in seinem Seemannssacke.

Eine weitere halbe Stunde mochte verflossen sein, als Karl und Pieter Kip an Bord zurückkehrten und sich hinter dem Deckhause niedersetzten, um hier die Heimkehr der Gäste des Herrn Hamburg abzuwarten.

Der elende Vin Mod machte sich, als er wieder auftauchte, auf dem Vorderdeck zu schaffen.


»Flig Balt!... Vin Mod!« stieß er mühsam hervor. (S. 191.)

Er trug eine außergewöhnliche Lustigkeit zur Schau und ließ sich in ein Gespräch mit den Matrosen Hobbes und Wickley ein, die überhaupt heute nicht ans Land gegangen waren.

[192] [195]In dieser Weise war das Verbrechen also begangen worden.

Ein Angestellter aus der Faktorei war es, der am anderen Tage, als er über die erwähnte Waldblöße kam, die Leiche des Kapitän Gibson entdeckte. Er stürmte sofort nach dem Kontor zurück und bald verbreitete sich das Gerücht von dem Morde nach allen Seiten.

Nat Gibson war bei dieser Nachricht wie vom Blitze getroffen, kein Wunder bei der aufrichtigen Liebe, die Vater und Sohn stets verknüpft hatte. Hawkins, der sich ebenso niedergeschmettert fühlte, wie der junge Mann, hätte diesem gar keine Hilfe gewähren können. Die Gebrüder Kip trugen ihn in seine Kabine, wo er nach längerer Zeit wieder etwas zum Bewußtsein kam. Die beiden Holländer zeigten die unverkennbar aufrichtigste Teilnahme an seinem Schmerze und die unverhohlenste Entrüstung über die grausige Schandtat.

Die Mannschaft war vor Schrecken starr. Jim vergoß heiße Tränen; Hobbes, Wickley und Burnes konnten an den Tod ihres Kapitäns gar nicht glauben, und Flig Balt und Vin Mod überboten sich in Drohungen gegen den Mörder.

Nur die Neuangeworbenen aus Dunedin zeigten eine völlige Teilnahmlosigkeit. Bekanntlich hatten Len Cannon und die übrigen beschlossen, gerade heute heimlich davonzugehen, was vielleicht die Abfahrt der Brigg vereitelt hätte. Durch das Verschwinden Gibsons mochten sie aber wohl anderen Sinnes geworden sein, denn Len Cannon warf jetzt Vin Mod wiederholt einen fragenden Blick zu. Dieser wendete dabei jedoch den Kopf ab, als ob er den Matrosen nicht verstände.

Als Nat Gibson einigermaßen wieder zu sich gekommen war, stürmte er aus seiner Kabine hervor.

»Mein Vater! rief er schluchzend, ich will meinen Vater sehen!«

Karl Kip versuchte ihn zurückzuhalten. Nat stieß ihn zurück und eilte nach dem Deck hinaus.

Herr Hamburg, der schon in seine Wohnung zurückgekehrt gewesen war, beeilte sich nach dem Schiffe zu kommen, sobald er von der Mordtat gehört hatte. Hier traf er gerade in dem Augenblicke ein, wo Nat dieses verlassen wollte.

»Ich begleite Sie,« erklärte er ohne Zögern.

Es war jetzt acht Uhr. Hamburg und Zieger, Hawkins und Nat Gibson, sowie die Gebrüder Kip und einige Angestellte von der Faktorei drangen in den Wald ein, wo sie die Lichtung kaum nach zehn Minuten erreichten.

[195] Die Leiche lag noch ebenso da, wie die Mörder sie hinterlassen hatten, lang auf der Erde ausgestreckt und die erloschenen Augen übermäßig weit offen, als ob das Leben noch nicht ganz aus dem Opfer der Freveltat entflohen wäre.

Nat Gibson kniete neben seinem Vater nieder. Er umklammerte ihn, rief seinen Namen und auch den seiner Mutter, der unglücklichen Frau, die die Nachricht von dem schrecklichen Ende ihres Gatten wohl kaum überleben würde.

Hamburg, der es sich zur Pflicht machte, den Tatbestand sorgsam aufzunehmen, prüfte die noch im Grase sichtbaren Spuren und glaubte aus den noch frischen Fußabdrücken schließen zu dürfen, daß zwei Personen an dem Morde beteiligt gewesen wären. Als er dann die Bekleidung Gibsons beseitigte, konnte er nachweisen, daß die Brust eine Wunde zeigte, die von einer gezahnten Klinge herrührte und die nur wenig geblutet hatte. Das Geld und die Papiere des Kapitäns waren – vorläufig spurlos – verschwunden.

Es lag also auf der Hand, daß Raubsucht die Veranlassung zu dem Verbrechen war. Doch wer hatte es begangen?... Etwa ein Ansiedler von Kerawara?... Das erschien von Anfang an zweifelhaft. – Vielleicht halbwilde Eingeborne?... Solchen war das schon eher zuzutrauen. Doch wie und wo war eine Entdeckung der Mörder möglich?... Nach der Freveltat hatten diese jedenfalls Kerawara schleunigst auf ihrer Pirogue verlassen und sich nach der Insel York in Sicherheit gebracht. Nach wenigen Stunden konnten sie sich ja schon der Möglichkeit einer Verfolgung entzogen haben.

Es gewann also den Anschein, daß der Mord ebenso ungesühnt bleiben werde, wie so viele andere, die in dieser Gegend zwischen Neuguinea und den Salomonsinseln schon begangen worden waren.

Zunächst galt es nun, den Toten nach der Faktorei zu schaffen. Herr Hamburg hatte schon eine Tragbahre besorgt, auf die man den Entseelten legte. Dann begaben sich alle, Nat Gibson auf den Arm des Reeders gestützt, nach dem Hafen zurück.

Die Leiche wurde hier in einem größeren Zimmer der Faktorei untergebracht, während Hamburg seine Aufklärungsversuche fortsetzte. Die Beerdigung, die letzte traurige Feierlichkeit, sollte schon am nächsten Tage vor sich gehen, denn in dem heißen Klima der Tropen beginnt die Zersetzung von Leichen sehr bald.

Der in Kerawara tätige Missionar stellte sich ein, kniete nieder und betete neben dem Opfer.

[196] Zieger führte Nat Gibson an Bord zurück, wo der junge Mann in einem beunruhigenden Zustande völliger Entkräftung auf seinem Lager liegen blieb.

Hamburg vernachlässigte es inzwischen nicht, alles zu erforschen, was geeignet schien, ihn auf die Spur der Mörder zu leiten. Nachdem er Zieger und Hawkins nochmals nach der Faktorei mitgenommen hatte, besprach er sich darüber mit diesen, und als sie ihn fragten, wer seiner Vermutung nach die Urheber des Verbrechens gewesen sein könnten, antwortete er mit Überzeugung:

»Jedenfalls einige Eingeborne.

– Die hätten den unglücklichen Gibson berauben wollen? fragte Hawkins etwas ungläubig.

– Jawohl; sie werden erfahren haben, daß er eine größere Geldsumme bei sich trug... daraufhin werden sie ihn abgelauert haben, ihm in den Wald gefolgt sein, wo sie ihn dann überfielen und ausplünderten...

– Wie soll man sie aber entdecken? sagte Zieger.

– Das wird fast unmöglich sein, erklärte Hamburg. Auf welche Andeutungen sollten wir uns stützen. Nachforschungen anzustellen?

– Eines erscheint mir in erster Linie angezeigt, meinte Zieger, die von der Waffe des Mörders herrührende Wunde sollte photographiert werden, und wenn sich diese Waffe fände, wäre vielleicht auch zu entdecken, wem sie gehörte...

– Sie haben recht, antwortete Hamburg, und ich bitte Sie, Herr Hawkins, die Aufnahme der Wunde auszuführen.

– Ja... ja gewiß! stimmte Hawkins lebhaft, doch mit bebender Stimme ein, das abscheuliche Verbrechen darf nicht ungestraft bleiben!«

Zieger begab sich nach dem Schiffe, um den photographischen Apparat zu holen und kam nach wenigen Minuten damit zurück. Die Brust des Kapitän Gibson wurde entblößt und erst noch eine ganz genaue Besichtigung der Wunde vorgenommen. Diese maß in der Breite kaum einen halben Zoll und an einer Seite zeigte ihr Rand eine Zahnung, als ob sie durch eine Säge verursacht worden wäre.

Daraufhin begann Hamburg:

»Sie sehen, daß der Todesstoß mit der Waffe eines Eingebornen geführt worden ist... mit einem malaiischen Kriß mit gezahnter Klinge, wie sich die Eingebornen solcher allgemein bedienen«

[197] Nun wurden zwei – tadellos gelungene – Aufnahmen gemacht. Die eine zeigte die Brust, die andere den Kopf Harry Gibsons. Seine Augen standen noch immer weit offen, und erst jetzt drückte Hawkins sie dem Freunde zu. Die Photographien sollten der weiteren Verfolgung der Angelegenheit wegen in den Händen des Herrn Hamburg bleiben. Hawkins behielt dagegen die Platten, um noch mehrere Abzüge herstellen zu können. Das Bild seines unglücklichen, in Kerawara umgekommenen Freundes sollte auch nach seiner Vaterstadt mitgenommen werden.

Schon am Nachmittage mußte die Leiche eingesargt werden und die Beerdigung sollte am nächsten Morgen stattfinden.

Auf dem kleinen Friedhofe von Kerawara wurde also eine Grabstelle gewählt, denn es wäre unmöglich gewesen, zu warten, bis in Port-Praslin ein Grab ausgehoben würde, die sterblichen Überreste des Ermordeten aufzunehmen.

Der traurige Tag verstrich unter allgemeiner Verzweiflung. Dann kam die Nacht, die Nat Gibson unter schwerem Seufzen, doch ohne nur eine Minute Schlaf zu finden, hinbrachte.

Am nächsten Tage erfolgte die Beerdigung, an der sich alle deutschen und englischen Bewohner Kerawaras beteiligten. Die Flagge des »James-Cook« wehte in Schau, die anderen Schiffe im Hafen hatten alle Halbmast geflaggt.

Der mit der Nationalflagge bedeckte Sarg wurde von vier Leuten von der Brigg getragen. Nat Gibson, der Gouverneur, Hawkins und Zieger gingen unmittelbar hinterher, und ihnen folgten Flig Balt und die übrigen von der Mannschaft, denen sich viele Matrosen von anderen Schiffen angeschlossen hatten.

Der dem Sarge vorausschreitende englische Missionar sprach auf dem Wege liturgische Gebete.

So erreichte der Trauerzug den Friedhof und vor dem Grabe hielt Herr Hamburg noch eine kurze Gedächtnisrede zu Ehren des Kapitän Gibson.

Der Schmerz Nat Gibsons ergriff alle Anwesenden aufs tiefste. Hawkins vermochte den jungen Mann kaum aufrecht zu erhalten, der sich noch einmal auf den Sarg des geliebten Vaters warf. Dann ließ man den Sarg in die Grube hinuntersinken, und an der Grabstelle wurde ein von Herrn Hamburg besorgtes Holzkreuz mit folgender Inschrift aufgerichtet:


[198] Zum Andenken an den

Kapitän Harry Gibson aus Hobart-Town,

ermordet am 2. Dezember 1885.

Sein Sohn, seine Freunde, seine Mannschaft und die Bewohner Kerawaras.

Gott gebe seiner Seele Frieden!


Die fortgesetzten Nachforschungen des Herrn Hamburg waren bisher erfolglos gewesen. Nach vollbrachter Tat hatten sich die Mörder ohne Zweifel beeilt, Kerawara zu verlassen, um sich unter die Eingebornenstämme von Neulauenburg zu flüchten. Unter solchen Umständen war leider kaum auf eine Aufhellung des düsteren Geheimnisses zu rechnen, denn Piroguen der Eingebornen waren meist den ganzen Tag zwischen der Insel und dem Eiland unterwegs, ein nach diesem vielleicht schnell zurückkehrendes Boot wäre also nicht im geringsten aufgefallen. Die Waffe, deren sich der Mörder bedient hatte, und damit vielleicht auch diesen selbst zu entdecken, das hing doch nur von einem glücklichen Zufall ab, auf den man kaum seine Hoffnung setzen konnte.

Die Brigg verlängerte ihren Aufenthalt an Kerawara nicht weiter. Schon am Morgen, wo sich das Gerücht von dem Morde verbreitete, war sie segelfertig gewesen, um nach Port-Praslin zurückzukehren.

In Übereinstimmung mit Herrn Zieger ließ Hawkins deshalb den Bootsmann ins Deckhaus rufen.

»Flig Balt, redete er diesen an, der ›James-Cook‹ hat seinen Kapitän verloren...

– Ein großes Unglück, antwortete Flig Balt, dessen Stimme merkbar, doch nicht vor Schmerz, zitterte.

– Ich weiß, fuhr Hawkins fort, wie viel Vertrauen mein unglücklicher Freund in Sie setzte, und ich denke, daß auch ich dasselbe Vertrauen zu Ihnen hegen kann.«

Der Bootsmann verbeugte sich mit niedergeschlagenen Augen, ohne auf die Anrede ein Wort zu erwidern.

»Morgen, Flig Balt, erklärte der Reeder weiter, wird der ›James-Cook‹ absegeln, und Sie werden ihn nach Hobart-Town zurückführen.

– Wie Sie befehlen, Herr Hawkins,« antwortete Flig Balt, sich zurückziehend.

Hawkins hatte zwar ausgesprochen, daß der Bootsmann vorläufig Gibson in der Führung des Schiffes vertreten, nicht aber, daß er dessen Kapitän sein [199] sollte. Vielleicht dachte er gar nicht daran, jenem diesen Titel ausdrücklich zu verleihen, und erachtete es für hinreichend, daß Flig Balt dessen Obliegenheiten auf der Fahrt vom Bismarck-Archipel bis Tasmanien auf sich nahm. Dem Bootsmann war das nicht entgangen, und gleich nachher sprach er sich Vin Mod gegenüber über die Sache aus.

»Ach, das ist ja gleichgültig! erwiderte der Matrose. Zunächst bringen wir die Brigg nach Port-Praslin zurück. Ob du dann Kapitän oder Obersteuermann bist, das kommt auf eins hinaus, Balt! Sind wir erst im Besitz des Fahrzeuges, so ernennen wir uns einen Kapitän, und ich will mich doch an den Füßen aufbaumeln lassen, wenn unsere Ernennung nicht ebenso viel wert wäre, wie die des Reeders Hawkins!«

Wenn Len Cannon und dessen Genossen auch noch nicht wußten, daß Flig Balt und Vin Mod die Mörder Gibsons waren, so glaubten sie doch fest, daß die Brigg nun nicht mehr nach Hobart-Town zurückkehren werde, und deshalb sprachen sie auch gar nicht weiter vom Davonlaufen.

Am Morgen des 5. Dezembers verabschiedete sich Hawkins von dem Gouverneur der Insel. Hamburg schloß Nat Gibson in die Arme und versprach ihm nochmals, nichts zu versäumen, daß die Mörder seines Vaters entdeckt würden. Gelang ihm das, so werde die deutsche Justiz mit diesen schon kurzen Prozeß machen und sie ihre Schandtat mit dem Kopfe büßen lassen.

Dann nahmen noch Hawkins, Zieger und Karl und Pieter Kip – alle in traurigster Stimmung – von dem Gouverneur und den Beamten und Angestellten der Faktoreien von Kerawara Abschied.

Die Abfahrt erfolgte unter dem Befehle Flig Balts.

Eine Stunde später war die Brigg über die madreporischen Bänke vor der Insel hinaus. Sie steuerte nun nach Südosten, wobei das Kap Barard, die hervortretendste Spitze von York, bald außer Sicht kam, und wendete sich damit dem Sankt Georgskanal zu.

Die kurze Überfahrt beanspruchte voraussichtlich nur vierundzwanzig Stunden. Die Mannschaft tat ihre Schuldigkeit, so daß Flig Balt über sie nicht zu klagen hatte. Bei dem günstigen Winde waren kaum Segelmanöver nötig, höchstens wurden die Schoten einmal mehr oder weniger angezogen. Ob Flig Balt ein guter Seemann war oder nicht, das ließ sich auf der kurzen Fahrtstrecke nicht entscheiden, dazu mußte man warten, bis er das Schiff nach Hobart-Town zurückgeführt hätte. Übrigens bezog der Mann nicht die verwaiste [200] Kabine des Kapitäns, sondern behielt ruhig die seinige nahe dem Eingange der gemeinschaftlichen Kajüte.

In der Nacht, als Len Cannon mit Vin Mod die Wache hatte, antwortete dieser auf eine Frage des ersten über die Lage der Dinge in einer Weise, die den Fragesteller und dessen Genossen befriedigen mußte. Der »James-Cook« werde nicht nach Tasmanien zurückkehren. Kapitän oder nicht... Flig Balt wird schon wissen, ihn von seinem Kurse abzulenken. Einmal in der Nähe der Salomonsinseln, werde es leicht sein, mit den Passagieren fertig zu werden. Dort gebe es ja stets abenteuerlustige, »brave« Matrosen, die im Notfall gern bereit sein würden, sie tatkräftig zu unterstützen. Len Cannon und die übrigen hätten also nicht die geringste Veranlassung, vom »James-Cook« wegzulaufen, da sie doch bald zu dessen Herren gehören würden.

Am Morgen des 6. Dezembers kamen die Höhen von Lanut in Sicht. Noch am Vormittage sollte das Schiff jedenfalls vor dem Ziegerschen Kantor vor Anker gehen.

Da es mit seiner Flagge in Schau einlief, verstand man es in Port-Praslin, daß sich ein Unglück ereignet haben mußte.

Wie schwer traf aber alle die Nachricht, unter welchen Umständen Gibson einen plötzlichen Tod gefunden hatte! Frau Zieger, die nach dem Kai gekommen war, schloß Nat Gibson sofort in die Arme, als dieser ans Land kam. Vor Schluchzen vermochte sie kaum ein Wort hervorzubringen.

»Mein armer Nat!.. Mein unglückliches Kind!.. Und Ihre Mutter... Ihre Mutter!« rief sie wiederholt, während ihr die Tränen aus den Augen perlten.

Nat Gibson und mit ihm Hawkins mußten die Einladung annehmen, die letzten Tage ihres Aufenthalts hier in Wilhelmstaf zuzubringen. Beide bezogen also noch einmal die früher bewohnten Zimmer und nahmen an demselben Tische Platz in dem gastfreundlichen Hause, das Harry Gibson nicht mehr betreten sollte.

Herr Zieger wollte es niemand anderem überlassen, die Verladung der hundertfünfzig Tonnen Koprah zur Vervollständigung der Fracht der Brigg zu überwachen. Ihn unterstützten dabei nur Karl und Pieter Kip, die das Schiff auch nicht auf eine Stunde verließen. Der ältere der beiden Brüder verstand sich gründlich auf die Verstauung der Ballen, und auch Flig Balt hatte das ohne besondere Mühe erledigt, da die Mannschaft ihn eifrig unterstützte.

[201] Nach Unterbringung der Koprah im Frachtraume, verteilte man die nach Hobart-Town bestimmten Kisten mit Perlmutter auf dem Vorder- und dem Hinterdeck. Da der Kapitän vor dem Abstecher nach Kerawara noch alles hatte reinigen und, wo nötig, frisch anstreichen lassen, erlitt die Abfahrt keine Verzögerung durch derartige Arbeiten.

Am Nachmittage des 9. war alles fix und fertig.

Am Abende desselben Tages kehrten Hawkins und Nat Gibson unter Begleitung des Ziegerschen Ehepaares an Bord zurück, damit der »James-Cook« am folgenden Morgen abfahren könnte.

Als sie eintrafen, wurden sie von Flig Balt, der an der Bordleiter stand, empfangen..

»Nun, ist jetzt alles bereit? fragte der Reeder.

– Alles, Herr Hawkins!

– So gehen wir morgen in See, Flig Balt. Sie haben die Brigg von Kerawara nach Port-Praslin gebracht, führen Sie sie nun auch von Port-Praslin nach Hobart-Town. Sie werden in Zukunft den Befehl auf dem Schiffe führen...

– Ich danke Ihnen, Herr Hawkins,« antwortete Flig Balt, während die Mannschaft ein beifälliges Murmeln hören ließ.

Der Reeder drückte dem neuen Kapitän die Hand, bemerkte aber nicht, daß diese in der seinigen leise zitterte.

Herr und Frau Zieger verabschiedeten sich von Nat Gibson und Hawkins und vergaßen dabei auch nicht die Gebrüder Kip, denen sie bereits warm zugetan waren. Unter dem Versprechen, sobald es ihnen möglich wäre, in Tasmanien einige Wochen bei den beiden Familien zu verleben, kehrten sie dann nach ihrer Wohnstätte zurück.

Um fünf Uhr am anderen Morgen traf der Kapitän Balt die letzten Anstalten zur Abfahrt.

Eine Stunde nachdem er durch die Einfahrtsstraßen von Port-Praslin gekommen war, glitt der »James-Cook« mit südöstlichem Kurse schon entfernt von Neuirland auf dem hohen Meere hin.

[202]
14. Kapitel
Vierzehntes Kapitel.
Zwischenfälle.

Die Entfernung zwischen dem Bismarck-Archipel und Tasmanien wird ungefähr auf zweitausendvierhundert Seemeilen geschätzt. Bei günstigem Winde und einer mittleren Geschwindigkeit von hundert Meilen in vierundzwanzig Stunden, konnte der »James-Cook« dazu nur wenig über drei Wochen brauchen.

Die Zeit der Passatwinde neigte sich jetzt zu Ende und bald mußte voraussichtlich der Monsun der Tropen einsetzen. Nach kurzer Windstille lief der Wind wirklich schon nach Westen um.

Das war besonders günstig für die Brigg, wenn sie die schwierigen Gewässer bei den Louisiaden durchsegeln und auf das Korallenmeer hinauslaufen sollte.

Jetzt war auch die Zeit vorbei, wo die Passagiere des »James-Cook« sich bei angenehmer Fahrt für alles, was rings um sie vorging, interessierten. Sie überließen sich nicht mehr der freudigen Erwartung der Rückreise, die sie gewiß gehegt hätten, wenn ihr Aufenthalt in Kerawara nicht mit jenem entsetzlichen Unglück zu Ende gegangen wäre.

Verließ Nat Gibson seine Kabine, so setzte er sich auf das Hinterdeck, und Hawkins nahm neben ihm Platz. Nichts vermochte beide ihrem Schmerze zu entreißen. Sie dachten an die bevorstehende Ankunft im Hafen, an Frau Gibson, die den »James-Cook« gewiß schon voller Ungeduld erwartete und dann hören sollte, daß er seinen Kapitän nicht wieder mit heimbrächte.

Aus Rücksicht auf diese traurige Stimmung, die die Entfernung noch nicht zu heben vermocht hatte, hielten sich die Gebrüder Kip meist abseits. Karl beobachtete dabei, ohne sich's irgendwie merken zu lassen, aufmerksam den Kurs des Schiffes. Der Bootsmann hatte ihm eben niemals Vertrauen eingeflößt. Wiederholt hatte er an ihm schon früher gerade die Eigenschaften vermißt, die man an einem tüchtigen Seemann voraussetzt. Wenn Gibson sich in seiner Kabine aufhielt, hatten ihm mehrmals verschiedene, schlecht ausgeführte Manöver Zweifel erweckt, ob Flig Balt für seinen Beruf genügend ausgebildet wäre. Nur der Umstand, daß ihn das unmittelbar nichts anging, hatte ihn veranlaßt, darüber zu schweigen. Was aber keine besondere Bedeutung hatte, so lange Harry [203] Gibson den Oberbefehl führte, das konnte jetzt, wo Flig Balt der Kapitän des »James-Cook« war, recht schwere Folgen haben.

Eben heute äußerte Karl Kip solche Befürchtungen gegen seinen Bruder.

»Du meinst also, daß Flig Balt seiner Aufgabe nicht gewachsen ist?

– Das muß man wohl glauben, Pieter. Während der schweren Bö, die uns im Korallenmeer überfiel, habe ich die Gewißheit erhalten, daß er seine Sache nicht richtig versteht.

– Dann wird es für dich, Karl, zur Pflicht, den Mann zu überwachen, und wenn dir eine seiner Maßregeln gefahrbringend erscheint, dann halte nicht mit deinen Einwendungen zurück...

– Die Flig Balt nur in der Weise aufnehmen wird, daß er mich ersucht, mich nicht in die Führung des Schiffes zu mengen.

– Das ändert nichts, Karl, es bleibt deine Pflicht, und wenn deine Ratschläge unwillig aufgenommen werden, so wende dich sofort an Herrn Hawkins. Er ist vorurteilsfrei, er wird dich anhören, sich mit dem Exbootsmanne darüber auseinandersetzen und wird dir ihm gegenüber recht geben.

– Das wird sich ja zeigen, Pieter. Leider stehen mir die Seekarten nicht zur Verfügung, und deshalb ist es mir erschwert, den Kurs zu kontrollieren.

– Jedenfalls tue dein Bestes, Karl. Der »James-Cook« hat schon so viel Unheil erfahren, daß es an der Zeit ist, noch weiteres möglichst zu verhüten.«

Diese Worte bewiesen, daß man an einen bösen Willen Flig Balts noch nicht glaubte; Karl Kip hielt ihn nur für einen recht mittelmäßigen Seemann, und ohne es diesem merken zu lassen, behielt er ihn doch immer scharf im Auge. Die Anwesenheit Karl Kips erregte dem neuen Kapitän jedoch eine gewisse Beunruhigung, so daß er sich bemühte, trotz des Drängens Vin Mods mit der Änderung des Kurses nach den Salomonsinseln hier sehr vorsichtig zu sein.

Nachdem die Brigg den Ausgang des Sankt Georgskanals hinter sich gelassen hatte, kamen ihr auch bald die äußersten Landmarken von Neuirland und Neubritannien außer Sicht. Durch diesen Teil des Meeres südwärts zu steuern, war Flig Balt völlig berechtigt, da er sich Neuguinea nicht unnötig nähern wollte und es trotz einer Verlängerung des Weges um einige fünfzig Seemeilen ratsamer erschien, sich seitwärts von der Insel Entrecasteaux zu halten. Es galt ja, sich keinem zweiten Angriff von Papuas auszusetzen, der vielleicht nicht so glücklich abgeschlagen werden könnte, wie der erste.

[204] Im Laufe des 15. erreichte der »James-Cook« die Grenze der Louisiaden nach ununterbrochener glücklicher Fahrt. Als er dann hier die Insel Rossel, die bedeutendste der Gruppe, im Westen liegen gelassen hatte, lag unter dem zwölften Grade südlicher Breite das Korallenmeer weit offen vor dem Schiffe.

Von diesem Breitengrade aus mußte unverändert eine südliche Richtung eingehalten werden, um in der Höhe von Brisbane auf die Ostküste Australiens zu stoßen. Bei dem gleichmäßig aus Westen wehenden Winde konnte der »James-Cook« auch bequem seine volle Segelfläche ausnützen.

Gerade auf der Grenze des Korallenmeeres hätte Flig Balt nun den Kurs wechseln und nach Osten abfallen sollen, wenn er in Sicht der Insel Mangara, am Ende der Salomonsinselreihe, hätte kommen wollen. Da das aber nicht unauffällig auszuführen gewesen wäre. begnügte sich Flig Balt. nur eine Richtung nach Südsüdosten einzuschlagen.

Auch das konnte aber Karl Kip nicht entgehen, und nach einem Blicke auf den Kompaß wendete er sich sofort an den Kapitän.

»Sie lassen das Schiff abfallen, Herr Balt...

– Ja, Herr Kip, um zwei Viertel Strich, Herr Kip.

– Sie würden aber im Schutze der australischen Küste ein freundlicheres Meer treffen.

– Wohl möglich, erwiderte Flig Balt, der den Holländer dabei mit einem Seitenblicke maß.

– Warum bleiben Sie dann, fuhr dieser fort, nicht in der bisherigen Richtung?

– Weil immer kurze Stürme aus Nordosten zu befürchten sind, und ich möchte mich nicht längs der Küste hin treiben lassen...

– O, da ist noch Fahrwasser genug, unterbrach ihn Karl Kip, und schlimmsten Falles hätten wir immer noch Zeit genug...

– Meine Ansicht ist das nicht,« erklärte Flig Balt trockenen Tones.

Gleich nachher machte er Vin Mod Mitteilung von dem kurzen Zwiegespräch.

»Was hat denn dieser groningische Groninger überhaupt hier drein zu reden, meinte Vin Mod, und wann werden wir von all den Leuten befreit sein?«

Übrigens wäre der alte Plan, die Passagiere der Brigg über Bord zu werfen, jedenfalls ausgeführt worden, sobald sich dazu eine passende Gelegenheit geboten hätte. Die Aussicht auf Erfolg stieg aber ungemein mit der Annäherung [205] an die Salomonsinseln, wo auf Unterstützung von Übeltätern zu hoffen war, die sich dort in großer Zahl umhertreiben.

Im ganzen war die von Karl Kip bemerkte Kursänderung ja nicht bedeutend, und wenn sie auch nicht unbedingt geboten erschien, ließ sie sich immerhin in gewissem Maße rechtfertigen. Erhob sich wirklich ein Oststurm, so war das Schiff weniger gefährdet, wenn es sich nicht so nahe einer Küste befand, wenn es, wie die Seeleute sagen, noch »genug Flucht« vor sich frei hatte.

Karl Kip glaubte also, Herrn Hawkins keine Mitteilung machen zu müssen. Zum Ärger Flig Balts, der das jetzt recht wohl bemerkte, achtete er aber immer darauf, welche Richtung der Mann am Steuer einhielt.

Da kamen Flig Balt und seinen Genossen plötzlich noch die Umstände zu Hilfe.

Am Abend des 17. schlug das Wetter um. Die Sonne versank hinter einem, mit schweren Wolken bedeckten Horizonte. Das Meer, das »schon etwas fühlte«, wurde lebendiger. Den ganzen Tag hatte eine starke Hitze geherrscht. Wiederholt war die Brise völlig eingeschlafen, so daß die Segel an die Maste schlugen.

Nachmittag gegen drei Uhr zeigte das Fahrenheitsche Thermometer im Schatten 103 Grad (39° 44 Celsius), und gegen fünf Uhr war der Barometer auf siebenundzwanzig Zoll (730 Millimeter) herabgegangen. Dieses schnelle Sinken der Quecksilbersäule kündigte eine tiefe Störung der Atmosphäre an.

Der schon stärkere Seegang mit zuweilen sich überschlagenden Wellen verriet, daß von Westen her ein Sturm im Anzuge war.

Die Störung der Atmosphäre wurde bald durch ein heftiges Gewitter eingeleitet. Nachdem aus der Entfernung schon lange das Grollen des Donners hörbar gewesen war, zischten gegen neun Uhr über das Meer hin so häufige und so blendende Blitze, daß dieses sie widerspiegelnd feurige Wasserberge dahinzuwälzen schien. Trafen sie auch nicht dessen Oberfläche, so schlugen sie doch unaufhörlich von einer Wolke zur anderen über. Die Donnerschläge wurden dabei so mächtig, daß sie das Ohr ebenso betäubten, wie die elektrischen Entladungen die Augen blendeten.

Gegen elf Uhr erreichte das Unwetter seine größte Heftigkeit. Der Blitz schlug mehrmals in die Spitzen der Maste ein, richtete aber keinen Schaden an, da er sich längs der Ableitungen im Meere verlor.

[206] Kein Zweifel, daß diesem Unwetter ein heftiger Sturmwind nachfolgen werde, und es galt nun vor allem sich darauf vorzubereiten.

Augenblicklich konnte, wie Flig Balt gesagt hatte, nicht davon die Rede sein, in den Schutz einer Küste zu flüchten. Im Gegenteil stand der Brigg, wenn sie dabei auch nach dem Salomonsarchipel getrieben wurde, doch nur der Weg nach Osten offen.

Vor dem Deckhause stehend, konnten sich Hawkins, Flig Balt und Karl Kip nicht darüber täuschen, daß sie ein schwerer Sturm bedrohte.

»Der Orkan wird über uns kommen, sagte der Reeder.

– Ohne Zweifel, bestätigte Flig Balt, und diesmal handelt es sich nicht nur um eine Bö, die kaum ein paar Stunden anhält.

– Das ist leider zu befürchten, antwortete Hawkins.

– Wir werden genötigt sein, aufs offene Meer hinaus zu flüchten, bemerkte Flig Balt.

– Warum sollten wir den Wind nicht gerade von vorn nehmen? fragte Karl Kip. Wenn wir dazu beilegen...

– Wäre das ratsam? unterbrach ihn Flig Balt. Würde sich ein Schiff, das so schwer beladen ist wie der ›James-Cook‹, der schon etwas über seine Schwimmlinie eintaucht, noch mit den Wellen heben und senken? Würde es nicht viel mehr in gefährlichster Weise Wasser übernehmen?

– Ein Seemann soll in erster Linie seinen Kurs halten, entgegnete Karl Kip, er flieht vor dem Sturme nur, wenn ihm nichts anderes übrig bleibt!

– Das ist auch meine Ansicht, erklärte Hawkins, denn wir könnten gar zu weit nach Osten verschlagen werden.

– Sogar nach Nordosten, setzte Karl Kip hinzu. Schon jagen die Wolken von Südwesten einher und mit Rückenwind kämen wir in die Gegend der Salomonsinseln.«

Gewiß... das kam aber Flig Balt und Vin Mod gerade gelegen.

Der frühere Bootsmann mußte immerhin erkennen, daß aus dem Holländer der erfahrene Seemann sprach, anderseits aber paßte es ihm gar nicht, sich diese Gelegenheit zu einem Kurswechsel des »James-Cook« entgehen zu lassen.

»Die Verantwortlichkeit liegt auf mir, als dem Kapitän, das wird Herr Hawkins einsehen, und ich habe von Herrn Kip keine Anweisungen zu erhalten...

[207] – Was ich äußerte, waren keine Anweisungen, sondern Ratschläge, antwortete Karl Kip, dem diese Starrsinnigkeit etwas verdächtig erschien.

– Ich brauche weder die einen, noch die anderen, erwiderte Flig Balt, offenbar gereizt von dem Widerspruche, den er fand.

– Meine Herren, nahm jetzt Hawkins das Wort, machen Sie dem Geplänkel ein Ende!.. Ich danke Herrn Kip für seine gewiß wohlgemeinten Ratschläge, da der Kapitän Balt aber diese nicht befolgen zu müssen meint, so handle er nach eigenem, bestem Wissen. Ich hab' ihm einmal die Führung des Schiffes anvertraut, und es ist sein Recht, die Verantwortung für seine Maßnahmen auf sich zu nehmen.«

Karl Kip verneigte sich höflich und wendete sich darauf seinem Bruder zu.

»Dieser Flig, sagte er, scheint mir ganz unfähig als Befehlshaber zu sein... er wird das Schiff jedenfalls ins Verderben führen. Doch wie dem auch sei: er ist jetzt einmal der Kapitän!«

Jedenfalls war jetzt kein Augenblick mehr zu verlieren. Die Windstärke wuchs von Minute zu Minute, und die furchtbaren Böen, die über Bord hereinbrachen, drohten die Segel zu zersetzen. Die Masten schwankten, Pardunen und Stagseile waren gespannt zum Zerreißen. Bei zwei Versuchen schien es, als ob die Wendung des Fahrzeuges mißlingen sollte. Endlich glückte diese doch noch, und mit gerefftem Marssegel schoß der »James-Cook« nach Nordosten hin aus.

Eine halbe Stunde lang ging die wilde Fahrt verhältnismäßig günstig weiter, nur machte es Schwierigkeiten, Gierschläge der Brigg nach Back- und nach Steuerbord zu verhüten, denn inmitten der mit gleicher Schnelligkeit wie sie dahinstürmenden Wogen, war das Steuer fast ohne Wirkung. Jeden Augenblick lief die Brigg Gefahr, von den gurgelnden Wasserbergen mit der Breitseite gegen den Wind gestellt zu werden. Das hätte ihre Lage ungemein verschlimmert, da sie dann Wasser von der Seite her überzunehmen drohte.

Dennoch war es unmöglich, die Segelfläche zu vergrößern. Eines der Klüversegel, das Flig Balt hatte setzen lassen, um das Steuer wirksamer zu machen, flog sofort in Fetzen davon. Das Marssegel drohte jeden Augenblick zu zerreißen. Schon drängte sich die Frage auf, ob es nicht dahin kommen werde, vor Top und Takel (d. h. ohne jedes Segel) zu treiben, das bedeutet aber, daß ein Schiff dann gar keine Richtung mehr einzuhalten vermag und auf Gnade und Ungnade zum Spielball der Wellen wird.

[208] [211]Kurz nach Mitternacht konnte sich auch der beschränkteste Matrose nicht mehr verhehlen, daß es mit dem »James-Cook« so nicht weiter gehen könne. Seine Gierschläge folgten einander ohne Unterlaß und er wurde in schlimmster Weise hin und her gepeitscht.


Man erkannte sofort, was ein kaltblütiger Seemann zu leisten vermochte. (S. 212.)

Da die Schnelligkeit der Wellen die seinige um das Doppelte übertraf, gehorchte er dem Steuer nicht mehr im geringsten.

Hawkins verhehlte die Unruhe nicht, die ihn verzehrte. Es handelte sich bei ihm weniger um das Schiff und um dessen Fracht, die man im Notfalle einfach über Bord geworfen hätte, sondern vielmehr um das Leben der Passagiere und der Mannschaft. Hatte Flig Balt auch die Verantwortlichkeit als Schiffer, so traf ihn, den Reeder, doch die, diesen zum Kapitän des »James-Cook« ernannt zu haben. Und wenn nun der frühere Bootsmann nicht auf der Höhe seiner Aufgabe stand, wenn die Sicherheit der Brigg durch seinen Mangel an Erfahrung in Gefahr gebracht wurde. wenn Karl Kip. der doch auch Seemann war, Flig Balt gegenüber recht haben sollte...

Alle diese Gedanken und Zweifel gingen Hawkins jetzt im Kopfe herum. Er äußerte sie auch gegen Nat Gibson, der seine Befürchtungen teilte und wenig Vertrauen zu Flig Balt an den Tag legte.

Kam dieser gelegentlich in ihre Nähe, so hielt ihn Hawkins an und legte ihm dringend verschiedene Fragen vor, die dieser nur mit unverständlichen, zusammenhangslosen Phrasen beantwortete, aus denen nur seine eigene Ratlosigkeit und sein Mangel an Kenntnissen gegenüber der drohenden Gefahr hervorging.

Und als der Reeder sich beim Aufleuchten der letzten Blitze nach Karl Kip umwendete, sah er diesen bei seinem Bruder stehen, auf den er mit gedämpfter Stimme einsprach, und in der Haltung eines Mannes, der in heftigster Gemütserregung sich kaum noch zu bemeistern imstande ist. Ja man konnte glauben, daß Karl Kip auf das Steuerruder losstürzen und die Brigg wieder in die entgegengesetzte Richtung zu zwingen versuchen würde.

Wohin sollte man beim ferneren Einhalten der jetzigen Richtung endlich kommen, immer vorausgesetzt, daß das Schiff nicht gar zu schwere Sturzseen übernahm und dabei zum Kentern gebracht wurde, wenn man nicht noch rechtzeitig die Masten kappte? Mitten in dem Gewirr der Salomonsinseln mit deren vielen Rissen und Bänken, war es ja bedroht, mit Mann und Maus zu versinken.

Flig Balt erkannte das ja auch und Vin Mod nebst den übrigen Leuten nicht minder. Hielt der Sturm noch achtundvierzig Stunden an, so bedeutete das [211] den Untergang der Brigg. Die einfachste Klugheit verlangte die Umkehr nach Westen um jeden Preis und so lange noch ein Stück Leinwand halten wollte.

Flig Balt wollte es versuchen. Es handelte sich damit um ein auf dem aufgewühlten Meere höchst gefährliches Manöver, und vielleicht erwies sich eine vollständige Schwenkung des Schiffes überhaupt unmöglich.

Das Steuer wurde also umgelegt und die Brigantine gehißt, um die geplante Bewegung zu unterstützen.

Da neigte sich die Brigg schon so weit nach Backbord über, daß das Ende der großen Raa in den Wochenschau eintauchte.

Im gleichen Augenblick stürmte ein Mann auf Herrn Hawkins zu.

»Lassen Sie mich die Sache ausführen! rief er.

– Tun Sie Ihr Möglichstes!« antwortete der Reeder.

Da erkannte man sofort, was ein richtiger, kaltblütiger Seemann zu leisten vermochte, und was dieser im Vergleich zu dem früheren Bootsmann wert war.

Unter dem Befehle Karl Kips, bei seiner gebieterischen Stimme und der Klarheit der Anordnungen, die er traf, arbeitete die Mannschaft ohne Widerspruch und mit regstem Eifer. Der »James-Cook« richtete sich unter Bewahrung seiner Masten nach und nach wieder auf und unter Benützung kurzer Windstillen gelang es Karl Kip, ihn dem Wellengange gerade entgegenzustellen. Trotz ihres Ungestüms wurden die Sturzseen jetzt weniger gefährlich, da sie am Vorderteile – statt vorher am Hinterteile – des Schiffes aufbrodelten. Nun hißte man, wenn auch unter großen Schwierigkeiten, ein Sturmsegel, das den Druck des Windes auszuhalten vermochte. Unter ihrem Vormarssegel, in das Karl Kip ein Reff schlagen ließ und das scharf am Winde eingestellt wurde, hielt sich die Brigg ziemlich geradeaus, während der Matrose Burnes, ein vortrefflicher Steuermann, jedes Abweichen aus dem Kurse zu verhüten verstand.

Als diese Veränderung vor sich ging, trat Vin Mod wütend an Flig Balt heran.

»Mit dem Kapitän Kip an Stelle des Kapitäns Balt ist für uns alles verloren!« zischte er ihm ins Ohr.

Schon am nächsten Tage, am 21. Dezember, ließ der Sturm wider alles Erwarten merkbar nach. Das beruhte darauf, daß der Wind etwa um fünf Viertelskompaßstriche nach Westnordwest umgelaufen war.

Ein sehr glücklicher Umstand: die Brigg brauchte infolgedessen nicht mehr auf das Land zuzuhalten, sondern konnte nun wieder einen südlichen Kurs einschlagen.

[212] Das tat denn auch Karl Kip, sobald der Wind es erlaubte, während er gleichzeitig das Großmars-, ein Fock- und das Gaffelsegel setzen ließ. Bei der frischen Brise mußte der »James-Cook« dann bald wieder einholen, was er auf der Flucht nach Osten verloren hatte.

Das Meer beruhigte sich freilich nicht so schnell, wie der Wind. Noch mehrere Stunden dauerte der schwere Wogengang an und die Brigg wurde stampfend und schlingernd in furchtbarer Weise umhergeworfen.

Gegen zehn Uhr brach die Sonne durch die Wolken. Karl Kip nahm eine Messung ihrer Höhe vor. Unter Mitbeachtung einer Mittagsbeobachtung ergab die Berechnung dieses Bestecks, daß das Schiff sich genau auf 150 Grad 17 Minuten westlicher Länge und 13 Grad 27 Minuten südlicher Breite befand.

Eben erschien da Herr Hawkins bei dem Holländer.

»Nehmen Sie meinen Dank, Herr Kip,« sagte er.

Karl Kip verneigte sich schweigend vor dem Reeder.

»Ja, ich danke Ihnen, fuhr dieser fort, danke Ihnen in meinem Namen und in dem der ganzen Besatzung, sowie aller...

– O, ich habe nur getan, was jeder Seemann unter den vorliegenden Umständen auch getan haben würde... Dafür hab' ich wohl keinen besonderen Dank verdient, und ich will nun die Führung dem Kapitän wieder abgeben.

– Nein, das nicht, erklärte Hawkins lauten und so bestimmten Tones, daß es alle hören mußten. In Übereinstimmung mit Nat Gibson bitte ich Sie, den Befehl über unser Schiff beizubehalten.«

Karl Kip machte eine ablehnende Handbewegung, Hawkins fuhr aber fort:

»Es zu führen, gebührt dem, der es gerettet hat!... An Ihnen, Kapitän Kip, ist es also, die Brigg nach Hobart-Town zurückzubringen!«

Da trat noch Flig Balt zorngeröteten Gesichts auf Hawkins zu, um seinen Einspruch gegen diese Änderung vorzubringen.

»Zum Kapitän des ›James-Cook‹ hatten Sie mich ernannt, und ich bestehe darauf, das bis zum Eintreffen im Bestimmungsorte zu bleiben!

– Es gibt keinen anderen Kapitän, verstehen Sie, Balt, als den, den ich als Reeder und Eigentümer dieses Schiffes dazu wähle, erwiderte Hawkins, dessen Entschluß unverrückbar feststand. Ich habe mich überzeugt, daß Sie den Pflichten eines solchen nicht gewachsen sind. In Zukunft ist der Kapitän Kip Herr an Bord... der Herr nächst Gott...

[213] – Ich werde meine Ansprüche vor den Seebehörden in Hobart-Town anhängig machen, erwiderte Flig Balt.

– Das steht Ihnen frei, antwortete der Reeder.

– Ich bin regelrecht ernannt worden, und...

– Genug, Flig Balt, schnitt ihm Karl Kip das Wort ab. Kein Wort mehr!... Auf Ihren Posten!... Und was euch betrifft, ihr Matrosen, so hoffe ich auf euere Ergebenheit und eueren Gehorsam!«

So endigte die Befehlshaberschaft des früheren Bootsmannes, und so verschwand ihm die letzte Aussicht, sich des Schiffes zu bemächtigen. Die Matrosen merkten es vom ersten Augenblicke an, daß sie es jetzt mit einem tatkräftigen, entschlossenen Kapitän zu tun hatten, mit einem Seemanne, der keinen Widerstand gegen seine Befehle dulden würde. Hawkins aber konnte sich nur beglückwünschen wegen des Entschlusses, den er im Interesse des »James-Cook« gefaßt hatte.

Ob nun Vin Mod, Len Cannon und dessen Kameraden wohl auf die Ausführung ihrer Pläne verzichteten, oder ob sie nicht noch vor dem Eintreffen in Tasmanien einen Gewaltstreich versuchen würden... wer konnte das wissen?

Auf der Fahrt vom 20. bis zum 27. Dezember ereignete sich nichts Bemerkenswertes. Die Brigg hatte sich schon der Küste Australiens stark genähert. Unter dem Schutze des hohen Landes wurde sie durch einen recht handlichen Wind begünstigt. Eine gut gelungene Beobachtung ergab, daß sie sich seitwärts von Sydney ein wenig über dem dreiundvierzigsten Grade südlicher Breite befand. Am Nachmittage des 30. segelte sie dann schon am Eingange der Baßstraße hin, die Tasmanien vom australischen Festland scheidet.

Dauerten die günstigen Witterungsverhältnisse weiter an, so mußte der »James-Cook« – zur großen Enttäuschung für Flig Balt, Vin Mod und vorzüglich für Len Cannon und die anderen in Dunedin Angeworbenen – binnen drei bis vier Tagen in Sicht von Hobart-Town eintreffen.

Es liegt auf der Hand, daß die Aufregung des Bootsmannes und seiner Spießgesellen dadurch auf den Gipfel getrieben wurde. Mehr und mehr drängte es sie zu einer Meuterei, nicht zu einer versteckten Auflehnung, die durch Überraschung und im Dunkeln ihr Ziel anstrebte, sondern – natürlich noch vor der Ankunft im Hafen – zu einer offenen Empörung, bei der sie alles wagten, um glücklichen Falles alles zu gewinnen.

[214] Karl Kip entging es nicht, daß unter einem Teile der Mannschaft eine Gärung herrschte; er hoffte dieser aber ebenso Herr zu werden, wie er aus dem Sturme in der Gegend der Salomonsinseln als Sieger hervorgegangen war.

Ohne von Hawkins, Nat Gibson und seinem Bruder zu reden, konnte Karl Kip ja übrigens auf die treuen und ergebenen drei Matrosen Hobbes. Wickley und Burnes auf jeden Fall rechnen.

Über Vin Mod, der die anderen wohl zu hetzen, sich dann aber vorsichtig zurückzuziehen pflegte, blieb der neue Kapitän zunächst noch etwas im Unklaren. Bezüglich Len Cannons, Kyles, Sextons, Bryces und des Kochs Koa stand seine Ansicht dagegen schon längst fest.

Für Karl Kip war es also eigentlich keine Überraschung, als die Meuterei an Bord des »James-Cook« am Abend des 30. wirklich zum Ausbruche kam. Flig Balt, der die anderen aneiferte, wollte sich den Eingang zum Deckhause erzwingen, um daraus die Waffen zu rauben. Dann gedachten die Meuterer sich zunächst auf die Gebrüder Kip zu stürzen und nachdem sie sich dieser entledigt hätten, Hawkins, Nat Gibson und die drei Matrosen mit Gewalt widerstandsunfähig zu machen... damit wären sie endlich die Herren des Schiffes geworden.

Die Haltung und Entschlossenheit Karl Kips vereitelten diesen Plan aber von vornherein. Er stürzte sich unter die Aufrührer, packte den auf ihn zustürmenden Len Cannon an der Kehle und hielt ihm seinen Revolver entgegen. Noch eine Bewegung, und es wäre um den Schurken geschehen gewesen.

Gleichzeitig bemächtigten sich Nat Gibson, Hawkins, Hobbes, Wickley und Burnes der anderen Burschen, während Pieter Kip, der mit Flig Balt handgemein geworden war, diesem das große Messer entriß, womit er sich bewaffnet hatte.

Der Kampf dauerte kaum eine Minute. Wie konnten auch sechs Mann – Vin Mod hatte sich klüglich zurückgehalten – mit sieben Männern fertig werden, die sie nicht einmal zu überraschen vermocht hatten!

Karl Kip befand sich in der Lage berechtigter Notwehr. Er hätte dem Bootsmanne ungestraft den Schädel zerschmettern können, und hätte es wohl auch getan, wenn nicht Hawkins noch dazwischen getreten wäre. Dieser fiel ihm aber in den Arm, weil er Flig Balt lieber dem ordentlichen Gerichte überliefert sehen wollte, sobald die Brigg in den Hafen von Hobart-Town eingelaufen wäre.

[215] Flig Balt wurde deshalb in den Frachtraum eingesperrt und hier mit noch zwei anderen, die sich am gewalttätigsten gezeigt hatten – mit Len Cannon und Kyle – in Eisen gelegt.


Bai von Sydney.

Die Sicherheit der Brigg war damit bis zur Beendigung der Fahrt gewährleistet.

Die Reise sollte überhaupt nur noch sechzig Stunden dauern, und Karl Kip konnte die Arme der drei Gefesselten voraussichtlich entbehren. Die Gegend hier war übrigens sehr belebt. Küstenfahrer sieht man überall längs des Ostufers Tasmaniens und trifft nahe dem Eingange zur Baßstraße ganze Flottillen von[216] kleinen Booten. Es wäre also leicht genug gewesen, gegen Tagelohn einige Matrosen zur Vervollständigung der Mannschaft anzuwerben, wenn Karl Kip sich gezwungen sähe, mit Strenge auch gegen die anderen Genossen Len Cannons vorzugehen, die ja wegen ihres Anteils an der unterdrückten Meuterei verdächtig genug erschienen.

Karl Kip untersagte ihnen übrigens jeden Verkehr mit den Gefangenen. Diese verließen den Raum des »James-Cook« nur, um in das Seemannsgefängnis von Hobart-Town einzuziehen. Nur zwei Stunden des Nachmittags durften sie jetzt das Deck betreten, und dabei war es jedem strengstens verboten, auch nur ein einziges Wort mit ihnen zu wechseln. Ihre Nahrung trug ihnen Jim zu, und auf den Schiffsjungen konnte man sich bei seiner Anhänglichkeit an Hawkins und Nat Gibson auf jeden Fall verlassen.

Vin Mod war es also, so lebhaft er es auch wünschte, ganz unmöglich, mit Flig Balt in Verbindung zu treten, ob er ihm nun das oder jenes anraten oder ihm sein Verhalten vor den Schranken des Gerichtes vorschreiben wollte. Er sah sich eben zu sorgsam überwacht. Bei dem geringsten verdächtigen Benehmen wäre er ebenfalls eingesperrt worden, und ihm kam es doch zweifellos vor allem darauf an, nach der Landung in Hobart-Town völlige Handelnsfreiheit zu haben.

Bei günstigem Winde und ruhigem Wetter ging die Fahrt unter den erwünschtesten Umständen weiter. Karl Kip blieb es auch erspart, Ersatzmannschaften aufzunehmen, um das Schiff in den Hafen zu führen.

Alles in allem konnte sich Hawkins nur beglückwünschen, den unwürdigen Bootsmann durch einen Kapitän wie Karl Kip abgelöst zu haben.

Als die Brigg das Kap Pillar am südlichsten Ausläufer Tasmaniens in Sicht bekam, mußte sie gegen den Wind segeln und sogar lavieren, um zuerst diese Landspitze und dann, weiter im Westen, das Kap Raoul zu umschiffen. Von hier aus erforderte es vierundzwanzig Stunden, nach der Storm-Bai zu gelangen, die so tief in diesen Teil der tasmanischen Küste einschneidet. Die Gestaltung hoch aufsteigender Länder verändert oft die Richtung atmosphärischer Strömungen. Auch der »James-Cook« traf jetzt am Eingang zur Storm-Bai eine ziemlich frische südöstliche Brise an. Er durchschnitt die Bai von Süden nach Norden infolgedessen mit vollen Segeln, steuerte auf die Mündung des Derwentflusses zu und ging am 2. Januar Nachmittag gegen drei Uhr im Hafen von Hobart-Town glücklich vor Anker.


Ende des ersten Bandes. [217]


2. Band

1. Kapitel
[218]
Erstes Kapitel.
Hobart-Town.

Tasmanien, 1642 von dem Holländer Abel Tasman entdeckt, trank 1772 das Blut des Franzosen Marion, wurde 1784 von Cook, 1793 von Entrecasteaux besucht und endlich von einem gewissen Baß, einem Arzte der australischen Kolonie, als Insel erkannt. Anfänglich führte es den Namen Van Diemensland, zu Ehren des Statthalters von Batavia, der Hauptstadt des Kolonialgebietes der Niederlande im äußersten Osten.

Als dann englische Einwanderer 1804 seinen Hauptort Hobart-Town gründeten, ging es in den Besitz Großbritanniens über.

Nachdem die Insel politisch zuerst Neusüdwales, einer der Provinzen des südlichen Australiens, angegliedert gewesen war – von dem es übrigens nur durch die hundertfünfzig (englische) Meilen breite Baßstraße getrennt ist – löste sich Van Diemensland später von diesem ab und hat seit dieser Zeit, wie die meisten überseeischen Besitzungen Englands, unter der Oberhoheit der Krone seine Unabhängigkeit zu wahren gewußt.

Es bildet eine fast dreieckige Insel, die vom 43. Grade südlicher Breite und vom 147. Grade östlicher Länge von Greenwich durchschnitten wird. Die Insel ist ziemlich groß, denn sie mißt ungefähr hundertfünfundsiebzig Meilen (280 km) bei fünfzig Meilen (80 km), sie ist auch recht fruchtbar, denn man erntet hier alle Erzeugnisse der gemäßigten Zone in reicher Menge. In neun Kreise geteilt, hat sie zwei Hauptorte, Hobart-Town und Lawncestou (früher Port Dalrymple), den einen an der nördlichen, den anderen an der südlichen Küste und beide verbunden durch eine vortreffliche Landstraße, die einst von australischen Strafgefangenen erbaut worden war.

Tatsächlich waren Deportierte die ersten Bewohner Tasmaniens, wo bald sehr umfängliche Strafanstalten entstanden, darunter die von Port-Arthur. Jetzt ist es, dank dem kolonisatorischen Geschick Großbritanniens, eine Heimstätte freier Menschen, wo die Zivilisation tiefe Wurzeln da geschlagen hat, während früher hier die schlimmste Wildheit herrschte.

[219] Übrigens ist die eingeborne Bevölkerung vollständig verschwunden. Im Jahre 1884 konnte man als ethnologische Merkwürdigkeit den letzten Tasmanier, richtiger die letzte Tasmanierin, eine alte Frau vom Lande, zeigen. Von jenen geistig beschränkten und wilden, auf der untersten Stufe der Menschheit stehenden Negern ist kein einziger Vertreter mehr vorhanden, und dasselbe Schicksal wartet ohne Zweifel ihrer Stammesgenossen in Australien unter der mächtigen Hand Großbritanniens.

Hobart-Town liegt neun Meilen (14∙6 km) von der Mündung des Flusses Derwent und im Hintergrunde der kleinen Bai Sullivan-Cove. Es ist regelmäßig, vielleicht gar zu regelmäßig angelegt, nach dem Vorbilde amerikanischer Städte, deren Straßen sich alle rechtwinkelig schneiden; seine Umgebungen sind aber höchst malerisch mit ihren tiefen Tälern und ihren dichten, von hohen Bergen überragten Wäldern. Daneben bezeugen die auffallende Zerrissenheit des Ufers um die Storm-Bai, die vielen Landspitzen der Insel Coqueville und die merkwürdigen Einschnitte in die Halbinsel Tasman die Gewalt der tellurischen Kräfte in der plutonischen Bildungszeit.

Der Hafen von Hobart-Town ist gegen die Seewinde sehr gut geschützt; überall hat er hinreichende Tiefe und bietet auf einer Reede sichere Ankerplätze. Er wird durch eine lange Mole verteidigt, die die Wogen ebenso unschädlich macht, wie ein Wellenbrecher, und der »James-Cook« fand hier seinen gewohnten Platz gegenüber dem Kontor des Hawkinsschen Hauses.

Hobart-Town zählt nur fünf- bis sechsundzwanzigtausend Einwohner. In der kleinen Welt von Reedern, Händlern und Schiffsagenten, die in der ausschließlich handeltreibenden Stadt die erste Rolle spielen, sind alle miteinander bekannt. Hat sich die Neigung zu wissenschaftlichen, künstlerischen und literarischen Studien in der lebhaften Stadt auch recht anerkennenswert entwickelt, so kommt dem Handel doch die größte Bedeutung zu.

Der Boden Tasmaniens ist von erstaunlicher Fruchtbarkeit, die Wälder hier mit den allerverschiedensten Baumarten sind sozusagen unerschöpflich. Seiner geographischen Lage nach der Spaniens auf der nördlichen Halbkugel entsprechend, liefert das Land Getreide, Kaffee, Tee, Zucker, Tabak, Faserstoffe, Wolle, Baumwolle, Wein und Bier. In allen Teilen der Insel steht die Viehzucht in Blüte, und an Obst jeder Art gibt es einen solchen Überfluß, daß man sagen könnte: Tasmanien würde hinreichen, die ganze übrige Welt mit Fruchtkonserven zu versorgen.

[220] Hawkins nahm, wie der Leser weiß, unter den Großhändlern von Hobart-Town eine sehr geachtete Stellung ein. Sein Haus, dem auch Gibson als Teilhaber und als Kapitän für die Große Küstenfahrt angehört hatte, erfreute sich der Achtung und Teilnahme der weitesten Kreise. Das Unglück, das die Firma betroffen hatte, mußte also einen schmerzlichen Widerhall finden. Noch bevor der »James-Cook« seine Haltetaue ans Land gebracht hatte, wußte auch schon die ganze Stadt, daß sich an Bord ein Unglück zugetragen haben müsse.

Gleich beim ersten Auftauchen der Brigg im Eingange zum Sullivan-Cove hatte ein Kontorgehilfe Frau Hawkins davon benachrichtigt. In Begleitung ihrer Freundin, der Frau Gibson, war die Dame sofort nach dem Hafen geeilt. Beide wollten zur Stelle sein, wenn der »James-Cook« am Kai festmachte.

Einzelne, hier bereits anwesende Leute beklagten schon das Erscheinen der beiden Damen. Hier war keine Täuschung möglich: statt am Ende der Gaffel, wehte die britische Flagge in Schau, d. h. in der Mitte der Trisse.

Mehrere Seeleute, die auf dem Molo standen, sprachen eben über den ungewohnten Anblick.

»Da hat sich ein Unfall ereignet!

– Wahrscheinlich ist während der Fahrt ein Matrose umgekommen...

– Ohne Zweifel ist ein Mann im Meere begraben worden.

– Wenn nicht gar der Kapitän selbst!

– Hatte der ›James-Cook‹ auch Passagiere an Bord?

– Jawohl... nach dem, was man gehört hat, wird er in Wellington Herrn Hawkins und den jungen Gibson aufgenommen haben.

– Sollte man wegen eines Mannes von der Besatzung die Flagge in Schau führen?

– Gewiß. Warum denn nicht?«...

Frau Hawkins und Frau Gibson waren mit den seemännischen Gewohnheiten nicht so bekannt, daß ihnen gleich aufgefallen wäre, was die Leute am Hafen verwunderte. Jedermann hütete sich auch, sie darauf aufmerksam zu machen, schon aus Besorgnis, sie vielleicht unnötigerweise zu beunruhigen.

Als die Brigg aber am Kai lag und Frau Gibson in dem Kapitän, der die letzten Manöver leitete, nicht ihren Gatten erkannte, als sie ihren Sohn nicht herbeieilen sah, sie in die Arme zu schließen, und als sie diesen vielmehr mit erschlafften Gesichtszügen auf dem Hinterdeck sitzen sah, während er kaum wagte, einen Blick auf seine Mutter zu richten, und als sie noch neben dem jungen [221] Manne auch Hawkins schmerzgebeugt stehen sah, da entrang sich ihr unwillkürlich der Ausruf:

»Harry!... Wo ist Harry?«

Eine Minute später war Nat Gibson an ihrer Seite, preßte sie an sein Herz und erstickte sie tief seufzend mit seinen Küssen. Da vernahm sie denn das entsetzliche Unglück, das sie getroffen hatte. Mit kaum verständlicher Stimme flüsterte die Ärmste noch einige Worte und wäre dann zusammengebrochen, wenn Hawkins sie nicht gehalten hätte.

»Tot! sagte der Reeder.

– Tote wiederholte Frau Hawkins erschüttert.

– Tot... ermordet!«

Man ließ einen Wagen kommen, in den die bewußtlose Frau Gibson neben Frau Hawkins gelegt wurde. Hawkins und Nat Gibson nahmen den Frauen gegenüber Platz. Der Wagen fuhr um den Hafen herum und dann nach dem Hause, wohin der Sohn zurückkehrte, das aber der Vater nie wieder betreten sollte. Die unglückliche Witwe wurde nach ihrem Zimmer gebracht, ohne daß sie bis dahin das Bewußtsein wieder erlangte. Eine volle Stunde verging noch, ehe sie auf das Schluchzen ihres Sohnes mit ihren Tränen antworten konnte.

Die traurige Neuigkeit verbreitete sich mit Blitzesschnelle in der ganzen Stadt. Überall erregte sie die größte Bestürzung, so innig war die Teilnahme an dem Geschick der angesehenen Familie Gibson. Es gibt auch kaum etwas Ergreifenderes, als die Rückkehr eines Schiffes in den Heimathafen, das seinen Kapitän nicht wieder mitbringt.

Vor dem Weggange von der Brigg hatte der Reeder den älteren Kip noch ersucht, seine Obliegenheiten während des Ausladens und bis zur Abrüstung des »James-Cook« beizubehalten. Das konnte nur wenige Tage beanspruchen, und die beiden Brüder sollten so lange an Bord wohnen bleiben. Sie waren deswegen ja nicht behindert, ein nach Europa bestimmtes Schiff zu suchen, und Hawkins wollte sie überdies über die bevorstehenden Abfahrten auf dem Laufenden halten.

Karl und Pieter Kip nahmen gern den Vorschlag des Reeders an, der sie auch am nächsten Tage in die Geschäftsverbindungen seines Hauses aufzunehmen gedachte.

Karl Kips erste Sorge war es nun, den Hafenkapitän holen zu lassen, um wegen Flig Balts und dessen Genossen die nötigen Maßregeln zu ergreifen.

[222] In kurzer Zeit erschien der Offizier, und nachdem er gehört hatte, daß unter den uns bekannten Umständen eine Meuterei an Bord ausgebrochen war, fragte er zunächst:

»Der Bootsmann liegt in Eisen?

– Nebst zwei Matrosen, die in Dunedin angemustert worden waren, antwortete Karl Kip.

– Und die übrigen Leute?...

– Bis auf drei oder vier, die ich sofort ablohnen werde, kann ich mich auf sie verlassen.

– Gut, mein Herr, sagte der Offizier, ich werde Ihnen einige Konstabler schicken, und die Meuterer sollen in das Hafengefängnis gebracht werden.«

Eine Viertelstunde später trafen die Polizisten ein, die sich auf dem Verdeck neben der Luke aufstellten.

Flig Balt, Len Cannon und Kyle wurden nun aus dem Raume herausgeholt und aufs Deck geführt.

Mit aufeinander gepreßten Zähnen und ohne ein Wort zu äußern, begnügte sich der Bootsmann, Karl Kip einen haßerfüllten und rachedrohenden Blick zuzuschleudern. Der hitzigere Len Cannon drohte ihm mit der Faust und überschüttete ihn mit einer solchen Flut von Beleidigungen, daß einer der Konstabler ihn knebeln mußte.

Inzwischen erhob sich der hinter dem Gangspill kauernde Vin Mod ohne bemerkt zu werden, bis zum Ohre Flig Balts und flüsterte diesem so, daß es niemand hören konnte, einige Worte zu.

»Noch ist nicht alles zu Ende!... Haltet euch nach unserer Verabredung... man wird die Papiere und das Geld finden...«

Offenbar hatte sich Vin Mod, trotz der seit der Einsperrung des Bootsmannes getroffenen Vorsichtsmaßregeln, mit diesem in Verbindung setzen können. Dabei war ein Plan verabredet worden, nach dem Flig Balt sich richten sollte. Er antwortete auch auf die Einflüsterungen seines Kumpans mit einem zusagenden Zeichen.

Als die Konstabler sich anschickten, die drei Gefangenen abzuführen, entstand in der aus Sexton, Bryce und dem Koche Koa bestehenden Gruppe ein unwilliges Gemurmel. Die Burschen wurden zwar sofort zum Schweigen gebracht, doch fehlte nicht viel daran, daß Karl Kip die beiden Neuangeworbenen ihren Spießgesellen nachgeschickt hätte.

[223] Flig Balt, Len Cannon und Kyle wurden nun nach dem Kai befördert und verfolgt von einer sie bedrohenden Menge in das Hafengefängnis abgeführt, wo sie bis zu ihrem Erscheinen vor dem Seegerichte in Hast bleiben sollten.

Gleich nach diesem unerquicklichen Vorgange ließ Karl Kip die übrigen Verdächtigen, Vin Mod, Sexton, Bryce und den Koch zu sich rufen. Ohne weitere Erklärungen gab er ihnen den Abschied mit dem ausdrücklichen Verbote, das Schiff, aus welchem Grunde es auch sei, je wieder zu betreten. Sie sollten sich nur nach dem Kontore des Reeders begeben, wo dieser mit ihnen abrechnen werde.

Vin Mod fügte sich dieser Anordnung, die ihm ohne Zweifel gelegen kam. Er begab sich nach dem Volkslogis und erschien mit seinem Seemannssacke wieder auf dem Deck. Bezüglich Sextons und Bryces erinnert sich der Leser, unter welchen Umständen diese in Dunedin angetreten waren, um nach den Vorfällen in den »Three-Magpies« der Polizei zu entfliehen... sie trugen, was sie besaßen, auf dem Leibe.

»Kommt mit!« rief Vin Mod ihnen zu.

Sie folgten dem Matrosen, der sie erst nach dem Kontore des Reeders und dann zu einem ihm bekannten Schlafbaas führte, wo alle drei Quartier nahmen.

Mit Hobbes, Wickley, Burnes und Jim hatte Karl Kip nun nichts mehr zu fürchten. Diese wackeren Leute genügten für die Arbeiten an Bord. Nach Löschung seiner Fracht sollte der »James-Cook« zeitweilig abgetakelt werden.

Welche Nacht Nat Gibson neben seiner Mutter verbrachte, das kann man sich wohl ausmalen. Frau Hawkins hatte die unglückliche Freundin nicht verlassen wollen und widmete dieser die zärtlichste Pflege, während sie ihr tröstend zusprach. Man hatte ihr den ganzen tiefschmerzlichen Vorfall erzählen, hatte ihr mitteilen müssen, unter welchen Umständen der unglückliche Kapitän getötet worden war, ohne daß man eine Spur des Mörders hatte verfolgen können. Sie wollte genau wissen, an welcher Stelle des kleinen Friedhofs von Kerawara ihr geliebter Gatte ruhte, auch verlangte sie die Photographien zu sehen, die Hawkins aufgenommen hatte, und man mußte, wenn auch ungern, ihrem Verlangen willfahren. Und als sie das treue Bild des Kapitäns, seine von der Klinge des Dolches in der Herzgegend durchbohrte Brust und seine weit offenen Augen erblickte, die auf sie gerichtet schienen, da verfiel sie in einen so heftigen Weinkrampf, daß man sie diese gar nicht endenwollende Nacht sorgsamst überwachen mußte.

[224] [227]Am nächsten Morgen wurde ein Arzt gerufen, und seine Anordnungen brachten der Frau Gibson wenigstens einige Beruhigung, doch welch trauriges Leben erwartete sie nun in dem seines Oberhauptes beraubten Hause.

Langsam verstrichen einige Tage. Unter der Leitung Karl Kips war die Löschung der Fracht der Brigg beendigt worden.


»Haltet euch nach unserer Verabredung...« (S. 223.)

Die dreihundert Tonnen Koprah und die Kisten mit Perlmutter lagen in den Schuppen des Kontors. Die Matrosen waren nur noch beschäftigt, das Fahrzeug abzurüsten, die Raaen von den Masten niederzuholen, die Trissen und das übrige laufende Gut zu verstauen, und eine gründliche Reinigung des Frachtraumes, des Volkslogis und des Deckhauses, sowie des Decks selbst zu besorgen. Der »James-Cook« sollte vor Ablauf mehrerer Monate nicht wieder in See gehen; als die Mannschaft dann ihren Sold erhalten hatte, bugsierte man das Schiff nach dem Hintergrunde des Hafens, wo es unter Aufsicht eines Wächters liegen blieb.

Die Gebrüder Kip mußten nun eine Wohnung in der Stadt beziehen. Natürlich blieben sie mit dem Reeder in täglicher Verbindung, und wiederholt nahmen sie an der Tafel der Frau Hawkins Platz, die die Zuneigung ihres Gatten für die beiden Holländer teilte und nicht müde wurde, ihnen ihre warme Teilnahme zu bezeugen.

Frau Gibson empfing keinen Menschen. Davon machte sie nur ein- oder zweimal eine Ausnahme bezüglich der beiden Brüder, die ihr gegenüber die zarteste Zurückhaltung wahrten. Nat Gibson begab sich mehrmals an Bord und konnte sich hier den Danksagungen des Reeders nur rückhaltlos anschließen.

Am 7. Januar, noch ehe Karl und Pieter Kip das Schiff verlassen hatten, knüpfte er mit ihnen ein Gespräch über ihre derzeitige Lage an, um ihnen einige Vorschläge zu machen.

»Lieber Herr Kip, begann er, sich an den älteren Bruder wendend, mit höchster Anerkennung gedenke ich Ihrer Ergebenheit und Ihres Eifers bei den unglücklichen Verhältnissen, in denen sich unser Schiff befunden hat. Wir verdanken Ihnen dessen Rettung und die seiner Insassen. Ohne Sie wär' es wahrscheinlich bei dem Sturme im Korallenmeer elend zu Grunde gegangen.

– Es gereicht mir zur großen Genugtuung, Herr Hawkins, wenn ich mich einigermaßen habe nützlich machen können...

– Und ich bin Ihnen dafür dankbar verbunden, versicherte der Reeder. Hätte der »James-Cook« schon in der nächsten Zeit wieder abfahren sollen, so würde ich Sie ersucht haben, dessen Führung auch weiter zu behalten.

[227] – Sie sind zu gütig, Herr Hawkins, und ich fühle mich durch Ihre Worte sehr geehrt. Einen solchen Vorschlag würde ich auch ohne Zögern angenommen haben, wenn uns, meinen Bruder und mich, nicht wichtige und höchst dringliche Angelegenheiten nötigten, so schnell wie möglich heimzukehren.

– Ja, so ist es, Herr Hawkins, setzte Pieter Kip hinzu, wir müssen schleunigst ein Schiff zu finden suchen, das nach Europa abgeht.

– Das begreif' ich, meine Herren, antwortete Hawkins, die Trennung von Ihnen, vielleicht auf Nimmerwiedersehen, wird uns aber schwer genug werden.

– O... wer weiß? meinte Karl Kip. Warum sollten sich, nach Ordnung unserer Angelegenheiten in Groningen, die unsere Anwesenheit dort unumgänglich notwendig macht, warum sollten sich nicht später angenehme Handelsverbindungen zwischen unseren beiden Häusern entwickeln?

– Ich wünsche es dringend, erklärte der Reeder, und werde mich glücklich schätzen, wenn es sich erst verwirklicht...

– Und wir nicht minder, fiel Karl Kip ein. Was mich betrifft, werde ich einen Reedereianteil zu erwerben suchen, sobald unsere Liquidation beendet ist, und dann wär' es ja möglich, daß ich auch noch einmal nach Hobart-Town käme.

– Wo man Sie stets als Freund empfangen wird, versicherte Hawkins in herzlichstem Tone. Es versteht sich von selbst, meine Herren, daß meine Kasse zu Ihrer Verfügung steht. Sie haben Ihr gesamtes Besitztum beim Schiffbruche der ›Wilhelmina‹ eingebüßt, und alles, was Sie in Hobart-Town irgend nötig haben... o, keinen Widerspruch... wir rechnen später miteinander ab, nicht wahr?

– Wir danken Ihnen für so viel Wohlwollen, Herr Hawkins, antwortete Karl Kip, ich hoffe aber wir werden davon keinen Gebrauch zu machen haben. Vielleicht finde ich Gelegenheit, auf dem Schiffe, das uns nach Europa bringen soll, als Obersteuermann anzutreten, und dann würde mein Sold ausreichen, die Fahrt meines Bruders zu bezahlen.

– Ganz gut und schön, Herr Kip; wenn sich eine solche Gelegenheit aber nicht bietet, so erinnern Sie sich daran, daß ich zu Ihrer Verfügung stehe.«

Die beiden Brüder antworteten nur durch einen warmen Händedruck.

»Auf jeden Fall, nahm der Reeder wieder das Wort, schulde ich Ihnen, Herr Karl Kip, noch Ihr Kapitänshonorar für den letzten Teil der Fahrt des »James-Cook« und eine Ablehnung Ihrerseits lass' ich auf keinen Fall gelten.

[228] – Nun gut, Herr Hawkins, erwiderte Karl Kip, wir können dagegen aber auch den Empfang nicht vergessen, der uns von Ihnen zu teil geworden ist. Sie haben sich zwei Schiffbrüchigen gegenüber als warmherziger Mann erwiesen, und wir bleiben, was auch kommen möge, Ihre Schuldner!«

Hawkins versprach noch, sich um eine Fahrgelegenheit für die beiden Brüder zu bemühen. Er werde sie über das Auslaufen geeigneter Schiffe unterrichten und sich für die Anstellung Karl Kips als Obersteuermann verwenden, was es ihnen ja ermöglichen mußte, nach Europa heimzukehren, ohne – da sie es so wünschten – deshalb jemand anders in Anspruch zu nehmen.

Hierauf trennten sich der Reeder und die Gebrüder Kip, nachdem sie einander noch ihre Ergebenheit und Dankbarkeit in warmen Worten versichert hatten.

Karl und Pieter Kip suchten nun nach einem bescheidenen Hotel, wo sie bis zur Abreise von Hobart-Town wohnen könnten. Das gab ihnen Gelegenheit, diese Stadt eingehender zu besichtigen, nach der der ältere der Brüder bei seinen weiten Seefahrten noch niemals gekommen war.

Unzweifelhaft verdient die Hauptstadt Tasmaniens die Bewunderung der Touristen. Sie ist eine der hübschesten Städte des britischen Australiens. Ihre Straßen sind breit, lustig, gut unterhalten und mit kühlen Schatten spendenden Bäumen geschmückt, und ihre, wenn auch nur kleinen Häuser bieten einen angenehmen Anblick. An grünen, öffentlichen Plätzen fehlt es hier nicht, und dazu kommt noch ein herrlicher, vierhundert Hektar großer Park, östlich vom Mount Wellington, dessen schneeige Gipfel sich dicht daneben in den Wolken verlieren.

Bei ihren Spaziergängen begegneten Karl und Pieter Kip auch wiederholt einigen Matrosen vom »James-Cook«, unter anderen Vin Mod und Bryce. Suchten die auch wieder auf einem Schiffe Stellung oder wollten sie eine Zeitlang auf dem Lande bleiben? Jedenfalls schien es, als ob gerade die beiden genannten sich nicht von einander trennen könnten, denn stets sah man sie zusammen durch die Straßen schlendern. Karl und Pieter Kip hatten aber nicht bemerkt, daß die beiden ihnen unausgesetzt bei ihrer Aufsuchung eines Unterkommens nachfolgten.

Offenbar interessierte diese Frage die beiden Matrosen nicht wenig, und die Gebrüder Kip hätten daran gar nicht zweifeln können, wenn sie die Worte gehört hätten, die zwischen jenen wiederholt gewechselt wurden.

[229] »Sie kommen aber auch niemals damit zu Ende... scheinen sehr anspruchsvoll in der Wahl eines Hotels zu sein, meinte Vin Mod.

– Und haben doch nichts oder nur blutwenig in der Tasche, bemerkte Bryce.

– Wenigstens wenn nicht der Kerl von Reeder – den der Kuckuck holen möge – sie ihnen frisch gefüllt...

– Oder ihnen nicht gar angeboten hat, in seinem Hause zu wohnen, fiel Bryce ein.

– Nein, davon ist keine Rede! rief Vin Mod. Ich wäre lieber erbötig, für sie, wo es immer sei, ein hübsches Zimmer mit zehn Schilling täglich zu bezahlen!«

Aus diesem Zwiegespäch Vin Mods und Bryces geht zweierlei hervor: erstens, daß ihnen viel daran lag, zu wissen, wo die Gebrüder Kip nach der Abtakelung der Brigg wohnen würden, und zweitens, daß es ihre Pläne arg durchkreuzen würde, wenn Hawkins ihnen Unterkunft in seinem eigenen Hause anböte.

Ihre Pläne?... Welche?... Offenbar hatten sie gegen Karl und Pieter Kip einen Schurkenstreich im Sinne, zu dessen Ausführung es nötig war, bei den Brüdern einzudringen.

War das im Notfalle möglich, wenn diese in einem Hotel wohnten, so erschien es kaum möglich, wenn Hawkins sie in seinem Hause aufnahm und sie bis zur Abreise daselbst blieben.

Das war also der Grund ihrer unausgesetzten Beobachtung der beiden Brüder, wobei sie sich kaum darum bekümmerten, gesehen zu werden oder nicht. Am 8. Januar sollten sie endlich ihre Wißbegier befriedigt sehen.

Am Morgen dieses Tages begleitete der Matrose Burnes, beladen mit dem vom Wrack der »Wilhelmina« geretteten Reisesack, der alle Habseligkeiten Karl und Pieter Kips enthielt, die beiden Holländer nach einer Straße in der Nähe des Hafens.

Hier hatten diese, nicht in einem Hotel, sondern in einem sehr bescheidenen, doch sauber aussehenden Gasthofe ein einziges Zimmer im ersten Stockwerke als Wohnung gewählt.

Vin Mod konnte sich gleich danach darüber Gewißheit verschaffen, und als er mit Bryce, der ihn auf dem Kai erwartete, wieder zusammentraf, sagte er:

»Fleet street, Gasthof zum Great Old Man... nun haben wir sie!«

[230]
2. Kapitel
Zweites Kapitel.
Zukunftspläne.

Das Unglück, das die Familie Gibson so grausam heimgesucht hatte, bewirkte zunächst, daß Hawkins seine früher entworfenen Pläne änderte.

Wie wir wissen, hatte sich der Reeder in der Absicht, seinen Geschäftskreis zu erweitern, nach Neuseeland begeben, um hier mit Herrn Balfour, einem in Wellington hochgeachteten Kaufmanne, noch ein neues Kontor zu begründen. Nat Gibson, der ihn auf dieser Reise begleitete, sollte neben Balfour als Teilhaber eintreten. In der nächsten Zeit gedachte man dann die Handelsbeziehungen des Hauses, besonders im Bismarck-Archipel, weiter auszudehnen und zu vermehren. Herr Zieger, der bei dem Aufenthalte des »James-Cook« in Tombara darum befragt worden war, wünschte nichts mehr, als mit dem neuen Kontor in Verkehr zu treten, und sicherte diesem auch laufende und umfangreiche Geschäfte zu. Eines der Schiffe der Firma Hawkins sollte dann ausschließlich zur Großen Küstenfahrt zwischen Wellington und Port-Praslin Verwendung finden.

In Wellington war es ja auch gewesen wo Harry Gibson seinen Sohn und Herrn Hawkins abgeholt hatte, um sie nach Vervollständigung seiner Fracht im Bismarck-Archipel nach Hobart-Town zurückzubringen. Nach seiner Rückkehr von Tasmanien sollte Nat Gibson dann in der Hauptstadt Neuseelands seine dauernde Stellung antreten.

Jetzt, wo der Kapitän Gibson in der geschilderten, geheimnisvollen Weise umgekommen war, konnte von der Ausführung dieses Planes nicht mehr die Rede sein; Frau Gibson hätte sich nicht mit dem Gedanken befreunden können, von ihrem Sohne getrennt zu sein, und auch Nat Gibson hätte nicht zugestimmt, von seiner Mutter fortzugehen und sie allein in dem verwaisten Vaterhause zurückzulassen. Alle Freundschaft, alle Ergebenheit des Herrn und der Frau Hawkins hätten der trostlosen Witwe keinen genügenden Ersatz geboten. Jedenfalls mußte ihr Sohn bei ihr bleiben, damit sie sich an dessen Liebe und an der Muttersorge für ihn wieder aufrichten lernte. Der Reeder war der erste, der das einsah. Er wollte sich mit Herrn Balfour ins Einvernehmen setzen und [231] für diesen einen anderen Geschäftsteilhaber suchen, während Nat Gibson ihn im Kontore von Hobart-Town unterstützen sollte.

»Lieber Nat, sagte er zu diesem, ich habe dich von jeher fast als eigenes Kind betrachtet, und jetzt wünsche ich, daß du das noch mehr seiest als früher. – O... ich werde meinen unglücklichen Freund niemals vergessen...

– Meinen Vater, meinen armen Vater! murmelte der junge Mann. Und nicht einmal die zu kennen, die ihn getötet haben!...«

Durch seinen Schmerz und sein Schluchzen brach immer der Durst nach Vergeltung hervor, die er nicht hatte üben können.

»Die Elenden! rief er. Man soll also niemals erfahren, wer sie sind, und der abscheuliche Meuchelmord soll voraussichtlich ungesühnt bleiben!

– Warten wir erst die nächste Post von Port-Praslin ab, antwortete Hawkins beruhigend. Vielleicht führen die Nachforschungen der Herren Hamburg und Zieger doch zu einem nichtigen Ergebnisse. Vielleicht haben sie neue Spuren und Anzeichen gefunden. Nein, ich kann nicht glauben, daß das Verbrechen unbestraft bleiben sollte...

– Und wenn die Mörder entdeckt sind, rief Nat Gibson, dann begeb' ich mich dorthin... ja, ich gehe bestimmt... und ich...«

Er konnte vor zornigem Zittern der Stimme den Satz nicht vollenden.

Bevor diese Freveltat jedoch zur Aburteilung kam – wenn das überhaupt der Fall war – mußte vor dem Seegerichte eine andere Angelegenheit – der Prozeß gegen die Meuterer vom »James-Cook« – verhandelt werden.

In seiner Eigenschaft als Kapitän der Brigg hatte Karl Kip der zuständigen Behörde seinen Bericht überliefert. Flig Balt als Rädelsführer und Len Cannon als Mittäter wurden jedenfalls zu sehr schwerer Strafe verurteilt, denn die englischen Gesetze sind ungemein streng bezüglich der Fälle dieser Art und überhaupt aller der, die die Disziplin an Bord der Handelsmarine betreffen.

Seit ihrer Einsperrung hatten die Verhafteten mit ihren Genossen keinerlei Verbindung mehr gehabt. Sexton, Kyle und Bryce sollten bei dem Strafverfahren nur als Zeugen vernommen werden. Der Bericht beschuldigte sie nicht ausdrücklich der tätigen Teilnahme an dem – dank der Energie des neuen Kapitäns – übrigens so schnell unterdrückten Aufruhr. Möglicherweise weilten sie gar nicht mehr in Hobart-Town, wenn die Verhandlung vor dem Gerichte begann, vielleicht hatten sie sich dann schon aufs neue eingeschifft, und das wäre ihnen natürlich am liebsten gewesen.

[232] [235]Was Vin Mod anging, der ja im Grunde die Seele der Meuterei gewesen war, lag mit diesem arglistigen Burschen, dessen verderblichem Einflusse, der Bootsmann erlegen war, der Fall wesentlich anders. Er sachte sich den Folgen seiner Treibereien nicht durch die Flucht zu entziehen. Seine Verabredung mit Flig Balt würde ja die Probe bestehen, und doch, wer kannte wissen, ob dieser nicht, durch Fragen bedrängt und sich selbst verloren sehend, vielleicht gestehen und die Mitschuld Vin Mods entschleiern würde.


Hobart

Freilich waren sie ja aneinander gekettet wie zwei Galeerensträflinge, verbunden durch das gemeinsam vergossene Blut, das Blut des unglücklichen Harry Gibson.

Da er dem Bootsmanne aber doch eine Schwächeanwandlung zutraute, hatte Vin Mod alles Interesse daran, ihn möglichst zu entlasten, und vielleicht besaß er dazu auch die Mittel. Geistig nicht unbefähigt und um Ausflüchte nie verlegen, wußte er, daß Flig Balt auf ihn rechnete. Gelang es ihm, in der Angelegenheit des »James-Cook« der Gerechtigkeit in den Arm zu fallen, so hatte weder er selbst noch der andere irgend etwas zu fürchten. Wer hätte vermuten können, daß gerade sie die Urheber der Mordtat wären, die in den fernen Gebieten Neuirlands begangen worden war? – Inzwischen konnte Vin Mod in aller Ruhe in Hobart-Town bleiben, und das von dem Kapitän geraubte Geld überhob ihn vorläufig jeder Sorge für seinen Lebensunterhalt.

Übrigens hatte dieser Schurke in Übereinstimmung mit Flig Balt jedenfalls schon vorher einen Plan entworfen, den er gewiß zur Ausführung zu bringen versuchte, da er sich ja völliger Freiheit erfreute. Bei der Unmöglichkeit aber, mit dem Bootsmanne in Verbindung zu treten, sagte er sich, während er seine Idee überdachte und sich seine Absicht vor Augen führte, um jede Störung auszuschließen:

»Wird er mich auch richtig verstanden haben?... Die Sache ist ja so einfach... das würde die Meuterei erklären, würde sie entschuldigen!... O, wenn ich an seiner Stelle wäre!... Freilich wär' ich dann nicht an der meinigen, und da muß ich doch sein. Leider ist er kein Mann von leichtem Begriffsvermögen... man muß ihm alles förmlich eintrichtern!... Doch sollte es denn kein Mittel geben, zu ihm zu gelangen... für mich oder einen anderen, ob Kyle oder Sexton... um ihm zu sagen: Es ist ausgeführt... Es ist freilich notwendig, daß das geschehen ist, spätestens am Tage der Gerichtsverhandlung. Die Brüder würden es dann erst zu spät bemerken. Na... ich werde darüber weiter nachdenken. Vor allem kommt es darauf an, ihn aus der Schlinge zu ziehen... [235] damit rächen wir uns an dem verfluchten Gelegenheits-Kapitän!... Ha, wenn ich den nicht samt seinem Bruder sollte ein Pas de deux am Ende eines Strickes tanzen sehen!«

Und während Vin Mod so für sich grübelte, erbleichte sein Gesicht, seine Augen füllten sich mit Blut und seine Züge verrieten einen unbezähmbaren Haß.

Unzweifelhaft beabsichtigte Vin Mod also einen Schurkenstreich gegen die Gebrüder Kip. Bei dem Zusammentreffen gewisser Umstände erschien es leicht, das in Kerawara begangene Verbrechen so darzustellen, daß auf sie ein schwerer Verdacht fiel. Seit Ankunft der Brigg und seit ihrer Abtakelung hatte Vin Mod deshalb aufmerksam beobachtet, was Karl und Pieter Kip taten. Was es diesen erwünscht sein ließ, so bald wie möglich Hobart-Town zu verlassen und nach Europa zurückzukehren, das war ihm ja bekannt genug. Die Gelegenheit aber, ein Schiff zu finden, das fertig war, in See zu gehen, bot sich, von einem besonderen Zufall abgesehen, sicherlich nicht alle Tage.

Vin Mod wußte überdies, daß Karl Kip eine Anstellung als Obersteuermann suchte und daß Hawkins ihn unterstützte, eine solche zu finden. Das war ein weiterer Anlaß zu Verzögerungen, und jedenfalls würden die beiden Brüder nicht eher abgereist sein, als bis die Seebehörde die Meuterer vom »James-Cook« abgeurteilt hätte... anderenfalls wären Vin Mods Pläne vereitelt gewesen.

Karl Kip mußte bei der bevorstehenden Verhandlung übrigens doch wohl persönlich anwesend sein. Sein Bruder hätte ja vielleicht fehlen können, da zunächst Hawkins, Nat Gibson und die Matrosen der Brigg vor Gericht ihre Aussagen machen mußten. Die Erklärung des Kapitäns blieb aber doch das wichtigste, und er als Hauptzeuge konnte sich also nicht davon befreien, vor den Richtern zu erscheinen.

Vin Mod verstand es überdies, die beiden Brüder während ihres Aufenthaltes in Hobart-Town nicht aus den Augen zu verlieren. Sobald er sich überzeugt hatte, daß sie in den Gasthof zum Great Old Man gezogen waren, sicherte er sich, durch einen falschen Bart verstellt, dort ebenfalls ein Zimmer, bezahlte es für vierzehn Tage im voraus und schrieb sich unter dem falschen Namen Ned Pat ins Fremdenbuch ein. Seinen wahren Namen Vin Mod gab er dagegen in dem Gasthause zu den Fresh-Fishs an, wo sich Sexton, Kyle und Bryce, in einem anderen Stadtteile am Hafen, eingemietet hatten. Als Ned Pat ging er stets sehr frühzeitig aus, kam erst spät zurück und nahm hier auch [236] keine Mahlzeit ein... alles in der Absicht, Karl und Pieter Kip sein Tun und Treiben möglichst zu verheimlichen. Vor allem hütete er sich, den Brüdern in den Weg zu kommen, obgleich ihn diese jetzt wohl kaum erkannt hätten.

Vin Mod hatte sich im Great Old Man ein Zimmer neben dem ihrigen zu verschaffen gewußt, und durch nach einem gemeinschaftlichen Balkon zu gelegenen Fenster mußte es ihm leicht werden, in das der Brüder einzudringen, was er zur Ausführung seines Planes unbedingt wagen mußte.

Vin Mod konnte sogar jedes Gespräch zwischen Karl und Pieter Kip verstehen, wenn er sich nach Einbruch der Dunkelheit auf den Balkon schlich. Die Holländer, die nicht ahnten, belauscht zu werden, sprachen dann nur von persönlichen und völlig harmlosen Dingen, so daß sie nicht einmal die Vorsicht gebrauchten, ihre Stimmen zu dämpfen. Der starken Hitze wegen stand auch in den meisten Fällen das Fenster hinter den Jalousien halb offen.

Am Abend des 13. belauschte er nun, bei strenger Vorsicht, nicht bemerkt zu werden, eine längere Unterhaltung der Brüder. Es war schon völlig finster, eine Petroleumlampe verbreitete in dem Zimmer ein schwaches Licht, und so konnte Vin Mod nicht nur das Gespräch im Zimmer deutlich hören, sondern auch sehen, was darin vorging.

Das Zimmer war nur sehr bescheiden ausgestattet: zwei eiserne Bettstellen an der Längswand, ein ziemlich roher Schrank, ein Tisch in der Mitte, eine dreibeinige Toilette und drei Stühle aus gebogenem Holz, das war alles; im Kamin lag noch ein Haufen alter Asche.

Ein Schemel trug den vom Wrack der »Wilhelmina« geborgenen Reisesack mit allem, was die beiden Brüder jetzt besaßen und sich zum Teil erst in Hobart-Town, beschafft hatten, wie Wäsche und andere kleine Bedürfnisse, die sie für das von der Firma Hawkins erhaltene Geld eingekauft hatten. Einige in gleicher Weise erworbene Kleidungsstücke hingen an einem Kleiderrechen rechts von der Eingangstür, die sich nach dem, mehreren Zimmern gemeinsamen Vorsaale hin öffnete, an dem auch das Vin Mods lag.

Am Tische sitzend, musterte Pieter Kip eben einige, auf das Kontor in Amboina bezügliche Papiere, als sein Bruder fröhlichen Gesichts eintrat.

»Gelungen, Pieter, rief er mit befriedigter Stimme, es ist mir gelungen... unsere Rückfahrt ist nun gesichert!«

Pieter Kip begriff, daß sich diese Worte auf die seit mehreren Tagen angestellten Versuche bezogen, die Stelle eines Obersteuermannes auf einem der [237] holländischen Schiffe zu erhalten, die sich zu bald bevorstehender Abfahrt von Hobart-Town mit der Bestimmung nach Europa rüsteten.

Pieter Kip drückte seinem Bruder glückwünschend die Hände.

»Die Firma Arnemniden hat dich also als Obersteuermann für den ›Skydnam‹ angenommen?

– Jawohl, Pieter, dank der warmen Empfehlung des Herrn Hawkins...

– O, der vortreffliche Mann, dem wir schon so vieles schulden...

– Und der mir da recht hilfreich unter die Arme gegriffen hat! setzte Karl Kip hinzu.

– Auf ihn können wir unter allen Umständen zählen, lieber Karl. Ist er dir auch einigen Dank für dein Auftreten an Bord des ›James-Cook‹ schuldig, wie viel schulden wir ihm für das, was er schon für uns getan hat. Du weißt, wie wir in seiner Familie, und trotz des Unglücks, das sie heimgesucht hat, von der Familie Gibson aufgenommen worden sind!

– Der arme Kapitän, rief Karl Kip, warum fügte es sich so traurig, daß ich an seine Stelle treten mußte! Herr Hawkins ist ganz untröstlich über den Tod seines unglücklichen Freundes! O möchten die verruchten Mörder doch entdeckt und nach Gebühr bestraft werden!

– Das wird geschehen... wird geschehen!« antwortete Pieter Kip.

Auf diese Behauptung hin, die ihm gar so zuversichtlich erschien, begnügte sich Vin Mod mit den Achseln zu zucken.

»Jawohl, Karl Kip, murmelte er, sie werden verurteilt und bestraft werden, vielleicht eher, als du es glaubst!«

Pieter Kip nahm wieder das Wort.

»Hast du dich dem Kapitän des ›Skydnam‹ schon vorgestellt?

– Gleich heut Abend, Pieter, und er hat auf mich den besten Eindruck gemacht. Es ist ein Holländer aus Amsterdam und schien mir ein Mann zu sein, mit dem ich in allem gut auskommen werde. Von den Vorgängen auf dem ›James-Cook‹ unterrichtet, weiß er, wie ich meine Pflichten als Kapitän erfüllt habe, nachdem Flig Balt seiner Führung des Schiffes enthoben war...

– Das genügt nur für diesen nicht, Karl, der Exbootsmann muß unbedingt schwer bestraft werden. Nachdem er die Brigg durch seine Ungeschicklichkeit erst dem Untergange nahe gebracht hatte und er sie dann den Meuterern ausliefern wollte, an deren Spitze er selbst getreten war...

– Das Seegericht wird seiner gewiß nicht schonen, Pieter, verlaß dich darauf!

[238] – Ich habe mich schon wiederholt gefragt, Karl, ob du nicht unrecht daran getan hast, nur Flig Balt und Len Cannon verhasten zu lassen. Die in Dunedin angemusterten Kameraden des zweiten, sind gewiß auch nicht mehr wert, und du weißt doch, daß der Kapitän Gibson diesen niemals über den Weg traute.

– Das ist richtig, Pieter.

– Und ich muß dem noch hinzufügen, Karl, daß mir der Vin Mod von jeher verdächtig erschienen ist und daß ich ihn für den eigentlichen Anstifter der Schurkerei halte. Er hatte immer etwas so Hinterlistiges in seinem Benehmen. Wenn er sich auch klüglich zurückzuhalten wußte, hat er doch jedenfalls hinter Flig Balt gesteckt, und ohne die Unterdrückung der Meuterei wäre er jedenfalls der Obersteuermann des Kapitäns geworden.

– Wohl möglich, meinte Karl Kip. In der ganzen Sache ist auch das letzte Wort noch nicht gesprochen, und es kann recht gut sein, daß uns die Verhandlung noch manche Überraschungen bereitet. Da auch die Matrosen vom ›James-Cook‹ vor das Seegericht geladen werden, kann man gar nicht wissen, was ihre Aussagen noch an den Tag bringen. Man wird Vin Mod verhören, ihm mit Fragen zusetzen. Wenn er im Einverständnisse mit dem Bootsmanne war, könnte ja auch dieser zuletzt die Wahrheit aussagen. Ferner werden die ehrbaren Leute, wie Hobbes, Wickley und Burnes, Zeugnis ablegen, und wenn sie Vin Mod damit weiter belasten...

– Das wird sich ja finden, murmelte Vin Mod, dem von diesem Gespräche kein Wort entging, es wird aber eine ganz andere Wendung nehmen, als ihr es hofft, ihr verwünschten Holländer!«

Eben näherte sich Karl Kip dem Fenster, als wollte er die Jalousien zurückschlagen, und Vin Mod mußte schnell zur Seite weichen, um nicht überrascht zu werden. Die Jalousien öffneten sich jedoch nicht und er konnte seinen Platz also wieder einnehmen. Die Unterhaltung interessierte ihn doch so sehr, daß er sie bis zum Schlusse zu belauschen wünschte, um daraus den größten Nutzen ziehen zu können.

Die beiden Brüder hatten jetzt einander gegenüber am Tische Platz genommen, und während Pieter Kip die von ihm durchgesehenen Papiere sammelte, sagte sein Bruder:

»Sieh, Pieter, ich bin also als Obersteuermann auf dem ›Skydnam‹ angestellt, das ist ja schon ein Glücksumstand, dazu kommt aber noch ein anderer, der für uns nicht weniger wichtig ist...

[239] – Sollte uns, lieber Bruder, nach allen Unfällen, die wir erlebt haben, endlich die Sonne des Glückes wieder scheinen? bemerkte Pieter Kip. Sollten uns endlich weitere Prüfungen und Schicksalsschläge erspart bleiben?

– Vielleicht, Bruderherz; so höre denn, was uns die Zukunft in Aussicht stellt. Ich weiß, daß der Kapitän Fork, der den ›Skydnam‹ befehligt, seine letzte Reise macht. Er ist ein schon bejahrter Mann in völlig gesicherter Vermögenslage, der sich nach der Heimkehr in Holland zur Ruhe zu setzen gedenkt.


Nach Einbruch der Dunkelheit schlich sich Vin Mod auf den Balkon. (S. 237.)

Gelingt es mir im Laufe der Fahrt, die Zufriedenheit der Firma Arnemniden [240] zu erwerben, so ist es nicht ausgeschlossen, daß ich berufen werde, Herrn Fork in seiner Stellung als Kapitän zu ersetzen, sobald der ›Skydnam‹ wieder in See geht. Trifft das ein, so bleibt mir nichts mehr zu wünschen übrig...

– Und was für dich, lieber Bruder, ein Glück wäre, antwortete Pieter Kip, das wäre es doch auch nicht minder für unsere Handelsgeschäfte.


Farnlaube bei Hobart auf Tasmania.

– Ich glaub' es wenigstens, bestätigte Karl Kip. Übrigens hab' ich bezüglich dieser noch nicht alle Hoffnung verloren. Warum sollten sich unsere Angelegenheiten nicht besser ordnen, als wir vorher zu hoffen gewagt haben? Wir haben in Groningen gute Freunde, unser Vater hat dort ein geachtetes Ansehen hinterlassen!

– Und außerdem, fügte Pieter Kip hinzu, haben wir uns auch schon hier einige Verbindungen geschaffen; an Unterstützung durch Herrn Hawkins wird es uns nicht fehlen. Wer weiß, ob wir mit seiner Hilfe nicht gar eine beständige Geschäftsverbindung mit Hobart-Town anknüpfen können, ebenso wie mit [241] Wellington durch Herrn Hamburg, und mit dem Bismarck-Archipel durch Herrn Zieger?

– Ah, liebster Bruder, rief Karl Kip, du schwärmst nur schon etwas weit in die Zukunft aus!

– Ja ja, Karl, ich rechne stark darauf, einen zu tiefen Verfall unserer Verhältnisse in der nächsten Zeit zu vermeiden... nein, ich glaube mich damit keiner Täuschung hinzugeben!... Jetzt bietet sich uns eine Reihe günstiger Aussichten, die wir auszunutzen geradezu verpflichtet sind. Das Beste bleibt für den Anfang doch, daß du Obersteuermann auf dem ›Skydnam‹ geworden bist. Bin ich erst in Holland zurück, so werde ich mit frohem Mute an die Arbeit gehen... unser Kredit wird wieder hergestellt werden, und ich hoffe, wir bringen die Firma Kip in Groningen noch zu einer bisher nicht erreichten Blüte!

– Möge Gott dich hören, Pieter!

– Er wird mich hören, denn ich habe immer meine Hoffnung auf ihn gesetzt!«

Jetzt trat ein kurzes Stillschweigen ein.

»Doch sage mir, Karl, steht die Abfahrt des ›Skydnam‹ in kurzer Zeit bevor?

– Ich glaube, sie wird etwa am fünfundzwanzigsten dieses Monats erfolgen.

– Das wäre also in zwölf Tagen?

– Ganz recht, Pieter, denn soweit ich selbst davon Einsicht genommen habe, wird die Befrachtung zu dieser Zeit beendigt sein.

– Und wie lange wird die Fahrt wohl dauern?

– Wenn uns die Umstände einigermaßen begünstigen, wird der ›Skydnam‹ von Hobart-Town bis Hamburg nicht mehr als sechs Wochen brauchen.«

Dieser Zeitraum mußte voraussichtlich für einen schnellen Dampfer genügen, der den westlichen Fahrweg durch den Indischen Ozean, das Rote Meer, den Suezkanal und dann durch das Mittelländische Meer und den Atlantischen Ozean verfolgte. Er brauchte damit weder in Sicht des Kaps der Guten Hoffnung, noch, nach Durchschiffung des Großen Ozeans, in Sicht des Kaps Horn zu kommen.

Pieter Kip fragte seinen Bruder noch, ob er seine Stellung als Obersteuermann an Bord des »Skydnam« sofort antreten werde.

»Schon von morgen an, antwortete Karl Kip. Ich treffe da mit dem Kapitän Fork zusammen, der mich der Schiffsmannschaft vorstellen wird.

[242] – Und gedenkst du dann auch gleich an Bord Wohnung zu nehmen?«

Diese Frage war für Vin Mod wegen seiner Pläne von ganz besonderem Interesse. Es wäre ihm ja fast unmöglich gewesen, sie durchzuführen, wenn die beiden Brüder den Gasthof zum Great Old Man so schnell verließen.

»Nein, erwiderte Karl Kip, einzelne Ausbesserungen am Schiffe werden etwa noch zehn Tage in Anspruch nehmen. Vor dem dreiundzwanzigsten gehe ich also nicht an Bord, und dann kannst du, Pieter, auch gleich deine Kabine beziehen. Ich habe für dich eine der besten, gleich neben der meinigen, schon belegt.

– Gern, bester Karl, sagte Pieter Kip, denn ich gestehe dir, mich verlangt danach, dieses Gasthaus zu verlassen.«

Lachend setzte er noch hinzu:

»Es ist auch eines Schiffsoffiziers, der als Obersteuermann auf dem ›Skydnam‹ befehligt, nicht ganz würdig.

– Ebensowenig, antwortete Karl Kip in gleichem Tone, wie des Chefs des Hauses der Gebrüder Kip in Groningen!«

Wie glücklich fühlten sie sich in dieser Stunde, die wackeren jungen Männer! Sie gewannen wieder Vertrauen auf die Zukunft, denn es war ja in der Tat ein Glück zu nennen, daß Karl Kip eine Stellung so schnell und mit so günstigen Aussichten erhalten hatte. Diese Nacht schliefen sie seit langer Zeit wirklich zum ersten Male unbelästigt von Sorgen wegen der Zukunft.

Eben hatte es zehn geschlagen, und sie erhoben sich, um ihr Lager aufzusuchen. Das Gespräch war zu Ende. Vin Mod schickte sich schon an, längs des Balkons nach seinem Zimmer zurückzukehren, als eine letzte Frage Pieter Kips ihn an das Fenster zurückrief.

»Du sagst also, Karl, daß der ›Skydnam‹ ungefähr am fünfundzwanzigsten abfahren werde?

– Ja, lieber Bruder, bis zu diesem Tage, vierundzwanzig Stunden früher oder später, wird er segelklar sein.

– Soll nicht aber Flig Balt einige Tage vorher abgeurteilt werden?

– Am einundzwanzigsten wird Len Cannon mit ihm vor Gericht zu erscheinen haben, und wir nebst Herrn Hawkins, Nat Gibson und der übrigen Mannschaft werden dazu als Zeugen vorgeladen werden.

– Natürlich, antwortete Pieter Kip. Übrigens macht sich das ja alles ganz trefflich, denn deine Anwesenheit bei der Verhandlung wäre doch auf jeden Fall nötig.

[243] – Gewiß; und meine Aussage, denke ich, wird das Gericht bestimmen, sich unerbittlich gegen einen Bootsmann zu erweisen, der seine Leute zu einer Auflehnung gegen alle Ordnung zu treiben wagte.

– O, meinte Pieter Kip, in solchen Fällen sind die englischen Gesetze außerordentlich streng. Es kommt hier ja die Sicherstellung der Handelsschiffahrt in Frage, und es sollte mich sehr wundern, wenn Flig Balt ohne zehn Jahre Bagno in der Strafanstalt von Port-Arthur davonkäme!«

Vin Mod fletschte vor Wut die Zähne und sprach für sich:

»Zehn Jahre Bagno erwarten Sie freilich nicht, meine Herren, und bevor Flig Balt dahin geschickt wird – wenn es überhaupt so weit kommt – hat er Sie schon am höchsten Galgen von Hobart-Town baumeln sehen!«

Pieter Kip richtete noch eine weitere Frage an seinen Bruder.

»Weiß Herr Hawkins schon, daß du zum Obersteuermann auf dem ›Skydnam‹ ernannt worden bist?

– Ich wollte ihm die gute Neuigkeit sofort mitteilen, antwortete Karl Kip, doch es war schon spät und er befand sich nicht mehr in seinem Kontor.

– Dann gehen wir also morgen zu ihm, Karl.

– Jawohl, so frühzeitig, wie möglich.

– Und nun gute Nacht, lieber Bruder...

– Gute Nacht.«

Wenige Augenblicke später lag das Zimmer in tiefer Finsternis und Vin Mod konnte sich ungefährdet davonschleichen.

Als er in sein Zimmer eingetreten war, und bevor er nach seiner Gewohnheit den Great Old Man verließ, um sich nach dem Gasthause zu den Fresh-Fishs zu begeben, schloß er sorgfältig seinen Schrank ab, der seine Papiere und verschiedene andere Gegenstände, darunter den Kriß enthielt, den er sich vom Wracke der »Wilhelmina« angeeignet hatte.

Unterwegs murmelte er noch für sich:

»Vor dem dreiundzwanzigsten denken sie nicht an Bord des ›Skydnam‹ zu gehen... gut. Am einundzwanzigsten hat Flig Balt vor dem Seegericht zu erscheinen... auch gut. Nun heißt's, die Tage nicht verwechseln. Am Abend des zwanzigsten muß die Sache ausgeführt sein... freilich ist es notwendig, daß Flig Balt davon Nachricht erhält... doch wie wird das möglich sein?...«

[244]
3. Kapitel
Drittes Kapitel.
Das letzte Mittel.

Hawkins fühlte sich höchst befriedigt, als er am nächsten Morgen den Besuch Karls und Pieters Kip empfing. Er war glücklich, daß seine Fürsprache bei der Firma Arnemniden Erfolg gehabt hatte. Das war so vielen Dankes gar nicht wert. Er trat ja gern mit all seinem Kredit und persönlichem Einfluß für die beiden Brüder ein, da er sich vielmehr ihnen verpflichtet fühlte. Der vortreffliche Mann beglückwünschte Karl Kip, Obersteuermann des »Skydnam« geworden zu sein, und das mit so herzlicher Wärme, als ob er an dieser Ernennung keinen Anteil gehabt hätte.

Nat Gibson, der sich eben bei Hawkins befand, konnte sich den Glückwünschen des Reeders nur aufrichtig anschließen. Er hatte seine Stellung als Teilhaber des Handelshauses jetzt schon angetreten; trotz seiner Beschäftigung mit den Angelegenheiten der Firma und trotz seines unermüdlichen Fleißes konnte er die traurige Erinnerung an die Vergangenheit aber nicht überwinden. Immer stand ihm das Bild seines Vaters vor Augen, und er kam niemals nach Hause, ohne diesen mit seiner unglücklichen Mutter zu beweinen. Zu seinem Kummer kam noch der tiefe Abscheu gegen die Mörder, die niemand kannte und die wahrscheinlich nicht entdeckt würden und damit ihrer Bestrafung entgingen.

Noch am nämlichen Tage meldete sich Karl Kip, den sein Bruder begleitet hatte, zur Übernahme seiner Obliegenheiten als Obersteuermann an Bord des »Skydnam«, wo der Kapitän Fork beide aufs freundlichste empfing.

Der »Skydnam«, ein Dampfer von zwölfhundert Tonnen, machte regelmäßige Reisen zwischen Hamburg und verschiedenen Häfen der australischen Küste, wobei er Steinkohle brachte und als Rückfracht Getreide einnahm. Seine Ladung war jetzt schon seit einigen Tagen gelöscht. Vorläufig wurden mehrere kleine Ausbesserungen und Einrichtungen im Frachtraume und an dem Deckhause ausgeführt, woneben man die Kessel und die Maschine reinigte und einige Havarien an der Takelage ersetzte.

[245] »Gewiß wird alles, versicherte der Kapitän Fork, zu Ende dieser Woche fertig sein, so daß wir dann mit der Übernahme der Fracht beginnen können. Das wird Sie schon etwas in Anspruch nehmen, Herr Kip.

– Ich werde keine Stunde, keine Minute verlieren, Herr Kapitän, antwortete der neue Obersteuermann, ich bedauere nur, meine Kabine nicht sofort beziehen zu können.

– Das begreif' ich, meinte Fork. Sie sehen aber, daß wir jetzt den Handwerkern, den Tischlern und Malern, den Platz räumen müssen, und gegen zehn Tage brauchen die Leute bestimmt, ihre Arbeit zu vollenden. Vorläufig ist weder Ihre noch meine Kabine imstande uns aufzunehmen.

– Nun, das tut nichts, Herr Kapitän, erklärte Karl Kip. Ich werde mit Sonnenaufgang an Bord eintreffen und bis zum Abend dableiben. An mir soll es nicht liegen, daß der ›Skydnam‹ am vierundzwanzigsten oder fünfundzwanzigsten noch nicht zum Auslaufen bereit wäre.

– Ja ja, das glaub' ich, Herr Kip, sagte der Kapitän Fork. Ich überlasse das Schiff also Ihrer Obhut, und sollten Sie meiner bedürfen, so finden Sie mich meist in den Bureaux der Firma Arnemniden.«

Dieser Vereinbarung nach sollte Karl Kip also alle Tagesstunden an Bord des Dampfers zubringen.

Pieter Kip bemühte sich anderseits, in Hobart-Town Geschäftsverbindungen anzuknüpfen. Er nahm sich vor, gestützt auf die Empfehlungen des Herrn Hawkins die größten Kaufleute der Stadt aufzusuchen. Eine gute Aussaat, die für die Zukunft reiche Ernte versprach.

Die Sache wegen der Meuterer vom »James-Cook« ging inzwischen ihren Gang. Der Referendar des Gerichtes bearbeitete sie nach den besonderen Vorschriften des Seegesetzbuches.

Im Hafengefängnis mit Len Cannon eingeschlossen, wurde Flig Balt doch nicht in Einzelhaft gehalten, er verkehrte vielmehr frei mit den anderen Insassen der Anstalt. Diese diente eigentlich bloß zur Unterbringung von Matrosen, die sich Vergehen gegen die Disziplin oder gegen das gemeine Recht hatten zu schulden kommen lassen, doch wurden dahin für eine Nacht auch betrunkene Seeleute eingeliefert, ebenso wie Raufbolde, die in den Straßen oder Schankstätten dieses Stadtviertels aufgegriffen worden waren, wo es nicht minder lärmend und streitsüchtig zuging als in Dunedin, wo Vin Mod Len Cannon und dessen Genossen angeworben hatte.

[246] Sexton, Kyle und Bryce hatten, so sehr sie es auch wünschten, Hobart-Town noch nicht verlassen. Es widerstrebte ihnen aber, Len Cannon unter einer schweren Anschuldigung der Hand der Justiz ausgeliefert zu wissen. Außerdem aber waren sie in der Angelegenheit des »James-Cook« als Zeugen vorgeladen, und Vin Mod beabsichtigte, ihnen noch im letzten Augenblicke eine möglichst entlastende Aussage in den Mund zu legen. Er traf sie alle Tage, denn sie hatten auch in den Fresh-Fishs, einer elenden Spelunke, Unterkommen gesucht, wo sich Vin Mod, wie wir wissen, unter seinem richtigen Namen eingemietet hatte. Sobald die drei Matrosen den nach der Ankunft der Brigg bezogenen Lohn verzehrt, in der Hauptsache vertrunken hatten, wollte Vin Mod ihnen helfend beispringen und sie aus der Verlegenheit reißen, wie er ja schon dem Wirt des Gasthauses für sie gut gesagt hatte. Sexton, Bryce und Kyle bemühten sich deshalb auch gar nicht, wieder Heuer auf einem Schiffe zu bekommen.

»Wartet nur... geduldet euch nur! hatte Vin Mod ihnen wiederholt zugeredet. Das eilt ja nicht... Was zum Teufel... Freund Balt wird euch ja als Zeugen aufrufen, und dann werden wir denen schon den Schnabel stopfen, die ihn anklagen wollen, ihn und euern Kameraden Len Cannon!... War es denn nicht unser Recht, den verwünschten Holländer als Passagier in seine Kabine zu weisen, die Führung der Brigg wieder dem braven Engländer in die Hand zu geben, der doch einmal der Kapitän des Schiffes war?... Hab' ich recht?... Nicht wahr? Nun, gerade das hat Flig Balt tun wollen, und deshalb sollte man ihn verurteilen? Dasselbe hat Len Cannon beabsichtigt, und ganz dasselbe wir andern! Glaubt mir nur, liebe Freunde, unser früherer Bootsmann wird freigesprochen und Len Cannon verläßt gleichzeitig mit ihm das Gefängnis!

– Droht uns aber, wendete Bryce ein, nicht auch nach die Gefahr, verhaftet und in dasselbe Loch wie Len Cannon eingesperrt zu werden?

– Nein, versicherte Vin Mod, ihr habt ja als Zeugen aufzutreten... nur als Zeugen... und wenn Len Cannon wieder zu Schiffe geht, um nach Neuseeland oder anderswohin zurückzukehren, so werdet ihr euch ihm anschließen. Für ein Schiff, und zwar ein gutes, sorge ich im Verein mit Freund Balt, und dann haben wir vielleicht mehr Glück, als mit dem ›James-Cook‹!«

Mit solchen Reden wußte Vin Mod die Kameraden Len Cannons in Hobart-Town zurückzuhalten, vielleicht auch mit dem Hintergedanken, daß sie [247] in der bevorstehenden Gerichtsverhandlung eine Rolle spielen sollten, die ihm helfen sollte, für den Bootsmann eine Freisprechung zu erzielen.

Und während er unheimliche Pläne schmiedete, die im Fall des Gelingens die Gebrüder Kip ins Unglück stürzen müßten, ahnten die beiden, von ihren Geschäften in Anspruch genommenen Holländer nicht das geringste von dem, was ihnen drohte.

Unter der Leitung Karl Kips ging die Befrachtung des »Skydnam« in regelrechter Weise vor sich, die Reparaturen wurden mit Unterstützung von Handwerkern des Hafenortes vorschriftsmäßig ausgeführt, so daß die Abfahrt voraussichtlich an dem dafür angesetzten Tage stattfinden konnte.

Die Firma Arnemniden erkannte sehr bald den Pflichteifer und die Intelligenz des von ihr erwählten Schiffsoffiziers. Auch der Kapitän Fork sparte nicht mit seinem Lobe, da er sah, daß Karl Kip mit allen Arbeiten, die dem Obersteuermann auf einem Schiffe zufallen, aufs beste vertraut war. Hawkins erntete deshalb so manchen Glückwunsch und herzlichen Dank von dem Handelshause.

»Wenn Ihr Schützling sich in der Schiffsführung ebenso geschickt erweist, sagte eines Tages der Kapitän Fork, so erkläre ich ihn für einen vollendeten Seemann!

– Zweifeln Sie daran nicht, erwiderte der Reeder, nein... zweifeln Sie nicht! Wir haben das ja an Bord des ›James-Cook‹ beobachten können. Hat er dafür nicht vollgültige Beweise geliefert, als er da aus eigenem Antriebe, wie instinktmäßig, die Führung unseres Schiffes in die Hand nahm? Ich habe es keinen Augenblick zu bereuen gehabt, daß ich ihn an die Stelle des elenden Flig Balt setzte, der uns dem Untergange nahe gebracht hatte. Ja gewiß, Karl Kip ist ein richtiger, zuverlässiger Seemann!

– Das werden wir ja sehen, Herr Hawkins, antwortete der Kapitän Fork, und ich bezweifle es ja nicht: Herr Karl Kip wird im Verlaufe der Fahrt schon die gute Meinung rechtfertigen, die wir bereits von ihm gewonnen haben. Die Firma Arnemniden wird das zu schätzen wissen, und damit wäre seine Zukunft gesichert.

– Ja, er wird sie rechtfertigen, versicherte Hawkins überzeugten Tones, das weiß ich voraus!«

Man sieht hieraus, daß der Reeder nicht ohne Grund den beiden Brüdern höchst zugetan war.


Schon seit Mittag rieselte ein feiner, durchdringender Regen nieder. (S. 253.)

Was er von dem älteren dachte, dachte er auch von dem [248] [251]jüngeren, da er erkannt hatte, daß Pieter Kip in allen Handelsangelegenheiten bestens erfahren war. Er hegte deshalb auch die Überzeugung, daß er das alte Groninger Haus, dank den mit Tasmanien und Neuseeland angebahnten Verbindungen, bald wieder auf feste Füße stellen werde.

Natürlich fühlten sich die beiden Brüder Herrn Hawkins, der ihnen so große Dienste geleistet hatte, zum aufrichtigsten Danke verpflichtet. Sie kamen mit ihm so häufig wie möglich zusammen und saßen nach vollbrachtem Tagewerk oft mit an seinem Tische. Frau Hawkins teilte die Empfindungen ihres Gatten für die beiden begabten, prächtigen Menschen. Sie liebte es, sich mit ihnen zu unterhalten und über ihre Zukunftspläne zu plaudern. Dann und wann verbrachte auch Nat Gibson den Abend in dem gastfreundlichen Hause. Er interessierte sich lebhaft für alle Schritte, die Pieter Kip unternahm. Nach einigen Tagen sollte der »Skydnam« auslaufen, und ein Jahr würde kaum verstreichen, bis er nach Hobart-Town zurückkehrte. Das sollte ein frohes Wiedersehen werden!

»Und dann, sagte Hawkins, begrüßen mir den Kapitän Kip, den Führer des ›Skydnam‹, mit hoher Befriedigung als solchen. Ja, der gute Fork ist berechtigt, sich nach dem Eintreffen in Europa zur Ruhe zu setzen. Sie, Herr Kip, werden dann an seine Stelle treten, und unter Ihren Händen wird der ›Skydnam‹ ja sein, was der ›James-Cook‹ gewesen ist, ein Schiff unter sicherster Führung!«

Leider erweckte die Nennung des zweiten Namens immer die trübsten Erinnerungen. Hawkins, Nat Gibson und die beiden Brüder sahen sich wieder in Neuirland, in Port-Praslin, in Kerawara, inmitten des dichten Waldes, wo der unglückliche Gibson umgekommen war, und vor dem bescheidenen Friedhofe, in dem der Kapitän seine letzte Ruhestätte gefunden hatte.

Als jener Name ausgesprochen wurde, überfiel Nat Gibson eine Totenblässe. All sein Blut drängte sich zum Herzen und seine Stimme bebte, als er darauf rief:

»Mein Vater, mein armer Vater! Du wirst also nicht gerächt werden!«

Hawkins sachte ihn zu beruhigen; man müsse doch erst die Nachrichten abwarten, die mit dem nächsten Postdampfer aus dem Bismarck-Archipel kämen. Herr Hamburg oder Herr Zieger hätte die Schuldigen vielleicht schon entdeckt. Freilich beständen keine so häufigen Verbindungen zwischen Tasmanien und Neuirland. Wer könne wissen, ob man die Erfolge der Nachforschungen nicht erst nach mehreren Monaten erführe.

[251] Der 19. Januar war herangekommen. In achtundvierzig Stunden sollte die Angelegenheit der Meuterer vom »James-Cook« vor dem Seeamte zur Verhandlung kommen und würde, wenn keine unerwarteten Zwischenfälle einträten, an demselben Tage zu Ende geführt werden.

Drei Tage darauf sollte der »Skydnam« abdampfen und dann hätten die Gebrüder Kip Hobart-Town auf dem Wege nach Hamburg verlassen.

Am Nachmittage des nächsten Tages hätte man Vin Mod um das Hafengefängnis umherschleichen sehen können. Sehr erregt, obgleich er sich sonst so gut zu bemeistern verstand, ging er raschen Schrittes dahin, bemühte sich unbemerkt zu bleiben und ließ zuweilen, von unruhigen Bewegungen unterbrochen, zusammenhanglose Worte fallen, die zu verstehen gewiß sehr interessant gewesen wäre.

Wer konnte wissen, was er erwartete, als der Schurke wiederholt am Tore des Gefängnisses vorbeistrich? Suchte er vielleicht gar in das Haus zu gelangen, um sich mit Flig Balt ins Einvernehmen zu setzen?... Nein, das konnte er nicht erwarten, denn es würde ihm unmöglich sein, durch das Tor einzudringen.

Vielleicht hoffte er aber, den Bootsmann an einem hochgelegenen Fenster des Gebäudes zu erblicken, dessen oberstes Stockwerk die Umfassungsmauer überragte. Das war jedoch auch unwahrscheinlich, mindestens wenn Flig Balt, dem dann bekannt sein mußte, daß die Verhandlung am nächsten Tage bevorstand, nicht auf den Gedanken kam, daß Vin Mod versuchen könnte, ihm auf irgendwelche Weise wichtige Mitteilungen zu machen. Darüber konnte ja zwischen beiden schon vorher eine Verabredung getroffen worden sein.

Unter den gegebenen Umständen, wo der eine draußen, der andere drinnen war, hätte sich der Verkehr zwischen den beiden Männern freilich auf einzelne Zeichen beschränken müssen, und da blieb es doch fraglich, ob eine Bewegung des Kopfes, eine Geste mit der Hand auch richtig verstanden würde.

Wie dem auch sein mochte, jedenfalls blieb Flig Balt von Vin Mod und dieser von Flig Balt unbemerkt. Nach einem letzten, zu dem hohen Gebäude emporgeworfenen Blicke schlich denn Vin Mod auch im Halbdunkel nach seinem Gasthofe zurück.

»Ja ja, murmelte er, immer tief in Gedanken versunken, das ist der einzige Weg, ihm Nachricht zukommen zu lassen, und wenn der nicht gangbar wäre... Doch gleichviel... ich trete ja als Zeuge auf... ich werde sprechen... und [252] was Flig Balt vielleicht nicht sagt, das sage ich... ja... das werde ich sagen und die Gebrüder Kip werden es empfinden!«

An diesem Abend begab sich Vin Mod nicht nach der Spelunke, den Fresh-Fishs, sondern nach dem Gasthofe zum Great Old Man.

Es war jetzt gegen sieben Uhr. Schon seit Mittag rieselte ein seiner, durchdringender Regen nieder. Die Straßen lagen in tiefer Finsternis, die nur da und dort von dem begrenzten Scheine einer Gaslaterne unterbrochen wurde.

Unbemerkt gelangte Vin Mod nach dem Gange, der zu seinem, eine Treppe hoch gelegenen Zimmer führte. Auf dem Balkon angelangt, lugte er durch das Zimmerfenster der Holländer, dessen Jalousien nicht geschlossen waren.

Da er keinerlei Geräusch aus dem Innern vernahm, schloß er mit Recht, daß das Zimmer augenblicklich leer sei.

Gerade an diesem Abend befanden sich Karl und Pieter Kip zum Abendessen bei Herrn Hawkins und kehrten voraussichtlich vor zehn oder elf Uhr nicht in ihr Zimmer zurück.

Vin Mod sah sich also durch den günstigsten Zufall unterstützt, und es konnte ihm weder an Zeit fehlen, sein Vorhaben auszuführen, noch lief er Gefahr, dabei überrascht zu werden.

Er begab sich jetzt zunächst nach seinem eigenen Zimmer, öffnete hier einen Schrank und entnahm diesem verschiedene Papiere, denen er noch eine gewisse Menge Piaster beilegte, und dazu auch den Kriß, womit Flig Balt den Kapitän ermordet hatte.

Wenige Augenblicke später schüpfte Vin Mod in die Wohnung der beiden Brüder, wozu er nicht einmal gezwungen gewesen war, eine Scheibe einzudrücken, da ein Flügel des Fensters nur angelehnt war.

Die Einrichtung dieses Zimmers kannte er ja ganz genau, hatte er doch oft genug hineingeblickt, wenn er sich bemühte, die Gespräche zwischen Karl und Pieter Kip zu belauschen. Er brauchte nicht einmal Licht anzuzünden, was ihn doch hätte verraten können. Er wußte ja, wie die Möbel standen und wo auf einem Schemel der Reisesack lag, der noch von der »Wilhelmina« geborgen worden war.

Von diesem Mantelsack brauchte er nur die Verschlußriemen zu lösen. Die darin enthaltenen Wäschestücke hoch hebend, steckte er die Papiere, die Piaster und den Dolch darunter und schloß den Sack wieder zu.

»Das wäre geschehen!« murmelte er befriedigt.

[253] Dann stieg er durch das Fenster hinaus, lehnte dessen Flügel wieder an und zog sich über den Balkon hin nach seinem Zimmer zurück.

Nach ganz kurzem Aufenthalte darin schritt Vin Mod jedoch der Treppe zu, trat auf die Straße hinaus und begab sich nach dem Gasthofe zu den Fresh-Fishs, wo ihn Sexton, Kyle und Bryce hatten erwarten sollen.

Es schlug eben halb acht, als er in das gemeinschaftliche Gastzimmer eintrat, wo er seine Genossen fleißig trinkend vorfand.

Sexton und Bryce hatten schon so manche Gläser Whisky und Gin geleert. Wenn auch nicht lärmender und rauflustiger Trunkenheit verfallen, sondern mürrisch gestimmt und eher etwas verdummt, wären sie nicht imstande gewesen, zu begreifen, was Vin Mod ihnen gesagt hätte, wenn er einen von ihnen nötig gehabt hätte.

Kyle dagegen – mit dem er gewohnheitsmäßig überhaupt am liebsten sprach – hatte, wohl auf eine vorherige Warnung Vin Mods hin, die auf dem Tische stehenden Flaschen kaum angerührt.

Als dieser in der Gaststube erschien, ging er ihm sofort entgegen. Vin Mod gab ihm ein Zeichen, jetzt nicht zu sprechen, und beide nahmen nebeneinander Platz.

In dem Raume befanden sich gegen zwanzig zechende Gäste, meist Matrosen, die über ihre Urlaubszeit hinaus unter qualmenden Lampen und in erstickender Luft an einem großen Tische saßen.

Jeden Augenblick taumelten angetrunkene Männer hinaus oder herein. In der Gaststube herrschte ein solcher Lärm, daß man einander getrost etwas ins Ohr raunen konnte, ohne Gefahr zu laufen, daß andere das verständen.

Der Tisch, den Kyle gewählt hatte, stand überdies in der dunkelsten Ecke des Raumes.

»Du bist schon seit einer Stunde hier? begann Vin Mod, der sich dabei seinem Kameraden zuneigte.

– Ja... habe auf dich der Verabredung nach gewartet...

– Und die anderen konnten der Begierde, zu trinken, nicht widerstehen?

– Nein... bedenke doch... eine volle Stunde...

– Und du selbst?...

– Ich... o, ich habe mir nur einmal mein Glas gefüllt, es steht aber noch unberührt da.

[254] – Das wirst du nicht zu bereuen haben, Kyle, denn es ist nötig, daß du alle Sinne beisammen hast.

– Das kann ich versichern, Mod!

– Nun gut; wenn du noch nichts getrunken hast, so wirst du jetzt trinken.

– Auf deine Gesundheit!« antwortete Kyle, der sein Glas ergriff und es zum Munde führte.

Da packte ihn aber Vin Mad am Arme und nötigte ihn, das Glas wieder auf den Tisch zu stellen, ohne die Lippen benetzt zu haben.

»Du willst mich also doch nicht trinken lassen? fragte Kyle verwundert.

– Nein... du sollst dich nur so stellen, als ob du tränkst oder gar schon zu viel genossen hättest.

– So?... Und warum das, Mod?

– Weil du dich, den Betrunkenen spielend, erheben, durch die Gaststube schwanken und mit dem einen oder dem anderen Streit suchen sollst unter der Drohung, alles kurz und klein zu schlagen, bis der Gastwirt Polizisten herbeiruft, die dich wegführen und ins Gefängnis bringen sollen.

– Ins Gefängnis?...«

Kyle konnte nicht begreifen, worauf Vin Mod hinauswollte. Sich stellen, als ob er tränke, das paßte ihm recht wenig, sich wegen Ruhestörung gar einsperren zu lassen, paßte ihm aber gar nicht.

»Höre mich nur an, sagte Vin Mod. Ich brauche dich in einer Sache, die dir viel einbringen wird, wenn du Erfolg hast und geschickt deine Rolle spielst.

– Wobei nichts zu riskieren ist?...

– Ein paar Püffe sind ja zu riskieren, fünf bis sechs Pfund Sterling aber dafür einzuheimsen.

– Fünf bis sechs Pfund? wiederholte Kyle, dem diese Aussicht recht verlockend erschien.

– Und die anderen? fragte er noch mit einem Hinweis auf seine Kameraden.

– Für die ist das nichts, erklärte Vin Mod. Du siehst ja, sie sind in einer Verfassung, in der sie nichts zu verstehen und nichts zu tun vermögen!«

Wirklich hatte keiner von ihnen Vin Mod nicht einmal erkannt, als dieser sich gesetzt hatte. Sie sahen nichts und hörten nichts. Maschinenartig hoben ihre Arme die Gläser und sanken schwer wieder auf den Tisch zurück. Sexton murmelte, wie die meisten Betrunkenen, unzusammenhängende Worte vor sich [255] hin oder sang mit heiserer Stimme ein Seemannslied, das er mit den in der Luft umherfuchtelnden Armen begleitete. Bryce hatte den Kopf gesenkt, die Schultern eingezogen und die Augen schon halb geschlossen... er war dem Einschlafen näher als dem Wachsein.

Inzwischen wurde es im Zimmer immer lauter, Schreie und Zurufe flogen von einer Gruppe zur anderen, und an Herausforderungen um nichts und wieder nichts fehlte es gelegentlich auch nicht.

Der an Kunden dieses Schlages gewöhnte Gastwirt ging überall umher und schenkte fleißig seine abscheulichen Getränke ein.

»Nun also, nahm Kyle, näher an seinen Kameraden heranrückend, wieder das Wort, um was handelt sich's eigentlich?

– Ich habe dem Freunde Flig Balt ein paar Worte mitzuteilen, antwortete Vin Mod, und da Flig Balt im Gefängnisse ist, muß ihn einer dort aufsuchen.

– Diesen Abend?...

– Noch diesen Abend, denn morgen tritt das Gericht zusammen und dann wär' es zu spät. Es ist keine Zeit mehr zu verlieren und ich rechne darauf, daß du den Betrunkenen spielen wirst.

– Ohne etwas genossen zu haben?

– Keinen Tropfen, Kyle! Die Sache ist ja nicht so schwierig. Du stehst auf, fängst an zu schreien, zu brüllen, bändelst mit andern Zechern Streit an, selbst auf die Gefahr hin, den kürzeren zu ziehen...

– Und wenn ich gehörige Schläge bekomme?...

– So verdopple ich die Belohnung!« versprach Vin Mod.

Diese Zusicherung schien bei Kyle jedes Zögern niederzuschlagen, so daß es ihm auf einige Püffe mehr oder weniger nicht mehr ankam. Er erhob nur noch einen einzigen Einwand.

»Wenn es unbedingt erforderlich ist, mit Flig Balt zu sprechen, sagte er, warum soll ich es unternehmen, zu ihm zu kommen. Warum tust du es nicht selbst?

– Nicht so viele Worte, Kyle! erwiderte Vin Mod, dem schon die Geduld auszugehen drohte. Ich muß unbedingt frei bleiben, muß zur Stelle sein, wenn Flig Balt abgeurteilt wird. Einmal im Loche, kommt man vor achtundvierzig Stunden nicht wieder an die Luft, und ich wiederhole dir, ich muß unbedingt da sein...«

[256] Als letztes Hilfsmittel griff Vin Mod in die Tasche seiner Jacke, holte ein Goldstück heraus und ließ es dem Matrosen in die Hand gleiten.

»Als Anzahlung, sagte er, das übrige folgt, wenn du wieder herauskommst.

– Und wenn man mich entlassen hat, wo werd' ich dich dann finden?

– Hier... jeden Abend.

– Abgemacht, rief Kyle. Nun aber wenigstens ein Glas Gin, damit ich in Zug komme. Dann spiel' ich den Betrunkenen desto besser.«

Er erhob das mit dem brennend scharfen Branntwein gefüllte Glas und leerte es in einem Zuge.

»Es ist Zeit, die höchste Zeit, drängte Vin Mod, also passe gut auf! – Was ich Flig Balt mitzuteilen habe, hätte ich ja aufschreiben können und du brauchtest ihm dann nur ein Blättchen Papier zu überbringen. Wenn man das aber bei dir fände, wäre die ganze Geschichte verfehlt. Übrigens handelt es sich nur um sehr wenige Worte, die du dir gewiß merken kannst. Sobald dich die Polizei in die Hast abgeliefert hat, bemühe dich, mit Flig Balt zusammenzutreffen. Gelingt dir das nicht heut Abend, so muß es morgen geschehen, ehe man ihn nach dem Seegerichte abholt.

– Ganz recht, Mod, antwortete Kyle, und was soll ich ihm sagen?

– Du wirst ihm sagen, daß die Sache geschehen sei und er könne ohne Bedenken die Anklage vorbringen...

– Gegen wen denn?

– Das weiß er schon.

– Und weiter nichts?

– Nein... weiter nichts.

– Gut, Mod, erwiderte Kyle, und nun wirst du mich betrunken sehen, als wäre ich der schlimmste Zechbruder von den Untertanen Ihrer Majestät!«

Kyle erhob sich dabei schwerfällig, schwankte im Fortgehen, fiel einmal hin und richtete sich mit Mühe wieder auf, indem er sich an den ersten besten Tisch anklammerte. Er bedrohte die Zecher, die ihn mit kräftiger Faust zurückstießen. Dann schimpfte er auf den Wirt, weil dieser ihm nichts mehr zu trinken geben wollte und versetzte ihm einen Stoß vor die Brust, daß der Mann durch die offen stehende Tür bis zur Straße hinaustaumelte.

Ganz – hier in doppeltem Sinne – außer sich, rief der Gastwirt um Hilfe. Zwei bis drei Polizisten kamen herbeigeeilt und fielen über Kyle her, der nur schwachen Widerstand leistete, um sich schmerzhafte Schläge zu ersparen.

[257] Schließlich wurde er leicht gefesselt, mitten durch einen gröhlenden Haufen abgeführt und im Hafengefängnis eingesperrt.

Vin Mod war ihm nachgefolgt, und als er sah, daß sich das Tor der Anstalt hinter Kyle geschlossen hatte, kehrte er befriedigt nach dem Gasthofe zu den Fresh-Fishs zurück.

4. Kapitel
Viertes Kapitel.
Vor dem Seegerichte.

Es kann nicht wundernehmen, daß die bedauerlichen Vorkommnisse auf der letzten Fahrt des »James-Cook« in Hobart-Town Aufsehen erregt hatten und eifrig besprochen wurden. Die unter noch unaufgeklärten Umständen erfolgte Ermordung des Kapitäns Harry Gibson einerseits, die von Flig Balt versuchte und von Karl Kip unterdrückte Meuterei anderseits... mehr bedurfte es nicht, unter den Einwohnern der Hafenstadt eine hochgradige Erregung zu schüren.

Von dem ruchlosen Morde hatte man nicht eher etwas gewußt, als bis die Brigg mit der Flagge in Schau wieder im Hafen eingelaufen war.

Was die Meuterei betraf, war man einstimmig der Ansicht, daß das Seegericht Flig Balt und seinen Helfershelfer schuldig sprechen und den Bootsmann zu harter Strafe verurteilen werde, das umsomehr unter Berücksichtigung der Verhältnisse, worunter sich das Schiff befunden hatte. Unter zehn bis fünfzehn Jahren Bagno könnte Flig Balt nicht wegkommen.

Die Hauptzeugen, Hawkins, Nat Gibson, Karl und Pieter Kip, sowie die Matrosen Burnes, Wickley und Hobbes nebst dem Schiffsjungen Jim, waren schon in der Voruntersuchung vernommen worden. Die von dem Angeschuldigten genannten anderen, Vin Mod, Sexton, Kyle, Bryce und der Koch Koa, sollten als Entlastungszeugen abgehört werden.

Ohne unvorhergesehene Zwischenfälle sollte die schnell erledigte Angelegenheit nur eine einzige Sitzung in Anspruch nehmen.

[258] Der Gerichtssaal war am Verhandlungstage von Zuhörern überfüllt. Von neun Uhr vormittags ab drängte sich die Menge nach dem ihr überlassenen Raume, Kaufleute, Reeder, Offiziere der Handelsflotte und Journalisten bunt durcheinander, daneben aber auch viele Matrosen, die aus den benachbarten Schenken kamen und wahrscheinlich mehr zu Gunsten der Angeklagten gestimmt waren.

Hawkins und Nat Gibson erschienen vor der Zuhörermenge und nahmen auf der für die Zeugen bestimmten Bank Platz.

Wenige Minuten nach ihnen betraten die Gebrüder Kip den Saal und wechselten mit den beiden ersten einen warmen Händedruck.

Am heutigen Tage war die Anwesenheit Karl Kips an Bord des »Skydnam« nicht nötig. Die Verladung des Getreides war am Abende vorher beendigt worden. Von Reparaturen waren nur noch einige Anstricharbeiten zu vollenden. Die Bunker lagen voller Kohlen; die Maschine war im Stande, die Mannschaft hatte ihren Dienst angetreten. Nach drei Tagen sollte der Dampfer am frühen Morgen zur Abfahrt klar machen.

Am heutigen Abend gedachten die Gebrüder Kip noch den Gasthof zum Great Old Man zu verlassen und ihre Kabinen auf dem Schiffe zu beziehen.

Auf einer Bank hinter ihnen saßen die Matrosen Hobbes, Wickley und Burnes nebst dem Schiffsjungen Jim, die von Hawkins und Nat Gibson alle freundlich begrüßt wurden.

Auf einer anderen Bank befanden sich Vin Mod, Sexton, Bryce mit dem Koche Koa, dessen breites schwarzes Gesicht sich grinsend verzog, jedenfalls vor Verwunderung, daß er nicht mit zu den Angeklagten gehörte.

Nur Kyle fehlte. Kyle war noch nicht freigelassen und das erfolgte voraussichtlich auch nicht vor Ablauf von achtundvierzig Stunden... er hatte seine Rolle als Schwerbetrunkener gar zu gut gespielt, als er sich gegen die Polizisten verteidigte.

Seine etwaigen Aussagen konnten auch nicht von besonderer Bedeutung sein. Vin Mod beunruhigte sich nur ein wenig darüber, ob Kyle im Gefängnisse mit Flig Balt zusammengetroffen sein und diesem gesagt haben werde, was er ihm aufgetragen hatte. Diese Unruhe zerstreute sich jedoch vielleicht, wenn der Bootsmann und er sich erst gegenüberstanden. War Flig Balt benachrichtigt worden, so genügte ein unauffälliges Zeichen, schon ein Blick, das zu bestätigen, [259] und wenn der rechte Augenblick gekommen war, würde Flig Balt aus einem Angeklagten zum Ankläger werden.

In Erwartung des Eintritts der Gerichtsbeisitzer sprach Hawkins noch mit den Gebrüdern Kip und meldete ihnen, daß an diesem Morgen Nachrichten von Neuirland eingegangen wären.

»Ein Brief von Herrn Zieger? fragte Pieter Kip.

– Nein, eine Depesche, die mir mein Korrespondent Herr Balfour geschickt hat. Sie meldet, daß in Wellington gestern ein von Kerawara kommendes Schiff eingelaufen sei, das den Bismarck-Archipel zehn Tage nach dem ›James-Cook‹ verlassen und einen Brief von Herrn Zieger mitgebracht hätte. Balfour hat mir dessen Inhalt sofort telegraphiert, und diese Depesche hab' ich heute früh erhalten.

– Und was sagt Herr Zieger bezüglich der Nachforschung nach den Tätern? fragte Karl Kip.

– Nichts, antwortete Nat Gibson, gar nichts. Die Mörder sind auch bis jetzt noch nicht entdeckt.

– Das ist leider nur zu wahr, setzte Hawkins hinzu. Die Herren Zieger und Hamburg haben sich unablässig darum bemüht, ohne einen Erfolg zu erzielen.

– Sie haben auch keine einzige Spur gefunden, die es ermöglichte, die Nachforschungen mit einiger Aussicht fortzusetzen? sagte Pieter Kip.

– Nein, erwiderte Hawkins, man hat bisher auf niemand Verdacht. Allem Anscheine nach ist das Verbrechen von Eingebornen begangen worden, die Zeit genug fanden, nach der Insel York zu flüchten, wo es natürlich sehr schwer werden würde, sie herauszufinden.

– Immerhin braucht Herr Gibson noch nicht alle Hoffnung aufzugeben, erklärte Karl Kip. Die gestohlenen Papiere könnten ja vernichtet worden sein, doch das Geld... die Piaster, sind jedenfalls nicht verschwunden, und wenn die Mordgesellen diese Goldstücke umsetzen wollen, hält man sie gewiß dabei an.

– Ich werde nach Kerawara zurückkehren, rief Nat Gibson, ja... ja, ich gehe noch einmal dahin!«

Dem jungen Mann war wohl zuzutrauen, daß er diese Absicht ausführte.

Das Gespräch verstummte beim Eintreten der Mitglieder des Seegerichts, die auf einem etwas erhöhten Teile des Saales Platz nahmen... eines Kommodore, eines Kapitäns und eines Leutnants, nebst dem Referendar, der die Anklageschrift aufgesetzt hatte.

[260] Die Verhandlung wurde eröffnet, und der Vorsitzende gab Auftrag, die Angeklagten hereinzuführen.

In der Mitte zweier Gerichtsdiener erschienen Flig Balt und Len Cannon, denen eine Bank links von der Richtertafel angewiesen wurde.

Der Bootsmann schien seiner Sache ganz sicher zu sein; er sah gleichgültig und kühl aus und blickte ziemlich sorglos umher. Wenn es ihm aber auch gelang, die Gefühle, die ihn jetzt gewiß erregten, zu unterdrücken, so machte seine ganze Erscheinung doch den Eindruck eines hinterlistigen Sünders.

Über Hawkins kam es bei seinem Anblick wie eine verspätete Erleuchtung. Es schien ihm, als sähe er Flig Balt zum ersten Male so, wie er wirklich war. O, wie hatten der Kapitän Gibson und er nur so verblendet sein können, diesem Menschen ihr Vertrauen zu schenken, sich von dem scheinheiligen Benehmen des Schurken täuschen zu lassen!

Was jetzt aber Hawkins Verwunderung erregte, das konnte die Gebrüder Kip nicht in gleicher Weise berühren. Der Bootsmann hatte auf sie ja von Anfang an einen recht verdächtigen Eindruck gemacht, und Flig Balt hatte das auch selbst bemerken müssen.

Was Len Cannon betraf, sprach dessen Haltung gewiß nicht zu seinen Gunsten. Er schleuderte tückische Blicke nach links und nach rechts, bald auf Vin Mod, bald auf Sexton oder auf Bryce, denn er mochte sich wohl fragen, warum diese nicht ebenfalls auf der Anklagebank säßen, da sie doch ebensoviel auf dem Kerbholz hätten, wie er.

Wenn Len Cannon – so war der Gedankengang Vin Mods – nicht ebenso siegesgewiß auftrat, wie Flig Balt, kam das offenbar daher, daß Flig Balt ihm nichts davon gesagt hatte, was Kyle ihm in seinem Auftrage mitgeteilt hatte. Doch war das überhaupt geschehen oder wußte Flig Balt bis jetzt noch nichts? Die Ungewißheit machte Vin Mod doch ziemlich ängstlich.

Kyle hatte sich jedoch seines Auftrages entledigt. Flig Balt und er waren noch am heutigen Morgen zusammengetroffen. Der Bootsmann konnte als Ankläger auftreten. Auf einen fragenden Blick, den Vin Mod ihm zuwarf, antwortete er durch eine kaum bemerkbare Handbewegung, die über ihre Bedeutung keinen Zweifel übrig ließ.

»Nun glimmt ja die Lunte, murmelte er für sich, nun mag die Bombe platzen!«

[261] Der Vorsitzende erteilte das Wort dem Referendar, und dessen Bericht schilderte in knappen Zügen die ganze Angelegenheit. Er wies darauf hin, unter welchen Umständen Flig Balt den Befehl über den »James-Cook« erhalten und unter welchen anderen Umständen man ihm diesen wieder hatte abnehmen müssen; wie Flig Balt wegen seiner offenkundigen Unfähigkeit durch den holländischen Seemann Karl Kip, einen Passagier des Schiffes, ersetzt worden war, ferner wie der Bootsmann die Auflehnung gegen den neuen Kapitän geschürt und sich – offenbar in der Absicht, das Schiff in seine Hand zu bekommen – an die Spitze der Meuterer gestellt hatte.

Daß Len Cannon ebenso schuldbelastet sei wie Flig Balt, war gar nicht zu bezweifeln und wurde durch das jetzige Verhalten des Mannes nur bestätigt. Offenbar hatte er bei dem Einflusse, den er auf seine in Dunedin angemusterten Kameraden ausübte, diese zu dem schweren Vergehen überredet. Gleich beim Ausbruch der Meuterei tat er sich ja auch durch seine Hetzrufe und Gewalttätigkeiten hervor. Mit einem Messer in der Hand war er auf Karl Kip eingedrungen und erst zurückgewichen, als ihm dieser den Revolver auf die Brust setzte. Seine Mitschuld und Verantwortlichkeit lag also klar zutage.

Als der Referendar seinen Vortrag beendigt hatte, beantragte er die höchste zulässige Strafe für die Meuterer.

Der Vorsitzende wendete sich nun an Flig Balt mit der Frage, ob er bezüglich der gegen ihn erhobenen Beschuldigung etwas einzuwenden habe.

»Nichts, erklärte einfach der Bootsmann.

– Sie erkennen also die in dem Berichte erwähnten Tatsachen an?

– Ja wohl... vollkommen.«

Diese wenigen Worte brachte er mit so klarer, ruhiger Stimme hervor, daß es die Verwunderung der Zuhörer erregte.

»Sie haben zu Ihrer Verteidigung nichts hinzuzufügen? fragte der Vorsitzende nochmals.

– Nicht ein Wort,« erklärte Flig Balt, der sich wieder setzte, da er sein Verhör für beendet ansah.

Vin Mod sah ihn scharf, doch mit einiger Besorgnis an.

Hatte Flig Balt nicht den rechten Augenblick verpaßt, alles zu sagen? Und hatte er, Vin Mod, sich doch nicht vielleicht über das Zeichen getäuscht, das der Bootsmann ihm gemacht hatte? Sollte dieser die kurze Mitteilung Kyles etwa nicht verstanden oder vielleicht überhaupt nicht erhalten haben?

[262] Immerhin, das sollte nichts ausmachen. Wenn Flig Balt nicht sprach, würde Vin Mod sprechen, sobald er zu seiner Aussage aufgerufen wurde.

Auf die an ihn gerichteten Fragen gab Len Cannon nur ausweichende Antworten, wobei er sich stellte, als ob er den Vorsitzenden nicht recht verstände, und jedenfalls hatte Flig Balt ihm empfohlen, so wenig nie möglich zu sprechen.

Vin Mod kam daher auf den Gedanken, dem Bootsmanne passe es, daß die Verhandlung erst weiter fortschreite, und daß die Zeugenaussagen, darunter vorzüglich die Karl Kips, zu Protokoll genommen worden seien. Wegen der Anschuldigung, die er gegen die Brüder erheben wollte, erschien es besser, daß diese sich vorher dem Gerichte gegenüber ausgesprochen hätten.

»Ja ja, sagte sich Vin Mod, der Flig Balt hat recht, er wird schon im geeigneten Augenblick gegen sie auftreten!«

Nach Beendigung des Verhörs mit dem Hauptangeklagten und seinem Mitschuldigen, wurde der erste Zeuge zu seiner Aussage aufgerufen.

Das war Karl Kip, und als er sich erhob, ging ein leises Flüstern durch die Reihen der Zuhörerschaft.

Karl Kip gab zuerst seinen Familiennamen nebst Vornamen und seine Nationalität zu Protokoll: ein Holländer aus Groningen gebürtig; Stand: Offizier in der Handelsflotte, nachdem er wenige Wochen an Bord des »James-Cook« als Kapitän tätig gewesen war, Obersteuermann auf dem nach Hamburg bestimmten Dampfer »Skydnam«.

Nach Erledigung dieser Vorfragen drückte sich Karl Kip mit solchen Worten und einer so erkennbaren Aufrichtigkeit über alles weitere aus, daß an seinem guten Glauben kein Zweifel aufkommen konnte.

»Mein Bruder und ich, sagte er, waren vorher Passagiere der ›Wilhelmina‹ wir sind von der Insel Norfolk gerettet worden, wohin wir uns nach erlittenem Schiffbruche geflüchtet hatten, und zwar gerettet durch Herrn Hawkins und den Kapitän Gibson. Ich kann auch an dieser Stelle nicht unterlassen, den edelmütigen und menschenfreundlichen Herren, die so viel für uns getan haben, den wärmsten und aufrichtigsten Dank auszusprechen.

»Während der Fahrt des ›James-Cook‹ von Norfolk nach Port-Praslin habe ich vielfach Gelegenheit gehabt, das Verhalten des Bootsmannes zu beobachten. Er flößte mir von Anfang an ein Mißtrauen ein, das sich später nur allzu gerechtfertigt erwies, und es wunderte mich, daß der Reeder und der Kapitän noch eine so gute Meinung von ihm hatten. Da mich das aber nichts [263] anging, habe ich in dieser Beziehung still geschwiegen. Daneben gewann ich jedoch auch die Überzeugung, daß Flig Balt seinen Obliegenheiten sehr wenig gewachsen war. Überließ der Kapitän Gibson ihm zuweilen Manöver, wie solche gewöhnlich Sache des Bootsmannes sind, so wurden diese so schlecht angeordnet, daß ich mich fast zum Eingreifen versucht fühlte. Da sie aber die Sicherheit des Schiffes nicht weiter in Gefahr brachten, enthielt ich mich, mit dem Kapitän darüber zu sprechen.

»Am 20. November ankerte der ›James-Cook‹ in Port-Praslin, um seine Fracht zu löschen und einige Reparaturen zu erfahren. Sein Aufenthalt dauerte neun Tage, dann segelte er nach Kerawara, der Hauptstadt des Bismarck-Archipels ab.

»Dort war es, wo der unglückliche Kapitän Gibson am Abend des 2. Dezembers unter den Streichen bisher noch unentdeckter Mörder erlag...«

Karl Kip äußerte diese Worte mit so schmerzlichem Ausdrucke, daß sich der Zuhörerschaft eine deutliche Erregung bemächtigte.

Gleichzeitig erhob sich Flig Balt, der dem Berichte gesenkten Kopfes gelauscht hatte, von der Bank, als ob auch er sich gar nicht zu fassen vermöchte.

Der Vorsitzende fragte ihn, ob er dem Gerichte etwas mitzuteilen hätte.

»Nein... nichts!« antwortete der Bootsmann.

Damit setzte er sich wieder nach einem flüchtigen, auf Vin Mod gerichteten Blick, der, sehr mutlos erscheinend, bereits eine lebhafte Ungeduld verriet.

Gleichzeitig warf aber auch Karl Kip einen so durchdringenden Blick auf Flig Balt, daß dieser betroffen die Augen niederschlug.

Dann fuhr der Holländer in seiner Aussage fort. Nach dem Ableben Harry Gibsons machte es sich natürlich nötig, die Führung des Schiffes jemand anderem anzuvertrauen. Weder in Port-Praslin, noch in Kerawara fand sich ein englischer Kapitän, der Gibsons Stelle hätte übernehmen können, es lag also nahe, diese dem bisherigen Bootsmanne zu übertragen. Nach Karl Kips Ansicht war der »James-Cook« damit freilich einem unfähigen und nicht ehrbaren Mann in die Hand gegeben.

»Herr Hawkins, fuhr er fort, konnte unter den gegebenen Umständen kaum anders handeln, und Flig Balt wurde damit betraut, die Brigg nach Port-Praslin zurückzuführen. Nachdem der ›James-Cook‹ dann in Kerawara seine Fracht eingenommen hatte, ging er wieder in See und vervollständigte schließlich seine Ladung.


»Ich klage ihn eines Verbrechens an, von dem er sich nicht wird rein waschen können.« (S. 271.)

[264] [267]Hier war es, wo dem Bootsmanne die Funktionen des Kapitäns dann ausdrücklich übertragen wurden.

Am 10. Dezember lichtete die Brigg die Anker und verließ die Inselgruppe. In den ersten Tagen und bei der Fahrt durch die Louisiaden ging alles ohne Störung vor sich. Wir hatten günstigen Wind, der keine Segelmanöver nötig machte, nur glaubte ich schon damals zu bemerken, daß der ›James-Cook‹ allmählich mehr nach Osten abwich. statt den geraden Kurs nach Süden einzuhalten.

Das erschien mir auffällig. Ich sprach darüber mit meinem Bruder und dieser riet mir, Herrn Hawkins davon Mitteilung zu machen, denn auch er mißtraute dem neuen Kapitän. Ich schwieg indes, da mir jede Denunziation verhaßt war. Dagegen unterließ ich es nicht, die Fahrtrichtung der Brigg so genau wie möglich zu beobachten, was Flig Balt jedenfalls bemerkte, denn vielleicht erschwerte es ihm die Ausführung eines geheimen Planes...«

Da Karl Kip mit der weiteren Ausführung seines Gedankens zu zögern schien, nahm der Vorsitzende das Wort.

»Sie haben beobachtet, Herr Kip, daß Flig Balt aus dem richtigen Kurse weichen zu wollen schien?... In welcher Absicht sollte er das versucht haben?

– Das kann ich unmöglich sagen, antwortete Karl Kip, mir war aber die Sache selbst nicht zweifelhaft. Flig Balt sachte die Brigg mehr nach Osten, nach den berüchtigten Inselgruppen steuern zu wollen, wo die Sicherheit eines Schiffes erfahrungsgemäß immerge fährdet ist. Da Flig Balt außerdem versuchte, eine Meuterei an Bord zu veranlassen, glaube ich, seine Absicht lief darauf hinaus, sich des ›James-Cook‹ zu bemächtigen.«

Diese unverhüllte Beschuldigung schien den Angeklagten sehr wenig zu berühren, und er begnügte sich, darauf nur leicht die Achseln zu zucken.

»Wie dem auch sei, fuhr Karl Kip fort, ein Sturm, der uns an der Grenze des Korallenmeeres überfiel, mußte eine solche Absicht unterstützen, da er unser Schiff seitwärts weit hinaus verschlug. Meiner Erfahrung nach hätte man sich da dem wütenden Westwinde gerade entgegenlegen sollen. Der neue Kapitän war dieser Ansicht aber nicht. Er ergriff vielmehr die Flucht, indem er nach der verrufenen Gegend der Salomonsinseln zu steuerte, und das unter einer Segelentfaltung, die die Sicherheit der Brigg arg gefährdete. Ich sah den Augenblick kommen, wo sie vom Meere verschlungen werden mußte, denn sie nahm immer gewaltige Sturzseen über und steuerte überhaupt nicht mehr. Da packte [267] ich das Ruder. Mich trieb die Empfindung, daß wir verloren wären, wenn ich nicht eingriffe. Die Mannschaft starrte mich an, Flig Balt erschöpfte sich in unzusammenhängenden Befehlen.

»Laßt mich nur machen!« rief ich. Herr Hawkins hatte mich verstanden und sagte zu mir: »Tun Sie Ihr Bestes!« – Ich übernahm also den Befehl; die Matrosen gehorchten mir; es gelang mit genauer Not, die Brigg zu wenden, und als am nächsten Morgen der Sturm nachließ, konnten wir leicht unter dem Lande Schutz suchen.

»Daraufhin übergab Herr Hawkins den Befehl mir, nachdem er ihn Flig Balt entzogen hatte. Dieser erhob Einspruch, ich zwang ihn, sich zu fügen. Jetzt hatte ich ja Gelegenheit, mich durch Ergebenheit und Pflichteifer gegen Herrn Hawkins ein wenig abzufinden.

Sobald es sich tun ließ, schlug der ›James-Cook‹ seinen Kurs nach Süden wieder ein, und wir befanden uns schon gegenüber Sydney, als die Meuterei am Abend des 30. Dezembers zum Ausbruche kam. Der ehrlose Bootsmann machte mit den Meuterern gemeinsame Sache. Er trieb seine Helfershelfer nach dem Deckhause, sich dort der vorhandenen Waffen zu bemächtigen. Len Cannon stürzte sich auf mich, um mich niederzustechen. Ich hatte aber schon einen Revolver in der Hand und drohte, ihm den Schädel zu zerschmettern. Mein Auftreten schreckte die Leute zurück, vorzüglich als einige brave Matrosen mir beisprangen. Die anderen wichen nach dem Vorderdeck aus, und ich ließ Flig Balt und Len Cannon ergreifen und beide in Eisen legen.

Ein zweiter Auflehnungsversuch war nicht mehr zu befürchten. Die Fahrt ging unter günstigen Umständen weiter. Am 1. Januar umschiffte der ›James-Cook‹ das Vorgebirge und traf den übernächsten Tag auf der Reede von Hobart-Town ein.

Das ist alles, was ich berichten kann, schloß Karl Kip, und ich habe hier nichts als die reine Wahrheit gesagt.«

Er trat darauf zur Zeugenbank zurück, mit der Gewißheit, daß man seiner Aussage vollen Glauben schenkte, und als er sich neben Hawkins und Nat Gibson wieder niedergelassen hatte, begrüßten ihn diese mit einem dankbaren Händedruck.

»Angeklagter, was haben Sie zu sagen? fragte jetzt der Vorsitzende.

– Nichts!« antwortete Flig Balt.

Nacheinander wurden nun die übrigen Zeugen aufgerufen, und sie bestätigten in allen Punkten die Darstellung Karl Kips.

[268] Hawkins gestand seinen Irrtum bezüglich Flig Balts unumwunden zu, einen Irrtum, den Harry Gibson vollkommen geteilt hatte, da dieser ja Flig Balt stets das beste Vertrauen entgegenbrachte. Der Reeder hatte nach der in Kerawara begangenen Mordtat gar nicht gezögert, dem Bootsmanne für die Rückfahrt den Befehl über die Brigg anzuvertrauen. Die Mehrzahl der Mannschaft schien damit recht zufrieden zu sein. Als das Schiff aber im Norden des Korallenmeeres in einen Sturm geriet, zeigte es sich deutlich, daß der neue Kapitän seiner Aufgabe nicht gewachsen war. Er hatte völlig den Kopf verloren, und ohne das Eingreifen Karl Kips wäre der ›James-Cook‹ sicherlich dem Untergange geweiht gewesen. Auch an dieser Stelle wollte diesem Hawkins nochmals den wärmsten Dank aussprechen.

Der nach dem Reeder aufgerufene Nat Gibson konnte dessen Bericht wiederum nur bestätigen. Als er aber auf seinen Vater zu sprechen kam, fühlte man es aus seinen Worten heraus, welcher Ingrimm gegen die Mörder seine Seele erfüllte.

Auch Pieter Kip gab, nur abgekürzt, den Bericht seines Bruders wieder. Er beleuchtete das Mißtrauen, das sie beide von Anfang an gegen den Bootsmann gehegt hätten, und den Verdacht, der sofort in ihnen aufgestiegen wäre, als Karl Kip den Kurswechsel des Fahrzeuges bemerkt hatte. Auch er zweifelte nicht, daß diese Kursänderung in verbrecherischer Absicht vorgenommen worden sei, was sich ja bald durch den Versuch einer Auflehnung eines Teiles der Besatzung bestätigt hätte.

Die Aussagen der Matrosen Wickley, Hobbes, Burnes und des Schiffsjungen Jim stimmten damit und untereinander vollkommen überein. Sie erklärten, versucht worden zu sein, sich an der Meuterei zu beteiligen, und wenn sie von dem Auftritte am 30. Dezember überrascht worden seien, bevor sie den Kapitän Kip von dem geplanten Anschlage unterrichten konnten, so hätten sie sich doch sofort auf seine Seite gestellt.

Der Vorsitzende widmete ihnen ein warmes Lob, das die Leute gewiß verdient hatten.

Die Aussagen der vorgeladenen Zeugen waren hiermit beendet. Jetzt sollten die anderen, in der Angelegenheit mehr oder minder belasteten Personen abgehört werden, die gewiß etwas unruhig darüber waren, wie die Verhandlung für sie ausgehen werde.

Zunächst wurde Vin Mod über das, was er wußte, befragt.

[269] Von dem arglistigen Burschen durfte man sich freilich keiner wahrheitsgetreuen Schilderung der Vorgänge versehen. Er bemühte sich denn auch, jede Verantwortlichkeit von sich abzuwälzen; er habe niemals – jetzt wie früher-geglaubt, daß Flig Balt den Kurs der Brigg hätte verändern wollen, wie Karl Kip das vermutete. Flig Balt wäre ein tüchtiger Seemann, wofür verschiedene Beweise vorlägen... seine Anordnungen bei dem Sturme wären ganz zweckmäßig gewesen, so daß er es höchst ungerechtfertigt finde, daß man ihm das Kommando wieder abgenommen hätte.

»Genug!« fiel der Vorsitzende ein, dem der Ton und das Auftreten Vin Mods tief mißfiel.

Der Matrose suchte seinen Platz wieder auf, doch nicht ohne einen forschenden Blick auf Flig Balt geworfen zu haben, der ihm mit einem kaum bemerkbaren Zeichen antwortete. Der Blick Vin Mods wollte aber sagen:

»Nun rede bald... es ist Zeit dazu!«

Die Aussagen Sextons und Bryces waren von keinerlei Bedeutung. Noch unter der Nachwirkung des Trinkgelages am Vorabende und unter dem Einflusse einer halben Trunkenheit verstanden sie kaum die an sie gerichteten Fragen.

Nach ihnen rief der Vorsitzende Flig Balt noch einmal auf. Die Gerichtsverhandlung neigte sich dem Ende zu, und bevor die Richter sich zur Beratschlagung zurückzogen, kam dem Bootsmanne das Recht zu, noch einmal das Wort zu ergreifen.

»Sie wissen, wessen Sie angeklagt sind, Flig Balt, sagte er zu dem Bootsmanne, haben die Beschuldigungen gehört, die von den Zeugen vorgebracht wurden. Haben Sie darauf etwas zu entgegnen?

– Ja!« erklärte der Angeklagte, jetzt aber mit sehr verschiedenem Tone gegen den, womit er vorher »Nein« geantwortet hatte.

Nach dem Richtertische zu gewendet, doch mit noch niedergeschlagenen Augen und leicht geschlossenem Munde, wartete er, daß der Vorsitzende ihm eine bestimmtere Frage vorlegen sollte.

Das ließ denn auch nicht auf sich warten.

»Flig Balt, fuhr der Richter fort, wie wollen Sie sich gegen die Tatsachen, die hier vorgebracht worden sind, verteidigen?

– Indem ich jetzt selbst Anklage erhebe,« antwortete der Bootsmann.

Keineswegs beunruhigt, sondern nur erstaunt, sahen Hawkins, Nat Gibson und die Gebrüder Kip einander an. Keiner von ihnen konnte sich vorstellen,[270] worauf Flig Balt hinauswollte, oder gegen wen er eine Anklage zu erheben wagte.

»Ich war der Kapitän des ›James-Cook‹, begann dieser, und hatte meine Berufung als solcher von Herrn Hawkins in bindender Weise empfangen. Ich sollte die Brigg nach Hobart-Town zurückführen, und was der eine oder der andere auch denken mochte, ich würde sie nach Hobart-Town zurückgebracht haben... Da wurde ein neuer Kapitän an meine Stelle gesetzt... Und wer?... Ein Fremder, ein Holländer. Engländer an Bord eines englischen Schiffes können es sich aber nicht gefallen lassen, unter dem Befehle eines Fremden zu fahren. Das war es, was uns gegen Karl Kip zur Auflehnung trieb...

– Gegen Ihren Kapitän, fiel der Vorsitzende ein, und das gegen Recht und Gesetz, denn er stand rechtmäßig an seiner Stelle, und Sie hatten ihm einfach zu gehorchen!

– Zugegeben, meinte Flig Balt mit entschiedenem Tone. Ich leugne nicht, daß wir uns in dieser Hinsicht vergangen haben. Ich habe dagegen folgendes zu sagen: Wenn Karl Kip mich der Meuterei gegen ihn anklagt und, übrigens ohne Beweise, beschuldigt, den ›James-Cook‹ aus seinem Kurse gebracht zu haben, um mich des Schiffes zu bemächtigen, so klage ich ihn eines Verbrechens an, von dem er sich nicht wird rein waschen können.«

Auf die so schwere Beschuldigung schnellten Karl und Pieter Kip, obwohl sie noch gar nicht wußten, worauf diese sich gründete, von ihrem Platze in die Höhe, als wollten sie sich auf die Anklagebank stürzen, von der aus Flig Balt sie mit frechem Hohne ansah.

Hawkins und Gibson hielten beide noch in dem Augenblicke zurück, wo die Brüder ihrem Zorne schon die Zügel schießen lassen wollten.

Pieter Kip gewann zuerst seine Fassung wieder. Er ergriff die Hand seines Bruders und hielt diesen entschlossen zurück.

»Wessen beschuldigt uns dieser Mensch? fragte er mit vor Abscheu bebender Stimme.

– Des Verbrechens des Mordes, antwortete Flig Balt.

– Des Mordes! rief Karl Kip... Uns!...

– Ja, Sie... die Mörder des Kapitäns Gibson!«

Es wäre unmöglich, die jetzt in der Zuhörerschaft auflodernde Erregung zu schildern. Eine Empfindung von Entsetzen erfüllte den ganzen Saal... doch von Entsetzen, von Abscheu gegen den Bootsmann, der sich erfrecht hatte, gegen [271] die Brüder Kip eine solche Anschuldigung zu erheben. Wie von einem unwiderstehlichen Instinkt bezwungen, war Nat Gibson – bei dieser Wendung der Dinge ja kein Wunder – erbleichend zurückgewichen, und Hawkins hatte vergeblich versucht, ihn zu beruhigen.

Pieter und Karl Kip, die einen Augenblick von der abscheulichen Beschuldigung wie erstarrt dasaßen, wollten in ihrer natürlichen Entrüstung schon das Wort ergreifen, als ihnen der Vorsitzende darin zuvorkam.

»Flig Balt, sagte er... Ihre Frechheit übersteigt alle Grenzen... wie können Sie eine solche Ungeheuerlichkeit wagen!

– Ich spreche die Wahrheit!

– Und wenn das die Wahrheit wäre, warum sind Sie nicht eher damit hervorgetreten?

– Weil ich sie erst im Laufe der Rückfahrt erfahren habe. Dann wurde ich beim Eintreffen des ›James-Cook‹ verhaftet und mußte wohl oder übel bis zu dem heutigen Verhandlungstage warten, ehe ich die öffentlich anklagen konnte, die mir die Ehre abzuschneiden suchten.«

Karl Kip war außer sich.

»Elender Schurke! schrie er laut und mit der Stimme eines Kapitäns, der im Sturmesheulen seine Befehle erteilt, elender Bube! Wenn man solche Beschuldigungen wagt, muß man auch Beweise dafür haben...

– Die fehlen mir auch nicht, erwiderte Flig Balt trocken, sie stehen dem Gerichtshof zur Verfügung, sobald er sie zu erhalten wünscht.

– Und welche wären das?

– Man untersuche nur den Reisesack, den die Gebrüder Kip noch von der verunglückten ›Wilhelmina‹ geborgen haben; darin wird man die Papiere und das Geld des Kapitäns Gibson schon finden.«

[272]
5. Kapitel
Fünftes Kapitel.
Die Folgen der ersten Gerichtsverhandlung.

Die Wirkung der letzten Erklärung des Bootsmannes läßt sich gar nicht beschreiben. Unter den Zuhörern entstand ein langes, peinliches Murren und ein Geflüster, das der Vorsitzende kaum zu unterdrücken vermochte. Alle Blicke richteten sich auf die beiden Brüder, die jetzt eines solchen Kapitalverbrechens beschuldigt waren. Regungslos standen Karl und Pieter Kip vor den Schranken, von Überraschung ebenso gelähmt wie von Entsetzen. Der ältere mit seinem erregbareren Temperamente bedrohte durch Zeichen den erbärmlichen Flig Balt. Das Gesicht totenbleich, die Augen feucht schimmernd und die Arme gekreuzt, begnügte sich der jüngere mit einem verächtlichen Achselzucken gegen den gemeinen Ankläger.

Dann verließen beide auf einen Wink des Vorsitzenden die Zeugenbank und traten, von zwei sie begleitenden Dienern im Auge behalten, näher an die Gerichtstafel heran.

Nach anfänglichem, protestierendem Murmeln, das sie nicht zu unterdrücken vermochten, verhielten sich Hawkins, Hobbes, Wickley, Burnes und Jim vollkommen schweigend, während Sexton, Bryce und Koa mit gedämpfter Stimme noch einige Worte wechselten.

Nat Gibson, der mit gesenktem Kopfe und schmerzverzerrten Zügen dasaß, hielt sich krampfhaft an der Bank fest, doch wenn er die Augen einmal zu den Gebrüdern Kip erhob, schoß daraus auf diese ein Blick tödlichen Hasses. Es sah aus, als hätte er bereits die feste Überzeugung von der Schuld der Holländer gewonnen.

Vin Mod selbst erwartete sehr gleichmütig die Folgen dieser Denunziation des Bootsmannes gegen Karl und Pieter Kip.

Als die so tief erregten Zuhörer wieder ruhiger geworden waren, erteilte der Vorsitzende nochmals Flig Balt das Wort, um diesem Gelegenheit zur Vervollständigung seiner Anklage zu geben.

Flig Balt tat das in klarer, kurzer Rede und mit einem Tone, der unbedingt einen ihm günstigen Eindruck hinterlassen mußte.

[273] Am 25. Dezember gegen Abend, als er noch Befehlshaber der Brigg war, befand er sich zufällig in der gemeinschaftlichen Kajüte. Die Tür der daran gelegenen Kabine der Gebrüder Kip stand gerade offen. Da erhielt das Schiff vom Wasser einen besonders heftigen Stoß, bei dem ihm ein Reisesack bis vor die Füße gerollt wurde. Es war derselbe, der vom Wrack der »Wilhelmina« noch glücklich geborgen worden war. Beim Aufschlagen und Herausrollen hatte sich der Sack geöffnet, und ihm entfielen verschiedene Papiere und eine Handvoll Piaster, die über den Fußboden verstreut wurden.

Das Klirren der Goldstücke erregte ebenso die Aufmerksamkeit Flig Balts, wie seine Verwunderung, da allen auf dem Schiffe bekannt war, daß Pieter und Karl Kip bei dem Schiffbruche alles verloren hätten, was sie an Geld besaßen.

Ohne hierüber weiter nachzudenken, ging Flig Balt daran, die Münzen und die Papiere wieder in den Reisesack zu stecken, als er unter diesen Papieren die des »James-Cook«, das Konnessement (den Ladeschein) und die Chartepartie (den Frachtvertrag) des Kapitäns Gibson erkannte, die dieser am Tage seines Todes bei sich trug und die man bisher nicht wiedergefunden hatte.

Über diese Entdeckung schaudernd, verließ Flig Balt die Kajüte. Er konnte nicht mehr bezweifeln, daß die Gebrüder Kip die Schuldigen wären. Sein erster Gedanke war, zu Herrn Hawkins zu laufen und ihm zu sagen: »Sehen Sie hier, was ich gefunden habe« – und Nat Gibson zuzurufen: »Da stehen die Mörder Ihres Vaters!«

Gewiß hätte der Bootsmann das tun sollen, er tat es aber nicht, er sprach gegen niemand von dem Geheimnis, das sich ihm eben enthüllt hatte. Doch unter der Botmäßigkeit eines Verbrechers, des Mörders seines Kapitäns zu stehen... das konnte er nicht über sich gewinnen. Er wollte ihm das Kommando wieder entreißen, dessen er, Flig Balt, ungerechterweise beraubt worden war, und nur deshalb stachelte er die Matrosen zu der Meuterei an.

Sein Versuch mißglückte. Er wurde entwaffnet und auf Anordnung des Elenden, der das Vertrauen des Herrn Hawkins so schmählich getäuscht hatte, in dem Frachtraum eingesperrt. Infolge dessen beschloß er, bis zum Eintreffen des Schiffes in Hobart-Town zu verschweigen, was er wußte, und auch hier erst die ihm bevorstehende Anklage abzuwarten. Öffentlich, vor dem versammelten Seegerichte, wollte er erst die Urheber des Verbrechens von Kerawara an den Pranger stellen.

[274] Nach dieser ausdrücklichen Erklärung, der eine längere Erregung im Zuhörerraume folgte, glaubte der Vorsitzendem, die Verhandlung zunächst abbrechen zu müssen. Die Sitzung wurde also aufgehoben; einige Gerichtsdiener führten Flig Balt und Len Cannon in das Hafengefängnis zurück. Die weitere Untersuchung der Sache würde ja ergeben, was von der Aussage des Bootsmannes zu halten wäre. Karl und Pieter Kip wurden aber vorläufig verhaftet und im Stadtgefängnis untergebracht.

Vor dem Verlassen des Sitzungssaales hatte Karl Kip sich nicht überwinden können, seiner Entrüstung über den Buben, der sie anklagte, kräftig Ausdruck zu geben. Pieter bemühte sich, ihn zu besänftigen.

»Laß es gut sein, mein armer Bruder... überlaff' es den Gerichten, unsere Unschuld an den Tag zu bringen!«

Dann waren sie fortgegangen, doch keine Hand – nicht einmal die des Herrn Hawkins – hatte sich ihnen entgegengestreckt.

Natürlich mußten Karl und Pieter Kip fest daran glauben. daß bei der weiteren Untersuchung nie etwas herauskommen könnte, was sie belastete... sie hatten das abscheuliche Verbrechen ja nicht begangen. Die Schiffspapiere, die Flig Balt in ihrem Reisesacke gesehen haben wollte, könnte man bei einer Haussuchung in ihrem Gasthofszimmer ja unmöglich finden, und sie meinten, mit ruhigem Gewissen die weiteren Schritte abwarten zu können, die in der Sache getan würden. Die einfache Behauptung des Bootsmannes genügte sicherlich nicht, sie des Diebstahls und des Mordes zu überführen.

Wer beschreibt aber ihr Erstaunen und wer die Empfindung des Entsetzens, das sich in der Stadt verbreitete, als noch am nämlichen Tage das Gerücht aufkam, die Nachsuchungen hätten Flig Balts Aussage bestätigt!

Einige Gerichtspersonen hatten sich sofort nach dem Gasthofe zum Great Old Man begeben. Der vom Bootsmanne erwähnte Reisesack war geöffnet und durchsucht worden. Unter darin verpackter Leibwäsche hatte man eine Summe von sechzig Pfund in Piastern und auch die dem Kapitän Gibson abgenommenen Papiere des »James-Cook« vorgefunden.

Ja noch mehr... einen noch erdrückenderen Beweis! – In dem Reisesacke befand sich eine Waffe, ein malaiischer Dolch... ein Kriß mit gezahnter Klinge. Die in Kerawara vorgenommene Besichtigung und die photographischen Aufnahmen des Herrn Hawkins bewiesen ganz unzweifelhaft, daß die Todeswunde des Kapitäns von einer solchen Handwaffe herrührte.

[275] Es waren also keine einfachen Vermutungen mehr, die zu Ungunsten der Gebrüder Kip sprachen, sondern wirkliche, greifbare Beweise, wie sie Flig Balt in der Gerichtssitzung schon angekündigt hatte. Und was jeden Zweifel an der Wahrhaftigkeit des Bootsmannes noch weiter ausschloß, war der Umstand, daß er von dem malaiischen Kriß kein Wort gesprochen hatte und also jedenfalls nicht wußte, daß dieser sich im Besitz der beiden Brüder befand, denn in der Verhandlung hatte er ja nur der Papiere und der Piaster Harry Gibsons Erwähnung getan.

Der Leser erinnert sich aber wohl, daß Jim diesen, von Vin Mod auf ein Tischchen in der Kabine gelegten Dolch gesehen hatte, als er zum Aufräumen des Raumes von Flig Balt hinuntergeschickt worden war. Den Dolch hatte der Bootsmann jedoch gleich darauf wieder an sich genommen. Möglicherweise wurde nun sogar der Schiffsjunge zu einer Aussage über diesen Punkt herangezogen, und sein Zeugnis mußte dann die Angaben des Bootsmannes noch weiter bestätigen.

Alles das beweist, daß das von dem schurkischen Vin Mod gesponnene Netz recht fest und widerstandsfähig war. Was er zur Kompromittierung, zum Verderben der beiden Brüder ersonnen hatte, schlug bis jetzt nicht fehl; voraussichtlich konnten sie die dunkle Angelegenheit niemals aufhellen, die freche, gegen sie erhobene Anschuldigung niemals von sich abschütteln.

Jedenfalls hatte der so schwer wiegende Umstand – die Auffindung des Kriß – die von Vin Mod erwartete Folge, daß die Untersuchung gegen Flig Balt und Len Cannon eingestellt und das saubere Paar aus der Hast entlassen wurde. Was bedeutete denn der Versuch einer Auflehnung an Bord des »James-Cook« gegen den Sachverhalt, der durch die Haussuchung an den Tag gekommen war? Der Bootsmann konnte daraufhin ja nicht mehr als Angeklagter, sondern nur noch als Zeuge vor Gericht gezogen werden.

Es ist wohl unnötig, hier besonders auf das Ungestüm – ja, das ist das treffende Wort – hinzuweisen, womit Nat Gibson sich auf die jetzt offenliegende Fährte stürzte. Endlich waren sie entdeckt, würden sie bestraft werden, die herzlosen Mörder seines Vaters! – Ebenso darf es bei dem Gemütszustande, der Nat Gibson beherrschte, kaum wundernehmen, daß der junge Mann alles vergaß, was zur Entlastung der Gebrüder Kip hätte dienen können: ihre Haltung seit dem Tage, wo sie von der Insel Norfolk aufgenommen wurden, ihr mutiges Auftreten bei dem Überfalle der Papuas von Neuguinea, den ungeheuchelten [276] Schmerz, den sie beim Tode des Kapitäns Gibson verrieten, ferner bei der Rückreise das wirksame Eingreifen Karl Kips, der im schlimmsten Sturme die Brigg vor dem Untergange bewahrte. und auch seine Entschlossenheit bei der durch den Bootsmann angezettelten Meuterei. – Nat Gibson vergaß gänzlich die warme Sympathie, die ihm die Schiffbrüchigen von der »Wilhelmina« bisher eingeflößt hatten. Alle diese Gefühle erloschen vor dem Abscheu gegen die Mörder, die ja alle Umstände anklagten, gegen das unwiderstehliche Verlangen, seinen Vater gerächt zu sehen.

Übrigens hatte sich auch in Hobart-Town allgemein ein Meinungsumschwung vollzogen. Soviel man sich früher für die Gebrüder Kip interessierte und sie unterstützt hatte – den einen durch die Vermittlung einer Anstellung als Obersteuermann, den anderen durch die Einleitung späterer Handelsverbindungen zwischen dem Groninger Hause und Tasmanien, ebensoviel wurden sie jetzt verurteilt und verwünscht. Dagegen stieg Flig Balt in den Augen der Leute zur Höhe eines Helden empor. Welche Charakterstärke hatte er bewiesen, jenes Geheimnis bis zum Tage der ihm drohenden Gerichtsverhandlung zu bewahren! Und verdiente er nicht wenigstens eine Entschuldigung, jener Versuch einer Empörung zu dem Zwecke, den »James-Cook« der Führung durch einen Mörder zu entziehen... ein Versuch, bei dem er doch das eigene Leben aufs Spiel setzte? Ja sogar die ehrbaren Matrosen Hobbes, Wickley und Burnes waren durch das allgemein herrschende, vernichtende Urteil so stark beeinflußt worden, daß sie völlig der Hochachtung, die sie für ihren neuen Kapitän empfunden, völlig der Ergebenheit vergaßen, die sie ihm unter allen Umständen bewiesen hatten.

Was aber in Hobart-Town niemand mehr bezweifelte, das konnte auch in Port-Praslin und in Kerawara keinen Zweifel mehr aufkommen lassen, und Herr Zieger wie Herr Hamburg konnte jede, jetzt überflüssig gewordene Nachforschung aufgeben.

Frau Gibson gab sich mehr dem Schmerz über den Verlust ihres Gatten hin, als dem Bedauern, seinen Tod ungesühnt zu wissen. Doch was hätte sie zu ihrem Sohne sagen können, das geeignet gewesen wäre, seine Überzeugung zu erschüttern? Übrigens erschienen ja auch ihr, wie so vielen, wie vielleicht allen anderen, nach der durch Beweise erhärteten Aussage des Bootsmannes die beiden Brüder als die einzigen, die wirklichen Mörder Harry Gibsons.

[277] Allen anderen?... Nein, doch wohl nicht, wenigstens Hawkins war mit seinem Urteile über die Holländer noch nicht fertig. Fühlte er auch sein unbedingtes Vertrauen auf Karl und Pieter Kip ein wenig schwanken, so war er von deren Schuld doch nicht vollkommen überzeugt. Der häßliche Gedanke, daß die jungen Männer, die sich bisher seine größte Hochachtung erworben hatten, die Urheber einer solchen Freveltat wären... dieser Gedanke widerstrebte ihm gar zu sehr.

Beweggründe für den Mord ließen sich ja gar nicht angeben. Sollte man sie denn in dem Verlangen suchen, sich die paar tausend Piaster anzueignen, die Gibson bei sich getragen hatte, oder etwa in der von Karl Kip genährten Hoffnung, dessen Nachfolger in der Führung der Brigg zu werden? Das genügte dem klarsehenden Hawkins nicht, auch als Frau Hawkins seinen Einwendungen gelegentlich widersprach.

»Doch die Beweise, sagte sie dann, die greifbaren Beweise... das Geld... die Schiffspapiere... und obendrein jener Dolch!... Kann man denn annehmen, daß unser armer Gibson nicht mit dieser Waffe ermordet worden wäre?

– Ja ja, antwortete darauf Hawkins, das weiß ich alles. Hier liegen Beweise vor, die erdrückend er scheinen. Und doch kann ich daneben so manches andere nicht vergessen. Nein, ich zweifle so lange, bis diese Unglücklichen ein unumwundenes Geständnis ablegen.

– Würdest du im Beisein Nats wohl ebenso sprechen?

– Nein... er hätte dafür kein Verständnis. Was könnte es bei seinem überreizten Zustande nützen, ihm andere Gedanken nahe legen zu wollen?... Warten wir die weitere Entwicklung der Sache ab. Wer weiß, ob es Karl und Pieter Kip nicht gelingt, ihre Unschuld nachzuweisen. Und selbst im Falle ihrer Verurteilung würde ich noch sagen: Warten wir die Zukunft ab!«

Nach der Durchsuchung des Zimmers im Gasthofe zum Great Old Man lag die Sache so, daß sie vor dem Kriminalgerichtshof weitergeführt werden mußte. Zu einer Hinausschiebung lag kein Grund vor. Die einzigen Zeugen, die vorgeladen werden konnten, befanden sich alle in Hobart-Town. Etwaige aus Holland einzuziehende Erkundigungen über die Familie der beiden Brüder, über ihre persönlichen Verhältnisse und ihren Leumund konnten mit Hilfe des Telegraphen binnen vierundzwanzig Stunden erlangt werden. Die Untersuchung bedingte keine weitschweifigen Ermittelungen, keine Herbeischaffung weiterer Beweismittel.

[278] Drei Tage verstrichen Am 25., an dem dafür bestimmten Termin, fuhr der »Skydnam« ab, nachdem der Kapitän Fork einen anderen Obersteuermann gewählt hatte. Er dampfte hinaus... ohne Karl oder Pieter Kip an Bord zu haben, und Hawkins zerriß es fast das Herz. als er das Schiff auf dem Meere schaukeln sah.

Flig Balt und Vin Mod glaubten jetzt natürlich, wegen des in Kerawara begangenen Verbrechens nichts mehr zu befürchten zu haben. Wer hätte auch das abscheuliche Komplott durchschauen können, dem zwei Unschuldige zum Opfer gefallen waren, wer hätte die Maschen des Netzes zerreißen können, worin diese gefangen saßen?

Der Bootsmann und sein Helfershelfer allein hatten das häßliche Manöver ersonnen und ausgeführt. Weder Sexton, noch Bryce oder der Koch Koa hatte davon die leiseste Ahnung, ja sie waren fast mehr als die anderen erstaunt über die plötzliche Wendung, die die Angelegenheit vor dem Seegerichte genommen hatte. Was Kyle angeht, der nach achtundvierzigstündiger Hast entlassen worden war, so konnte dieser, obwohl er als Mittelsmann zwischen Vin Mod und Flig Balt gedient hatte, aus der von ihm überbrachten Mitteilung doch nicht den Verdacht schöpfen, daß die beiden genannten den Mord begangen hätten und daß die Gebrüder Kip nur in eine Falle geraten wären. Auch Len Cannon kannte die Wahrheit so wenig wie die anderen. Diese verabscheuungswürdigen Matrosen konnten sich aber nur beglückwünschen über die Wendung, die die Angelegenheit genommen hatte. Flig Balt, der jetzt nicht mehr gefangen saß, konnte sich um eine Heuer für sie und für sich selbst umtun. Und wenn es auch in ihrer Macht gestanden hätte, wären sie gewiß nicht zu Gunsten der beiden Brüder aufgetreten.

Nach der Abfahrt des »Skydnam« am Abend des 25. schlenderten Flig Balt und Vin Mod auf dem Kai umher. Dieser war ganz menschenleer, und so konnten sie jetzt plaudern ohne die Gefahr, gehört oder belauscht zu werden.

»Na, glückliche Reise dem ›Skydnam‹, sagte Vin Mod, glückliche Reise, da er die beiden Holländer nicht nach Holland mitnimmt. Ha ha, Karl Kip hatte an Bord des ›James-Cook‹ deinen Platz eingenommen, Freund Balt, nun er wird ihn auch noch ein zweites Mal einnehmen, doch hinter den Riegeln des Gefängnistores, und solche Riegel... die halten hübsch fest!

– Unser Streich ist gelungen, meinte dazu der Bootsmann, eigentlich leichter, und vielleicht gründlicher, als ich es selbst erwartete.

[279] – O, es war ja alles von langer Hand vorbereitet. Die beiden Kip werden nicht imstande sein, sich aus der Schlinge zu ziehen.

– Wir wollen nur erst das Ende abwarten, Mod.

– Das steht schon im voraus fest, alter Freund!... Ha, ich möchte wohl ihr Gesicht gesehen haben, als sie erfuhren, was man in ihrem Reisesacke gefunden hatte. Wahrlich, es war ein Glück, daß wir auf das treibende Wrack der ›Wilhelmina‹ gestoßen sind und daß jener Reisesack bei deren Unfalle nicht mit versanken war. Hatten sie denn nachher nicht die Papiere und das Geld des Kapitäns im Besitz?... Wie unklug! Freilich hab' ich dazu ein paar hundert Piaster opfern müssen, doch darüber ist nicht zu jammern...

– Wieviel ist uns denn noch geblieben? fragte Flig Balt.

– Fast zweitausend Piaster, und wir werden also nicht verhindert sein, davonzugehen, sobald es uns paßt.

– Das heißt nach dem Prozesse.

– Natürlich! Nur nicht zu vergessen, daß Flig Balt, der Exkapitän des ›James-Cook‹, der Hauptzeuge ist, und ich hoffe, daß der sich dann in keine Widersprüche verwickeln wird.

– Darum sei ohne Sorge, Mod.

– Übrigens war es ein Glück, daß du in der Verhandlung bei Gelegenheit deiner Anklage nur von den Schiffspapieren und den Piastern gesprochen hast, denn als man später auch noch den Kriß fand, machte das um so mehr Wirkung. Damit war jeder Zweifel niedergeschlagen, und du wirst's ja sehen, die beiden Kip mögen noch so sicher behaupten, der Dolch könne nur auf dem Wrack gefunden worden sein, glauben wird es ihnen doch niemand, schon da sie ja zugeben müssen, daß er ihnen gehört. Vergessen wir nicht, daß sie ehrliche Leute sind, die nicht lügen können. Na, ich werde ja noch sehen, welche Grimassen solche ehrbare Leute schneiden, wenn sie am Galgen baumeln!«

Der elende Bursche lachte noch über seine Witzeleien, doch ohne daß es ihm gelang, den Bootsmann aufzuheitern. Dieser fühlte sich immer etwas bedrückt und konnte sich von einer inneren Unruhe nie ganz befreien. Gewiß war die Geschichte bisher sehr gut durchgeführt, wer konnte aber wissen, ob sie nicht durch unerwartete Zwischenfälle doch noch eine bedrohliche Wendung nähme.

»Ja, Vin Mod, daß alles zu Ende und zu unseren Gunsten zu Ende ist, das glaube ich erst nach der rechtskräftig gewordenen Verurteilung und nachdem[280] [283] wir Hobart-Town verlassen haben werden, um unser Glück weit von hier, am Ende der Welt, meinetwegen beim Teufel zu erjagen...

– Das ist so deine Art, Balt; dir ist's unmöglich, die Dinge ruhig anzusehen. Nun ja, das liegt eben in deiner Natur...

– Das bestreite ich nicht, Mod.


Flig Balt und Vin Mod schlenderten auf dem Kai umher. (S. 279.)

– Weil du die Dinge nicht ansiehst, wie sie wirklich liegen, Freund Balt! Ich wiederhole dir: was uns betrifft, ist nichts zu befürchten. Selbst wenn wir jetzt eingestehen wollten. einen schlechten Streich gespielt zu haben, bin ich überzeugt, daß man uns nicht glauben würde!

– Sage mir, Mod, fuhr der Bootsmann ablenkend fort, im Gasthofe zum Great Old Man hat dich doch niemand bemerkt?

– Niemand... weder gekannt, noch wiedererkannt. Vin Mod hat ja dort überhaupt nicht gewohnt, sondern ein Ned Pat, der mir nicht im geringsten ähnelte.

– Gewagt war es doch, was du getan hast.

– Nein, nein; du glaubst gar nicht, wie es mich entstellt, wenn ich einen Vollbart trage... einen starken, rötlichen Bart, der bald bis an die Augen hinausreicht. Außerdem bin ich nur spät abends, zur Zeit des Zubettgehens, in den Gasthof gekommen und allemal sehr frühzeitig wieder fortgegangen.

– Und du bist jetzt von da auch noch nicht ausgezogen? fragte Flig Balt.

– Noch nicht; ich halte es für richtiger, noch ein paar Tage länger dort zu bleiben. Wäre ich gleich nach der Verhaftung der Gebrüder Kip davongegangen, so hätte das auffallen können. Vielleicht hätte man beides in Verbindung gebracht... kurz, aus Vorsicht verlasse ich den Gasthof nicht vor der Fällung des Urteils...

– Es ist aber auch wichtig, Mod, daß du später nicht als identisch mit jenem Ned Pat erkannt wirst.

– Keine Sorge, Balt... sieh, drei- oder viermal, wenn ich mich nach dem Gasthofe begab, bin ich auf der Straße Sexton, Kyle und Bryce begegnet; die haben aber niemals geahnt, daß ihr Kamerad eben vorübergegangen wäre Du selbst, Balt, hättest mir bestimmt kein ›Halt' einmal, Vin Mod!‹ zugerufen.«

Man erkennt also, daß hier keine Vorsichtsmaßregeln versäumt waren und nichts zu der Entdeckung führen konnte, daß Vin Mod unter dem Namen Ned Pat im Great Old Man das Zimmer neben dem der Gebrüder Kip bewohnt hatte.

[283] Die weitere Behandlung der Angelegenheit ging durch den Untersuchungsrichter ununterbrochen vor sich. Niemand zweifelte übrigens mehr an der Schuld der beiden, so klar und bündig angeklagten Holländer, in deren Besitz sich die Papiere und das Geld des Kapitäns gefunden hatten. Alles sprach ja dafür, daß diese Gegenstände von den Mördern Harry Gibsons gestohlen worden seien, da dieser sie, als er seinen elenden Tod fand, bestimmt bei sich getragen hatte.

Zwischen der in dem Reisesacke aufbewahrten Leibwäsche hatten die Gerichtsdiener obendrein einen Dolch gefunden.

Nun entstand freilich zunächst die Frage, ob diese Waffe dieselbe sei, mit der der Kapitän Gibson getötet worden war.

Das ließ sich aber verhältnismäßig leicht erweisen. Die von einer gezahnten Schneide gerissene Wunde konnte nur von einem Kriß malaiischen Ursprungs herrühren. Die Photographie, die Hawkins besaß, bestätigte das ohne weiteres.

In Melanesien sind solche Krisse freilich allgemein in Gebrauch. Die Eingebornen auf Kerawara und der Insel York, so wie die von Neuseeland und Neubritannien, bedienen sich ihrer in allen Kämpfen ganz allgemein neben Speeren und kleineren Wurfspießen... War nun als bestimmt anzunehmen, daß der Karl Kip gehörige Kriß die bei dem Verbrechen benutzte Mordwaffe war?

Dafür sollte sehr bald ein weiterer Beweis geliefert werden.

Am Morgen des 25. ging in Hobart-Town ein englischer Dreimaster, der »Gordon« aus Sydney, vor Anker.

Drei Wochen vorher hatte der »Gordon« nach wiederholtem Aufenthalte in Kerawara und Port-Praslin den Bismarck-Archipel verlassen.

Der Postbeutel des »Gordon« enthielt einen an Herrn Hawkins gerichteten Brief und ein dazu gehöriges Kästchen.

Der Brief kam von Port-Praslin. Herr Zieger hatte ihn erst später geschrieben, als die aus Wellington herrührenden Nachrichten dem Reeder durch seinen Korrespondenten Balfour schon übermittelt worden waren. – Nachrichten, die übrigens für die Untersuchung nichts Neues oder Wichtiges enthielten.

Jener Brief aber lautete folgendermaßen:


»Port-Praslin, am 22. Januar.


Lieber Freund!


Ich benutze die Abfahrt des ›Gordon‹, Sie zunächst zu bitten, mich Ihrer geehrten Gattin zu empfehlen, und der Frau Gibson nebst deren Sohne [284] zu versichern, daß wir, meine Frau und ich, an ihrem Schmerze den innigsten Anteil nehmen.

Herr Hamburg in Kerawara hat sich ebenso bemüht, die traurige Angelegenheit doch aufzuklären, wie ich das in Neumecklenburg versucht habe... leider haben wir beide damit keinen Erfolg gehabt. Nachforschungen unter den Stämmen der Eingebornen der Insel York haben auch weder zur Auffindung der dem Kapitän Gibson gehörigen Papiere, noch zu der des Geldes geführt, das er bei sich getragen hatte. Das Verbrechen dürfte wohl kaum von Eingebornen der Insel York verübt worden sein, denn jedenfalls hätte man in ihrem Besitze jene für sie bedeutende Summe gefunden, da deren Verwendung im Archipel unbedingt stark aufgefallen wäre.

Dagegen habe ich etwas anderes zu berichten. Gestern hat einer der Gehülfen der Faktorei im Walde von Kerawara, rechts von dem Fußwege, der zur Wohnung des Herrn Hamburg führt, und genau an der Stelle, wo der Mord geschehen ist, zufällig eine kupferne Zwinge gefunden, die sich von dem Dolche losgelöst haben muß, als der Mörder sich dessen bediente, unseren unglücklichen Freund niederzustechen.

Wenn ich Ihnen diese Zwinge übersende, glaube ich zwar nicht, daß sie zu einem Beweisstücke werden könnte, da man ja die Mordwaffe selbst nirgends gefunden hat. Ich meinte aber doch, es tun zu sollen, und wünsche nur, daß die ungeheuerliche Missetat nicht ungesühnt bleiben möge.

An Sie, werter Freund, sowie an Ihre liebe Gattin, ferner an Frau Gibson und Nat die besten Grüße. Sollte ich etwas Neues erfahren, so teile ich es Ihnen sofort mit, auch bitte ich Sie, uns hier auf dem Laufenden zu erhalten.


Ihr freundschaftlich ergebener


R. Zieger.«


Herr Zieger wußte eben noch nicht, daß die Behörde in Hobart-Town schon die Waffe eingezogen hatte, womit der Mord am Kapitän Gibson jedenfalls ausgeführt worden war. Bei der Untersuchung war auch aufgefallen, daß an dem Kriß der beiden Brüder die den Handgriff abschließende Zwinge fehlte.

Als man nun die jetzt erhaltene probierte, zeigte es sich, daß sie vollkommen an den Griff des Kipschen Dolches paßte.

[285] Nach diesem neuen Beweise hatte sich Nat Gibson gleich zu dem Reeder begeben.

»Werden Sie, Herr Hawkins, fragte er, jetzt noch immer an der Blutschuld jener Elenden zweifeln?«

Als Antwort ließ Hawkins nur den Kopf niedersinken.

6. Kapitel
Sechstes Kapitel.
Das Urteil.

Die Untersuchung neigte sich dem Ende zu. Die Gebrüder Kip waren verhört und mit dem Bootsmann, ihrem hauptsächlichsten, oder richtiger: bisher einzigen Ankläger konfrontiert worden, dem einzigen, der in ihrer Kabine auf dem »James-Cook« das sie so zweifellos belastende Beweisstück entdeckt hatte, dem sie nur einen bestimmten Widerspruch entgegenstellen konnten. Da ihnen aber ein Alibinachweis unmöglich war, der zu ihren Gunsten gesprochen hätte, wie konnten sie sich gegen so schwere Beschuldigungen rechtfertigen, wo greifbare, gar nicht abzuleugnende Beweise bezüglich des Verbrechens vorlagen?

Außerdem hatten sie gar keine Gelegenheit, sich über ihre Verteidigung zu besprechen, so wenig wie den Trost, einander aufrecht zu erhalten, Mut zuzusprechen oder in den langen Stunden der Gefängnishaft überhaupt miteinander zu verkehren.

Einer von dem anderen getrennt, standen sie nur durch den ihnen zugewiesenen Verteidiger miteinander in Verbindung. Auch als der Untersuchungsrichter sie verhörte, kamen sie selbst in dessen Beisein nicht zusammen und sollten sich erst wiedersehen, wenn ihre Angelegenheit vor dem Kriminalgerichte zur Entscheidung kam.

Der Brief Ziegers und die ihn begleitende Sendung waren jetzt allgemein bekannt. Die Tageszeitungen von Hobart-Town hatten darüber berichtet. Es bestand nun kein Zweifel mehr, daß der in dem Reisesacke gefundene Dolch die Waffe wäre, deren sich die Mörder bedient hatten, und damit erhielt die gegen [286] die Gebrüder Kip erhobene Anklage ihre sichere Begründung. Der Wahrspruch der Jury konnte also nur auf ein Schuldig, und in Berücksichtigung der erschwerenden Umstände, unter denen das Verbrechen ausgeführt worden war, auf ein Todesurteil hinauslaufen.

Je näher aber der Tag der Entscheidung heranrückte, desto beunruhigter fühlte sich der Reeder Hawkins. Er erinnerte sich so vieler Vorkommnisse aus der letzten Zeit. Wie?... Die beiden Männer, die ihm soviel Sympathie eingeflößt hatten, sollten diese abscheuliche Freveltat begangen haben?... Nein! Sein Gewissen verbot ihm, das zu glauben... sein ganzes Innere empörte sich gegen einen solchen Gedanken!... Er sah in der Angelegenheit noch dunkle, unaufgeklärte und vielleicht unaufklärbare Punkte. Er... er zweifelte, freilich nur gestützt auf rein moralische Gründe, während sich die bei der Untersuchung hervorgetretenen Tatsachen vor ihm wie eine Mauer auftürmten, die er nicht übersteigen konnte.

Hawkins vermied es übrigens, mit Nat Gibson von der Sache zu sprechen, denn dessen Überzeugung hätte doch nichts zu erschüttern vermocht. Nur ein-oder zweimal, bei einem Besuche bei Frau Gibson, hatte er sich nicht enthalten können, einige Andeutungen bezüglich der Schuldlosigkeit der Gebrüder Kip fallen zu lassen und die Hoffnung auszusprechen, daß es ihnen noch gelingen werde, ihre Unschuld zu beweisen. Frau Gibson hüllte sich ohne jede Antwort in tiefes Schweigen, offenbar teilte sie die Anschauungen ihres Sohnes. Sie hatte ja auch nicht. wie Hawkins, Gelegenheit gehabt, die beiden Holländer schätzen zu lernen, etwas von der Vergangenheit der Schiffbrüchigen von der »Wilhelmina« zu erfahren und sich für deren Zukunft zu interessieren. Die arme Witwe konnte in ihnen nur Verbrecher erblicken, die beschuldigt waren, den Kapitän des »James-Cook« ermordet zu haben.

Frau Hawkins dagegen hegte natürlich großes Vertrauen zu dem rechtschaffenen Sinne und zu dem sicheren Urteil ihres Gatten. Da er nicht überzeugt war, konnte sie es auch nicht sein, und so teilte sie vollkommen seine Zweifel... denn nur von Zweifeln konnte hier die Rede sein. Wahrscheinlich standen sie damit in Hobart-Town jedoch allein.

In ihrem Gefängnis konnten die Angeklagten gar nicht ahnen, wie sehr die öffentliche Meinung zu ihren Ungunsten umgeschlagen war, und die Zeitungen unterließen es auch nicht, die Bewohnerschaft durch überaus heftige Artikel noch mehr aufzuhetzen.

[287] Am 17. Februar sollte die Hauptverhandlung stattfinden. Da seit dem Zusammentreten des Seegerichtes, vor dem Flig Balt die Anklage gegen Karl und Pieter Kip erhob, schon fünfundzwanzig Tage verflossen waren, hielt es Vin Mod nicht mehr für nötig, seinen Aufenthalt im Gasthofe zum Great Old Man noch weiter zu verlängern. Er räumte also das von ihm unter dem Namen Ned Pat bisher bewohnte Zimmer und beglich die Rechnung des Wirtes. Da er nun auch keiner Verkleidung mehr bedurfte, teilte er von jetzt ab in der Schenke zu den Fresh-Fishs die Wohnung des Bootsmannes. Von hier aus wollten die Schurken den Verlauf ihres so geschickt eingefädelten Streiches verfolgen, dessen voraussichtliche Folgen ihnen volle persönliche Freiheit gewährleisten mußte.

Die übrigen Matrosen vom »James-Cook« hatten bei Schlafbasen der Nachbarschaft Unterkommen gefunden und bemühten sich, wieder Heuer zu finden.

Die Verhandlung der Angelegenheit begann also am Morgen des 17. Februar vor dem Kriminalgericht von Hobart-Town. Der Gerichtshof bestand aus einem Vorsitzenden, zwei Richtern und einem Attorney-General (Kronanwalte). Zur Jury gehörten zwölf Geschworene, die nicht eher auseinandergehen durften, als bis sie über ihren Ausspruch – »schuldig« oder »nicht schuldig« – einig waren.

Im Sitzungssaale drängte sich die Volksmenge ebenso wie in den Straßen der Umgebung. Drohende Rufe empfingen die Angeklagten, als diese das Gefängnis verließen. Auch jetzt hatten sie sich kaum die Hand drücken können, denn die Gerichtsdiener hielten sie möglichst getrennt und mußten sie sogar bis zum Betreten des Gerichtsgebäudes beschützen. Sie empfanden es recht wohl, daß sie von der öffentlichen Meinung nichts zu erwarten hatten.

Die verschiedenen Zeugen, die schon vor dem Seegericht erschienen waren, befanden sich jetzt auch hier: Herr Hawkins, Nat Gibson und die Matrosen vom »James-Cook«. Die Anklage baute sich nur auf die Aussagen Flig Balts auf, und das Interesse aller Anwesenden richtete sich nur darauf, was die Gebrüder Kip diesen wohl entgegenhalten würden.

Karl und Pieter Kip hatten einen offiziellen Verteidiger, dem hier freilich eine schwere Aufgabe zufiel, denn den auf greifbaren Beweisen ruhenden Behauptungen des Bootsmannes konnte er nur einen schwachen Widerspruch entgegenstellen.

[288] [291]Den englischen Gesetzen entsprechend, begnügte sich der Vorsitzende zunächst, die Angeklagten zu fragen, ob sie sich schuldig bekennten oder nicht(Guilty or not guilty).

»Nicht schuldig!« antworteten sie, einander die Hand drückend.


Trohende Rufe empfingen die Angeklagten, als diese das Gefängnis verließen. (S. 288.)

Im weiteren Verlauf konnten sie nur die bei der ersten Verhandlung abgegebenen Aussagen wiederholen. die sich in der Hauptsache auf ihr Verhalten bezogen und alles seit ihrer Errettung von der Insel Norfolk bis zur Ausschiffung in Hobart-Town umfaßten.

Sie versicherten, daß der an Bord der Brigg gebrachte Reisesack nur etwas Leibwäsche und einige Kleidungsstücke enthalten habe. Den malaiischen Dolch hätten sie auf dem Wrack nicht gefunden und wüßten auch nicht, wie er wieder in ihren Besitz gekommen sei. Der Behauptung Flig Balts, daß in dem erwähnten Reisesacke die Schiffspapiere und das Geld des Kapitäns Gibson verborgen gewesen wäre, setzten sie den entschiedensten Widerspruch entgegen. Der Bootsmann täusche sich entweder, oder er entstelle die Wahrheit geflissentlich.

»Und warum das? fragte der Vorsitzende.

– Um uns ins Verderben zu stürzen, antwortete Karl Kip, und um sich zu rächen!«

Diese Erklärung rief unter den Zuhörern ein mißfälliges Murmeln hervor.

Jetzt kam die Reihe an den Attorney-General, einen einfachen Rechtsanwalt, der die Obliegenheiten eines freiwilligen Advokaten der Königin vertrat, die Zeugen abzuhören, ihre Aussagen zu prüfen, und nach ihm fiel es dem Verteidiger zu eine Gegenprüfung vorzunehmen.

Flig Balt, der zuerst aufgerufen wurde, gab folgendes zu Protokoll: Er sei bei der Rückreise einmal in die gemeinschaftliche Kajüte gekommen, da warf eine heftigere Schiffsbewegung den Reisesack durch die eben offenstehende Tür der Kabine der Herren Kip... sofort rollte eine Anzahl Goldstücke über den Fußboden hin, und gleichzeitig glitten die Schiffspapiere aus dem Reisesacke, dieselben Schriftstücke, die seit der Ermordung des Kapitäns verschwunden waren.

Hatte Flig Balt nicht auch von dem Dolche gesprochen, so erklärte das sich damit, daß er ihn nicht gesehen hätte. Ja er wußte nicht einmal, daß diese Waffe den Angeklagten gehörte. Jetzt wundere er sich nicht mehr darüber, daß die Polizei ihn in dem betreffenden Fremdenzimmer des Great Old Man gefunden habe, da ja Harry Gibson damit umgebracht worden sei. Wie die Gebrüder Kip übrigens gar nicht anständen, zuzugeben, daß sie ihn auf den [291] Molukken, in Amboine, gekauft hätten, so erklärten sie auch, daß er bei dem Schiffbruche der »Wilhelmina« abhanden gekommen wäre. Ebenso behaupteten sie, daß ihn weder der eine noch der andere nach dem »James-Cook« wieder mitgenommen hätte, und sie könnten sich auf keine Weise erklären, wie er in ihren Reisesack gekommen sei.

»Auf den melanesischen Inseln, begnügte sich Karl Kip einzuwenden, gibt es derartige Krisse in großer Menge, und kaum ein Eingeborner dürfte ohne einen solchen zu finden sein... es ist das ihre gewöhnliche Handwaffe... Danach erscheint doch die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß der, den man als die Mordwaffe bezeichnet, gar nicht der unsrige wäre, denn alle die Krisse von malaiischer Herkunft ähneln sich aufs genaueste!«

Diese Antwort rief wieder ein Gemurmel hervor, das der Präsident unterdrücken mußte. Dann bemerkte der Kronanwalt, daß gerade dieser Dolch der sei, mit dem das Verbrechen ausgeübt worden wäre, da die ihm fehlende und von Herrn Zieger eingeschickte Zwinge vollkommen daran passe.

»Ich muß noch hinzufügen, nahm Pieter Kip wieder das Wort, daß niemand an Bord diese Waffe jemals in unseren Händen gesehen hat, und wenn wir sie auf dem Wrack gefunden hätten, würden wir sie doch wohl Herrn Hawkins oder Herrn Nat Gibson gezeigt haben.«

Er sowohl wie sein Bruder empfanden es jedoch, daß diese Darlegungen nicht besonders ins Gewicht fielen. Unzweifelhaft war der Dolch ihr Eigentum, unzweifelhaft rührte die Todeswunde von seiner gezahnten Klinge her, und endlich war es unzweifelhaft, daß seine Zwinge auf dem Schauplatze des Verbrechens in Kerawara gefunden worden war.

Schließlich erhob sich Karl Kip noch zu folgender, letzter Erklärung:

»Mein Bruder und ich sind die schuldlosen Opfer von Umständen, die wir nicht zu erklären vermögen. Wir... wir sollen den Kapitän Gibson getötet haben... den Mann, dem wir unsere Erlösung, unsere Rettung verdankten?... Nun, diese Beschuldigung ist ebenso widerlich wie ungerecht, und wir verweigern darauf jede weitere Antwort!«

Dieser Satz wurde mit lauter und offenbar unbewegter Stimme ausgesprochen und verfehlte auch einen gewissen Eindruck auf die Zuhörer nicht. Die Anschauung der Leute stand aber einmal fest, und niemand wollte in jener Antwort mehr als einen kühnen Verteidigungsversuch erblicken. Und wenn die Gebrüder Kip sich weigerten, später an sie gerichtete Fragen zu beantworten, [292] so läge das, meinte man, doch nur daran, daß es ihnen eben unmöglich wäre.

Von den übrigen Zeugen wurde jetzt Nat Gibson aufgerufen. Der junge Mann konnte sich kaum fassen. Auch er überhäufte die Gebrüder Kip mit den schwersten Anschuldigungen, und wenn diese etwas dazu gesagt hätten, hätten ihre Worte nur gelautet:

»Wir verstehen Ihren Schmerz, armes Kind, und sind deshalb nicht imstande, Ihnen zu zürnen!«

Als Herr Hawkins an die Schranke herantrat, verriet seine Haltung, daß viele Erinnerungen sein Inneres erregten. Konnte er denn annehmen, daß die Schiffbrüchigen von der »Wilhelmina«, die Gäste des »James-Cook«, den Edelmut, die Güte des Kapitäns mit einem so abscheulichen Verbrechen gelohnt haben sollten? Sie, die dem Ermordeten erst ihr Leben verdankten, sie sollten diesen getötet haben... nur um ihn zu berauben, wo sie doch wußten, daß Harry Gibson und er sich erboten hatten, sie in jeder Hinsicht zu unterstützen! Ja freilich... es lagen gegen sie scheinbar sehr beweiskräftige Ergebnisse der Untersuchung vor. Hawkins konnte sich die Verhältnisse nicht erklären... konnte sie nicht begreifen, und vor Erregung fast zusammenbrechend, war es ihm unmöglich, noch mehr auszusagen.

Das, was die Matrosen vom »James-Cook«, Hobbes, Wickley und Burnes, anzugeben wußten, und ebenso, was Len Cannon, Sexton, Kyle, Bryce und Koa aussagten, erwies sich als völlig bedeutungslos.

Was Vin Mod betraf, erschienen dessen, dem Attorney gegebene Antworten bezüglich Flig Balts sehr bestimmt und logisch begründet. Einige Tage vor dem Ausbruche des Meutereiversuches an Bord der Brigg war ihm der Bootsmann schon wie eine Beute mühsam unterdrückter Wut vorgekommen. Ob die Ursache davon nur die gewesen sei, daß Karl Kip in der Führung der Brigg an seine Stelle getreten war, wußte er freilich nicht; Vin Mod hatte vielmehr geglaubt, daß dazu noch ein anderer, sehr ernster Beweggrund vorhanden gewesen sein werde.

»Er hat darüber aber nichts gegen Sie geäußert? fragte der Kronanwalt.

– Gar nichts,« versicherte Vin Mod.

Immerhin blieb noch ein Umstand übrig, der zu Gunsten der Angeschuldigten sprach: Die Gewißheit, daß während der Fahrt niemand den Dolch in ihren Händen gesehen hatte. Das wurde ja auch durch die Erklärung Flig

[293] [295]– Ja... ich erkenne ihn wieder.

– Und du versicherst, ihn schon an Bord gesehen zu haben?

– Jawohl.

– Wo?

– In der Kabine der Herren Kip.

– In deren Kabine?...

– Ja, gewiß.

– Und wann?

– Als der ›James-Cook‹ zum ersten Male in Port-Praslin angelegt hatte.«

Jim erzählte nun unbefangener, unter welchen Umständen er die Waffe gefunden und wie sie seine Aufmerksamkeit erregt hätte. Da habe er sie auch in die Hand genommen und dann schnell wieder an die Stelle gelegt. wo sie vorher lag.

Der Leser entsinnt sich wohl, daß Vin Mod den Dolch in die Kabine, und zwar wenige Augenblicke vorher dahin gelegt hatte, ehe Jim von Flig Balt dahinunter geschickt worden war. Jim sollte ihn ja gerade sehen, und gleich danach versteckte ihn Vin Mod wieder in seinem Matrosensacke.

Die Erklärung des jungen Menschen hatte eine außerordentliche Wirkung, und dabei eine Erregung zur Folge, der sich der Richter und die Geschwornen ebensowenig wie die vielen Zuhörer zu entziehen vermochten. Jetzt konnte ja niemand mehr einen Zweifel aufrechthalten. Die Gebrüder Kip behaupteten, daß der Kriß niemals an Bord gebracht worden sei, und nun hatte ihn da doch einer gesehen und er war obendrein in ihrem Reisesack im Gasthofe zum Great Old Man wiedergefunden worden.

»Befand sich an dem Kriß noch die Zwinge, als du ihn in der Hand hattest? fragte der Kronanwalt weiter.

– Ja, antwortete Jim, es fehlte damals nichts daran.«

Hieraus ergab sich mit Bestimmtheit, daß die Zwinge sich beim Ringen der Mörder mit dem Kapitän Gibson abgelöst haben mußte, da sie kurze Zeit darauf im Walde von Kerawara gefunden worden war.

Auf die Aussage Jims war nichts zu entgegnen, und die Angeklagten schwiegen dazu auch still.

Bis auf Herrn Hawkins schien allen die Sache nun erschöpft. Wer hätte noch glauben können, daß die Gebrüder Kip in eine von Vin Mod vorbereitete Falle geraten wären, daß dieser Elende den Dolch an Bord gebracht und ihn [295] den Schiffsjungen einen Augenblick sehen gelassen hätte, indem er ihn in die Kabine der Angeklagten legte, ehe er zu der Mordtat gebraucht wurde... wer hätte geahnt, daß die Mörder des Kapitäns Gibson sein Helfershelfer Flig Balt und er selbst gewesen wären, die sich zu dieser verabscheuungswürdigen Freveltat und zu dem heimtückischen Verhalten verbündet hätten, um zwei Unschuldige zu verderben!

Jetzt meldete sich Nat Gibson nochmals ums Wort. Er wollte die Aufmerksamkeit der Jury auf einen Vorfall hinlenken, von dem er noch nicht gesprochen hätte und der jetzt bei der Hauptverhandlung doch wohl Erwähnung verdiente.

Der Präsident erteilte ihm sogleich das Wort.

»Meine Herren Richter, meine Herren Geschworenen, begann er, Ihnen ist noch nicht bekannt, daß der ›James-Cook‹ auf der Fahrt von Neuseeland nach dem Bismarck-Archipel auf der Höhe der Louisiaden einen Überfall durch Papuas zu erleiden und abzuwehren hatte. Offiziere, Passagiere und Mannschaften, alle beteiligten sich an der Verteidigung der Brigg. Mein Vater stand dabei in der ersten Reihe. Da, während des heftigsten Kampfgewühls, wurde – ich weiß nicht von wem – ein Schuß abgefeuert und eine Kugel streifte fast schon den Kopf des Kapitäns Gibson. Bisher, meine Herren, hab' ich das ja für einen unglücklichen Zufall gehalten, der bei der damals herrschenden Finsternis und in der Hitze des Gefechtes recht leicht möglich sein konnte. Jetzt bin ich anderer Ansicht. Ich habe nicht nur Ursache zu glauben, nein, ich glaube sogar bestimmt, daß es sich dabei um einen überlegten Angriff auf meinen Vater gehandelt hat, dessen Tod beschlossen war, und von wem, wenn nicht von denen, die ihn später ermordeten?«

Unter der Wucht dieser neuen Beschuldigung sprang Karl Kip flammenden Auges noch einmal auf.

»Wir... wir! rief er mit zornbebender Stimme. Nat Gibson... das wagen Sie auszusprechen!«

Der ältere Kip war ganz außer sich. Sein Bruder nahm ihn aber an der Hand, um ihn zu besänftigen, und so setzte er sich schluchzend und mit hochwogender Brust wieder nieder.

Im ganzen Saale war wohl niemand, den dieser ergreifende Zwischenfall nicht tief erschüttert hätte, und aus Hawkins' Auge stahl sich eine Träne hervor.

[296] [299]Vin Mod stieß den Bootsmann heimlich mit dem Knie und sah ihn verstohlen an, als wollte er sagen: »Nun wahrlich... daran hatt' ich gar nicht mehr gedacht... er, der Sohn des Kapitäns, hat es aber noch nicht vergessen!«

Die Aufgabe des Anklägers gestaltete sich also immer leichter. Den Geschworenen wurden die früheren Verhältnisse der Gebrüder Kip bekannt gegeben, ihre jetzige bedrängte Lage, sowie die Liquidation, die das Groninger Handelshaus bedrohte. Alles, was sie noch besaßen, war ihnen bei dem Schiffbruche der »Wilhelmina« verloren gegangen, auch das Geld, das sie noch von Amboine mitbrachten.


Der See Wakativu auf Neuseeland, im hintergrunde die Earnslawgletscher.

Ohne Zweifel hatten sie das auf dem Wrack nicht wiedergefunden, da sie davon gegen niemand gesprochen hatten, wohl aber den Dolch, dessen sie sich einige Wochen später bedienten. Dann hatten sie den bedauernswerten Kapitän um die paar tausend Piaster beraubt, die in ihrem Reisesacke wiedergefunden worden waren. Wer weiß auch, ob sich Karl Kip nicht schon vorher mit dem Gedanken getragen hatte, jenem in der Führung des »James-Cook« zu folgen, was ja später eintraf.

Unter welchen Verhältnissen das Verbrechen begangen worden war, das glaubten die Geschworenen zu wissen. Als Harry Gibson von der Brigg wegging, um sich zu Herrn Hamburg zu begeben, waren die beiden Brüder schon nicht mehr an Bord. Sie erwarteten ihn, spähten ihn aus, folgten ihm durch den Wald von Kerawara, überfielen ihn dann, schleppten ihn vom Fußwege fort und plünderten ihn schließlich aus. Nach ihrer Rückkehr auf den »James-Cook« konnte natürlich noch kein Verdacht gegen sie aufkommen. Auch am nächsten Tage scheuten sie sich nicht, sich dem Trauerzuge anzuschlietzen, der den Kapitän nach seiner letzten Ruhestätte geleitete, und hier weinten sie ihm, wie sein Sohn, sogar noch heiße Tränen nach.

Der Ankläger verlangte von der Jury, solchen Übeltätern gegenüber kein Mitleid walten zu lassen... es gäbe nur ein Urteil, das hier am Platze wäre... ein Todesurteil über Karl und Pieter Kip.

Jetzt ergriff noch der Verteidiger das Wort, der sich seiner Aufgabe reckt geschickt entledigte. Konnte er aber hoffen, daß seine Bemühungen erfolgreich wären?... Empfand er es nicht selbst, daß die Anschauung der Richter und des Volkes ebenso schon festständen?... Was hätte er den vorgebrachten greifbaren Beweisen entgegenhalten können?... Nur moralische Hinweise, die auf der Wage der irdischen Gerechtigkeit kaum ins Gewicht fielen. Er sprach von dem Vorleben seiner Klienten, von ihrem ehrbaren Verhalten, das von allen, die mit [299] ihnen in Beziehung getreten wären, rückhaltlos anerkannt werde. Daß das Groninger Handelshaus in Verlegenheit gekommen sei, daß sie bei dem Schiffbruche der »Wilhelmina« ihre Hilfsmittel eingebüßt hätten, sei ja leider nur zu wahr.

Doch um sich eine so verschwindend kleine Summe, zwei- oder dreitausend Piaster, anzueignen, sollten sie dem Kapitän Gibson nach dem Leben getrachtet, sollten sie ihren Wohltäter getötet haben?... Nein, das sei unglaublich!... Die Gebrüder Kip seien das Opfer unerklärlicher Vorkommnisse. Es sprächen noch so viele Zweifel zu ihren Gunsten, daß sie für »nicht schuldig« erklärt werden müßten.

Die Verhandlung war hiermit zu Ende und die Geschworenen zogen sich ins Beratungszimmer zurück.

Den Kopf in die Hände gestützt, blieb Nat Gibson auf der Zeugenbank zurück. Der Advokat der Angeschuldigten hatte an seiner Überzeugung freilich nicht zu rütteln vermocht... nein, für ihn waren und blieben Karl und Pieter Kip die Mörder seines Vaters.

Hawkins hielt sich mehr beiseite; ihm wollte das Herz brechen beim Anblick des jetzt leeren Platzes, den die Angeklagten nun wieder einnehmen sollten, ihr Urteil zu vernehmen. Da näherte sich ihm der Schiffsjunge Jim.

»Herr Hawkins, sagte dieser mit zitternder Stimme, ich konnte doch nicht anders sprechen, nicht wahr?

– Nein, mein Kind, das konntest du nicht!« antwortete der Reeder betrübt.

Die Beratung der Geschworenen zog sich etwas in die Länge, als ob diesen die Schuld der Holländer doch nicht ganz bewiesen erschiene. Vielleicht billigte ihnen die Jury mildernde Umstände zu infolge der würdigen Haltung der beiden Brüder im Laufe der Verhandlung, einer Haltung, die ja nicht ohne einigen Eindruck bleiben konnte.

Inzwischen vermochten zwei Männer ihre Ungeduld kaum noch zu zügeln: Flig Balt und Vin Mod, die dicht nebeneinander saßen und nicht einmal ein paar Worte mit leiser Stimme zu sprechen wagten. Sie brauchten aber auch die Sprache gar nicht, sich zu verstehen, ihre Gedanken auszutauschen. Was sie erhofften, was sie brauchten, sich erst völlig sicher zu fühlen, das war ein Todesurteil, war die Hinrichtung der Gebrüder Kip. Erst mit deren Tode war die Sache wirklich zu Ende. So lange sie noch lebten, und wäre es selbst innerhalb der Mauern eines Bagno, würden sie doch ihre Unschuld beteuern, [300] und wer konnte denn wissen, ob nicht ein Zufall die Behörden noch auf die Spur der wirklichen Schuldigen führte.

Nach einer Beratung von fünfunddreißig Minuten ertönte die Glocke der Jury wieder. Sofort nahmen die Geschworenen ihren Platz im Verhandlungssaale wieder ein, sie hatten sich also über ihren Spruch geeinigt.

Sich drängend, stoßend, hoch erregt und unter großem Lärm stürmten die Zuhörer wieder herein.

Auch die Richter erschienen sogleich wieder an ihrem Tische und der Vorsitzende verkündigte die Fortsetzung der Verhandlung.

Der Obmann der Geschworenen wurde aufgefordert, deren Entscheidung mitzuteilen.

Diese lautete auf »Schuldig« in jeder Hinsicht und ohne Empfehlung mildernder Umstände.

Jetzt wurden auch Karl und Pieter wieder hereingeführt. Sie gingen nach ihrem Platze, vor dem sie stehen blieben.

Der Präsident und die Beisitzer berieten einige Augenblicke über die Auswerfung der Strafe für das Verbrechen des Mordes, d. h. der Tötung mit Überlegung.

Die Angeklagten wurden zum Tode verurteilt, und bei der Verkündigung dieses Urteils machten sich einige Zeichen des Beifalls bemerkbar.

Nach einem schmerzerfüllten Blicke nahmen sich die beiden Brüder an der Hand, ihre Arme öffneten sich, und ohne ein Wort zu äußern, drückten sie einander innig ans Herz.

7. Kapitel
Siebentes Kapitel.
In Erwartung der Hinrichtung.

Von der irdischen Gerechtigkeit hatten die Brüder also nichts mehr zu hoffen: sie hatte sich gegen sie ausgesprochen, sogar ohne Zubilligung mildernder Umstände bezüglich des Verbrechens, dessen man sie bezichtigte. Kein Einwurf des [301] Verteidigers war der Jury von Bedeutung erschienen. Weder die ebenso sichere wie würdige Haltung der Angeklagten bei der Verhandlung, noch der aufwallende Ingrimm Karl Kips, der sich zuweilen in Ausdrücken der Entrüstung Luft machte, oder die ruhigeren Erklärungen Pieter Kips hatten etwas auszurichten vermocht gegen die angeführten Tatsachen, gegen die so hinterlistig auf sie gehäuften Beschuldigungen, gegen die Aussagen des elenden Flig Balt, die zuletzt noch durch die Erklärung des Schiffsjungen Jim bestätigt wurden.

Bei der Versicherung Karl und Pieter Kips, das Mordinstrument nie wieder in ihren Händen gehabt zu haben, und gegenüber ihrer völlig begründeten Behauptung, daß ein solcher Kriß die gebräuchlichste Handwaffe bei den Eingebornen Melanesiens sei und daß der, an den die Zwinge paßte, jedenfalls einem Bewohner von Kerawara, der Insel York oder einer der Nachbarinseln gehören werde, war wohl zunächst ein gewisser Zweifel berechtigt. Die Aussage des Schiffsjungen, der den vorliegenden Dolch in der Kabine der Brüder liegen gesehen hatte, bewies aber – wenigstens für die Richter – doch, daß die Mordwaffe dieselbe sei, die sie von dem Wrack und an Bord des »James-Cook« mitgenommen hätten, ohne sie darauf jemand zu zeigen.

Die Verurteilung gewährte der Einwohnerschaft von Hobart-Town eine unverkennbare Befriedigung. In den begreiflichen Haß gegen die angeblichen Mörder des Kapitäns Harry Gibson mischte sich nicht wenig von der bei der angelsächsischen Rasse so hervortretenden Dünkelhaftigkeit, für die es ja keiner weiteren Beweise bedarf. Ein Engländer war es, der hier einem Verbrechen zum Opfer gefallen war, und Holländer waren es, die ihn getötet hatten, wer hätte unter solchen Umständen das geringste Mitleid mit den Verurteilten empfinden können? – Kein Mensch in der Stadt, nicht eine einzige der zahlreichen Zeitungen Tasmaniens, wagte die Stimme zu erheben, um einer Umwandlung der Strafe das Wort zu reden.

Den Abscheu, der den Sohn des Opfers gegen die Gebrüder Kip erfüllte, darf man diesem ja nicht zum Vorwurf machen. Er glaubte an ihre Schuld so fest, wie er an Gott glaubte, an eine Schuld, deren Nachweis nicht auf schwanken Annahmen, sondern auf greifbaren Tatsachen beruhte. Ableugnungen, Verwahrungen... das war alles, was die Angeklagten übereinstimmenden und bestimmten Zeugnissen entgegensetzen konnten. Nachdem er schon fast daran verzweifelt hatte, die Mörder seines Vaters zu entdecken, hatte er sie jetzt in der Hand, die zwei Ungeheuer, die jenem ihre Rettung verdankten und doch seine[302] Güte, seinen Edelmut mit einer verruchten Mordtat vergolten hatten. Von irgend welchen mehr oder weniger anzuerkennenden Gründen und Einwänden, die zu ihren Gunsten gesprochen hätten, wollte er nichts wissen, wollte er nichts sehen durch den Schleier von Schmerz und Entrüstung, der ihn umhüllte.

Das zeigte sich auch, als er an dem Tage, wo der Kriminalgerichtshof das Urteil gefällt hatte, nach Hause gekommen war.

»Mutter, sagte er mit einer vor Erregung zitternden Stimme, sie werden die Untat mit ihrem Kopfe bezahlen... mein Vater wird gerächt werden!

– Gott habe Erbarmen... murmelte Frau Gibson.

– Mit diesen Elenden? rief Nat Gibson, der die Antwort seiner Mutter in diesem Sinne deutete.

– Nein, mit uns, mein Kind!« erwiderte Frau Gibson, indem sie ihren Sohn an sich zog und tränenden Auges ans Herz drückte.

Das waren die ersten Worte gewesen, die Nat Gibson nach dem Betreten des Vaterhauses geäußert hatte.

Anders klangen dagegen die, die der Reeder nach dem Schlusse der Verhandlung gebrauchte, als er seiner Gattin wieder gegenüberstand.

»Verurteilt! sagte er.

– Verurteilt?...

– Zum Tode... die Unglücklichen... nun gebe nur der Himmel, daß sich die menschliche Gerechtigkeit nicht geirrt hat!

– Du zweifelst noch immer, lieber Mann?

– Noch immer!«

Man sieht: mehr einem gewissen Gefühle, als Vernunftgründen gehorchend, weigerte sich Hawkins, die Schuld der Gebrüder Kip anzuerkennen. Nein, er konnte sie eines so häßlichen Verbrechens gegen ihren Wohltäter nicht für fähig halten, da sie diesem früher eine so aufrichtige Erkenntlichkeit bewiesen hatten. Ihm fehlte es an einem Beweggrunde, einem unbestreitbaren Beweggrunde zu einem solchen Verbrechen. Der Tod Gibsons hätte ihnen wohl ein paar tausend Piaster eingebracht, doch was die Hoffnung betraf, ihn als Befehlshaber der Brigg zu ersetzen, auf wie schwachen Füßen stand diese, da der Bootsmann, der schon die Stelle des Obersteuermannes vertrat, ja gleichsam vorherbestimmt schien, Kapitän zu werden?

Hawkins war durch die Aussage des Schiffsjungen Jim allerdings in große Unruhe versetzt worden. Es unterlag danach ja keinem Zweifel mehr, daß der [303] im Zimmer der beiden Brüder im Gasthofe zum Great Old Man gefundene Dolch von Jim in ihrer Kabine auf dem »James-Cook« gesehen worden war. Karl oder Pieter Kip hatte ihn von dem Besuche des Wracks der »Wilhelmina« mitgebracht, und wenn sie ihn niemand gezeigt hatten, war das geschehen, weil es so in ihre Pläne paßte. Die Anklage schloß aus diesem Umstande auch, daß sie schon lange den Vorsatz zu dem Verbrechen gehegt hätten.

Und doch: nein!... Trotz der fast erdrückenden Beweise, trotz des Ausspruches, den höchst ehrenwerte und völlig unabhängig urteilende Geschworene getan hatten... nein... Hawkins wollte sich nicht ergeben. Diese Verurteilung empörte ihn. Die Sache der Gebrüder Kip ging ihm zu tief zu Herzen, und wenn er gegen Nat Gibson, bei der Gemütsverfassung, worin dieser sich befand, niemals darüber sprach, so litt er doch nicht weniger daran, den jungen Mann in einer, der seinigen so widersprechenden Überzeugung zu wissen. Dennoch zweifelte er nicht, die Gerichte ihm einst noch Recht geben zu sehen.

Wenn unter ähnlichen Verhältnissen sonst oft verschiedene Meinungen herrschen, wobei die einen für die Schuld, die anderen für die Unschuld eines Angeklagten eintreten, so war dies weder in Hobart-Town noch in anderen Städten Tasmaniens der Fall. Wer hätte wohl angenommen, daß darin je ein Umschwung zu Gunsten der Gebrüder Kip eintreten könnte? Hawkins sagte sich recht wohl, daß alle gegen seine Überzeugung aufstehen würden... Das vermochte ihn aber nicht zu entmutigen. Er hielt an seinem Glauben fest, und was läßt sich denn nicht von der Zeit erhoffen, die sich so häufig als die Aufklärerin menschlicher Irrtümer erweist?

Freilich drohte es hier gerade an der nötigen Zeit zu fehlen. Der Einspruch, den die Gebrüder Kip gegen ihre Verurteilung erhoben hatten, wurde jedenfalls sehr bald zurückgewiesen Es lag ja kein Grund vor, das Urteil umzustoßen, und voraussichtlich erfolgte also die Hinrichtung in der zweiten Hälfte des März, einen Monat nach Fällung des Urteils.

Diese Vollziehung des Urteils erwartete man mit wilder Begierde in dem Teile der Bevölkerung, der an allen aufregenden Ereignissen Gefallen findet, zu den schlimmsten Ausschreitungen bereit ist und nur danach verlangt, selbst an Stelle der Richter zu treten, in der nicht so kleinen Volksmenge, die alle Schuldigen und auch die, die sie nur für solche hält, kurzer Hand lynchen möchte. Dazu wäre es vielleicht auch in Hobart-Town gekommen, wenn das Gericht nicht dem beklagenswerten Verlangen des Mobs der Stadt entsprochen und kein [304] Todesurteil gefällt hätte. Am Tage der Hinrichtung sah man die Menge dann gewiß das Schafott gröhlend umschwärmen.


»Glaubst du, daß unser Vater uns hätte für schuldig halten können?« (S. 307.)

In erster Reihe würden die elenden Schurken Flig Balt und Vin Mod dann natürlich auch zu finden sein. Sie mußten sich ja mit eigenen Augen überzeugen wollen, daß Karl und Pieter Kip die Freveltat, deren Urheber sie selbst waren, mit dem Leben gebüßt hätten. Dann erst konnten sie in voller Sicherheit weiter ziehen und sich – ohne Besorgnis vor der Zukunft – in neue Abenteuer stürzen.

[305] Nach der Verhandlung waren die beiden Brüder wieder ins Gefängnis abgeführt worden, und natürlich hatte sie die rohe Menge auf dem Wege dahin mit unflätigen Beschimpfungen überhäuft, und dabei eine so drohende Haltung angenommen, daß die Gerichtsdiener die Gefangenen beschützen mußten. Auf alle diese Anzapfungen antworteten die Brüder aber nur durch ein um so würdevolleres Auftreten und ein verächtliches Schweigen.

Als die Pforten des Gefängnisses sich hinter ihnen geschlossen hatten, führte der Oberwärter sie nicht wieder nach den Zellen, die sie bisher einzeln bewohnt hatten, sondern in die größere Zelle der zum Tode verurteilten Verbrecher. Inmitten dieses Abschaums der Menschheit genossen sie wenigstens den Trost, vereinigt zu sein. In den letzten Tagen ihres Lebens konnten sie sich da noch einmal gemeinsam der Erinnerung an die Vergangenheit hingeben – lebten sie noch einmal einer neben dem anderen bis zu den Stufen des Schafotts.

In dieser Zelle waren sie leider nicht zu zweien allein, wie sie es so sehnlich gewünscht hatten. Die Wächter durften sie Tag und Nacht nicht verlassen, mußten sie im Auge behalten, ihre Worte belauschen. Selbst wenn sie das Innerste ihres Herzens ausschütteten, waren die rohen Schergen in der Nähe, die für die Unglücklichen gewiß keine Spur von Mitleid empfanden.

Der unerhörten Ungerechtigkeit gegenüber, die zwei Schuldlose in den Tod schickte, machte Karl Kip seiner Empörung wiederholt in ungeschminkter, derber Sprache Luft, während sein Bruder, der ihn vergeblich zu besänftigen sachte, ruhiger blieb und seinem Schicksale gefaßter entgegenzusehen schien.

Auch Pieter Kip gab sich übrigens keinerlei Täuschung über den Erfolg der Berufung hin, die sie auf Anregung ihres Verteidigers unterzeichnet hatten. Ebenso hegte Karl nicht die geringste Hoffnung, daß die Berufung den Erfolg einer Wiederaufnahme des Verfahrens haben und daß die damit gewonnene Zeit hinreichend sein werde, die Wahrheit in vollem Glanze zutage treten zu lassen. Wenn sie sich die maßlosen Beschuldigungen vorstellten, die auf ihnen lasteten... von welcher Seite sollten sie dann noch Hilfe erwarten? Welches Eingreifen wäre mächtig genug gewesen, sie zu retten, wenn es nicht von der Vorsehung selbst kam?

Dann wendeten sich ihre Gedanken nach rückwärts, sie durchlebten alle die Kolbenschläge des Unglückes, die sie getroffen hatten, und vorzüglich gedachten sie des Schiffbruches der »Wilhelmina«, der Ursache so vielen Ungemaches, das sie endlich dahin gebracht hatte, wo sie jetzt waren. Ach, es wäre besser gewesen, [306] wenn der »James-Cook« sie nicht von der Insel Norfolk gerettet, besser, wenn der Kapitän Gibson ihre Notsignale nicht bemerkt hätte! Vielleicht wären sie dann auf der öden, menschenleeren Insel Hungers gestorben, dann wäre ihnen wenigstens der schimpfliche Tod am Galgen, der Tod gemeiner Mörder erspart geblieben.

»Pieter!... Pieter! rief Karl Kip, o, unser armer Vater... wenn er noch lebte... wenn er seinen Namen entehrt sähe... diese Schande würde ihn töten.

– Glaubst du denn. daß auch er uns hätte für schuldig halten können?

– Nein, Bruder... niemals... niemals!«

Dann sprachen sie von den Personen, mit denen sie einige Wochen zusammen verlebt hatten, von den edelmütigen Rettern, die ihnen damals eine so warme Teilnahme erwiesen und denen sie so großen Dank schuldig waren. Daß Nat Gibson in seinem Übermaß von Schmerz gegen sie eine so klägerische Haltung angenommen hatte, das begriffen sie recht wohl und hielten es seiner Lage, der des Sohnes des Opfers, zugute. Konnten sie es ihm aber wirklich ganz vergeben, daß er in ihnen die Mörder seines Vaters sehen wollte?

Was Herrn Hawkins betraf, so hatten sie schon aus dessen vorsichtig gehaltener Aussage erkannt, daß er wenigstens an ihrer Schuld noch Zweifel hegen mochte. Sie sagten sich, daß das Herz des vortrefflichen Mannes für sie noch nicht gänzlich verschlossen sein könnte. Hatte er den so bestimmt abgegebenen Zeugnissen des Bootsmannes und des Schiffsjungen Jim auch nur moralische Einwände entgegenstellen können, so hatte er damit vor der Jury, der Eingebung seines Gewissens folgend, doch in keiner Weise zurückgehalten.

Die übrigen Zeugen hatten ja gar keine anderen Angaben machen können, als es geschehen war. Was Flig Balt anging, sahen die Brüder in dem Verhalten dieses Elenden nur die Befriedigung seines Hasses, nur eine Tat der Rache gegen den neuen Befehlshaber des »James-Cook«, gegen den Kapitän, dessen Entschlossenheit die Meuterei unterdrückt und der deren Rädelsführer in den Frachtraum geschickt hatte. Wenn sich die Papiere Harry Gibsons samt dem ihnen gehörenden Dolche in ihrer Kabine befanden, waren diese heimlich von denen, die jene gestohlen hatten, dahin gebracht worden, um sie zu verderben!... Wie hätten sie aber mutmaßen können, daß einer der Mordgesellen von Kerawara gerade der Bootsmann der Brigg wäre?

Auch Hawkins, der immer nach neuen Spuren sachte, hatte keiner solchen Acht einiger Aussicht auf Erfolg weiter nachgehen können. Er glaubte noch immer [307] die Urheber der Freveltat könnten nur Eingeborne von der Insel York gewesen sein, und den deutschen Behörden werde es schon noch eines Tages gelingen, sie aufzuspüren.

Inzwischen nahte der Tag, nahte die Stunde heran, wo zwei Männer, zwei Verurteilte, zwei Brüder die schlimmste weltliche Strafe für ein Verbrechen erleiden sollten, das sie nicht begangen hatten, gar nicht hatten begehen können.

Hawkins, der mehr und mehr an der Überzeugung festhielt, daß Karl und Pieter Kip unschuldig seien, obwohl ihn die Beibringung von Beweisen dafür unmöglich war, hatte zu deren Gunsten schon verschiedene Schritte unternommen.

Der Reeder war mit Assy Carrigan, dem Gouverneur von Tasmanien, genau bekannt. Er hielt Se. Exzellenz für einen geradsinnigen Mann mit sicherem Urteilsvermögen. So beschloß er denn, diesen um eine Unterredung zu ersuchen, und am Morgen des 25. Februar wurde er im Gouvernementsgebäude zu diesem Zwecke empfangen.

Der Gouverneur war sich im voraus nicht unklar über den Beweggrund, der Herrn Hawkins zu ihm führte. Gleich aller Welt war er der Verhandlung in der Angelegenheit der Gebrüder Kip mit Spannung gefolgt und ebenso wie andere von der Schuld der Verurteilten überzeugt.

Trotzdem erstaunte Se. Exzellenz nicht besonders, als Hawkins ihm seine Anschauung auseinander gesetzt hatte.

Da er seinen Ausführungen aber aufmerksam Gehör schenkte, legte sich Hawkins keinerlei Zurückhaltung auf. Er sprach mit solcher Wärme von den beiden Opfern eines Justizirrtums, hob in so einwandfreier Logik alle die dunkeln, unentschiedenen oder mindestens noch unaufgeklärten Punkte in der Angelegenheit hervor, daß Se. Exzellenz in seinen Anschauungen darüber doch etwas schwankend wurde.

»Ich sehe, mein lieber Hawkins, erklärte der hohe Beamte, daß Sie während der Reise des ›James-Cook‹ Karl und Pieter Kip in höchstem Maße achten und schätzen gelernt, sowie daß diese sich dessen immer würdig erwiesen haben...

– Ich betrachtete sie, und betrachte sie noch heute als sehr ehrenwerte Männer, Herr Gouverneur, fiel Hawkins überzeugten Tones ein. Zur Bekräftigung meiner Überzeugung kann ich Ihnen zwar keine handgreiflichen Beweise liefern, da mir solche bisher noch fehlen und leider wohl auch immer fehlen werden... doch nichts von dem, was bei den Verhandlungen vorgebracht, nichts, was von den Zeugen ausgesagt worden ist, hat in mir die Gewißheit [308] abschwächen können, daß die beiden Unglücklichen unschuldig sind. Möge Eure Exzellenz auch nicht übersehen, daß sich jene Zeugenaussagen eigentlich auf eine einzige, auf die des Bootsmannes beschränken, und gerade diese erscheint mir jetzt mehr und mehr verdächtig. In ihm gärt der Haß; nur aus Rachsucht bezichtigt er die Gebrüder Kip eines Verbrechens dessen sie nicht schuldig sind, und das ich irgend einem Eingebornen von Kerawara zuschreibe.

– Es gibt aber auch noch ein anderes Zeugnis als das Flig Balts, lieber Herr Hawkins.

– Das des Schiffsjungen Jim, Herr Gouverneur, und das erkenn' ich ganz so an, wie es abgegeben worden ist, denn dieser junge Mensch ist unfähig zu lügen. Gewiß, Jim wird in der Kabine Karl und Pieter Kips jenen Dolch gesehen haben, der zwar ihr Eigentum war, von dem sie aber nicht wußten, daß er sich in ihrem Besitze befand. Ist das aber wirklich die Waffe, womit der Mord ausgeführt worden ist, und beruht der Umstand, daß die eingesendete Zwinge daran paßt, nicht auf einem reinen Zufall?

– Immerhin ist gerade das nicht ohne Bedeutung, oder meinen Sie, lieber Hawkins, daß ein so auffälliger Umstand hätte ganz unbeachtet bleiben sollen?

– O, gewiß nicht, Herr Gouverneur, er wird auch bei dem Wahrspruch der Geschworenen entscheidend gewesen sein. Und dennoch, ich wiederhole es, dennoch spricht die ganze Vergangenheit der Gebrüder Kip zu deren Gunsten. In dieser Weise zu Ihnen reden zu können, muß ich den Schmerz vergessen, den mir der Tod meines Freundes Harry Gibson bereitet hat, und der mir den klaren Blick wohl ganz ebenso hätte trüben können, wie seinem Sohne, den ich deswegen bedaure, doch auch entschuldige. Ich aber, ich erkenne, oder ich fühle die Wahrheit trotz des Dunkels, das über der Sache schwebt, die Wahrheit, von der ich überzeugt bin, daß sie einst an den Tag kommen wird!«

Der Gouverneur fühlte sich sehr ergriffen von den Darlegungen des Reeders, dessen rechtschaffenen, geraden Charakter er ja von lange her kannte. Seine Widersprüche gegen das Urteil beruhten zwar nur auf moralischen Gründen, doch sind ja in Fällen wie dem vorliegenden die materiellen Beweise noch nicht alles, sondern auch alle anderen dürfen daneben nicht unberücksichtigt bleiben.

»Ich verstehe, antwortete Assy Carrigan nach kurzem Überlegen, ich würdige das ganze Gewicht Ihrer Anschauung, mein lieber Hawkins. Doch muß ich Sie fragen, was erwarten Sie eigentlich von mir?

[309] – Daß Sie die Güte haben, hier einzuschreiten; wenigstens um jenen Unglücklichen das Leben zu retten.

– Einschreiten? entgegnete der Gouverneur. Wissen Sie denn nicht, daß der hier einzig mögliche Schritt die Einlegung der Berufung gegen das Endurteil ist? Diese Berufung ist, wie Ihnen ja bekannt sein muß, rechtzeitig angemeldet worden, nun können wir nur hoffen, daß sie, und zwar binnen kurzem, als begründet erkannt werde.«

Bei diesen Worten Sr. Exzellenz konnte Hawkins einige Zeichen seines Unglaubens nicht ganz unterdrücken.

»Herr Gouverneur, warf er deshalb ein, ich gebe mich über den Erfolg der Berufung keinerlei Täuschung hin. Den Vorschriften der Rechtspflege war bei dieser Angelegenheit nach allen Seiten Genüge getan; es liegt keine Veranlassung vor, das Urteil umzustoßen, und die Berufung wird also verworfen werden.«

Der Gouverneur schwieg; er wußte recht wohl, daß Hawkins recht hatte.

»Sie wird verworfen werden, fuhr dieser fort, ich versichere es Ihnen, und darum sind Sie, Herr Gouverneur, der einzige, der einen letzten Versuch unternehmen kann, den Kopf der Verurteilten zu retten.

– Wollen Sie, daß ich ein Gnadengesuch einreiche?

– Ja, ein Begnadigungsgesuch bei der Königin... dazu vielleicht eine Depesche von Ihnen an den Lord chief-justice um eine Strafumwandlung, die uns die Hoffnung auf die Zukunft nicht gänzlich raubt, oder mindestens um einen Aufschub der Strafvollziehung, der es mir ermöglichte, noch weitere Schritte zu tun. Ich würde, wenn nötig, nach Port-Praslin... nach Kerawara zurückkehren... würde Herrn Hamburg und Herrn Zieger unterstützen, dann dürfte es uns wohl gelingen, die wirklichen Schuldigen zu ermitteln, wenn wir weder Kosten noch Mühe schonen. Wenn ich hier so dringlich auftrete, Herr Gouverneur, kommt das daher, daß mich ein unwiderstehliches Etwas dazu treibt, damit nach Entschleierung der Wahrheit die Justiz sich später nicht den Tod zweier Unschuldigen vorzuwerfen habe.«

Hawkins verabschiedete sich hiermit von Assy Carrigan, und dieser ersuchte ihn, im Interesse der Sache im Gouvernementsgebäude wieder vorzusprechen; eine Einladung, der der vortreffliche Mann mit Freuden nachkam. Dank seiner Hingebung, gewann die Angelegenheit in den Augen des Gouverneurs schon ein anderes Aussehen, und dieser entschloß sich, mit dem Gewichte seiner Persönlichkeit [310] für eine Aufhebung des Todesurteils einzutreten. Die hierzu gewählten Schritte blieben vorläufig das Geheimnis des Gouverneurs und des Herrn Hawkins. Niemand wußte, daß der Gouverneur, ohne den Bescheid auf die Berufung abzuwarten, mittels amtlichen Telegramms in England bei Ihrer Majestät um die Begnadigung der Verurteilten nachgesucht hatte.

Am 7. März verbreitete sich in der Stadt das Gerücht, daß die von den Gebrüdern Kip angemeldete Berufung verworfen worden sei. Diese Nachricht bestätigte sich auch in vollem Umfange; sie rief aber nirgends das Gefühl von Verwunderung hervor. Von der ersten Verhandlung in der Sache an hatte man eine Verurteilung, ja ein Todesurteil erwartet, und niemand zweifelte daran, daß diesem eine Hinrichtung folgen werde.

Kein Mensch dachte natürlich daran. daß der Gouverneur in der scheinbar so klar liegenden Angelegenheit an die Königin gehen, noch daran, daß Hawkins zu diesem Zwecke so drängende Schritte bei jenem getan haben könnte.

Die Einwohnerschaft Hobart-Towns rechnete also darauf, daß die Vollziehung des Urteils demnächst stattfinden werde, und es ist von der angelsächsischen, wie von der lateinischen Rasse bekannt, daß solch aufregende Ereignisse bei beiden eine unwiderstehliche, ungesunde Neugier entfesseln.

Erfolgt nach englischem Gesetze das Henken Verurteilter jetzt nicht mehr auf einem öffentlichen Platze, sondern nur in Gegenwart dazu berufener Zeugen, so ist das als ein Fortschritt zu bezeichnen. Die Menschenmenge sammelt sich bei solchen Gelegenheiten aber nichtsdestoweniger in der Nähe des betreffenden Gefängnisses.

So strömten auch vom 7. März an, noch vor dem Aufgange der Sonne, ja meist schon in den ersten Stunden nach Mitternacht, hier zahllose Neugierige zusammen, um die schwarze Flagge, das Zeichen einer vor sich gehenden Hinrichtung, hissen zu sehen.

Natürlich befanden sich darunter Flig Balt und Vin Mod, doch auch Len Cannon und seine Kameraden, die alle Hobart-Town noch nicht verlassen hatten. Der Bootsmann und sein Spießgeselle wollten die schwarze Flagge nach Vollstreckung des Urteils mit eigenen Augen niederholen sehen. Dann erst waren sie ja sicher, daß andere für ihr Verbrechen gebüßt hatten. Dann war an eine Wiederaufnahme des Verfahrens nicht mehr zu denken, und die Elenden kehrten mit ihren Gefährten nach der Schankstube in den »Fresh-Fishs« zurück, die gestohlenen Piaster in Whisky und Gin umzusetzen.

[311] Weder Frau Gibson noch deren Sohn wollte in dieser Zeit in Hobart-Town bleiben; beide gedachten erst nach dem traurigen Abschluß der Angelegenheit dahin zurückzukehren. Als Nat diese Absicht gegen Hawkins äußerte, begnügte sich der Reeder zu antworten.

»Du hast recht, Nat... es ist besser so!«

Seit der Urteilsverkündung war Hawkins wiederholt den Matrosen Hobbes, Wickley und Burnes, sowie dem Schiffsjungen Jim begegnet. Die wackeren Leute hatten sich noch nach keiner neuen Anmusterung umgesehen, und vielleicht wollten sie sogar warten, bis der »James-Cook« unter einem neuen Kapitän wieder auslaufen sollte.

Sie wußten übrigens, daß sie auf Herrn Hawkins rechnen konnten, wenn dieser für die Brigg oder ein anderes Schiff seines Hauses neue Mannschaft suchte. Es versteht sich von selbst, daß sie mit Flig Balt, Vin Mod und mit ihren anderen Genossen von der alten Besatzung der Brigg jeden Verkehr abgebrochen hatten.

Der 19. März war herangekommen; in der Stadt begann man sich zu wundern, daß der Befehl zur Hinrichtung noch immer nicht eingetroffen war, ein Umstand, der Flig Balt und Vin Mod in deren persönlichem Interesse natürlich beunruhigte. Übrigens hatten sie, wenn die Hinrichtung für längere Zeit aufgeschoben würde, den Entschluß gefaßt, Hobart-Town zu verlassen, und im Hinblick hierauf suchten sie schon nach einem bald zum Auslaufen fertigen Schiffe.

Da traf im Laufe des 25. eine vom Lord chief-justice abgesandte Depesche an Se. Exzellenz den Gouverneur von Tasmanien ein.

Dessen Gesuch hatte vor Ihrer Majestät der Königin von England und Kaiserin von Indien Gnade gefunden: die über die Gebrüder Kip verhängte Todesstrafe war in die zu lebenslänglicher Zwangsarbeit verwandelt worden.

[312]
8. Kapitel
Achtes Kapitel.
Port-Arthur.

Einen Monat nach dem Tage, wo den zum Tode Verurteilten eine Strafverwandlung zugebilligt worden war, arbeiteten zwei Männer unter der Fuchtel der Profose der Strafanstalt von Port-Arthur.

Die beiden Gefangenen gehörten nicht derselben Rotte an. Einer von dem anderen getrennt und verhindert, auch nur zwei Worte oder einen Blick zu wechseln, gehörten sie nicht einmal derselben Tischgenossenschaft an und teilten auch nicht dieselbe Zelle. Sie gingen, jeder nach seiner Seite, bekleidet mit der schimpflichen Jacke des Galeerensträflings zu ihrer Arbeit hinaus, immer überhäuft von dem Schmähen und den Beleidigungen jenes Haufens von Banditen, die Großbritannien nach seinen kolonialen Strafanstalten verschickt. Jeden Morgen verließen sie das Bagno und kehrten, erschöpft von der Anstrengung und nur unzureichend mittels grober Nahrung erhalten, erst am Abend dahin zurück. Dann sachte jeder sein Feldbett zur Seite eines anderen, mit Ketten gefesselten Sträflings auf und bemühte sich – meist vergeblich – sein Elend in einigen Stunden unruhigen Schlafes zu vergessen. Brach der junge Tag an, so gingen sie, jetzt in der erstickenden Hitze des Sommers, später in der furchtbaren Kälte des Winters, aufs neue an die Arbeit, bis zu der ersehnten Stunde, wo der Tod sie einst aus diesem elenden Leben erlösen würde.

Die beiden Männer waren die Gebrüder Kip, die man vor drei Wochen nach der Strafanstalt von Port-Arthur übergeführt hatte.

Bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts war Tasmanien bekanntlich von den niedrigst stehenden Völkerschaften der Erde bewohnt, von Leuten, die sozusagen auf der Grenzlinie zwischen Menschheit und Tierreich standen.

Die ersten Europäer aber, die nach dieser großen Insel kamen, waren kaum mehr wert, als jene wilden Urbewohner. Nach ihnen trafen aber Auswanderer ein. deren Fleiß mit der Zeit das traurige Land zu einer der blühendsten Kolonien umschuf.

Jener Zeit hatte Großbritannien schon eine gleichartige Anstalt in Botany-Bai an der Ostküste Australiens, des späteren Neusüdwales, gegründet. Da es [313] nun vermuten konnte, daß die Franzosen beabsichtigten, eine ähnliche Strafanstalt auf tasmanischem Boden zu errichten, beeilte es sich, ihnen ebenso zuvorzukommen, wie das später auf Neuseeland geschah.

Gegen Mitte des Jahres 1803 landete John Bowin, der Sydney mit einer Abteilung Kolonialtruppen verlassen hatte, am linken Ufer des Flusses Derwent, zwanzig Seemeilen oberhalb seiner Mündung an einer Stelle, die »Ridens« genannt wurde. Er brachte dahin eine Anzahl Verurteilter, deren Zahl im folgenden Jahre, unter Leutnant-Colonel Collins, auf vierhundert anstieg.

Dieser Offizier verließ aber Ridens wieder und legte den Grund zu Hobart-Town am anderen Ufer des Derwent, an einer Stelle, wo ein Flüßchen Süßwasser lieferte, und im Hintergrunde der Bai Sullivan Cove, worin selbst Schiffe von großem Tonnengehalt einen vortrefflichen Ankerplatz fanden. Die neue Stadt gewann schnell an Ausdehnung, und zwischen den Wohn- und Geschäftsgebäuden, die sehr bald entstanden, erhob sich gleich zu Anfang das Bagno, das von vier hohen Mauern aus granitharten Steinen umschlossen wird.

Dreierlei Elemente trifft man in der Bevölkerung Tasmaniens an: die Freien, das sind Einwanderer, Kolonisten, die das Vereinigte Königreich freiwillig verlassen haben; Freigelassene, das sind die Deportierten, denen man auf Grund besonders guten Verhaltens einen Teil der Strafe geschenkt hatte oder deren Strafzeit abgelaufen war, und endlich die Sträflinge, das sind die Deportierten, die von der Stunde ihrer Ausschiffung an unter der Bewachung des Oberaufsehers oder Kommissars der Anstalt stehen.

Die Sträflinge umfassen wiederum drei Kategorien: 1. die zu den schwersten Strafen verurteilten Verbrecher, die im Bagno selbst wohnen müssen und unter der Aufsicht von Konstablern zu Zwangsarbeiten, besonders zur Herstellung von Landstraßen, herangezogen werden; 2. die wegen leichterer Vergehen Verurteilten – die englischen Gerichte werfen oft unverhältnismäßig hohe Strafen aus – denen es gestattet wird, ohne jeden Lohn in den Dienst der Kolonisten zu treten, die ihnen dafür geeignete Unterkunft und nach der Anstaltsvorschrift bereitete Nahrung bieten und sie des Sonntags auch zur Erfüllung ihrer kirchlichen Pflichten anhalten müssen; 3. die Verurteilten, denen es als Anerkennung musterhaften Verhaltens erlaubt ist, für eigene Rechnung zu arbeiten, und von diesen haben es manche zu einer unabhängigen Stellung und zu Vermögen gebracht. Freilich kann, trotz dahin zielender Bemühungen der Gouverneure, keiner von[314] ihnen in der Gesellschaft der freien Bürger wieder zu seinem früheren Range aufsteigen.

Der Art waren also die ersten Maßnahmen bei der Gründung und Verwaltung der Strafkolonie, und das die verschiedenen Klassen der – männlichen und weiblichen – Gefangenen. Nach einer Mitteilung Dumont d'Urvilles, als dieser 1840 nach Tasmanien gekommen war, waren die Bestrafungen je nach der Schwere der Vergehen in folgender Weise bemessen: die einfache Rüge, die Verurteilung, das Rad einer Mühle eine gewisse Zeit lang zu drehen, ferner Zwangsarbeiten am Tage und Einzelhaft in der Nacht, schwerere Zwangsarbeit beim Wegebau, Zwangsarbeit unter der Rotte der Gefesselten und Verschickung nach der Strafanstalt von Port-Arthur.

Bezüglich der letzterwähnten Anstalt ist daran zu erinnern, daß schon 1768 eine Strafanstalt nach der Insel Norfolk verlegt worden war, nach derselben Insel, wo Karl und Pieter Kip, die Schiffbrüchigen von der »Wilhelmina«, vom »James-Cook« aufgenommen worden waren. Seit 1805 hatte die Regierung diese aber wieder aufgelassen, weil es wegen Mangels jedes Hafens gar zu schwierig war, an der Insel zu landen. Später wurde diese aber doch noch einmal zum Sitze einer Strafkolonie, nach der die Verwaltungen von Tasmanien und Neusüdwales die gefährlichsten Verbrecher überführen ließen. Noch später, 1842, wurde sie gänzlich aufgegeben und durch Port-Arthur 1 ersetzt.

Tasmanien besaß also einmal, neben dem Bagno von Hobart-Town, eine zweite Strafanstalt, auf deren Lage wir hier etwas näher eingehen müssen.

Die an ihrem südlichen Teile durch die Storm-Bai tief eingeschnittene große Insel wird nach Westen zu von einer sehr zerrissenen Küste begrenzt, durch die der Derwent abfließt, an dessen rechtem Ufer sich Hobart-Town erhebt. Im Osten hat sie als Grenze die Halbinsel Tasman, die an der anderen Seite von den Wogen des Großen Ozeans gepeitscht wird, und diese Halbinsel ist wieder durch eine sehr schmale Landzunge mit der Halbinsel Forrestier verbunden, welche mittels eines Landstreifens selbst mit dem Bezirke Panbroke zusammenhängt. Im Süden springen nach dem offenen Meere hinaus die spitzen Landvorsprünge des Südwestkaps und des Kaps Pillar weit hervor.

Von dem Isthmus, der die Halbinseln Forrestier und Tasman verbindet, rechnet man bis zum Kap Pillar ungefähr sechs Meilen (91/2 km), und in [315] einer kleinen Bai dieser südlichen Küstenstrecke wurde die Strafanstalt Port-Arthur angelegt.

Die Halbinsel Tasman ist mit dichten, düsteren Waldungen bedeckt, die sehr reich an Holzarten sind, welche sich zum Schiffbau eignen, und unter anderen eine harte Holzart aufweisen, die das Aussehen und die Eigenschaften des so geschätzten Teakholzes hat. Viele dieser, schon hundert Jahre alten Bäume erkennt man an ihrem riesigen Stamme, der keinerlei Seitenäste zeigt und dessen Belaubung nur den obersten Wipfel schmückt.

Die kleine Stadt Port-Arthur baut sich amphitheatralisch auf einem Hügel im Hintergrunde der Bai auf, und ihr mit einem Landungskai ausgestatteter und durch die Anhöhen der Umgebung geschützter Hafen bietet volle Sicherheit allen Schiffen, die durch furchtbare Windstöße aus Nordwesten am Einlaufen in die Storm-Bai nicht selten verhindert werden. Übrigens treffen andere als solche, die die Strafanstalt mit allem Notwendigen versorgen, nur selten hier ein. Das erklärt man mit dem noch unentwickelten Handelsverkehr in diesem Hafen, dem jedoch eine gedeihlichere Entwicklung gewiß bevorsteht, wenn er seine jetzige Bestimmung (als Sitz einer Verbrecherkolonie) einmal verliert.

Die Bevölkerung von Port-Arthur zeigt auch eine ganz eigene Zusammensetzung: aus Staatsbeamten, Polizisten und zwei Kompagnien Soldaten. Dieses unter dem Oberbefehl eines Kapitän-Kommandanten stehende Personal hat die Verwaltung und die Bewachung der Strafanstalt zu besorgen. Der oberste Beamte, der Kapitän Skirtle, der in Port-Arthur seinen Sitz hat, wohnte damals in einem hübschen Hause auf einer kleinen Anhöhe am Ufer, die einen weiten Ausblick auf das Meer gestattete.

In jener Zeit umfaßte die Anstalt zwei Abteilungen, die zwei Arten sehr verschiedener Sträflinge enthielten.

Die erste lag von der Einfahrt zum Hafen aus zur Linken. Ihr Name Point-Puer wies schon darauf hin, daß sie für jüngere Sträflinge bestimmt war; sie barg mehrere hundert Kinder und junge Leute zwischen zwölf und achtzehn Jahren. Ost wegen eigentlich ziemlich geringfügiger Vergehen deportiert, bewohnen sie Holzbauten, die als Arbeits- und Schlafsäle errichtet sind. Hier bemüht man sich, sie wieder zu bessern, teils durch geregelte Tätigkeit und teils durch belehrenden und erziehenden Unterricht, dem, soweit es die religiöse Beeinflussung betrifft, ein besonderer Geistlicher vorsteht. Tatsächlich scheiden sie aus der Strafanstalt zuweilen auch als gute Handwerker, meist als Schuhmacher, [316] Tischler, Zimmerleute oder als Vertreter anderer Handwerke, die sich ihr Brot auf ehrlichem Wege zu erwerben imstande sind. Ein hartes Leben hatten sie vorher freilich zu führen, die jungen Verhafteten, denen immer die hier üblichen Strafen drohten, die Einsperrung in eine Zelle, die Verurteilung zu Wasser und Brot, und daneben die Peitsche, die die Hand der Polizisten unerbittlich gegen alle Widerspenstigen zu schwingen wußte.

Von denen, die nach Verbüßung ihrer Strafe die Anstalt verlassen, bleiben die einen dauernd als Handwerker oder Arbeiter in der Kolonie zurück, die anderen begeben sich wieder nach Europa. Im ersten Falle bewahren sie gewöhnlich die Spuren von der hier genossenen strengen Erziehung, im zweiten verfallen sie leider oft wieder in ihre früheren Fehler. Als rückfällige Verbrecher werden sie dann wieder zur Deportation verurteilt – wenn sie nicht gleich am Galgen endigten – und dann kommen sie in die Abteilung für Erwachsene, worin sie, oft für die ganze Lebenszeit, eingeschlossen bleiben und unter der Fuchtel einer eisernen Disziplin stehen.

Die zweite Abteilung von Port-Arthur enthielt gegen achthundert Verurteilte, den »Abschaum der Banditen Englands«, wie man mit Recht sagen kann, lauter Leute, die zur untersten Stufe menschlicher Entartung hinabgesunken waren. Hierzu gehörten auch die Deportierten auf der Insel Norfolk, die später nach Tasmanien übergeführt wurden. Da mochte kaum einer darunter sein, dessen Personalakten ihn nicht mit Raub oder Totschlag belastet hätten, ja die meisten, die schon mit den schwersten Strafen belegt waren, hatten nur noch eine einzige weitere, die Todesstrafe vor sich.

Selbstverständlich war in Port-Arthur nichts unterlassen, jede Entweichung zu verhindern. Nur auf dem Wege des Meeres war hier an eine erfolgreiche Flucht zu denken, wenn es den Flüchtlingen gelang, sich eines Bootes zu bemächtigen, das sie nach einer Uferstelle außerhalb der Halbinsel Tasman brachte. Solche Gelegenheiten bieten sich aber sehr selten, denn die Sträflinge haben keinen Zutritt zum Hafen, und wenn man sie hier ausnahmsweise zu gewissen Arbeiten verwendet, werden sie aufs strengste überwacht.

Doch wenn es so schwierig ist, über das Meer zu entfliehen, ist das nicht auch auf dem Landwege möglich, da sich die Verbrecher hier nicht auf einer so kleinen Insel wie auf Norfolk befinden? Ja, gewiß, und man berichtet auch von Flüchtlingen, denen es gelungen war, aus der Strafanstalt zu entweichen, sich in den Wäldern der Umgebung zu verbergen und jeder Verfolgung [317] zu entziehen, wobei sie freilich einem noch schrecklicheren Leben als dem im Bagno entgegengehen und meist aus Mangel an allem einen traurigen Tod finden. Übrigens blieben sie noch immer bedroht, auch in den Wäldern wieder eingefangen zu werden, die immer von Patrouillen durchstreift und seit jenen Vorfällen noch von mehr Posten als früher bewacht werden.

Mindestens müßten die Flüchtlinge die Halbinsel Tasman verlassen können, das ist aber sogut wie unmöglich.

Die Landenge, die sie mit der (anderen) Halbinsel Forrestier verbindet, die Eagle-Hawk-Neck – die Landenge des Adlersperbers – ist an ihrer schmalsten Stelle nur hundert Schritte breit. Auf dem sandigen Boden hat die Verwaltung eine Reihe nahe beieinander stehender Pfähle errichten lassen. An diesen Pfählen sind Hunde angelegt, deren Ketten sich kreuzen können... etwa fünfzig Doggen, die an Wildheit mit Raubtieren wetteifern. Wer diese Linie zu überschreiten versuchte, würde augenblicklich in Stücke gerissen werden. Käme ein Flüchtling hier doch hindurch, so würden andere Hunde, deren Lager auf höheren Grundpfählen ruhen, seine Gegenwart längs des Strandes hin verraten, wo wieder zahlreiche Wachtposten aufgestellt sind. Unter solchen Umständen müssen die Gefangenen doch wohl auf jeden Fluchtversuch von vornherein verzichten.

Derart ist also die Strafanstalt von Port-Arthur eingerichtet, die für die schlimmsten Verbrecher, für die verhärtetsten Sünder bestimmt ist, und hierher waren Karl und Pieter Kip nach der Umwandlung ihrer Strafe gebracht worden. In der Nacht hatte sie ein Boot am Außenende des Hafens aufgenommen und nach einem kleinen Aviso befördert, der für den Dienst der Strafanstalt hierher verlegt ist. Dieser Aviso durchschnitt die Storm-Bai, umschiffte das Kap des Südwestens, lief dann in den Fluthafen ein und legte an der Mole an. Die beiden Brüder wurden vorläufig eingesperrt, bis sie vor dem Kapitän-Kommandanten von Port-Arthur erscheinen sollten.

Der etwa fünfzigjährige Kapitän Skirtle verfügte über die Energie, die seine oft recht schwierigen Obliegenheiten erheischten: er konnte unerbittlich sein, wo das notwendig war, erwies sich aber gerecht und milde gegen die Armen, die sich seiner Güte verdient machten. Ahndete er auch schwere Vergehen gegen die Anstaltsordnung mit den härtesten Strafen, so duldete er doch keinen Mißbrauch ihrer Gewalt bei den ihm untergebenen Beamten. Das strenge Reglement, das er den Deportierten gegenüber beobachtete, hielt er gegenüber allen Angestellten, denen die Aufsicht über diese zufiel, unverändert aufrecht.

[318] Der Kapitän Skirtle wohnte in Port-Arthur schon seit zehn Jahren mit seiner Gattin, einer Vierzigerin, seinem Sohne William und seiner Tochter Belly, die im vierzehnten und im zwölften Jahre standen. In der schon erwähnten Villa weilend, kamen Frau Skirtle und ihre Kinder mit den Strafgefangenen niemals in Berührung. Nur der Kapitän selbst kam jeden Morgen nach der Anstalt, hielt sich hier meist den größten Teil des Tages auf und kehrte erst des Abends in seine Villa zurück.

Jeden Monat unternahm er kurze Inspektionsfahrten ins Innere der Halbinsel und bis zur Landenge des Adlersperbers, wobei er die verschiedenen Wachtposten besichtigte und die mit der Herstellung von Wegen beschäftigten Abteilungen an sich vorüberziehen ließ. Was seine Familie betraf, unternahm diese häufiger Spaziergänge um Port-Arthur, durch die herrlichen Waldungen der Nachbarschaft, oder der Aviso brachte sie, sobald sie es wünschten, nach Hobart-Town, so daß ihre Beziehungen zu der Hauptstadt Tasmaniens nie völlig abgebrochen wurden.

Bei seiner Ankunft in Point-Puer ließ sich der Kommandant die Kinder vorführen, die sich seit sei nem letzten Besuche irgendwie vergangen hatten. Er ermahnte sie dann oder belegte sie mit den vorschriftsmäßigen Strafen. Doch welchen Grad der Verworfenheit hatten diese kleinen Ungeheuer zuweilen schon erreicht!

Ein Knabe, der auf einen Aufseher erzürnt war, antwortete, als man ihm den Galgen in nahe Aussicht stellte, wenn er sich nicht bessere: »Meinetwegen! Dann geh' ich nur den Weg, den meine Eltern mir gezeigt haben, doch bevor ich baumle, bring' ich diesen Aufseher noch um die Ecke!«

Nach seinem Besuche in Point-Puer begab sich Skirtle nach der Strafanstalt für Erwachsene, und hier wurden ihm am 5. April Karl und Pieter Kip vorgeführt.

Der Kapitän war vollkommen unterrichtet von dem Prozesse, der in weiten Kreisen ungeheures Aufsehen gemacht hatte, dem Prozesse, der mit einer Verurteilung der Angeklagten zum Tode geendet hatte. Hatte ihnen die Gnade der Königin auch das Leben geschenkt, so ruhte doch noch immer das Verbrechen eines unter den obwaltenden Umständen noch häßlicheren Mordes nicht weniger auf den beiden Brüdern. Sie sollten also mit äußerster Strenge behandelt und auf keinen Fall sollte ihnen eine Erleichterung ihrer Lage gewährt werden.

[319] Immerhin bemerkte der Kapitän Skirtle mit einiger Verwunderung die Haltung, die die beiden Holländer in seiner Gegenwart bewahrten. Nach Beantwortung der gewöhnlichen, ebenso an sie gerichteten Fragen setzte Karl Kip dann noch mit klarer, sicherer Stimme hinzu:

»Die menschliche Rechtsprechung hat uns verurteilt, Herr Kommandant, wir sind aber unschuldig an der Mordtat, der der Kapitän Gibson zum Opfer gefallen ist!«

Noch einmal hatten sie, wie vor dem Kriminalgerichtshofe, die Hände ineinander gelegt, das war aber das letzte Mal, daß sie sich ihrer brüderlichen Liebe und Anhänglichkeit versichern konnten.

Die Aufseher führten sie getrennt hinweg, da der Befehl erteilt war, sie nicht mehr zusammenkommen zu lassen. Jeder einer anderen Abteilung zugewiesen, konnten sie sich – abgesehen von der Unmöglichkeit, miteinander zu sprechen – kaum jemals, wenn auch nur flüchtig wiedersehen.

Hiermit begann für sie dauernd das schreckliche Leben der Verbannten in der gelben Sträflingstracht, die für Port-Arthur vorgeschrieben war. Mit einem anderen Sträfling zusammengekettet, wie das in anderen Ländern Gebrauch ist, wurden sie jedoch hier nicht. Es gereicht Großbritannien zur Ehre, daß diese mehr seelische als körperliche Qual in seinen Kolonien nie zugelassen worden ist. Immerhin umschließt eine etwa drei Fuß lange Kette die Knöchel des Gefangenen, und dieser muß sie beim Gehen bis zum Gürtel emporgehoben tragen.

Kommt eine dauernde Aneinanderkettung in Port-Arthur auch nicht vor, so werden die Zugehörigen einer Rotte doch zuweilen alle aneinander gefesselt, wenn sie vereinigt schwere Lasten fortbewegen sollen.

Die Gebrüder Kip wurden der entsetzlichen Strafe dieses »chain-gang« nicht unterworfen. Lange Monate arbeiteten sie in besonderen Rotten an der Herstellung von Wegen, die die Regierung durch die Halbinsel Tasman anlegen ließ, doch niemals konnten sie dabei auch nur ein paar Worte austauschen. O, wie glücklich hätten sie sich noch bei allem Elend gefühlt, wenn es ihnen vergönnt gewesen wäre, zusammenzukommen, einer neben dem anderen auszuruhen, und wäre es auch an den Werften gewesen, wenn sie da die ganze Nacht unter freiem Himmel lagen. Anderenfalls wurden die Sträflinge nach Schluß ihrer Arbeit den Schlafsälen zugeführt, worin man sie, meist zu je vierzig Mann, einschloß.

[320] [323]Nur einmal in der Woche, am Sonntage, hatten Karl und Pieter Kip die Freude, einander wiederzusehen, dann, wenn die Insassen der Anstalt in deren Kapelle zusammenkamen, wo von einem Methodistenprediger Gottesdienst abgehalten wurde. Was aber sollten sie, die Unschuldigen, von der Gerechtigkeit der Menschen denken, wenn sie sich mit deren Abschaum vereinigt sahen und die Ketten wie klagend zwischen den Gesängen und Gebeten klirrten?


Sie arbeiteten in besonderen Rotten an der Herstellung von Wegen. (S. 320.)

Was Karl Kip fast das Herz brach und ihn immer zu einer Auflehnung reizte. die doch so schlimme Folgen haben mußte, war der Umstand, daß sein Bruder so unerträglich schweren Arbeiten unterworfen war. Er mit seiner eisernen Gesundheit, seiner außerordentlichen Körperkraft war ja imstande, solche auszuhalten, trotz der kaum zum Leben reichenden, dürftigen Nahrung, die der Bagno lieferte, denn diese bestand nur in dreiviertel (engl.) Pfand (340 g) frischem oder acht Unzen (etwa 226 g) gepökeltem Fleisch, einem halben Pfund Brot oder vier Unzen Mehl und aus einem halben Pfund Kartoffeln. Doch ob sein von Natur schwächerer Bruder dabei nicht zu Grunde ging?... Nach der letzten Hitzeperiode eines fast tropischen Klimas gingen sie jetzt, nur bekleidet mit der gelben Sträflingsjacke, einer stechenden Kälte, eisigen Stürmen und dichtem Schneegestöber entgegen. Die gewöhnliche Arbeit mußte dennoch unter den Drohungen der Beamten und der Knute der Aufseher geleistet werden. Von Ruhe keine Rede, höchstens in den kurzen Minuten gegen Mittag, wenn sie darauf warteten, nach der Anstalt zurückgeführt zu werden. Die geringste Andeutung von Widersetzlichkeit zog dem Schuldigen Disziplinarstrafen zu, wie die Einsperrung in finstere Zellen, die Strafe des chain-gang, endlich – nächst dem Tode, den sie auch zuweilen herbeiführt – die schrecklichste, die Auspeitschung mit der neunschwänzigen Katze, die den Körper des Schuldigen entsetzlich zerfleischt.

Ohne Zweifel mußte eine solche Existenz in den Sträflingen das heißeste, unwiderstehlichste Verlangen aufkommen lassen, dieser Hölle zu entfliehen. Einzelne versuchten das wohl auch trotz der Gefahr, der sie sich damit aussetzten, und trotz der äußerst geringen Aussichten auf ein Gelingen. Wurden die Flüchtlinge dann in den Wäldern der Halbinsel wieder eingefangen, so wurden sie vor allen Insassen der Anstalt mit der neunschwänzigen Katze schonungslos gezüchtigt. Von kräftiger Hand geschwungen, sauste sie auf die Lendengegend des entblößten Opfers nieder und verwandelte Haut und Fleisch darunter in eine blutige Masse.

[323] Wenn Karl Kip aber zuweilen nahe daran war, sich gegen die Härten der Disziplin zu empören, so unterwarf sich diesen sein Bruder ohne Murren, getragen von der Hoffnung, daß die Wahrheit doch einst an den Tag kommen, daß ein Zufall, eine unerwartete Entdeckung ihre Unschuld beweisen werde. Er fügte sich also, so peinlich, so entwürdigend sie auch sein mochte, dieser Lebensweise im Bagno, und wenn er auch nicht über die Kraftnatur seines Bruders verfügte, so gestattete ihm doch seine moralische Energie und ein unerschütterliches Gottvertrauen, alles zu ertragen. Am meisten beunruhigte ihn nur, daß Karl Kip sich einmal nicht mehr bemeistern und sich zu einer Gewalttätigkeit verleiten lassen könnte. Sicherlich würde sein Bruder keinen Fluchtversuch unternehmen, würde ihn nicht allein in der Strafanstalt zurücklassen wollen, die beide vereinigt zu verlassen hofften. Und doch, könnte sich Karl in einer Stunde der Verzweiflung nicht einmal zu einem falschen Schritte hinreißen lassen, wenn er, Pieter, nicht bei der Hand war, ihn zu beruhigen und zurückzuhalten?

In seiner Besorgnis glaubte Pieter auf ein Hilfsmittel sinnen zu sollen, und eines Tages, bei der Inspektion durch den Kommandanten, nahm er sich ein Herz, einige Worte an diesen zu richten. Warum er mit flehender Stimme bat, war nicht, mit seinem Bruder vereinigt zu werden, nicht mit ihm in derselben Rotte arbeiten zu dürfen, sondern nur die Begünstigung, einige Minuten mit ihm zusammenzutreffen.

Der Kapitän Skirtle ließ Pieter Kip ausreden und betrachtete ihn mit einer Aufmerksamkeit, der sich scheinbar ein gewisses Interesse für den jungen Mann beimischte. Ob das daher kam, daß Karl und Pieter Kip einer Gesellschaftsklasse angehörten, aus der doch nur selten Insassen des Bagnos hervorgingen, oder hatte vielleicht der Reeder Hawkins mit Zustimmung des Gouverneurs irgendwelche Schritte zu ihren Gunsten unternommen? War der vortreffliche Mann, nachdem er ihnen den Erlaß der Todesstrafe erwirkt hatte, etwa immer noch tätig, ihnen für den Aufenthalt im Bagno gewisse Erleichterungen zu verschaffen?

Skirtle ließ von dem, was er dachte, freilich nichts merken. Die Gebrüder Kip waren für ihn und konnten in seinen Augen nichts anderes sein, als zwei wegen einer Mordtat verurteilte Männer. Es war schon sehr viel, daß die Güte der Königin ihnen die Todesstrafe erlassen hatte. Später konnte er der Bitte Pieter Kips vielleicht stattgeben, jetzt konnte er sie noch auf keinen Fall bewilligen.

[324] Mit seiner Last auf dem Herzen und der von Schluchzen erstickten Stimme, fehlte es Pieter an Kraft, seine Bitte zu wiederholen. Er sah auch ein, daß das nutzlos wäre, und trat tief bekümmert zurück in seine Rotte.

Fast sechs Monate waren seit der Ankunft der beiden Brüder in der Strafanstalt verflossen. Der Winter näherte sich dem Ende. Hart genug war er für die Unglücklichen gewesen, die kaum noch an eine Möglichkeit glaubten, ihre Lage durch irgend ein Ereignis sich bessern zu sehen. Dennoch sollte das geschehen, und zwar unter folgenden Umständen:

Am 15. September hatten Skirtle, seine Gattin, sein Sohn und seine Tochter, von dem schönen Morgen verlockt, eine längere Ausfahrt durch die Wälder unternommen. An der Eagle-Hawk-Neckenge angelangt, waren alle aus dem Wagen gestiegen.

In der Nähe arbeiteten einige Sträflinge an der Aushebung eines Bewässerungskanales, und der Kapitän-Kommandant hatte die Anlage besichtigen wollen.

Die beiden Rotten, denen Karl und Pieter Kip angehörten, waren hier gleichzeitig, doch eine Strecke voneinander getrennt, beschäftigt. Die Brüder hatten nicht einmal den Trost, einander sehen zu können, da ihnen selbst hier dicht stehende Bäume jede Fernsicht raubten.

Nach seiner Besichtigung wollte Skirtle mit der ganzen Familie schon den Wagen wieder besteigen, als von der, die Landenge abschließenden Pfahlreihe her laute Rufe ertönten. Gleichzeitig wurde auch ein wütendes Bellen hörbar, das von den Hunden herrührte, die dort angebunden waren.

Einer davon hatte seine Kette gesprengt und war, von den Rufen der Wachtposten noch wütender gemacht, nach der Seite des Waldes gestürmt, während die übrige Meute ihm laut nachbellte.

Anfänglich hätte man vermuten können, daß die Dogge sich auf die Sträflinge stürzen würde, deren gelbe Tracht dem Tiere ja bekannt war. Durch die Rufe erschreckt, sprang es aber dem Walde zu, ehe die Wachtposten es hatten aufhalten können.

Dem Kapitän kam es nun darauf an, schnell den Wagen zu besteigen und davonzufahren, ehe die Pferde durch die wütende Dogge vielleicht scheu gemacht würden. Leider erschraken diese gar zu schnell, und ohne daß der Kutscher sie bändigen konnte, rasten sie mit dem leeren Wagen in der Richtung auf Port-Arthur davon.

[325] »Hierher!... Hierher!« rief Skirtle seiner Gattin und seinen Kindern zu, die er in ein nahes Dickicht bringen wollte wo er eine Zufluchtsstätte zu finden hoffte.

Plötzlich tauchte da der Hund mit schäumendem Maule und glühenden Augen vor diesen auf. Wie ein Raubtier brüllend, stürzte er sich auf den jungen Skirtle, den er an der Kehle packte und zu Boden warf.

Schon ließen sich wieder die Rufe der Aufseher vernehmen, die vom Strande her herbeieilten.

Als Skirtle die Gefahr erkannte, in der sein Sohn schwebte, wollte er sich auf das Tier stürzen, wurde aber von zwei kräftigen Armen zurückgedrängt.

Einen Augenblick später war der junge Skirtle gerettet und der Hund überfiel seinen Retter, in dessen linken Arm er sich festgebissen hatte und den er wütend zerfleischte.

Der Überfallene hatte aber den eisernen spitzen Teil einer Hacke in der Hand und schlug ihn tief in den Leib des Hundes ein, so daß dieser röchelnd zurücksank.

Frau Skirtle hatte ihr Söhnchen auf den Arm genommen, das sie mit Liebkosungen überschüttete, während der Kapitän sich dem mutigen Helfer – einem Galeerensträfling in gelber Jacke – zuwendete.

Das war Karl Kip. Er hatte zufällig in der Nähe gearbeitet, als er das Rufen der Aufseher vernahm und den losgekommenen Hund nach dem Walde springen sah. Ohne an eine Gefahr zu denken, hatte er die Fährte des Tieres verfolgt.

Der Kapitän Skirtle erkannte den Mann wieder, der aus einer schrecklichen Wunde blutete. Er ging schon auf ihn zu, seinen Dank abzustatten und ihm so viel wie möglich zu helfen, als er von Pieter Kip überholt wurde.

Auf den Lärm vom Strande und aus dem Walde her, waren die Sträflingsrotten gleichzeitig mit den Aufsehern herbeigelaufen.

An Ort und Stelle angelangt, sah Pieter Kip seinen verletzten Bruder neben der getöteten Dogge auf der Erde liegen. Da stürmte er auf ihn zu und rief schmerzerschüttert dessen Namen.

Die Aufseher hatten ihn zurückhalten wollen, doch auf ein Zeichen Skirites, dem seine Gattin die Hände bittend entgegenstreckte und dessen Mitleid für den unerschrockenen Retter in der Not sein kleiner Sohn erflehte, zogen sich die rauhen Männer scheu zurück.

[326] So kam es, daß die beiden Brüder nach sieben Monate langer Trennung, nach so vielen Qualen und stummer Verzweiflung einander zum ersten Male wieder weinend in den Armen lagen.

Fußnoten

1 Heute bestehet auch Port-Arthur als solche nicht länger und überhaupt gibt es in ganz Tasmanien keine solche Strafanstalt mehr.

9. Kapitel
Neuntes Kapitel.
Vereinigt.

Karl Kip, der im Wagen des Kapitän-Kommandanten nach der Anstalt zurückbefördert worden war, wurde hier in einem der Krankensäle untergebracht, wo sein Bruder, den man bei dem Verletzten zu bleiben gestattet hatte, sich sehr bald zu ihm gesellte.

Wie dankbar mußten auch Skirtle und seine Gattin dem opferfreudigen Manne sein! Dank seinem Mute, war ihrem kleinen Sohne ein gräßlicher Tod erspart geblieben. In der ersten Aufwallung des jungen Herzens hatte sich William Skirtle seinem Vater zu Füßen geworfen und von Schluchzen unterbrochen gebeten:

»Gnade für ihn... Vater... Gnade für ihn!«

Frau Skirtle schloß sich ihrem Sohne hierin an, und beide flehten den Kapitän an, als ob dieser berechtigt wäre, ihrer Bitte zu willfahren, als ob er es allein in der Hand hätte, Karl Kip der Freiheit wiederzugeben.

Konnte er aber vergessen, wegen welches Verbrechens die zuerst gar zum Tode verurteilten Brüder in die Strafanstalt eingeliefert worden waren? Wie hätte Skirtle, bei seiner Unkenntnis des heimlichen, gemeinen Streiches Flig Balts und Vin Mods an der Schuld der Verurteilten zweifeln können? Hatte auch der eine von ihnen sein Leben eingesetzt, das des kleinen Knaben zu retten, so blieben sie doch noch immer die Mörder des Kapitäns Gibson, die als solche ihre Strafe erlitten.

Die mutige, selbstlose Tat Karl Kips, so rühmenswert sie auch war, konnte das schreckliche Verbrechen doch nicht ungeschehen machen.

[327] »Mein Lieber, begann Frau Skirtle, als ihr Mann, der noch den Arzt zu dem Verwundeten gerufen hatte, in die Villa zurückgekehrt war, was wirst du für den Unglücklichen tun können?

– Nichts, antwortete der Kapitän, nichts anderes, als daß ich ihn dem Wohlwollen der Verwaltung empfehle, den Gefangenen in Zukunft weniger streng zu behandeln und ihn mit gar so schweren Arbeiten zu verschonen.

– Nun, wenigstens muß der Gouverneur von dem heutigen Vorfalle unterrichtet werden.

– Er wird noch vor heut Abend alles erfahren, antwortete Skirtle. Höchstens ist danach aber eine Milderung, doch keine Abkürzung der Strafe zu erwarten. Karl Kip und sein Bruder haben ihm schon viel zu verdanken, sehr viel, da er sie vom Galgen gerettet hat.

– Und ich danke dafür dem Himmel ebenso, wie dem wackeren Manne, der nun wieder zum Retter meines armen Kindes wurde.

– Höre, liebe Frau, fuhr der Kapitän fort, ich werde für Karl Kip schon aus Dankbarkeit gewiß alles tun, was in meiner Macht steht. Übrigens haben sich die beiden Brüder seit ihrem Eintreffen in Port-Arthur musterhaft geführt und die ganze Strenge des Reglements eigentlich nie zu kosten bekommen. Vielleicht erreiche ich es bei der vorgesetzten Behörde, daß sie von den Arbeiten im Freien entbunden werden, da diese für Leute dieser Art desto peinlicher sein müssen, und dann könnten sie wohl in den Bureaux der Strafanstalt beschäftigt werden. Das wäre für sie als Sträflinge schon eine große Erleichterung ihres Loses. Du weißt aber, wegen welcher Freveltat sie vor dem Kriminalgerichte gestanden haben und auf Grund welcher unanfechtbaren Beweise sie verurteilt worden sind...

– Liebster Mann, unterbrach ihn Frau Skirtle, sollte ein Mann, der eine so menschenfreundliche Tat ausführte, ein Mörder sein können?

– Und doch, erwiderte der Kapitän, besteht darüber gar kein Zweifel. Den Gebrüdern Kip ist es nicht im geringsten gelungen, ihre Unschuld nachzuweisen.

– Du kennst aber doch, lieber Mann, die Ansicht des Herrn Hawkins.

– Gewiß. Der vortreffliche Mann hält sie für nichtschuldig, er wird dabei aber von gewissen Erinnerungen an andere Dinge beeinflußt, und hat nichts für sie erreichen können, außer durch Vermittlung des Gouverneurs die Umwandlung ihrer Strafe.


Der Überfallene schlug den spitzen Teil einer Hacke tief in den Leib des Hundes ein. (S. 326.)

– Bedenke nur, fuhr Frau Skirtle fort, um wie viel ungerechter ihm diese Verurteilung erscheinen muß, wenn er hört, was Karl Kip heute getan hat.«

Der Kapitän gab darauf keine Antwort, denn schon, [328] was Hawkins über die beiden Brüder berichtet hatte, hatte auf ihn einen tiefen Eindruck gemacht. Dachte er aber an die greifbaren Beweise, an die Papiere Harry Gibsons, die sich im Besitz Karl und Pieter Kips gefunden hatten, und gar noch an den Kriß, die unzweifelhaft benutzte Mordwaffe, die die Polizei ebenfalls in deren [329] Reisesacke entdeckt hatte, dann konnte er an der Rechtmäßigkeit des Urteilsspruches doch nicht mehr zweifeln.

»In jedem Falle, lieber Mann, nahm Frau Skirtle nochmals das Wort, bitte ich dich um eines, das zu gewähren nur von dir abhängt und das du nicht abschlagen wirst...

– Darum, daß die Brüder nicht mehr getrennt gehalten werden möchten? fragte der Kapitän.

– Ja... du hast mich verstanden! Schon von heute an wirst du Pieter Kip erlauben, bei seinem Bruder zu bleiben, ihn zu pflegen...

– Ja ja, das soll geschehen, erklärte Skirtle.

– Und ich... ich werde den Mann besuchen, sagte Frau Skirtle, werde dafür sorgen, daß es dem Armen an nichts gebricht. Und... wer weiß... später vielleicht...«

Das heiße Verlangen der beiden Brüder sollte also gestillt, ihr Herzenswunsch, wenigstens beisammen zu sein, endlich erfüllt werden.

Von diesem Tage an sahen sich Karl und Pieter nun jede Stunde. Drei Wochen später, als die Wunde Karl Kips vernarbt war und dieser den Krankensaal verlassen konnte, ergingen sich die Brüder zum ersten Male im großen Hofe der Strafanstalt. Sie wohnten jetzt in demselben Raume und verbrachten die Nacht in demselben Schlafsaale. Ebenso waren beide derselben Arbeiterrotte zugeteilt worden. Bald darauf wurden sie nur noch zu Arbeiten im Innern der Anstalt herangezogen, mit der Aussicht, schließlich in deren Bureaux beschäftigt zu werden.

Was die Brüder sich nun zu sagen hatten, um was sich ihr Gespräch unverändert drehte und wie sie der Zukunft entgegensahen, läßt sich wohl leicht vermuten.

Bemerkte der jüngere, daß der ältere befürchtete, die Wahrheit werde niemals an den Tag kommen, so sagte er:

»Nicht verzweifeln, Bruder, das hieße Gott verkennen! Wenn uns das Leben erhalten blieb, so will es auch die Vorsehung, daß die Mörder eines Tages noch entdeckt werden, und daß man uns öffentlich unsere Ehre wiedergibt.

– Möge der Himmel dich hören, Pieter, antwortete dann Karl Kip; ich beneide dich um diese Vertrauensseligkeit!... Doch wer könnten die Mörder des Kapitäns Gibson gewesen sein? Offenbar Eingeborne von Kerawara oder von der Insel York, vielleicht auch von einer anderen Insel des Bismarck-Archipels.

[330] Wie soll man sie aber unter dieser, überall in jenem Gebiete verstreuten, melanesischen Bevölkerung herausfinden?«

Gleichviel! Daß das schwierig wäre, gestand Pieter Kip ja zu, dennoch blieb er bei seinem Glauben... Konnte sich denn nicht etwas Unerwartetes ereignen, konnten die Herren Zieger und Hamburg nicht weitere Anhaltspunkte entdecken?

»Ist es übrigens, sagte er eines Tages, als er seinen Bruder sich wieder der Verzweiflung hingeben sah, ist es denn ausgemacht, daß Eingeborne die Mörder sein müssen?«

Karl Kip ergriff seine Hände und rief, ihm scharf in die Augen sehend:

»Was willst du damit sagen?... Sprich dich weiter aus!... Meinst du, daß ein Kolonist oder ein Angestellter aus den Faktoreien habe das Verbrechen begehen können?

– Nein, Bruder... nein, das nicht.

– Und wer denn sonst?... Etwa irgendwelche Matrosen?... Im Hafen von Kerawara lagen ja verschiedene Schiffe...

– Und unsere Brigg, der ›James-Cook‹, doch auch, antwortete Pieter.

– Der ›James-Cook‹!«

Karl Kip wiederholte den Namen noch mehrmals und sah dabei seinen Bruder fragend an.

Pieter Kip verkündete ihm daraufhin den Verdacht, dessen er sich nie hatte entschlagen können. Unter der Mannschaft der Brigg waren damals doch reckt verdächtige Gesellen, darunter die in Dunedin angeworbenen Matrosen, die sich ja auch an der von Flig Balt angezettelten Meuterei beteiligt hatten. Einer dieser Leute – Len Cannon zum Beispiel, um nur einen Namen zu nennen – hätte ja wohl wissen können, daß der Kapitän Gibson bei seinem letzten Gange nach der Wohnstätte Hamburgs nicht nur die Schiffspapiere, sondern auch eine Summe von mehreren tausend Piastern bei sich trug. Eben an jenem Nachmittage wären Len Cannon und seine Kameraden ans Land gegangen. Konnten sie da nicht Harry Gibson aufpassen und in den Wald von Kerawara folgen, um ihn hier zu überfallen, zu ermorden und zu berauben?

Karl hörte seinem Bruder mit ängstlicher und verzehrender Spannung zu. Ihm schien es, als sei eine wirkliche Offenbarung über ihn gekommen. Noch nie war es ihm auch nur eingefallen, den Mord mit anderen als mit Eingebornen in Beziehung zu bringen. Jetzt deutete Pieter auf eine andere Fährte [331] hin, wo die Schuldigen zu suchen sein könnten, auf Len Cannon und die übrigen neueren Mannschaften des Schiffes.

Nach kurzer Überlegung äußerte er dann:

»Selbst zugegeben, daß die Mörder unter diesen Leuten zu suchen wären, so ist es doch nicht minder gewiß, daß der Kapitän mit einem malaiischen Dolche erstochen worden ist.

– Jawohl, Karl, und dazu mit dem unsrigen...

– Dem unsrigen?...

– Das ist gar nicht zu bestreiten, versicherte Pieter Kip, und die im Walde von Kerawara gefundene Zwinge gehört eben an unseren Kriß.

– Wie hätte dieser aber in Besitz der Mörder kommen können?

– O, der ist einfach gestohlen worden, Karl.

– Gestohlen?

– Ja, vom Wrack der ›Wilhelmina‹, als wir es durchsuchten.

– Gestohlen?... Von wem aber?

– Von einem der Matrosen, die damals mit im Boote waren, und die mit uns das Wrack betreten haben.

– Welche Matrosen waren das?... Erinnerst du dich ihrer, Pieter... ihrer Namen?

– Nicht mehr zuverlässig, Karl. Da war zunächst Nat Gibson, der uns begleiten wollte. Der Mannschaften, die vom Kapitän dazu befohlen wurden, entsinne ich mich nicht mehr.

– War der Bootsmann nicht mit darunter? fragte Karl Kip.

– Nein, Bruder, ich glaube versichern zu können, daß Flig Balt damals an Bord zurückblieb.

– Aber Len Cannon?

– Ja, das glaub' ich. Mir ist's, als ob ich ihn auf dem Wrack noch sähe. Vielleicht also dieser, doch gewiß bin ich meiner Sache nicht. Jedenfalls hat aber einer oder der andere in unsere Kabine gelangen und dort, selbst erst nach uns, den Kriß finden können, den wir nicht gleich gesehen hatten. Später, als die Elenden das Verbrechen vereinbart hatten, haben sie sich zur Ausführung dieser Waffe bedient und sie dann wieder in unseren Reisesack gesteckt...

– Dann hätten wir sie aber darin gefunden, Pieter!

– Nein... wenn sie nur im letzten Augenblick darin versteckt worden ist!«

[332] Dieses Zwiegespräch zeigte, wie nahe Pieter Kip an die Wahrheit streifte. Er irrte sich nur bezüglich der Persönlichkeiten der Mörder. Wenn sein Verdacht auf Len Cannon oder einen anderen der Neuangeworbenen fiel, die einen solchen ja gewiß rechtfertigten, so dachte er doch weder an Flig Balt noch an Vin Mod.

Sicher war übrigens, daß der Bootsmann sich nicht mit in der Schaluppe eingeschifft hatte, die nach dem Wracke fuhr, ebenso sicher freilich, daß sich Vin Mod unter den Mitfahrenden befunden hatte, nur erinnerten sich Karl und Pieter Kip dessen nicht mehr. Der Leser weiß, wie der Schurke zu Werke gegangen war und welche Gewandtheit und Schlauheit er an den Tag gelegt hatte, auf sich keinen Verdacht fallen zu lassen.

So verlief also das Gespräch, das die beiden Brüder jedenfalls in gleicher Weise schon weit früher geführt hätten, wenn sie nicht, anfänglich im Gefängnis von Hobart-Town und dann in der Strafanstalt von Port-Arthur, immer von einander getrennt gewesen wären. Was für sie freilich außer Zweifel stand, da sie ja die Urheber des Verbrechens nicht waren, das konnte für jeden anderen nur den Wert einer Vermutung haben. Wie hätten sie denn unwiderlegbare Beweise dafür beibringen können, daß der Kriß von einem der Matrosen des »James-Cook« weggenommen und dann von diesem zur Ermordung des Kapitäns Gibson benutzt worden wäre?... Sie sahen recht wohl ein, daß der Schein gar zu sehr gegen sie sprach. Zugegeben auch, daß die Annahmen Pieter Kips ganz logisch waren, konnten sie doch entscheidend nur für die sein, die sich unschuldig fühlten. Gerade das aber trieb sie – und vor allem Karl Kip – zur Verzweiflung... zu einer Verzweiflung, wogegen Pieter mit seinem unerschütterten Glauben an die göttliche Gerechtigkeit doch nur mit Mühe ankämpfte.

Auf die vom Kapitän Skirtle unternommenen Schritte hin hatten der Gouverneur und die Strafanstaltsverwaltung des Vereinigten Königreiches inzwischen die Genehmigung erteilt, die Gebrüder Kip. in den Bureaux von Port-Arthur zu beschäftigen. Das war gegenüber der Lage, in der sie sich bisher befanden, eine große Erleichterung, sie gehörten damit ja nicht mehr zu einer der Rotten, die Wege bauen oder Kanäle ausheben mußten, sondern wurden jetzt mit einem Teile der Buchführung der Anstalt oder auch, unter der Aufsicht anderer Beamter, mit der Entwerfung von Arbeiten an verschiedenen Punkten der Halbinsel beschäftigt.

[333] Dabei blieb für sie aber noch immer der schlimme Übelstand bestehen, daß sie mit einbrechender Nacht in einen gemeinschaftlichen Schlafsaal zurückkehren mußten, und sich also von den Sträflingen des Bagnos kaum absondern konnten.

Die ihnen gewährte Vergünstigung erregte bei vielen von diesen auch die tollste Eifersucht. Zwei erst zum Tode verurteilte Mörder, deren Strafe nur umgewandelt worden war, erfreuten sich einer solchen Bevorzugung! War denn der Dienst, den Karl Kip der Familie des Kapitän-Kommandanten geleistet hatte, wirklich so viel wert?... Sich auf die Gefahr hin, ein wenig gebissen zu werden, auf einen Hund zu stürzen, das hätte wohl auch jeder andere fertig gebracht. Die beiden Brüder hatten sich also oft genug gegen rohe Gesellen zu verteidigen, und es bedurfte nicht selten der überlegenen Körperkraft Karl Kips, diese einiger maßen im Zaume zu halten.

Mitten unter der wilden Rotte von Galeerensträflingen, mit denen sie in den gemeinsamen Sälen zusammentrafen, gab es jedoch zwei Verurteilte, die ihre Partei nahmen und sie gegen die Roheiten der anderen verteidigen halfen.

Das waren zwei Männer von fünfunddreißig und von vierzig Jahren, zwei Irländer, namens O'Brien und Macarthy. Wegen welchen Verbrechens sie verurteilt waren, darüber hatten sie nie etwas verlauten lassen. Auch sie hielten sich so viel wie möglich beiseite und hatten sich infolge ihrer außergewöhnlichen Körperkraft einen gewissen Respekt zu schaffen gewußt. Offenbar waren es keine gewöhnlichen Verurteilten, und sie hatten gewiß eine bessere Ausbildung genossen als die gewöhnlichen Insassen des Bagnos. Ohne Zweifel empört, manchmal etwa zwanzig Taugenichtse gegen die Gebrüder Kip vorgehen zu sehen, waren sie den beiden Holländern beigesprungen, die rohen Gesellen abzuwehren.

Es lag hiermit ziemlich nahe, daß sich zwischen ihnen und den Gebrüdern Kip eine gewisse Vertraulichkeit entwickelte, obgleich die Irländer sehr düster und heftiger, wenig mitteilsamer Natur waren. Da raubte den Holländern aber eine weitere Verfügung der Verwaltung die Gelegenheit, mit jenen wie bisher öfters zusammenzutreffen.

Dem Kapitän Skirtle, der sich auch weiter für die Gebrüder Kip interessierte, war das Verhalten einiger, und gerade der unlenksamsten Sträflinge nicht verborgen geblieben. Er wußte, daß Karl und Pieter rohen, persönlichen [334] Angriffen ausgesetzt waren. sobald sie in der Nacht die Gesellschaft anderer Sträflinge teilen mußten.

Andererseits hatte Frau Skirtle alles ihr mögliche getan, ihr Los zu mildern. Nachdem sie Herrn und Frau Hawkins wiederholt in Hobart-Town besucht und mit ihnen über die beiden Brüder gesprochen hatte, stiegen ihr bezüglich dieser doch gewisse Zweifel auf, und wenn sie auch noch nicht zugeben wollte, daß sie an dem Verbrechen von Kerawara ganz unbeteiligt wären, so erschienen ihr die Beweise für ihre Schuld doch nicht mehr so durchschlagend wie früher. Daneben konnte sie ja auch nicht vergessen, was sie dem mutigen Eingreifen Karl Kips schuldete. So gelang es der dankbaren Dame infolge ihrer wiederholten Vorsprache bei dem Gouverneur von Tasmanien, dessen Zustimmung zu erwirken, daß die beiden Brüder eine besondere Schlafzelle erhielten.

Ehe sie dahin übersiedelten, wollten Karl und Pieter Kip O'Brien und Macarthy noch einmal für die ihnen erwiesenen guten Dienste danken.

Die Irländer verhielten sich dem gegenüber auffallend kühl. Sie hatten ja wohl nur ihre Pflicht getan, als sie die beiden Brüder gegen die wilden Sträflinge verteidigten, und als die Holländer ihnen die Hände entgegenstreckten, als sie sich verabschieden wollten, da schlugen die Irländer nicht in diese ein.

Bald darauf befanden sich die Brüder allein.

»Ich weiß zwar nicht, rief Karl Kip schmerzlichen Tones, weswegen diese Leute verurteilt sind, einer Mordtat wegen aber gewiß nicht, denn sie weigerten sich, die Hände zweier Mörder – wie wir – zu berühren!«

Da übermannte ihn wieder ein heiliger Zorn.

»Wir... wir... Mörder!... Und nichts... nichts, um zu beweisen, daß wir es nicht sind!

– Gib die Hoffnung nicht auf, mein armer Karl, antwortete Pieter, eines Tages wird auch uns noch Gerechtigkeit werden!«

Im März 1887 vollendete sich das erste Jahr, seit die beiden Brüder nach Port-Arthur eingeliefert worden waren. Was hätten sie in dieser Zeit mehr erlangen können, als die Milderung der sonst so harten Vorschriften der Strafanstalt, die ihnen zuteil geworden war? So viel Vertrauen Pieter Kip aber auch auf die Zukunft hatte, voraussichtlich blieben sie doch ihr Leben lang die unglücklichen Opfer eines Justizirrtums.

Und doch waren sie keineswegs so verlassen, wie sie wohl glaubten. Draußen hatten sie, wenn nicht Freunde, wenigstens aber Gönner, die an ihrer traurigen [335] Lage ein lebhaftes Interesse nahmen. Nat Gibson weigerte sich, durch seinen Kummer verblendet, zuzugeben, daß irgendwelche Mutmaßungen zu ihren Gunsten sprächen, Hawkins aber ließ in seinen Bemühungen, in die traurige Sache Licht zu bringen, niemals nach. Er unterhielt einen lebhaften Briefwechsel mit Herrn Zieger in Port-Praslin und mit Herrn Hamburg in Kerawara. Er beschwor sie, ihre Nachforschungen fortzusetzen und sie ebenso über Neuirland wie über Neubritannien auszudehnen. Gelang ihnen dabei nicht der Nachweis, daß das Verbrechen von Eingebornen begangen war, gab es da nicht andere, die das getan haben konnten: Arbeiter von den Faktoreien oder Matrosen von einem oder dem anderen der Schiffe, die damals in den Häfen des Archipels lagen?

Auf diesen Weg verweisend, kam Hawkins dann der Gedanke, ob man die Mörder nicht unter der Mannschaft des »James-Cook« selbst zu suchen habe, wie das Karl und Pieter Kip ebenfalls vermuteten. Dem Len Cannon und seinen Kameraden – vielleicht auch anderen – war eine solche Untat gar wohl zuzutrauen. Manchmal fiel ihm da auch der Name Flig Balt ein... immerhin waren das nur ganz unsichere Mutmaßungen, die sich weder durch die Aussagen der Zeugen stützten, noch durch die bei den Verhandlungen zutage getretenen greifbaren Beweise begründet wurden.

Hawkins beabsichtigte dann noch selbst, nach Port-Arthur zu fahren. Er empfand etwas wie einen unwiderstehlichen Drang, seine Schützlinge wiederzusehen, eine Art instinktives Vorgefühl, das ihn nach der Strafanstalt trieb.

Man wird sich leicht das ungeheuere Erstaunen und die unbeschreibliche Erregung vorstellen können, die sich der Gebrüder Kip bemächtigten, als sie am Morgen des 19. März nach dem Bureau des Kapitän-Kommandanten gerufen wurden und hier den Reeder erblickten.

Diesem ging es nicht weniger nahe, die Schiffbrüchigen von der »Wilhelmina« jetzt in der Sträflingstracht wiederzusehen. In der Erregung des ersten Augenblicks wollte Karl Kip seinem Wohltäter entgegenstürmen, sein Bruder aber hielt ihn davon zurück. Und da Hawkins, der sich eine begreifliche Reserve auferlegte, nicht näher an sie herantrat, blieben sie still und stumm stehen in der Erwartung, daß man schon ein Wort an sie richten werde.

Skirtle hielt sich scheinbar gleichgültig beiseite. Er wollte es Hawkins überlassen, der Zusammenkunft den Stempel zu verleihen, den er für den richtigen hielt, und auch die Tonart des Gespräches nach Belieben anzuschlagen.

»Meine Herren«... begann der Reeder.


Als die Holländer ihnen die Hände entgegenstreckten, schlugen die Irländer nicht ein. (S. 335.)

Dieses Wort wirkte schon wie eine moralische Aufrichtung auf die beiden Unglücklichen, die im Bagno ja nur noch »Nummer soundsoviel« waren.

»Meine Herren Kip, ich bin nach Port-Arthur ge [336] kommen, um Sie über Dinge zu unterrichten, die Sie interessieren müssen, und ein wenig auch über das, was ich bisher getan habe.«

Die beiden Holländer glaubten, diese Erklärung sollte sich auf die Vorgänge in Kerawara beziehen. Sie täuschten sich. Es war nicht der Beweis ihrer Unschuld, den Hawkins hierherbrachte, denn er fuhr sogleich fort:

[337] »Es betrifft Ihr Handelshaus in Groningen. Ich bemühte mich, mit mehreren Kaufleuten Ihrer Vaterstadt in Schriftwechsel zu treten, und ich muß Ihnen sagen, daß dort die öffentliche Meinung sehr zu Ihren Gunsten zu sprechen scheint.

– Wir sind auch unschuldig! rief Karl Kip, der dem Drange seines Herzens nicht zu widerstehen vermochte.

– Ja, nahm Hawkins, der Mühe hatte, seine Zurückhaltung zu bewahren, wieder das Wort, Sie waren aber leider nicht in der Lage, Ihre Geschäftsangelegenheiten zu ordnen, die schon durch Ihre Abwesenheit Schaden erlitten. Die unumgängliche Liquidation mußte schnell durchgeführt werden, und da habe ich mir erlaubt, für Ihre Interessen einzutreten.

– Herr Hawkins, antwortete Pieter Kip, o, wir danken Ihnen von ganzem Herzen! Das ist eine weitere Wohltat, die Sie so vielen anderen hinzufügen.

– Ich wünschte nun, Ihnen mitzuteilen, fuhr der Reeder fort, daß diese Liquidation unter weit günstigeren Bedingungen verlaufen ist, als man vorher wohl erwarten konnte. Die Kurse standen im allgemeinen ziemlich hoch, und die Waren haben zu recht anständigen Preisen Abnehmer gefunden, so daß sich eine Bilanz ergeben hat, die noch mit Überschuß für Sie ausgefallen ist«.

Auf dem bleichen Gesichte Pieter Kips malte sich eine lebhafte Befriedigung. Wie oft hatte er, inmitten der Leiden und Qualen des schrecklichen Lebens im Bagno, an seine zerrütteten Geschäftsverhältnisse, an das vom Konkurs bedrohte Handelshaus und an die Schande gedacht, die damit dem Namen seines Vaters angetan würde. Und jetzt erfuhr er von Herrn Hawkins, daß die Liquidation für sie so überaus glücklich ausgefallen sei.

Da nahm Karl Kip das Wort.

»Herr Hawkins, sagte er, wir wissen gar nicht, wie wir Ihnen unsere Dankbarkeit bezeugen sollen. Nach allem, was Sie schon für uns getan haben, nach der Achtung, die Sie uns erwiesen haben, und der wir nicht nur würdig waren, sondern es – ich schwöre es bei allem, was mir heilig ist – auch noch sind, ist, dank Ihnen, auch die Ehre unseres Hauses gerettet worden!... Wir sind es jedenfalls nicht, die die alte Firma geschändet hätten, denn auf unserem Gewissen lastet die Freveltat nicht, wegen der wir verurteilt wurden. Wir sind die Mörder des Kapitäns Gibson nicht!«

Und wie vor dem Gerichtshofe, riefen die beiden Brüder, Hand in Hand dastehend, den Himmel zum Zeugen ihrer Versicherung an.

[338] Skirtle beobachtete sie mit Aufmerksamkeit und innerer Erregung, denn er fühlte sich unwillkürlich ergriffen von der Würde ihres Auftretens und dem Ausdrucke ehrlicher Aufrichtigkeit im Tone ihrer Stimme.

Da barst auch bei Hawkins die Hülle der Zurückhaltung, die er sich zuerst auferlegt hatte und er gab ungescheut dem Flüstern einer Stimme seines Inneren nach. Nein, er glaubte nun einmal nicht an die Schuld der Gebrüder Kip... er hatte auch vorher nie daran glauben können. Leider waren alle bisherigen Nachforschungen in Port-Praslin, in Kerawara und auf den übrigen Inseln des Bismarck-Archipels ergebnislos verlaufen... vergeblich war jede Spur nach den Mördern unter den eingebornen Stämmen verfolgt worden. Dennoch verzweifelte er nicht an einem schließlichen Erfolge, der dann eine Wiederaufnahme des Gerichtsverfahrens herbeiführen mußte.

Eine Wiederaufnahme des Verfahrens! Zum ersten Male war dieses Wort gefallen vor den beiden Verurteilten, die es nie mehr zu hören gehofft hatten... eine Wiederaufnahme, bei der sie vor andere Richter gestellt würden, denen sie dann vielleicht weitere Beweise ihrer Unschuld vorlegen könnten!

Neuen Richtern gegenüber bedurfte es freilich neuer, nicht zu bemängelnder Belege dafür, daß hier ein Justizirrtum vorliege, wenn diese einen anderen Angeklagten vor Gericht ziehen sollten, statt dessen sie, die Unschuldigen, verurteilt worden waren. Doch würde es gelingen, den wirklichen Urheber des Verbrechens zu entdecken und ihn vor den Geschworenen in Hobart-Town den beiden Brüdern Auge in Auge gegenüberzustellen?... Hawkins und die beiden Holländer vergegenwärtigten sich noch einmal die Hauptpunkte der Anklage. Gewiß, der Kapitän Gibson war mit dem Dolche ermordet worden, den man im Zimmer der beiden Brüder gefunden hatte und den diese als ihr Eigentum anerkannten. Sie aber hatten ihn nicht auf dem Wrack der »Wilhelmina« gefunden, ihn nicht an Bord der Brigg mitgenommen. Hatte ihn Jim in ihrer Kabine gesehen, so mußte er von anderer Hand dort hingelegt worden sein, und wenn sich ebenda die Papiere des Kapitäns gefunden hatten, so mußte sie ein anderer dorthin gebracht haben. Dieser »andere« konnte aber nur der sein, der nach der Ermordung Harry Gibsons im Walde von Kerawara auch das Gold gestohlen hatte, das dieser bei sich trug. Ja, das war der tatsächliche Vorgang wenn auch die Beweise dafür fehlten.

Unter diesen Umständen konnte der Verdacht nur auf irgendwelche Matrosen vom »James-Cook« fallen. Einer von ihnen hatte ja recht wohl in der [339] Kabine auf der »Wilhelmina« den Kriß an sich nehmen können, einer von denen, die nach dem Wracke mitgefahren waren.

Da entfuhr Karl Kip die Frage:

»War denn Flig Balt nicht darunter?

– Nein, entgegnete Pieter, der nicht. Ich entsinne mich dessen ganz genau. Flig Balt hat das verunglückte Schiff nicht betreten.

– Ja, ja, ich entsinne mich, bestätigte auch der Reeder, er ist damals nicht von der Brigg weggekommen.

– Wer waren denn die Leute, die im Boote mitfuhren? fragte Karl Kip.

– Das waren Hobbes und Wickley, antwortete der Reeder. Ich habe sie selbst darum befragt, und sie erklären, damals mit Ihnen beiden und mit Nat Gibson im Boote gewesen zu sein.

– Len Cannon war nicht dabei? fragte Pieter Kip.

– Das haben sie mir bestimmt verneint.

– Ich hatte gerade gedacht...

– Hobbes und Wickley können aber nicht in Verdacht kommen, fiel Karl Kip ein.

– Nein, gewiß nicht, antwortete Hawkins, das sind durchweg ehrbare Seeleute. Doch war nicht noch ein Dritter mit ihnen?

– Wer denn, Herr Hawkins?

– Vin Mod.

– Vin Mod! rief Karl Kip. Vin Mod, der heuchlerische Schurke.

– Vin Mod, setzte Pieter Kip noch hinzu, er, den ich von jeher für den bösen Geist Flig Balts angesehen habe.«

Als dieses Gespräch stattfand, war weder der Bootsmann noch Vin Mod mehr in Hobart-Town, und in welchem Lande hätte man jetzt ihrer Fährte nachspüren sollen?

[340]
10. Kapitel
Zehntes Kapitel.
Die Feniers.

Im Jahre 1867 war es, wo sich, zum Zwecke der Befreiung Irlands von dem unerträglichen Joche Großbritanniens, der Geheimbund der Feniers gebildet hatte.

Schon zwei Jahrhunderte früher hatten die katholischen Bewohner des Grünen Erin schwere Verfolgungen zu erdulden gehabt, als die ebenso unduldsamen wie wilden Söldnerscharen Cromwells der irischen Bevölkerung die kirchliche Reformation aufzwingen wollten. Treu ihrem Glauben und ihrer politischen Anschauung, wehrten sich die Unterdrückten nach Kräften. So verstrich ein Jahrhundert ohne Verbesserung der Sachlage, und England machte seine brutale Hand nur umso härter fühlbar. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts (1798) kam wieder eine Empörung zum Ausbruche, deren baldiger Niederwerfung die Aufhebung des irischen Parlaments folgte... des natürlichen Schutzwalls der Freiheiten Irlands.

Im Jahre 1829 tauchte da ein Verteidiger der Unterdrückten auf, dessen Name in der ganzen Welt widerhallte. O'Connell nahm einen Sitz im Hause der Gemeinen ein. Hier protestierte er mit mächtiger Stimme gegen die britischen Übergriffe, unter denen sieben Millionen katholischer Einwohner von den damaligen acht Millionen der Gesamtbevölkerung so schwer zu leiden hatten.

Bis zu welcher Stufe der Verarmung und des Elends das unglückliche Land hinabgesunken war, erkennt man an der Tatsache, daß von fünf Millionen Hektaren ertragsfähigen Bodens fünfzehnhunderttausend Hektare, von den Bebauern aus Mangel an Hilfsmitteln aufgegeben, vollständig brach lagen.

Wir gehen hier auf jene Zeit voller Unruhen, die zu den Vergeltungsmaßregeln des Fenianismus führten, nur soweit ein, als sie zu unserer Erzählung unmittelbar in Beziehung steht 1.

O'Connell starb im Jahre 1847, ohne sein Werk haben vollenden, ja ohne dessen Erfolg in früherer oder späterer Zeit nur vorausschauen zu können.

[341] Damit war die Bewegung aber nicht erstickt, denn einzelne schürten sie unausgesetzt weiter, so daß das Vereinigte Königreich sich einer erneuten Auflehnung gegenübersah, die aber nicht in einer irischen, sondern in einer englischen Stadt zum Ausbruch kam. Zum ersten Male sah Manchester die Fahne der Feniers sich entrollen, der Feniers, deren Name jedenfalls aus der alten gälischen Sprache stammt, und diese Fahne wehte für die Sache der Unabhängigkeit.

Die Empörung wurde ebenso wie die erste und mit derselben herzlosen Strenge unterdrückt. Die Polizei bemächtigte sich der Hauptanführer Allen, Kelly, Deary, Baskin und Gorld. Erst eingekerkert, dann vor ein Kriminalgericht gestellt, wurden die drei Erstgenannten zum Tode verurteilt und am 23. November in Manchester hingerichtet.

Zu gleicher Zeit flackerte noch ein weiterer Aufruhr auf, dessen Urheber zwei unentmutigte Männer, Burke und Casey, waren. Diese wurden in London verhaftet und in das Gefängnis von Clerkenwell abgeführt. Ihre Freunde und Gesinnungsgenossen konnten sie aber nicht ihrem Schicksal überlassen. Entschlossen, die Gefangenen zu befreien, sprengten sie am 13. Dezember die Mauern des Gefängnisses in die Luft... eine Explosion, die gegen vierzig getötete und verletzte Opfer forderte: Burke, dem trotzdem die Flucht nicht gelang, wurde wegen Hochverrats zu fünfzehnjähriger Zwangsarbeit verurteilt.

Verhaftet wurden bei dieser Gelegenheit sieben Feniers: William und Timothy Desmond, English, O'Krese, Michel Baret und eine Frau, Anna Justice.

Bei der folgenden Gerichtsverhandlung hatten sie zum Verteidiger den berühmten Bright, der schon im Parlamente die Rechte Irlands verfochten hatte.

Die Bemühungen des großen Redners hatten aber keinen durchschlagenden Erfolg. Man stellte die Angeklagten im April 1868 vor das Oberste Kriminalgericht. Hier wurde gegen einen davon, gegen den siebenundzwanzigjährigen Michel Baret, ein Todesurteil gefällt, dessen Vollziehung auch Bright nicht zu hindern vermochte.

Hatte sich der Fenianismus durch die Explosion von Clerkenwell auch in der öffentlichen Meinung arg geschadet, so vermochten doch alle Verfolgungen nicht, die Sucht nach Vergeltung einzudämmen. Immer blieb die Furcht bestehen, daß die irische Angelegenheit die Männer, die diese in der Hand hatten, zu einem verzweifelten Schritte treiben könnte. Dank dem kräftigen Auftreten [342] Brights im Ober- und im Unterhause, wurde mit der Bill von 1869 wenigstens ein Schritt vorwärts getan. Diese Bill sprach die Gleichberechtigung der irischen und der anglikanischen Kirchen aus unter der Zusage eines Gesetzes über das Grundeigentum, das allen Forderungen nach gleichmäßiger Behandlung Rechnung tragen und damit den Namen »Vereinigtes Königreich«, unter dem doch England, Schottland und Irland zu verstehen sind, endlich zur Wahrheit machen sollte.

Die Polizei erlahmte deswegen aber nicht in ihrer Tätigkeit und die Feniers wurden nach wie vor ohne Gnade verfolgt. Es gelang ihr auch, mehrere Verschwörungen zu entdecken, deren Rädelsführer vor Gericht gestellt und zur Deportation verurteilt wurden.

Unter diesen befanden sich, bei einem Aufstandsversuche 1879 verhaftet, die beiden Irländer O'Brien und Macarthy, zur Verwandtschaft jenes Farcy gehörig, der bei den Ereignissen von 1867 beteiligt gewesen war.

Da die Namen der Empörer verraten worden waren, zog die Polizei die Verschworenen ein, ehe diese ihre Absicht ausführen konnten.

O'Brien und Macarthy ließen sich niemals herbei, ihre weiteren Genossen zu nennen. Sie nahmen die Verantwortlichkeit für die Verschwörung ganz allein auf sich; der Gerichtshof erwies sich außergewöhnlich streng. Er verurteilte sie zu lebenslänglicher Deportation, und danach wurden sie in die Strafanstalt von Port-Arthur geschafft.

Sie waren also nur politische Verbrecher; solche enthielt Port-Arthur aber schon, als es Dumont d'Urville 1840 besuchte. Gewiß war das England belastende Urteil des französischen Seefahrers über das hier geübte barbarische Verfahren richtig, als er damals schrieb: »Die Strafen, die hier Diebe, Fälscher und ähnliche Verbrecher erleiden, sind gegenüber denen der politischen Verbrecher wahrlich nicht zu hart, denn diese erklärt man für unwürdig, ferner unter ihresgleichen zu leben, und pfercht sie mit Räubern und Mördern, mit den unverbesserlichsten Schurken zusammen«.

Hierher waren also 1879, schon vor acht langen Jahren, die beiden Irländer O'Brien und Macarthy eingeliefert worden. Das Reglement des Bagno lastete auf ihnen in all seiner Härte, inmitten des unsauberen Schwarmes der anderen.

O'Brien war früher Werkmeister in einer Dubliner Fabrik, Macarthy aber Hafenarbeiter gewesen. Beide, mit außergewöhnlicher Energie begabt, hatten auch einige Bildung genossen. Familienbande, Erinnerungen und Beispiele hatten [343] sie zur Fahne der Feniers getrieben. Das Leben aufs Spiel setzend, hatten sie dabei ihre Freiheit verloren. Konnten sie wohl noch hoffen, daß ihr Strafaufenthalt je ein Ende finden, daß eine Begnadigung ihnen erlauben werde, den Bagno zu verlassen?... Nein, darauf rechneten sie nicht mehr, und wenn es ihnen nicht gelang zu entfliehen, schleppten sie dieses entsetzliche Leben bis ans Ende ihrer Tage.

Ob ihnen wohl eine Flucht gelingen sollte? Wäre ein Entweichen von der Halbinsel Tasman denn ganz unmöglich?

Nein, das wiederum nicht, unter der Bedingung, daß dazu eine Hilfe von draußen kam, und schon seit einigen Jahren hatten die Feniers in Amerika über verschiedene Mittel nachgedacht, ihre Brüder aus der Hölle von Port-Arthur zu erlösen.

Gegen Ende des jetzigen Jahres waren O'Brien und Macarthy auch auf Schleichwegen benachrichtigt wor den, daß ihre Freunde in San Francisco einen Versuch zu ihrer Befreiung unternehmen würden. Wenn die Stunde dazu kam, sollten sie weitere Nachricht erhalten, um zur Flucht vorbereitet zu sein.

Der Leser wird verwundert fragen, wie ihnen in der Strafanstalt die erste Benachrichtigung habe zugehen können und wie sie die zweite erhalten sollten. Ihnen gegenüber konnte an ein Nachlassen der Überwachung ja kaum gedacht werden, da sie sich Tag und Nacht, draußen und drinnen, unter den Augen der Aufseher befanden.

Unter diesen Aufsehern gab es jedoch einen Irländer, der mit seinen Landsleuten, so gut es ging, einige Beziehungen unterhielt. Aus Ergebenheit für die Sache des Feniertums und um dessen letzte Opfer zu retten, hatte sich dieser Irländer – Farnham mit Namen – der von Amerika nach Tasmanien geschickt worden war, eine Stellung als Aufseher in der Strafanstalt von Port-Arthur zu verschaffen gewußt, nur zu dem Zwecke, das Entweichen der hier gefangenen Genossen zu unterstützen. Er spielte da ein sehr gewagtes Spiel, wenn das Unternehmen mißglückte und es offenbar wurde, daß er mit O'Brien und Macarthy unter einer Decke steckte. Solche Beispiele von mutiger Opferwilligkeit stehen übrigens nicht vereinzelt da; unter den Feniers herrscht eine Solidarität, die auch vor dem Opfer des eigenen Lebens nicht zurück tritt.


Auf dem Rückwege von Port-Arthur trat ein Mann an Farnham heran. (S. 348.)

Erst wenige Jahre vorher waren sechs, wegen politischer Vergehen Deportierte aus Australien entflohen, dank den von einer Strecke zur anderen errichteten Hilfsposten, die es ihnen ermöglichten, die Küste zu erreichen und sich auf dem [344] [347]»Catalpa« einzuschiffen, der sie nach einem Scharmützel mit dem Polizei-Wachtschiffe nach Amerika brachte.

Jetzt versah Farnham schon seit achtzehn Monaten und zur großen Zufriedenheit seiner Vorgesetzten seine Stellung als Aufseher, während seine Landsleute vor seiner Anwesenheit hier bereits sechs Jahre in der Anstalt schmachteten. Bald ließ er sich unter die Aufseher ihrer Rotte einreihen, so daß jene immer unter seinen Augen waren und er sie nach außen begleiten konnte. Da die beiden Irländer ihn aber nicht kannten, kostete es ihm nicht wenig Mühe, ihnen Vertrauen einzuflößen, um nicht vielleicht gar für einen Spion gehalten zu werden. Schließlich gelang ihm jedoch alles aufs beste und zwischen den dreien herrschte das vollste Einvernehmen.

Farnhams größte Sorge war es gewesen, keinen Verdacht gegen sich aufkommen zu lassen, und deshalb mußte er gegen die Sträflinge seiner Rotte ebenso schonungslos auftreten, wie die übrigen Aufseher. Es hätte auch niemand beobachten können, daß er O'Brien und Macarthy duldsamer als andere behandelte. Die beiden unterwarfen sich freilich auch ohne Widerstand der eisernen Disziplin der Anstalt, so daß Farnham niemals Anlaß geboten wurde, mit Strafen gegen sie vorzugehen.

Anderseits hatte es den Gebrüdern Kip bei mehreren Gelegenheiten nicht entgehen können, daß dieser Aufseher sich vor den anderen durch ein weniger gemeines, weniger brutales Verhalten auszeichnete; diese Beobachtung hatte ihnen aber niemals den Gedanken eingegeben, daß Farnham nur hier war, um eine gewisse Rolle zu spielen. Übrigens hatten sie der von diesem beaufsichtigten Rotte niemals angehört, und seit ihrem Eintritt in die Bureaux begegneten sie ihm fast gar nicht mehr.

Das Nähere über O'Brien und Macarthy erfuhren sie aus den Akten, die durch ihre Hände gingen, da sie das Personalverzeichnis der Insassen der Anstalt zu führen hatten. Daraus ersahen sie also die Verurteilung der beiden als Feniers, als rein politische Verbrecher, die hier das Leben mit dein Abschaum der verruchtesten Übeltäter teilen mußten.

Als sie über diesen Punkt Klarheit gewonnen hatten, sagte Karl Kip bezüglich O'Briens und Macarthys zu seinem Bruder:

»Da sehen wir's ja, warum sie sich damals weigerten, uns die Hand zu geben!

– Ach ja, ich begreife ihr Benehmen, antwortete Pieter Kip.

[347] – Jawohl, Bruder, wir sind für sie nur zwei zum Tode Verurteilte, zwei Mörder, denen nur der Strick geschenkt worden ist.

– Die armen Leute! meinte Pieter Kip, wenn man an die beiden Irländer denkt, die in diesem Bagno eingekerkert sind, so...

– Nun, ich dächte, wir säßen doch auch darin! unterbrach ihn Karl Kip in einer Aufwallung inneren Grolls, der ihn noch manchmal übermannte und dessen mögliche Folgen sein Bruder von jeher fürchtete.

– Gewiß, erwiderte Pieter, wir aber, wir sind nur die Opfer eines Justizirrtums, der eines Tages noch aufgedeckt werden wird; jene zwei sind dagegen für ihre ganze Lebenszeit verurteilt, nur weil sie die Unabhängigkeit ihres Vaterlandes erstrebt haben!«

War die Stellung Farnhams in der Strafanstalt auch eine derartige, daß sie ein Entkommen der Feniers erleichterte, so schien sich die Gelegenheit dazu doch nicht so bald bieten zu wollen. Seit zwei Jahren wußten die beiden Irländer nun schon, daß ihre Freunde in Amerika beschäftigt waren, ihre Flucht vorzubereiten, doch noch immer war keine weitere Benachrichtigung in Port-Arthur eingetroffen. O'Brien und Macarthy verloren auch fast schon jede Hoffnung darauf, als ihnen Farnham am Nachmittage des 20. April folgende Mitteilung machte:

Er befand sich auf dem Rückwege von Port-Arthur nach der Strafanstalt, als ein Mann an ihn herantrat, den Namen des Aufsehers nannte, den seinigen – er hieß Walter – angab und auch das Losungswort nannte, das zwischen den Feniers in San Francisco und ihm selbst früher vereinbart worden war. Dann teilte er ihm mit, daß in nächster Zeit der Flucht- und Entführungsversuch in folgender Weise unternommen werden solle: Vor Ablauf von vierzehn Tagen werde der von San Francisco nach Tasmanien abgegangene Dampfer »Illinois« in Hobart-Town eintreffen und auf der Reede davor beilegen. Dort werde er günstige Verhältnisse abwarten, in die Storm-Bai einzulaufen und sich dem Ufer der Halbinsel zu nähern.

Der Tag und die Stelle, wohin ein Boot des Schiffes gesendet werden würde, sollten noch durch eine letzte kurze Mitteilung angezeigt werden. Diese Mitteilung werde er, Walter, wenn er beim Wiedersehen Farnhams diesen nicht unauffällig sprechen könnte, in ein grünes Blatt wickeln und dieses dicht an einem Baume zur Erde fallen lassen, wo es Farnham ungesehen aufheben könnte. Dann sollten sich die Gefangenen nur streng an die auf dem [348] Zettel verzeichneten Anweisungen halten. Die freudige Erregung der beiden Irländer über diese Mitteilung kann man sich wohl leicht vorstellen. Mit welcher Ungeduld mußten sie das Erscheinen der »Illinois« auf der Reede von Hobart-Town, und in der Hoffnung erwarten, daß der Dampfer durch keinen Unfall auf dem Meere eine Verzögerung erleide! Auf der südlichen Halbkugel der Erde ist der April noch nicht der Monat, wo die überaus heftigen Stürme des Stillen Ozeans loszubrechen pflegen. Noch vierzehn Tage, hatte Walter gesagt, und der Dampfer werde zur Stelle sein... was bedeuteten aber vierzehn Tage neben den acht langen Jahren eines qualvollen Aufenthaltes in Port-Arthur!

Da Walter die Mauern der Strafanstalt natürlich nicht überschreiten konnte, mußte er Farnham außerhalb dieser zu treffen suchen, wenn er ihm noch etwas zuflüstern wollte. Dabei sollte er dem Aufseher den Tag angeben, wo die Flüchtlinge den Bagno zu verlassen hätten, und die Uferstelle bezeichnen, wo ein Boot der »Illinois« sie aufnehmen werde. An dem vorgeschlagenen Tage würden sie ja voraussichtlich in der Stunde, wo ihre mit Arbeiten im Freien beschäftigte Rotte sich zur Rückkehr nach Port-Arthur sammelte, das Ufer erreichen können.

Immerhin werde man sich in allem nach den Umständen richten. Von Wichtigkeit war nur, daß Farnham rechtzeitig Nachricht erhielte, es mochte das nun auf dem einen oder dem anderen Wege geschehen. Obwohl er Walter nur ein einziges Mal gesehen hatte, würde er ihn doch leicht wiedererkennen. Die folgenden Tage mußte er also stets aufmerksam sein, und wenn es Walter nicht gelang, unauffällig ganz in seine Nähe zu kommen, wenigstens immer ein Auge auf ihn haben, um sich auch das leiseste Zeichen nicht entgehen zu lassen. Ließ Walter dann einen Zettel am Stamme eines Baumes fallen, so galt es immer noch die größte Vorsicht, diesen aufzuheben, um seinen Inhalt den beiden Irländern mitteilen zu können.

»Die Sache wird gelingen, schloß er seine Worte, alle Maßnahmen sind aufs beste getroffen. Die Ankunft der ›Illinois‹ kann keinerlei Verdacht erregen. Der Dampfer wird auf der Reede von Hobart-Town ankern, wie ein Schiff, das um Wasser oder Proviant zu fassen eingelaufen ist, und auch wenn es dann durch die Bai wieder auf die hohe See zu gehen sucht, können die Hafenbehörden darin nichts Besonderes finden. Erst draußen, auf freiem Meere aber...

[349] – Werden wir gerettet sein, Farnham, rief O'Brien, gerettet durch dich, der mit uns nach Amerika zurückkehrt...

– O, liebe Brüder, erwiderte Farnham, dann werd' ich für euch nur getan haben, was auch ihr getan... für Irland getan hättet!«

Eine Woche verging, ohne daß Farnham Walter wiedersah, der jedenfalls in Hobart-Town das Eintreffen des amerikanischen Dampfers abwartete.

Die Gebrüder Kip hörten von Herrn Hawkins zunächst gar nichts mehr. An die Revision ihres Prozesses, von der er ihnen gesprochen hatte, dachten sie freilich ohne Unterlaß, ja sie lebten sozusagen nur noch in dieser Hoffnung, ohne darüber zu grübeln, worauf sich die Revision stützen sollte. Ihre Überzeugung stand jetzt schon fest bezüglich der Rolle, die Flig Balt – und wahrscheinlich Vin Mod, sein Verführer und Anstifter – in dem Trauerspiele von Kerawara gespielt, über den Anteil, den sie an der Ermordung des Kapitäns Harry Gibson gehabt hätten. Die beiden Elenden hatten Hobart-Town aber fast schon seit einem Jahre verlassen, und was aus ihnen geworden sei, konnte kein Mensch sagen.

Wenn Karl Kip sich diese Sachlage vorstellte, an der sich gar nichts ändern zu wollen schien, verfiel er öfters wieder in seine unbesiegbare Ungeduld. Er dachte dann daran, zu entweichen, und schlug seinem Bruder vor, alles zu wagen, um zu entfliehen. Ohne Hilfe von außen war jedoch eine solche Flucht so gut wie unmöglich.

Am 3. Mai waren schon vierzehn Tage verflossen seit der ersten Mitteilung Walters an Farnham. Die beiden Männer hatten sich inzwischen nicht wiedergesehen. Ohne Verzögerungen während der Fahrt, hätte die »Illinois« schon auf der Reede von Hobart-Town aufgetaucht sein müssen, jedenfalls lag sie da aber noch nicht, denn sonst hätten die beiden Irländer wohl schon Nachricht erhalten.

Doch in welcher Herzensangst schwebten sie jetzt immer! Wenn ihre Rotte sich dem Ufer näherte, schweiften ihre Blicke hinaus auf das Wasser, und gierig suchten sie unter den Schiffen vor dem Eingang zur Storm-Bai nach dem, das sie weit von diesem fluchbelasteten Erdenwinkel forttragen sollte.

Jetzt standen sie still und starrten eben nach einem Rauchstreifen, der, vor dem Südostwind dahertreibend, die Annäherung eines Dampfers schon verriet, ehe dieser um die Spitze des Kap Pillar herumkam. Dann erschien der Dampfer und steuerte scharf an der Landspitze vorüber auf die Bai herein.

[350] »Ist er es... ist er es? rief O'Brien wiederholt.

– Vielleicht, antwortete Marcathy, und dann dürften keine achtundvierzig Stunden vergehen, bis Farnham Nachrichten bekäme.«

In Gedanken versanken, blieben sie noch einen Augenblick stehen.

Da rief sie aber die rauhe Stimme des Oberaufsehers schon wieder zur Arbeit, und um jeden Verdacht abzuschneiden, trieb sie auch Farnham drohend dazu an.

Nach Beendigung seines Tagesdienstes verließ dieser die Strafanstalt und begab sich nach der Stadt. Hier irrte er durch die Straßen und am Hafen umher, immer in der Hoffnung auf ein Zusammentreffen mit Walter... vergebens. Jedenfalls erwartete Walter die »Illinois« nicht in Port-Arthur, sondern in Hobart-Town, und dann erschien er in der Nähe der Strafanstalt gewiß erst nach dem Eintreffen des Dampfers, um Farnham die letzten Anweisungen zu übermitteln.

Am Nachmittage des heutigen Tages wurden mehrere Arbeiterrotten – darunter auch die, der die Feniers zugeteilt waren – gegen fünf (engl.) Meilen nach Südwesten hinaus geschickt. Dort wurden am Saume des Waldes viele Bäume gefällt, die zur Errichtung einer Farm dienen sollten. Die Verwaltung hatte kurz vorher beschlossen, eine solche, nur eine halbe Meile von der Küste, erbauen zu lassen.

Da es sich jetzt darum handelte, die Grenzen der Farm abzustecken, waren die Gebrüder Kip der Arbeiterschar beigegeben worden. Man hatte sie beauftragt, die Ausführung der von ihnen in den Bureaux bearbeiteten Pläne zu überwachen.

Die Sträflinge – es mochten ihrer gegen hundert sein – marschierten unter der Aufsicht von etwa zwanzig Konstablern und deren Anführer hinaus.

Wie gewöhnlich trug jeder Sträfling seine am Fuße und am Gürtel befestigte Kette. Seit dem Tage ihres Eintrittes in die Bureaux waren Karl und Pieter Kip von dieser unheimlichen Zugabe befreit worden, doch trugen sie noch immer die für Port-Arthur vorgeschriebene gelbe Kleidung.

Nachdem sie damals mit O'Brien und Macarthy einige Worte gewechselt hatten, um ihnen zu danken, waren sie diesen nur sehr selten wieder begegnet. Jetzt, wo sie die Geschichte der beiden Feniers kannten und wußten, daß diese nur aus politischen Gründen deportiert waren, vergaßen sie fast ihr eigenes Unglück vor Rührung über das Los der irischen Patrioten.


Jetzt standen sie still und starrten eben nach einem Rauchstreifen. (S. 350.)

Sobald die Menschenherde den Platz der zukünftigen Farm erreicht hatte. nahmen die Arbeiten ihren Anfang. An der Grenze der Lichtung, die in dem betreffenden Teile des Waldes ausgespart werden sollte, [351] bezeichneten Karl und Pieter Kip, unter Begleitung eines der Aufseher, die nach Maßgabe des Planes niederzulegenden Bäume.


Pieter Kip hob ein grünes Blatt auf, das einen beschriebenen Zettel enthielt. (S. 357.)

Es war eine ziemlich kühle Witterung. Der Winter nahte heran, und schon lagen inmitten einer Decke von dürren Blättern eine Menge abgestorbener Zwei ge auf der Erde verstreut. Nur die immergrünen Baumarten, die Steineichen und [352] die Strandsichten, trugen noch ihr Blätterkleid und ihre Nadeln. Der von Westen herkommende Seewind strich pfeifend durch das Gewirr der Äste. Mit dem Dufte der Harzbäume mischte sich der belebende Geruch des Meeres. Man hörte auch das Donnern der Brandung an den Uferfelsen, über denen Schwärme von Nachtvögeln aufflatterten.

O'Brien und Macarthy mußten sich jedenfalls sagen, daß unter den vorliegenden Verhältnissen kein Boot an die Küste stoßen könnte. Farnham, der bis zum Rande des Steilufers hinausgegangen war, hatte sich auch überzeugt, [353] daß auf dem näheren Teile der Storm-Bai kein Fahrzeug lag. Die »Illinois« war also entweder noch nicht eingetroffen oder sie befand sich wenigstens noch auf der Reede.

Mit Rücksicht auf die Arbeiten für die zu errichtende Farm war zwischen Port-Arthur und diesem Teile der Halbinsel schon vorher eine Straße angelegt worden, die vielfach begangen wurde, da sie auch die Verbindung mit mehreren anderen Landgütern bildete. So kam es, daß zuweilen Vorüberkommende stehen blieben, um die Sträflinge bei der Arbeit zu beobachten. Natürlicherweise hielt man diese in angemessener Entfernung, und es war ihnen nicht erlaubt, mit den Gefangenen zu sprechen. Unter den Vorübergehenden fiel nun O'Brien und Macarthy eine Persönlichkeit auf, die auf der Straße wiederholt ein Stück hin- und zurückging.

Ob das Walter war?... Sie kannten diesen ja nicht, doch Farnham erkannte ihn sofort, und mit Vermeidung der geringsten Unklugheit verlor er ihn nicht aus den Augen. Gleichzeitig verständigte ein den Feniers gegebenes Zeichen diese, daß das der erwartete Bote wäre. Was konnte dieser aber hier wollen und warum suchte er sich Farnham zu nähern, wenn es nicht darum geschah, ihn von der Ankunft des Dampfers zu benachrichtigen und ihm Tag und Stelle anzugeben, wo die geplante Flucht bewerkstelligt werden sollte.

Der Oberaufseher der Sträflinge, der die Rotten führte, war ein brutaler, argwöhnischer Mann, der im Dienste mit äußerster Strenge auftrat. Ohne Verdacht zu erwecken, hätte Farnham mit Walter kein Wort wechseln können. Dieser begriff das nach einigen nutzlosen Versuchen bald genug und beschloß, sich so zu verhalten, wie sie es vorher verabredet hatten.

Ein Zettel, den er in der Tasche trug, enthielt alle notwendigen Anweisungen. Diesen ließ er Farnham aus der Ferne einen Augenblick sehen. wandte sich dann den Bäumen an der Straße zu und pflückte fünfzig Schritt weiter hin ein Blatt ab, in das er den Zettel sorgsam einwickelte und das er endlich dicht an einem Baume fallen ließ.

Hierauf gab Walter noch ein Farnham leicht verständliches Zeichen, ging dann schnell die Straße hinunter und verschwand in der Richtung nach Port-Arthur.

Den Feniers war keine der Bewegungen des Mannes entgangen... doch was sollten sie tun?... Den Zettel konnten sie, ohne dabei gesehen zu werden, nicht aufheben.

[354] Das mußte also Farnham unter Beobachtung der größten Vorsicht tun, und auch dazu mußte er noch warten, bis die Sträflinge ihre Arbeit nach jener Seite hin beendigt hatten.

Unglücklicherweise hatte aber der Oberaufseher eben eine der Rotten dahin geschickt, nicht aber die, die Farnham beaufsichtigte.

Ihm und seinen Landsleuten bereitete das selbstverständlich die peinlichste Unruhe. Sie befanden sich gegen zweihundert Schritt weit von der Straße, während an deren Rande andere Sträflinge beschäftigt waren.

Neben diesen fuhren Karl und Pieter Kip fort, die zu fällenden Bäume zu bezeichnen, und darunter war auch der, neben dem Walter einen Augenblick stehen geblieben war. Dazu lag die Befürchtung nahe, daß aus dem als Hülle dienenden Blatte ein wenig Papier hervorstehen könnte, das dann bestimmt aufgehoben und dem Oberaufseher überliefert wurde.

Das wäre das Zeichen zu einem allgemeinen Alarm gewesen. Nach der Rückkehr der Rotten nach Port-Arthur wäre im Innern und außerhalb der Strafanstalt die strengste Aufsicht und Überwachung angeordnet worden. Die Sträflinge hätte man eingeschlossen und sie ihre Arbeiten erst nach mehreren Tagen wieder aufnehmen lassen. Der Fluchtversuch wäre damit vereitelt gewesen. Wenn die »Illinois« ihr Boot ausschickte, die beiden Feniers aufzunehmen, hätte dieses an der bestimmten Stelle keinen Menschen angetroffen, und nach einigen Stunden des Wartens wäre ihm nichts übrig geblieben, als wieder zurückzusteuern.

Jetzt neigte sich die Sonne schon ein wenig dem Untergange zu und am westlichen Horizonte stiegen leichte Dunstmassen empor. Um sechs Uhr gab dann der Oberaufseher das Zeichen zum Rückmarsch, damit die Rotten noch vor einbrechender Dunkelheit in Port-Arthur eintrafen. Für Farnham genügte es aber nicht, sich nur nach jenem Baume begeben zu können, es mußte dazu auch noch hell genug sein, damit er das um den Zettel gewickelte Blatt finden könnte. Hob er es nicht noch heute auf, so war es gewiß bald zu spät. Vom Regen drohte es durchweicht, vom Winde mit den anderen am Boden liegenden Blättern verweht zu werden.

Die Irländer folgten Farnham unablässig mit den Augen.

»Wer weiß. flüsterte O'Brien seinem Genossen ins Ohr, wer weiß, ob unsere Freunde unsere Flucht nicht schon heute bewerkstelligen wollten.«

Heute?... Nein, das war kaum anzunehmen. Farnham mußte doch Zeit gelassen werden, auch seinerseits die letzten Maßregeln zu treffen, und den [355] Irländern die nötige Frist, sich an dem dazu gewählten Punkte des Ufers einzufinden. Doch höchstens binnen achtundvierzig Stunden lag das Boot gewiß an dieser Stelle...

Die letzten Sonnenstrahlen glitten fast wagrecht über die Erde hin. Wenn Farnham jetzt endlich den Baum erreichen konnte, war es noch hell genug, das auf der Erde liegende Blatt zu entdecken. Er versuchte deshalb, sich unauffällig der Stelle zu nähern, wo Walter stehen geblieben war, und das gelang ihm auch, außer von jemand anderem dabei bemerkt zu werden, als den beiden Irländern, die den Kopf kaum nach seiner Seite zu drehen wagten.

Bei dem Baume angelangt, beugte sich Farnham ein wenig nieder. Zwischen den entfärbten Blättern, die auf der Erde lagen, entdeckte er sofort ein halb zerknittertes und halb zerrissenes grünes Blatt... dasselbe, das den von Walter zurückgelassenen Zettel enthalten mußte...

Der Zettel lag nicht mehr darin. Vielleicht hatte ihn der Wind fortgetrieben, vielleicht auch war er schon herausgenommen und dem Oberaufseher eingehändigt worden.

Als Farnham sich seiner Rotte wieder anschloß, warfen ihm O'Brien und Macarthy einen fragenden Blick zu... sie verstanden, daß seine Bemühung vergeblich gewesen war. Was mußten sie nach der Rückkehr in die Strafanstalt aber erst alles befürchten, als Farnham ihnen mitgeteilt hatte, daß der Zettel Walters spurlos verschwunden war!

Fußnoten

1 Dieser Zeitraum der Geschichte Irlands ist in der Reihe der Schriften von Julius Verne schon früher in dem Roman »Der Findling« eingehender geschildert worden.

11. Kapitel
Elftes Kapitel.
Der Zettel.

Dieser Zettel hatte folgenden Inhalt:

»Übermorgen, am 5. Mai, sobald sich bei den Arbeiten unter freiem Himmel eine Gelegenheit bietet, sollen alle drei die Saint-Jamesspitze an der Westküste der Storm-Bai zu erreichen suchen, wohin das Schiff ein Boot entsenden wird. Hätte das Wetter ihm nicht gestattet, die Reede von Hobart-Town [356] zu verlassen und in die Bai einzulaufen, dann warten, bis es vor jener Spitze sichtbar wird, und vom Abend bis zum Morgen scharf darauf Acht haben...

»Gott beschütze Irland und komme eueren amerikanischen Freunden zu Hilfe!«

Der Zettel zeigte keinen Namen, weder den der Personen, für die er bestimmt war, noch den der Absender, die ihn in ebenso kurzen wie klarverständlichen Ausdrücken abgefaßt hatten. Er verriet nicht einmal den Namen des von Amerika nach Hobart-Town geschickten Dampfers, dessen Bestimmungsort unbekannt blieb.

Jedenfalls war aber der Name Irland darauf vollständig ausgeschrieben, es unterlag also keinem Zweifel, daß er an die Feniers in Port-Arthur gerichtet war. Kam er dem Kapitän-Kommandanten vor die Augen, so täuschte dieser sich gewiß nicht: die Sache betraf eine verabredete Flucht O'Briens und Macarthys, die damit unausführbar wurde.

Wer hatte denn nun den von Walter niedergelegten Zettel gefunden, der so bestimmte Anordnungen enthielt und die Flüchtlinge nach achtundvierzig Stunden nach der Saint-Jamesspitze rief?...

Das waren die Gebrüder Kip.

Wie schon erwähnt war ihnen das Hin- und Hergehen Walters auf der Straße aufgefallen; das erweckte in ihnen den Gedanken, dieser Mann suche sich vielleicht mit einem der Sträflinge in Verbindung zu setzen. Immerhin hatte es ihre Aufmerksamkeit nicht in dem Maße erregt, wie die Farnhams und seiner Landsleute. Sie hatten nicht, wie diese, bemerkt, daß Walter ein Blatt von einem Baume pflückte, ein Stückchen Papier hineinwickelte und es dann zu Boden fallen ließ. Daß der Zettel dennoch in ihren Besitz kam, beruhte auf einem Zufalle.

Während die Arbeiterrotten mit dem Fällen von Bäumen beschäftigt waren, gingen auch Pieter und Karl Kip auf der Landstraße hin und her, um die Grenzbäume anzuzeichnen.

Als Pieter Kip, der seinem Bruder vorausging, sich an dem betreffenden Baume befand, ging er erst einmal darum herum, ehe er seine Hippe erhob, um einen Schnitt in den Stamm zu machen.

Da erblickte er zwischen zwei Wurzeln ein halbzusammengerolltes grünes Blatt, aus dem ein Stückchen Papier hervorguckte. Als er es aufgehoben hatte, sah er, daß es einen Zettel mit einigen geschriebenen Zeilen enthielt.

[357] Mit Blitzesschnelle durchflog Pieter Kip die wenigen Worte, und nachdem er sich überzeugt hatte, von niemand beobachtet worden zu sein, steckte er den Zettel in die Tasche.

Sein Bruder kam ihm bald nach, und während beide ihre Arbeit fortsetzten, machte er ihm Mitteilung von seinem Funde.

»Es handelt sich um eine vorbereitete Flucht... ja ja... um eine Flucht, murmelte Karl Kip, um Verurteilte, die ihre Freiheit wieder gewinnen wollen... um Verbrecher... während wir...

– O, Karl, es sind keine Mörder oder Räuber, antwortete Pieter Kip. Die Sache betrifft die beiden Irländer O'Brien und Macarthy. Es sind Freunde von ihnen, die ihr Entweichen ermöglichen wollen!«

Der Zettel konnte ja tatsächlich nur für die nach Port-Arthur deportierten Irländer bestimmt sein.

»In der Anstalt befinden sich aber nur zwei Feniers, meinte Karl Kip, und wenn du richtig gelesen hast und ich dich richtig verstanden habe, so ist hier von drei Flüchtlingen die Rede.«

Natürlich ein unerklärbarer Umstand für die beiden Brüder, die von der Interessengemeinschaft und der Verständigung zwischen Farnham und dessen Landsleuten keine Ahnung hatten.

»Drei? wiederholte Karl Kip. Wer mag es denn sein, der mit ihnen fliehen soll?

– Der dritte, erwiderte Pieter Kip, der dritte ist vielleicht der Überbringer des Zettels. Da fällt mir ein: sollte das nicht der Mann sein, den wir die Straße auf und ab wandeln sahen? Er suchte sich wahrscheinlich O'Brien und Macarthy zu nähern.«

Eben jetzt bemerkte Pieter Kip die beiden Irländer, die einige Worte mit einem der Aufseher, mit dem wechselten, der ihre Rotte führte. Da ging ihm plötzlich ein Licht auf.

Dieser Aufseher, Farnham, war ja ein Irländer wie jene... Sollte er der dritte sein?...

Inzwischen war es sechs Uhr geworden. Der Oberaufseher hatte das Zeichen zum Rückmarsch gegeben, und zu zwei und zwei von ihren Aufsehern geordnet, setzten sich die einzelnen Rotten auf Port-Arthur zu in Bewegung.

Die Gebrüder Kip befanden sich am Ende des Zuges, die Irländer gingen an seiner Spitze... in tödlichster Unruhe, die Farnham natürlich teilte.

[358] Ohne allen Zweifel hatte Walter den Zettel niedergelegt gehabt, ohne allen Zweifel aber war er verloren gegangen oder gar gefunden worden!

Es schlug gerade sieben, als die Sträflinge in die Anstalt zurückkehrten, und nach Einnahme der letzten Mahlzeit begaben sich Karl und Pieter Kip wie gewöhnlich nach ihrer Zelle.

Da sie hier keine Beleuchtung hatten, hätten sie den Zettel nicht noch einmal lesen können, doch das war auch nicht nötig, da sich Pieter Kip seines Inhalts Wort für Wort erinnerte.

Ja, hier war eine Entweichung geplant, bei der es sich um O'Brien und Macarthy, sowie um den Aufseher Farnham handelte Dieser mußte die Flucht der anderen erleichtern, ihnen am Abend des 5. Mai, also nach sechsunddreißig Stunden, Gelegenheit vermitteln, nach der Saint-Jamesspitze zu gelangen. Hier sollte, wenn die Dunkelheit es gestattete, ein Boot ans Land kommen, das Boot des Schiffes, das von Hobart-Town kam. Hatte der Zustand des Meeres ein Verlassen der Reede vereitelt, so sollte bis zum nächsten, wenn nötig, bis zum übernächsten Tage gewartet werden, doch wer konnte im voraus wissen, ob die Flüchtlinge bis dahin nicht entdeckt, wieder eingefangen und in die Strafanstalt gebracht würden.

»Mag sein, erklärte Karl Kip, jedenfalls haben sie Aussicht, daß ihr Plan gelingt. Sie brauchen sich nicht in den Wäldern zu verstecken, wo sie Gefahr laufen, von Soldaten und Wächtern verfolgt zu werden. Sie brauchen auch nicht durch die Palissaden der Landenge zu dringen, auf die Gefahr hin, von den Wachthunden zerrissen zu werden. Nein, die Küste ist ja nur fünf Seemeilen entfernt, und ihr Arbeitsplatz ist jetzt in deren Nähe. Dann erscheint ein Schiff... ein Boot davon nimmt sie auf, binnen wenigen Stunden wird es das Kap Pillar umfahren haben, während wir... wir...

– Lieber Bruder, bemerkte Pieter Kip, du vergißt ganz, daß weder O'Brien oder Macarthy, noch Farnham selbst etwas von dem weiß, was du hier aussprachst.

– Das ist freilich wahr. Die armen Leute!

– Ich glaube, es wird ihnen bekannt sein, daß eine schriftliche Nachricht am Fuße eines Baumes niedergelegt worden ist, und ich erinnere mich auch, gesehen zu haben, daß Farnham auf jene Stelle zuging. Da hat er natürlich den Zettel nicht mehr gefunden und wird gefürchtet haben, daß dieser von einem anderen Aufseher aufgehoben und dem Gouverneur eingehändigt worden [359] sei. Dann mußte er annehmen, daß Maßnahmen getroffen würden, die jede Flucht unmöglich machten.

– Der Zettel, rief Karl Kip, ist aber von niemand gefunden worden, als von dir, was er enthielt, das wissen nur wir zwei, und da liegt doch noch kein Hindernis vor, das die Flucht vereiteln müßte.

– Gewiß nicht, Karl, wenigstens wenn O'Brien und Macarthy von der Sachlage unterrichtet wären, das ist aber nicht der Fall.

– Sie werden jedoch Mitteilung erhalten, Pieter, es muß sein! Vergessen wir nicht, daß sie uns wiederholt verteidigt haben... denken wir daran, daß es sich darum handelt, glühende Patrioten diesem Bagno zu entreißen, zwei Männer, die weiter keine Schuld belastet als die, von der Unabhängigkeit ihres Heimatlandes geträumt zu haben!

– Morgen, Karl, morgen werden wir schon Mittel und Wege finden, ihnen den Zettel zu übergeben.

– Und warum, sagte Karl Kip, die Hände seines Bruders ergreifend, warum sollten wir nicht mit ihnen fliehen?«

Diese Frage hatte Pieter Kip schon erwartet. Ihm selbst war dieser Gedanke ja auch gekommen, er hatte darüber nachgedacht und das Für und Wider erwogen.

Ja ja, wenn sich die ersehnte Gelegenheit darbot, wenn er den beiden Irländern den Zettel zugesteckt hätte und diese dessen Inhalt kannten, wenn sie erfahren hatten, daß alles für ihr Entfliehen vorbereitet war, daß das Schiff sich der Saint-Jamesspitze nähern und ein Boot absenden sollte, das sie am Abend des 5. da erwartete... wenn nun dann Pieter Kip zu ihnen sagte: »Wir erwarten von euch, nur mit uns zu fliehen!«, hätten sie das wohl abschlagen können? Würden sie die beiden Holländer als unwürdig, ihnen zu folgen, zurückweisen?

In den Augen dieser Feniers waren die Gebrüder Kip freilich schwere Verbrecher, die kein Mitleid verdienten, und wenn sie diesen gestatteten, mit ihnen zu entfliehen, gaben sie damit nicht Mördern, den Mördern des Kapitäns Gibson, die verwirkte Freiheit wieder?

Pieter Kip hatte an alles das gedacht, gleichzeitig aber auch an die unablässigen Bemühungen des Herrn Hawkins, eine Wiederaufnahme ihres Prozesses herbeizuführen... nein, selbst wenn es ihm angeboten würde, zu entfliehen, er hätte das abweisen müssen!

[360] Wenn er jedoch auch unerschüttertes Vertrauen auf die Zukunft hatte, so teilte Karl das doch keineswegs. Auf eine ungewisse und fernliegende Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ruhig zu warten, dazu konnte sich dieser nun einmal nicht entschließen. Dennoch machte was Pieter gegen ihn äußerte, auf ihn doch einen sehr tiefen Eindruck. Bebenden Herzens und in der Seele erregt, lauschte er den Worten des Bruders und empfand, daß sein Widerstand erlahmte.

»Höre mich an, liebster Bruder!... Ich habe mir alles wohl überlegt. Ich gebe zu... ja, nach dem Dienste, den wir ihnen leisten werden, maß ich zugeben, daß O'Brien und Macarthy es gar nicht abschlagen könnten, uns gleichzeitig mit ihnen entfliehen zu lassen, selbst wenn sie uns als Mörder ansehen...

– Die wir nicht sind! warf Karl Kip dazwischen ein.

– Die wir aber in ihren Augen, wie in denen so vieler, wenn nicht aller anderen sind... vielleicht mit Ausnahme des Herrn Hawkins. Nun sage mir, wenn es uns gelänge, aus der Strafanstalt zu entfliehen, das bewußte Schiff zu erreichen und nach Amerika zu entkommen... sage mir: was würden wir damit gewonnen haben?

– Die Freiheit, Pieter, die Freiheit, die über alles geht!

– Nennst Du denn das schon Freiheit, Bruder, wenn wir genötigt sind, uns unter falschem Namen zu verbergen, sobald die Polizei aller Länder von unserer Flucht unterrichtet ist und wir überall von einer Auslieferung bedroht sind?... Nein, mein armer Karl, wenn ich mir vorstelle, welches Leben wir unter solchen Verhältnissen zu führen hätten, da frag' ich mich, ob es denn doch nicht besser wäre, im Bagno auszuharren, nicht ratsamer, hier zu warten, bis unsere Unschuld an den Tag kommt.«

Karl Kip erwiderte kein Wort. In seinem Innern tobte ein furchtbarer Kampf. Er erkannte gut genug das Gewicht und die Berechtigung der Gründe, die sein Bruder gegen einen Fluchtversuch ins Feld führte. Im Fall des Gelingens stand ihnen mit dem Kainszeichen des Verbrechens an der Stirne da draußen nur ein elendes Leben bevor. In den Augen der beiden Feniers und ihrer Genossen blieben die Gebrüder Kip doch wie bisher nur die Mörder des Kapitäns Gibson.

Die ganze Nacht sprachen sie in ähnlicher Weise über diese Angelegenheit weiter und Karl Kip mußte sich schließlich fügen. Für all und jeden, [361] selbst für Hawkins, wäre eine Flucht gleich dem Eingeständnisse der Schuld gewesen.

Inzwischen wurden O'Brien, Macarthy und Farnham von einer leicht erklärlichen Unruhe verzehrt. Kein Zweifel... Farnham konnte sich nicht getäuscht haben: der Mann, der die Straße auf und ab ging, war jener Walter gewesen, durch den er die erste Mitteilung erhalten hatte. Ein in ein grünes Blatt gewickelter Zettel war am Fuße des betreffenden Baumes niedergelegt worden, doch wenn sich dieser nicht mehr vorfand, war er da etwa dem Kapitän-Kommandanten schon ausgehändigt worden? Dann wußte also Skirtle, daß unter den auf den Zettel angegebenen Umständen eine Flucht vorbereitet war, und daß es sich dabei um die beiden Irländer O'Brien und Macarthy, sowie um deren Landsmann Farnham handelte. Das hatte bestimmt die allerstrengsten Maßregeln gegen diese drei zur Folge, und sie konnten damit auf die Hoffnung verzichten, ihre Freiheit jemals wieder zu erlangen.

Bis zum Tagesanbruch warteten deshalb die Unglücklichen, daß bei ihnen Polizeisoldaten erscheinen würden, sie in die Kerkerzellen der Anstalt abzuführen.

Der nächste Tag war ein Sonntag, und an einem solchen wurden die Sträflinge nicht mit Arbeiten außerhalb der Anstaltsmauern beschäftigt. Die Hausordnung verpflichtete sie vielmehr, in der Kapelle dem Gottesdienste beizuwohnen, nach dessen Schlusse sie sich in den Anstaltshöfen aufhalten durften.

Als die Stunde zum Betreten der Kapelle schlug, fühlten O'Brien und Macarthy ihre Befürchtungen ein wenig schwinden; da man sie bis dahin unbehelligt gelassen hatte, schlossen sie daraus, daß der Kapitän-Kommandant von dem verhängnisvollen Zettel noch keine Kenntnis haben könne.

Sobald die Sträflinge ihren gewohnten Platz eingenommen hatten, begann der Geistliche die Sonntagsandacht, die durch keinen Zwischenfall gestört wurde. Die beiden Irländer saßen in ihrer Reihe nebeneinander und beobachteten Farnham, aus dessen Blicken sie deutlich »Nichts Neues« lesen zu können glaubten.

Auch der Kapitän Skirtle war in der Kapelle anwesend und nahm übrigens auf Anordnung der obersten Verwaltung immer an den Gottesdiensten teil. Seine Haltung verriet keine unruhige Besorgnis, und das wäre bestimmt nicht der Fall gewesen, wenn ihm eine Mitteilung über die geplante Flucht schon zu Ohren gekommen wäre.

Ubrigens bemerkten weder Farnham noch O'Brien und Macarthy, daß sie etwa besonders beobachtet würden. Sie konnten also fast mit Sicherheit annehmen, [362] daß der Zettel vom Winde verweht worden sei und von ihm keine Spur wiedergefunden würde.

Als der Geistliche den Segen gesprochen hatte, womit er den Gottesdienst schloß, verließen die Sträflinge die Kapelle und begaben sich nach den Sälen, um dort ihr Frühstück zu verzehren. Dann zerstreuten sie sich in den Höfen, wo sie unter einzelnen Vorbauten Schutz suchten, da es eben zu regnen begann.

Pieter Kip hatte sich vorgenommen, O'Brien und Macarthy in einem der Höfe aufzusuchen, wo die Sträflinge einzelne Gruppen bildeten, was hier leichter war als in den Sälen, und hier wollte er ihnen den Zettel zustecken mit den Worten:

»Hier ist ein beschriebenes Blatt, das ich aufgehoben habe. Außer meinem Bruder und mir weiß kein Mensch etwas davon. Sie werden ja sehen, was Sie daraufhin zu tun haben.«

Dann wollte Pieter sich wieder zurückziehen.

Da es den Sträflingen hier unverwehrt war, miteinander zu plaudern, schien ja Pieter Kips Vorhaben mit keinerlei Gefahr verbunden zu sein. Es handelte sich ja nur darum, den Zettel O'Brien oder seinen Gefährten unter Angabe von dessen Auffindung in die Hände zu spielen.

Was aber leicht gewesen wäre, wenn die Sträflinge inmitten der Höfe Gruppen gebildet hätten, das mußte leider schwieriger werden, wenn sie sich unter den Vorbauten mehr zusammendrängten oder gar in die Säle zurückgingen: dort befanden sich die Insassen – es waren ihrer immer acht bis neun – weit mehr unter den Augen der Aufseher.

Wiederholte heftige Regengüsse veranlaßten sie aber gerade heute, noch vor der Zeit ihre Säle aufzusuchen. Die Höfe standen bald leer und weder Karl noch Pieter Kip hatte Gelegenheit gefunden, sich den beiden Irländern zu nähern.

Und doch war es von Wichtigkeit, O'Brien und Macarthy noch heute zu benachrichtigen.

Heute war schon der 4. Mai und der Zettel bestimmte den morgigen Tag zum Stelldichein an der Saint-Jamesspitze, wo das Boot die Flüchtlinge erwarten sollte.

Wie sie an diese Stelle gelangen könnten, das stellten sich die Gebrüder Kip etwa folgendermaßen vor: Am folgenden Tage mußten die Sträflinge in dem Teile des Waldes beschäftigt sein, den die Verwaltung niederlegen lassen wollte. Diese Arbeiten wurden gewöhnlich bis sechs Uhr abends fortgesetzt.

[363] Dann kam, kurz vor der Wiedersammlung der Rotten zur Rückkehr nach Port-Arthur, für Farnham der Augenblick, wo er unter irgendwelchem Vorwande die Irländer bis zum Rande der Lichtung führen müßte, und das konnte nicht auffallen, da sich die Sträflinge ja unter den Augen eines Aufsehers befanden. Wenn die Rotten sich dann in Bewegung setzten, würde schwerlich jemand die Abwesenheit O'Briens, Macarthys und Farnhams schon bemerkt haben. Wäre das unglücklicherweise doch der Fall gewesen, so hätte der Oberaufseher freilich sofort das Alarmsignal geben lassen. Bei der hereinbrechenden Finsternis wäre es aber immerhin schwierig gewesen, in dem dichten Walde die Fährte der Flüchtlinge aufzuspüren.

Wurde ihre Flucht jedoch erst nach der Rückkehr der Rotten nach Port-Arthur offenbar, so donnerte ein Alarmschuß hinaus, der die ganze Halbinsel zu erhöhter Wachsamkeit aufrief. Da die Küste sich aber nur eine halbe Seemeile von der Lichtung befand, konnten die Flüchtlinge Zeit genug gehabt haben, die Saint-Jamesspitze zu erreichen. Lag hier das Boot schon für sie bereit, so bedurfte es nur weniger Ruderschläge, sie nach der »Illinois« in Sicherheit zu bringen. Der Dampfer hatte dann die ganze Nacht vor sich, aus der Storm-Bai herauszukommen, und bis Sonnenaufgang befand er sich schon zehn Meilen weit vom Kap Pillar draußen auf hoher See.

Natürlich gehörte hierzu, daß die Irländer rechtzeitig benachrichtigt wurden, spätestens am nächsten Tage, wenn es heute nicht mehr möglich war. Gelang es Pieter Kip also nicht, sich noch vor dem Abend mit ihnen in Verbindung zu setzen, so war es auch ausgeschlossen, das in der Nacht zu versuchen, denn die beiden Brüder bewohnten eine Zelle für sich, die sie nicht verlassen konnten.

So war also die Sachlage: Bei den Feniers die größte Unruhe wegen des verschwundenen Zettels, bei den Gebrüdern Kip die größte Ungeduld, O'Brien und Macarthy benachrichtigen zu können. – Die Zeit verging wie im Fluge und bald nahte die Stunde heran, wo die Sträflinge in den Schlafsälen eingeschlossen wurden.

Im schlimmsten Falle genügte es ja, wenn die beiden Irländer am nächsten Morgen Nachricht erhielten, wo ihnen dann doch noch Zeit genug blieb, die Flucht zu versuchen; und daran, die Küste zu erreichen, war wiederum nur zu denken, wenn sie außerhalb der Anstalt beschäftigt waren. Nun, morgen hofften Karl und Pieter Kip im Laufe der Arbeitszeit eine Gelegenheit zu finden, sich den Irländern zu nähern, da die beiden Brüder sich wegen ihrer Obliegenheit, [364] die zu fällenden Bäume anzuzeichnen, einer gewissen Bewegungsfreiheit erfreuten.

Gegen sechs Uhr abends heiterte sich nach einem regenreichen Tage der Himmel gerade noch auf, als die Sonne untergehen wollte. Ein frischer Wind zerstreute die Wolken. Die Sträflinge konnten noch für kurze Zeit die schützenden Vorbauten verlassen und sich unter den Augen der Aufseher in den Höfen ergehen.

Vielleicht bot sich jetzt Gelegenheit, mit O'Brien oder Macarthy zusammenzutreffen. Pieter Kip trug den Zettel noch bei sich, er mußte also versuchen, ihn den beiden Feniers zukommen zu lassen.

Um sieben Uhr hatten sich die Sträflinge laut Vorschrift nach den Schlafsälen zu begeben, die etwa für je fünfzig Mann eingerichtet waren. Hier wurden sie noch einmal verlesen und dann bis zum Morgen eingeschlossen. Auch die Gebrüder Kip mußten sich zu derselben Zeit in ihre Zelle begeben.

Da und dort hatten sich einzelne Gruppen gebildet, zusammengeführt durch eine Art Bagno-Kameradschaft, durch das Interesse, das die Verurteilten aneinander nahmen. Hier sprachen sie freilich nicht von der Vergangenheit... wozu auch?... ebensowenig von der Gegenwart... hätten sie daran etwas ändern können?... wohl aber von der Zukunft, von der sie so mancherlei hofften... entweder eine Milderung der harten Behandlung, der sie hier ausgesetzt waren, oder auch einen Erlaß ihrer Strafe, manche träumten wohl auch von einer Flucht.

Wie erwähnt, kamen die Gebrüder Kip und die Irländer nicht gerade häufig zusammen. Ja seit dem Tage, wo O'Brien und Macarthy die Danksagungen Karl und Pieter Kips mit so abweisender Kälte aufgenommen hatten, war zwischen ihnen nur sehr selten ein Wort gewechselt morden. Da sie auch nicht einundderselben Arbeiterrotte angehört hatten, konnten sie einander nur an den Vor- und den Nachmittagen der Sonntage oder besonderer Ruhetage treffen.

Die Zeit verstrich weiter. Unbedingt mußten die Irländer allein sein, wenn ihnen der Zettel Walters zugesteckt werden sollte, und gerade jetzt schien Farnham, der in ihrer Nähe umherging, sie kaum aus dem Auge zu verlieren.

Nun lag ja genug Ursache vor, zu glauben, daß Farnham von dem Fluchtversuche wußte und daß er die Gefangenen dabei begleiten sollte. Wenn diese Annahme nun aber doch falsch war, wenn Farnham die Gebrüder Kip im Gespräch mit den Feniers überraschte, dann war voraussichtlich alles verloren. [365] Und doch... nein... Pieter Kip täuschte sich nicht. Die drei Männer tauschten verständnisvolle Blicke aus, Blicke, worin sich Ungeduld und Unruhe stritten. Ihre Erregung gestattete ihnen nicht einmal, an derselben Stelle stehen zu bleiben.

Eben jetzt mußte Farnham auf einen Ruf des Oberaufsehers den Hof zeitweilig verlassen. Beim Weggehen hatte er seinen Landsleuten nicht einmal ein Wort zuflüstern können, was deren Besorgnisse natürlich vermehrte. In der Gemütsverfassung, worin sie sich befanden, kam ihnen alles verdächtig vor. Was konnte man denn von Farnham wollen? Wer hatte ihn rufen lassen? Vielleicht der Kapitän-Kommandant wegen des unglückseligen Zettels? War seine Beteiligung an der Sache entdeckt worden?

Eine Beute ihrer Aufregung, die sie nicht zu unterdrücken vermochten, traten O'Brien und Macarthy einige Schritte nach der Tür des Hofes zu, wie um die Rückkehr Farnhams zu erwarten, und immer in der Furcht, dann selbst gerufen zu werden.

An der halbdunkeln und verlassenen Stelle, wo sie stehen geblieben waren, schien kaum eine Gefahr vorzuliegen, gesehen oder gehört zu werden.

Pieter Kip schritt rasch nach der Stelle zu, trat an die Irländer heran und ergriff mit schneller Bewegung O'Briens Hand, die dieser erst wieder zurück zuziehen suchte.

Im nächsten Augenblicke aber fühlte O'Brien ein Stück Papier zwischen seine Finger gleiten, während Pieter ihm zuraunte:

»Hier ist ein Zettel, der Sie angeht. Gestern hab' ich ihn auf der Straße neben einem Baume aufgehoben. Niemand weiß etwas davon außer meinem Bruder und mir. Ich konnte Ihnen das Blättchen nicht früher geben. Noch ist es jedoch Zeit... es handelt sich um morgen. Sie werden ja sehen, was Sie zu tun haben!«

O'Brien hatte ihn verstanden, war aber vor Aufregung nicht imstande, ein Wort zu erwidern.

Inzwischen war auch Karl Kip herangekommen und sich zwischen Macarthy und dessen Gefährten ein wenig niederbeugend, setzte er hinzu:

»Wir sind keine Mörder, meine Herren, und Sie sehen, wir sind auch keine Verräter!«

[366]
12. Kapitel
Zwölftes Kapitel.
Die Saint-Jamesspitze.

Am Abend des nächsten Tages gegen sieben Uhr erhellten plötzlich drei sich schnell folgende Blitze die hohen Mauern der Strafanstalt von Port-Arthur und mächtig rollte der Donner davon weit über Land und Meer hinaus. Es waren das Alarmschüsse, die die ganze Halbinsel Tasman zu strenger Wachsamkeit aufriefen. Die Wachtposten unterhielten dann durch Patrouillen Verbindung miteinander und die Hunde an den Laternenpfählen quer über die Landenge Eagle-Hawk-Neck wurden an noch längere Ketten gelegt. Kein Gebüsch, kein Dickicht des Waldes sollte bei der Durchsuchung durch Polizeisoldaten und Aufseher übergangen werden.

Die drei Kanonenschüsse verkündeten nämlich, daß soeben eine Flucht von Anstaltsinsassen entdeckt worden war, und sofort wurden alle Maßregeln getroffen, das Entkommen der Flüchtlinge von der Halbinsel zu verhindern.

Das Wetter war jetzt übrigens so schlecht, daß es unmöglich schien, auf dem Wasserwege zu entweichen; kein Boot hätte am Ufer anlegen, kein Schiff sich der Küste nähern können. Da die Flüchtigen die Palissaden der Landenge unbedingt nicht durchbrechen konnten, blieb ihnen nichts anderes übrig, als sich im Walde zu verbergen, und da würden sie gewiß bald aufgespürt und in den Bagno zurückgebracht werden.

Tatsächlich wehte jetzt ein stürmischer Südwestwind, der das Wasser in der Storm-Bai und seewärts von der Halbinsel tief aufwühlte.

An dem betreffenden Abende war nach der Rückkehr der Sträflinge in die Anstalt das Fehlen von zwei Deportierten aus der fünften Rotte bemerkt worden. Als der an der Spitze des Zuges gehende Oberaufseher die Leute zurückleitete, war ihm deren Verschwinden nicht aufgefallen; die fünfte Rotte stand unter der Aufsicht Farnhams, der sich des besten Vertrauens erfreute.

Erst beim Verlesen am Abend wurde das Fehlen von zwei Sträflingen offenbar, und der Kapitän-Kommandant erhielt sofort davon Nachricht.

Da es sich um die Irländer O'Brien und Macarthy, also um zwei politische Verbrecher handelte, lag es nahe zu vermuten, daß ihre Flucht durch [367] Freunde von außerhalb unterstützt worden sei. Unter welchen Verhältnissen war diese aber vor sich gegangen?... Hatten die Flüchtigen die Insel bereits verlassen oder hielten sie sich noch an einem verabredeten Orte versteckt?... Das waren Fragen, die jetzt, wo die drei Kanonenschüsse das gesamte Personal der Halbinsel auf die Füße gebracht hatten, voraussichtlich bald ihre Lösung finden sollten.

Als Farnham am Abend vorher aus dem Hofe abgerufen worden war, hatte sich das nur um Dienstangelegenheiten gehandelt. Auf ihm lastete ja keinerlei Verdacht, und selbst als seine Abwesenheit zuerst bemerkt wurde, legte man darauf kein besonderes Gewicht. Skirtle und der Oberaufseher glaubten vielmehr, die Irländer könnten sich seiner irgendwie entledigt haben, bevor sie die Flucht ergriffen.

Daß O'Brien und Macarthy sich zu deren Ausführung eines Bootes bedient hätten, war bei dem Zustande des Meeres, wie gesagt, so gut wie unmöglich. Auf Anordnung Skirites begaben sich mehrere Aufseher sofort nach der Landenge, die übrigens schon seit den drei Kanonenschüssen strenger als gewöhnlich überwacht wurde. Hier überzeugte man sich nur, daß mit den Wachthunden alles in der Ordnung war; die übrigen Hunde aber wurden an beiden Ufern des Eagle-Hawk-Neck losgelassen.

Ein Fluchtversuch ist für die Angestellten und die Insassen einer Strafanstalt allemal ein aufregendes Ereignis. Den Deportierten von Port-Arthur blieb es natürlich auch nicht unbekannt, daß zwei ihrer Genossen, und zwar die Irländer O'Brien und Macarthy, entflohen waren. Welchen Neid mußte dieser Versuch bei den übrigen Elenden erwecken! Sie, die nachge meinem Recht verurteilt waren, hielten sich ja für nicht schlechter als die wegen politischer Vergehen Verurteilten. Jene Feniers waren einfach Gefangene, wie sie selbst, und jene hatten doch entweichen können! War es ihnen gelungen, die Halbinsel zu verlassen, die Pfahlreihe der Landenge zu durchbrechen? Oder waren sie noch im Walde verborgen und warteten da auf Hilfe von draußen?...

Was da in den Schlafsälen besprochen wurde, das bildete auch den Gegenstand des Gespräches in der Zelle der Gebrüder Kip. Die Holländer wußten aber, was den anderen unbekannt war: daß ein Schiff auf die Flüchtigen wartete, daß ein Boot sie an der Saint-Jamesspitze aufnehmen sollte. Doch ob das Boot zur bestimmten Stunde wohl auch an jener Stelle gelegen hatte?...

[368] [371]»Nein, das ist unmöglich, erklärte Karl Kip, auf eine bezügliche Frage seines Bruders. Über der Storm-Bai rast ein wirklicher Sturm! Kein Boot könnte jetzt anlegen; kein Schiff, und wäre es selbst ein Dampfer, würde sich der Küste soweit zu nähern wagen.

– Dann, meinte Pieter Kip, werden die Unglücklichen genötigt sein, die Nacht an der Landspitze zuzubringen.

– Die Nacht und auch den nächsten Tag, Pieter, denn heute ist an ein Fortkommen nicht zu denken.


Sie gingen, nach den Lichtern eines Schiffes spähend, am Strande hin und her. (S. 374.)

Wer weiß noch obendrein, ob sich dieser Sturm binnen vierundzwanzig Stunden schon gelegt haben wird?«

In den langen Stunden der Nacht konnte keiner der Brüder ein Auge zutun. Gespannt lauschend saßen sie da, während der Sturm an dem kleinen Fenster ihrer Zelle rüttelte, lauschend, ob nicht ein Hin- und Herlaufen von Aufsehern verriet, daß die auf ihrer Flucht eingeholten Irländer wieder in die Strafanstalt geschleppt würden.

Das Entweichen O'Briens und Macarthys an diesem Tage war nun, dank der Unterstützung durch deren Landsmann Farnham, folgendermaßen vor sich gegangen:

Die sechste Stunde war nahe herangekommen, die Rotten arbeiteten noch an dem Fällen der Bäume. Schon verlor sich der Wald etwas im Schattendunkel. Noch fünf oder sechs Minuten, und der Oberaufseher mußte das Zeichen geben, den Rückweg nach Port-Arthur wieder anzutreten.

In diesem Augenblick bemerkten die beiden Brüder, daß Farnham sich den Irländern näherte und ihnen ein Wort zuflüsterte. Darauf folgten ihm beide bis zum Rande der Lichtung, wo sie an einem Baume stehen blieben, der zum Niederlegen angezeichnet war.

Dem Oberaufseher fiel es nicht weiter auf, sie sich in dieser Richtung und in Begleitung eines Aufsehers entfernen zu sehen, und jene blieben an dieser Stelle bis zu der Zeit, wo die verschiedenen Abteilungen zum Rückmarsch nach Port-Arthur zusammentraten.

Wie gesagt, bemerkte dabei niemand, daß sich weder O'Brien noch Macarthy so wenig wie Farnham dem Zuge angeschlossen hatte. Erst bei der Verlesung im Hofe der Strafanstalt wurde ihr Fehlen ruchbar.

Bei der zunehmenden Dunkelheit hatten sich die drei Flüchtlinge ungesehen entfernen können. Um einer Patrouille aus dem Wege zu gehen, die sich eben nach dem nächsten Wachtposten begab, hatten sie sich in einem Dickicht verbergen [371] müssen. Dabei galt es auch die größte Vorsicht anzuwenden, daß sie nicht das Klirren der Ketten verriet, die O'Brien und Macarthy am Fuße und am Gürtel trugen.

Die Patrouille zog vorüber, alle drei erhoben sich; dann gelang es ihnen, zuweilen still stehend, um auf das leiseste Geräusch zu lauschen, den Rand des Steilufers zu erreichen, vor dem sich die Saint-Jamesspitze ausdehnte.

Jetzt lag schon die Finsternis über der ganzen Halbinsel Tasman, eine um so tiefere Finsternis, als schwere, vom Sturm einhergejagte Wolken den Himmel bedeckten.

Es war siebeneinhalb Uhr geworden, als die Flüchtlinge Halt machten, um die Bai zu überblicken.

»Kein Schiff zu sehen!« sagte O'Brien.

Wirklich schien die Bai gänzlich verlassen zu sein, denn ein Schiff hätte sich doch durch seine Positionslichter verraten, wenn man es bei der herrschenden Dunkelheit auch selbst nicht sehen konnte.

»Sagen Sie, Farnham, fragte Macarthy, sind wir hier auch wirklich an dem Steilufer hinter der Saint-Jamesspitze?

– Gewiß, versicherte Farnham, ich glaube aber kaum, daß ein Boot da draußen angelegt hat.«

Wie hätten sie das auch erwarten können, wo das Meer so wütend tobte, daß der durch den Sturm von den Wogenkämmen abgerissene Schaum in Fetzen über die Felsenwand flatterte.

Farnham und seine Gefährten wendeten sich jetzt nach links und kletterten nach dem Strande hinunter, um nach dem äußersten Landvorsprünge hinauszugehen.

Dieser bildete ein schmales, von Felsen umrahmtes Kap mit mehreren Wasserlachen und erstreckte sich zwei- bis dreihundert Fuß weit hinaus, wo er an einer Seite eine kleine, nach Norden offene Einbuchtung bildete. Hier hätte ein Boot ruhigeres Wasser gefunden, wenn es über die davor liegenden Klippen hinauskam, woran das Meer jetzt mit ungeheuerer Gewalt anbrandete.

Unter schwerem Kampfe gegen den stürmischen Wind gelangten die Flüchtlinge bis zur äußersten Spitze und suchten hier neben einem mächtigen Felsblocke einigen Schutz. Der Zettel Walters verlangte von ihnen, sich heute an der Saint-Jamesspitze einzufinden, und nun waren sie zur Stelle, freilich, wenigstens für diesen Abend, ohne die Hoffnung, abgeholt zu werden. Der Inhalt des [372] Zettels berücksichtigte ja auch eine solche Verzögerung, sie erinnerten sich dessen Wort für Wort:

»Hätte das Wetter ihm (dem Schiffe) nicht gestattet, die Reede von Hobart-Town zu verlassen und in die Bai einzulaufen. dann warten, bis es vor jener Spitze sichtbar wird, und vom Abend bis zum Morgen scharf darauf Acht haben.«

Was blieb denn übrig. als diesen Anordnungen zu folgen?

»Wir wollen einen Unterschlupf suchen, riet O'Brien, eine Höhlung in der Felswand, worin wir die Nacht und den nächsten Tag verbringen können.

– Doch ohne uns zu weit von der Landspitze zu entfernen, bemerkte Macarthy.

– Kommt nur mit,« sagte Farnham.

In der Voraussicht auf schlechte Witterung hatte dieser bei seinem letzten Sonntagsausgange die wilde, öde Uferstrecke schon näher besichtigt, um an dem steil aufsteigenden Ufer nach einer Höhle zu suchen, worin sich die drei Flüchtlinge bis zum Eintreffen des Bootes verbergen könnten. Farnham hatte eine solche auch in einem Winkel dicht bei der äußersten Spitze gefunden und darin einigen Vorrat an Nahrungsmitteln niedergelegt, darunter Schiffszwieback und konserviertes Fleisch, die er in Port-Arthur eingekauft hatte, und ferner einen Krug, den er aus einem nahen Bache mit Süßwasser füllte.

Bei der jetzigen Finsternis und dem Geheul des Sturmes war es nicht gerade leicht, diese Höhle wiederzufinden, und es gelang den Flüchtlingen auch erst nach Überschreitung des ganzen Strandes, der nur wenig merkbar abfiel.

»Hier... hier ist es,« sagte endlich Farnham.

In einem Augenblicke waren alle drei in der höchstens fünf bis sechs Fuß tiefen Höhle verschwunden, wo sie vor dem Sturme Schutz fanden. Nur bei Hochflut und wenn gleichzeitig ein steifer Wind auf das Land zu wehte, mochte das Wasser bis an ihren Eingang vordringen können; die Lebensmittel, die für achtundvierzig Stunden bequem ausreichen mußten, fand Farnham an ihrem Platze.

Kaum waren seine beiden Gefährten und er in die Höhle geschlüpft, als ein dreifacher Kanonendonner zu ihnen herüberdröhnte, der selbst das Heulen des Sturmes übertraf.

Er kam von der Alarmkanone der Strafanstalt.

»Unsere Flucht ist entdeckt!« rief Macarthy.

– Ja, man weiß jetzt dort, daß wir entwichen sind, setzte O'Brien hinzu.

[373] – Doch noch nicht wieder eingefangen, sagte Farnham.

– Und wir werden uns auch nicht fangen lassen!« erklärte O'Brien.

Zunächst war es nötig, daß die beiden Irländer sich ihrer Ketten entledigten, für den Fall, daß sie nochmals fliehen müßten. Farnham hatte sich dazu schon mit einer Feile versorgt, die nun dazu diente, ein Glied am Fuße zu lösen.

Nach achtjährigem Schmachten im Bagno waren jetzt O'Brien und Macarthy zum ersten Male nicht mehr mit der schweren Fessel des Galeerensträflings belastet.

Es lag auf der Hand, daß in dieser Nacht kein Boot irgendwo an der Küste landen konnte, und wie hätte es auch ein Schiff wagen sollen, sich der gefährlichen Klippenreihe zu nähern, die sich vom Hintergrunde der Storm-Bai bis zum Kap Pillar ausdehnt?

Die Erwartung der Flüchtlinge war jedoch so lebhaft erregt, daß diese die Umgebung der Landspitze dennoch unausgesetzt im Auge behielten. Da sie jetzt niemand sehen konnte, verließen sie auch einigemal ihren Schlupfwinkel und gingen, nach den Lichtern eines Schiffes spähend, am Strande hin und her.

Dann nach der Höhle zurückgekehrt, besprachen sie ihre Lage, die sich, wenn es wieder hell wurde, höchst gefährlich gestalten mußte.

Nach Durchstreifung der nächsten Umgebung von Port-Arthur und nach Absuchung des Waldes bis zur Landenge, dehnten die Verfolger ihre Nachforschungen jedenfalls nach der Küste hin aus, und die Hunde, die ja abgerichtet waren, die Fährten der Sträflinge aufzuspüren, entdeckten dann gewiß die kleine Höhle, worin sich Farnham und seine Genossen zusammengedrängt hatten.

Während sie noch alles bedachten, was ihnen am nächsten Tage drohte, erwähnte O'Brien auch einmal den Namen der Gebrüder Kip, da er sich des Dienstes erinnerte, den die beiden Holländer ihm geleistet hatten.

»Nein, sagte er, nein... das sind keine Meuchelmörder!... Sie haben es geleugnet... ich glaube ihrem Worte!

– Und es sind großherzige Männer, setzte Macarthy hinzu. Wenn sie uns verrieten, hätten sie wohl erwarten dürfen, daß das ihnen hoch angerechnet würde... sie haben es aber nicht getan!

– Von der Angelegenheit der Ermordung des Kapitäns Gibson habe ich in Hobart-Town wiederholt reden hören, bemerkte Farnham, dort gibt es [374] mehrere Personen, die sich für die Gebrüder Kip warm interessieren, und dennoch glaubt man nicht, daß sie unschuldig verurteilt worden seien.

– Sie sind aber unschuldig!... Ganz bestimmt! behauptete O'Brien. Und wenn ich jetzt daran denke, mich geweigert zu haben, ihnen die Hand zu drücken! Ach, die armen Menschen!... Nein, sie sind nicht schuldig, und dennoch müssen sie im Bagno von Port-Arthur mitten unter dem Abschaum der Verbrecherwelt schmachten... ebenso wie wir da geschmachtet haben... Wir, nun ja, wir waren hier wegen des Versuches, unser Vaterland den Krallen Englands zu entreißen, und wir hatten draußen Freunde, die sich um unsere Befreiung bemühten. Karl und Pieter Kip aber, die bleiben zeitlebens da eingekerkert!... O, wie undankbar von mir! Als sie uns aufsuchten und uns das von ihnen gefundene Blättchen übergaben, da hätte ich zu ihnen sagen müssen: »Laßt uns zusammen entfliehen! Unsere Landsleute werden euch als Brüder aufnehmen!«

Langsam verstrich die regnerische, eisige Nacht. Die Flüchtlinge litten von der Kälte, und dennoch erwarteten sie den Tag nur mit größter Besorgnis. Ein Gebell, das ihnen zuweilen ans Ohr schlug, verriet, daß die Hunde auf der Halbinsel losgelassen worden waren. Bei ihrer Gewohnheit, die Sträflinge schon aus der Ferne zu wittern und die Tracht der Anstaltsinsassen zu erkennen, entdeckten die Tiere früher oder später jedenfalls die Felsenhöhle, worin sich Farnham und seine Gefährten verbargen.

Kurz nach Mitternacht war der Strand von der zunehmenden Flut bedeckt, da der Weststurm das Wasser hierher drängte. Das Meer stieg sogar so hoch, daß es den unteren Teil des Steilufers bespülte. Eine halbe Stunde lang standen die Flüchtlinge fast bis zum Knie im Wasser. Zum Glück schwoll dieses nicht noch weiter an, und der Ebbestrom führte es trotz der Fortdauer des Sturmes allmählich wieder zurück.

Kurz vor Tagesanbruch zeigte der Sturm aber Neigung zur Abnahme. Der Wind lief nach Norden um, und die Bai wurde damit etwas leichter befahrbar. Farnham, O'Brien und Macarthy durften also hoffen, daß der Wogengang sich mildern werde. Als es hell wurde, war die Besserung schon sehr deutlich merkbar. Brandeten die Wellen auch noch an der Außenseite der Klippen, so hätte schon jetzt doch ein Boot an der Rückseite der Saint-Jamesspitze anlegen können.

Leider mußte der Abend abgewartet werden, ehe sich die Flüchtlinge wieder herauswagen konnten.

[375] Farnham machte aus den Lebensmitteln, dem Zwieback und dem Dörrfleische, die er hierher geschafft hatte, drei gleiche Teile. Da der kleine Vorrat nicht erneuert werden konnte, sollte er sparsam verbraucht werden, weil ja auch eine Verzögerung von mehr als achtundvierzig Stunden nicht ausgeschlossen war. Süßwasser konnte am Abend leicht wieder aus dem Bache in der Nähe geholt werden.

Ein Teil des frühen Morgens verstrich, ohne daß sich irgend etwas Auffälliges ereignete. Der Sturm legte sich gänzlich und zwischen den letzten Wolken des Osthimmels stieg die Sonne heraus.

»Jetzt, meinte O'Brien, wird das Schiff, das auf der Reede von Hobart-Town liegt, in die Storm-Bai einfahren können und gegen Abend kann es in der Nähe der Halbinsel sein.

– Man wird aber, antwortete Macarthy, auch die Küste desto sorgsamer überwachen.

– Nur ruhig Blut, mahnte O'Brien. In Port-Arthur weiß kein Mensch, daß von Amerika ein Schiff gekommen ist, um uns an Bord zu nehmen, ebensowenig, daß wir hierher, nach der Saint-Jamesspitze, bestellt worden sind. Was ergibt sich daraus? Doch nur, daß man glaubt, wir wären im Walde verborgen, und wenigstens die ersten Tage wird man dort eher als an der Küste nach uns suchen.

– Wie mag es denn mit Walter stehen? bemerkte da Farnham. Vor zwei Tagen, am Sonnabend, haben wir ihn noch auf der nach Port-Arthur führenden Straße gesehen. Ob er wohl nach Hobart-Town. zurückgekehrt ist?... Höchst wahrscheinlich. Er wird sich an Bord des Dampfers begeben und dem Kapitän mitgeteilt haben, daß wir am Montag Abend an der Saint-Jamesspitze sein würden.

– Ja, sicherlich, meinte Macarthy, denn wenn Walter nicht nach Hobart-Town zurückgekehrt wäre, hätte er uns in der vergangenen Nacht aufgesucht. Bei der Finsternis wäre es ihm ja ein Leichtes gewesen, den Patrouillen auszuweichen.

– Das glaube ich auch, stimmte O'Brien zu. Walter wird mit einem der Dampfboote, die auf der Bai verkehren, Port-Arthur schon am Sonntag verlassen haben.

– Und wir dürfen annehmen, setzte Farnham hinzu, daß er die Abfahrt des Dampfers möglichst beschleunigen wird. Gedulden wir uns also noch ein wenig, sobald es dunkel wird, stößt das Boot jedenfalls an die Küste.

[376] – Gott gebe es!« antwortete O'Brien.

Gegen ein Uhr Nachmittag wurde es in der Nähe lebhaft. Oben an der Kante des Steilufers, hundert Fuß über der Höhle, die die Flüchtlinge verbarg, ertönte ein Gewirr von Stimmen. Gleichzeitig schlugen die Hunde an, die von ihren Herren offenbar gehetzt wurden.

»Die Polizeisoldaten!... Die Hunde! rief Farnham. Jetzt droht uns Gefahr!«

In der Tat war ja zu befürchten, daß die Tiere nach dem Strande herunterkämen, wohin ihnen dann jedenfalls die Aufseher und Polizisten auf [377] demselben Wege nachfolgten, den Farnham am Tage vorher benutzt hatte. Dann schnüffelten die Doggen hier umher, ihr Instinkt würde sie nach dem Fuße des Steilufers treiben und zuletzt entdeckten sie zweifellos auch die Höhle...


Der Instinkt der Doggen würde sie nach dem Fuße des Steilufers treiben. (S. 378.)

Welchen Widerstand konnten dann O'Brien, Macarthy und Farnham, die keine Waffen besaßen, einem Dutzend bewaffneter Männer entgegensetzen?... Sie wären doch kurzer Hand überwältigt und in die Strafanstalt zurückgetrieben worden, und welches Los sie da erwartete, darüber konnten sie nicht im Zweifel sein: die doppelte Kette und der finstere Kerker für O'Brien und Macarthy... die Todesstrafe für Farnham, da er ihre Flucht begünstigt hatte.

Alle drei verhielten sich in der Höhle regungslos still. Ungesehen daraus wegzugehen, war ganz unmöglich. Wohin hätten sie sich von diesen letzten Felsgebilden der Landspitze aus auch flüchten sollen?... Um nicht in den Bagno zurückzukommen, blieb ihnen nichts anderes mehr übrig, als sich ins Meer zu stürzen... Ja, alles lieber... nur nicht in die Hände der Häscher fallen!

Inzwischen kamen die Stimmen noch näher. Sie verstanden schon einzelne Worte, die über ihrem Schlupfwinkel gewechselt wurden, und hörten die Rufe derer, die sie verfolgten, ebenso wie das wütende Bellen der Doggen.

»Hierher!... Dorthin! ertönte es einmal ums andere.

– Laßt doch die Hunde frei, rief ein dritter, der Strand hier muß abgesucht werden, ehe wir umkehren!

– Was sollten sie denn hier gemacht haben? antwortete sofort der gewalttätigrohe Führer der Abteilung, den Farnham an der Stimme erkannte. Durch Schwimmen haben sie sich nicht retten können, wir müssen unsere Nachforschungen im Walde wieder aufnehmen!«

O'Brien ergriff die Hand seiner Gefährten. Nach diesem Einwurf ihres Führers konnte man erwarten, daß die Verfolger sich entfernen würden. Da rief aber noch einer von diesen:

»Nun, nachsehen könnten wir doch einmal!... Wir wollen hier den Pfad hinuntersteigen, der nach dem Strande führt. Wer weiß, ob die Drei sich nicht in irgend einem Loche versteckt halten!«

Die Drei?... Man nahm in Port-Arthur also als ausgemacht an, daß Farnham, der Helfer bei diesem Fluchtversuche, auch bei den Irländern sei.

Waren die Worte der Leute jetzt weniger gut verständlich – ein Beweis, daß sich die Verfolger dem herunter führenden Wege zugewendet hatten – so ertönte das Heulen und Bellen der Hunde in um so größerer Nähe.

[378] Ein glücklicher Umstand verhinderte aber vielleicht die Entdeckung der Flüchtlinge. Das augenblicklich noch ziemlich hohe Meer überflutete den Strand bis zum Fuße des Steilufers und seine äußersten Wellen rollten bis zum Eingange der Höhle. Diesen selbst konnte nur sehen, wer um die Felsmasse herumging. Von der Saint-Jamesspitze selbst lagen die äußersten Blöcke noch unter dem Schaum der Wellen. Die Ebbeströmung mußte wenigstens noch zwei Stunden abgewartet werden, ehe der Strand wieder gangbar wurde. Es war aber unwahrscheinlich, daß die Verfolger hier so lange verweilen würden, statt sich einer mehr Erfolg versprechenden Fährte zuzuwenden.

Die Hunde bellten inzwischen noch lauter, ihr Instinkt trieb sie offenbar längs der Uferwand hin. Einer davon stürzte sich in den Strudel der Wellen, doch folgte keiner der anderen seinem Beispiele.

Eben jetzt gab auch der Oberaufseher Befehl, den nach unten führenden Weg wieder herauf zu kommen, und bald verminderte sich der Lärm, das Gebell wurde schwächer und die Stimme der Verfolger unverständlich. Nur das Meer schlug noch laut gurgelnd an die felsige Uferwand an.

13. Kapitel
Dreizehntes Kapitel.
Gerettet!

Die Gefahr war einstweilen vermindert, beseitigt aber nicht. Nach der Durchsuchung des Waldes wurde die der Küste jedenfalls wieder aufgenommen.

Es sei hier nochmals darauf hingewiesen, daß Entweichungen aus Port-Arthur immer nur gelungen waren, wenn sie auf dem Wasserwege ausgeführt werden konnten. Entweder hatten sich die Sträflinge dazu eines Bootes bemächtigen können oder selbst ein solches notdürftig zusammengezimmert, wenn es nur ausreichte, sie nach einer anderen Stelle der Storm-Bai zu tragen. Jeder Versuch, über die Landenge hinweg zu entkommen, mußte von vornherein als verfehlt gelten. So wurden denn auch alle Flüchtlinge, die sich in den Wäldern verborgen hielten, stets – wenn auch zuweilen erst nach einigen Wochen – [379] wieder eingefangen. Der Kapitän-Kommandant wußte das recht gut, und die Nachforschungen nach Entsprungenen wurden deshalb stets im Walde vorgenommen, wenn die Witterungsverhältnisse ein Entkommen auf dem Wege des Meeres auszuschließen schienen.

Da jetzt der Wind immer mehr abflaute und eine Landung an der Küste leichter möglich wurde, war mit Sicherheit zu erwarten, daß Aufseher und Polizeisoldaten schon morgen alle Buchten daran besichtigen würden.

Das sagten sich O'Brien, Macarthy und Farnham natürlich auch selbst, und es erfüllte sie mit begreiflicher, großer Besorgnis. Wie endlos erschienen ihnen die Stunden des heutigen Nachmittags, wo sie, ohne daß ein weiterer Zwischenfall eingetreten wäre, auf jedes Geräusch von außen lauschten, wo sie manchmal Schritte auf dem. Strande oder das Bellen der wilden Doggen zu hören vermeinten und jeden Augenblick fürchteten, die Hunde auftauchen und sich auf sie stürzen zu sehen.

Zuweilen wuchs auch wieder ihre Hoffnung. Ohne sich aus der Höhle zu wagen, konnten sie die Bai in großem Umfange übersehen und die Schiffe beobachten, die draußen auf offener See vorüberzogen. Da tauchten einzelne Segler auf, bald nachdem der als schwache Brise wehende Wind nach Norden umgeschlagen war. Andere liefen, nach Umschiffung des Kap Pillar, gegen den Wind aufkreuzend ein. Von der ersten Mitteilung Walters her wußte Farnham, daß das für die Flüchtlinge auf der Reede von Hobart-Town eingetroffene amerikanische Schiff der Dampfer »Illinois« war. Er und seine Gefährten suchten also nach einer Rauchsäule am Horizont, einer Rauchsäule, die sich in südlicher Richtung zurückwand und die das Nahen des unter so unendlichen Gefahren erwarteten Schiffes ankündigte.

Und doch war das noch zu zeitig. Von Hobart-Town bis zur Saint-Jamesspitze sind es ungefähr zwanzig englische Meilen (32 km). Es genügte, wenn die »Illinois« die Reede gegen sechs Uhr abends verließ. Man konnte ja auf dem Schiffe nicht so unklug sein, sich der Landspitze eher zu nähern, als die Dunkelheit gestattete, das Boot zur Aufnahme der Flüchtlinge abzusenden.

»Ja, weiß man denn überhaupt an Bord, daß wir haben entweichen können? fragte Macarthy.

– Daran ist nicht zu zweifeln, antwortete Farnham. Schon sind wir sechsundzwanzig Stunden an der bestimmten Stelle, und seit diesem Morgen muß sich die Nachricht von unserer Flucht in Hobart-Town verbreitet haben. Der [380] Gouverneur erhielt sie jedenfalls durch eine Depesche, und Walter wird sich, wie ich annehme, beeilt haben, auf die »Illinois« zu kommen. Hat der Dampfer auch gestern wegen schlechten Wetters nicht auslaufen können, so wird er doch jetzt nicht zögern, nach der Halbinsel zu kommen.

– Es ist bereits fünf Uhr, bemerkte O'Brien, und binnen anderthalb Stunden wird es die Dunkelheit sehr erschweren, die Saint-Jamesspitze zu erkennen. Wie könnte der Kapitän der »Illinois« dann ein Boot dahin abgehen lassen?

– Ich setze mit Bestimmtheit voraus, erwiderte Farnham, daß er seine Maßregeln schon mit Rücksicht darauf getroffen haben wird. Er oder irgend ein Matrose an Bord kennt jedenfalls die ganze Küste der Halbinsel, selbst die Nacht wird ihn nicht in Verlegenheit setzen...

– Eine Rauchwolke!« rief da Macarthy.

Über dem Horizonte, dessen purpurgesäumte Wolken die Sonne verschleierten, stiegen eben die höchsten Wirbel einer Rauchsäule auf.

»Ist es der Dampfer?... Ist es die »Illinois«?« rief O'Brien, der schon nach dem Strande hinausgestürmt wäre, wenn Farnham ihn nicht zurückgehalten hätte.

Die Storm-Bai wird gewöhnlich von vielen Schiffen, meist von Dampfern, befahren. Ob nun der, der jetzt in Sicht kommen sollte, nicht nach Südosten steuern würde, um auf die offene See zu gelangen, das ließ sich ebenso wenig entscheiden, wie man schon sagen konnte, ob er hier auf die Küste zuhalten werde.

Noch nie war die Erregung der Flüchtlinge so lebhaft gewesen wie jetzt, nicht einmal als die Verfolger den Pfad nach dem Vorlande herunterkletterten und die Hunde sich darauf zu zerstreuen drohten, niemals aber waren sie anderseits von so froher Hoffnung erfüllt gewesen. Die Rauchwolke zog sichtlich nach Südosten hin. Vor Verlauf einer halben Stunde, also noch bei genügendem Tageslichte, mußten sie den Dampfer über der Linie zwischen Himmel und Wasser auftauchen sehen. Bei dem schwachen Rauche, der von ihm ausging schien es nicht, als ob er mit voller Kraft führe. Wenn es die »Illinois« war, warum hätte sie auch Volldampf nehmen sollen?? Bei Anbruch der Nacht mußte das Schiff ja dennoch bis auf wenige Kabellängen an die Saint-Jamesspitze herangekommen sein. Dann konnte das Boot abstoßen ohne die Gefahr, bemerkt zu werden.

[381] Plötzlich stieß O'Brien einen verzweifelten Schrei aus:

»Es ist es nicht!... Das ist nicht die ›Illinois!‹

– Und warum nicht? fragte Farnham.

– Da... seht nur hier!«

Der Dampfer hatte eben seine Richtung geändert und kam nicht weiter auf die Küste zu. Er manövrierte wie die Schiffe, die das Kap Pillar peilen und aufs hohe Meer zu steuern suchen.

Und nach diesem tödlichen Ausharren einen ganzen Tag lang, kam jetzt die Nacht heran!... Erloschen war die Hoffnung, daß die Stunde der Rettung nahe sei, daß jenes Schiff sie an Bord nehmen werde! Es entfernte sich von der Halbinsel und dampfte aufs hohe Meer hinaus.

Es war also nicht die von Walter angemeldete »Illinois«, deren Rauch die Flüchtlinge beobachteten. Der Dampfer lag noch immer auf der Reede von Hobart-Town. Immerhin war es noch Zeit. Vielleicht erschien er erst mitten in der Nacht.

Nun gut, sie wollten warten, wollten nach ihm ausspähen. Sobald es dunkel genug war, gedachten O'Brien, Macarthy und Farnham sich über das Vorland bis zum äußersten Ende der Saint-Jamesspitze zu begeben und sich hinter den letzten Felsblöcken zu verbergen. Näherte sich dann ein Dampfer, so hörten sie das Keuchen seiner Maschine und den Wasserwirbel von seiner Schraube. Und wenn er endlich ein Boot abschickte, wollten sie es anrufen, um es durch die Klippen der Bucht zu leiten. Verhinderte es schließlich die Brandung, unmittelbar am Lande anzulegen, so wollten sie selbst ins Meer gehen... dann würden sie aufgenommen und nach der »Illinois« gebracht werden. Ja, wie O'Brien gesagt hatte: sollte es ihnen auch das Leben kosten... nur nicht zurück in den Bagno!

Eben verschwand die Sonne unter dem Horizonte. Zur jetzigen Jahreszeit konnte der Himmel durch die Dämmerung nicht mehr lange erhellt bleiben. Die Bai und das Ufer mußten bald in der Dunkelheit der Nacht zusammenfließen. Der das letzte Viertel zeigende Mond konnte nicht vor drei Uhr morgens aufgehen. Unter dem sternenlosen, von einer Wolkendecke verhüllten Himmel mußte die Finsternis eine sehr tiefe werden.

Draußen war alles still und stumm. Der schwache Wind, der sich gegen Abend fast ganz gelegt hatte, wurde nur zeitweilig durch einen Hauch bemerkbar. Von der Seite der Bai her hätten die Flüchtlinge das Rauschen von einem [382] auf die Küste zu steuernden Dampfer selbst auf zwei bis drei Seemeilen Entfernung gehört, und mindestens auf fünf bis sechs Kabellängen das Geräusch von einem durch Ruder bewegten Boote.

O'Brien konnte sich gar nicht mehr zügeln und wollte trotz des Widerspruchs seiner Gefährten nach dem Ende der Saint-Jamesspitze hinauseilen.

Das war unklug, denn bei dem noch vorhandenen schwachen Lichte hätte er vom Rande des Steilufers her doch von Verfolgern bemerkt werden können. Immerhin schien es, als ob sich keine lebende Seele auf diesem Teile der Küste befände. Auf dem Sande hinkriechend, erreichte O'Brien die Stelle, wo die Saint-Jamesspitze an der äußersten Strandlinie ausläuft. Hier erhoben sich noch mächtige Felsblöcke, die mit Tang überkleidet waren und deren bei Tiefebbe sichtbare Fortsetzung zwei- bis dreihundert Schritt weit hinausreichte und sich dann mehr nach Norden zu krümmte.

Da ertönte die Stimme O'Briens bis zu Farnham, der mit Macarthy in der Höhle zurückgeblieben war.

»Hierher... vorn nach der Spitze!« rief er.

Hatte O'Brien ein Boot entdeckt oder wenigstens das Plätschern von Ruderschlägen gehört? Jedenfalls durften die beiden anderen nicht zögern, ihm nachzueilen. Farnham und Macarthy begaben sich also schnellen Schrittes über das Vorland hin.

Als alle drei am Fuße der letzten Felsen standen, sagte O'Brien:

»Ich glaube... ja, ich glaube noch, es nähert sich ein Boot...

– Von welcher Seite?

– Von dieser hier.«

O'Brien wies nach Nordwesten.

Das war genau die Richtung, die ein Boot hätte einhalten müssen, das von draußen durch die Risse steuern wollte.

Macarthy und Farnham lauschten. Auch sie vernahmen taktmäßige Ruderschläge. Kein Zweifel: von draußen kam ein Boot, das, weil es des Weges nicht ganz sicher war, nur langsam weitergetrieben wurde.

»Ja ja, bestätigte Farnham, man hört das Anschlagen der Ruder an die Bordrandpflöcke... da draußen bewegt sich ein Boot...

– Ist es aber auch das von der ›Illinois‹?« bemerkte O'Brien.

Es konnte ja kaum ein anderes sein als das, das vom Dampfer nach der verabredeten Stelle abgeschickt worden war. Bei der zunehmenden Dunkelheit [383] war es den Flüchtlingen freilich unmöglich, etwas von dem Schiffe zu entdecken. Vielleicht hielt es eine gute Meile weit draußen, teils um von der Küste aus bestimmt nicht bemerkt zu werden, und teils, um sich dieser und ihren gefährlichen Rissen nicht zu sehr zu nähern.

Es galt nun also, so weit wie möglich vorzudringen, um das Boot im Auge zu behalten, es nötigenfalls anzurufen, um ihm den Weg durch die Klippen zu bezeichnen, und endlich hineinzuspringen, wenn es die äußersten Felsblöcke erreicht hatte.

Da erscholl aber plötzlich oben auf dem Steilufer ein lautes Bellen, dem verschiedene Rufe nachfolgten.

Am Rande hielt eine Abteilung Aufseher, die ein Dutzend Hunde bei sich hatten. Nach Durchsuchung des Waldsaumes waren sie wieder an die Küste gekommen.

Nicht weit davon rüsteten sich die Rotten, die an der Lichtung arbeiteten, zum Rückwege nach Port-Arthur.

Bei den Ausrufen der Verfolger sagten sich O'Brien, Macarthy und Farnham, daß sie entdeckt wären. Sie mochten wohl bemerkt worden sein, als sie über das Vorland hinschritten, oder vielleicht hatte der erste Ruf O'Briens sie schon verraten.

Jetzt beruhte ihre Rettung nur noch darauf, daß das Boot zeitig genug herankam, und ihnen war es doch unmöglich, dessen Fahrt zu beschleunigen. Und wenn sie sich nicht getäuscht hatten, wenn das Boot sich näherte, würde es sie aufnehmen können, ehe die Verfolger auch am Wasserrande anlangten?

Kam wohl von Matrosen eine genügende Zahl, die Aufseher und Polizeisoldaten anzugreifen, wenn jene überhaupt auf einen Kampf eingerichtet waren?... Würde es ihnen möglich sein, den Verfolgern die Gefangenen wieder zu entreißen und sie an Bord der »Illinois« in Sicherheit zu bringen?

»Die Hunde... die Hunde!« rief in diesem Augenblicke Macarthy.

Den Pfad von der Uferwand herunter stürmend, sprangen die Doggen sogleich über das Vorland hin... vier oder fünf dieser zur Verfolgung von Sträflingen abgerichteten Tiere, die ein wütendes Gebell ausstießen.

Fast gleichzeitig tauchten ein Dutzend mit Revolvern bewaffnete Aufseher und Polizeisoldaten auf.

»Hierher!... Hierher! rief einer dem anderen zu.

– Dort sind sie... alle Drei!

[384] – Vorwärts nach der Landspitze!

– Da kommt schon ein Boot heran!«

O'Brien hatte sich nicht getäuscht: ein Boot war im Begriff, in die kleine Bucht einzulaufen. Daß seine Gefährten und er es vorher nicht hatten sehen können, lag daran, daß gerade zwischen dem Fuße des Steilufers und dem kleinen Fahrzeuge mehrere Klippen aufragten.


Gleichzeitig tauchten ein Dutzend bewaffnete Aufseher und Polizeisoldaten auf. (S. 384.)

Dagegen war durch das Boot die Aufmerksamkeit der oben am Felsrande hinschreitenden Verfolger erweckt worden, denn diese bemerkten, daß es erst längs der Küste hinsteuerte und [385] dann durch den Klippengürtel zu gleiten suchte. Natürlich vermuteten sie, daß es nur hierher komme, um die Irländer aufzunehmen. Ein Blick auf das Meer hinaus zeigte ihnen auch, daß dort, der Bai gegenüber, ein unter diesen Umständen Verdacht erweckender Dampfer lag.

Das hatten auch zwei andere Sträflinge bemerkt, die, erst an der Waldlichtung beschäftigt, ebenfalls nach dem Rande des Steilufers gekommen waren.

Diese beiden waren Karl und Pieter Kip.

Von welch quälender Angst die beiden Brüder den ganzen Tag gefoltert worden waren, kann man sich wohl leicht vorstellen. Sie wußten ja recht gut, daß das amerikanische Schiff gestern des stürmischen Wetters wegen sich der Halbinsel nicht hatte nähern können, und sagten sich auch, daß die drei Flüchtlinge sich nahe der Saint-Jamesspitze die vergangene Nacht und heute den ganzen Tag in irgendeiner Felsenhöhle versteckt haben würden. Wie hatten sie sich aber die nötige Nahrung verschaffen können?

Der Sturm hatte sich freilich schon seit fünfzehn Stunden gelegt und die Bai war wieder gefahrlos zu befahren. Was nun am gestrigen Abend nicht möglich gewesen war, das konnte unter dem Schutze der Dunkelheit vielleicht heute Abend versucht werden.

Wie gewöhnlich hatten die Gebrüder Kip die Strafanstalt schon seit dem frühen Morgen verlassen und sich nach ihrer Arbeit am Walde begeben. Und als sie dabei in die Nähe des Steilufers kamen, suchten sie voller Besorgnis im Westen längs der Küste nach Rauchwolken, die die Annäherung eines Dampfers verrieten.

Der Tag verstrich aber, und erst zehn Minuten vor der Zeit, wo der Rückweg angetreten werden sollte, ertönten von der Uferseite her die Unglück verkündenden Rufe.

»Sie sind entdeckt... die Ärmsten!« stieß Karl Kip hervor.

Sofort liefen zehn bis zwölf Mann, die die Obhut über ihre Rotten einigen Kameraden überließen, nach dem Uferrande hin, und die Gebrüder Kip konnten ihnen unbemerkt folgen.

Am Rande angelangt, warfen sie sich platt zur Erde und lugten unter sich hinaus.

Richtig, da kam ein Boot längs der Küste auf die Saint-Jamesspitze zu.

»Es wird zu spät sein! sagte Karl Kip.

– Ja, die Armen werden wieder gefangen werden, setzte sein Bruder hinzu.

[386] – Und wir können ihnen keine Hilfe bringen!«

Kaum waren diese Worte gefallen, als Karl Kip seines Bruders Arm ergriff.

»Komm, folge mir!« raunte er ihm zu.

Eine Minute später kletterten beide den Pfad an der Ufermauer hinunter und schlichen sich über das Vorland hin.

Das Boot von der »Illinois« bog eben um die Felsenblöcke vor der Bucht ein. Obwohl die amerikanischen Matrosen die Aufseher hatten herzulaufen sehen, dachten sie und ihr Offizier doch gar nicht daran, anzuhalten, da sie voraussetzten, daß sich die Flüchtlinge hier schon seit dem vorigen Tage aufhielten. Auf die Gefahr hin, bei der Dunkelheit gegen einen Felsblock zu rennen, ruderten sie nur noch kräftiger, um die Spitze womöglich eher als die Verfolger zu erreichen.

Als das Boot aber anlegte, war es schon zu spät: O'Brien, Macarthy und Farnham waren bereits nach dem Steilufer zu weggeschleppt worden.

»Nun vorwärts... vorwärts!« rief der Offizier.

Mit Seitengewehren und Revolvern bewaffnet, sprangen die Matrosen ihm nach aufs Land und stürmten darüber hin, die Gefangenen zu befreien.

Da entspann sich ein hitziger Kampf. Die Amerikaner waren nur ihrer acht: der Offizier, der Steuermann und sechs Ruderer. Selbst Farnham, Macarthy und O'Brien mitgerechnet, ergab das nur elf gegen einige zwanzig Aufseher und andere, die auf den Lärm hin ihren Kameraden auf dem Vorlande nachgeeilt waren. Außerdem waren die Doggen als nicht minder gefährliche Gegner zu betrachten.

Auf die Hunde gaben die Matrosen auch die ersten Revolverschüsse ab. Schnell blitzte es aus den Läufen auf. Von mehreren Kugeln getroffen, wurden zwei von den Tieren getötet und die anderen entflohen unter gräßlichem Geheul.

In der Dunkelheit drangen die Gegner wütend auf einander ein. Macarthy und Farnham, die sich nicht hatten losreißen können, sollten eben weiter zurückgeschleppt werden, als zwei Männer den Aufsehern den Weg versperrten.

Karl Kip und seinem Bruder, die sich auf die Häscher stürzten, gelang es, die Gefangenen wieder zu befreien.

Immer krachten noch weitere Schüsse und auf beiden Seiten wurden mehrere Kämpfer ernstlich verwundet. Auf der schmalen Landspitze konnte der Kampf mit Vorteil für die Amerikaner freilich nicht lange fortgeführt werden. Mußten ihn der Offizier und die Matrosen von der »Illinois« aufgeben, so [387] konnten sie die Flüchtlinge nicht mitnehmen, und wer weiß, ob sie nicht ihr edelmütiges Wagestück zu Gunsten der Irländer im Gefängnisse von Hobart-Town gar noch mit dem Verluste der eigenen Freiheit bezahlen mußten.

Waren die Schüsse, die Rufe und das Gebell bis nach der Lichtung hin hörbar gewesen, so wurden sie glücklicherweise auch draußen auf dem Meere vernommen. An Bord der »Illinois« erkannte man, daß ein hitziges Gefecht zwischen den Matrosen und den Leuten aus der Strafanstalt entbrannt sei, ein Gefecht, das ein kräftiges Eingreifen von seiten des Schiffes verlangte.

Der Kommandant fuhr deshalb bis auf zwei Kabellängen an den Kampfplatz heran und ließ dann schnellstens ein zweites Boot mit einem Dutzend Matrosen aufs Meer setzen.

Binnen wenigen Augenblicken landete die Verstärkung an der Landspitze, und damit änderte sich sofort die Sachlage. Die Aufseher, die jetzt nicht mehr in der Überzahl waren, mußten die Gefangenen loslassen und sich unter Mitnahme ihrer Verwundeten zurückziehen. Der Offizier und die Matrosen hatten nur noch mit den drei Flüchtlingen die Boote zu besteigen, nachdem noch einige Schüsse zwischen den beiden Parteien gewechselt waren.

Da näherten sich noch Karl und Pieter Kip schnell O'Brien und sagten:

»Gerettet... ihr seid gerettet!

– Und ihr ebenfalls!« rief der Irländer.

Ehe sie recht wußten, was mit ihnen geschah, wurden die beiden Brüder auf ein Zeichen O'Briens von Matrosen in eines der Boote gehoben, die nach der »Illinois« zurückfuhren.

Der Dampfer wendete sich sofort nach dem Eingange der Storm-Bai, umschiffte das Kap Pillar, und als es völlig Nacht war, schaukelte er schon weit draußen auf dem Großen Ozean.

[388]
14. Kapitel
Vierzehntes Kapitel.
Die Folgen des Vorfalls.

Schon seit einigen Monaten besprach man in Hobart-Town wieder die Angelegenheit der Gebrüder Kip mit lebhaftem Interesse. Zu einem Umschlage der öffentlichen Meinung, zu dem Gedanken, daß Karl und Pieter Kip die Mörder des Kapitäns Gibson doch nicht wären, war es freilich noch nicht gekommen. Nein, die große Menge sprach sich noch keineswegs zu Gunsten der Opfer eines traurigen Justizirrtums aus. Man wußte jedoch, daß Herr Hawkins an deren Unschuld glaubte, und ebenso war es bekannt, daß er seine Bemühungen zur Aufklärung des Sachverhalts fortsetzte und Se. Exzellenz Sir Edward Carrigan dafür – und zwar mit Erfolg – zu gewinnen sachte.

»Ja... wenn Herr Hawkins nun doch recht hätte?« hörte man wohl den und jenen sagen.

Die große Mehrheit – es verdient das betont zu werden – hegte jedoch keinen Zweifel an der Schuld der Gebrüder Kip, und die ganze Angelegenheit wäre wohl schon längst der Vergessenheit anheimgefallen, wenn der Reeder sich nicht so unablässig bemüht hätte, eine Wiederaufnahme der Verhandlungen herbeizuführen.

Es ist wohl leicht begreiflich, daß der Besuch, den Hawkins in Port-Arthur abgestattet hatte, seine Überzeugung nur noch weiter bekräftigen mußte. Sein Gespräch mit dem Kapitän-Kommandanten, das Verhalten der beiden Brüder in der Strafanstalt, die mutige Tat, der sie einige Erleichterung ihres Loses verdankten, ihre würdige Haltung, als er verschiedene Fragen an sie richtete, der ihnen gemeinsame Gedanke, die wirklichen Urheber des Verbrechens unter der Mannschaft des »James-Cook« zu suchen, der Verdacht, den das auffällige Benehmen Flig Balts und Vin Mods erregen mußte, und endlich die warme Erkenntlichkeit, die ihm Karl und Pieter Kip bewiesen, als er ihnen einen neuen Schimmer der Hoffnung eröffnete, alles das konnte ja seinen guten Glauben nur bestärken. Wie hätte er auch seine früheren Beziehungen zu den Holländern vergessen können, von deren Auffindung auf der Insel York, ihrem Eingreifen [389] bei dem Uberfalle der Papuas an, bis zu der Zeit, wo Karl Kip den »James-Cook« vor dem Untergange und aus den Händen Flig Balts gerettet hatte?

Nein, Hawkins hielt an seiner Überzeugung fest. Er widmete sich voller Eifer der Aufgabe, wenn auch allein stehend, das über der Angelegenheit schwebende Geheimnis zu entschleiern, die Unschuld der Verurteilten nachzuweisen und sie aus der Strafanstalt von Port-Arthur zu befreien.

Frau Hawkins teilte die Anschauungen ihres Gatten, wenn auch nicht die Hoffnung auf den guten Ausgang seiner Bemühungen. Sie ermutigte ihn sogar noch dazu, obwohl die öffentliche Meinung sehr dagegen war. Ja sie litt nicht wenig darunter, ihn heute vertrauensselig und morgen halb verzweifelt zu sehen. In dem beschränkten Kreise ihrer engeren Freunde und bei den Personen seiner näheren Umgebung, ließ sie nicht nach, seine Überzeugung zu vertreten. Die meisten ließen sich aber nicht umstimmen, so tief hatte ja die abscheuliche Mordtat, der ein Todesurteil folgte, die Gemüter beeinflußt und sogar die von der Schuld der Holländer überzeugt, die im Anfang der Verhandlungen daran noch gezweifelt hatten.

Bei der vertrauten Freundschaft, die zwischen ihnen herrschte, gewann Frau Hawkins aber gerade auf Frau Gibson allmählich den größten Einfluß. Anfänglich wollte die unglückliche Witwe sie freilich gar nicht anhören. In ihrem unermeßlichen Schmerze schwebte ihr nur das eine vor Augen, daß ihr Gatte nicht mehr lebte, wer auch dessen Mörder sein mochten. Frau Hawkins sprach sich aber so eindringlich zu Gunsten der Gebrüder Kip aus, daß sie endlich bei der Freundin dafür Gehör fand. Diese verschloß sich nicht mehr der Annahme, daß die Holländer doch vielleicht die Mörder nicht sein möchten, und sie erschrak bei dem Gedanken, daß in der Hölle von Port-Arthur zwei Schuldlose schmachten sollten.

»Sie werden daraus erlöst werden! sagte Frau Hawkins wiederholt. Früher oder später muß die Wahrheit an den Tag kommen und werden die wirklichen Mörder die verdiente Strafe finden!«

Wenn Frau Gibson aber dem Einflusse der Frau Hawkins unterlag, so glaubte ihr im Herzen überzeugter Sohn doch nach wie vor an die Schuld der Gebrüder Kip. Trotz aller Hochachtung vor dem Reeder und vor der erprobten Zuverlässigkeit seines Urteils, wollte er sich seinen Einwänden, die ja doch nur moralischer Natur waren, niemals fügen. Nat Gibson klammerte sich an die durch die Untersuchung erwiesenen Tatsachen und sah sich dabei in Übereinstimmung [390] mit der weitaus größten Zahl der Einwohner Hobart-Towns. Auch als Hawkins ihm von dem Verdachte sprach, der in ihm gegen Flig Balt und Vin Mod aufgestiegen war, begnügte er sich zu antworten:

»Herr Hawkins, die Papiere und das Geld meines Vaters, die Waffe, womit er getötet worden ist, haben sich in dem Zimmer und im Reisesacke der beiden Brüder vorgefunden... man müßte denn beweisen können, daß Flig Balt oder Vin Mod alles dahin gebracht hätte, und das wird nicht möglich sein.

– Wer weiß, mein armer Nat, antwortete Hawkins, wer weiß das?«

Ja... wer konnte das wissen? Und doch war gerade das der Verlauf der Dinge gewesen. Vin Mod war dabei aber mit solcher Verschlagenheit zu Werke gegangen, daß es unmöglich schien, seine Anwesenheit im Gasthofe zum Great Old Man nachzuweisen.

Hawkins hatte den Gastwirt zwar wiederholt mit darauf bezüglichen Fragen bestürmt, doch nichts damit erzielt. Der Mann erinnerte sich nicht einmal, daß zur Zeit, als die Gebrüder Kip in seinem Hause wohnten, das Nachbarzimmer überhaupt besetzt gewesen sei. Jedenfalls war Vin Mod niemals in seinen Gasthof gekommen, und niemand hätte behaupten können, ihn da gesehen zu haben.

Das war also die allgemein herrschende Anschauung, und das waren die Schritte, die Hawkins tat, eine Wiederaufnahme des Verfahrens herbeizuführen, und die er mit einer Zähigkeit verfolgte, welche viele schon für eine fixe Idee ansahen.

Da verbreitete sich am Morgen des 7. Mai in der Stadt eine unerwartete Neuigkeit.

Der Gouverneur war telegraphisch benachrichtigt worden, daß in Port-Arthur eine Flucht vorgekommen sei. Zwei politische Deportierte, zwei Feniers und einer der Aufseher, ihr Landsmann und Genosse, waren entwichen und von einem, jedenfalls von ihren Freunden in Amerika dazu hergeschickten Dampfer aufgenommen worden. Gleichzeitig waren, unter Benützung dieser Gelegenheit, noch zwei andere Sträflinge entflohen.

Diese wegen eines ruchlosen Verbrechens verurteilten Sträflinge waren die Holländer Karl und Pieter Kip.


Die Aufseher mußten die Gefangenen loslassen und sich zurückziehen. (S. 388.)

Während des Kampfes zwischen den amerikanischen Matrosen und den Aufsehern an der Saint-Jamesspitze waren die beiden Brüder, als sie den drei Flüchtlingen zu Hilfe eilten, schon erkannt worden. Freilich waren sie wider ihren Willen in das Boot geschafft worden, doch wen hätte man zu dem [391] Glauben bewegen können, daß sie bei dieser Flucht nicht im Einverständnisse mit den Feniers gehandelt hätten? Nein, alles das war vorher verabredet.

So lautete auch der Bericht der Aufseher, als diese in die Strafanstalt zurückkehrten, wo die Abwesenheit Karl und Pieter Kips schon bekannt war. Das mußte auch der Kapitän-Kommandant annehmen, als ihm das Entkommen der Fünf gemeldet wurde, worauf er in seinem, noch denselben Tag an Se. Exzellenz Sir Edward Carrigan abgesendeten Berichte besonders hinwies.

[392] [395]Die Wirkung, die diese Nachricht in Hobart-Town und in ganz Tasmanien hervorbrachte, brauchen wir wohl nicht erst auszumalen. Hawkins erfuhr davon als einer der ersten durch den Gouverneur selbst, der ihn hatte nach seiner Amtswohnung rufen lassen. Die von Port-Arthur eingegangene und ihm hier vorgelegte Depesche entfiel seinen zitternden Händen. Er konnte nicht glauben, was er gelesen hatte, er starrte nur Se. Exzellenz an, und wiederholt stammelte er mit gebrochener Stimme:

»Sie sind entflohen... sind entflohen!

– Jawohl, antwortete Sir Edward Carrigan, und es unterliegt keinem Zweifel, daß sie mit den beiden politischen Verbrechern und deren Genossen im Einverständnis gehandelt haben.


Hawkins hatte den Gastwirt mit Fragen bestürmt. (S. 391.)

– Sie... sie, rief Hawkins in furchtbarer Aufregung, ja, ich begreife es... begreife, daß sie ihre Freiheit wiedergewinnen wollten. Ich begreife, daß Freunde ihnen zu Hilfe gekommen sind... daß ihr Entweichen von langer Hand vorbereitet war... ich... ich billige es sogar...

– Was sagen Sie da, Herr Hawkins?... Vergessen Sie denn ganz, daß es sich hier um Feinde Englands handelt?

– Das ist wahr... freilich wahr; in Ihrer Gegenwart, Herr Gouverneur, hätte ich in dieser Weise nicht sprechen sollen. Und doch, jene Feniers hatten als politische Verbrecher keine Gnade zu erwarten. Sie waren für ihre Lebenszeit in Port-Arthur eingekerkert, während Karl und Pieter Kip... Nein, ich kann es nicht glauben, daß sie sich an dieser Flucht beteiligt haben!... Wer weiß, ob hier nicht eine irrtümliche Nachricht vorliegt.

– Nein, das nicht, entgegnete der Gouverneur, die Tatsache ist unzweifelhaft...

– Karl und Pieter Kip, fuhr Hawkins fort, kannten aber doch die Schritte, die für eine Wiederaufnahme ihres Prozesses getan wurden... sie wußten, daß Eure Exzellenz sich für sie interessierten, daß ich ihre Sache zur meinigen gemacht hatte...

– Gewiß, lieber Hawkins; doch sie werden geglaubt haben, daß alles erfolglos bleiben werde, und als sich ihnen da eine Fluchtgelegenheit bot...

– Dann müßte man aber voraussetzen, wendete Hawkins ein, daß jene Feniers – also auch diese – sie nicht für gemeine Verbrecher hielten, denn sie würden sich ebensowenig herbeigelassen haben, ihnen hilfreiche Hand zu bieten, wie der amerikanische Kapitän, auf seinem Schiffe Mörder aufzunehmen.

[395] – Ich kann mir die ganze Sache nicht recht erklären, meinte Se. Exzellenz, vielleicht kommt später mehr Licht hinein. Das eine steht jedoch fest, daß die Gebrüder Kip aus Port-Arthur entflohen sind, und Sie, lieber Hawkins, werden alle Bemühungen zu Gunsten der Leute einstellen können.

– O... ganz im Gegenteil!

– Wie? Auch nach dieser Flucht glauben Sie noch an deren Unschuld?

– Noch ebenso wie früher, Herr Gouverneur, versicherte Hawkins im Tone unerschütterlichster Überzeugung. O, ich versehe mich dessen wohl: man wird mich einen Toren schelten, daß ich mich auch vor den augenscheinlichsten Beweisen nicht ergäbe, daß diese Flucht ein Eingeständnis ihres Schuldbewußtseins sei, daß sie auf keinen Erfolg einer Revision rechneten, weil sie sich schuldig fühlten, und daß sie es deshalb vorgezogen haben, zu entfliehen, als sich eine Gelegenheit dazu darbot...

– Ja wirklich, erklärte der Gouverneur, es dürfte schwierig sein, das Verhalten Ihrer Schützlinge anders auszulegen.

– Und doch... nein, nein! fuhr Hawkins fort, jene Flucht ist noch kein Eingeständnis. Über der ganzen Sache schwebt, dabei bleib' ich, noch ein Dunkel, das die Zukunft wohl aufhellen wird. Ich bin weit eher der Meinung... ja, ich glaube, daß Karl und Pieter Kip wider ihren Willen mit fortgeschafft worden sind.

– Das wird niemand zugeben...

– Niemand außer mir... mag sein! Doch das genügt mir und ich werde ihre Sache weiter betreiben. Wie könnte ich, Herr Gouverneur, auch ihr Verhalten vergessen, als ich sie in Port-Arthur aufsuchte... vor allem die Ergebung Pieters, ihr Vertrauen auf meine ferneren Schritte, wie vergessen, daß sie an Bord des ›James-Cook‹ waren... vergessen, was Karl Kip sogar noch in der Strafanstalt getan hat?... Nein, ich gebe sie nicht auf, die Wahrheit muß einst zu Tage treten. Nein, hundertmal nein!... Karl und Pieter Kip haben das Blut des Kapitäns Gibson nicht vergossen!... Sie sind keine Mörder!«

Sir Edward Carrigan wollte das Gespräch nicht weiter ausdehnen und vorzüglich nichts sagen, was Herrn Hawkins hätte schmerzen oder beleidigen können. Er begnügte sich also, ihn mit den Mitteilungen bekannt zu machen, die er von der Verwaltung von Port-Arthur erhalten hatte.

»Nach dem mir zugegangenen Berichte, sagte er, ist ein amerikanisches Schiff, der Dampfer ›Illinois‹, auf der hiesigen Reede erschienen, ohne daß [396] man sich den Zweck seines Anlaufens hier erklären konnte. Da es gestern Morgen wieder ausgelaufen ist, deutet alles darauf hin, daß es die Flüchtlinge an einem vorher verabredeten Punkte der Halbinselküste aufgenommen hat. Natürlich befördert es sie nach Amerika. Dort befinden sich die Feniers und ihr Helfershelfer als politische Verbrecher in voller Sicherheit, denn für solche ist in den internationalen Verträgen eine Auslieferung nicht vorgesehen. Anders liegt das bezüglich der beiden Holländer, die – sagen wir vorläufig – als gemeine Verbrecher zu gelten haben. Gelingt es also, die Gebrüder Kip aufzufinden, so wird ihre Auslieferung verlangt und auch zugestanden werden. Dann bringt man sie wieder nach Port-Arthur, von wo ihnen eine Flucht zum zweiten Male nicht gelingen dürfte.

– Alles das, Herr Gouverneur, unter der Bedingung, daß es mir nicht vorher gelungen wäre, die wirklichen Missetäter zu entdecken.«

Wozu hätte es dienen können, gegen so festgewurzelte Anschauungen noch mit Worten anzukämpfen? Eines stand ja fest: daß alle bisherigen Erfahrungen weit eher dem Gouverneur recht gaben, wenn das Hawkins auch sich zuzugestehen weigerte. Die öffentliche Meinung stand ebenfalls auf Seite des hohen Beamten. Der Verteidiger der Gebrüder Kip wurden immer weniger, ja schließlich war nur noch ein einziger übrig. Die Flacht der Holländer sprach zu sehr gegen sie. Offenbar hofften sie nicht mehr auf eine Wiederaufnahme der Angelegenheit oder wenigstens auf einen für sie günstigen Ausgang einer solchen, und deshalb... ja, deshalb waren sie entflohen. Da sich ihnen zur Wiedererlangung ihrer Freiheit eine passende Gelegenheit geboten hatte, hatten sie sich beeilt, sie zu benutzen.

Das waren die Folgen dieser Flucht, die gegen die beiden Brüder ausfiel und einen neuen Beweis ihrer Schuld lieferte.

Nat Gibson, der sich recht wohl sagte, daß Hawkins, ohne den letzten Vorkommnissen ein besonderes Gewicht beizulegen, immer noch bei seiner Überzeugung beharrte, vermied es sorgsam, mit dem Reeder über die Angelegenheit zu sprechen.

Er konnte sich aber nicht an den Gedanken gewöhnen, daß die Mörder seines Vaters aus Port-Arthur entwichen wären, daß politische Verbrecher diesen gestattet hätten, sich ihnen anzuschließen, und daß Amerika ihnen eine Freistatt gewähren könnte. Sie mußten, seiner Meinung nach, ausgeliefert werden und sollten dann ihre Strafe unter den härtesten Umständen verbüßen.

[397] Einige zwanzig Tage verliefen ohne Zwischenfall, der Lloyd tat in seinen Schiffsnachrichten der »Illinois« keine Erwähnung. Kein Schiff war dem Dampfer auf der Fahrt über den Großen Ozean begegnet. Übrigens bezweifelte niemand, daß dieser die Entweichung der Irländer bewerkstelligt habe. Nach der auf Befehl des Gouverneurs vorgenommenen Untersuchung hatte nach dem Sturme am 5. Mai nur ein einziges Schiff die Reede verlassen, und das war die »Illinois«. Anderseits hatten auch die Zeigertelegraphen des Kap Pillar kein von der Seeseite in die Storm-Bai einfahrendes Schiff gemeldet, die fünf Flüchtlinge mußten sich also mit der »Illinois« auf dem Wege nach Amerika befinden. Natürlich konnte aber niemand wissen, welchen Hafen der Vereinigten Staaten der Dampfer anliefe, noch wo die Gefangenen aus dem Bagno ausgeschifft werden würden. Wie hätte man da die Gebrüder Kip beim Betreten der Neuen Welt verhaften können?

Am 25. Mai hatten Herr und Frau Hawkins das große Vergnügen, einen Besuch zu empfangen, der ihnen schon seit einiger Zeit angekündigt war. Herr und Frau Zieger, die einige Wochen in Hobart-Town zu verleben gedachten, hatten Port-Praslin auf dem deutschen Dampfer »Faust« verlassen. Nach schneller Überfahrt waren sie in der Hauptstadt Tasmaniens gelandet, wo sie von ihren Freunden erwartet wurden.

Wie bei früheren Reisen stiegen Herr und Frau Zieger bei Hawkins ab, wo schon ein Zimmer zu ihrer Aufnahme bereitgestellt war. Ihr erster Besuch galt der Witwe des Kapitäns und deren Sohne. Nat Gibson und seine Mutter empfanden eine tiefe Gemütsbewegung bei dem Erscheinen des Herrn und der Frau Zieger, denn wovon anders hätten sie unter Tränen sprechen können, als von dem schrecklichen Trauerspiele in Kerawara?

Bei seiner Ankunft wußte Zieger noch nicht, daß die Gebrüder Kip aus der Strafanstalt von Port-Arthur entflohen waren. Als er es hörte, erkannte er darin, wie so viele andere, nur einen neuen Beweis, daß die Gerichte mit ihrer Verurteilung keinen Fehler begangen hätten.

Selbstverständlich drängte es Hawkins gleich in den ersten Tagen, sich mit seinem Geschäftsfreunde aus Port-Praslin über die Angelegenheit auszusprechen. Er entrollte dabei ein Bild des ganzen Vorgangs, erinnerte ihn an die geheimnisvollen Nebenumstände der Freveltat und fügte hinzu:

»Nun, sagen Sie mir, lieber Zieger: als Sie hörten, daß die beiden Brüder angeklagt waren, das Verbrechen begangen zu haben, und als es Ihnen zu [398] Ohren kam, daß sie verurteilt worden seien... haben Sie an deren Schuld glauben können?

– Nein, gewiß nicht, lieber Freund! Daß Karl und Pieter Kip Mörder wären, das erschien nicht annehmbar. Ich hatte in ihnen stets zwei ebenso intelligente wie ehrenhafte Männer gesehen, die für den Kapitän Gibson und für Sie voller Dankbarkeit waren, immer des Umstandes eingedenk, daß sie als Schiffbrüchige der »Wilhelmina« auf dem »James-Cook« freundliche Aufnahme gefunden hatten. Nein, ich hätte nie glauben können, daß sie so schuldbelastet wären.

– Und wenn sie es nun wirklich nicht wären? antwortete Hawkins, der Herrn Zieger gespannt ansah.

– Sie hegen darüber noch Zweifel... nach den Verhandlungen, die den Beweis dafür gebracht haben?

– Ich bewahre, so lange nicht unumstößliche Beweise geliefert werden, die Überzeugung, daß sie nicht die Urheber des Verbrechens sind.«

Gegenüber einer so bestimmten Erklärung sagte Zieger:

»Hören Sie mich an, lieber Hawkins. Hamburg und ich haben, in Kerawara und in Port-Praslin, sowie in ganz Neuirland die eingehendsten Nachforschungen unternommen. Es gibt keinen Volksstamm des Archipels, bei dem wir nicht Erkundigungen eingezogen hätten, deren Zuverlässigkeit kontrolliert wurde. Nirgends, auch nicht in Neubritannien, hat sich gegen einen Eingebornen der leiseste Verdacht ergeben, an der Ermordung des Kapitäns Gibson beteiligt gewesen zu sein.

– Ich sage auch gar nicht, lieber Zieger, daß das Verbrechen einem Eingebornen des Bismarck-Archipels zugesprochen werden müßte, sondern ich behaupte nur, daß es nicht von den Gebrüdern Kip begangen worden ist.

– Von wem denn sonst? fragte Zieger. Von irgendwelchen Kolonisten oder etwa von Matrosen?...

– Ja, von Matrosen.

– Und aus welcher Mannschaft, lieber Hawkins. Jener Zeit ankerten nur drei Schiffe im Hafen von Kerawara und kein einziges in Port-Praslin.

– O doch... eines...

– Und welches denn?

– Der ›James-Cook‹.

– Wie, Sie vermuten, daß einer oder mehrere Leute von der Brigg selbst die Mörder wären?

[399] – Jawohl, Freund Zieger, und zwar dieselben, die auf dem Wrack der ›Wilhelmina‹ die Waffe gefunden haben, deren sich der Mörder bedient hat, dieselben, die sie später in den Reisesack der Gebrüder Kip gesteckt haben, worin sie schon die Schiffspapiere und das Geld Gibsons versteckt hatten.

– Waren denn unter der Mannschaft des ›James-Cook‹ Leute, die einer solchen Schandtat fähig schienen? fragte Zieger.

– Ja freilich, erklärte Hawkins, unter anderen die Seeleute, die der Bootsmann Balt in Dunedin angemustert hatte und die eine Meuterei gegen den neuen Kapitän angezettelt haben.

– Und einer von diesen sollte der Mörder sein?...

– Nein, des Verbrechens beschuldige ich den Flig Balt...

– Den Bootsmann?

– Ja, den, den ich beim Auslaufen aus Port-Praslin zum Kapitän ernannt hatte und der durch seine Unfähigkeit und ohne das entschlossene Eingreifen Karl Kips die Brigg mit Mann und Maus zum Untergange gebracht hätte.«

Er setzte noch hinzu, daß Flig Balt einen Helfershelfer und als solchen den Matrosen Vin Mod gehabt haben werde.

Durch diese Mitteilungen tief erregt, drang Zieger noch weiter in Hawkins ein. Gründete sich sein Verdacht auf greifbare Unterlagen? Beruhten sie vielleicht nur auf Vermutungen, deren Richtigkeit sich jeder Beurteilung entzog? Man müßte dann also annehmen, daß der Bootsmann mit Unterstützung Vin Mods, in der Absicht, den Kapitän Gibson verschwinden zu lassen, schon von langer Hand her die Ränke gesponnen hätte, in deren Folge das Verbrechen auf das Haupt der Gebrüder Kip gewälzt wurde?

Wollte Flig Balt etwa eine Tat der Rache gegen sie ausführen, so konnte er zu einem solchen Entschluß doch erst nach der Ernennung Karl Kips zum Kapitän oder gar erst nach der Unterdrückung der Meuterei durch diesen gekommen sein.

Dieser Erwägung von unbestreitbarem Werte hatte sich sicherlich auch Hawkins nicht ganz verschlossen, doch unzugänglich in seiner festgewurzelten Überzeugung hatte er sie abgewiesen und wies sie noch jetzt von sich ab.

»Mein lieber Zieger, antwortete er, als Flig Balt und Vin Mod den Plan zu dem Morde entwarfen, waren sie schon im Besitz des Dolches, der den Gebrüdern Kip gehörte. Da wird ihnen der Gedanke gekommen sein, sich [400] seiner zu bedienen, damit später die Unglücklichen angeklagt werden könnten, den Kapitän Gibson umgebracht zu haben. Ihnen mag das nur als eine Vermutung erscheinen... für mich ist es eine Gewißheit.«

Die von Hawkins gegebene Erklärung deckte sich ja mit der Wahrheit.

»Leider, setzte er noch hinzu, haben Flig Balt und Vin Mod Hobart-Town schon seit Jahresfrist verlassen. Ich habe keine Zeit gehabt, sie zu überwachen und mir die, beide belastende Auskunft zu verschaffen, die dann schon zu einer Wiederaufnahme des Verfahrens geführt hätte. Ebenso ist es mir unmöglich gewesen, auszukundschaften, was aus ihnen geworden ist.

– Aber ich weiß es, ich... ich weiß es! rief Zieger lebhaft.

– Sie wissen es? antwortete Hawkins. indem er die Hände des Freundes ergriff.

– Ja gewiß! Ich habe Flig Balt, Vin Mod und die neuen Leute vom ›James-Cook‹ selbst gesehen.

– Wo?... Um Gottes willen, wo denn?

– In Port-Praslin.

– Und wann?

– Etwa vor drei Monaten.

– Sind sie auch noch dort?

– Nein, sie hatten auf einem deutschen Dreimaster, dem ›Kaiser‹, Heuer genommen und sind nach vierzehntägigem Aufenthalt von Port-Praslin in See gegangen.

– Wissen Sie auch wohin?

– Nach dem Salomonsarchipel; seitdem aber hab' ich nichts mehr von ihnen gehört.«

Flig Balt, Vin Mod, Len Cannon und dessen Kameraden hatten also Platz auf einem Schiffe gefunden. In welchem Hafen... das wußte man nicht sie gehörten dann aber zur Besatzung des »Kaisers«. Der Dreimaster hatte vor einigen Wochen in Port Praslin gelegen. Waren der Bootsmann und Vin Mod also die Mörder des Kapitäns Gibson, so hatten sie sich doch nicht gescheut, wie Herr Zieger bemerkte, nach jener Inselgruppe, dem Schauplatze des Verbrechens, zurückzukehren.

Jetzt waren sie nach den berüchtigten Gegenden weiter gesegelt, wohin sie die Brigg hatten schleppen wollen, und mit Hilfe ihrer Genossen wollten sie gewiß aus dem »Kaiser« machen, was ihnen mit dem »James-Cook« mißlungen [401] war. Wie sollte man aber später ihre Spuren an Bord eines Schiffes entdecken, dessen Namen sie jedenfalls verändert hatten?... Wie Hand an sie legen?... Machte ihre Abwesenheit nicht jede Revision der Kipschen Angelegenheit unmöglich?

So war die Sachlage. als einige Zeit darauf, am 20. Juni, der Lloyd in seinen Schiffsnachrichten das Eintreffen der »Illinois« in San Francisco, Kalifornien, Vereinigte Staaten, erwähnte. Schon am 30. Mai, etwa drei Wochen nach der Abfahrt aus der Storm-Bai, hatte der Dampfer O'Brien, Macarthy und Farnham aus Land gesetzt, wo diesen von ihren politischen Freunden der wärmste, begeistertste Empfang auf freiem Boden zu teil wurde. Die Zeitungen priesen mit überschwenglichen Ausdrücken das Gelingen der Flucht zu Ehren derer, die sie als eine Revanche des Feniertums vorbereitet hatten.

Gleichzeitig hörte man aber auch, daß die beiden Holländer, Karl und Pieter Kip, seit der Ausschiffung verschwunden wären.

Niemand wußte, ob sie sich in San Francisco verborgen hielten, um der amerikanischen Polizei nicht in die Hände zu fallen, oder ob sie sich mehr nach dem Innern der Vereinigten Staaten gewendet hätten. Und wenn jetzt auch ein Gesuch um Auslieferung der Flüchtigen gestellt wurde, kam es jedenfalls viel zu spät.

Diese Nachrichten hatten die Wirkung, den Anschauungen der vielen Ankläger der Gebrüder Kip nur noch mehr recht zu geben, und hatten damit die Folge, allen Zweifeln ein Ende zu machen, die bezüglich der Angelegenheit vielleicht noch bestanden hatten. Selbst Hawkins beschränkte seine bisherigen Bemühungen zu Gunsten der beiden Holländer, obwohl er sich in seiner Überzeugung auch jetzt noch nicht schwankend machen ließ. Wozu hätte aber eine Revision des Prozesses gedient, da die aus der Strafanstalt von Port-Arthur entwichenen Angeklagten sich nach Amerika geflüchtet hatten, von wo sie voraussichtlich doch niemals zurückkehrten?

Man beschäftigte sich also nicht weiter mit dem Drama von Kerawara, als sich am Vormittage des 25. Juni in der Stadt ein Gerücht verbreitete, dem freilich anfänglich niemand Glauben schenken wollte.

Karl und Pieter Kip, hieß es, wären am Abend vorher zurückgekehrt, verhaftet und zunächst ins Gefängnis von Hobart-Town gebracht worden.

[402]
15. Kapitel
Fünfzehntes Kapitel.
Eine neue Tatsache.

Nein, es konnte sich hier nur um eines der falschen Gerüchte handeln, die ihren Ursprung haben, niemand weiß wo, und sich verbreiten, niemand weiß wie, mit denen sich aber die öffentliche Meinung bald nach Gebühr abzufinden pflegt.

Wär' es denn glaublich, daß die Gebrüder Kip, denen sich eine so unerwartete Gelegenheit zur Flucht nach Amerika geboten hatte, nach Tasmanien zurückkehren sollten?... Sie, die Mörder des Kapitäns Gibson... sie wären selbst wieder ins Netz gelaufen?... Oder war etwa das Schiff, mit dem sie von San Francisco abgefahren waren, nur durch besondere Umstände genötigt worden, die Reede von Hobart-Town anzulaufen? Hier erkannt, angezeigt und verhaftet, wären sie dann also ins Gefängnis abgeführt worden, um später wieder in die Strafanstalt eingeliefert zu werden, wo man schon jeden zweiten Fluchtversuch zu verhindern wissen würde. Der Gedanke, daß sie freiwillig zurückgekehrt wären, daß sie eine solche Unklugheit begangen hätten, erschien doch ganz unannehmbar.

Wie dem aber auch sein mochte... selbst alle Hitzköpfe konnten sich davon noch an diesem Morgen überzugen... Karl und Pieter Kip befanden sich seit dem gestrigen Abend im Gefängnisse der Hauptstadt. Dessen Direktor weigerte sich aber zu sagen, unter welchen Umständen sie hierher gebracht und auf welche Weise sie verhaftet worden seien.

Wenn das unerwartete Ereignis auch unerklärbar erschien, so gab es hier doch einen, dem seine Überzeugung die richtige Erklärung dafür eingab. In seiner Seele, richtiger in seinem Herzen, wurde Licht, wie durch eine Offenbarung. Ja, das war die Lösung des Rätsels, worüber er seit der überraschenden Flucht der Gebrüder Kip nachgesonnen hatte.

»Sie sind überhaupt nicht entflohen! rief Hawkins. Sie sind von Port-Arthur mit Gewalt entführt worden. Jawohl, und jetzt sind sie aus freien Stücken zurückgekehrt, zurückgekehrt, weil sie unschuldig sind, weil sie wollen, daß ihre Unschuld fleckenlos an den Tag komme!«

[403] Das war die Wahrheit.

Gestern Abend war ein amerikanischer Dampfer, der »Standard« aus San Diego, mit einer für Hobart-Town bestimmten Landung auf der Reede vor Anker gegangen. Karl und Pieter Kip befanden sich darauf als Passagiere.

Während der Fahrt der »Illinois« zwischen Port-Arthur und San Francisco hatten die beiden Brüder gegenüber ihren früheren Genossen im Bagno anfänglich die größte Zurückhaltung bewahrt, ja sogar gegen ihre Entführung Einsprache erhoben. Als sie dann von neuem versicherten, daß sie nicht die Mörder des Kapitäns Gibson wären, setzten weder O'Brien und Macarthy, noch Farnham und alle übrigen in diese Versicherung einen Zweifel mehr. Und wenn sie selbst ihr Entkommen bedauerten, war es nur, weil eine Revision ihres Prozesses bevorstände, eine Revision, die unter den jetzigen Umständen vielleicht nicht aufgenommen worden wäre.

War es anderseits nichts als ein reiner Zufall gewesen, der die Gebrüder Kip nach der Saint-Jamesspitze geführt hatte, so hatten sie doch dem Drange, den Aufsehern mit entgegenzutreten, unmöglich widerstehen können. Erschien es da nicht als ganz natürlich, daß die Feniers diesen Umstand benützt hatten, sie an Bord des amerikanischen Dampfers mitzunehmen?... Nach dem wichtigen Dienste, den Karl und Pieter Kip den Irländern kurz vorher geleistet hatten, war das ja nur eine Tat der Dankbarkeit, die ausgeführt zu haben sie doch wohl nicht zu bereuen hatten. Nein... übrigens, was geschehen war, war nun einmal geschehen.

Gleich bei der Ankunft der »Illinois« verabschiedeten sich die Gebrüder Kip von den Irländern, die sie vergebens zurückzuhalten suchten. Wohin sie sich begeben würden, das sagten die Holländer nicht. Da sie aber völlig mittellos dastanden, schlugen sie es nicht ab, ein paar hundert Dollars unter der Bedingung anzunehmen, den Betrag zurückzuerstatten, sobald es ihnen möglich wäre. Nach einem letzten Abschiedsworte trennten sie sich dann von O'Brien, Macarthy und Farnham.

Glücklicherweise war vom großbritannischen Konsul noch kein Auslieferungsgesuch an die amerikanischen Behörden eingereicht worden, so daß die Polizei sie bei ihrer Ausschiffung nicht hatte verhaften können.

Vom Tage der Landung an sah man die beiden Brüder nicht mehr in den Straßen von San Francisco, so daß man annehmen mußte, sie hätten die Stadt verlassen.

[404] Tatsächlich hatten Karl und Pieter Kip achtundvierzig Stunden nach dem Betreten des Landes ein bescheidenes Gasthaus in San Diego, der Hauptstadt Niederkaliforniens, aufgesucht, wo sie ein Schiff zu finden hofften, das bald nach einem der australischen Häfen abginge.

Ihr Entschluß stand fest, sobald wie möglich nach Hobart-Town zurückzukehren und sich selbst den Gerichten zu stellen, die sie so ungerechterweise verurteilt hatten. Konnte ihre Flucht als ein Eingeständnis ihrer Schuld gedeutet werden, so mußte die Rückkehr einem Zeugnisse für ihre Schuldlosigkeit gleichkommen... Nein, sie wollten nicht in der Fremde leben, belastet mit einer so schweren Anklage und immer bedroht, erkannt, angezeigt und verhaftet zu werden. Ihr Streben richtete sich nur auf eine Wiederaufnahme des früheren Verfahrens und darauf, vor der Öffentlichkeit eine Ehrenerklärung zu erlangen.

Von dieser Absicht und ihrer Ausführung hatten Karl und Pieter Kip auch während der Fahrt auf der »Illinois« immer und immer wieder gesprochen. In Karls Innern regte sich da wohl ein gewisses Widerstreben, jetzt, wo er sich frei fühlte, auf diese Freiheit zu verzichten, sich der irdischen Gerechtigkeit, der menschlichen Fehlbarkeit wieder auszuliefern. Er fügte sich jedoch schließlich den Vorstellungen seines Bruders.

Beide weilten also in San Diego und suchten sobald wie möglich Platz auf einem Schiffe, das nach Tasmanien bestimmt wäre. Der Zufall war ihnen günstig. Der für Hobart-Town ladende Dampfer »Standard« nahm auch Passagiere verschiedener Klasse auf. Karl und Pieter Kip begnügten sich mit der letzten und trugen sich in die Passagierliste unter angenommenen Namen ein. Am nächsten Tage lief der Dampfer mit einem Kurse nach Südwesten aus. Nach ziemlich langer, durch schlechtes Wetter auf dem Großen Ozean verzögerten Fahrt umschiffte er endlich die äußerste Landspitze von Port-Arthur und ging auf der Reede von Hobart-Town vor Anker.

Von allem, was hier mit kurzen Worten geschildert ist, erhielt die Stadt schon in den nächsten Stunden Kenntnis. Sofort schlug damit die öffentliche Meinung zu Gunsten der Gebrüder Kip um, was ja am Ende nicht zu verwundern ist... Sie waren also doch die Opfer eines Justizirrtums?... Sie waren nicht freiwillig aus der Strafanstalt entwichen und sogar, sobald sich ihnen dazu Gelegenheit bot, von Amerika nach Tasmanien zurückgekehrt! Jetzt mußte es doch wohl tunlich sein, ihre Schuldlosigkeit haltbarer zu begründen, als durch den guten Glauben einzelner Personen.

[405] Sobald jene Nachricht Herrn Hawkins erreichte, beeilte er sich, nach dem Gefängnisse zu gehen, dessen Pforten sich ihm bereitwillig öffneten.

Eine Minute später befand er sich Auge in Auge gegenüber den beiden Brüdern, die zusammen in einer Zelle saßen.

Beim Eintreten des Reeders erhoben sie sich und faßten einander an der Hand.

»Für Sie, Herr Hawkins, hat unsere Rückkehr nicht die Bedeutung eines neuen Zeugnisses, begann Karl Kip. Sie kannten die Wahrheit schon längst und haben uns niemals für schuldig gehalten. Diese Wahrheit mußten wir auch allen anderen vor Augen führen, darum sind wir mit dem ›Standard‹ wieder nach Hobart-Town gekommen.«

Hawkins fühlte sich so tief bewegt, daß es ihm zunächst an Worten fehlte, dafür perlten ihm aber die Tränen aus den Augen.

»Ja, meine Herren, sagte er endlich, es ist eine gute, eine große Tat, die Sie vollbracht haben! Hier wartet Ihrer die Wiederaufrichtung Ihrer Ehre und die herzliche Teilnahme aller ehrlichen Leute!... Sie durften aus Port-Arthur nicht wegbleiben. Alle die Anstrengungen, die ich vorher gemacht, die Schritte, die ich bis jetzt getan habe, sollen sofort wieder aufgenommen werden. Sie werden nicht vergeblich sein... Ihre Hand, Pieter Kip, und die Ihrige, Kapitän des ›James-Cook‹!«

Als er Karl Kip diesen Titel beilegte, geschah es, ihn seiner unveränderten Hochachtung zu versichern.

Dann kamen alle drei auf die sie bewegende Angelegenheit selbst und auf die Verdachtsgründe zu sprechen, die gegen den Bootsmann und gegen Vin Mod vorlagen. Die beiden Brüder erfuhren dabei, daß Flig Balt, Vin Mod, Len Cannon und dessen Kameraden auf dem »Kaiser« Heuer genommen hatten und nach längerem Aufenthalt in Port-Praslin nach den Salomonsinseln abgesegelt waren. Zur Stunde hatten sie sich vielleicht schon dieses Fahrzeuges bemächtigt und trieben Seeräuberei in dem Teile des Großen Ozeans, wo an ihre Auffindung kaum zu denken war.

»Ja, bemerkte Pieter Kip, selbst wenn nun Flig Balt und seine alten Genossen vom ›James-Cook‹ dem Kriminalgerichtshof vorgeführt würden, welche anderen Beweise könnten wir gegen sie vorbringen?... Sie träten doch wieder als Ankläger auf, und welches Mittel hätten wir zu beweisen, daß sie die Mörder des Kapitäns Gibson sind und nicht wir?

[406] – Man wird unseren Aussagen glauben, rief Karl Kip, wird uns glauben, da wir zurückgekommen sind, für unsere Schuldlosigkeit einzutreten!«

Vielleicht... doch welche neue Tatsachen waren ins Feld zu führen, um überhaupt eine Wiederaufnahme des Prozesses durchzusetzen?

Wir brauchen wohl nicht erst die Wirkung zu schildern, die Karl und Pieter Kips Rückkehr auf die beiden Familien hervorbrachte. Frau Gibson, die jetzt bezüglich der beiden Holländer eine Beute der quälendsten Zweifel war, gelang es doch nicht, die Überzeugung ihres Sohnes zu erschüttern. Das kann ja nicht wundernehmen, da für Nat Gibson seit so langer Zeit und nach den Tatsachen, die bei der Verhandlung gegen Flig Balt ans Licht gekommen waren, die Mörder seines Vaters nur die beiden Brüder waren, nur diese es sein konnten. In seinen Gedanken verweilte er noch immer auf dem Schauplatze des Verbrechens. Er sah seinen unglücklichen Vater im Walde von Kerawara überfallen, getroffen von der Hand derer, die er von der Insel Norfolk aufgenommen hatte, ermordet durch die Schiffbrüchigen von der »Wilhelmina«!... Ja, alle Ermittelungen sprachen doch gegen sie, und was konnte man darauf erwidern?... Unbewiesene und unbestimmte Annahmen bezüglich des Bootsmannes und seines Genossen. Und doch waren sie jetzt nach Hobart-Town zurückgekehrt... freiwillig zurückgekehrt!

Selbstverständlich hatte Herr Hawkins sofort um eine Audienz bei Sir Edward Carrigan nachgesucht. Der Gouverneur, dem die Sache ebenfalls zu Herzen ging, beschloß alles, was in seiner Macht stände, zu tun, jenen Justizirrtum zu beseitigen und eine Revision einzuleiten, die den Gebrüdern Kip ihre bürgerliche Ehre wiedergeben müßte. Wie sehr wäre dieses Vorhaben begünstigt worden, wenn man Flig Balt, Vin Mod und ihre Genossen hätte dingfest machen können!

Es erklärt sich wohl leicht, daß die Einwohnerschaft von Hobart-Town bei der überall herrschenden Erregung sich entschieden zu Gunsten Karl und Pieter Kips aussprach. Wer kennt nicht die Wandelbarkeit der großen Menge? Dergleichen ist ja ganz gewöhnlich. Doch rechtfertigte im vorliegenden Falle nicht alles, was seit der ersten Verhaftung der beiden Brüder geschehen war, diesen Umschlag der öffentlichen Meinung?

Sehr bald wurde ein Richter des Kriminalgerichtes beauftragt, die Untersuchung der Angelegenheit wieder aufzunehmen oder eigentlich wieder anzufangen. Er sollte die beiden Verurteilten aufs neue befragen und nötigenfalls noch [407] weitere Zeugen aufrufen. Irgend eine neue Tatsache konnte doch noch mehr für die Unschuld der Holländer sprechen und eine Revision des Prozesses herbeiführen.

Ergab die erneute Untersuchung freilich nicht, daß einer oder mehrere andere als die Gebrüder Kip die Mörder des Kapitäns Gibson waren, so behielt das frühere Urteil seine Rechtskraft, und eine eigentliche Wiederaufnahme des ganzen Verfahrens blieb dann ausgeschlossen.

Die Voruntersuchung nahm also ihren gesetzlich vorgeschriebenen Lauf. Unter den vorliegenden Verhältnissen, der Entfernung des Tatortes und der Schwierigkeit aller Nachforschungen bezüglich Flig Balts, Vin Mods, Len Cannons und der übrigen, die sich auf dem »Kaiser« befinden sollten, mußte sie sich jedenfalls sehr lange hinziehen.

In dieser Voraussicht wurde auch gleich vom ersten Tage an die Gefängnisordnung für die beiden Gefangenen wesentlich gemildert, und diese wurden nicht von der Welt abgesperrt gehalten. Man verschloß ihre Zelle nicht den Personen, die sich für ihr Schicksal interessierten, und darunter befanden sich natürlich die Herren Hawkins und Zieger, deren ermutigendes Zu reden ihnen die Erduldung dieser immerhin harten Prüfung erleichterte.

Der Lord chief-justice des Vereinigten Königreiches war von der überraschenden Wendung der Angelegenheit in Kenntnis gesetzt worden. Da man großes Gewicht auf die Entdeckung des »Kaisers« legte, wurde Befehl gegeben, in dem Teile des Großen Ozeans, der Neuguinea, den Bismarck-Archipel, die Salomonsinseln und die Neuen Hebriden umfaßt, nach dem Schiffe zu suchen. Die deutsche Verwaltung hatte dieselben Maßregeln angeordnet, schon mit Rücksicht auf die Möglichkeit, daß der »Kaiser« in den Gegenden, die unter deutscher und englischer Schutzherrschaft stehen, doch Piraten in die Hände gefallen sein könnte.

In Hobart-Town, wo der Untersuchungsrichter und Herr Hawkins die getroffenen Maßregeln kannten, betrieben diese beiden die Auffindung weiterer Zeugen.

Die beiden Brüder waren über ihren Aufenthalt im Gasthause zum Great Old Man befragt worden und vor allem, ob sie bemerkt hätten, daß das Zimmer neben dem ihrigen bewohnt gewesen sei. Darüber konnten sie keine Auskunft geben, denn sie hatten das Gasthaus stets früh am Morgen verlassen und es erst zum Schlafengehen wieder aufgesucht.

[408] Der Beamte und Herr Hawkins hatten sich selbst nach dem genannten Gasthause begeben und da gesehen, daß der innere Balkan des Hofes recht gut ein Eindringen in das Nachbarzimmer ermöglichte.


»Sie... sie!... Die Mörder meines Vaters!« (S. 412.)

Der Gastwirt, bei dem häufig viele Personen die Nacht zubrachten, erinnerte sich aber nicht, von wem das zweite Zimmer damals bewohnt gewesen wäre.

Anderseits konnte der Wirt der Fresh-Fishs, als er vor Gericht gerufen war, der Wahrheit entsprechend versichern, daß Vin Mod und die [409] übrigen seit der Ankunft des »James-Cook« bis zum Tage der Verhaftung der Gebrüder Kip ununterbrochen in seinem Hause gewohnt hätten.

So kam der 20. Juli heran. Mehr als ein Monat war bereits verflossen, seit Karl und Pieter Kip sich der Behörde freiwillig gestellt hatten. Die Voruntersuchung verlief ergebnislos. Ein Umstand, auf den sich die Revision hätte stützen können, fehlte noch immer. Hawkins erlahmte deswegen noch nicht, seine Ohnmacht verursachte ihm aber doch recht schweren Kummer.

Trotz der vertröstenden Worte des Reeders, überließ sich Karl Kip zuweilen einer völligen Verzweiflung, wogegen sein Bruder nur mit Mühe anzukämpfen vermochte. Er machte Pieter vielleicht sogar Vorwürfe, von Amerika nach Australien haben zurückkehren zu wollen, um sich hier dem Gerichte auszuliefern, das sie schon einmal verurteilt hatte.

»Und das uns auch ein zweites Mal verurteilen wird, sagte eines Tages Karl Kip.

– Nein... Bruder... nein! rief Pieter Kip. Das wird Gott nicht zulassen!

– Er hat es doch zugelassen, daß wir als Mörder zum Tode verurteilt, daß unsere Namen geschändet wurden.

– Habe nur Vertrauen, mein armer Bruder, verliere das Gottvertrauen nicht!«

Pieter Kip konnte nicht anders antworten. Sein Vertrauen wurde freilich durch nichts erschüttert: es war so fest begründet, wie das des Herrn Hawkins auf ihre Unschuld.

Zu dieser Zeit bekümmerte sich Herr Zieger, dessen Aufenthalt in Hobart-Town sich nicht über zwei Wochen ausdehnen sollte, schon um Plätze auf einem deutschen oder englischen Dampfer, der nach Port-Praslin abgehen sollte.

Die zwei Wochen verlebten die beiden Familien im traulichsten Umgange. Seit der Rückkehr der Gebrüder Kip teilten sie bezüglich dieser die gleichen Gedanken, die gleichen Hoffnungen. Frau Gibson quälte die Vorstellung, daß hier zwei Unschuldige die Opfer eines Justizirrtums gewesen seien, und sie litt schwer daran, sich die Lage der Sache immer noch nicht verändern zu sehen.

In der Tat blieb die Angelegenheit, soweit eine Revision in Frage kam, sozusagen auf dem toten Punkte. Neue Erkundigungen in Holland über die Gebrüder Kip bestätigten nur die früher erhaltene Auskunft. In dem Lande, wo die Erinnerung an die geachtete Familie noch fortlebte, gab es nur wenige, die [410] an eine Schuld des Brüderpaares geglaubt hatten, nachdem aber gar ihre Rückkehr in Groningen bekannt geworden war, gestand jeder zu, daß ihre Verurteilung nur auf einem Justizirrtum beruhen könnte.

Alles kam aber doch nur auf menschliche Gefühle hinaus, und der Beamte erhielt keine Aufklärung, die juristisch gewichtig genug gewesen wäre, eine Wiederaufnahme der Angelegenheit zu rechtfertigen.

Was das deutsche Schiff, den »Kaiser«, betraf, so meldeten die Schiffsnachrichten nach seinem Auslaufen von Port-Praslin nichts davon, daß es an den Salomonsinseln oder an einer der benachbarten Inselgruppen vorbeigesegelt wäre. Es blieb also nach wie vor unmöglich zu wissen, was aus Flig Balt, Vin Mod und etwaigen anderen, die bei dem Verbrechen von Kerawara in Betracht kamen, in der letzten Zeit geworden sein möchte.

Zum größten Leidwesen des Herrn Hawkins wollte der Beamte schon auf die weitere Voruntersuchung verzichten. Das bedeutete aber die endgültige Verurteilung und die Wiedereinlieferung der beiden Brüder in die Strafanstalt von Port-Arthur, wenn nicht etwa ein königlicher Gnadenakt ihren schrecklichen Prüfungen ein Ende machte.

»Eher in den Tod als zurück in den Bagno! rief Karl Kip.

– Oder der Gegenstand entehrender Gnade zu sein!« erklärte sein Bruder.

Es ist leicht begreiflich, daß diese Lage der Dinge die Geister allgemach erhitzen und zu Ausdrücken des öffentlichen Unwillens verleiten mußte.

Die Abreise des Herrn und der Frau Zieger sollte am 5. August mit einem englischen, nach dem Bismarck-Archipel bestimmten Dampfer erfolgen. Nun erinnert sich der Leier wohl, daß Hawkins gleich an dem Tage des Verbrechens von Kerawara zwei photographische Aufnahmen des Kapitäns Gibson gemacht hatte, die diesen halb entblößt und seine Brust von dem Kriß durchbohrt wiedergaben.

Vor der Rückkehr nach Port-Praslin ersuchte noch Zieger den Reeder, ihm ein vergrößertes Bild des Kopfes Gibsons anzufertigen, das er in seinem Salon in Wilhelmstaf aufhängen wollte.

Hawkins kam dem Wunsche seines Geschäftsfreundes bereitwillig nach. Er gedachte, von der neuen Platte auch gleich mehrere Abzüge zu machen, die in den Familien Gibson, Hawkins und Zieger als Andenken aufbewahrt werden sollten.

Am Morgen des 27. Juli machte sich Hawkins an die Arbeit in seinem Atelier, das mit den besten Apparaten ausgestattet war, welche schon zu jener [411] Zeit, dank der Einführung höchst lichtempfindlicher Chemikalien, wirkliche Kunstwerke herzustellen gestatteten. Da er unter den günstigsten Umständen arbeiten wollte, benutzte er die negative, in Kerawara selbst hergestellte Platte, von der er nur den Kopf des Kapitäns Gibson aufnehmen wollte.

Nach Einlegung der Platte in die Vergrößerungs-Camera stellte er den Apparat so ein, daß er ein Bild des Kopfes in natürlicher Größe erhalten mußte.

Da gerade sehr günstiges Licht war, genügten wenige Augenblicke zur Aufnahme und kurze Zeit zum Kopieren. Dann brachte Hawkins die neue Photographie in einen Rahmen und stellte sie auf einer Staffelei mitten im Zimmer auf.

Auf eine Mitteilung des Herrn Hawkins hin, fanden sich am Nachmittage Zieger und Nat Gibson bei ihm ein.

Ihre Gemütserregung, als sie sich dem naturgetreuen Bilde Harry Gibsons, dem lebendähnlichen Porträt des unglücklichen Kapitäns gegenübersahen, läßt sich mit der Feder kaum schildern.

Ja, das war er, sein ernstes und doch wohlwollendes Gesicht, jetzt freilich mit dem Ausdrucke der Todesangst, der darauf gelegen hatte, als die Mordgesellen ihm das Herz durchbohrten... in dem Augenblicke, wo er sie noch mit weitgeöffneten Augen angestarrt hatte.

Nat Gibson war an die Staffelei herangetreten. Seine Brust wogte auf und ab und er schluchzte in neuem Schmerze, den Hawkins und Zieger aufrichtig teilten, als sie den Kapitän scheinbar in vollem Leben vor sich sahen.

Da beugte sich der Sohn nieder, um die Stirn seines Vaters zu küssen.

Plötzlich hielt er ein, und näherte sich nach weiter, die Augen starr auf die des Bildes geheftet.

Was mochte er denn sehen oder zu sehen glauben?... Er schwankte, in seinem Gesichte zuckte es... er wird bleich wie der Tod... es steht aus, als wollte er sprechen und könnte es doch nicht... seine Lippen ziehen sich krampfhaft zusammen... ihm fehlt die Stimme...

Endlich rafft er sich auf, ergreift auf einem Tische eine der starken Lupen, deren sich die Photographen bedienen, wenn sie noch Kleinigkeiten auf einem Abzug nachretouchieren... er hält das Glas noch näher an die Photographie und jetzt stößt er mit halberstickter Stimme hervor:

»Sie... sie!... Die Mörder meines Vaters!«

[412] Im Hintergrunde der Augen des Kapitäns Gibson zeigten sich auf der vergrößerten Netzhaut in all ihrer blutgierigen Wildheit die Gestalten Flig Balts und Vin Mods!

16. Kapitel
Sechzehntes Kapitel.
Schluß.

Schon seit einiger Zeit ist durch merkwürdige ophthalmologische Versuche, die von geistvollen Gelehrten, verdienstreichen Beobachtern ausgeführt wurden, unzweifelhaft nachgewiesen worden, daß sich Gegenstände der Außenwelt, die sich nur einmal auf der Netzhaut abspiegelten, auf dieser lange Zeit erhalten können. Das Organ des Gesichtssinnes enthält einen besonderen Stoff, den Aderhautpurpur, auf dem sich die Bilder getreu fixieren. Man kann sie sogar in voller Klarheit erkennen, wenn das Auge nach dem Ableben herausgenommen und in ein Alaunbad gelegt wurde.

Was bisher über die Fixierung solcher Bilder bekannt war, sollte unter den hier vorliegenden Umständen eine unbestreitbare Bestätigung finden.

In dem Augenblicke, wo der Kapitän Gibson den letzten Seufzer aushauchte, haftete sein letzter Blick – ein Blick des Schreckens und der Angst – auf den Mördern, und im Grunde seiner Augen fixierten sich die Gestalten Flig Balts und Vin Mods. Und als Hawkins das beklagenswerte Opfer photographierte, erschienen auch die geringsten Einzelheiten des Gesichtes auf der Platte wieder. Schon auf dem ersten Abzuge hätte man unter Benützung eines starken Vergrößerungsglases im Grunde des Augapfels die Gesichter der beiden Mörder erkennen können, und dort fand man sie auch noch jetzt wieder.

Wie hätte damals aber den Herren Hawkins, Zieger und Hamburg ein solcher Gedanke kommen sollen?... Nein, es bedurfte das des Zusammenwirkens aller Nebenumstände, des von Herrn Zieger geäußerten Wunsches, eine vergrößerte Photographie des Kapitäns Gibson nach Port-Praslin mitzunehmen, und ebenso der Herstellung dieses vergrößerten Bildes im Atelier des Reeders.

[413] Als dann Nat Gibson herangetreten war, um das Bild seines Vaters zu küssen, da glaubte er im Hintergrunde der Augen zwei leuchtende Stellen zu erblicken. Er nahm deshalb eine Lupe zu Hilfe und sah und erkannte nun deutlich die Gestalt des Bootsmannes und die seines Helfershelfers.

Jetzt haben nach ihm auch die Herren Hawkins und Zieger sie gesehen und wiedererkannt. Karl und Pieter Kip waren es nicht, deren Bild das Auge des Toten bewahrt hatte... es war Flig Balt und war Vin Mod!

Sie war also endlich gefunden, die neue Tatsache, der unanfechtbare Beweis der Unschuld der Angeklagten, der nun eine Revision des Prozesses von selbst nötig machte. Die Echtheit der ersten, in Kerawara hergestellten Aufnahme konnte niemand in Zweifel ziehen, sie war schon den Akten des Kriminalgerichts beigefügt worden, und die jetzige Vergrößerung bildete nur eine vollkommen getreue Wiedergabe des ersten Bildes.

»Ach, die Unglücklichen!... Die Ärmsten! rief Nat Gibson ganz außer sich. Sie... unschuldig... und ich Verblendeter, wo Sie jene für unrechtmäßig verurteilt hielten und sie retten wollten...

– Jetzt bist du, lieber Nat, aber doch der, der sie gerettet hat, antwortete Hawkins, ja ja, du, der etwas entdeckt hat, was vielleicht keiner von uns gesehen hätte!«

Eine halbe Stunde später erschien, die kleine und die vergrößerte Photographie mitbringend, der Reeder schon in der Residenz und ersuchte darum, von Seiner Exzellenz sofort empfangen zu werden.

Sir Edward Carrigan ließ Herrn Hawkins ohne Zögern in sein Kabinett führen.

Hier von dem Vorgekommenen unterrichtet, erklärte der Gouverneur, daß dieses Bild einen greifbaren Beweis von unleugbarem Werte abgebe. Die Unschuld der Gebrüder Kip, die Ungerechtigkeit des über sie gefällten Urteils... alles lag ja klar auf der Hand, und das Gericht werde es nun gar nicht ablehnen können, dem Verlangen nach einer Revision zu entsprechen.

Das war auch die Ansicht des Beamten, nach dessen Bureau sich Hawkins von der Residenz aus begab. Er hatte diese zwei Besuche erledigen wollen, ehe er mit Herrn Zieger und Nat Gibson nach dem Gefängnisse ging. Jetzt handelte es sich nicht mehr um Voraussetzungen, sondern um Gewißheiten. Sprach schon die ganze Vergangenheit der Gebrüder Kip gegen das Urteil des Schwurgerichts, so hatte sich das auch für die Gegenwart als richtig erwiesen.

[414] Die Urheber der Freveltat waren nun bekannt... ihr Opfer war an ihnen zum Verräter geworden, es hatte den früheren Bootsmann vom »James-Cook« und den Matrosen Vin Mod als die Täter bezeichnet!

Wie verbreitete sich aber die Neuigkeit in der ganzen Stadt?... Wo war die Quelle für diese Nachrichten?... Wer mochte der erste gewesen sein, der von der Entdeckung erzählt hatte, die im Atelier des Reeders Hawkins gemacht worden war?... Kein Mensch wußte das.

Es steht dagegen fest, daß es bereits bekannt war, ehe der Reeder sich nach der Residenz begeben hatte. Bald sammelte sich denn auch eine lärmende, aufgeregte Menschenmenge vor dem städtischen Gefängnisse an.

In ihrer Zelle vernahmen Karl und Pieter Kip den außergewöhnlichen Lärm und laute Rufe, worin ihr Name unzählige Male vorkam.

Sie traten an das schmale, vergitterte Fenster, das nach einem inneren Hofe zu lag, und lauschten voll ängstlicher Spannung dem Geräusche draußen, denn sehen konnten sie von diesem Fenster aus nicht, was auf den Straßen der Umgebung vorging.

»Was mag da nur los sein? fragte Karl Kip. Kommt man etwa schon, uns in den Bagno zurückzuschaffen?... O, ehe ich mich diesem entsetzlichen Leben wieder unterwerfe...«

Pieter Kip antwortete auf diese Andeutung heute gar nichts.

Da wurden vom Vorsaale her eilige Schritte hörbar. Die Tür der Zelle öffnete sich. Auf der Schwelle erschien Nat Gibson in Begleitung der Herren Hawkins und Zieger.

Halb gebeugt und die Hände den beiden Brüdern entgegenstreckend, blieb Nat Gibson stehen.

»Karl... Pieter... rief er, verzeiht mir, ach, verzeiht mir!«

Die Holländer verstanden ihn nicht, konnten ihn nicht verstehen. Der Sohn des Kapitäns Gibson war es, der bittend zu ihnen kam, der ihre Verzeihung erflehte.

»Unschuldig, ihr seid unschuldig! rief da Hawkins jubelnd. Wir haben den Beweis dafür in den Händen...

– Und ich... ich habe vorher glauben können...« stieß Nat Gibson noch hervor, während er Karl Kip in die ausgebreiteten Arme sank.

Die Revision nahm nicht mehr Zeit in Anspruch, als die gesetzlichen Formalitäten forderten. Jetzt war es ja leicht genug, festzustellen, wie alles sich zugetragen [415] hatte: Auf dem Wrack der »Wilhelmina« war der den Gebrüdern Kip gehörende Malaiendolch gefunden worden. Vin Mod hatte ihn bei dieser Gelegenheit gestohlen und nach der Brigg mitgenommen. Diese Waffe war es, deren sich Flig Balt und er bei Begehung des Verbrechens, und zwar in der Absicht bedient hatten, die Untat den beiden Passagieren des »James-Cook« zuschieben zu können. Sie waren es ferner gewesen, die dem Schiffsjungen Jim den Dolch in der Kabine der Brüder hatten sehen lassen.

Die in dem Zimmer im Great Old Man vorgefundenen Schiffspapiere, das Geld und den Kriß hatten sie darin am Vorabende des Tages versteckt, wo Flig Balt vor dem Seegerichte erscheinen sollte, und das konnte nur durch den noch frei umhergehenden Helfershelfer des Bootsmannes, durch den Matrosen Vin Mod geschehen sein.

Jetzt stand es auch außer Zweifel, daß der Mann, der zu jener Zeit im Gasthause das Zimmer neben dem der Gebrüder Kip bewohnt hatte, kein anderer als der Schurke Vin Mod gewesen war. Gleich nach der Ankunft des »James-Cook« und nachdem er sich überzeugt hatte, daß die Gebrüder Kip in diesem Gasthause wohnen würden, hatte er sich darin ein Zimmer gesichert.

In vortrefflicher Verkleidung, die jedes Erkanntwerden ausschloß, hatte er den geeigneten Zeitpunkt abgewartet, die Papiere, die Piaster und den Kriß in dem Reisesacke der Holländer zu verbergen, wo man sie den nächsten Tag bei der gerichtlichen Haussuchung auffand.

In dieser Weise war also das abscheuliche Ränkespiel durchgeführt worden.

Hawkins hatte zwar schon längere Zeit gegen den Bootsmann und seinen Genossen Vin Mod schweren Verdacht gehegt, dieser mußte sich aber doch erst zur Gewißheit verdichten.

Dazu hatte es jedoch nichts Geringeren bedurft, als der letzten, unvermuteten Entdeckung, die der Allgemeinheit durch die Tagespresse von Hobart-Town erst näher zur Kenntnis kam und die sofort einen ebenso einmütigen wie gerechtfertigten Stimmungsumschlag herbeiführte.

Schon zwei Tage nachher erklärte die zuständige Behörde dem Gesuche um eine Revision der Angelegenheit stattzugeben. Gestützt auf die neue Tatsache, gestand man offiziell die Möglichkeit eines Rechtsirrtums zu, und die Gebrüder Kip wurden nochmals vor das Kriminalgericht geladen.


[416]
»Karl... Pieter... rief er, verzeiht mir, ach, verzeiht mir!« (S. 415.)

[417] [419]Bei dieser zweiten Verhandlung der Sache war eine noch größere Zuhörerschar als bei der ersten zusammengeströmt, die diesmal aber den beiden Brüdern ausnahmslos günstig gestimmt war. Natürlich beklagte man allgemein, daß gewisse Zeugen jetzt nicht vor den Schranken erscheinen konnten, von wo sie auf die Anklagebank verwiesen worden wären. Dennoch waren Flig Balt und Vin Mod ja eigentlich da... im Hintergrunde der weitgeöffneten Augen ihres Opfers.

Die Verhandlung dauerte kaum eine Stunde. Sie endete mit der vollen Freisprechung Karl und Pieter Kips, die unter dem stürmischen Beifall der Zuhörer verkündigt wurde.

Als die Brüder dann in Freiheit gesetzt waren, als sie sich wieder im Salon des Herrn Hawkins und inmitten der Familien Gibson und Zieger befanden, da wurde ihnen reichlich der Lohn zuteil für all das Elend, all die Schande, die so lange und so erdrückend auf ihnen gelastet hatte.

Wir brauchen kaum noch hinzuzufügen, daß ihnen jetzt nicht allein von Herrn Hawkins, sondern auch von allen seinen Freunden die verlockendsten Angebote gemacht wurden. Wollte Karl Kip wieder in See gehen, so würde er in Hobart-Town eine Stelle als Befehlshaber finden; wollte Pieter Kip sich wieder Handelsgeschäften widmen, so würde er viele finden, die ihn zu unterstützen bereit wären.

War das jetzt nicht auch das beste, was die beiden Brüder tun konnten, nachdem die Liquidation ihrer Firma in Groningen so vorteilhaft für sie beendet war?...

Sobald der »James-Cook« wieder ausgerüstet war, lief er denn auch unter der Führung des Kapitäns Kip und mit der bewährten, alten Besatzung zu seiner gewohnten Rundfahrt aus. –

Zum Abschluß unserer Erzählung mag hier noch mitgeteilt werden, daß mehrere Monate verstrichen, ehe die Behörden Nachrichten über den Dreimaster »Kaiser« erhielten, worauf Flig Balt, Vin Mod und deren Kameraden, oder richtiger: deren Spießgesellen, abgefahren waren. Man hörte dann endlich, daß dieses Schiff, das in der Gegend der Salomonsinseln und der Neuen Hebriden Seeraub trieb, von einem englischen Aviso abgefangen worden war.

Die Matrosen vom »Kaiser«, lauter Gesindel von gleichem Schlage, verteidigten sich wie alle Schurken sich wehren, denen mit ihrer Gefangennahme [419] der Galgen in Aussicht steht. Eine Anzahl der Übeltäter wurden bei dem Kampfe getötet, darunter auch Flig Balt und Len Cannon. Vin Mod war es mit einigen anderen gelungen, eine nahe liegende Insel des Archipels zu erreichen, und was aus ihm geworden sein mochte, darüber hat nie etwas verlautet.

Das war der Ausgang dieses, ungeheures Aufsehen erregenden Prozesses – eines glücklicherweise sehr seltenen Rechtsirrtums – eines Prozesses, der unter dem Namen der »Angelegenheit der Gebrüder Kip« jener Zeit auf der ganzen Erde lauten Widerhall fand.


Ende.

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TextGrid Repository (2012). Verne, Jules. Romane. Die Gebrüder Kip. Die Gebrüder Kip. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-75A5-0