Jules Verne
Die Entdeckung der Erde


An die Leser

[5] An die Leser.

»Die Entdeckung der Erde« bildet den ersten Abschnitt eines aus drei Abtheilungen bestehenden Werkes »Geschichte berühmter Reisen und berühmter Reisender«, welches nicht nur die Forschungsreisen früherer Zeiten umfassen, sondern auch die erfolgreichen, kühnen Züge unseres Zeitalters auf geographischem Gebiete schildern soll, die das Interesse der gelehrten, ja der ganzen gebildeten Welt wach riefen.

Der Leser soll somit in diesem, durch die letzten Arbeiten der neueren Reisenden bereicherten Werkeeine vollständige Geschichte der geographischen Erforschungen und Reisen aller Zeiten finden, ein Umstand, welcher den von Herrn Julius Verne für die erste Abtheilung gewählten Titel »Die Entdeckung der Erde« rechtfertigen möge.


Der deutsche Verleger. [5]

1. Theil

1. Capitel
Erstes Capitel.
Berühmte Reisende vor der christlichen Aera.

Hanno (505). – Herodot (484). – Pytheas (310). – Nearchus (326). – Endoxus (146). – Cäsar (100). – Strabo (50).

Hanno der Karthager. – Die Inseln der Glückseligkeit, die Westspitze, die Südspitze, der Golf des Rio do Ouro. – Herodot. – Er besucht Egypten, Libyen, Aethiopien, Phönizien, Arabien, Babylonien, Persien, Indien, Medien, Kolchis, das

Kaspische Meer, Scythien, Thracien und Griechenland. – Pytheas erforscht die Küsten Iberiens und des Keltenlandes, den Kanal, die Insel Albion, die Orcaden, die Länder von Thule. – Nearchus bereist die asiatische Küste vom Indus bis zum Persischen Meerbusen. – Eudoxus entdeckt die Westküste Afrikas wieder. – Cäsar erobert Gallien und Britannien. – Strabo durchstreift das innere Asien, Egypten, Griechenland und Italien.


Der erste Reisende, den uns der Zeitfolge nach die Geschichte nennt, ist Hanno, welchen der Senat von Karthago behufs Kolonisirung einiger [7] Punkte an der Westküste Afrikas aussandte. Der Bericht über diese Expedition wurde in punischer Sprache niedergeschrieben und in's Griechische übersetzt; er ist unter dem Namen »Hanno's Periplus« bekannt. Wann lebte dieser kühne Reisende? Die Geschichtskundigen sind darüber zwar nicht ganz einig, doch hat diejenige Annahme die größte Wahrscheinlichkeit für sich, welche seine Reise längs der Gestade Afrikas in das Jahr 505 vor Christi Geburt verlegt.

Hanno verließ Karthago mit einer Flotte von sechzig Schiffen mit je fünfzig Rudern und führte auf dieser außer 30.000 Menschen auch die nöthige Provision zu einer weiten und langdauernden Reise mit sich. Jene Auswanderer – denn so könnte man sie füglich nennen – waren bestimmt, die neuen Städte zu bevölkern, welche die Karthager an der Westküste Libyens, d. i. Afrikas, zu gründen beabsichtigten.

Glücklich passirte die Flotte die Säulen des Herkules, jene die Meerenge beherrschenden Felsen von Gibraltar und Ceuta, und steuerte, unter einer Wendung nach Süden, auf den Atlantischen Ocean hinaus. Zwei Tage nach der Durchfahrt durch die Meerenge ankerte Hanno in Sicht der Küste und legte den Grund zu der Stadt Thymaterion. Dann stach er wieder in See, umschiffte Cap Soloïs, gründete neue Niederlassungen und drang bis zur Mündung eines großen afrikanischen Stromes vor, an dessen Ufer eine Gesellschaft nomadisirender Hirten lagerte. Nachdem er mit diesen ein Freundschaftsbündniß abgeschlossen, setzte der karthagische Seeheld seine Entdeckungsreise weiter nach Süden hin fort und erreichte die im Grunde einer Meeresbucht gelegene Insel Cerne, deren Umfang fünf Stadien oder 925 Meter betrug. Nach Hanno's Tagebuche läge diese Insel von den Säulen des Herkules an der einen Seite ebensoweit entfernt wie Karthago an der anderen Seite. Welche Insel mag das sein? Offenbar ein zu den Inseln der Glückseligkeit (d. s. die Kanarischen Inseln) gehöriges Eiland.

Immer weiter ging die Fahrt, und Hanno erreichte die Mündung des Flusses Chretes, welche eine Art innere Bucht bildete. Die Karthager schifften diesen Fluß hinauf, wurden dabei aber von Eingebornen schwarzer Race mit Steinwürfen empfangen. Krokodile und Flußpferde tummelten sich in demselben Gewässer in großer Anzahl.

Nach diesem Abstecher kehrte die Flotte nach Cerne zurück und kam von hier aus nach zwölf Tagen in Sicht einer gebirgigen Küstenstrecke mit [8] zahllosen wohlriechenden Bäumen und balsamischen Sträuchern. Sie steuerte hier tief in einen weiten, im Hintergrunde wieder von einer Ebene begrenzten Golf ein. Die ganze, tagsüber ungemein stille Gegend wurde in der Nacht durch lodernde Feuersäulen erleuchtet, welche entweder von vielfachen, durch wilde Bewohner angelegten Bränden oder von zufälliger Entzündung des nach Ablauf der Regenperiode gedörrten Grases herrührten.


Die Schließung der Ehen erfolgte im Wege der öffentlichen Auction. (S. 13.)

[9]

Fünf Tage darauf umschiffte Hanno ein vorspringendes Cap, die damals sogenannte »Westspitze«. Dort vernahm er, seinem eigenen Bericht nach, »Pfeifenklang und Cymbelnschlag, Tambourins und das wirre Gejauchze einer unzähligen Volksmenge«. Die Wahrsager im Gefolge der Flott riethen ihm, dieses schreckliche Land zu fliehen. Ihr Rath ward befolgt und die Expedition begab sich wieder auf den Weg nach niedrigeren Breiten.

Sie gelangte nach einem, die, »Südspitze« benannten Cap, welches einen Meerbusen bildete. Nach d'Avezac wäre unter diesem Golfe die Mündung des Rio do Ouro zu verstehen, der sich unsern dem Wendekreise des Krebses in den Atlantischen Ocean ergießt. Im Grunde des betreffenden Golfes zeigte sich eine Insel mit vielen Gorillas, welche die Karthager für beharrte Wilde hielten. Es gelang ihnen, sich dreier, »Frauen« zu bemächtigen, die sie jedoch, der unbezähmbaren Wildheit dieser Affenweibchen wegen, später tödten mußten.

Die genannte Südspitze bezeichnet die äußerste, von der punischen Expedition erreichte Grenze. Einige Commentatoren behaupten sogar, sie habe Cap Bojador, das kaum zwei Grade unterhalb des Wendekreises liegt, nicht überschritten, doch scheint man sich im Allgemeinen mehr der anderen Annahme zuzuneigen. An diesem Punkte angekommen, schlug Hanno, dessen Nahrungsmittel-Vorrath sich sichtbar gelichtet hatte, wiederum den Weg nach Norden ein und kehrte glücklich nach Karthago zurück, wo er seinen Reisebericht im Tempel des Baal Moloch aufzeichnen ließ.

Nach dem karthagischen Seefahrer war der berühmteste Reisende des Alterthums aus historischer Zeit der Neffe des Dichters Panyasis, dessen Poesien damals sogar mit denen Homer's und Hesiod's rivalisirten, der gelehrte Herodot, mit dem ehrenden Beinamen »der Vater der Geschichte«. Für unseren Zweck trennen wir den Reisenden von dem Geschichtsschreiber und folgen nur jenem durch die von ihm durchzogenen Lande.

Herodot wurde in Halikarnassus, einer Stadt Kleinasiens, im Jahre 484 v. Chr. geboren. Seine Familie war vermögend und konnte in Folge ihrer weitverzweigten Handelsverbindungen dem in ihm sehr frühzeitig erwachenden Forschungstriebe Genüge leisten. Zu jener Zeit stritt man sich noch lebhaft über die eigentliche Gestalt der Erde. Die pythagoräische Schule lehrte indeß schon, daß sie rund sein müsse. Herodot selbst betheiligte sich nicht an [10] dieser Discussion, welche die Gelehrten des Zeitalters ungemein erregte, sondern verließ, noch jung an Jahren, das Vaterland in der Absicht, die zu seiner Zeit mehr oder weniger bekannten Länder möglichst sorgfältig zu durchforschen, da über dieselben im Ganzen nur sehr unzuverlässige Berichte existirten.

Im Jahre 464 verließ er, erst zwanzig Sommer alt, Halikarnassus. Aller Wahrscheinlichkeit nach wandte er sich zuerst nach Egypten und besuchte Memphis, Heliopolis und Theben. Auf dieser Reise glückte es ihm, sehr werthvolle Beobachtungen über das periodische Austreten des Nils zu machen, und er theilt bei dieser Gelegenheit auch die verschiedenen Anschauungen seiner Zeitgenossen über die Quellen jenes Flusses mit, dem die Egypter wahrhaft göttliche Verehrung zollten. »Wenn der Nil aus den Ufern getreten ist,« sagt er, »sieht man nichts weiter mehr als die Städte; sie ragen aus den Wassern empor und gleichen dann nahezu den Inseln des Aegäischen Meeres.« Er erzählt von den religiösen Ceremonien der Egypter, von ihren frommen Opfern, ihrem Eifer bei den Festen der Göttin Isis, vorzüglich in Busiris, dessen Ruinen man noch heutzutage neben dem neueren Bousir findet; von ihrer Verehrung der wilden und der Hausthiere, welche sie für geheiligt halten, und denen sie ein ehrenvolles Begräbniß zu Theil werden lassen. Als getreuer Naturbeobachter beschreibt er das Krokodil des Nils, dessen Körperbau und Lebensweise, nebst der Art und Weise, wie man es fängt; ferner den Hyppopotamus, den Tupinambis, Phönix, Ibis und die dem Jupiter geheiligten Schlangen. Von den Sitten und Gebräuchen der Egypter besitzt man keine verläßlicheren Berichte als die seinigen. Er schildert das häusliche Leben, die öffentlichen Spiele wie die Methode der Einbalsamirung, in der die Chemiker jener Zeit sich ganz besonders auszeichneten. Ferner giebt er von Menes, dem ersten Könige ausgehend, eine Geschichte des Landes; beschreibt die Errichtung und die innere Construction der Pyramiden unter der Regierung Cheop's, das, ein wenig über dem Möris-See erbaute Labyrinth, dessen Ueberreste im Jahre 1799 aufgefunden wurden; den Möris-See selbst, den er mit der hohlen Hand des Menschen vergleicht, und die beiden Pyramiden, welche sich über seine Wasserfläche erheben; er leiht seiner Bewunderung über den Tempel der Minerva zu Saïs beredten Ausdruck, ebenso wie über die in Memphis errichteten Tempel Vulkans und der Isis und über jenen kolossalen Monolithen, zu dessen Ueberführung von Elephantine nach Saïs 2000 Schiffer nicht weniger als drei Jahre brauchten.

[11] Nachdem er in Egypten Alles sorgfältig in den Kreis seiner Beobachtung gezogen, wanderte Herodot nach Libyen, d. h. nach dem eigentlich sogenannten Afrika; wahrscheinlich aber huldigte der jugendliche Reisende der Ansicht, der dasselbe nicht über den Wendekreis des Krebses hinaus reiche, denn er nimmt an, die Phönizier hätten den Continent umschiffen und durch die Meeren von Gibraltar nach Egypten zurückkehren können. Herodot zählt weiter in Völkerschaften Libyens auf, welche im Grunde freilich nur aus längs der Küste nomadisirenden Stämmen bestanden, und nennt im Inneren der wegen zahlreicher Raubthiere sehr unsicheren Binnenlandschaften unter Anderen die Ammoniter, welche den berühmten Tempel des Jupiter Ammon besaße dessen Ruinen im Nordosten der Libyschen Wüste, 500 Kilometer von Kaïr gefunden wurden.

Auch von den Sitten der Libyer liefert er eine sehr eingehende Darstellung und beschreibt ihre religiösen Gebräuche; er bespricht die Thiere, welche das Land durchstreifen, Schlangen von ungewöhnlicher Größe, Löwen, Elephanten, Bären, Nattern, gehörnte Esel – wahrscheinlich Rhinoceros-Arten – kinocephalische Affen ».Thiere ohne Kopf, welche die Augen auf der Brust haben«, Füchse, Hyänen, Stachelschweine, wilde Eber, Panther u.s.w.

Zuletzt stellt er den Satz auf, daß das ganze Landesgebiet nur von zwei eingebornen Stämmen, den Libyern und den Aethiopiern, bewohnt sei.

Nach Herodot begegnet man Aethiopiern schon oberhalb Elephantinen Bereiste aber der gelehrte Forscher diese Gegend wirklich selbst? Seine Commentatoren bezweifeln es. Wahrscheinlich erfuhr er nur von den Egyptern die Einzelheiten, welche er über die Hauptstadt Meroë, des Cultus des Jupiter und Bacchus und über die Langlebigkeit der dortige Einwohner berichtet. Dagegen unterliegt es keinem Zweifel – denn es sagt es ausdrücklich selbst – daß er nach Tyrus in Phönizien segelte. Dort erregten die beiden Tempel des Herkules seine Bewunderung. Weiter besuchte er Thasos und verwerthete die an Ort und Stelle erlangten Nachrichten zu einer kurzen Geschichte Phöniziens, Syriens und Palästinas.

Von hier aus wendet sich Herodot gegen Süden, nach Arabien, nach dem Lande, das er das asiatische Aethiopien nennt, d. i. jener südliche Theil Arabiens, den er für das äußerste bewohnte Land ansieht. Er hält die Araber für dasjenige Volk, welches auf die Verrichtung der vorgeschriebenen Gebete den meisten Werth legt; ihre einzigen Götter sind Urania und [12] Bacchus; ihr Land erzeugt Weihrauch, Myrrhe, Cannel, Zimmt und Rosmarin in Ueberfluß und der Reisende theilt auch sehr interessante Details über die Einbringung dieser wohlriechenden Pflanzen mit.

Später treffen wir Herodot in jenen berühmten Landen, die er unbestimmt mit Assyrien oder Babylonien bezeichnet. Zu Anfang beschreibt er sehr eingehend die große Stadt Babylon den Sitz der Könige des Landes nach der Zerstörung Ninives, dessen Ruinen sich noch heute als vereinzelte Schutthügel auf beiden Seiten des Euphrat, 78 Kilometer südsüdwestlich von Bagdad, vorfinden. Der breite, tiefe und reißende Euphrat theilte die Stadt jener Zeit in zwei Hälften. In der einen erhob sich die wohlbefestigte Königsburg, in der anderen der Tempel des Jupiter Belus, der vielleicht genau an der Stelle des Thurmes zu Babel erbaut wurde. Herodot bespricht ferner die Königinnen Semiramis und Nitocris und erzählt, was die Letztere Alles für das Gedeihen und die Sicherheit ihrer Hauptstadt gethan habe. Dann geht er zu den Landesproducten über, indem er von der Cultur des Weizens, der Gerste und Hirse, des Sesam, des Weinstockes, der Feigen und der Palmen berichtet. Endlich schildert er die Trachten der Babylonier und schließt mit der Darstellung ihrer Lebensgewohnheiten, vorzüglich der Schließung der Ehen, welche sozusagen im Wege der öffentlichen Auction erfolgte.

Nach Durchforschung Babyloniens begab sich Herodot nach Persien, und da er als letztes Ziel seiner Reise die Aufsuchung von historischen Documenten bezüglich der langjährigen Kriege zwischen Persien und Griechenland im Auge hatte, so strebte er nach dem Schauplatze jener Kämpfe, deren Geschichte er schreiben wollte. Er beginnt mit der Anschauung und Sitte der Perser, wonach sie ihren Göttern eine menschenähnliche Gestalt nicht zuerkennen, ihnen weder Tempel noch Altäre errichten und sich darauf beschränken, sie auf den Gipfeln der Berge anzubeten. Darauf skizzirt er ihr häusliches Leben, ihre Verachtung des Fleisches und Vorliebe für Näschereien, ihre Leidenschaft für den Wein, ihre Gewohnheit, sehr wichtige Angelegenheiten nur zu verhandeln, wenn sie übermäßig getrunken haben, ihre Neugierde bezüglich fremder Gebräuche, ihre Sucht nach Vergnügungen, aber auch ihre kriegerischen Tugenden, den Ernst, mit dem sie sich der Erziehung der Kinder hingeben, ihre Achtung vor dem Leben des Menschen, selbst des Sklaven, ihren Abscheu vor der Lüge und dem Schuldenmachen, [13] ihr Entsetzen vor jedem Leprösen (Aussätzigen), dessen Krankheit ihnen der Beweis war, daß »der Unglückliche sich gegen die Sonne versündigt habe«.

Indien im Sinne Herodot's umfaßt nach Virien de Saint-Martin nur das von fünf Strömen bewässerte eigentliche Pendschab (Pentapotamien) nebst Afghanistan. Dorthin wandte der junge Reisende seine Schritte, als er Persien verließ. Nach ihm bilden die Indier das zahlreichste aller bekannten Völker. Ein Theil derselben hat feste Wohnsitze, der andere führt ein Nomadenleben. Die Bewohner des Ostens, die Padeer, tödten die Kranken und Greise und zehren sie auf. Die im Norden, die besten und gewerbfleißigsten Aller, schlämmen goldhaltigen Sand. Indien stellt nach Herodot das östlichste bewohnte Land dar, und er bemerkt dazu »daß das die äußersten Enden der Erde jedes seinen Theil von dem Schönsten besitze, was jene überhaupt zu bieten habe, wie z.B. Griechenland die angenehmste Temperatur in allen Jahreszeiten«.

Der unermüdliche Herodot zieht nun nach Medien. Er liefert eine Geschichte der Völker, welche zuerst das Joch der Assyrier abschüttelten. Die Medier gründeten die ungeheure, von sieben concentrischen Mauern umschlossene Stadt Ekbatana und wurden durch den König Dejoces zu einem zusammengehörigen Volke vereinigt. Nach Ueberschreitung der Berggrenzen zwischen Medien und Kolchis drang der griechische Reisende in das durch Jason's Heldenthaten berühmt gewordene Land ein und studirte mit der ihm eigenen Gründlichkeit dessen Sitten und Gebräuche.

Herodot scheint die Topographie des Kaspischen Meeres vollkommen gekannt zu haben. Er sagt, »es bilde ein Meer für sich selbst« und stehe mit keinem anderen in Verbindung. Seinen Angaben nach ist der Kaspis-See begrenzt im Westen durch den Kaukasus, im Osten durch eine ungeheure Ebene, die von den Massageten bevölkert ist, welche wohl zum Stamme der Scythen gehören könnten, eine von Arrien und Diodorus von Sicilien befürwortete Annahme. Diese Massageten beten die Sonne an und opfern ihr zur Ehre Pferde. Herodot erwähnt hier zwei große Ströme, deren einer, der Araxes für die Wolga, der andere, der Ister, für den Don zu halten wäre.

Von hier aus geht der Reisende nach Scythien. Er betrachtet die Scythen als eine Vereinigung verschiedener Stämme, welche das zwischen der Donau und dem Don gelegene Land, zum größten Theil also ein beträchtliches Stück des europäischen Rußland bewohnen. Sie huldigen der [14] grausamen Gewohnheit, ihren Gefangenen die Augen auszustechen, und sind keine Ackerbauer, sondern nur Nomaden. Herodot erzählt verschiedene Fabeln, welche die Abstammung der Scythen in tiefes Dunkel hüllen und in denen Herkules eine hervorragende Rolle spielt. Dann zählt er die verschiedenen Völker und Stämme auf, welche diese Nation zusammensetzen, doch scheint es nicht, als habe er die Gebiete nördlich vom Pontus Euxinus persönlich in Augenschein genommen. Er geht dann auf eine sehr specielle Beschreibung der Sitten jener Völkerschaften ein und läßt sich von seiner Bewunderung für den Pontus Euxinus, das ungastliche Meer, ganz auffallend hinreißen. Seine Größenangaben für das Schwarze Meer, den Bosporus, die Propontis und das Aegäische Meer sind ziemlich zutreffend. Er benennt des Weiteren die großen Ströme, welche sich in das erstere ergießen, als: den Ister oder die Donau, den Borysthenes oder Dnieper, den Tanaïs oder Don, und schließt mit der Erzählung, auf welche Weise zwischen den Scythen und den Amazonen erst ein Bündniß, später eine wirkliche Bereinigung zu Stande gekommen sei, woraus es sich erklärt, daß die Jungfrauen des Landes nicht eher heirathen dürfen, bevor sie nicht einen Feind erlegt haben.

Nach einem kurzen Aufenthalte in Thracien, während dessen er die Gothen als die hervorragendste Völkerschaft desselben erkannte, langte Herodot in Griechenland, dem Endziele seiner Reisen, an, wo er die letzten für sein Geschichtswerk nöthigen Documente aufzufinden hoffte. Auch hier besuchte er die durch die größten Schlachten der Griechen gegen die Perser berühmten Punkte. Von dem Engpaß bei Thermopylä liefert er eine sehr genaue Beschreibung; dann besuchte er die Ebene von Marathon, das Schlachtfeld von Platää und kehrte nach Kleinasien zurück, dessen Küste, auf der die Griechen viele Kolonien gegründet hatten, er noch weithin bereiste.

Als er nach Halikarnassus in Carien heimkam, zählte der berühmte Reisende erst 28 Jahre, denn zu der Zeit, im Jahre der ersten Olympiade, oder 456 v. Chr., las er sein Geschichtswerk bei den Olympischen Spielen vor. Sein Vaterland war damals von Lygdamis unterdrückt und er selbst mußte sich nach Samos zurückziehen. Bald darauf glückte es ihm, jenen Tyrannen zu stürzen; doch der Undank seiner Mitbürger nöthigte ihn noch einmal, in's Exil zu wandern. Im Jahre 445 wohnte er dem Feste der Panathenäen bei, las sein jetzt völlig vollendetes Werk vor, erregte damit einen allgemeinen Enthusiasmus und zog sich endlich, gegen das Ende seines [15] Lebens, nach Thurium in Italien zurück, woselbst er, unter Hinterlassung des Ruhmes als größter Reisender und berühmtester Historiker des Alterthums, im Jahre 406 v. Chr. verschied.

Nach Herodot überspringen wir anderthalb Jahrhundert, erwähnen nur beiläufig des Arztes Ctesias, eines Zeitgenossen Xenophon's, der den Bericht über eine Reise durch Indien veröffentlichte, welche er allem Anscheine nach gar nicht ausgeführt hat, und begegnen dann, der chronologischen Ordnung nach, Pytheas aus Massilia (Marseille), der als Reisender Geograph und Astronom einen Glanzpunkt seiner Epoche bildet Etwa im Jahre 340 war es, da Pytheas sich mit einem einzigen Schiffe über die Säulen des Herkules hinauswagte; statt aber der afrikanischen Küste zu folgen, wie es seine Vorläufer, die Karthager, gethan, wandte er sich nach Norden, segelte längs der Küsten Iberiens und des Keltenlandes bis zu den entlegensten Spitzen, welche jetzt zum Departement Finistère (Nieder-Bretagne) gehören; von hier aus lief er in den Canal ein und landete in England, jener Insel Albion, deren erster Erforscher er werden sollte. An mehreren Punkten betrat er dessen Küste und trat in Verbindung mit deren einfachen, ehrbaren, nüchternen, gelehrigen und fleißigen Bewohnern, welche einen umfänglichen Handel mit Zinn trieben.

Der gallische Reisende drang immer weiter nach Norden vor, segelte über die Orcaden an der Nordspitze Schottlands hinaus und erreichte eine so hohe Breite, daß die Nacht zur Mitsommerszeit nur noch zwei Stunden lang währte. Nach sechstägiger Seefahrt traf er auf ein Land, Namens Thule, wahrscheinlich Norwegen oder Jütland, an dem er nicht vorbeikommen konnte.


Nearchus ermuthigte die Matrosen gegen diese Ungeheuer (S. 19.)

»Darüber hinaus,« sagt er, »giebt es weder Meer, noch Land oder Luft mehr.« Er kehrte also um, veränderte aber seinen Kurs und erreichte die Mündungen des Rheins, wo die Ostfriesen und hinter diesen die Germanen wohnten. Von hier aus lief er die Mündung des Tanaïs (wahrscheinlich der Weser oder Elbe) an und segelte dann nach Massilia zurück, wo er ein Jahr nach seiner Abreise aus der Vaterstadt wieder anlangte. Pytheas war nicht nur ein beherzter Seefahrer, sondern auch ein hervorragender Gelehrter; er beobachtete zuerst den Einfluß des Mondes auf die Gezeiten und erkannte, daß der Polarstern nicht genau jene Stelle des Himmels einnimmt, welche die verlängert gedachte Erdachse treffen würde.

[16] Einige Jahre nach Pytheas, gegen 326 v. Chr., erwarb sich ein griechisch-macedonischer Reisender neue Lorbeeren als Entdecker. Es war das Nearchus aus Kreta, der Admiral Alexander's des Großen, welcher von diesem den Auftrag erhielt, die ganze Küstenstrecke zwischen dem Indus und dem Euphrat aufzunehmen.

Als dem Eroberer der Gedanke kam, eine Entdeckungsreise vornehmen [17] zu lassen, um die Verbindung zwischen Indien und Egypten zu sichern befand er sich mit seinem Heere 800 (englische) Meilen im Innern des Continents am oberen Laufe des Indus. Er gab Nearchus eine Flotte die wahrscheinlich 33 Galeeren, lauter zweideckigen Schiffen, und eine ungeheure Anzahl Transport-Fahrzeuge. Zweitausend Mann besetzten diese Flotte welche gegen 800 Segel zählen mochte. Nearchus schiffte, an beiden Ufern des Stromes von Alexander's Armeen begleitet, binnen vier Monaten des Indus hinab. An der Mündung des mächtigen Wasserlaufes angelangt verwendete der Eroberer sieben ganze Monate zur Durchforschung seines Deltas; dann ging Nearchus unter Segel und folgte dem Ufer, das heut die Küste des Königreichs Belutschistan bildet.

Nearchus stach am 2. October in See, d. h. einen Monat zu zeit als daß der Winter-Mousson seinen Kurs hätte begünstigen können. Im Beginn der Fahrt hatte er also mit mancherlei Widerwärtigkeiten zu kämpfen und nach den ersten vierzig Tagen kaum achtzig Meilen nach Westen zurück gelegt. Seine ersten Ankerplätze wählte er in Stura und Coreestis, zwei Namen, welche man mit keiner der heutigen Küstenplätze in Verbindung zu bringen vermag. Dann langte er bei der Insel Crocala an, welche die heutige Bai von Caranthey bildet. Von dem Winde gedrängt, flüchtete die Flotte nach Umseglung des Cap Monze in einen natürlichen Hafen den der Admiral mit Befestigungen versehen lassen mußte, um sich gegen die Angriffe der Barbaren, der heutigen Sangarier, zu vertheidigen, welche noch in unserer Zeit ihr Unwesen als Seeräuber treiben.

Vierundzwanzig Tage später, am 3. November, lichtete Nearchus wiederum die Anker. Heftige Winde nöthigten ihn wiederholt, die Küste anzulaufen, wobei er stets gegen Ueberfälle durch die Arabiten, die wilde Belutschen unserer Tage, auf der Hut sein mußte, welche die orientalischen Historiker, »als eine barbarische Völkerschaft mit langen, ungeordneten Haaren, nie verschnittenem Barte und als den Bäumen oder Bären ähnlich schildern«. Bisher hatte die macedonische Flotte immerhin noch kein ernsthaftes Unfall betroffen, am 10. November jedoch wehte ein so heftiger Wind der der offenen See her, daß zwei Galeeren und ein Transportschiff dabei zu Grunde gingen. Nearchus ankerte darauf nochmals vor Crocala und nahm dort einen neuen Vorrath von Getreide ein, den ihm Alexander nachgesenkt hatte. Jedes Schiff erhielt dabei für zehn Tage Nahrungsmittel.

[18] Nach verschiedenen kleineren Vorkommnissen zur See und einem kurzen Kampfe mit den Barbaren erreichte Nearchus die äußerste Grenze des Gebietes der Oriten, welche durch das Cap Moran der modernen Geographie bezeichnet wird. In seinem Berichte hierüber behauptet Nearchus, daß die Sonne zur Mittagszeit die irdischen Gegenstände in verticaler Richtung beschienen und folglich keinen Schatten erzeugt habe. Offenbar unterliegt er hier einer Täuschung; sie stand zu dieser Zeit über der südlichen Halbkugel der Erde im Wendekreise des Steinbocks, während die Schiffe Nearchus' stets noch einige Grade vom Wendekreise des Krebses entfernt blieben, so daß die genannte Erscheinung auch zu Anfang des Sommers nicht hätte eintreten können.

Die Seefahrt gestaltete sich günstiger, als der Ost-Mousson stetiger geworden war. Nearchus folgte nun der Küste der Ichthyophagen, d.h. der Fisch-Esser, arme Völkerstämme, denen es an Weiden vollkommen fehlt, so daß sie ihre Heerden mit Erzeugnissen des Meeres ernähren müssen. Von Neuem gingen der Flotte nun die Lebensmittel aus. Sie umschiffte das Cap Posmi. Dort verschaffte sich Nearchus einen einheimischen Lootsen, und die Fahrzeuge kamen, von günstigen Landwinden getrieben, ziemlich schnell vorwärts. Die Küste erschien hier minder trostlos. Da und dort schmückten sie vereinzelte Bäume. Nearchus erreichte eine kleine, von ihm nicht namentlich aufgeführte Stadt der Ichthyophagen, wo er sich wegen Mangels an Proviant durch Ueberrumpelung neuer Vorräthe bemächtigte, zum Nachtheil der Eingebornen, welche der Gewalt weichen mußten.

Die Schiffe liefen von hier aus Canasida an, worunter das spätere Churbar zu verstehen ist, dessen Ruinen man noch heute in der Bai gleichen Namens findet. Jetzt fing auch das Mehl an auszugehen. Nearchus ankerte nach einander in Canate, Trois und Dagasira, ohne bei deren ärmlicher Bevölkerung Gelegenheit zur Erneuerung seiner nothwendigsten Vorräthe zu finden. Die Seefahrer besaßen nun weder Fleisch noch Brot und konnten sich doch nicht entschließen, Schildkröten zu verzehren, welche der dortige Strand in großen Mengen liefert.

Nahe der Einfahrt in den Persischen Meerbusen traf die Flotte auf eine ganze Heerde Walfische. Voller Entsetzen wollten die Matrosen entfliehen. Nearchus wußte sie jedoch durch sein Zureden zu ermuthigen und ließ die wenig gefährlichen Ungeheuer angreifen, wodurch er die Heerde bald zerstreute.

[19] Auf der Höhe von Carmanien angekommen, änderten die Schiffe ein wenig den früheren Kurs nach Westen und hielten sich mehr nordwestlich. Hier waren die Ufer fruchtbarer; überall wogten Saatfelder, grünten Weiden und gediehen vielerlei Fruchtbäume. Nearchus ankerte in Ba dem heutigen Jask, umschiffte das Vorgebirge von Maceta oder Mussen und gelangte dann nach dem Persischen Meerbusen, dem er, in Uebereinstimmung mit den arabischen Geographen, fälschlich den Namen »Rotes Meer« beilegt.

Nearchus drang in den Meerbusen ein und kam nach einer einzigen Unterbrechung an einem Flecken mit Namen Harmozia an, von dem später die kleine Insel Ormuz ihren Namen erhielt. Dort vernahm er, daß die Armee Alexander's nur fünf Tagemärsche entfernt stehe. Er beeilte deshalb seine Ausschiffung, um mit dem großen Eroberer zusammen zu treffen. Letzterer, welcher einundzwanzig Wochen lang ohne jede Nachricht von der Flotte war, hoffte kaum, diese wieder zu sehen. Seine freudige Ueberraschung als der Admiral, freilich durch die langen Strapazen herabgekommen und kaum wieder erkennbar, sich ihm vorstellte, erscheint daher sehr begreiflich. Zur Feier seiner Wiederkehr ließ Alexander gymnastische Spiele veranstalten und dankte den Göttern durch reichliche Opfer. Darauf begab sich Nearchus um das Commando der Flotte zu übernehmen und diese nach Susa zu führen wieder nach Harmozia und ging nach frommer Anrufung des Jupiter-So von Neuem unter Segel.

Die Flotte besuchte nun verschiedene Inseln, wahrscheinlich Arek und Kismis; bald darauf strandeten auch einmal viele Schiffe derselben, wurden durch die steigende Fluth jedoch wieder flott und liefen dann, nach Umseglung des Vorgebirges von Bestion, Keisch, eine dem Merkur und der Venus geheiligte Insel, an. Hier verlief die Grenze von Carmanien, auf der anderer Seite Persien anfing. Die Schiffe folgten nun der persischen Küste besuchten verschiedene Punkte, wie Gillam, Inderabia, Schevou, Konkru, Sita-Reghiau, wo Nearchus einen ihm von Alexander entgegen gesendeten Proviant-Transport in Empfang nahm.

Nach mehrtägiger Fahrt erreichte die Flotte die Mündung des Endic Stromes, welcher Persien von dem Gebiete Susa's trennte. Von da an traf sie auf den Ausfluß eines großen fischreichen Sees, Namens Cataderb welcher in der jetzt Dorghestan benannten Gegend zu suchen ist. Endlich [20] ankerte sie vor dem babylonischen Dorfe Degela am Euphrat, nachdem sie die ganze Küste zwischen diesem Punkte und dem Indus besucht hatte. Zum zweiten Male traf Nearchus nun mit Alexander zusammen, der ihn reich belohnte und als Befehlshaber für seine Flotte beibehielt. Alexander wollte auch die gesammte Küste Arabiens bis zum Rothen Meere aufnehmen lassen, doch blieben diese Projecte unausgeführt, da ihn inzwischen der Tod ereilte.

Man nimmt an, daß Nearchus in der Folge Gouverneur von Lycien und Pamphilien geworden sei. In den Mußestunden verfaßte er einen Bericht über seine Reisen, der leider verloren gegangen ist, von dem Arrien aber in seiner Historia Indica glücklicher Weise einen Auszug gemacht hat. Es scheint, als sei Nearchus in der Schlacht bei Ipsus gefallen unter Hinterlassung des ungetrübten Rufes eines erfahrenen Seehelden, dessen Reise ein hervorragendes Ereigniß in der Geschichte der See-Schifffahrt darstellt.

Wir haben hier noch ein kühnes Unternehmen jener Zeit zu erwähnen, das von Eudoxus von Cyzique, einem Geographen, der im Jahre 146 v. Chr. am Hofe Evergetes II. lebte, ausgeführt wurde. Nach einem Besuche Egyptens und der Ufer des Indus kam diesem wagehalsigen Abenteurer der Gedanke, Afrika zu umschiffen, ein Versuch, der doch erst sechzehn Jahrhunderte später durch Vasco de Gama wirklich ausgeführt werden sollte. Eudoxus miethete ein großes Schiff nebst zwei Barkassen und wagte sich damit hinaus auf die Wasserwüste des Atlantischen Oceans. Wie weit mögen diese Fahrzeuge gekommen sein? Das ist nur schwierig festzustellen. Jedenfalls kehrte er nach einem kurzen Zusammentreffen mit Eingebornen, die er für Aethiopier hielt, nach Mauretanien zurück. Von da aus wandte er sich nach Iberien und rüstete sich zu einem zweiten Versuche einer Rundreise um Afrika. Ob diese zweite Fahrt überhaupt unternommen ward, läßt sich nicht sagen; wohl aber müssen wir hinzufügen, daß eben jener Eudoxus, Alles in Allem ein mehr kühner als verläßlicher Mann, von nicht wenigen Gelehrten nur für einen unglaubwürdigen Flausenmacher gehalten wird.

Noch sind zwei Namen von Reisenden übrig, welche sich in der vorchristlichen Aera auszeichneten, nämlich Cäsar und Strabo. Cäsar, geboren im Jahre 100 v. Chr., war freilich im Grunde nur Eroberer, der keineswegs die bloße Erforschung fremder Länder im Auge hatte. Wir erwähnen deshalb nur der Vollständigkeit wegen, daß er im Jahre 58 zur Unterjochung Galliens auszog und während der zehnjährigen Dauer seines weitumfassenden [21] Unternehmens seine siegreichen Legionen bis zu den Ufern Großbritanniens führte, das von Völkerstämmen germanischer Herkunft bewohnt war.

Was den 50 Jahre v. Chr. in Cappadocien gebornen Strabo betrifft, so zeichnete dieser sich mehr als Geograph denn als Entdeckungsreisender aus. Doch durchwanderte er Kleinasien, Egypten, Griechenland und Italien und lebte längere Zeit in Rom, wo er in den letzten Jahren der Regierung des Tiberius verstarb. Strabo hinterließ eine in siebzehn Büchern zerfallende Geographie, die uns zum größten Theile erhalten blieb. Dieses Werk bildet neben dem des Ptolemäus das wichtigste Denkmal, welches den neueren Geographen aus dem Alterthume überkommen ist.

2. Capitel
Zweites Capitel.
Berühmte Reisende vom 1. bis zum 9. Jahrhundert.

Pausanias (174). – Fa-Hian (399). – Cosmas Indicopleustes (5..). – Arculph (700). – Willibald (725). – Soleyman (851).

Plinius, Hippalus, Arrien und Ptolemäus. – Pausanias besucht Attika, Korinth, Lakonien, Messenien, Elis, Achaïa, Arkadien, Böotien, Phokis. – Fa-Hian erforscht Kan-tcheou, die Tatarei, das nördliche Indien, das Pendjab, Ceylon und Java. – Cosmas Indicopleustes und die christliche Topographie des Universums. – Arculph beschreibt Jerusalem, das Thal des Josaphat, den Oelberg, Bethlehem, den Jordan, den Libanon, das Todte Meer, Kapernaum, Nazareth, den Berg Tabor, Damaskus, Tyrus, Alexandria, Konstantinopel. – Willibald und die heiligen Orte. – Soleyman durchschifft die Meere von Oman, Ceylon, Sumatra, den Golf von Siam und das Chinesische Meer.


Während der beiden ersten Jahrhunderte der christlichen Zeitrechnung erfreute sich zwar die Geographie von rein wissenschaftlichem Standpunkte einer regen, erfolgreichen Theilnahme, aber eigentliche Reisende, sagen wir Forscher oder Entdecker neuer Länder, erzeugte diese Epoche nur wenige.

Plinius, im Jahre 23 n. Chr., behandelte die Erdbeschreibung im 3., 4., 5. und 6. Buche seiner, »Naturgeschichte«. Im Jahre 50 erkannte Hippalus, ein gewiegter Seefahrer, das Gesetz der Moussons (Jahreszeiten-Winde) und empfahl den Schiffern, weit in See hinaus zu gehen, um mit Hilfe dieser sehr gleichmäßigen Luftströmungen die Fahrt nach Indien [22] und von dort zurück bequem im Laufe eines Jahres ausführen zu können. Arrien, ein im Jahre 105 geborner griechischer Historiker, compilirte seinen Periplus des Pontus Euxinus und bemühte sich, die Ergebnisse aller früheren Entdeckungsreisen in demselben übersichtlich zusammen zu fassen. Endlich veröffentlichte der Egypter Claudius Ptolemäus, im Jahre 175, durch Zusammenfassung der Arbeiten seiner Vorgänger eine trotz ihrer bedenklichen Irrthümer berühmt gewordene Erdbeschreibung, in welcher zuerst die Lage der Städte nach der durch Rechnung gefundenen geographischen Länge und Breite angegeben wurde.

Der erste Reisende der christlichen Aera, dessen Name auf uns gekommen ist, war Pausanias, ein griechischer Schreiber, der im 2. Jahrhundert in Rom lebte und eine noch jetzt vorhandene Arbeit vom Jahre 175 hinterließ. Diesem Pausanias kommt unzweifelhaft bezüglich der Herausgabe eines »Reise-Handbuches« die Priorität gegenüber unserem Bädeker, Joanne u. A. zu. Er lieferte für das alte Griechen land dasselbe, was die fleißigen Reiseliteratur-Verleger jetzt für die verschiedenen Länder Europas bieten. Sein Bericht stellt ein verläßliches Handbuch dar, das in einfachem Style, doch in allen Einzelheiten sehr genau abgefaßt ist und mit dessen Unterstützung die Touristen des 2. Jahrhunderts die verschiedenen Provinzen Griechenlands erfolgreich bereisen konnten.

Sehr eingehend beschreibt Pausanias Attika und ganz vorzüglich Athen selbst mit seinen Denkmälern, Gräbern, Triumphbögen, Tempeln und Säulengängen, seinem Aräopag und seiner Akademie. Von Attika wendet er sich nach Korinth und schildert dabei die Insel Aegina und Aeakus; im Weiteren durchstreift und bespricht er sehr anschaulich Lakonien mit Sparta, die Insel Kythere, Messenien, Elis, Achaïa, Arkadien, Böotien und Phokis; die Wege durch das Land und die Straßen der Städte werden speciell aufgeführt und ebensowenig eine Beschreibung der allgemeinen äußeren Erscheinung der verschiedenen Gegenden Griechenlands vergessen. Freilich bereichert Pausanias die Entdeckungen seiner Vorgänger durch keine einzige neue. Er war ein Reisender mit offenem Auge, der sich auf eine genaue Kenntnißnahme des Vaterlandes beschränkte, keineswegs aber ein Entdecker. Nichtsdestoweniger benutzten seine Arbeit alle Geographen und Commentatoren, welche über Hellas und den Peloponnes schrieben, und mit Recht nennt sie ein Gelehrter des 16. Jahrhunderts »eine Fundgrube ältester und seltenster Art«.

[23] Etwa hundertdreißig Jahre nach dem griechischen Historiker unternahm ein chinesischer Reisender, ein Mönch seines Standes, gegen Ende des 4. Jahrhunderts eine wissenschaftliche Reise durch die westlich von China gelegenen Länder. Sein Bericht darüber ist uns erhalten geblieben, und man muß bezüglich desselben dem Urtheil Charton's beistimmen, der jene Reisebeschreibung, »für ein desto werthvolleres Monument betrachtet, als es uns weit außerhalb des gewöhnlichen Gesichtskreises unserer abendländischen Civilisation hinführt«.

Begleitet von einigen anderen Mönchen wollte Fa-Hian seine Wanderung nach der Westseite Chinas richten, wobei er mehrere Gebirgsketten überschritt und in das Land kam, welches heutzutage Kan-tcheou bildet und unsern der großen Mauer zu suchen ist. Dort schlossen sich ihm mehrere Samanier an. Sie setzten über den Fluß Cha-ho und zogen durch eine Wüste, welche Marco Polo achthundert Jahre später durchforschte. Nach siebzehntägiger Wanderung erreichten sie den Lobe-See, der im heutigen chinesischen Turkestan liegt. Von hier aus glichen sich alle Reiche, durch welche die frommen Männer kamen, bezüglich der Sitten und Gebräuche sehr auffallend. Nur die Sprache zeigte Verschiedenheiten.

Wenig befriedigt von dem ihnen im Lande der ungastlichen Ouigours zu Theil gewordenen Empfange, wandten sie sich nach Südosten, nach einem wüstliegenden Lande, dessen Wasserläufe sie nur mit größter Anstrengung überschritten. Nach einer Wanderung von fünfunddreißig Tagen kam die kleine Karawane in die Tatarei, und zwar in das Königreich Khotan, welches »mehrmals zehntausend Geistliche zählte«. Fa-Hian und seine Gefährten wurden hier in geräumigen Klöstern aufgenommen, wo sie nach einem Aufenthalte von drei Monaten bei der »Bilder-Procession« assistiren konnten; es ist das ein hohes, den Buddhisten und Brahmanen gemeinschaftliches Fest, zu dessen Feier die Bilder der Götter auf prächtig geschmücktem Wagen durch die mit Blumen besäeten und von wohlriechenden Dünsten erfüllten Straßen geführt werden.

Nach Schluß des Festes verließen die Mönche Khotan und begaben sich nach dem Königreiche, welches den heutigen Bezirk Kouke-yar bildet. Nach vierzehntägiger Rast finden wir sie weiter im Süden wieder, in dem Gebiete des heutigen Balistan, einem kalten, bergigen Lande, in dem nur noch Roggen zur Reise kommt. Dort benutzten die Geistlichen mit Gebeten beklebte Cylinder, welche der Strenggläubige ungemein schnell dreht (sog. Bete-Mühlen).


[24]
Einer von Fa-Hian's Begleitern sank um. (S. 26.)

Von hier aus ging Fa-Hian nach dem östlichen Afghanistan über und brauchte einen vollen Monat zur Reise durch ein Gebirge, das stets mit Schnee bedeckt war und in dem er das Vorkommen giftiger, »Drachen« (jedenfalls größere Eidechsen) erwähnt.

Jenseits des genannten Berglandes befanden sich die Reisenden im nördlichen Indien, in der Provinz, welche die ersten, später den Sind oder [25] Indus bilden den Wasseradern benetzen. Weiter gelangten sie nach Durchwanderung der Königreiche Ou-tchang, Su-ho-to und Kaan-tho-wei nach Fo-lou-cha, wahrscheinlich die Stadt Peichaver, zwischen Kabul und dem Indus, und vierundzwanzig Meilen weiter im Westen nach der Stadt Hilo, welche am Ufer eines Nebenflusses des Kabul-Stromes erbaut ist. Von allen genannten Städten schildert Fa-Hian vorzüglich die dem Gotte Foë geweihten Feste und Gebräuche, welche Gottheit übrigens mit Buddha indentisch ist.

Als sie Hilo verließen, mußten unsere Mönche die Hindu-Kousch-Berge erklimmen, die sich zwischen Tokharestan und Gandhara erheben. Auf diesen herrschte eine so strenge Kälte, daß einer von Fa-Hian's Begleitern umsank, um sich nie wieder zu erheben. Unter zahllosen Beschwerden erreichte die Karawane die noch jetzt vorhandene Stadt Bann; nachdem sie dann von Neuem den Indus in der Mitte seines Laufes überschritten, trat sie in das Pendjab ein.

Von da aus wandte sich die kleine Gesellschaft nach Südosten mit der Absicht, den nördlichen Theil der indischen Halbinsel zu durchziehen, gelangte nach Mathoura, einer Stadt der heutigen Provinz Agra, und bewegte sich nach Ueberschreitung der großen Salzwüste im Osten des Indus durch ein Land, welches Fa-Hian »das Central-Königreich« nennt, »dessen ehrsame und fromme Bewohner ohne Behörden, ohne Gesetze, aber auch ohne Verbrechen, ohne ihre Nahrung von irgend einem lebenden Geschöpfe zu beziehen, ohne Fleischer und Weinhändler glücklich leben in Ueberfluß und Freude, unter einem Klima, in dem Wärme und Kälte sich die Wage halten«. Dieses Reich aber ist Indien.

Weiter im Südosten besuchte Fa-Hian den jetzigen District Feroukh-abad, auf welchen der Legende nach Buddha, als er auf dreifacher Treppe mit kostbaren Stufen vom Himmel herabstieg, einst den Fuß setzte. Der geistliche Reisende verbreitet sich dabei ausführlich über die Satzungen des Buddhismus. Von da aus begab er sich zu einem Besuche nach der Stadt Kanndje, am rechten Ufer des Ganges, den er übrigens den Heng nennt. Hier ist vorzugsweise das Land Buddha's. Ueberall, wo der Gott sich gesetzt hatte, errichteten die Gläubigen hohe Thürme. Unsere frommen Pilger verfehlten nicht, sich nach dem Tempel von Tchihuan zu begeben, wo Foë sich fünfundzwanzig Jahre lang freiwilligen Selbstkasteiungen unterzogen hatte, und als sie im Anschauen der Oertlichkeit versunken waren, an der Foë einst [26] fünfhundert Blinden die Sehkraft wiedergab ».ging den gottergebenen Wanderern ein lebhafter Stich durch das Herz«.

Sie nahmen ihren Weg wieder auf und gingen nach Kapila, nach Gorakhpour, an der Grenze Nepals, nach Kin-i-na-kie – lauter durch Foë's Wunderthaten berühmte Orte – und kamen in dem Delta des Ganges nach der Stadt Palian-fu, im Königreiche Magadha. Es war das ein reiches Land, bewohnt von einer mitleidigen, Gerechtigkeit liebenden Bevölkerung, welche gern philosophische Discussionen pflegte.

Nach Ersteigung des Pics von Vautour, der sich nahe den Quellen der Flüsse Dadher und Banurah erhebt, begab sich Fa-Hian in das Ganges-Thal hinab, besuchte den Tempel von Issi-Patene, wo früher »fliegende« (d. h. ambulante) Magier ihr Wesen trieben, und erreichte Benares, in dem »glänzenden Königreiche«, und noch weiter flußabwärts To-mo-li-ti, an der Mündung des heiligen Stromes, nahe der Stelle, welche das heutige Calcutta einnimmt.

Zur Zeit seiner Anwesenheit daselbst rüstete sich eben eine Karawane von Kaufleuten, in See zu stechen und nach der Insel Ceylon zu gehen. Fa-Hian nahm Passage auf einem der Schiffe und landete nach vierzehntägiger Ueberfahrt an der Küste des alten Taprobane, über welches der große griechische Kaufmann Jambulos einige Jahrhunderte vorher so merkwürdige Berichte geliefert hatte. Der geistliche Chinese fand in diesem Reiche noch alle die sagenhaften Ueberlieferungen, die auf den Gott Foë Bezug haben, und verweilte hier, mit bibliographischen Untersuchungen beschäftigt, zwei volle Jahre. Er verließ Ceylon wieder, um sich nach Java zu begeben, das er nach sehr schlechter, stürmischer Ueberfahrt erreichte, während welcher, »man bei dunklem Himmel nichts Anderes sah als große, einander durchkreuzende Wogen, feurige Blitze, riesige Schildkröten, Krokodile, See-Ungeheuer und andere Wunder«.

Nach fünfmonatlichem Aufenthalte auf Java schiffte Fa-Hian sich nach Canton ein; wiederum wehten ihm die Winde sehr ungünstig und er landete, nach tausend Mühsalen und Gefahren, in dem heutigen Chan-toung; nachdem er dann noch einige Zeit in Nan-king verweilt, kehrte er endlich nach Si-an-fu, seiner Vaterstadt, nach achtzehnjähriger Abwesenheit zurück.

So lautet der Bericht über diese Reise, von welcher eine ausgezeichnete (französische) Uebersetzung Abel de Rémusat's vorhanden ist, der darin höchst [27] interessante Einzelheiten über die Gewohnheiten der Tataren und Indier, vorzüglich über deren religiöse Gebräuche mittheilt.

Dem chinesischen Mönche folgt im 6. Jahrhundert der chronologischen Ordnung nach ein egyptischer Reisender, Namens Cosmas Indicopleustes, welchen Namen Charton mit: »Kosmographischer Indien-Fahrer« übersetzt. Es war das ein Kaufmann aus Alexandrien, der nach einem Besuche Aethiopiens und eines Theiles von Asien bei seiner Rückkehr Mönch wurde.

Sein Reisebericht führt den Titel, »Christliche Topographie des Universums«. Von den eigentlichen Reisen seines Verfassers erzählt es so viel wie nichts. Kosmographische Abhandlungen, zum Beweise, daß die Erde viereckig und nebst den anderen Gestirnen in einem mehr langen als breiten Kasten eingeschlossen sei, bilden die Einleitung jenes Werkes, dann folgen Darlegungen der Functionen der Engel und eine Beschreibung des Kostüms der hebräischen Priester. Im Weiteren liefert Cosmas eine Naturgeschichte des Thierreiches von Indien und Ceylon und erwähnt dabei das Rhinoceros, den Riesenhirsch, den man zu häuslichen Dienstleistungen abrichtet, die Giraffe, den wilden Ochsen, das Bisamthier, welches, »um seines wohlriechenden Blutes willen« gejagt wird, das Einhorn, das er nicht für ein fabelhaftes Thier hält, den Eber, den er den Schweinshirsch nennt, das Flußpferd, den Seehund, den Delphin und die Schildkröte. Nach dem Abschnitte von den Thieren beschreibt Cosmas die Pfefferstaude, eine schwache, sehr empfindliche Pflanze, ebenso wie die zartesten Weinreben, und den Cocosbaum, dessen Früchte einen so milden Saft haben wie die grünen Nüsse.

Seit der ersten Zeit der christlichen Aera schon lag es den Gläubigen am Herzen, die heiligen Stätten, die Wiege der neuen Religion, zu besuchen. Solche Pilgerfahrten häuften sich mehr und mehr, und die Geschichte hat uns viele Namen hervorragender Persönlichkeiten aufbewahrt, welche sich in der ersten Zeit des Christenthums nach Palästina begaben.

Einer dieser Pilger, der fränkische Bischof Arculph, der gegen Ende des 7. Jahrhunderts lebte, hat einen umständlichen Bericht über seine Reise hinterlassen.

Er beginnt mit der topographischen Lage Jerusalems und beschreibt die Mauer, welche die heilige Stadt umschließt. Dann sucht er die über dem heiligen Grab errichtete Kuppelkirche auf, ferner die Grabstätte Christi selbst, den Stein, der diese einst verschloß, die Kirche St. Maria, die Kirche auf [28] dem Calvarienberg und die Basilica Constantin's, auf der Stelle, wo einst das echte Kreuz gefunden wurde. Diese verschiedenen Kirchen bilden einen einzigen Complex von Gebäuden, der auch das Grab Christi und den Calvarienberg, auf dessen Gipfel der Erlöser gekreuzigt ward, mit umfaßt.

Arculph begiebt sich nachher in das, östlich von der Stadt gelegene Thal des Josaphat, wo sich die Kirche über dem Grabe der heiligen Jungfrau und dem Grabe Absalon's erhebt, welche er, »Josaphat-Thurm« nennt. Dann ersteigt er den Oelberg, der jenseits des genannten Thales liegt, und betet dort in derselben Grotte, in welcher Jesus einst sein Gebet verrichtete. Hierauf begiebt er sich nach dem Berge Zion, im Süden vor der Stadt gelegen; er erwähnt beiläufig des ungeheuren Feigenbaumes, an dem sich der Sage nach Judas Ischariot erhenkte, und besuchte auch die jetzt zerstörte Kirche des Cönakels.

Der Bischof wanderte durch das Thal des Siloah um die Stadt herum und am Bette des Baches Kidron hin nach dem Oelberge, der reich mit Weizen und Gerste bestanden war, auch viele Kräuter und Blumen trug, und er beschreibt auf einem der drei Gipfel des Hügels die Stelle, von der aus Christus gen Himmel gefahren sein soll. Dort haben die Gläubigen eine große, runde Kirche mit fünf Bogeneingängen errichtet, welche, ohne Dach oder Wölbung, nach oben zu offen ist. »Man hat das Kirchen-Innere nicht überwölbt,« heißt es in des Bischofs Berichte, »damit von der Stelle aus, an welcher die Füße des Herrn zum letzten Male die Erde berührten, bevor er sich auf einer Wolke zum Himmel erhob, bis ebendahin der Weg offen bleibe für die Gebete der Gläubigen. Denn als man die Kirche, von der wir sprechen, erbaute, war man nicht im Stande, die Stelle, auf der die Füße des Herrn geruht hatten, mit Steinen zu belegen. Sobald man die Marmorplatten dahin wälzte, spie sie gleichsam die Erde, im Unmuthe darüber, ein Werk von Menschenhand tragen zu sollen, wieder, ja, sofort vor den Augen der Arbeiter aus. Als untilgbaren Beweis bewahrt der Erdboden noch immer den Eindruck des göttlichen Fußes, und erscheint, trotzdem, daß die frommen Gläubigen täglich von dem geweihten Staube sammeln, immer wieder.«

Nachdem er die Mark von Bethanien, mitten in dem großen Oelbaumwalde besucht, wo sich Lazarus' Grab findet, nebst der Kirche rechts von der Stelle, an der sich Christus mit seinen Jüngern zu unterhalten pflegte, begab [29] sich Arculph nach Bethlehem, das zwei Stunden von der heiligen Stadt, im Süden des Thales von Zephraïm erbaut ist. Er beschreibt die Stätte der Geburt des Herrn, eine Art natürlicher Grotte am Ost-Ende des Städtchens, mit einer von der heiligen Helena erbauten Kirche darüber; ferner die Gräber der drei Hirten, welche bei der Geburt des Herrn von himmlischem Lichtschein umflossen wurden; das Grab der Rahel, die Gräber der vier Patriarchen Abraham, Isaak, Jakob und Adam, des ersten Menschen. Dann besucht er den Berg und die Eiche von Mambre, unter deren Laubdach Abraham die Engel gastlich aufnahm.

Von hier aus wendet sich Arculph nach Jericho oder vielmehr nach der Stelle, welche diese Stadt, deren Mauern durch die Trompeten Josua's umgestürzt wurden, früher einnahm.

Er untersucht die Oertlichkeit, wo die Kinder Israël nach Ueberschreitung des Jordans zuerst in Kanaan rasteten. In der Kirche von Galgala betrachtet er die zwölf Steine, welche die Israëliten auf Befehl des Herrn aus dem trocken liegenden Strombette holten. Er folgt dem Laufe des Jordan und trifft an dessen rechtem Ufer an einer Biegung des Flusses, etwa eine Wegstunde vom Todten Meere, inmitten einer prachtvollen, mit prächtigen Bäumen bestandenen Umgebung auf die Stelle, wo Johannes der Täufer einst den Herrn taufte, und an der man ein Kreuz errichtet hat, das die weißlichen Wellen bei Hochwasser gänzlich überfluthen.

Nachdem er dann die Küste des Todten Meeres umwandert und das Salz des letzteren gekostet, in Phönizien am Fuße des Libanon nach den Quellen des Jordan gesucht, einen großen Theil des Tiberas-See erforscht, den Brunnen in Samaria, wo Jesus durch die Samariterin erquickt wurde, sowie die Quelle in der Wüste, an der Johannes der Täufer seinen Durst stillte, und die weite, »seit jener Zeit nie wieder bestellte« Ebene von Gazan besucht hat, wo Christus einst fünf Brote und zwei Fische segnete, geht Arculph nach Kapernaum hinab, von dem jetzt nicht einmal die Ruinen mehr vorhanden sind; dann begiebt er sich gen Nazareth, wo Christus seine Kindheit verbrachte, und beschließt mit dem in Galiläa gelegenen Berge Tabor seine speciell den heiligen Stätten geltende Reise.

Des Bischofs Bericht enthält ferner geographische und historische Notizen über andere, von ihm besuchte Städte, wie über den Königssitz Damaskus, welche Stadt vier große Ströme durchfließen, »um sie zu verschönern«; über [30] Tyrus, die Hauptstadt von Phönizien, die einst vom Festlande abgetrennt lag, aber durch die Dammschüttungen Nebukadnezar's wieder mit demselben verbunden wurde; Alexandria, in früherer Zeit die Hauptstadt Egyptens, welche der Reisende vierzig Tage nach der Abfahrt von Jaffa erreichte, und endlich über Konstantinopel, woselbst er die sehr große Kirche besuchte, in der man noch »Holz von dem Kreuze aufbewahrt, an dem der Erlöser einst zum Heile der Menschheit den Märtyrertod erlitt«.

Der von dem Bischof dictirte und von dem Abte Saint Columban niedergeschriebene Reisebericht schließt endlich mit der an die Leser gerichteten Empfehlung, die göttliche Gnade für den Prälaten Arculph den Heiligen anzurufen und auch für den Verfasser, einen armen Sünder vor dem Herrn, zu Christus, den Richter aller Zeiten, zu beten.

Wenige Jahre nach dem fränkischen Bischof unternahm ein Pilger aus England aus Gründen der Frömmigkeit dieselbe Reise und führte sie auch nahezu in derselben Art und Weise durch.

Dieser Pilgrim hieß Willibald, er gehörte einer reichen, wahrscheinlich in der Grafschaft Southampton angesessenen Familie an. Nach einer sehr erschöpfenden Krankheit weihten ihn seine Eltern dem Herrn und er verbrachte seine Jugend unter geistlichen Uebungen im Kloster zu Waltheim. An der Schwelle des Jünglingsalters angelangt, beschloß Willibald, in Rom in der Kirche St. Petri zu beten, und sein inständiges Zureden bestimmte seine Brüder Richard und Wimebald und seine junge Schwester Walpurgis, ihn zu begleiten.

Die gottesfürchtige Familie schiffte sich in Hamble-Haven im Frühjahre 721 ein, fuhr die Seine flußaufwärts und ging nahe der Stadt Rouen an's Land. Ueber die Reise bis Rom berichtet Willibald nur sehr oberflächlich. Nachdem sie über Cortona, eine Stadt in Ligurien, und Lucca in Toscana gekommen, wo Richard den Strapazen der Reise am 7. Februar 722 unterlag, und nach einer Winterfahrt über die Apenninen, kamen die beiden Brüder mit der Schwester in Rom an, wo Alle den Winter zubrachten, aber hartnäckig vom Fieber heimgesucht wurden.

Nach seiner Wiedergenesung trat Willibald mit der Absicht hervor, seine Pilgerfahrt bis nach den heiligen Stätten selbst auszudehnen. Er sandte Bruder und Schwester nach England zurück und reiste in Begleitung mehrerer Geistlichen ab. Ueber Terracina und Gaëta gingen sie nach Neapel, segelten [31] nach Reggio in Calabrien und nach Catane und Syrakus in Sicilien; dann begaben sie sich zur Ueberfahrt auf das Meer, berührten nur Cos und Samos und landeten in Ephesus in Kleinasien, wo sich die Gräber des Evangelisten Johannes, der Maria Magdalena und der Siebenschläfer finden, letztere sieben christliche Jünglinge, welche sich wegen Religionsverfolgungen im Jahre 25 in einer Höhle nahe der Stadt verbargen, darin einschliefen und der Sage nach am 27. Juni 446 erst wieder erwachten.


Soleyman beobachtete einen Haifisch, in dessen Bauche man einen kleineren vorfand. (S. 35.)

[32] [34]Nach kürzerem Aufenthalte in Strobola, Petara und zuletzt in Mytilenä, der Hauptstadt der Insel Lesbos, begaben sich die Pilger nach Cypern, wo sie Paphos und Konstanzia besuchten; endlich finden wir sie, Sieben an Zahl, in der phönizischen Stadt Edissa wieder, welche das Grab des Apostels Thomas birgt.


Bekannte Erde der Alten. (S. 35.)

Hier wurden Willibald und seine Gefährten, weil man sie für Spione hielt, von den Sarazenen eingekerkert, vom König aber auf Fürsprache eines Spaniers wieder in Freiheit gesetzt. In aller Eile verließen die Pilger die ungastliche Stadt, und von jetzt ab fällt ihre Reiseroute fast durchgängig mit der des Bischofs Arculph zusammen. Sie besuchten Damaskus in Syrien, Nazareth in Galiläa, Kanaan, wo einer der Wunder-Eimer zu sehen ist, den Berg Thabor, auf dem einst die Transfiguration vor sich ging; Tiberia, nahe der Stelle, wo der Herr mit Petrus auf dem Wasser wandelte, Magdala, den Wohnort des Lazarus und seiner Schwestern; Kapernaum, wo Jesus die Tochter des Statthalters vom Tode erweckte, Bethsaïda in Galiläa, die Heimat Petri und Andreas'; Corozaïn, wo der Herr die Besessenen heilte; Cäsarea, wo der heilige Paul den Schlüssel zum Himmel empfing; ferner die Stelle, an der Christus getauft ward, sowie Galgala, Jericho und Jerusalem.

Die heilige Stadt, das Thal Josaphat, der Oelberg, Bethlehem, Thema, wo Herodes die Kinder morden ließ, das Laura-Thal und Gaza erhielten den Besuch der frommen Pilger. Willibald erzählt, daß er in dieser Stadt, während des Gottesdienstes in der Kirche St. Mathäi, plötzlich das Augenlicht verloren und es erst in Jerusalem, zwei Monate später, beim Eintreten in die Heilige-Kreuz-Kirche wiedererlangt habe. Er durchwanderte hierauf das Thal von Diospolis, zehn Meilen von Jerusalem, und an der Küste des syrischen Meeres Tyrus, Sidon und Tripolis. Von da aus zog Willibald über den Libanon, Damaskus und Cäsarea nach Emaus, einem Flecken Palästinas, bei dem die Quelle entspringt, in der sich Christus die Füße wusch, und endlich wieder nach Jerusalem, wo Alle den ganzen Winter über verweilten.

Hier sollten die unermüdlichen Pilger aber nicht etwa ihre Fahrt beschließen. Man trifft sie im Gegentheil nach und nach in Ptolomäïs, dem heutigen St. Jean-d'Acre, in Emessa, Jerusalem, Damaskus, Samaria, wo sich die Gräber Johannes des Täufers, Abadias' und Eliseus' befinden, in Tyrus, wo der gottesfürchtige Willibald damals freilich eine Zolldefraudation [34] beging, indem er eine nicht unbeträchtliche Menge des sehr berühmten, aber einem Zolle unterworfenen Balsams von Palästina einpaschte. Erst nach langem Aufenthalt in Tyrus konnte er sich daselbst nach Konstantinopel einschiffen, welche Stadt seine Begleiter und er zwei Jahre hindurch bewohnten, bis sie endlich nach Sicilien und Calabrien, Neapel und Capua zurückkamen. Zehn Jahre nach dem Verlassen seines Vaterlandes trat Willibald in das Kloster des Berges Cassin ein. Noch hatte für ihn jedoch die Stunde der Ruhe nicht geschlagen. Er ward vom Papst Gregor III. zum Bischof eines neugeschaffenen Sprengels in Franken ernannt. Während er einundvierzig Jahre zählte, als er die Berufung als Bischof erhielt, verwaltete er dieses Amt noch fünfundvierzig Jahre hindurch und starb im Jahre 745. Im Jahre 938 ward Willibald durch den Papst Leo VII. heilig gesprochen.

Wir schließen diese Reihe von Reisenden mit dem ersten aus dem 9. Jahrhundert, einem gewissen Soleyman, Kaufmann aus Bassorah, der vom Persischen Golf ausgehend Asien erreichte und am Gestade Chinas landete. Der Bericht über diese Reise zerfällt in zwei bestimmt unterschiedene Theile, deren einer im Jahre 851 von Soleyman selbst verfaßt, der andere im Jahre 878 von einem Geographen niedergeschrieben wurde. Der letztere, Abu-Zeyd-Hassan mit Namen, beabsichtigte damit eine Vervollständigung jenes ersten Theiles. Nach dem Urtheile des Orientalisten Reynaud hat dieser Bericht »seiner Zeit ein ganz neues Licht verbreitet über die im 9. Jahrhundert bestehenden Handelsbeziehungen zwischen den Küstenländern Egyptens, Arabiens und des Persischen Meerbusens einerseits und den ungeheuren Gebieten Indiens und Chinas andererseits«.

Soleyman ging im Persischen Meerbusen an Bord, nachdem er sich in Maskate mit Süßwasser versorgt hatte, und besuchte zunächst das »zweite« Meer, d. h. das Meer von Larevy der Araber oder das Meer von Oman der neueren Geographie. Er beobachtete zuerst einen Fisch von erstaunlicher Größe – wahrscheinlich einen Potwal – den die erfahrenen Schiffer durch das Läuten einer Glocke zu erschrecken suchen; ferner einen Haifisch, in dessen Bauche man einen kleineren und in dem Bauche des letzteren einen noch kleineren vorfand » alle beide lebendig«, setzt der Reisende in vollem Ernste hinzu. Des Weiteren beschreibt er den Saug- oder Hemmfisch, die Meerschwalbe und das Meerschwein und sagt, daß er an dem Meere von Herkend, indem er von den Malediven bis zu den Sunda- Inseln mindestens 1900 Inseln [35] und Eilande gezählt habe, alle Küsten mit großen Stücken grauen Ambras übersäet seien. Unter diesen von einer Frau beherrschten Inseln erwähnt er, meist mit ihren arabischen Namen, unter anderen Ceylon und dessen Perlenfischerei, das an Goldminen reiche und von Menschenfressern bewohnte Sumatra, die Nikobaren und die Andamanen, welche noch heute von Kannibalen bevölkert sind. »Dieses Meer von Herkend, sagt er, erhebt sich manchmal zu verderblichen Tromben, welche die Schiffe zerschmettern und eine Unmasse todter Fische und selbst Steine und ganze Berge an den Strand werfen. Wenn sich die Wogen dieses Meeres emporthürmen, bietet das Wasser einen Anblick wie aufloderndes Feuer.« Soleyman hält es für bewohnt von einem Ungethüm, das Menschen verschlingt, und in dem die Commentatoren das Quermaul (eine Haifischart) wiederzuerkennen glaubten.

Soleyman segelte, nachdem er mit den Eingebornen der Nikobaren gegen Eisen Cocosnüsse, Zuckerrohr, Bananen und Palmenwein ausgetauscht, durch das Meer von Kalah-Bar, das die Küste von Malacca bespült; dann nach zehntägiger Seefahrt über das Meer von Schelaleth zum Zwecke der Wassereinnahme nach einer Stelle, welche dem heutigen Singapore entsprechen könnte; endlich kehrte er nach Norden durch das Meer von Kedrendj, jedenfalls den Golf von Siam, zurück und kam in Sicht von Pulo-Oby, an der Südspitze von Cambodje.

Vor den Schiffen des Kaufmanns aus Bassorah lag nun das Senf-Meer ausgebreitet, d. i. das Wasserbecken zwischen den Molukken und Indisch-China. Soleyman verproviantirte sich frisch an der nahe dem Cap Varela gelegenen Insel Sander-Fulat, begab sich hierauf in das Sandjy-, d. i. das Chinesische Meer, und lief einen Monat später in Khan-Fu ein, in dem chinesischen Hafen der heutigen Stadt Tche-kiang, vor der die Schiffe zu jener Zeit gewöhnlich anzulegen pflegten.

Der weitere von Abou-Zeyd-Hassan vervollständigte Bericht Soleyman's enthält nur sehr umständliche Sittenschilderungen der Indier, Chinesen und der Bewohner von Zendj, einem an der Ostküste Afrikas gelegenen Landstriche. Hier führt jedoch der Reisende nicht selbst mehr das Wort, die mitgetheilten Einzelheiten aber finden wir weit interessanter und anschaulicher geschildert in den Reiseberichten seiner Nachfolger wieder.

Ueberblicken wir die Arbeiten der Forscher, welche seit sechs Jahrhunderten vor Beginn der christlichen Zeitrechnung und neun Jahrhunderte [36] nach demselben die Erde durchzogen, so finden wir, daß die ungeheure Küstenlinie von Norwegen bis zum Ende des chinesischen Reiches, welche sich am Atlantischen Ocean, dem Mittelländischen und Rothen Meere, dem Indischen Ocean und dem Chinesischen Meere hinzieht, zum größten Theil besucht und der Lage nach bestimmt worden war. Kühne Reisende drangen daneben in das Innere der Länder ein, in Egypten bis Aethiopien, in Kleinasien bis zum Kaukasus, in Indien und China bis zur Tatarei, und wenn den Orts- und Lagenbestimmungen jener Reisenden auch die mathematische Genauigkeit abging, so waren doch die Sitten und Gebräuche der Einwohner, wie die Erzeugnisse jener Länder, die Art des Handels mit ihnen und ihre religiösen Gewohnheiten hinlänglich bekannt; die Schiffe, welche die in ihrer Regelmäßigkeit erkannten Jahreszeitenwinde benutzten, konnten sich vertrauensvoller auf's Meer hinauswagen, die Karawanen zogen ihres Weges sicherer durch das Land, und als Gesammtwirkung dieser durch die Schriften der Gelehrten verbreiteten Kenntnisse erfreute sich der Handel in der zweiten Hälfte des Mittelalters eines ganz ungewöhnlichen Aufschwungs.

3. Capitel
Drittes Capitel
Berühmte Reisende vom 10. bis zum 13. Jahrhundert.

Benjamin von Tudela (1159–1173). – Plan von Carpin (1245–1247). Rubruquis (1253–1254).

Die Skandinavier im Norden, in Island und Grönland. – Benjamin von Tudela besucht Marseille, Rom, die Walachei, Konstantinopel, den Archipel, Jerusalem, Bethlehem, Damaskus, Balbek, Ninive, Bagdad, Babylon, Bassorah, Ispahan, Schiraz, Samarkand, Thibet, Malabar, Ceylon, das Rothe Meer, Egypten, Sicilien, Italien, Deutschland und Frankreich. – Plan von Carpin durchforscht das Land von Coman und Khangita, das heutige Turkestan. – Sitten und Gebräuche der Tataren. – Rubruquis und das Asow'sche Meer, die Wolga, das Land der Baschkiren, Caracorum, Astrachan, Derbend.


Während des 10. Jahrhunderts und im Anfange des 11. herrschte sozusagen ein reges geographisches Leben im nördlichen Europa. Norweger und unternehmungslustige Gallier hatten sich auf die Meere des Nordens hinausgewagt, waren, wenn man verschiedenen, mehr oder weniger authentischen Berichten Glauben schenken darf, bis in das Weiße Meer vorgedrungen [37] und hatten die heute von den Samojeden bewohnten Gebiete besucht. Einige Urkunden deuten sogar darauf hin, daß der Fürst Madoc das amerikanische Festland betreten habe.

Jedenfalls entdeckten skandinavische Abenteurer im Jahre 861 Island, das die Normanen sofort kolonisirten. Ungefähr um dieselbe Zeit hatte ein Norweger in einem neuen, im äußersten Westen Europas gelegenen Lande Zuflucht gesucht und demselben, freudig erstaunt über das prächtige Grün seiner Erscheinung, den Namen Grünes Land oder Grönland gegeben. Die Verbindung mit diesem Theile des amerikanischen Continentes war aber eine so schwierige, daß ein Schiff, nach der Angabe des Geographen Cooley, »fünf Jahre brauchte, um von Norwegen nach Grönland zu segeln und von Grönland nach Norwegen zurückzukehren«. In strengen Wintern freilich fror der ganze nördliche Ocean zuweilen vollkommen zu und ein gewisser Hollur-Geit konnte einmal, geführt von einer Ziege, zu Fuß von Norwegen aus nach Grönland gelangen. Vergessen wir aber bei solchen Mittheilungen niemals, daß sie noch den Zeiten der »Saga« angehören und daß jene hochnördlichen Länder stets reich an wunderbaren, sagenhaften Ueberlieferungen gewesen sind.

Wir wenden uns also lieber den wirklichen, erprobten und unbestreitbaren Thatsachen zu und erzählen die Reise eines spanischen Juden, dessen Wahrheitsliebe durch zeitgenössische Berichterstatter bestätigt wird.

Dieser Jude war der Sohn eines Rabbiners aus Tudela, einer Stadt des Königreichs Navarra, und nannte sich Benjamin von Tudela. Wahrscheinlich bestand der Zweck seiner Reise nur darin, die Gesammtzahl seiner über den ganzen Erdball zerstreuten Glaubensgenossen festzustellen. Doch gleichviel; jedenfalls zog er vierzehn Jahre lang, von 1160 bis 1173, fast durch die ganze, damals bekannte Welt, und es bildet sein Bericht eine inhaltsreiche, selbst in's Kleinliche eingehende Urkunde, die bis zum 16. Jahrhundert in sehr hohem Ansehen stand.

Benjamin von Tudela trat seine Reise von Barcelona aus an und gelangte über Tarragona, Girone, Narbonne, Béziers, Montpellier, Lunel, Pousquiers, Saint-Gilles und Arles nach Marseille. Nach einem Besuche der beiden Synagogen und der vornehmsten Juden dieser Stadt schiffte er sich nach Genua ein, wo er nach viertägiger Seefahrt eintraf. Die Genuesen spielten damals die Herren des Meeres und bekriegten die Pisaner, ein [38] tapferes Volk, das ebenso wie die Genuesen weder Könige noch Fürsten, sondern nur oberste Richter hatte, die man nach Belieben ein- oder absetzte.

Benjamin von Tudela besuchte nun Lucca und gelangte dann, nach einer Reise von sechs Tagen, nach dem großen, berühmten Rom. Den päpstlichen Stuhl hatte jener Zeit Alexander III. inne, der, wie man sagt, sogar unter seinen Ministern einige Juden verwendete. Von den Baudenkmälern der Ewigen Stadt erwähnt Benjamin von Tudela eingehender nur der Kirchen St. Petri und St. Johannis vom Lateran; doch sind seine Beschreibungen derselben gar zu trocken gehalten. Von Rom aus begab er sich über Capua und das halb unter Wasser stehende Puzzoles nach Neapel, wo er indeß gar nichts sah, außer den fünfhundert Juden, welche in dieser Stadt wohnten. Endlich reiste er über Salerno, Amalfi, Benevento, Ascoli, Trani, St. Nicolas de Bari, Tarento und Brindisi nach Otrante am gleichnamigen Meerbusen und hatte also ganz Italien durchzogen, ohne eine einzige interessante Beobachtung aus diesem so merkwürdigen Lande mittheilen zu können.

Erscheint auch die namentliche Aufzählung der Städte, welche Benjamin von Tudela nicht besuchte, aber doch berührte, sehr undankbar, so dürfen wir dieselbe doch nicht unterlassen, denn der Bericht des jüdischen Reisenden zeichnet sich sonst durch eine so verläßliche Genauigkeit aus, daß es vortheilhaft erscheint, ihm auf der von Lelewel eigens für jenen entworfenen Karte nachzugehen. Von Otrante nach Zeitun in der Walachei sind seine Etappen: Korfu, der Golf von Arta, Achelous, eine alte Stadt Aetoliens, Anatolica in Griechenland, am Golfe von Patras, ferner Patras selbst, Lepante, Crissa, am Fuße des Parnassus, Korinth, Theben, dessen 2000 israelitische Einwohner die geschicktesten Arbeiter Griechenlands in der Bereitung der Seide und des Purpurs sind; endlich Negroponte und Zeitun.

Hier beginnt nach Angabe des spanischen Reisenden die Walachei. Die Walachen selbst springen wie die Rehe und steigen von den Gebirgen hernieder, um im griechischen Lande zu plündern und zu stehlen. – Von hier aus begab sich Benjamin von Tudela über Gardicki, einem kleinen Flecken an der Bai von Volo, Armyros, einem von den Venetianern, Genuesen und Pisanern häufig besuchten Hafen, ferner über Bissina, jetzt eine Stadt in Ruinen, Salonicki, das alte Thessalonich, Dimitritzi, Darma, Christopoli und Abydos nach Konstantinopel.

[39] Der Reisende liefert nun eine Beschreibung dieser großen Hauptstadt aller griechischen Lande. Es regierte damals der Kaiser Emanuel Comnenus, der einen von ihm selbst erbauten Palast am Ufer des Meeres bewohnte. Dort streben Säulen empor aus reinem Silber und Golde, und dort steht »jener Thron aus Gold und edlen Gesteinen, über dem eine goldene Krone an einer Kette so hängt, daß sie dem Kaiser, wenn er Platz nimmt, gerade auf dem Kopfe sitzt. Auch diese Krone ist mit den kostbarsten Edelsteinen geschmückt, deren Werth Niemand abzuschätzen im Stande ist, und in der Nacht braucht man in diesem Raume keine Beleuchtung, denn man kann bei der Strahlenpracht jener Steine hinreichend sehen«.

Der Reisende fügt hinzu, daß die Stadt stark bevölkert ist, daß die Kaufleute hier von allen Orten her zusammenströmen und daß sie in dieser Hinsicht nur etwa mit Bagdad zu vergleichen ist. Ihre Bewohner tragen seidene, mit Stickereien bedeckte und mit Goldfransen verzierte Kleidung; wenn man sie so auf ihren schönen Pferden sieht, möchte man sie für lauter Königskinder halten; dabei sind sie aber verweichlicht und zum Kriege zu muthlos, auch halten sie sich deshalb aus allen Nationen zusammengewürfelte Söldnerschaaren, welche für sie kämpfen. Benjamin von Tudela bedauert, daß es in der Stadt keine Juden giebt und daß man diese nach jenseits des Thurmes von Galata, nahe dem Eingange des Hafens, verwiesen hat. Dort leben etwa 2500 Anhänger beider Secten, der Rabbiniten und der Caraïten, unter ihnen viele Seidenarbeiter, doch auch reiche Kaufleute, Alle aber gleichmäßig gehaßt von den Griechen, welche ihnen stets sehr hart begegnen. Keinem jener vermögenden Juden steht das Recht zu, zu reiten, mit Ausnahme eines Einzigen, des Egypters Salomon, in seiner Eigenschaft als Leibarzt des Königs. Von den Denkmälern Konstantinopels erwähnt Benjamin die Kirche der heiligen Sophia, welche gleich viel Altäre besitzt, wie das Jahr Tage hat, Säulen, goldene und silberne Leuchter aber so viel, daß man diese gar nicht zu zählen vermag; ferner den Hippodrom, der jetzt zum Pferdemarkt verwandelt ist und in dem man »Löwen, Bären, Tiger, wilde Gänse und andere Vögel u.s.w. zur Belustigung des Volkes miteinander kämpfen läßt«. Von Konstantinopel aus besuchte Benjamin von Tudela das alte Byzanz, Gallipoli und Kilia, einen Hafen der östlichen Küste; dann schiffte er sich nach den Inseln des Archipels ein, bei welcher Tour Mitylene, Chio, bekannt wegen seines ausgebreiteten Handels mit Pistazienzucker, Samos, Rhodus [40] und Cypern berührt wurden. Nach dem Lande Arämäa segelnd, kam er über Messis und Antiochia, wo er über die Verehrung des Wassers nicht wenig erstaunte, und über Latachia nach Tripoli, das erst unlängst von einem über das ganze israëlitische Reich hin fühlbaren Erdbeben heimgesucht worden war. Von Tripoli aus besucht er Beyruth, Sidon, das wegen seiner Purpur- und Glas-Fabrikation berühmte Tyrus, Acre, Khaifa, in der Nähe des Berges Carmel, in dem sich die Grotte von Eli befindet, Kapernaum, Cäsarea, [41] eine schöne, rühmlich bekannte Stadt, Kakon, Samaria, das in einer von Flußarmen vielfach durchzogenen, an Gärten reichen Gegend mit Obst- und Weingärten nebst Olivenwäldern erbaut, ferner Nauplea und Gabaon, und kommt nun in Jerusalem an.


Das Grab Absalon's. (S. 42.)

In der heiligen Stadt konnte der spanische Jude natürlich nichts von den Herrlichkeiten sehen, die sich ein christlicher Reisender gewiß nicht hätte entgehen lassen. Für ihn ist Jerusalem nichts als eine kleine, durch drei Mauern befestigte und von Jacobitern, Syriern, Griechen, Georgiern und Franken aller Sprachen und aller Nationen stark bevölkerte Stadt. Sie besitzt zwei Hospitäler, deren eines von vierhundert stets kriegsbereiten Reitern besetzt ist, einen großen Tempel mit dem Grabe »jenes Mannes«, wie der Talmud Jesus Christus bezeichnet, und ein Haus, in welchem die Juden gegen Erlegung eines Grundzinses das Recht haben, Färberei zu treiben. Im Uebrigen giebt es in Jerusalem nicht viele Glaubensgenossen Benjamin's von Tudela, höchstens zweihundert, welche nahe dem Thurme David's in einem Winkel der Stadt zusammen wohnen.

Aus der Nachbarschaft Jerusalems erwähnt unser Reisender die Gräber Absalon's und Osias', den Springquell von Siloë, nahe dem Bache Kidron, das Thal Josaphat und den Oelberg, von dessen Gipfel aus das Meer von Sodom sichtbar ist. In der Entfernung von zwei Parasangen, d. s. alte persische Meilen, steht die unzerstörbare Bildsäule der Lot, und unser Berichterstatter versichert, »daß diese, obwohl alle vorüberziehenden Heerden an dem Salzstocke lecken, immer wieder gleichsam nachwächst und unveränderlich den nämlichen Anblick wie von jeher bietet«.

Nach Einzeichnung seines Namen auf dem Grabe der Rahel – eine Sitte, welcher alle diese Stelle besuchenden Juden huldigen – begab sich Benjamin von Tudela von Jerusalem nach Bethlehem, wo er zwölf israëlitische Färbereien zählte, und dann nach Hebron, einer jetzt verlassenen und verfallenen Stadt.

Nach einem Besuche der in der Ebene von Makhphela gelegenen Grabstätten Abraham's und Sarah's, Jacob's und Lea's verfügte sich der jüdische Reisende nach Beith-Jaberim, Scilo, dem Berge Morija, Beith-Nubi, Rama, Jaffa, Jabneh, Azotos, nach dem von dem Scarificator Esdras erbauten Askalou, ferner nach Lud, Serain, Sufurieh, nach Tiberias, wo sich warme Quellen vorfinden, »welche aus dem tiefsten Schoße der Erde hervorbrechen«, nach [42] Gisch, Meirun, das noch jetzt einen Wallfahrtsort der Juden bildet, hiernach über Alma, Kadis und Belinas, nahe der Höhle, in welcher der Jordan entspringt, und verließ nun das Land Israël, indem er sich nach Damaskus wandte.

Von dieser Stadt, welche am Eingange des Reiches Nurreddin's, des Königs der Türken, lag, liefert Benjamin von Tudela folgende Beschreibung:

»Die Stadt ist groß, schön und von Mauern umgürtet; ihre Umgebung bis auf fünfzehn Meilen in der Runde zeichnet sich durch den Reichthum an Gärten und Weinbergen aus; nirgends in der Welt sieht man eine so fruchtbare Landschaft wieder. Die Stadt liegt am Fuße des Berges Hermon, von dem zwei Flüsse, der Amana und der Pharphar, entspringen, deren ersterer seinen Lauf mitten durch Damaskus nimmt und dessen Wasser auf kostbaren Aquäducten sowohl in die Häuser der Vornehmen, als auch nach den öffentlichen Plätzen und Märkten geleitet wird. Das Land selbst unterhält Handelsverbindungen mit der gesammten Erde. Der Pharphar bewässert die Gärten und Weinberge außerhalb der Stadt. Die Israëliten besitzen in Damaskus eine Moschee mit Namen Goman-Dammesec, d. h. Synagoge von Damaskus. Auf Erden giebt es kein Bauwerk, das mit diesem zu vergleichen wäre; höchstens sei das mit einem früheren Palaste in Benhadad der Fall gewesen. Jenes zeigte eine wunderbare Mauer aus Glas mit ebensoviel Löchern, als das Sonnenjahr Tage hat. Bei ihrem Auf-und Absteigen schien die Sonne allemal durch eines dieser Löcher, so daß man an denselben erkennen konnte, um wie viel Uhr es war. Unterhalb des Tempels stehen goldene und silberne Häuschen, etwa so groß wie eine Kufe, so daß sich drei Personen gleichzeitig darin waschen oder baden konnten.

Ueber die zwei Tagereisen von Damaskus entfernten Städte Galad und Salkah gelangte Benjamin von Tudela nach dem von Salomo erbauten Balbek, dem Heliopolis der Griechen und Römer, im Thale des Libanon; weiter nach Tadmor, dem heutigen Palmyra, das vollständig aus großen Felsblöcken erbaut ist. Durch Cariatin wandernd, macht er einmal Rast in Hama, das zum Theil durch das Erdbeben zerstört war, welches im Jahre 1157 so viele Städte Syriens sehr hart betraf.

In seinem Berichte folgt nun eine trockene Aufzählung von ihm berührter Städte, bei denen er sich darauf beschränkt, nur deren Namen anzuführen, als: Halab, Beles, Kalatdajbar, Racca, Harran, der Hauptort [43] der Sabiner, Nisibe, Dejeziret, dessen türkischer Name Kora ist, Mossul am Tigris und am Anfange Persiens, und Ninive, von wo aus der Reisende nach dem Euphrat, Rahaba, Karkesia, Juba, Abkera und endlich nach Bagdad, der Residenz des Kalifen, zurückkehrt.

Bagdad gefällt unserem israëlitischen Reisenden ausnehmend gut. Es ist eine große Stadt, drei Meilen im Umfange, in der sich Hospitäler für »gewöhnliche« Kranke und solche für Juden befinden. Gelehrte, in allen Fächern der Wissenschaften bewanderte Philosophen und in allen Arten der Zauberei erfahrene Magiker strömen hier von allen Himmelsgegenden her zusammen. Es ist die Residenz und die Hauptstadt eines Kalifen; nach mehreren Gelehrten hätte das Mostaidjed sein müssen, der über das westliche Persien und das Land längs des Tigris herrschte. Dieser Kalif besaß einen sehr großen Palast inmitten eines, von einem Nebenarm des Tigris bewässerten Parkes, in welchem wilde Thiere hausten. In mancher Hinsicht verdient dieser Herrscher allen Potentaten der Erde als Vorbild aufgestellt zu werden. Er ist ein guter, wahrheitsliebender, leutseliger und gegen Alle, die mit ihm zu thun haben, stets höflicher Mann. Dabei lebt er nur von seiner Hände Arbeit und verfertigt mit seinem Namenszuge bezeichnete Decken, welche er durch die Prinzen seines Hauses auf dem Markte verkaufen läßt, um die Unkosten der Hofhaltung zu decken. Seinen Palast verläßt er im Laufe des Jahres nur ein einziges Mal, und zwar bei Gelegenheit des Ramadan-Festes, wo er sich nach der Moschee in der Nähe des Thores von Bassorah begiebt, um als Iman functionirend seinem Volke das Gesetz auszulegen. Dann kehrt er auf anderem Wege nach dem Palaste zurück, während die von ihm erwählte Straße das ganze Jahr über bewacht wird, um zu verhüten, daß irgend Jemand die Spuren seiner Tritte entweihe oder zerstöre. Alle Brüder des Kalifen bewohnen mit ihm einen und denselben Palast; jeder von ihnen wird mit aller Auszeichnung behandelt und sie besitzen die Oberhoheit von Städten und Flecken, welche ihnen genügende Einkünfte sichert, ein angenehmes Leben zu führen. Da sie sich aber einmal gegen ihren Souverän empört hatten, wurden sie mit eisernen Ketten gefesselt und erhielten seit dieser Zeit eine Wache vor das Haus gestellt.«

Nach Kenntnißnahme dieser Einzelheiten begab sich Benjamin von Tudela weiter nach dem spitzen, vom Euphrat und Tigris bewässerten Winkel Kleinasiens hinab und ging über Gihiagin und Babylon, die Stadt der Ruinen, [44] deren früheres Straßennetz einen Raum von dreißig Meilen Umfang bedeckte. Unterwegs sah er den »feurigen Ofen«, in welchen einst Ananias, Misaël und Azarias geworfen wurden, ferner Hillah und den Thurm von Babel, den er mit folgenden Worten beschreibt: »Solches ist der Thurm, den die in alle Länder zerstreuten Völker erbaut haben. Er ist aus Ziegelsteinen errichtet; die Länge seiner Grundmauern beträgt etwa zweitausend, die Breite derselben zweihundertvierzig Armlängen, seine Höhe gegen hundert Ruthen. Von zehn zu zehn Armlängen besitzt er Wege, welche in Form von Wendeltreppen nach seinen oberen Theilen führen. Von diesem Thurme aus übersieht man das Land in einem Umkreise von zwanzig Meilen, denn die Umgebung ist weithin ziemlich eben; doch das Feuer des Himmels fiel auf den Thurm herab und zerstörte ihn wieder bis zum Grunde«.

Von Babel begab sich der Reisende nach der am Euphrat gelegenen Synagoge Ezechiel's, einem hervorragenden Heiligthume, nach dem die Gläubigen wallfahrten, um sich an dem von des Propheten Hand geschriebenen, großen Buche zu erbauen. Weiter zog er ohne Aufenthalt durch Alkotzonath, Ain-Japhata, Lephras, Kephar, Kuffa, Sura, ehedem Sitz einer berühmten jüdischen Hochschule, durch Shafjathib, wo die Synagoge aus Steinen errichtet ist, welche von Jerusalem herrühren, dann durch die Einöde von Yemen, berührte Thema, Tilimas, Chaibar, mit fünfzigtausend israelitischen Bewohnern, Waseth, und gelangte endlich nach Bassorah, am Tigris und fast am Ende des Persischen Golfes.

Ueber diese wichtige handelsthätige Stadt giebt unser Reisender keinerlei Aufschluß; doch begab er sich wahrscheinlich nach Karna, wo er das Grab des Propheten Esdra besuchte; dann betrat er Persien und verweilte in Chuzestan, eine heutzutage in Ruinen liegende Stadt, welche der Tigris in zwei Quartiere, ein reiches und ein armes, theilt, über deren Verbindungsglied, einer alterthümlichen Brücke, aus Billigkeitsrücksichten der Sarg Daniel's aufgehängt ist.

Seine Reise durch Persien setzt Benjamin von Tudela über Rudbar, Holwan, Mulehet und Amaria fort, mit welch' letzterem das medische Gebiet beginnt. »Hier, so erzählt er, trat jener Betrüger David-El-Roï, der kein Anderer ist als der Jesus der Juden, mit seinen falschen Wunderthaten auf.« Auf dem Wege über Hamadan, wo sich die Gräber Mardochaï's und der Esther befinden, und über Dabrestan gelangte er nach der Landeshauptstadt Ispahan, welche zwölf Meilen im Umfange mißt.

[45] Der Bericht des Reisenden leidet hier an vielen Unklarheiten. Seinen Aufzeichnungen folgend, treffen wir ihn später in Schiras, wahrscheinlich in der Provinz Herat von Afghanistan, dann in Samarkand und endlich in der Nähe von Thibet. Von diesem nordöstlichsten Punkte aus, den er überhaupt erreichte, wäre er dann nach Nisapur und nach Chuzestan am Ufer des Tigris zurückgekehrt. Von hier ging er später nach zweitägiger Seefahrt nach El-Cachif, einer am Persischen Meerbusen gelegenen Stadt Arabiens, wo Perlenfischerei betrieben wurde. Nachdem er mittelst siebentägiger Seereise das Meer von Oman überschritten, erreichte er Choulan, das heutige Quilon an der Malabarküste.

Benjamin von Tudela befand sich nun endlich in Indien, in der Heimat der Sonnen-Anbeter und derjenigen Völker, welche überhaupt die Gestirne verehren. Das sind die Länder, welche Pfeffer, Zimmt und Ingwer erzeugen. Zwanzig Tage nach seiner Abfahrt von Choulan kam der jüdische Reisende auf der Insel Cinrag, d. i. Ceylon, an, deren Bewohner fanatische Feuer-Anbeter sind.

Es bleibt unerwiesen, ob Benjamin von Tudela wirklich nach China, wovon er doch spricht, gegangen ist. Er hält die Ueberfahrt dahin für sehr gefahrvoll. Viele Schiffe gehen bei derselben zu Grund und unser Reisender befürwortet folgendes Hilfsmittel, um jenen Gefahren zu entrinnen: »Man nehme, schreibt er, mehrere Ochsenfelle auf die Reise mit; ist dann das Schiff vom Sturme bedroht, so näht man sich, um jeder Gefahr zu entgehen, so dicht in jene Felle ein, daß sie einen wasserdichten Sack bilden, und springt darin in's Meer. Das sehen dann die großen, Greise genannten Vögel, welche, da sie eine thierische Beute vor sich zu haben glauben, herabstürzen, den Sack packen und ihn nach dem Lande, auf einen Berg oder in ein Thal schleppen, um ihre Beute zu verzehren; statt dessen tödtet aber der eingenähte Mensch den Adler mit seinem Messer; dann kriecht er aus der Fellumhüllung heraus und sucht zu Fuße eine bewohnte Ortschaft zu erreichen. Auf diese Weise haben sich schon manche Personen gerettet.«

Später findet man Benjamin von Tudela wiederum in Ceylon, dann wahrscheinlich auf der Insel Socotora, im Eingange des Persischen Golfs, und endlich in Sebid. Durch Ueberschreitung des Rothen Meeres gelangt er nach Abyssinien, das er das »Festländische Indien« nennt. Von hier geht er längs des Nil hinab, quer durch die Provinz Assouan, kommt nach [46] dem Flecken Holvan und erreicht, durch die Sahara ziehend, wo der Wind die Karawanen unter einer Sanddecke vergräbt, Zavila, Kous, Faium und Misraïm, d. i. Kaïro.

Misraïm ist, nach dem Berichte des Reisenden, eine große, mit schönen Plätzen und Kaufhallen geschmückte Stadt. Hier fällt niemals Regen, dafür bewässert der Nil, welcher jährlich einmal aus seinen Ufern tritt, das Land »auf eine Strecke von fünzehn Tagereisen und verleiht ihm dadurch eine außerordentliche Fruchtbarkeit«.

Benjamin von Tudela ging dann von Misraïm aus über Gizeh, ohne der dortigen Pyramiden mit einem Worte zu gedenken, nach Ain-Schams, Boutig, Zifita, Damira und machte in dem von Alexander dem Großen begründeten Alexandria Rast. »Diese Stadt, sagt er, treibt lebhaften Handel und die Kaufleute kommen hier aus der ganzen Erde zusammen. Ihre Plätze und Straßen sind stets voller Menschen und so lang, daß man deren Ende nicht sieht. Ein Damm springt eine Meile weit in's Meer vor und trägt einen von dem Eroberer erbauten Thurm, auf dessen Spitze sich ein gläserner Spiegel befindet, mittelst dessen man alle Schiffe, die von Griechenland und dem Abendlande kommen, um das Land zu bekriegen oder der Stadt sonstwie Schaden zu thun, schon in fünfzig Tagereisen Entfernung wahrnehmen konnte«. Dieser Leuchtthurm dient, wenn man den Worten des Reisenden glauben darf, noch heute als Signal für Alle, welche nach Alexandria segeln, »denn man bemerkt ihn auf hundert Meilen Entfernung Tag und Nacht, da er während der Dunkelheit durch mächtige Fackeln erleuchtet« wird, u.s.w. Was bedeuten da gegenüber jener Warte unsere Leuchtthürme, welche höchstens auf dreißig Meilen weit sichtbar sind, selbst wenn die Elektricität ihnen das Licht liefert?


Der Thurm von Babel. (S. 45.)

Damiette, Sunbat, Ailach, Refidim, der Flecken Thor am Fuße des Sinaï wurden von dem jüdischen Reisenden besucht. Nach Damiette zurückgekehrt, schiffte er sich dann ein und landete zwanzig Tage später in Messina. In der Absicht, die Anzahl seiner Glaubensgenossen noch weiter festzustellen, begab er sich über Rom nach Lucca, ging über den St. Bernhard und zählt nun eine Menge Städte in Deutschland und Frankreich auf, in welchen die Juden Duldung gefunden hatten; Chateaubriand's Zusammenstellung nach dem Reiseberichte Benjamin's von Tudela ergäbe für sie eine Anzahl von 768.165 Glaubensgenossen.


Benjamin von Tudela in der Sahara. (S. 47.)

[47]

Zum Schluß spricht unser Reisender von Paris, das er ohne Zweifel besucht hat, jene ausgedehnte Stadt am Ufer der Seine, welche dem König Ludwig gehört. »Sie enthält Gelehrtenschulen, bemerkt er, welche heutzutage auf der Erde nicht ihresgleichen haben; Tag und Nacht verwendet man in denselben zum Studium des Gesetzes; gegen Fremde erweist man sich darin sehr 'gastfreundlich und giebt der Freundschaft und Brüderlichkeit gegen alle Israëliten unverhohlenen Ausdruck.«

[48] Das ist die Reise Benjamin's von Tudela. Sie bildet ein hochwichtiges Denkmal der geographischen Wissenschaft aus der Mitte des 12. Jahrhunderts und suchten wir durch Ein- oder Nebensetzung der heutigen Ortsnamen es dem Leser möglichst zu erleichtern, dem Wege des eifrigen Israëliten auf einer Karte der Neuzeit zu folgen.

Auf den Namen Benjamin's von Tudela folgt der chronologischen Ordnung nach der Jean du Plan's von Carpin, den einige Schriftsteller [49] einfach Carpini nennen. Er war Franziskaner und wurde 1182 in einem Flecken des Districtes von Perugia in Italien geboren. Es ist allgemein bekannt, welche Fortschritte die mongolischen Horden unter Führung des ehrgeizigen Gengis-Khan machten. Im Jahre 1206 erhob dieser thatkräftige Häuptling Caracorum, eine alte, türkische, in der Tatarei, nördlich von China gelegene Stadt zur Hauptstadt seines Reiches. Unter seinem Nachfolger Ogadaï breitete sich die mongolische Herrschaft bis in's Herz von China aus, und dieser Barbarenfürst überfiel mit einem Heere von 600.000 Kriegern sogar Europa. Rußland, Georgien, Polen, Mähren, Schlesien und Ungarn wurden der Schauplatz heißer, blutiger Kämpfe, welche immer zum Vortheile Ogadaï's ausfielen. Man betrachtete diese Mongolen als von den höllischen Mächten entsandte Dämonen, und das ganze Abendland sah sich durch ihren Einfall ernstlich bedroht.

Papst Innocenz IV. schickte an den Tataren-Khan eine erste Gesandtschaft, welche nur eine hochmüthige, wenig beruhigende Antwort desselben heimbrachte. Sofort schickte er neue Gesandte an die Tataren aus Nordosten, um dem Vordringen der Mongolen Einhalt zu thun, und bestimmte zum Chef dieser Gesandtschaft den Franziskaner Carpini, der das Ansehen eines gewandten und kenntnißreichen Diplomaten genoß.

Am 6. April 1245 machte sich Carpini, in Begleitung Etienne's von Böhmen, auf den Weg. Er begab sich zunächst nach Böhmen. Der König dieses Landes händigte ihm Beglaubigungsschreiben für seine Verwandten in Polen aus, deren Einfluß den Gesandten den Eintritt nach Rußland erleichtern mußte. Ohne Schwierigkeit gelangten Carpini und sein Begleiter bis in die Staaten des russischen Herrschers, wo sie sich auf des Letzteren Rath mit Biber- und anderem Pelzwerk versahen, um dasselbe dem Tatarenfürsten als Geschenk darzubringen. Nun wandte sich Carpini nach Nordosten und erreichte Kiew, damals die Hauptstadt Rußlands und jetzt Hauptort des gleichnamigen Gouvernements, wobei er sich mancherlei Gefahren durch die in diesen Gegenden umherstreifenden, als Feinde des Kreuzes berüchtigten Lithauer aussetzen mußte.

Der Gouverneur von Kiew bewog die Gesandten des Papstes, ihre Pferde gegen tatarische Rosse zu vertauschen, welche gewöhnt sind, etwas Futter noch durch den Schnee zu wittern, und so erreichten die wohlberittenen Gesandten die Stadt Damilon. Hier erkrankten sie ernsthaft, erkauften jedoch [50] kaum genesen, einen Wagen und setzten ihren Weg fort trotz der bittersten Kälte. In Kaniew am Dnieper angelangt, betraten sie das erste Dorf des Mongolenreiches. Von hier aus geleitete sie ein roher Hauptmann, den sie nur durch Geschenke etwas milder zu stimmen vermochten, nach dem Lager der Tataren.

Die Barbaren empfingen sie zuerst sehr schlecht, brachten sie aber vor den Herzog Correnso, der einen Vortrab von 60.000 Mann befehligte. Der General, vor dem sie nur knieend erscheinen durften, sandte sie seinerseits wieder unter der Obhut dreier Tataren an den Prinzen Bathy, dem mächtigsten Anführer nach dem Kaiser selbst.

Auf dem ganzen Wege waren Relais eingerichtet. Tag und Nacht und immer im scharfen Trabe ging die Reise vor sich. Der Franziskaner durchzog auf diese Weise das Land der Comanen, zwischen dem Dnieper, Tanaïs (Don), der Wolga und dem Jack, wobei er oft gefrorene Ströme überschreiten mußte, und gelangte endlich an den Hof des Prinzen Bathy, an der Grenze des Landes der Comanen.

»Als man uns zu dem Prinzen führte, sagt Carpini, that man uns zu wissen, daß wir zwischen zwei Feuern hindurch müßten, damit diese, wenn wir etwas Böses gegen ihren Herrn und Meister im Schilde führten oder etwa ein Gift bei uns hätten, alles das zerstören und unschädlich machen könnten, eine Bedingung, der wir uns widerspruchslos unterwarfen, um jede Spur eines Verdachtes fern zu halten.«

Der Prinz thronte inmitten seines Hofes und seiner Officiere in einem prächtigen Zelte aus feinster Leinwand. Er stand im Rufe größter Leutseligkeit gegen die Seinigen, aber der härtesten Grausamkeit im Kriege. Carpini und Etienne nahmen zu seiner Linken Platz.

Es war am Charfreitag. Die in die slavonische, arabische und tatarische Sprache übersetzten päpstlichen Briefe wurden dem Fürsten präsentirt. Dieser durchlas sie aufmerksam und schickte die Gesandten des Papstes nach ihrem Zelte zurück, wo man ihnen als einzige Mahlzeit einen kleinen Napf voll Hirse vorsetzte.

Am nächsten Morgen ließ Bathy die beiden Gesandten rufen und halfen ihnen, sich selbst zum Kaiser zu begeben. Mit zwei Führern reisten sie am Ostersonntag ab. Bei ihrer nur aus Hirse, Salz und Wasser bestehenden [51] Nahrung kamen die armen Leute freilich bald von Kräften; dennoch mußten sie schnellstens vorwärts, wozu man täglich fünf- bis sechsmal die Pferde wechselte. Das Land der Comanen, welches sie durchzogen, war fast menschenleer, da die Tataren dessen Bewohner zum größten Theil verdrängt oder niedergemacht hatten. Die Reisenden kamen weiterhin in das Land der Kangiten, östlich von Comanien, wo an vielen Orten selbst das Wasser fehlt. Die wenigen Völkerstämme dieser Provinz beschäftigen sich ausschließlich mit Thierzucht und ertrugen willig das harte Joch der Mongolen.

Carpini brauchte die ganze Zeit zwischen dem Sonntag nach Ostern und dem Himmelsfahrtstage zur Reise durch das Gebiet der Kangiten und gelangte dann in das Reich der Biserminen, d. h. der Moslemin, das dem heutigen Turkestan entspricht. Ueberall lagen hier Städte, Dörfer und Schlösser in Trümmern. Nach einer vom Himmelfahrtstage bis acht Tage nach Johannis, d. i. also bis zum 1. Juli, währenden Reise durch eine gebirgige Gegend betraten die Gesandten des Papstes Kara-Kitay. Der Gouverneur dieser Provinz empfing sie sehr freundlich und ließ ihnen zu Ehren seine beiden Söhne nebst den vornehmsten Personen seines Hofes vor den Gästen Tänze aufführen.

Von Kara-Kitay aus ritten die Reisenden mehrere Tage lang längs eines, nördlich von der Stadt Yeman gelegenen Sees hin, der nach de Remusat der See Kesil-Basch sein müßte. Hier wohnte Ordu, der älteste Anführer der Tataren.

Carpini und Etienne ruhten bei demselben, der sie mit großer Gastfreundschaft empfing, einige Tage aus. Dann reisten sie weiter durch das gebirgige und kalte Land der Naimanen, eines unter Zelten wohnenden Nomadenvolkes, und erreichten hierauf das Reich der Mongolen. Endlich am St. Magdalenentag, d. i. am 22. Juli, kamen sie an dem Orte an, wo der Kaiser verweilte oder vielmehr Derjenige, welche zum Kaiser erhoben werden sollte, denn noch war seine Wahl nicht vollzogen.

Der späterer Herrscher nannte sich Cuyne. Er ließ die päpstlichen Gesandten zwar mit aller Auszeichnung aufnehmen und bewirthen, konnte sie aber nicht selbst empfangen, da er noch nicht Kaiser war und in Regierungsangelegenheiten deshalb nicht eingreifen mochte. Ein Brief des Prinzen Bathy unterrichtete ihn jedoch vorläufig über die Gründe, welche den Papst Innocenz IV. zur Abfertigung der Gesandtschaft bewogen hatten.

[52] Seit dem Ableben Ogadaï's war die Regierung des mongolischen Reiches auf dessen Witwe, die Kaiserin und Mutter des Prinzen Cuyne, übergegangen. Diese Fürstin empfing also den Franziskaner und seinen Begleiter in feierlicher Audienz unter einem Zelte von weißem Purpur, das 2000 Personen fassen konnte.

»Als wir nun hier waren, berichtet Carpini, sahen wir eine große Versammlung von Fürsten und Prinzen nebst ihrem Gefolge, die von allen Seiten zusammengekommen und Alle beritten waren. Am ersten Tage bekleideten sie sich mit weißem Purpur, am zweiten, wo auch Cuyne in das oben erwähnte Zelt kam, mit rothem; am dritten Tage gingen sie in violettem Purpur und am vierten im herrlichsten Scharlach oder Carmoisin gekleidet. Alle bildeten nahe jenem Zelte gleichsam eine lebende Palissade mit zwei geräumigen Thoren, durch deren eines nur dem Kaiser der Zutritt offen stand, während kein Anderer durch dasselbe weder aus- noch einzugehen wagte, sondern Jeder das zweite benutzte, an welchem Wachtposten mit Schwertern, Pfeilen und Bogen standen. Näherte sich nun ein Unbefugter dem Zelte bis über die um dasselbe gezogenen Grenzen, so wurde er, wenn man ihn erlangen konnte, mit dem Schwerte zurückgewiesen oder mit Pfeilschüssen vertrieben. Unter den Reitern befanden sich einige große Herren, welche am Harnisch ihrer Pferde, unserer Schätzung nach, mehr als zwanzig Mark Silber trugen.«

Es verging inzwischen ein ganzer Monat, ehe Cuyne zum Kaiser ausgerufen ward, und die Gesandten des Papstes mußten eben so lange warten, bevor sie von ihm empfangen werden konnten. Carpini benutzte diese unfreiwillige Muße, um die merkwürdigen Sitten und Gebräuche dieser Horden zu beobachten. In seinem Berichte finden sich darüber sehr interessante Einzelheiten.

Das Land erschien im Allgemeinen bergig, aber fast überall aus Sand, mit nur wenigem Lehmboden bestehend. Holz scheint gänzlich zu fehlen; auch die Großen benutzen zum Heizen nur den gedörrten Mist der Thiere. Obwohl die Landschaft so unfruchtbar scheint, gedeihen die Heerden doch vortrefflich. Das Klima ist sehr ungleich. Im Sommer giebt es häufige Gewitter und der Blitz fordert zahlreiche Opfer. Der Sturm ist oft so heftig, daß er die Reiter von den Pferden wirst. Im Winter fehlt der Regen gänzlich, aber auch im Sommer reicht er oft kaum hin, den Staub [53] zu löschen. Hagelwetter treten mit furchtbarer Gewalt auf, und während des Aufenthaltes Carpini's trat einmal ein so entsetzliches auf, daß hundertvierzig Personen ertranken, als die Schloßenmassen aufthauten. Alles in Allem ein weitausgedehntes, aber noch ärmeres Land, als man glaubt.

Carpini liefert auch von den Tataren selbst ein sehr treffendes Bild, einen Beweis seiner scharfen Beobachtungsgabe. »Sie zeichnen sich, sagt er, durch große Breite des Gesichtes zwischen Augen und Wangen aus, welch' letztere sehr nach außen vorspringen; ihre Nase ist platt und klein, die Augen sind ebenfalls klein und die Wimpern erheben sich bis zu den Augenbrauen; in der Taille hager und schlank, sind sie meist nur von mittlerer Größe und haben fast keinen Bartwuchs; nur Einzelne besitzen wenige Haare auf der Oberlippe und dem Kinn, welche sie niemals abschneiden. Auf dem Schädel tragen sie eine Art Tonsur, wie unsere Geistlichen, und rasiren sich von einem Ohr zum anderen etwa drei Finger breit; die Haare davor lassen sie bis auf die Augenbrauen herabwachsen und schneiden sie nur an beiden Seiten der Stirn halbkurz; im Uebrigen wächst ihr Haar am Hinterkopf so lang wie bei den Frauen, und machen sie aus jenem zwei seilartige Zöpfe, welche hinter den Ohren geknüpft werden. Im Uebrigen haben sie auch sehr kleine Füße.«

Frauen und Männer, welche bei der sehr ähnlichen Kleidung nur sehr schwer von einander zu unterscheiden sind, tragen pelzverbrämte, von oben bis unten geschlitzte Oberkleider und große Mützen von Schetter (d. i. Steifleinwand) oder Purpur, welche sich nach oben zu erweitern. Sie bewohnen Häuser in Form von Zelten, welche nur durch Zweige und Stäbe gestützt und zusammengelegt, bequem auf Saumthiere zu verpacken sind. Größere werden so wie sie sind auf Wagen verladen und begleiten ihren Besitzer auf den Fahrten durch das Land.

Die Tataren glauben an einen Gott, den Schöpfer aller sichtbaren und unsichtbaren Dinge, der je nach Verdienst belohnt und bestraft. Sie beten aber auch die Sonne, den Mond, das Feuer, die Erde und das Wasser an und werfen sich vor aus Filz gefertigten, menschenähnlichen Idolen nieder. Sie sind sehr intolerant und haben Michel von Turnigow und Fedor, welche die griechische Kirche heilig gesprochen hat, schwer gemartert, weil sie dem Prinzen Bathy abschlugen, sich gegen Süden hin zu verneigen, wie es alle Tataren thun. Diese Völkerschaften sind ferner sehr abergläubisch, glauben [54] an Beschwörungen und Zauberei und nehmen an, daß das Feuer Alles läutere. Stirbt einer ihrer Fürsten, so vergräbt man mit ihm einen Tisch, ein Gefäß voll Fleisch, eine Tasse mit Stutenmilch, eine Stute nebst Fohlen und ein gesatteltes und gezäumtes Pferd.

Die Tataren leisten ihren Anführern unbedingten Gehorsam, verabscheuen untereinander jede Lüge und sind Feinde langer Verhandlungen; Mordthaten kom men, ebenso wie Diebstähle, nur äußerst selten vor, und auch kostbare Gegenstände werden nicht besonders verwahrt. Ohne sich zu beklagen, ertragen diese Leute Hunger und Anstrengung, Hitze und Kälte, während sie bei jeder Gelegenheit singen, spielen und tanzen; der Trunksucht huldigen sie dagegen sehr stark; ihr Hauptfehler ist der Hochmuth und die Verachtung aller Fremden, auch achten sie das Menschenleben nur gering.

Zur Vervollständigung dieses Bildes fügt Carpini hinzu, daß diese Barbaren allerlei Fleisch, wie das von Hunden, Wölfen, Füchsen, Pferden und gelegentlich sogar Menschenfleisch verzehren. Ihr Getränk besteht aus der Milch der Stuten, Schafe, Ziegen, Kühe und Kameele. Sie kennen weder Wein, noch Bier oder Meth, sondern nur sehr berauschende Liqueure. Uebrigens sind sie sehr schmutzig und verschmähen weder Ratten noch Mäuse, selbst Ungeziefer oder was nur sonst verzehrbar erscheint; ihre Speisegeschirre reinigen sie niemals oder höchstens gleich mit der Suppe selbst; ebenso waschen sie niemals ihre Kleider und leiden auch nicht, daß es Andere thun, »vorzüglich wenn es donnert«. Die Männer befassen sich eigentlich mit gar keiner Arbeit; jagen, mit dem Bogen schießen, die Heerden bewachen und umherreiten, bildet ihre ganze Beschäftigung. Auch die Frauen und Mädchen lieben diese Körperübungen und sind darin ebenso geschickt als kühn.


Zugang von Konstantinopel.

Daneben verfertigen sie aber auch die Pelze und anderen Kleidungsstücke, führen die Wagen und die Kameele und genügen zu diesen Arbeiten um so eher, als sie in den Familien an Zahl weit überwiegen; da die polygamischen Barbaren selbst zu sehr hohen Preisen so viele Frauen zu kaufen pflegen, als sie ernähren können.


Die Tataren. (S. 54.)

Das sind in kurzem Auszuge die Beobachtungen Carpini's, während er sich in Erwartung der Kaiserwahl einen Monat lang in Syra-Orda aufhielt. Inzwischen verriethen gewisse Vorzeichen, daß diese Wahl nahe bevorstehe. So begann man z.B. vor Cuyne zu singen, wenn er aus seinem Zelt hervortrat, und erwies ihm eine besondere Ehrerbietung mit schön verzierten Stäben mit einem Büschel scharlachrother Wolle am Ende. [55] [57]Vier Meilen von Syra-Orda entfernt, in einer Ebene und längs eines Baches war ein zur Krönung bestimmtes Zelt errichtet worden, das im Innern überall scharlachroth ausgekleidet, sich auf goldeingelegte Säulen stützte. Endlich, am St. Bartholomäustage, trat eine zahlreiche Versammlung zusammen, wobei Jedermann unausgesetzt betete und dabei mit dem Gesicht nach Mittag hin gewendet blieb, eine heidnische Sitte, der sich der Franziskaner und sein[57] Begleiter anzuschließen wehrten. Dann ward Cuyne auf den kaiserlichen Thron gesetzt und Fürsten und Volk beugten das Knie vor ihm. Das war die Huldigung.

Sofort wurden Carpini und Etienne zu dem neuen Kaiser vorgeladen. Man untersuchte sie erst gründlich und darauf traten sie in das kaiserliche Zelt ein, zugleich mit anderen Gesandten, welche reiche Geschenke brachten. Sie selbst, die armen Gesandten des Papstes, hatten nichts mehr anzubieten. Entsprach dieser Armuth auch der ihnen gewordene Empfang? Wir wissen davon nichts, doch währte es sicher sehr lange Zeit, bevor es Carpini und Etienne gelang, Sr. tatarischen Majestät die Gründe mitzutheilen, um derentwillen sie hierher gesendet worden waren. Wiederum verstrichen dann Tage auf Tage, Wochen auf Wochen; die Gesandten lebten unter den traurigsten Verhältnissen und kamen vor Hunger und Durst fast um; da endlich, am St. Martinstag, ließen sie der Intendant und die Secretäre des Kaisers zu sich rufen und übergaben ihnen das für den Papst bestimmte Antwortschreiben, das mit denselben stolzen Worten endigte, die eine beliebte Schlußformel der Briefe asiatischer Despoten zu bilden scheinen: »Wir beten Gott an und hoffen mit seiner Hilfe die ganze Erde, vom Orient bis zum Occident, zu zerstören und zu unterwerfen«.

Bald darauf reisten die Gesandten ab und ritten den ganzen Winter hindurch durch eisbedeckte Einöden. In Ascension erreichten sie wieder das Hoflager des Prinzen Bathy, der ihnen neue Pässe einhändigte, und mit Hilfe derselben kamen sie unangefochten, freilich erst vierzehn Tage vor Johannis 1247, nach Kiew. Am 9. October ernannte der Papst Carpini zum Erzbischof von Antivari in Dalmatien und gegen 1251 beschloß der unerschrockene Reisende in Rom sein bewegtes Leben.

Carpini's Mission war gänzlich erfolglos ausgefallen; die Tataren blieben dieselben grausamen, wilden Horden wie vorher. Inzwischen wurde sechs Jahre nach der Rückkehr des Franziskaners ein anderer, niederer Mönch, Wilhelm von Rubruquis, ein Belgier von Geburt, an diese Barbaren abgesendet, welche damals in den Gebieten zwischen dem Don und der Wolga saßen. Der Zweck dieser Gesandtschaft erhellt aus Folgendem:

Jener Zeit bekriegte Ludwig der Heilige die Sarazenen in Syrien, und während er die Ungläubigen häufig angriff, führte der mongolische Fürst Erkaltay auch von der persischen Seite her eine ganz unnöthige [58] Diversion zu Gunsten des Königs von Frankreich gegen jene aus, so daß sich das Gerücht verbreitete, genannter Fürst sei zum Christenthum übergetreten. Da Ludwig der Heilige hierüber Gewißheit zu haben wünschte, beauftragte er den Mönch Rubruquis, Erkaltay in seinem eigenen Lande zu beobachten.

Im Juni 1253 schifften sich Rubruquis und seine Begleiter nach Konstantinopel ein und erreichten von hier aus die Mündung des Don am Asow'schen Meere, wo sich eine große Menge Gothen, die Abkömmlinge germanischer Stämme, aufhielten. Bei den Tataren selbst begegneten die Gesandten des Königs von Frankreich zuerst einem üblen Empfange und erlitten eine ziemlich schlechte Behandlung; die Vorzeigung ihrer Briefe veranlaßte jedoch den Gouverneur Zagathal, einen Verwandten des Khan, ihnen für die Weiterreise Wagen, Pferde und Ochsen zur Verfügung zu stellen.

Sie brachen also auf und trafen am nächsten Morgen gleichsam ein ganzes wandelndes Dorf; es waren das nämlich verschiedene, mit dem Gouverneur gehörigen Häusern beladene Lastwagen. Zehn Tage lang blieben die Reisenden in Gesellschaft der den Wagenzug begleitenden Leute, welche sich so wenig freundlich und freigebig erwiesen, daß Rubruquis und seine Begleiter ohne ihre Provisionen an Zwieback sicherlich Hungers gestorben wären. Am Ende des Asow'schen Meeres angelangt, wandten sie sich gegen Osten, wobei sie längs einer dürren Einöde ohne einen Baum oder einen Stein dahinzogen. Es war dies das Land der Comanen, durch welches Carpini früher weiter oben im Norden gekommen war. Rubruquis, der die von kaukausischen Völkerschaften bewohnten Gebirge im Süden liegen ließ, kam nach anstrengender, zweimonatlicher Reise im Lager des Prinzen Sartach, am Ufer der Wolga, an.

Hier befand sich die ganze Hofhaltung des Prinzen, eines Sohnes Baatu-Khans. Dieser hatte sechs Frauen; jede derselben besaß einen Palast, mehrere Häuser und zweihundert Wagen, von denen einzelne zwanzig Fuß in der Breite maßen und von einem Gespann von zweiundzwanzig, zu je eilf hintereinander gespannten Ochsen gezogen wurden.

Sartach nahm die Gesandten des Königs von Frankreich sehr leutselig auf und versorgte sie in Anerkennung des dringenden Bedürfnisses mit allem Nothwendigen; Rubruquis und seine Begleiter mußten nun vor dem Fürsten, aber in Priestergewändern erscheinen; dabei legten sie auf ein Kissen eine prachtvoll ausgestattete Bibel, das Geschenk ihres Königs, einen Psalter, das [59] Geschenk der Königin, ein Meßbuch, Crucifix und ein Räucherfaß und traten so bei dem Prinzen ein, während sie sich wohl in Acht nahmen, die Thürschwelle zu berühren, was als unentschuldbarer Verstoß aufgefaßt worden wäre. Vor Prinz Sartach angelangt, stimmten die frommen Gesandten das Salve Regina an. Der Prinz selbst und eine der Prinzessinnen, welche bei dieser Ceremonie zugegen war, untersuchten sehr eingehend den Schmuck und die Kleidung der Geistlichen und gestatteten ihnen darauf, sich wieder zurückzuziehen. Ob freilich Sartach selbst Christ sei, konnte Rubruquis nicht in Erfahrung bringen.

Die Mission der Abgesandten Ludwig's des Heiligen war jedoch hier als noch nicht erfüllt zu betrachten. Der Prinz selbst empfahl ihnen dringend, sich an den Hof seines Vaters zu begeben. Rubruquis kam dieser Weisung nach und gelangte, mitten durch lauter mohammedanische Volksstämme, welche sich in den Besitz der Landschaften zwischen Don und Wolga theilten, nach dem Lager des Königs am Ufer des letzteren Flusses.

Hier wiederholte sich dieselbe Ceremonie wie am Hofe des Prinzen Sartach. Die Geistlichen mußten ihre Kirchengewänder anlegen und traten so vor den Khan, der auf einem vergoldeten Stuhle von der Breite eines Bettes saß. Baatu glaubte jedoch nicht selbst mit den Gesandten des Königs von Frankreich verhandeln zu sollen und verwies sie deshalb nach Caracorum, an den Hof Mangu-Khans.

Rubruquis durchzog das Land der Baschkiren, besuchte Kenchat und Talach, überschritt den Axiartes und erreichte Equius, eine Stadt, deren Lage spätere Gelehrte nicht mehr festzustellen vermochten; dann kam er durch das Gebiet von Organum, wo sich der Balkasch-See befindet, und durch das Land der Uiguren nach Caracorum, der Hauptstadt, vor welcher Carpini Halt gemacht hatte, ohne sie zu betreten.

Diese Stadt war, nach Rubruquis, von Erdwällen mit vier Thoren umgeben. Zwei Moscheen und eine christliche Kirche bildeten ihre hervorragendsten Bauten. Der Mönch zog in Caracorum mehrfache Erkundigungen ein über die benachbarten Völkerschaften, vorzüglich über die Tanguren, deren Ochsen – eine sehr ausgezeichnete Race – nichts Anderes sind als die weitberühmten Yaks von Thibet; auch spricht er von den Thibetanern und deren sonderbarer Sitte, die Leichen ihrer Väter und Mütter zu – verzehren, um ihnen ein ehrenvolles Begräbniß zu gewähren.

[60] Leider befand sich der Groß-Khan nicht in seiner Hauptstadt Caracorum. Rubruquis mußte sich mit seinen Begleitern nach dessen Residenz begeben, welche jenseits der im Norden aufstrebenden Berge lag. Am Tage nach ihrer Ankunft begaben sie sich barfuß, nach der Ordensregel der Franziskaner, an den Hof, wobei sie, nebenbei bemerkt, die Zehen erfroren. Vor Mangu-Khan geführt, sahen sie einen Mann mit stumpfer Nase und von mittlerer Größe vor sich, der, bekleidet mit prächtigem, ähnlich dem Felle des Seekalbs, geflecktem Pelzwerk auf einem Ruhebette lag. Der König war von Falken und vielen anderen Vögeln umgeben. Den Gesandten des Frankenkönigs setzte man zunächst mehrere Sorten Liqueure, Arrac-Punsch, gegohrene Stutenmilch und »Ball«, d. i. eine Art Meth, vor. Jene enthielten sich zu trinken; der minder nüchterne Khan aber trank herzhaft und verlor unter dem Einflusse jener berauschenden Getränke bald die Klarheit seiner Sinne, so daß die Audienz aufgehoben werden mußte, ohne daß die Gesandten ihre eigentliche Absicht erreichten.

Rubruquis verbrachte mehrere Tage am Hofe Mangu-Khans. Er fand hier eine große Anzahl deutscher und französischer Gefangener, die in der Hauptsache mit der Anfertigung von Waffen und der Ausbeutung der Bergwerke von Bocol beschäftigt waren. Die von den Tataren ganz gut behandelten Gefangenen beklagten sich nicht über ihre Lage. Nach mehreren Audienzen, welche ihm der Groß-Khan bewilligte, erhielt Rubruquis die Erlaubniß zur Rückreise und kam nach Caracorum zurück.

In der Nähe dieser Stadt erhob sich ein prachtvoller, dem Khan gehöriger Palast. Derselbe glich einer geräumigen Kirche mit Mittel- und Seitenschiffen. Hier thront der Herrscher auf einer an der Nordseite des Raumes sich erhebenden Estrade; die Männer nehmen dann zu seiner Rechten, die Frauen zur Linken Platz. In dem nämlichen Palaste feiert man auch jährlich zweimal prunkvolle Feste, bei denen sich alle Großen des Landes um den Souverän versammeln.

Während seines Aufenthaltes in Caracorum sammelte Rubruquis manche interessante Belege über die Sitten der Chinesen, ihre Schrift u. a. m. Dann verließ er die Hauptstadt der Mongolen und reiste auf dem schon früher eingehaltenen Wege zurück. Von Astrachan, an der Mündung eines bedeutenden Stromes, aber wandte er sich nach Süden, betrat Syrien und erreichte unter Begleitung einer tatarischen Escorte, welche das Vorkommen [61] räuberischer Stämme sehr nothwendig machte, Derbend am Eisernen Thore. Von hier aus gelangte er über Nakschivan, Erzerum, Siwas, Cäsarea, Iconium nach dem Hafen von Curch und schiffte sich daselbst ein, um in sein Vaterland zurückzukehren.

Man erkennt, daß seine Reise in der Hauptsache mit der Carpini's zusammenfällt, doch ist sein Bericht beiweitem weniger interessant und scheint dem belgischen Mönche im Ganzen jene Beobachtungsgabe sehr abzugehen, welche den italienischen Franziskaner so vortheilhaft auszeichnet.

Mit Carpini und Rubruquis schließt das Verzeichniß der Forscher, welche sich im Laufe des 13. Jahrhunderts einen Namen machten. Ihr Ruhm sollte aber weit überstrahlt werden durch den des Venetianers Marco Polo, den berühmtesten Reisenden jener ganzen Epoche.

4. Capitel
1.
I.

Das Interesse genuesischer und venetianischer Kaufleute, das Innere Asiens zu erschließen. – Die Familie Polo und ihre Stellung in Venedig. – Die beiden Brüder Nicolo und Matteo Polo. – Sie geben von Konstantinopel an den Hof des Kaisers von China. – Ihr Empfang am Hofe Kublaï-Khans. – Der Kaiser ernennt sie zu seinen Gesandten beim Papste. – Ihre Rückkehr nach Venedig. – Marco Polo. – Er reist mit seinem Vater Nicolo und seinem Onkel Matteo nach der Residenz des Herrschers der Tataren. – Der neue Papst Gregor X. – Marco Polo's Reisebericht, von ihm selbst dictirt und von Rustician aus Pisa niedergeschrieben.


Den Unternehmungen so vieler kühner Reisender in Mittelasien, Indien und China gegenüber konnten die Kaufleute Genuas und Venedigs natürlich nicht gleichgiltig bleiben. Sie erkannten, daß diese Länder bald neue Absatzgebiete für ihre Producte bilden müßten und daß andererseits durch Einführung der orientalischen Waaren nach dem Occident ein großer Gewinn zu erzielen sei. Ein solches Handelsinteresse trieb erklärlicher Weise bald neue Forscher auf den Weg der Entdeckungen hinaus. Aehnliche Gründe bestimmten auch zwei vornehme Venetianer, ihr Vaterland zu verlassen und allen Mühsalen und Gefahren so weiter Reisen zu trotzen, um ihre Handelsbeziehungen zu erweitern.

[62] Diese beiden Venetianer gehörten der aus Dalmatien stammenden Familie Polo an, welche in Folge ihrer durch rege Handelsthätigkeit erworbenen Reichthümer zu den Patrizierkreisen Venedigs zählte. Im Jahre 1260 begaben sich die Brüder Nicolo und Matteo von Konstantinopel aus, wo sie ein Zweiggeschäft errichtet und schon mehrere Jahre verlebt hatten, mit einer Ladung Galanteriewaaren nach der von ihrem älteren Bruder Andrea Polo geleiteten Filiale in der Krim. Von hier wendeten sie sich nach Nordwesten, zogen durch das Land von Comanien und erreichten auf der Wolga das Lager Barkaï-Khans. Dieser Mongolenfürst empfing die beiden venetianischen Kaufleute sehr gut und kaufte ihnen den ganzen Vorrath an Galanteriewaaren ab, den sie ihm zum doppelten Preise anboten.

Ein Jahr lang verweilten Nicolo und Matteo Polo in dem mongolischen Lager; dann brach aber, im Jahre 1262, zwischen Barkaï und dem Fürsten Hulagu, dem Beherrscher von Persien, Krieg aus. Da die beiden Brüder die von den Tataren überschwemmten Gegenden zu vermeiden wünschten, zogen sie vor, sich nach Bukhara, die erste Residenz Barkaï's, zu begeben, und hielten sich daselbst drei Jahre lang auf. Als aber Barkaï besiegt und seine Hauptstadt eingenommen ward, zwangen die Parteigänger Hulagu's die beiden Venetianer, ihnen nach der Residenz des Groß-Khans der Tatarei zu folgen, der ihnen übrigens gleichfalls einen ausgezeichneten Empfang bereiten würde. Dieser, Kublaï-Khan, der vierte Sohn Gengis-Khans, war Kaiser von China und bewohnte jener Zeit die Sommerresidenz in der Mongolei, an der Grenze des chinesischen Reiches.

Die venetianischen Kaufleute brachen auf und gebrauchten ein ganzes Jahr zur Fahrt durch die ungeheure Landstrecke, welche Bukhara von der nördlichen Grenze Chinas trennt.

Kublaï-Khan fühlte sich ganz glücklich, Fremdlinge aus dem Abendlande bei sich zu empfangen. Er veranstaltete ihnen zu Ehren große Festlichkeiten und erkundigte sich eindringlich nach den Ereignissen in Europa, fragte nach allen Einzelheiten über die Kaiser und Könige, über ihre Regierungsweise und die Art der Kriegführung; dann unterhielt er sich mit ihnen auch längere Zeit über den Papst und die Angelegenheiten der italienischen Kirche.

Matteo und Nicolo, welche der tatarischen Sprache schon vollkommen mächtig waren, beantworteten freimüthig alle Fragen des Kaisers. Dieser ging da mals mit dem Gedanken um, an den päpstlichen Stuhl eine Gesandtschaft zu schicken, und ersuchte die beiden Brüder, als seine Gesandten zu Sr. Heiligkeit zu gehen.


Kublaï-Khan veranstaltete den venetianischen Kaufleuten große Festlichkeiten. (S. 63.)

Die Kaufleute nahmen das dankbar an, da sie in Folge der Bekleidung mit diesem neuen Charakter jedenfalls [63] unbehelligter zurückzukommen glaubten. Der Kaiser ließ Karten in türkischer Sprache anfertigen und bat den Papst um Absendung von hundert gelehrten Männern, um die Götzendiener zum Christenthume zu bekehren; den Venetianern gab er auch einen seiner Großen, Namens Coyatal, bei und beauftragte diesen, ihm etwas Oel aus der heiligen Lampe mitzubringen, die fortwährend über dem Grabe Christi in Jerusalem brannte.

[64] Mit Pässen ausgerüstet, die ihnen im ganzen Bereiche des Kaiserthums Menschen und Pferde zur Verfügung stellten, nahmen die beiden Brüder vom Khan Abschied und machten sich im Jahre 1266 auf den Weg.

[65] Coyatal verfiel bald in eine Krankheit. Die Venetianer mußten sich von ihm trennen, setzten also ihren Weg fort und brauchten aber, trotz aller Hilfe, die sie fanden, nicht weniger als drei Jahre, um Laïas, einen Hafen Armeniens, der jetzt unter dem Namen Issus bekannt ist und im Grunde des Issi'schen Golfes liegt, zu erreichen. Von Laïas aus begaben sie sich nach Acre im Jahre 1269; dort erfuhren sie den Tod Papst Clemens IV., an den ihre Sendung lautete. In genannter Stadt residirte jedoch der Legat Tebaldo. Er empfing die Venetianer, und als sie ihn mit der vom Khan ertheilten Botschaft bekannt machten, veranlaßte er sie, die Wahl eines neuen Papstes abzuwarten.

Matteo und Nicolo, welche seit fünfzehn Jahren aus ihrem Vaterlande abwesend waren, beschlossen, nach Venedig zurückzukehren. Sie wandten sich nach Negroponte und schifften sich dort auf einem Fahrzeuge ein, das sie direct nach ihrer Vaterstadt geleitete.


Marco Polo. (S. 66.)

Bei der Ankunft erfuhr Nicolo das Ableben seiner Gattin und die Geburt eines Sohnes, der ihm wenig Monate nach seiner Abreise im Jahre 1254 geboren worden war. Dieser Sohn hieß Marco Polo. Zwei volle Jahre warteten die Brüder, denen die Ausführung ihres Auftrages am Herzen lag, auf Erwählung eines neuen Papstes. Da es hierzu aber immer noch nicht kam, glaubten sie, ihre Rückkehr zu dem mongolischen Kaiser nicht länger hinausschieben zu dürfen; sie fuhren also nach Acre ab und nahmen auch den jungen Marco mit, der damals höchstens siebenzehn Jahre zählen konnte. In Acre trafen sie auch den Legaten Tebaldo wieder, der sie ermächtigte, Oel aus der ewigen Lampe zu Jerusalem zu entnehmen. Nachdem sie sich dieses Vorhabens entledigt, kehrten die Venetianer nach Acre zurück und ersuchten wegen Mangels an einem Papste den Legaten um ein Schreiben für Kublaï-Khan, in welchem er diesen den Tod Clemens' IV. anzeigen möchte. Tebaldo kam dem Wunsche nach und die beiden Brüder kehrten nach Laïas zurück. Dort kam ihnen zu ihrer größten Freude die Nachricht zu, daß Tebaldo am 1. September 1271 unter dem Namen Gregor X zum Papste gewählt worden sei. Der Neuerwählte rief sie sofort zu sich und der König von Armenien stellte eine Galeere zu ihrer Verfügung, um sie so schnell als möglich nach Acre zu bringen. Der Papst empfing sie mit großer Auszeichnung, händigte ihnen Briefe an den Kaiser von China aus, gab ihnen auch zwei predigtgewandte Brüder, Nicolas de Vincence und Wilhelm von Tripolis, mit und ertheilte Allen seinen Segen.

[66] Die Gesandten nahmen darauf von Sr. Heiligkeit Abschied und segelten nun wiederum nach Laïas. Kaum in dieser Stadt angelangt, waren sie aber nahe daran, von den Banden des Mameluken-Sultan Bibars, der jener Zeit Armenien verheerte, gefangen genommen zu werden. Die beiden Prediger-Mönche verzichteten, durch diesen Anfang abgeschreckt, darauf, nach China zu gehen, und überließen es den beiden Venetianern und Marco Polo, dem Mongolen-Kaiser die Briefe des Papstes zu überreichen.

Jetzt beginnt nun die eigentliche Reise Marco Polo's. Ob er wirklich alle von ihm beschriebenen Länder und Städte besucht oder nur gesehen hat? Sicher nicht; auch ist in der von ihm dictirten und von Rusticien aus Pisa französisch niedergeschriebenen Erzählung seiner Reise ausdrücklich ausgesprochen ».daß Marco Polo, ein gelehrter und vornehmer Venetianer, alles dieses mit eigenen Augen sah oder, was er nicht selbst sah, doch aus dem Munde glaubwürdiger und wahrheitsliebender Männer hörte«. Wir fügen jedoch gleich hier die Bemerkung bei, daß der größte Theil der von Marco Polo erwähnten Königreiche und Städte wirklich von ihm selbst besucht wurde. Wir folgen also seinem Berichte und bezeichnen nur das ausdrücklich, was der berühmte Reisende selbst erst vom Hörensagen mittheilt, während der Ausführung der wichtigen Missionen, mit denen ihn der Kaiser Kublaï-Khan betraute. Bei der zweiten Reise hielten die Venetianer nicht dieselbe Route ein, der sie gefolgt waren, als sie sich zum ersten Male zum Kaiser von China begaben Sie waren damals an der Nordseite der Himmlischen Berge oder des Gebirges Thian-chan-pe-lu dahingegangen, was ihren Weg nicht wenig verlängerte. Diesmal hielten sie sich an der Südseite jener Berge, doch brauchten sie trotz der geringeren Länge dieses Weges nicht weniger als dreiundeinhalb Jahr, da sie von häufigen Regen und Ueberschwemmungen der großen Flüsse zurückgehalten wurden. Dieser Reise kann Jedermann auf einer Karte von Asien leicht nachgehen, denn wir haben im Folgenden an Stelle der alten Namen Marco Polo's überall die Bezeichnungen der modernen Geographie eingesetzt.

[67]
2.
II.

Klein-Armenien. – Groß-Armenien. – Der Berg Ararat. – Georgien. – Mossul, Bagdad, Bassorah, Tauris. – Persien. – Die Provinz Kirman. – Comadi. – Ormuz. – Der Alte vom Berge. – Cheburgan. – Balaï. – Kaschmir. – Kaschgar. – Cambaluc, jetzt Peking. – Die Feste des Kaisers. – Seine Jagden. – Beschreibung von Peking. – Die Münze und die chinesischen Banknoten. – Die Posten des Kaiserreichs.


Marco Polo verließ die Stadt Issus und schildert Klein-Armenien als ein sehr ungesundes Land, dessen früher kräftige Einwohner jetzt zurückgekommen und elend sind und nur noch Talent zum unmäßigen Trinken haben. Der Hafen von Issus dagegen ist der Lagerplatz der kostbarsten Erzeugnisse Asiens und das Stelldichein der Kaufleute aller Länder. Von Klein-Armenien wendet sich Marco Polo nach Turkomanien, dessen verwilderte Stämme die prachtvollen Weiden ausnützen, indem sie weitberühmte Pferde und Maulesel züchten. Die Arbeiter in den Städten zeichnen sich in der Herstellung von Tapeten und Seidenstoffen aus. Groß-Armenien, welches Marco Polo von hier aus kennen lernte, bietet im Sommer einen sehr geeigneten Lagerplatz für tatarische Heerhaufen. Dort sah der Reisende den Berg Ararat, auf dem nach der Sündfluth die Arche Noah's sitzen blieb, und er führt von den an das Kaspische Meer grenzenden Gebieten an, daß sie reich an Naphta-Quellen seien, welche sehr intensiv ausgebeutet würden.

Marco Polo verließ Groß-Armenien und wendete sich gegen Nordwesten nach Georgien, ein Königreich, das den südlichen Abhang des Kaukasus einnimmt und dessen alte Könige, der Sage nach, »mit dem Bilde eines Adlers auf der rechten Schulter« zur Welt kamen. Die Georgier sind seiner Meinung nach gute Bogenschützen und treffliche Krieger. Die Gewerbetreibenden des Landes verfertigen wunderschöne Seiden- und Goldstoffe. Dort finden sich der vier Stunden lange, zwischen dem Fuße des Kaukasus und dem Kaspischen Meere hinführende Engpaß, den die Türken das eiserne Thor, die Europäer den Paß von Derbent nennen, und jener geheimnißvolle See, in dem, wie man sagt, Fische nur an Fasttagen gefangen werden.

Von dieser Stelle aus stiegen die Reisenden nach dem Königreiche von Mossul hinab und erreichten die gleichnamige Stadt am Ufer des Tigris [68] und nach dieser Bagdad, wo der Kalif aller Sarazenen seinen Sitz hat. Marco Polo erzählt hier die Erorberung Bagdads durch die Tataren im Jahre 1255 und erwähnt auch eine wunderbare Geschichte zur Bekräftigung jenes christlichen Glaubenssatzes, daß der Glaube Berge versetzen könne; dann giebt er für Kaufleute den Weg an, der von dieser Stadt aus nach dem Persischen Golfe führt und den man auf dem Flusse über Bassorah durch das Land der Datteln in achtzehn Tagen zurücklegen kann.

Von hier aus bis Tauris, eine persische Stadt in der Provinz Adzerbraïdjan, bietet der Bericht Marco Polo's eine Lücke. Jedenfalls begegnet man ihm erst in Tauris, einer großen Stadt mit lebhaftem Verkehr und mitten in Gärten gelegen, wieder, welche viel Handel mit Edelsteinen und anderen kostbaren Waaren betreibt, deren sarazenische Bewohner aber von schlechtem Charakter und treuloser Natur sind. Hier stellt er die geographische Eintheilung Persiens in acht Provinzen auf. Die Bewohner dieses Landes sind seiner Angabe nach gefährlich für die Kaufleute, welche sich nicht auf die Reise begeben dürfen, ohne mit Bogen und Pfeilen bewaffnet zu sein. Einen Haupthandelsartikel bilden Pferde und Maulesel, die man nach Kis oder Ormuz und von da aus nach Indien schickt; die Erzeugnisse des Landes bestehen in Käse, Honig und Weintrauben, von denen letztere in überraschender Menge gedeihen.

Marco Polo ging im Süden bis nach Yezd, einer im äußersten Osten des eigentlichen Persiens gelegenen, schön gebauten, vornehmen und gewerbefleißigen Stadt hinab. Von dieser aus mußten die Reisenden sieben Tage lang durch prächtige, wildreiche Wälder reiten, um bis zur Provinz Kirman zu gelangen. Hier arbeiteten mit gutem Erfolge Bergleute in vielen Gruben auf Türkisen, Eisen u.s.w., während kunstvolle Nadelarbeiten, die Herstellung von Harnischen und Waffen, sowie die Zucht von Jagdfalken eine große Menge der Bewohner beschäftigten. Von der gleichnamigen Stadt Kirman aus zogen Marco Polo und seine zwei Begleiter während voller neun Tage durch ein reiches und gut bevölkertes Land und erreichten die Stadt Comadi, wahrscheinlich das heutige Memaum, die auch zu jener Zeit schon ziemlich verfallen war. Die Landschaft selbst war wirklich herrlich; überall schöne, große und fette Schafe, schöne, weiße Stiere mit kurzen, kräftigen Hörnern und Tausende von Haselhühnern und anderen Arten von Wild; dazu prachtvolle Bäume, meist Dattelpalmen, Orangenbäume und Pistazien.

[69] Nach weiteren fünf Tagen betraten die drei Reisenden gegen Mittag die schöne Ebene von Cormos, dessen heutiger Name Ormuz ist und die zwei liebliche Flüsse bewässern. Zwei Tage befand sich Marco Polo an der Küste des Persischen Golfes in der Stadt Ormuz selbst, welche den Seehafen des Königreiches Kirman bildet. Das Land erschien ihm sehr heiß und ungesund, aber reich an Datteln und Gewürzbäumen; die Erzeugnisse des Bodens, kostbare Steine, Stoffe von Seide und Gold, Elephantenzähne, Dattelwein und andere Waaren fanden sich in der Stadt aufgestapelt, vor welcher viele einmastige, nur mit Holzpflöcken, nicht mit eisernen Nägeln verbundene Fahrzeuge vor Anker lagen, von denen stets nicht wenige auf der Fahrt durch das Indische Meer zu Grunde gehen.

Von Ormuz aus kam Marco Polo, der wieder nach Nordosten umkehrte, nach Kirman zurück; dann zog er hinaus auf gefahrdrohende Wege mitten durch eine öde Wüste, in der sich nur salziges Wasser findet – dieselbe Wüste, welche 1500 Jahre früher Alexander mit seinem Heere durchzog, als er von seiner Begegnung mit dem Admiral Nearchus von den Mündungen des Indus zurückkam – und sieben Tage nachher betrat er die Stadt Khabis, an der Grenze des Königreichs Kirman. Durch scheinbar grenzenlose Einöden gelangte er binnen acht Tagen nach Tonocain, jedenfalls der heutige Hauptort der Provinz Kumis, also wahrscheinlich Damaghan.

Hier erzählt Marco Polo mehrere Einzelheiten über den Alten vom Berge, den Chef der Hadschischeis, einer mohammedanischen Secte, die sich durch ihren religiösen Eifer, aber auch durch entsetzliche Grausamkeiten hervorthat. Nach ferneren sechs Reisetagen besuchte er dann die carossanische Stadt Cheburgan, in weitem Umkreis einfach »die Stadt« genannt, wo die Melonen süßer sind als Honig, und hierauf die vornehme, an den Quellen des Oxus gelegene Stadt Balac. Dann kam er, quer durch ein Land mit zahlreichen Löwen dahinziehend, nach Taikan, einem hervorragenden Markte für Salz, welches eine große Menge Käufer dahinlockte, und später nach Scasem; es ist das Marsdens Kashem, Hiouen Isangs Kischin oder Krisin, welches Sir H. Ravlinson mit dem Hügel Kharesm des Zend Avesta indentificirt, wohin einige neuere Commentatoren das heutige Cunduz versetzen. In dieser Gegend fand man sehr viele Stachelschweine, und wenn man auf sie Jagd macht, sagt Marco Polo, »rollen sich diese Thiere zusammen und schießen gleichsam gegen die Hunde die Stacheln ab, welche sie auf dem [70] Rücken und an der Seite tragen«. Heutzutage wissen wir freilich, wieviel an dieser Fähigkeit des Stachelschweins, sich zu vertheidigen, wirklich Wahrheit ist.

Die Reisenden betraten nun das gebirgige Territorium von Balacian, dessen Könige sich ihrer Abstammung von Alexander dem Großen rühmen, ein kaltes Land, welches gute ausdauernde Pferde hervorbringt, sehr viele Falken züchtet und reich an Wild ist. Hier finden sich auch Gruben, die den scharlachrothen Rubin liefern und den der König zu seinem Nutzen in einem Berge, Namens Sighinan, ausbeuten läßt, welch' letzteren kein Unbefugter bei Todesstrafe betreten darf. Auch an anderen Orten treibt man hier Bergbau auf Silbererz und gewinnt viel Stein, aus welchem »der feinste Azur der Welt« hergestellt wird, d. h. also Lapis-Lazuli. Marco Polo muß sich in dieser Gegend ziemlich lange aufgehalten haben, da er eine überraschend genaue Ortskenntniß zu besitzen scheint. Zehn Tagereisen von Balacian liegt eine Landschaft, welche wohl das heutige Paischore sein mag, dessen heidnische Einwohner sich durch ihre dunkle Hautfarbe auszeichnen; sieben Marschtage weiter nach Süden aber das Königreich Kaschmir, ein Land mit gemäßigtem Klima, zahlreichen Städten und Dörfern und vielen von Natur schon starken Engpässen, so daß es zur Vertheidigung wie geschaffen erscheint. Hätte Marco Polo auch noch weiter seine frühere Richtung eingehalten, so wäre er nach Indien hineingekommen; er wendete sich aber nach Norden und gelangte nach zwölf Tagen in das von dem Oberlauf des Oxus bewässerte Gebiet von Vaccan, inmitten prächtiger Weiden mit ungeheuren Heerden wilder Schafe, welche man Muflons nennt; von hier aus kamen die Reisenden durch die Landschaft von Pamer und Belor, eine zwischen die orographischen Systeme des Altaï und Himalaya eingeschobene Gebirgsgegend, welche ihnen volle vierzig Tage kostete, nach der Provinz Kaschgar. Hier lenkte nun Marco Polo auf denselben Weg ein, den Matteo und Nicolo Polo bei ihrer ersten Reise, als sie von Bukhara nach der Residenz des Groß-Khans geleitet wurden, einschlugen. Von Kaschgar aus machte Marco Polo einen Abstecher nach Westen bis Samarkand, eine große von Christen und Sarazenen bewohnte Stadt; dann kam er wieder durch Kaschgar und begab sich nach Yarkund, welche Stadt die Handelskarawanen zwischen Indien und dem nördlichen Asien häufig besuchen;


Die Erde des Marco Polo. (S. 68.)

hierauf durch Cotan, die Hauptstadt der gleichnamigen Provinz ziehend, und Pein, eine nicht genau bestimmbare Ortschaft berührend, in deren Nähe man[71] [73] viel Jaspis und Chalcedon gräbt, erreichte er ein Königreich Ciarcian, vielleicht Kharachar, das sich längs der Wüste von Gobi ausdehnt; endlich konnte er nach fünftägigem Marsche durch sandige, wasserlose Ebenen acht Tage lang in der heute zerstörten Stadt Lob ausruhen, woselbst er alle Vorbereitungen traf zur Reise durch die sich nach Osten hin erstreckende Wüste, »welche so groß ist, sagt er, daß man ein volles Jahr brauchen würde, sie in ihrer ganzen Länge zu durchziehen, und die von Geistern heimgesucht wird, in deren Mitte unsichtbare Trommeln und andere Instrumente ertönen«.

Nachdem sie jene Wüste ihrer Breite nach binnen drei Monaten durchmessen, gelangten die drei Reisenden in die Provinz Tangut und nach der an der Westgrenze des chinesischen Reiches erbauten Stadt Cha-ticheou. In genannter Provinz leben nur wenig Handeltreibende, dafür aber sehr viel Ackerbauer, welche sich von dem Erlöse aus ihrem Getreide ernähren. Von den Sitten und Gebräuchen in Tangut, welche Marco Polo's größtes Interesse erweckt zu haben scheinen, verdient besonders hervorgehoben zu werden, daß man die Todten nicht eher als an einem durch Astrologen bestimmten Tag zu verbrennen pflegt; »und die ganze Zeit über, während der Todte noch in der Wohnung verbleibt, halten ihm seine Angehörigen einen Platz am Tische offen und setzen ihm Speisen und Getränke vor, als ob er noch am Leben wäre«.

Nach ihrem Austritt aus der Wüste machen Marco Polo und seine Begleiter einen Ausflug gegen Nordwesten hin, nach der Stadt Amil, und dringen bis Ginchintales vor, das ist eine Stadt, über deren Lage keine Uebereinstimmung unter den Gelehrten herrscht, und welche damals von Heiden, Mohammedanern und nestorianischen Christen bewohnt war.

Von Ginchintales kehrte Marco Polo nach Cha-ticheou zurück und nahm seinen Weg durch Tangut wieder auf nach der Stadt So-ceu zu, über ein für den Anbau von Rhabarber sehr geeignetes Gebiet, und nach Canpician, dem Kan-tcheou der Chinesen, damals der Hauptstadt von ganz Tangut. Es war jene eine sehr hervorragende Stadt, bewohnt von reichen heidnischen Häuptlingen, welche der Vielweiberei huldigen und meist ihre Cousinen oder »die Frau ihres Vaters« heirathen. Hier wohnten die drei Venetianer ein ganzes Fahr lang. Man begreift also leicht, daß ihre Reise nach Central-Asien unter Berücksichtigung solcher Aufenthalte und ihrer Gewohnheit, [73] gern Abstecher vom Wege zu machen, mehr als drei Jahre in Anspruch nehmen konnte.

Als Marco Polo Kan-tcheou verließ, mußte er zwölf Tage lang reisen, bis er in Etzina, an der Grenze einer Sandwüste, eintraf. Auch hiermit machte er wiederum einen Umweg, da er zu weit nach Norden hinauf kam; er hatte sich aber einmal vorgenommen, das berühmte Caracorum, die Hauptstadt der Tataren, zu besuchen, in welcher Rubruquis im Jahre 1254 gewohnt hatte.

Marco Polo besaß gewiß sozusagen das Zeug zu einem Entdeckungsreisenden, denn er scheute vor keiner Anstrengung zurück, wenn es galt, seine geographischen Kenntnisse zu erweitern. So mußte er, um jene Tatarenstadt zu erreichen, vierzig Tage lang durch eine häuser- und menschenleere Wüstenei wandern.

Endlich erreichte er Caracorum, eine Stadt, deren Umfang volle drei Meilen betrug. Nachdem er sich lange in dem Hauptorte des mongolischen Reiches aufgehalten, wurde dieser durch Gengis-Khan, einem Vorfahren des heutigen Kaisers, erobert, und Marco Polo macht bei dieser Gelegenheit eine historische Digression, in der er über die Kämpfe des Tataren-Helden gegen den berüchtigten Priester Johann, der das ganze Land seiner Herrschaft unterworfen hatte, Bericht erstattet.

Nochmals nach Kan-tcheou zurückgekehrt, wanderte Marco Polo fünf Tage hindurch nach Osten und gelangte nach der Stadt Erginul, wahrscheinlich identisch mit Liang-tcheu. Von hier aus machte er, um Signan-fu kennen zu lernen, einen kleinen Umweg nach Süden, wo er wilde Ochsen, so groß wie Elephanten, weiden sah, neben jenen kostbaren ziegenartigen Thieren, welche den Namen Bisamhirsche erhalten haben. Nun zogen die Reisenden wieder nach Liang-tcheu hinauf und nach Osten weiter, wo sie in acht Tagen Cialis erreichten, eine Stadt, in der man aus Kameelhaaren die schönsten Camelots der Welt herstellt, und dann in der Provinz Tendur die Stadt gleichen Namens, in welcher ein dem Groß-Khan unterworfener Abkömmling des Priesters Johann residirte. Es war das ein gewerbfleißiger und handelsthätiger Ort. Mit einem Winkel nach Norden begaben sich die Venetianer über Sinda-cheu jenseits der großen chinesischen Mauer bis nach Ciacannor, jedenfalls Tsaan-Balgassa, eine hübsche Stadt, wo der Kaiser gern residirt, wenn er sich dem Vergnügen der Falkenjagd hingeben will, denn Kraniche. Störche, Fasanen und Rebhühner giebt es hier in erstaunlicher Menge.

[74] Von Ciacannor aus erreichten Marco Polo, sein Vater und sein Onkel nach drei Tagereisen die Stadt Ciandu, das heutige Chang-tu, welches an anderen Stellen des Berichtes Clemen-fu genannt wird. In der hier befindlichen Sommerresidenz Kublaï-Khans, welche nördlich der großen Mauer, im Norden von Cambulac, das jetzt unter dem Namen Peking die Hauptstadt des ganzen Reiches geworden ist, liegt, wurden die päpstlichen Gesandten empfangen. Der Reisende spricht wenig von der ihm zu Theil gewordenen Aufnahme, doch beschreibt er sehr eingehend den Palast des Khans als einen großen Bau von Quadersteinen und Marmor, dessen Gemächer alle über und über mit Gold bedeckt sind. Dieser Palast ist in mitten eines von Mauern umgebenen Parkes erbaut, in dem sich Menagerien und Springbrunnen befinden, und sogar ein ganzes Gebäude ans Rosenstöcken, welche so dicht verflochten sind, daß kein Wasser hindurchdringen kann; es war das ein Kiosk, der vollständig entfernt werden konnte, und den der Khan während der Monate Juni, Juli und August, d. h. während der schönen Jahreszeit, bewohnte. Diese Jahreszeit mußte freilich schön sein, denn nach Aussage Marco Polo's hatten sich die stets um ihren Herrn befindlichen Astrologen verpflichtet, durch ihre Zauberformeln jeden Regen, Nebel oder sonstiges schlechtes Wetter zu zerstreuen. Der venetianische Reisende scheint wirklich an der Macht dieser Magiker nicht im Geringsten zu zweifeln. »Diese weisen Männer, sagt er, gehören verschiedenen Racen an und sind alle Götzendiener; sie verfügen über Teufelskünste und kennen weit mehr Beschwörungsformeln als andere Menschen, und was sie thun, vollbringen sie mit Hilfe des Teufels, während sie Andere Glauben zu machen suchen, sie vermöchten das durch ihre Frömmigkeit und durch die Hilfe Gottes. Uebrigens verfahren diese Leute in folgender Weise: Wenn ein Mensch zum Tode verurtheilt und hingerichtet worden ist, nehmen sie ihn für sich in Anspruch, kochen ihn und essen ihn auf; wäre er eines natürlichen Todes gestorben, so würden sie sich hüten, es zu thun. Nun vernehmt auch, daß die Leute, von denen ich rede, und welche so viel Zaubereien verstehen, folgendes Wunder zu Stande bringen, das ich hier mittheilen will: Wenn der Groß-Khan im Hauptsaale an dem Tische sitzt, der gut über acht Ellen lang ist, und man die Trinkgefäße wenigstens zehn Schritte von dem Tische entfernt auf den Fußboden gestellt hat, welche Gefäße alle mit Wein, Milch oder anderen kostbaren Getränken gefüllt sind, so bringen es diese gelehrten Zauberer durch ihre Künste und [75] Beschwörungen dahin, daß jene vollen Kufen sich von selbst erheben und vor den Groß-Khan aufstellen, ohne daß sie ein Mensch berührt; sie führen das auch vor tausend Zuschauern aus, und Alles ist die reine Wahrheit und sicher keine Lüge; übrigens werden Euch die der Nekromantie Kundigen sagen können, wie das zugeht.«

Marco Polo liefert im Weiteren eine Geschichte Kublaï-Khans, der der mächtigste unter allen Menschen ist und mehr Länder und Schätze besitzt als jemals ein Anderer seit Adam, unserem Stammvater Er erzählt, wie der Groß-Khan, der damals im Alter von achtzig Jahren stand und ein Mann von mittlerer Größe, ziemlich beleibt, doch im Ganzen wohlgestaltet, mit weiß und rothem Gesicht und schönen schwarzen Augen war, im Jahre 1256 nach Christi Geburt den Thron bestieg. Er war ein guter Anführer im Kriege und bewies das vorzüglich, als sein Onkel Naïan, der sich empört hatte, ihm an der Spitze von 400.000 Reitern die Regierung zu entreißen versuchte. Kublaï-Khan versammelte »in der Stille« 360.000 Mann zu Pferde nebst 100.000 Mann Fußvolk und zog gegen seinen Oheim zu Felde. Es kam zu einer entsetzlichen Schlacht. »In derselben fielen so viele Menschen, daß es ein wahres Wunder war.« Doch Kublaï-Khan blieb dabei Sieger, und Naïan, der, in seiner Eigenschaft als Prinz von königlichem Geblüt, lebend in einen engen Teppich eingenäht wurde, starb so eines grausamen Todes.

Nach dem Siege kehrte der Kaiser im Triumph in seine Hauptstadt von Chatay zurück, welche damals Chamba-luc hieß und nach und nach zur heutigen Stadt Peking geworden ist. In letzterer angelangt, mußte Marco Polo daselbst ziemlich lange verweilen, bis er mit verschiedenen Missionen im Innern des Reiches betraut wurde. In Chamba-luc erhebt sich der prächtige Palast des Kaisers, von dem der Reisende folgende Beschreibung liefert, die wir nach dem Texte von Charton wiedergeben und welche wenigstens annähernd eine Vorstellung von den Reichthümern jener Mongolenherrscher erweckt.

»Vor dem Palaste befindet sich eine viereckige Mauer, deren jede Seite eine Meile lang ist, was also vier Meilen Umfang ergiebt; sie ist gewaltig groß, gut zehn Fuß hoch, ganz weiß und mit Zinnen versehen. In jeder Ecke der Mauer steht ein sehr schöner, reicher Palast, in welchen die Rüstungen des Groß-Khans aufbewahrt werden, seine Bogen, Köcher, die[76] Sättel und Zäume der Pferde, die Bogensehnen und überhaupt Alles, was zum Kriege gebraucht wird; denkt man sich den großen Raum in vier Abtheilungen geschieden, so steht in der Mitte jeder derselben wiederum ein Palast, ähnlich denen in den Ecken, so daß es also acht im Ganzen ergiebt, welch' letztere mit den Rüstungen des Groß-Herrn gefüllt sind, so daß sich in jedem eine besondere Art befindet, in dem einen die Bogen, in dem nächsten die Sättel u.s.w. Die Südseite der Mauer ist von fünf Thoren durchbrochen, deren mittelstes sich nur öffnet, um den Groß-Khan ein- oder hinauszulassen; zwei kleinere auf jeder Seite desselben sind für andere Passanten bestimmt. Im Innern dieser Mauer ist noch ein besonderer Raum, wiederum durch eine mehr lange als breite Mauer abgeschlossen, in welcher noch einmal acht Paläste stehen, ebenfalls nur Magazine für das Rüstzeug des Groß-Herrn.«

Man erkennt, daß alle bisher aufgezählten Paläste nur die Pferdeausrüstungen und Waffensammlungen des Kaisers enthalten. Man wird über diese große Anzahl Rüstungen weniger erstaunen, wenn man erfährt, daß der Groß-Khan eine besondere Race schöner, weißer Pferde allein besaß, und darunter 10.000 Stuten, deren Milch ausschließlich für die Prinzen aus königlichem Blut bestimmt war.

Marco Polo fährt mit folgenden Worten fort: »Diese zweite Mauer hat ebenfalls fünf Thore an der Mittagseite, ähnlich denen der äußeren Mauer. An den anderen Seiten haben die Mauern nur je ein Thor. In der Mitte derselben befindet sich nun der Palast des Groß-Herrn, von dem ich Euch in Folgendem eine Beschreibung gebe. Er ist größer, als man jemals einen sah. Eine zweite Etage besitzt er zwar nicht, doch liegt das Erdgeschoß zehn Handbreiten höher als der Boden der Umgebung. Das Dach desselben ist sehr hoch; die Wände der Säle und Zimmer sind mit Gold und Silber bedeckt, und hat man an denselben Drachen, wilde Thiere, Vögel, Pferde und andere Thiere dargestellt, so daß man nichts sieht als Gold und Malereien. Der Hauptsaal ist so groß und breit, daß 6000 Menschen darin speisen können.

Der Palast enthält so viel Räumlichkeiten, daß es ein Wunder ist, sie zu sehen. Er ist so groß und so schön, daß kein Mensch auf der Erde, auch wenn er die Macht dazu hätte, einen besseren errichten lassen könnte. Das Dach darüber ist ganz ausnehmend hoch, grün, blau, gelb und von [77] anderen Farben, und so herrlich gefirnißt, daß es wie Krystall spiegelt und ringsumher leuchtet. Dabei ist dieses Dach so stark und solid hergestellt, daß es gewiß viele Jahre aushält. Zwischen den Mauern befinden sich Wiesen mit prächtigen Bäumen und mancherlei Thieren. Da giebt es weiße Hirsche, Thiere, welche den Moschus liefern, Ziegen, Damhirsche, Fehs und andere Arten schöner Thiere, welche den ganzen Raum innerhalb der Mauern, mit Ausnahme der für die Menschen bestimmten Wege, füllen. Auf der einen Seite, nach Nordwesten zu, liegt ein sehr großer See mit den verschiedensten Fischen, denn der Groß-Herr hat mancherlei hineinsetzen lassen, und so kann er, sobald er das wünscht, davon ganz nach Belieben haben. Aus diesem See entspringt ein großer Fluß, der nach außen abfließt; man traf aber durch aufgespannte Eisen- und Erzfäden eine Vorrichtung, daß kein Fisch entschlüpfen kann. Gegen Norden, einen Bogenschuß weit vom Palaste, hat der Groß-Herr eine Anhöhe aufschütten lassen. Es ist das ein über hundert Schritt hoher Berg, der im Umfange mehr als eine Meile mißt. Derselbe ist bedeckt mit Bäumen, welche ihre Blätter niemals verlieren, sondern stets grün bleiben. Vernehmt auch, daß der Groß-Herr, sobald er von einem besonders schönen Baum hörte, denselben mit allen Wurzeln und dem anhängenden Erdreich ausheben und durch seine Elephanten nach dem Berge schaffen ließ, so daß er immer gleich große Bäume einsetzte. So besaß er wirklich die schönsten Bäume der Welt. Der Groß-Herr ließ auch den ganzen Berg mit einer besonderen Art Azur bedecken, der lebhaft grün aussieht, so daß die Bäume grün erscheinen, der Berg selbst ebenfalls grün und man nichts Anderes sieht als grün, weshalb der Berg auch den Namen »der grüne Berg« führt. Auf der Mitte seines Gipfels steht weiter ein großer, schöner und wiederum durchwegs grüner Palast. Dieser Berg, die Bäume und der Palast bieten einen so reizenden Anblick, daß Alle, die es sehen, davon entzückt sind, und der Groß-Herr hat diesen Berg auch nur aufschütten lassen, um sich ein so eigenthümliches Vergnügen zu verschaffen.«

Nach dem Palaste des Khans beschreibt Marco Polo den seines Sohnes und Thronerben; dann die Stadt Cambaluc selbst, welche er als eine alte Stadt schildert, die von den neueren Bauten Taidus durch einen Kanal getrennt wird, der das heutige Peking in eine tatarische und eine chinesische Hälfte scheidet. Als scharfer Beobachter belehrt uns der Reisende auch über das Thun und Treiben des Kaisers. Seinem Berichte nach hat Kublaï-Khan [78] eine Leibwache von 2000 Reitern, welche er »jedoch nicht etwa aus Furcht unterhält«. Seine Mahlzeiten sind wirkliche Feierlichkeiten, bei denen die strengste Etiquette herrscht. An seiner über die anderen etwas erhöhten Tafel hat er zur Linken seine erste Frau, zur Rechten und etwas tiefer seine Söhne, Neffen und andere Verwandte; bedient wird er durch hohe Reichsbarone, welche darauf achten, Mund und Nase mit schönen, golddurchwirkten Tüchern zu verschließen, »damit ihr Athem und Geruch nicht die Speisen und Getränke des Groß-Herrn berühren«. Will der Kaiser trinken, so beginnt sofort ein Concert von vielen Instrumenten, und wenn er das Trinkgefäß in der Hand hält, fallen alle Reichsbarone und andere Anwesende ehrerbietig auf die Kniee.

Die bedeutendsten Feste giebt der Groß-Khan, das eine an seinem Geburtstage und das andere stets zu Neujahr. Bei dem ersten fungiren 12.000 Barone, denen der Kaiser jährlich 150.000 mit Gold und Perlen verzierte Kleider zum Geschenk macht, an seinem Throne, während die heidnischen und christlichen Unterthanen öffentliche Gebete verrichten. Beim zweiten Feste, zu Anfang des neuen Jahres, kleidet sich die ganze Bevölkerung, Männer und Weiber, durchaus weiß, weil die weiße Farbe alten Ueberlieferungen zufolge Glück bringt, und Jedermann bietet dem Souverän Geschenke von hohem Werthe an. Hunderttausend reichgeschirrte Rosse, fünftausend mit herrlichen Tüchern bedeckte Elephanten, welche den kaiserlichen Thronsessel tragen, und eine große Anzahl Kameele defiliren dabei vor dem Kaiser.

Während der drei Monate December, Januar und Februar, die der Groß-Khan in seiner Winterresidenz zubringt, sind alle Großen im Umkreise von sechzig Tagereisen verpflichtet, ihm Hirsche, Damwild, Ziegen und Bären zu liefern.


Der Palast des Kaisers zu Peking (S. 76.)

Der Palast des Kaisers zu Peking (S. 76.)


Uebrigens ist Kublaï auch selbst ein fertiger Jäger und seine Jagdmeute sehr gut im Stande. Er besitzt Leoparden, Wolfshirsche und sogar abgerichtete Löwen, um das Wild einzufangen, sehr große und starke Adler, welche Wölfe, Füchse, Damhirsche und Ziegen zu fangen vermögen »und es wirklich auch oft thun«, endlich Hunde gleich zu Tausenden. Mit dem Monat März beginnt der Kaiser seine großen Jagden, wozu er sich nach dem Meere begiebt; dabei begleiten ihn nicht weniger als 10.000 Falkoniere mit 500 Geierfalken, einer unzählbaren Menge von Habichten, Wanderfalken und heiligen Falken. Während dieser Ausflüge begleitet ein tragbarer, auf vier Elephanten errichteter Palast, dessen Außenwände mit Bärenfellen, die [79] Innenseite mit golddurchwirktem Tuch bekleidet ist, den tatarischen König, der sich in solchem orientalischen Pompe gefällt. So begiebt er sich bis zum Lager von Chachiri-Mondu, an einem Nebenflusse des Amur, und schlägt hier sein Zelt auf, das groß genug ist, um 10.000 Reiter zu beherbergen. Dasselbe bildet seinen Empfangssaal und hier ertheilt er auch wirklich Audienzen. Will er sich zurückziehen oder des Schlummers pflegen, so steht ihm in einem anderen Zelte ein mit Hermelin und Zobelfellen verzierter Saal zur Verfügung, von welchen Fellen jedes 2000 Goldmünzen, d. h. etwa 20.000 Francs von unserer Münze werthet. Hier wohnt der Kaiser bis Ostern, jagt Schweine, Hafen, Damwild und Ziegen und kehrt dann nach seiner Hauptstadt Cambaluc zurück.«

[80] Marco Polo vervollständigt hier auch die Beschreibung dieser prächtigen Stadt. Er zählt die zwölf Quartiere, welche sie zusammensetzen, auf, in [81] denen die reichen Kaufleute sich herrliche Paläste errichtet haben, denn diese Stadt treibt außerordentlich lebhaften Handel.


Plan von Peking. (S. 78.)

Hierher strömen mehr kostbare Waaren zusammen, als nach irgend einem Punkte der Welt. Wenigstens tausend mit Seide beladene Wagen treffen täglich daselbst ein. Hier ist der Lagerplatz und Markt für die reichsten Erzeugnisse Indiens, z.B. Perlen und Edelsteine, und man kommt hierher zum Zweck des Einkaufs wohl aus zweihundert Meilen in der Runde. Für die Bedürfnisse des Handels hat der Groß-Khan auch eine Münze errichten lassen, welche für ihn eine unerschöpfliche Quelle von Reichthümern ist. Freilich besteht das hier angefertigte Geld – wirkliche Banknoten mit dem Siegelabdruck des Herrschers – aus einer Art von der Rinde des Maulbeerbaumes hergestelltem Carton. Dieses steife Papier wird je nach dem ihm beigelegten Werthe in verschiedener Weise zerschnitten. Natürlich hat diese Münze Zwangskurs. Der Kaiser verwendet sie selbst bei allen Zahlungen seinerseits und sucht sie in allen, seiner Gewalt unterworfenen Ländern zu verbreiten, »so daß Niemand bei Verlust des Lebens deren Annahme verweigern darf«. Mehrmals im Jahre sind die Besitzer von Edelsteinen, Perlen, Gold und Silber verpflichtet, ihre Schätze im Hôtel der Münze abzuliefern, woselbst sie die obenerwähnten Papierstücke als Zahlung empfangen, so daß der Kaiser also alle Schätze seines Landes thatsächlich allein besitzt.

Nach Marco Polo beruht das System der kaiserlichen Regierung auf einer streng durchgeführten Centralisation. »Das in vierunddreißig Provinzen getheilte Reich wird von zehn obersten Baronen verwaltet, welche alle in der Stadt Cambaluc selbst wohnen. In den Palästen dieser Barone halten sich auch die Intendanten und Schreiber auf, welche die Geschäfte für jede Provinz versehen. Rings um die Stadt strahlen viele, sehr gut unterhaltene Straßen aus, welche an verschiedenen Punkten des Reiches enden; auf diesen Straßen sind Postrelais mit reichlichem Pferdebestand eingerichtet, in Abständen von zweiundzwanzig zu zweiundzwanzig Meilen, in welchen Relais 200.000 Pferde stets bereit stehen, die Boten des Kaisers zu befördern. Zwischen den Relais befindet sich alle drei Meilen ein Weiler aus etwa vierzig Häuser bestehend, worin die Couriere wohnen, welche die Botschaften des Groß-Khan zu Fuß weiter besorgen; diese Läufer tragen eine Binde um die Stirne und um die Taille einen Gürtel mit Schellen, so daß sie schon von Weitem hörbar sind; sie laufen stets im Galopp, legen ihren Weg von [82] drei Meilen sehr schnell zurück, übergeben ihre Nachrichten dem sie dort empfangenden Courier und auf diese Weise erhält der Kaiser Nachrichten aus zehn Tagereisen entfernten Orten schon binnen einem Tage und einer Nacht. Dazu kostet das Beförderungsmittel Kublaï-Khan sehr wenig, denn er begnügt sich damit, seine Couriere mit Steuern verschont zu lassen, während die Pferde der Relais von den Einwohnern der betreffenden Provinzen unentgeltlich verpflegt und erhalten werden.

Wenn der Herrscher der Tataren aber einerseits seine Allgewalt auf diese Weise ausübt und seine Unterthanen mit schweren Lasten bedrückt, so kümmert er sich doch andererseits immer um ihre Bedürfnisse und kommt ihnen nicht selten nach Kräften zu Hilfe. Hat z.B. der Hagel die Ernten vernichtet, so erläßt er den Betroffenen nicht allein die gewohnten Steuern, sondern liefert ihnen auch Getreide aus seinen eigenen Vorräthen; haben Viehseuchen die Bewohner einer Provinz ihrer Nutzthiere beraubt, so ersetzt er ihnen die gefallenen auf seine Kosten. Er sorgt dafür, in guten Jahren eine Menge Weizen, Gerste, Hirse, Reis und andere Producte aufzuspeichern, um die Preise der Naturerzeugnisse in seinem Reiche stets auf einem mittleren Stande zu erhalten. Für die arme Bevölkerung seiner Hauptstadt Cambaluc hat er eine besondere Vorliebe. So läßt er Listen von allen armen Haushaltungen, denen es am Nöthigsten fehlt, aufstellen, welche sich zu sechs, acht und zehn Personen nicht wenig finden. Diesen läßt er Weizen und anderes Getreide, je nach ihrer Personenzahl, aber stets reichlich austheilen, und wer da immer kommt, um am Hofe des Groß-Herrn um Brot anzusprechen, wird daselbst niemals abgewiesen. Hiervon machen täglich etwa 30.000 Personen Gebrauch, und diese Vertheilung findet das ganze Jahr über statt; gewiß eine großartige Wohlthätigkeit eines Herrschers gegenüber seinen armen Unterthanen. Diese zollen ihm dafür aber auch eine fast göttliche Verehrung.« Uebrigens wird das ganze Reich mit aller Sorgfalt verwaltet. Die Landstraßen befinden sich in bestem Zustande und sind mit wahrhaft prächtigen Bäumen besetzt, wodurch sie auch in verlassenen Gegenden stets leicht erkennbar bleiben. Bei dem Reichthum an Wäldern fehlt es den Einwohnern nie an Holz, und dazu werden, vorzüglich in Chatai, noch ergiebige Kohlengruben ausgebeutet, welche Steinkohlen in Ueberfluß liefern.

Marco Polo hielt sich in der Stadt Cambaluc lange Zeit auf. Gewiß erwarb er sich durch seinen Scharfblick, seinen Geist und die Leichtigkeit, mit [83] der er sich die verschiedenen Idiome des Reiches aneignete, das besondere Wohlwollen des Kaisers. Er ward mit verschiedenen Sendungen betraut, nicht nur in China selbst, sondern auch nach den indischen Meeren, nach der Coromandel- und Malabarküste und nach dem Cambodje benachbarten Theile von Cochinchina, dann aber, wahrscheinlich zwischen 1277 und 1280, zum Gouverneur der Stadt Yang-tcheu und siebenundzwanzig anderer, unter ihrer Jurisdiction stehenden Städte ernannt. In Folge seiner Sendungen durchstreifte er einen großen Theil der genannten Länder und sammelte dabei viele Documente von geographischem sowohl wie von ethnographischem Interesse. Mit der Karte in der Hand werden wir leicht im Stande sein, ihn bei seinen Reisen, aus denen die Wissen schaft großen Nutzen ziehen sollte, überallhin zu folgen.

3.
III.

Tso-cheu. – Tai-yen-fu. – Pin-yang-fu. – Der Gelbe Fluß. – Si-gnan-fu. – Szu-tchuan. – Ching-tu-fu. – Thibet. – Li-kiang-fu. – Carajan. – Yung-chang. – Mien. – Bengalen. – Annam. – Taï-ping. – Cintingui. – Sindi-fu. – Te-cheu. – Tsi-nan-fu. – Lin-tsin-cheu. – Lin-cing. – Mangi. – Yang-cheu-fu. – Küstenstädte. – Quin-say oder Hang-tcheu-fu. – Fo-kien.


Nach längerem Aufenthalte in Cambaluc wurde Marco Polo mit einer Sendung betraut, die ihn vier Monate lang von der Hauptstadt entfernt hielt. Etwa zehn Meilen südlich von Cambaluc überschritt er den prächtigen Strom Pe-ho-nor, von ihm selbst Pulisanghi genannt, auf einer schönen Marmorbrücke von vierundzwanzig Bogen und dreihundert Schritt Länge, welche auf der ganzen Erde nicht ihresgleichen hat. Dreißig Meilen weiter kam er nach Tso-cheu, eine sehr gewerbthätige Stadt, wo man besonders Santelholz bearbeitete. Zehn Tagereisen von Tso-cheu erreichte er die heutige Stadt Tai-yen-fu, die Hauptstadt von Schan-si, früher der Sitz jener unabhängigen Regierung. Das ganze Land erschien ihm reich an Weinstöcken und Maulbeerbäumen; die Hauptindustrie der Stadt bestand jener Zeit in der Anfertigung von Ausrüstungsgegenständen für Rechnung des Kaisers. Sieben Tagereisen von hier entfernt lag die hübsche Stadt [84] Pian-fu, das heutige Pin-yang-fu, mit lebhaftem Handel und vielen Seiden-Manufacturen. Nachdem Marco Polo diese Stadt besucht, langte er an den Ufern des berühmten Gelben Flusses an, den er Carnicoran oder Schwarzen Fluß nennt, wahrscheinlich wegen seines in Folge vieler Sumpfpflanzen dunkel erscheinenden Wassers; nach zwei weiteren Tagen erreichte er Cacian-fu, dessen Lage von sachkundigen Geographen nicht zweifellos hat ermittelt werden können.

Als Marco Polo diese Stadt, in der ihm nichts Bemerkenswerthes auffiel, verließ, ritt er durch eine schöne, wildreiche, mit Schlössern, Landhäusern und Gärten dicht besäete Gegend. Nach acht Tagen kam er in der vornehmen Stadt Quengianyfu an, der früheren Hauptstadt der Thang-Dynastie, d. i. in der heutigen Stadt Si-gnan-fu, der Hauptstadt von Shen-si. Hier führte die Regierung ein Sohn des Kaisers, Mangalai, ein sehr gerechter und bei den Unterthanen äußerst beliebter Fürst, der einen prächtigen Palast außerhalb der Stadt und in einem Parke bewohnte, dessen zinnengekrönte Mauer ihn in einem Umfange von fünf Meilen umschloß.

Von Si-gnan-fu begab sich der Reisende nach Thibet zu durch die jetzige Provinz Szu-tchuan, eine bergige, von großen Thälern durchschnittene Gegend, in welcher Löwen, Bären, Wolfshirsche, Damwild, Gemsen und Hirsche umherstreifen, und nach dreiundzwanzig Reisetagen befand er sich an der Grenze der ausgedehnten Ebene von Acmelec-Mangi. Diese Landschaft ist sehr fruchtbar; sie liefert allerlei Bodenerzeugnisse in Ueberfluß und vorzüglich Ingwer, mit dem sie die ganze Provinz Chatai versorgt. Die Ergiebigkeit des Bodens ist eine so große, daß der Hektar Land mit 24.000 Mark (12.000 fl.), der Quadratmeter also mit 24 Mark (1 fl. 20 kr.) bezahlt wird. Im 13. Jahrhundert war die ganze Ebene mit Schlössern und Landhäusern bedeckt und die Bewohner ernährten sich von dem Ertrage des Bodens und der Jagd auf wilde und eßbare Thiere, welche den Jägern eine reichliche und leicht zu erlangende Beute lieferte.

Marco Polo erreichte hierauf die Hauptstadt der Provinz Szu-tchnan Sindafu, das heutige Ching-tu-fu, dessen Bevölkerung in unserer Zeit die Zahl von fünfzehn Hunderttausenden überschreitet. Sindafu ist, bei einem Umfange von zwanzig Meilen, in drei, von je einer eigenen Mauer umschlossene Quartiere getheilt, deren jedes seinen König hatte, bevor sich Kublaï-Khan der Stadt bemächtigte. Durch dieselbe floß der wie ein See [85] breite, fischreiche und stets von unzähligen Fahrzeugen bedeckte Kiang-Strom. Nachdem er diese handelsthätige und gewerbreiche Stadt verlassen, erreichte Marco Polo nach fünftägiger Reise durch ungeheure Wälder die Provinz Thibet, welche er »auffallend öde« nennt, »denn sie war eben durch einen Krieg verwüstet«.

Thibet ist reich an Löwen, Bären und anderen Raubthieren, deren sich die Reisenden nur schwierig erwehren könnten, wenn dort nicht ein wunderbar starkes und langes Rohr, nämlich der Bambus, in wahrhaftem Ueberflusse wüchse. So benutzen denn »die Kaufleute und Reisenden, welche die Nacht in diesen Landschaften verbringen, jene Rohrstengel und unterhalten damit ein mächtiges Feuer, weil jene, wenn sie brennen, ein solches Geräusch und Krachen verursachen, daß Löwen, Bären und andere wilde Thiere erschrocken das Weite suchen und jenem Feuer um Alles in der Welt nicht zu nahe kommen; die Reisenden entzünden also dieses Feuer, nm ihre eigenen Nutzthiere gegen die in dem Lande sehr zahlreichen Raubthiere zu schützen. Der erwähnte Höllenlärm entsteht aber auf folgende Art und Weise: Man bricht jene Rohrstengel völlig grün und legt mehrere derselben in ein Holzfeuer; nach einiger Zeit ziehen sich dieselben krumm und springen dabei mit einem solchen Geräusch auf, daß es in der Nacht wohl auf zehn Meilen im Umkreise hörbar ist. So lang man sich noch nicht selbst daran gewöhnte, ist man ganz erstaunt darüber, so entsetzlich ist es anzuhören; Pferde z.B., die es noch niemals hörten, erschrecken so sehr, daß sie Stricke und Halfter zerreißen und entfliehen, was nicht gar so selten vorkommt: weiß man aber vorher, daß sie gegen jenes Geräusch noch nicht »abgehärtet« sind, so verdeckt man ihnen die Augen und fesselt alle vier Beine, so daß sie, wenn jener Höllenlärm anhebt, nicht davonlaufen können. Auf diese Weise entgehen die Menschen nebst ihren Thieren den gefährlichen Bestien, von denen es in diesem Lande wimmelt.« Das von Marco Polo beschriebene Verfahren wird noch jetzt in Bambus erzeugenden Gegenden angewendet, und in der That gleicht das Knacken und Knattern der vom Feuer verzehrten Rohrstengel dem heftigsten Raketenknallen bei einem Kunstfeuerwerke.

Nach dem Berichte des venetianischen Reisenden ist Thibet eine sehr große Provinz mit eigener Sprache, deren götzendienerische Bewohner als gefürchtete Diebe gelten. Ein sehr bedeutender Strom mit goldführendem Sande, der Khin-cha-kiang, durchzieht dieselbe. In ihm fischt man auch eine [86] große Menge Korallen, welche für Götzenbilder und als Frauenschmuck vielfache Verwendung finden. Thibet stand damals übrigens unter der Herrschaft des Groß-Khans.

Von Sandifu aus hatte Marco Polo eine westliche Richtung eingeschlagen. Er kam auf diesem Wege durch das Königreich Gaindu und wahrscheinlich nach Li-kiang-fu, der Hauptstadt jener Landschaft, welche heute das Gebiet von Si-mong darstellt. In genannter Provinz besuchte er einen herrlichen See, welcher Perlenmuscheln enthielt, deren Ausbeutung aber allein dem Kaiser vorbehalten war. Das Land hat Ueberfluß an Gewürznelken, Ingwer, Zimmet und anderen geschätzten Gewürzen.

Nach seinem Aufbruche aus Gaindu und nach Ueberschreitung eines großen Stromes, vielleicht des Irrauadi, drang Marco Polo, der sich nun genau nach Südosten wendete, in die Provinz Carajan ein, ein Gebiet, das wahrscheinlich den nordwestlichen Theil von Yun-nau bildet. Seiner Aussage nach sollen die Bewohner derselben, welche fast Alle beritten sind, das rohe Fleisch, der Hühner, Schafe, Büffel und Ochsen verzehren; diese Ernährungsweise träfe man ganz allgemein an, wobei höchstens die Reichen das rohe Fleisch ein wenig durch Knoblauchbrühe oder Zusatz von Gewürzen schmackhafter zu machen suchten. In diesem Lande gab es auch eine Menge großer Nattern und schrecklich anzuschauender Schlangen. Die betreffenden Reptilien – jedenfalls handelt es sich um Alligatoren – waren gegen zehn Schritte lang; sie besaßen zwei mit einer Kralle bewehrte Füße dicht hinter dem Hopfe, welcher selbst übermäßig groß war, so daß die Thiere einen Mann mit einem Male zu verschlingen vermochten.

Fünf Tagereisen westlich von Carajan, von welchem Punkte sich Marco Polo wieder nach Süden wendete, betrat er die Provinz Zadardan, deren Hauptstadt Nocian die heutige Stadt Yung-chang darstellt. Alle Bewohner derselben hatten goldene Zähne, d.h. es herrschte damals die Mode, die Zähne mit dünnen Goldplättchen zu belegen, welche abgenommen wurden, wenn man essen wollte. Die Männer in dieser Provinz, welche stets zu reiten pflegen, betreiben nur »Vogelsang, Jagd und Krieg«; die beschwerlicheren Arbeiten fallen den Frauen oder den Sklaven zu. Die Zadarnienser haben weder Götzenbilder noch Kirchen, sondern verehren nur den Aeltesten der Familie, gleichsam als Patriarchen. Aerzte giebt es bei ihnen ebenfalls nicht; an deren Stelle bedienen sie sich der Zauberer, welche vor einem [87] Kranken so lange springen, tanzen und gewisse Instrumente spielen, bis derselbe entweder stirbt oder wieder gesundet.

Von der Provinz der Menschen mit den Goldzähnen aus folgte Marco Polo zwei Tage lang der Landstraße, welche für den Verkehr zwischen Indien und Indo-China dient, und kam dabei durch Bama, wo dreimal wöchentlich ein bedeutender Markt abgehalten wird, der Kaufleute selbst aus [88] den fernsten Ländern herbeizieht. Nachdem er vierzehn Tage lang durch ungeheure Wälder mit vielen Elephanten, Nashörnern und anderen wilden Thieren geritten, kam er nach der großen Stadt Mien, d. h. nach dem Theile Ober-Birmas, dessen jetzige, in späterer Zeit erbaute Hauptstadt Amrapura heißt.


Eine schöne Marmorbrücke von vierundzwanzig Bogen. (S. 84.)

Diese Stadt Mien, vielleicht das alte, jetzt in Ruinen liegende Ava oder das alte Paghan am Irranadi, besaß ein wahres [89] Wunderwerk der Baukunst in Gestalt zweier Thürme, die von den schönsten Steinen errichtet und der eine mit fingerdicken Goldplatten, der andere mit ebenso starken Silberplatten bedeckt waren; beide dienten übrigens als Grabstätten der Könige von Mien, bevor das Königreich der Gewalt des Khans verfallen war.


Marco Polo in den Wäldern. (S. 86.)

Nach einem Besuche dieser Provinz ging Marco Polo herab bis Bengala, d. i. das jetzige Bengalen, welches jener Zeit, im Jahre 1290, Kublaï-Khan noch nicht angehörte. Die Heere des Kaisers bereiteten sich eben, dieses fruchtbare Land, dessen Reichthum an Baumwolle, Ingwer und Zuckerrohr bekannt war und dessen prächtige Rinder an Größe fast den Elephanten gleich kamen, für ihren Herrn zu erobern. Ferner wagte sich der Reisende noch hinab bis zur Stadt Cancigu, in der gleichnamigen Provinz, wahrscheinlich das heutige Kassay. Die Bewohner dieses Landstriches tätowirten ihren Körper und zeichneten mit Hilfe seiner Nadeln auf Gesicht und Hals, auf Leib, Hände und Beine die Bilder von Löwen, Drachen, Vögeln u. dgl. und hielten Denjenigen für den schönsten Menschen, der die meisten derartigen Malereien an seinem Körper trug.

Cancigu bezeichnet den südlichsten Punkt, den Marco Polo auf dieser Reise erreichte. Von hier aus kehrte er wieder nach Nordosten zurück und kam durch das Land Amu, entsprechend dem heutigen Anam und Ton-kin, wozu er vierzehn Tage brauchte, nach der Provinz Toloman, d. i. heute das Gouvernement Taï-ping. Daselbst traf er sehr schöne Menschen mit ziemlich dunkler Hautfarbe an, kräftige Kriegsleute, welche ihre Berge mit festen Schlössern gekrönt hatten, und deren gewöhnliche Nahrung aus Thierfleisch, Milch, Reis und Gewürzen bestand.

Von Toloman aus hielt sich Marco Polo zwölf Tage über längs eines mit zahlreichen Städten besetzten Flusses. Charton bemerkt hierbei ganz richtig, daß sich der Reisende nun von dem, unter dem Namen Indien jenseits des Ganges bekannten Lande entfernt und nach China hin zurückkehrt. Wirklich besuchte er auch von Toloman ans Guigui oder Cintingui und die gleichnamige Hauptstadt des Landes. Was Marco Polo in diesen Gegenden am meisten auffällt – er scheint nämlich ein eifriger Jäger gewesen zu sein – ist die große Anzahl von Löwen, welche die Ebenen und Berge unsicher machen. Doch herrscht zwischen den Sachverständigen volle Uebereinstimmung darin, daß Marco Polo's Löwen nur – Tiger gewesen sind, denn Löwen [90] kommen in China nicht vor. Sein Bericht lautet hierüber übrigens wie folgt: »In diesem Lande giebt es so viele Löwen, daß man nicht außerhalb des Hauses schlafen kann, ohne Gefahr zu laufen, aufgefressen zu werden. Selbst wenn man auf einem Strome fährt und in der Nacht irgendwo still liegt, muß man dafür sorgen, weit vom Ufer entfernt zu schlafen, denn sonst kommen die Löwen bis zum Schiffe heran, rauben sich einen Menschen und verzehren denselben. Die hiermit schon vertrauten Einwohner hüten sich deshalb sehr wohl. Jene Löwen sind sehr groß und äußerst gefährlich; höchst merkwürdig aber erscheint in dieser Gegend auch das Vorkommen von Hunden, welche den Muth haben, sogar Löwen anzugreifen, doch müssen ihrer immer Zwei sein, denn ein Mann und zwei Hunde werden auch mit einem großen Löwen fertig.«

Von dieser Provinz aus ging Marco Polo geraden Weges nach Sindifu, der Hauptstadt der Provinz Szu-thouan, zurück, von wo aus er zu seiner Mission nach Thibet aufgebrochen war, schlug nun den schon früher benutzten Weg ein und kehrte zu Kublaï-Khan zurück nach glücklicher Durchführung seiner Sendung nach Indo-China. Wahrscheinlich wurde Marco Polo vom Kaiser auch noch mit einer anderen Mission nach dem südöstlichen China betraut, d. i. wie Pauthier in seiner schönen Arbeit über den venetianischen Reisenden sagt, »die reichste und handelsthätigste Provinz des ungeheuren Reiches, von welcher man auch seit dem 16. Jahrhundert in Europa die meiste und eingehendste Kenntniß hat«.

Folgt man der auf Pauthier's Karte eingezeichneten Reiseroute, so begab sich Marco Polo, als er Cambaluc verließ, nach der südlicher gelegenen gewerbreichen Stadt Ciangli, wahrscheinlich Te-cheu, und sechs Tagereisen von da nach Condinfu, das heutige Tsi-nan-fu, die Hauptstadt der Provinz Chang-tung, in der Confucius geboren ward. Es war das damals nicht nur eine große, sondern auch die vornehmste Stadt in weiter Umgebung, nach welcher viele Seidenhändler zu kommen pflegten und deren wunderschöne Gärten große Mengen der herrlichsten Früchte lieferten. Drei Tagereisen von Condinfu langte Marco Polo bei der Stadt Lin-tsin-cheu, am Anfange des großen Yun-no-Kanales und an dem Sammelplatze unzähliger Fahrzeuge an, welche nach den Provinzen Mangi und Cathay erstaunliche Mengen der verschiedensten Waaren bringen. Acht Tage später passirte er Ligui, welches der heutigen Stadt Ling-cing zu entsprechen scheint, Pi-ceu, ein Handelsplatz der Provinz Tschiang-fu, ferner die Stadt Cingui, und kam dann bei [91] Caramoran an den Gelben Fluß, den er gelegentlich der Fahrt nach Judo China schon einmal in seinem oberen Laufe überschritten hatte. Hier befand sich der Reisende letzt kaum eine Meile entfernt von der Mündung jener größten und wichtigsten Pulsader Chinas. Mit Ueberschreitung des Stromes betrat Marco Polo die unter dem Namen des Reiches der Song bekannte Provinz Mangi.

Das Königreich Mangi stand, bevor es Kublaï-Khan gehörte, unter der Herrschaft eines sehr friedfertigen Königs, der die Greuel des Krieges verabscheute und an den Leiden Unglücklicher aufrichtig theilnahm. Wir lassen hier folgen, was Marco Polo über ihn sagt, und geben wegen der hübschen Abfassung seines Berichtes gleich den ursprünglichen Text desselben wieder: »Dieser letzte Kaiser der Song-Dynastie konnte wohl so große Ausgaben machen, daß sie an Verschwendung grenzten; ich will Euch hier zwei sehr edelmüthige Züge von ihm mittheilen: Jedes Jahr sorgte er für die Ernährung von 20.000 kleinen Kindern, denn die armen Weiber setzen ihre Kinder gleich nach der Geburt aus, wenn sie dieselben nicht ernähren können. Der König ließ Alle aufsammeln und eintragen, unter welchem Zeichen und welchem Planeten sie geboren waren, dann sorgte er dafür, daß sie an verschiedenen Orten aufgezogen wurden, denn Ammen fanden sich dazu in Menge. Besaß ein reicher Mann keinen Sohn, so wandte er sich an den König und ließ sich von demselben beliebig viele und diejenigen, welche er am liebsten nehmen wollte, schenken. Erreichten die Knaben und Mädchen dann das geeignete Alter, so verheirathete er sie mit einander und vermittelte ihren Lebensunterhalt; auf diese Weise erzog er jährlich 20.000 Kinder männlichen und weiblichen Geschlechts. Befand er sich auf der Straße und bemerkte er ein kleines Haus zwischen zwei großen, so fragte er, warum dasselbe nicht so groß sei wie die anderen; und erhielt er dann die Antwort, daß die Armuth des Besitzers es diesem nicht erlaube, es anders bauen zu lassen, so ließ er es eben so groß und schön herstellen wie die anderen. Des Königs tägliche Bedienung bestand aus tausend Edelknappen und Edelfräulein. Er hielt in seinem Reiche auf eine so strenge Rechtspflege, daß ein Verbrechen überhaupt gar nicht vorkam; selbst des Nachts blieben die Häuser der Kaufleute offen stehen, doch eignete sich kein Unbefugter daraus etwas an; auch konnte man in der Nacht ebenso sicher reisen wie am Tage.«

[92] In der Provinz Mangi traf Marco Polo auf die Stadt Coigangui, das heutige Hoaï-gnan-fu, am Ufer des Gelben Flusses, dessen Hauptindustrie in der Bereitung von Salz besteht, welches zahlreiche Salzmoräste liefern. Eine Tagereise von hier erreichte der Reisende, der einer mit sehr schönen Steinen gepflasterten Straße folgte, die wegen ihrer golddurchwirkten Tücher weitberühmte Stadt Pau-in-cheu, ferner Caiu, das heutige Kao-yu, dessen Einwohner sich als Fischer und Jäger auszeichnen, später die Stadt Tai-cheu, wohin die Schiffe in großer Anzahl kommen, und endlich die Stadt Yangui.

Dieses Yangui entspricht dem heutigem Yang-che-fu, dessen Gouverneur Marco Polo drei Jahre hindurch gewesen war. Es ist das eine volkreiche, betriebsame Handelsstadt von nicht weniger als zwei Meilen Umfang Von Yangui aus trat Marco Polo verschiedene Reisen an, durch welche er seine umfassenden Kenntnisse der Küsten- und Binnenstädte erlangte.

Zuerst wandte sich unser Reisender nach Westen, wo er zunächst die Stadt Nanghin – nicht zu verwechseln mit dem heutigen Nan-king, denn jene heißt jetzt Nyan-khing – erreichte, die in sehr fruchtbarer Gegend liegt. Derselben Richtung weiter folgend, kam Marco Polo nach Saian-fu, d. i. das jetzige Siang-yang, im nördlichen Theile der Provinz Hu-kuang, gleichzeitig die letzte Stadt von Mangi, welche der Herrschaft Kublaï-Khans noch Widerstand leistete. Monatelang belagerte der Kaiser den Ort vergeblich, dessen tapfer vertheidigte Befestigungen er nur mit Hilfe der drei Polo's erobern konnte, welche mächtige Wurfmaschinen herstellten und die Belagerten mit einem Hagel von Steinen überschütteten, deren einige bis dreihundert Pfund wogen.

Von Saian-fu kehrte Marco Polo auf demselben Wege zurück, um die Städte an der Küste zu bereisen; jedenfalls kam er dabei nochmals nach Yang-tcheu. Dabei besuchte er Singui (Kiu-kiang), an dem hier eine Meile breiten Kiang-Strome, der daselbst für 5000 Schiffe auf einmal Platz hat; Kain-gut, welches den größten Theil des Getreides für die kaiserliche Hofhaltung liefert, Cinghian-fu (Chingiam) mit zwei Kirchen für nestorianische Christen, Cinguigui, heute Tchang-tcheu-fu, eine belebte Handels- und Industriestadt, und Sungui, jetzt Su-tcheu oder Su-cheu, eine große Stadt von sechs Meilen im Umfang, die nach dem übertreibenden Berichte des venetianischen Reisenden damals nicht weniger als 6000 Brücken gehabt [93] Nach einem kurzen Aufenthalte in Vugui, wahrscheinlich Hu-tcheu-fu, und in Ciangan, dem jetzigen Kia-hing, erreichte Marco Polo nach dreitägiger Fahrt die angesehene Stadt Quisay Dieser Name bedeutet die »Stadt des Himmels«, während der Ort heutzutage Hang-tcheu-fu genannt wird. Er mißt sechs Meilen im Umkreise und wird von dem in unzählige Arme vertheilten Tsien-tang-kiang durchströmt, der eben dadurch Quisay zu einem zweiten Venedig macht. Diese alte Hauptstadt der Song ist fast ebenso stark bevölkert wie Pe-king, ihre Straßen sind mit glatten Steinen oder gebrannten Ziegeln gepflastert, »man zählt hier, nach Marco Polo, 600.000 Gebäude, 4000 Badeanstalten und 12.000 steinerne Brücken«. In dieser Stadt leben die reichsten Kaufleute der Erde mit ihren Frauen, welche »so schön sind wie die Engel«. Sie ist auch die Residenz des Vicekönigs, der im Namen des Kaisers mehr als hundertvierzig Städte regiert. Hier stand noch ein von schönen Gärten mit Seen und Wasserkünsten umgebener Palast der Beherrscher von Mangi, der mehr als tausend Zimmer umfaßte. Aus der Stadt und der zugehörigen Provinz bezieht der Groß-Khan unermeßliche Einkünfte, da sich allein die Abgaben von Salz, Zucker, Gewürzen und Seide – die Hauptproducte des Landes – auf viele Millionen Francs beziffern.

Eine Tagereise weiter nach Süden von Quisay besuchte Marco Polo, nachdem er eine reizende Gegend durchwandert, Tanpigui (Choa-ching-fu), ferner Vugui (Hu-tcheu), Ghengui (Kui-tcheu), Cianscian (Yen-tchen-fu nach Charton, Sui-tchang-fu nach Pauthier) und Cugni (Kiu-tcheu), die letzte Stadt des Vicekönigreiches von Quisay, dann trat er ein in das Königreich von Fugui, dessen damals gleichnamiger hervorragendster Ort das heutige Fu-chen-fu, die Hauptstadt der Provinz Fo-kien ist. Seinem Berichte nach wären die Bewohner dieses Landes grausame Kriegsleute, welche ihren Feinden niemals Pardon geben, sondern deren Blut trinken und ihr Fleisch verzehren. Nach Fortsetzung seiner Reise über Quenlifu (Kienning-fu) und Unguen gelangte Marco Polo nach der Hauptstadt Fugui, wahrscheinlich das heutige Kuang-tcheu, unser Canton, das bedeutenden Handel mit Perlen und Edelsteinen betreibt, und nach weiteren fünf Tagen nach dem Hafen von Zaitem, jedenfalls identisch mit der chinesischen Stadt Tsuen-tcheu, und damit nach dem äußersten Punkte des von ihm besuchten südöstlichen Chinas.

[94]
4.
IV.

Japan. – Abreise der drei Polo's mit der Tochter des Kaisers und den persischen Gesandten. – Saïgon. – Java. – Condor. – Bintang. – Sumatra. – Die Nikobaren. – Ceylon. – Die Coromandelküste. – Die Malabarküste. – Das Meer von Oman. – Die Insel Socotora. – Madagascar. – Zansibar und die afrikanische Küste. – Abyssinien. – Yemen, Hadramaut und Oman. – Ormuz. Rückkehr nach Venedig. – Ein Fest im Hause der Polo's. – Marco Polo in Gefangenschaft der Genuesen. – Marco Polo's Tod, etwa 1323.


Nach glücklicher Durchführung seiner Sendung kehrte Marco Polo unzweifelhaft an den Hof Kublaï-Khans zurück und wurde auch ferner mit verschiedenen Missionen betraut, wobei ihm seine Kenntniß der mongolischen, türkischen, chinesischen und der Mantschu-Sprache sehr zu statten kam. Wahrscheinlich begleitete er auch eine nach den indischen Inseln unternommene Expedition und verfaßte nach der Rückkehr von derselben einen eingehenden Bericht über die Schifffahrt auf jenen noch wenig bekannten Meeren. Von eben dieser Zeit ab sind seine eigenen Lebensschicksale nicht sicher aufgezeichnet. Dagegen hat er uns sehr umständliche Einzelheiten geliefert über die Insel Cipangu, der Name, unter dem man die ganze japanische Inselgruppe zu verstehen pflegte, doch scheint er nicht selbst nach diesem Reiche gekommen zu sein. Japan war damals berühmt wegen seiner Reichthümer und natürlichen Schätze, und Kublaï-Khan hatte dasselbe auch im Jahre 1264, nicht lange vor der Ankunft Marco Polos am tatarischen Hofe, zu erobern versucht. Seine Flotte langte glücklich vor Cipangu an und bemächtigte sich eines Festungswerkes, dessen Vertheidiger über die Klinge springen mußten, da zerstreute aber ein plötzlicher Sturm die tatarischen Fahrzeuge, so daß die Expedition zu keinem Resultate führte. Marco Polo beschreibt diesen Kriegszug sehr eingehend und flicht dabei viele Bemerkungen ein über die merkwürdigen Sitten der Japaner.

Siebzehn Jahre hindurch, die auf ihre Reise von Europa nach China verwendeten Jahre ungerechnet, standen nun Marco Polo, sein Oheim Matteo und sein Vater Nicolo im Dienste des Kaisers. Sie sehnten sich letzt darnach, ihr Vaterland wiederzusehen; Kublaï-Khan aber, der ihnen sehr gewogen war und ihre Verdienste wohl zu schätzen wußte, konnte es nicht über sich gewinnen, sie ziehen zu lassen. Er that alles mögliche, ihren Entschluß rückgängig zu machen, und bot ihnen, für die Zusicherung, immer [95] bei ihm zu verbleiben, ungeheure Reichthümer an. Die Venetianer beharrten jedoch bei ihrer Absicht, nach Europa zurückzukehren, doch der Kaiser versagte ihnen bestimmt die Erlaubniß zur Abreise. Marco Polo sah sich bei der strengen Beobachtung, deren Gegenstand er war, außer Stande, selbst heimlich zu entkommen, als ein unerwarteter Zwischenfall Kublaï-Khan zur Aenderung seines Entschlusses veranlaßte.

Ein mongolischer Fürst, Arghun, der in Persien regierte, hatte an den Kaiser eine Gesandtschaft geschickt, um für ihn um die Hand einer Prinzessin aus königlichem Blute anzuhalten. Kublaï-Khan bestimmte dem Fürsten Arghun seine Tochter Cogatra zur Gemalin und traf Anstalt, sie mit zahlreichem Gefolge abreisen zu lassen. Die Gegenden aber, durch welche der Weg nach Persien führte, waren damals höchst unsicher; Unruhen und Empörungen hielten die Karawane zuletzt gänzlich auf, so daß sie mit der Prinzessin nach einigen Monaten in die Residenz Kublaï-Khans zurückkehrte. Bei dieser Gelegenheit hörten die persischen Gesandten von Marco Polo, den man als erprobten Seefahrer und gründlichen Kenner des Indischen Oceans rühmte, und baten deshalb den Kaiser, jenem die Prinzessin Cogatra anzuvertrauen, um sie von ihm über das, weniger Gefahren als das Land bietende Meer ihrem Verlobten zuführen zu lassen.

Kublaï-Khan gab diesem Ersuchen, wenn auch ungern, endlich nach. Er ließ eine Flotte von vierzehn viermastigen Schiffen ausrüsten und verproviantirte dieselbe für einen Zeitraum von zwei Jahren. Einzelne dieser Schiffe hatten eine Besatzung von 250 Mann. Gewiß eine großartige Expedition und würdig des allgewaltigen Herrschers im chinesischen Reiche.

Matteo, Nicolo und Marco Polo reisten also mit der Prinzessin und den persischen Gesandten ab. Es scheint, daß Marco Polo bei dieser Ueberfahrt, welche nicht weniger als achtzehn Monate in Anspruch nahm, den Inseln Indiens und des Sunda-Archipels, von denen er eine vollständige Beschreibung lieferte, einen Besuch abstattete; jedenfalls war das bezüglich Ceylons und des indischen Küstengebietes der Fall. Wir begleiten ihn also auf der ganzen Seereise und geben seine Beschreibung der bis dahin nur unvollkommen bekannten Länder wieder.

Gegen 1291 oder 1292 verließ die von Marco Polo befehligte Flotte den Hafen von Zaitem, nachdem der Reisende schon früher, bei Gelegenheit seiner Fahrten durch die Südprovinzen Chinas, einmal gekommen war. Von [96] hier begab er sich geraden Weges nach dem Districte von Cianba, im südlichen Theile Cochinchinas, der die heute zu Frankreich gehörige Kolonie Saïgon umfaßt. Auch diese Provinz besuchte der Reisende schon früher, wahrscheinlich gegen 1280, als er mit einer Mission des Kaisers betraut war. Zu jener Zeit stand Cianba unter der Gewalt des Groß Khans und [97] Tribut. Als Marco Polo noch vor der Eroberung durch dasselbe kam, hatte dessen regierender König nicht weniger als 326 Kinder, davon 150 in waffenfähigem Alter.


Kublaï-Khan ließ eine Flotte ausrüsten. (S. 96.)

Von der cambodjianischen Halbinsel aus wandte sich die Flotte nach der kleinen Insel Java, deren sich Kublaï-Khan niemals zu bemächtigen vermochte, eine Insel, welche große Bodenreichthümer besitzt und Pfeffer, Muscatnüsse, Cubeben, Nelken und andere kostbare Gewürze in Menge hervorbringt. Nach einigem Aufenthalte in Condor und Sandur, an der untersten Spitze der cochinchinesischen Halbinsel, erreichte Marco Polo die Insel Pentam (Bintang) am östlichen Eingange der Meerenge von Malacca, und die Insel Sumatra, die er Klein-Java nennt. »Die Insel, sagt er, liegt so weit im Süden, daß man hier den Polarstern niemals sieht«, – was freilich nur für die Bewohner des südlichen Theiles derselben zutrifft. Sie hat sehr fruchtbaren Boden, auf dem z.B. das Aloëholz vortrefflich gedeiht; man trifft hier wilde Elephanten, Rhinocerosse, welche Marco Polo als Einhörner bezeichnet, und in zahlreichen Gesellschaften wandernde Affen. Durch schlechtes Wetter wurde die Flotte in dieser Gegend fünf Monate lang zurückgehalten und verwendete unser Reisender diese Zeit, um die Hauptprovinzen dieser Insel kennen zu lernen, unter Anderen Samara, Dagraian, Labrin, wo man viele Menschen mit Schwänzen – also offenbar Affen – findet, und Fandur, d. i. die Insel Panchor, mit unzähligen Sagopalmen, aus denen man ein zur Herstellung vorzüglichen Brotes dienendes Mehl gewinnt.

Endlich gestattete die Richtung des Windes den Schiffen, von Klein-Java auszulaufen. Nach flüchtiger Berührung der Insel Necaran, jeden falls eine der Nikobaren, und der Andaman-Gruppe, deren Eingeborne noch heute, wie zu Marco Polo's Zeiten, Anthropophagen sind, steuerte die Flotte gen Südwesten und ging an der Küste von Ceylon vor Anker. »Diese Insel, so lautet der Bericht, war einst weit größer, denn sie maß, wie man aus den Seekarten der einheimischen Lootsen ersehen konnte, früher 3600 Quadratmeilen; nun weht aber hier der Nordwind mit solcher Gewalt, daß er einen großen Theil der Insel unter Wasser gesetzt hat« – eine Ueberlieferung, welche sich übrigens noch heute unter den Bewohnern Ceylons forterbt. Auf dieser Insel findet man in Ueberfluß die »vornehmen und schönen« Rubinen, Saphire, Topase, Amethyste und andere kostbare Steine, wie Granaten, Opale, Agate und Sardonix. Der König des Landes besaß [98] damals einen handgroßen und armdicken Rubin vom feurigsten Hochroth, den der Groß-Khan jenem Herrscher vergeblich um den Preis einer ganzen Stadt abzukaufen suchte.

Sechzig Meilen westlich von Ceylon kamen unsere Seefahrer nach der umfänglichen Provinz Maabar (nicht zu verwechseln mit Malabar) an der Westküste der indischen Halbinsel. Dieses Maabar bildet den südlichen Theil der wegen ihrer Perlenfischereien geschätzten Coromandelküste. Hier treiben verschiedene Zauberer ihr Wesen, welche die Seeungeheuer von den Fischern fernhalten, eine Art Astrologen, deren Sippe sich noch bis auf den heutigen Tag erhalten hat. Marco Polo berichtet hier viele interessante Einzelheiten über die Sitten der Eingebornen, die Feierlichkeiten beim Tode eines Königs, zu dessen Ehre sich mehrere Große des Landes dem Feuertode weihen, über die häufigen religiösen Selbstmorde, den Opfertod der Witwen, den sie nach des Gatten Ableben auf dem Scheiterhaufen suchen, über die zweimaligen täglichen, von der Religion vorgeschriebenen Waschungen, die Naturanlage der Bewohner, gute Physiognomiker zu werden, und über den festgewurzelten Glauben derselben an ihre Astrologen und Zauberer.

Nachdem er an der Coromandelküste gerastet, hielt Marco Polo einen nördlichen Kurs ein bis zum Königreiche Muftili, dessen Hauptstadt die heutige Stadt Masulipatam, der Hauptort des Königsreiches Golkonda, ist. Dieses Reich stand unter der weisen Regierung einer seit vierzig Jahren verwitweten Königin, welche dem Andenken ihres Gatten eine unverbrüchliche Treue bewahrte. In den benachbarten, leider wegen vieler Schlangen sehr gefährlichen Gebirgen beutete man einträgliche Diamantengruben aus. Um die kostbaren Steine zu gewinnen, ohne sich dem Angriffe der Reptilien auszusetzen, haben die Bergleute ein sehr einfaches Hilfsmittel ersonnen, dessen Wirksamkeit man in gutem Glauben bestätigen kann. »Sie nehmen mehrere Stücke Fleisch, sagt der Reisende, und werfen diese in die steilen Abgründe, welche kein Mensch zu betreten wagen darf. Dieses Fleisch fällt auf die Diamanten, welche daran hängen bleiben. In den Bergen hausen nun auch zahlreiche weiße Adler, die natürlichen Feinde und Verfolger der Schlangen. Sobald die Adler das Fleisch in der Tiefe gewahr werden, schießen sie hinab, um es sich zu holen; die Menschen aber folgen einem solchen Adler aufmerksam mit den Blicken, und wenn dieser das Fleisch verzehren will, erheben sie ein mächtiges Geschrei; erschreckt und aus Furcht, den Menschen [99] in die Hände zu fallen, entflieht der Adler, ohne seine Beute mitzunehmen dann kommen die Bergleute nach, holen das Fleisch wieder und sammeln die daran klebenden Diamanten ein. Häufig geben die Adler auch, wenn es ihnen gelang, das Fleisch ungestört zu verzehren, die Diamanten erst mit dem Kothe wieder von sich, so daß man sie dann aus dem Vogelmiste gewinnt.«

Nach einem Besuche der kleinen Stadt San-Thomé, einige Meilen südlich von Madras, in der der Körper des ehrwürdigen Apostels St. Thomas ruht, durchstreifte Marco Polo das Königreich Maabar, vorzüglich die Provinz Lar, aus der alle »Abraiamenten« der Welt, wahrscheinlich die Brahmanen, herstammen. Diese Menschen werden, der allgemeinen Annahme nach, in Folge ihrer Nüchternheit und Enthaltsamkeit sehr alt; einige derselben erreichen ein Alter von hundertfünfzig bis zweihundert Jahren, während sie nichts als Reis und Milch essen und »Schwefel mit Quecksilber« trinken. Diese Abraiamenten sind geschickte und zwar abergläubische, aber sehr offenherzige Kaufleute; sie nehmen Niemandem etwas, tödten kein lebendes Wesen irgend welcher Art und verehren den Stier, der ihnen als heiliges Thier gilt.

Von diesem Punkte der Küste aus kehrte die Flotte nach Ceylon zurück, wohin Kublaï-Khan im Jahre 1284 eine Gesandtschaft geschickt hatte, die ihm die vermeintlichen Reliquien von Adam, und u. A. zwei Backenzähne von ihm, mitbrachte; denn das Grab unseres Stammvaters läge, wenn man den Sagen der Sarazenen Glauben schenkt, auf dem Gipfel des zerklüfteten steilen Berges, der das Bild der Insel so auffällig kennzeichnet. Nachdem er Ceylon aus dem Gesicht verloren, begab sich Marco Polo nach Cail, einem Hafen, der von den neueren Karten völlig verschwunden zu sein scheint, den aber damals alle Schiffe von Ormuz, Kis, Aden und von den Küsten Arabiens her anliefen. Von da kamen die Seefahrer, indem sie Cap Camorin, den Ausläufer der Halbinsel doublirten, in Sicht von Coilum, dem heutigen Coulam, das im 13. Jahrhundert eine lebhafte Handelsstadt war. Hier verschifft man vorzüglich Santelholz nebst Indigo, und Kaufleute aus dem Morgen- und Abendlande treffen des Handels wegen in großer Zahl hier ein. Malabar erzeugt sehr viel Reis; wilde Thiere giebt es in ziemlicher Menge, darunter Leoparden, welche Marco Polo »schwarze Löwen« nennt, ferner auch verschiedene Arten von Papageien und Pfauen, die unsere europäischen Arten an Schönheit beiweitem übertreffen.

[100] Als die Flotte Coilum verließ, segelte sie längs der Malabarküste nach Norden bis zum Gestade des Königreichs Eli, das seinen Namen von einem auf der Grenze zwischen Kanara und Malabar gelegenen Berge erhielt, hier gedeihen Pfeffer, Ingwer, Safran und andere Gewürze. Im Norden des Reiches dehnte sich ein Landstrich aus, den der venetianische Reisende Melibar nennt und der auch im Norden des eigentlichen Malabar liegt. Die Schiffe der Händler aus Mangi unterhalten einen lebhaften Verkehr mit den Eingebornen dieses Theiles von Indien, die ihnen kostbare Gewürze, ausgezeichnete Webstoffe und andere in hohem Preise stehende Waaren liefern; ihre Fahrzeuge werden aber leider nur zu häufig von den Küstenpiraten geplündert, welche mit Recht als sehr gefürchtete Seeräuber gelten. Diese Piraten wohnten vorzüglich auf der Halbinsel Gohurat, heute Gudjarate, wohin sich die Flottille begab, nachdem sie in Tanat, wo man den braunen Weihrauch erntet, und in Canboat, dem heutigen Kambayet, gewesen war, welch' letztere Stadt lebhaften Handel mit Leder treibt.

Ferner wurden Sumenat besucht, eine Stadt der Halbinsel, mit heidnischen, grausamen und wilden Einwohnern, später Kesmacoran, wahrscheinlich das heutige Kedje, die Hauptstadt der östlich des Indus und nahe dem Meere gelegenen Landschaft von Makran und die letzte Landschaft Indiens zwischen dem Abendlande und dem Norden, dann aber begab sich Marco Polo, statt geraden Weges nach Persien, wo ihn der Verlobte der tatarischen Prinzessin erwartete, nach Westen durch das weite Meer von Oman.

Seine unersättliche Reiselust führte ihn so gegen 500 Meilen weit an der Küste Arabiens hin, wo er bei den Inseln Mâle und Femmelle (Männchen und Weibchen) vor Anker ging, welche Inseln ihren Namen davon haben, daß die eine derselben ausschließlich von Männern, die andere von deren Frauen bewohnt wird, welche jene nur während der Monate März, April und Mai besuchen. Von diesen Eilanden aus segelte die Flottille unter südlichem Kurs nach der Insel Socotora, am Eingange des Golfes von Aden, von der Marco Polo verschiedene Theile in Augenschein nahm. Er schildert die Bewohner Socotoras als geschickte Zauberer, welche durch ihre Künste Alles auszuführen vermögen und selbst den Orkanen und Stürmen gebieten. Dann ging er noch tausend Meilen weiter nach Süden und führte die Flotte bis zum Gestade Madagascars.

[101] Den Augen unseres Reisenden erscheint Madagascar als eine der größten und vornehmsten Inseln der Welt. Ihre Bewohner sind meist mit dem Handel beschäftigt und exportiren vorzüglich Elephantenzähne. Sie ernähren sich vor Allem mit Kameelfleisch, das besser und zuträglicher sein soll als jedes andere Fleisch. Die von der Küste Indiens hierher kommenden Kaufleute brauchen meist nur zwanzig Tage zur Fahrt über das Meer von Oman, zur Rückreise freilich drei Monate, da die ungünstigen Meeresströmungen die Schiffe immer nach Süden zurückdrängen. Trotzdem gehen sie gern nach dieser Insel, welche ihnen auch Santelholz aus den daselbst befindlichen Wäldern, und Ambra liefert, den sie mit großem Nutzen gegen Gold- und Seidenstoffe eintauschen. Daneben fehlt es diesem Reiche aber auch nicht au Raubthieren und Jagdwild; nach Marco Polo trifft man Leoparden, Bären, Hirsche, Eber, Giraffen, wilde Esel und andere Thiere oft in zahlreichen Rudeln an; am wunderbarsten erschien ihm jedoch der sogenannte Greif, der »Roc«, von dem in »Tausend und eine Nacht« so viel die Rede ist, den man sich aber, entgegen der allgemeinen Annahme, nicht als ein Geschöpf vorstellen darf, das halb Löwe, halb Vogel und dazu im Stande wäre, einen Elephanten in seinen Krallen fortzutragen. Der in Rede stehende merkwürdige Vogel war jedenfalls der Epyornis maximus, von dem man noch jetzt zuweilen auf Madagascar Eier findet.

Von dieser Insel aus besuchte Marco Polo, nach Nordwesten hinaussegelnd, Zanzibar und die afrikanische Küste. Hier erschienen ihm die Einwohner ungewöhnlich groß und so stark, daß sie die Last von vier Männern tragen konnten, »was aber deshalb nicht zu verwundern ist, weil sie auch für fünf Mann essen«. Die Eingebornen waren schwarz von Farbe und gingen völlig nackt; sie hatten einen großen Mund, eingedrückte Nase, wulstige Lippen und hervortretende Augen – eine ganz richtige Beschreibung, welche noch heute für die Eingebornen dieses Theiles von Afrika zutrifft. Diese Afrikaner leben von Reis, Fleisch, Milch und Datteln und bereiten sich ein geistiges Getränk aus Reis, Zucker und Gewürzen. Sie sind tüchtige, todesmuthige Kriegsleute und fechten auf Kameelen oder Elephanten, wobei ihnen ein lederner Schild, ein Säbel und eine Lanze als Waffen dienen, während sie ihre Reitthiere selbst durch berauschende Getränke reizen.

Zur Zeit Marco Polo's zerfiel nach Charton das unter dem Namen Indien zusammengefaßte Gebiet in drei Abtheilungen: Groß-Indien, d. i.

[102] Hindostan und alles Land zwischen Ganges und Indus; Klein-Indien, die Landstriche jenseits des Ganges, welche sich von der Westküste der Halbinsel bis zur Küste Cochinchinas ausdehnen; endlich Mittel-Indien oder Abyssinien und das arabische Küstengebiet bis zum Persischen Golfe.

Als er Zanzibar verließ, untersuchte Marco Polo also bei seiner Fahrt nach Norden das Gestade jenes Mittel-Indiens, und zwar zuerst Abasiens oder Abyssiniens, wo man sehr geschätzte Baumwollen- und Schetterstoffe erzeugt und das als ein sehr reiches Land gilt. Dann begab sich die Flotte nach dem Hafen von Zeita, fast am Eingange der Straße Bab-el-Mandeb, und endlich erreichte sie längs des Ufers von Yemen und Hadramaut auch Aden, den von allen, mit Indien und China verkehrenden Schiffen besuchten Hafenplatz, ferner Escier, eine große Stadt, welche große Mengen ausgezeichneter Pferde ausführt, Dafar, von wo aus viel Weihrauch erster Sorte kommt, Calatu, jetzt Kalajate, an der Küste von Oman, und endlich Cormos, d.h. Ormuz, das Marco Polo schon auf seiner Reise von Venedig nach dem Hofe des Tatarenherrschers besucht hatte.

Mit diesem Hafen des Persischen Meerbusens schloß die Fahrt der auf Kosten des Mongolen-Kaisers ausgerüsteten Flotte endlich ab. Nach einer Reise von nicht weniger als achtzehn Monaten war die Prinzessin am Gestade Persiens angelangt, leider erst nach dem Ableben ihres Verlobten, des Fürsten Arghun, der ein in blutige Bürgerkriege verwickeltes Land hinterlassen hatte. Die Prinzessin wurde in Folge dessen dem Sohne Arghun's, dem Prinzen Ghazan, übergeben, der den Thron seiner Väter indessen erst 1295 besteigen konnte, nachdem der Usurpator desselben, ein Bruder Arghun's, wieder gestürzt worden war. Was aus der Prinzessin weiter geworden, weiß man nicht; vor ihrem Abschiede von Marco, Nicolo und Matteo Polo aber dankte sie ihnen noch mit sichtbaren Zeichen ihrer höchsten Gunst.

Wahrscheinlich während seines Aufenthaltes in Persien sammelte Marco Polo manche merkwürdige, die »Groß-Türkei« betreffende Documente; es sind das lauter Fragmente ohne Zusammenhang, welche er als Anhang zu seinem Reiseberichte und in denen er aber doch eine wirkliche Geschichte der mongolischen Khans von Persien liefert. Seine Entdeckungsreisen waren aber nun zu Ende. Nach ihrer Trennung von der tatarischen Prinzessin machten sich die drei Venetianer, unter sicherem Geleit und ohne selbst dabei Unkosten zu haben, auf den Weg nach dem Vaterlande. Sie begaben sich nach Trebizonde, [103] von hier über Konstantinopel nach Negroponte und schifften sich daselbst nach Venedig ein.

Im Jahre 1295, vierundzwanzig Jahre nach ihrer Abreise war es, als Marco Polo in seine Vaterstadt zurückkam. Die drei Reisenden wurden, weil sie von der Sonne so gebräunt, in tatarische grobe Stoffe gekleidet waren, auch in ihrer Lebensweise tatarische Gebräuchebeibehalten, die Muttersprache aber fast verlernt hatten, von Niemand, nicht einmal [104] von den nächsten Angehörigen wieder erkannt. Seit langer Zeit schon ging auch das Gerücht von ihrem Tode, so daß Niemand sie je wiederzusehen wähnte.


Dieser merkwürdige Vogel war jedenfalls der Epyornis maximus. (S. 102)

Sie begaben sich nach ihrem Hause, im Quartier St. Johann Chrisostomus, und fanden dasselbe von verschiedenen Gliedern der Familie Polo bewohnt.


Ibn Batuta in Egypten. (S. 108.)

Letztere empfingen die drei Reisenden mit äußerstem Mißtrauen, das ihre ärmliche Erscheinung gewiß rechtfertigte, und schenkten den an's Wunderbare grenzenden Erzählungen Marco Polo's keinerlei Glauben.

[105] Da sie aber darauf beharrten, ließen sie dieselben wenigstens in das Haus, ihr rechtmäßiges Eigenthum, ein. Einige Tage später veranstalteten Nicolo, Matteo und Marco Polo, um jeden Zweifel an der Identität ihrer Person zu heben, ein prächtiges Gastmahl, dem ein glänzendes Fest folgte. Sie luden dazu außer den Familiengliedern auch die hervorragendsten Männer Venedigs ein. Nachdem sich alle Gäste im Empfangssaale des Hauses versammelt, erschienen die drei Polo's in carmoisinrother Atlaskleidung. Die Tischgenossen gingen nun in den Speisesaal und das Fest nahm seinen Anfang. Nach dem ersten Gerichte zogen sich Marco Polo, sein Vater und sein Oheim einen Augenblick zurück und traten dann wieder ein, gekleidet in die prächtigsten Stoffe von Damaskus, welche sie zerrissen und stückweise an die Festtheilnehmer als Andenken vertheilten. Nach dem zweiten Gerichte legten sie noch reichere Kleidung an und behielten diese bis zum Schlusse der Tafel bei. Dann erschienen sie wieder einfach nach venetianischer Mode gekleidet.

Die erstaunten, über den Luxus jener Garderoben verwunderten Gäste wußten aber gar nicht, was ihre Wirthe beabsichtigten, als diese die groben, unterwegs getragenen Kleider herbeibringen ließen; da begannen dieselben die Nähte an jenen aufzutrennen und das Futter abzulösen und ließen Rubinen. Smaragde, Karfunkel, Saphire, Diamanten, kurz lauter Steine von höchstem Werthe hervorrollen. Diese Lumpen bargen wahrhaft unermeßliche Schätze. Das unerwartete Schauspiel verbannte auch den leisesten Zweifel; die drei Reisenden wurden nun sofort als Diejenigen anerkannt, die sie in der That waren, als Marco, Nicolo und Matteo Polo, und von allen Seiten bestürmte man sie mit den überschwänglichsten Glückwünschen.

Ein so berühmter Mann wie Marco Polo konnte natürlich auch der Uebertragung staatlicher Ehrenämter nicht entgehen. So ward er denn in die erste Magistratur von Venedig berufen, und da er immer von den »Millionen« des Groß-Khans sprach, der über viele, »Millionen« von Unterthanen gebot, so nannte man ihn selbst den »ehr- und tugendsamen Messire Million«.

Zu dieser Zeit, nämlich 1296, brach ein Krieg zwischen Venedig und Genua aus. Eine von Lamba Doria geführte Flotte dieses Staates kreuzte auf dem Adriatischen Meere und bedrohte das Uferland. Andrea Dondalo, der Admiral Venedigs, bewaffnete sofort eine der genuesischen Flotte überlegene Anzahl Schiffe und betraute Marco Polo, der mit Recht für einen [106] erfahrenen Seemann galt, mit dem Commando einer Galeere. In der Seeschlacht vom 8. September 1296 wurden die Venetianer jedoch geschlagen und der schwer verwundete Marco Polo fiel dabei den Genuesen in die Hände. Die Sieger, welche den Werth ihres Gefangenen kannten und selbst gerecht schätzten, behandelten ihn mit vieler Rücksicht. Cr wurde nach Genua befördert, wo ihn die angesehensten Familien, begierig, seine märchenhaften Berichte zu hören, mit Auszeichnung aufnahmen. Wurde man nun auch nicht müde, ihm zuzuhören, so wurde doch Marco Polo müde des Erzählens, und als er 1298, während seiner Gefangenschaft, den Pisaner Rusticien kennen gelernt hatte, dictirte er diesem seinen Reisebericht in die Feder.

Gegen 1299 erhielt Marco Polo die Freiheit wieder. Er kehrte nach Venedig zurück, wo er sich vermälte. Von nun ab schweigt die Geschichte über sein späteres Geschick. Man weiß nur aus seinem, vom 9. Januar 1323 datirenden Testamente, daß er drei Töchter hinterließ, und glaubt, daß er etwa zu jener Zeit, im Alter von siebzig Jahren gestorben ist.

Das war die Lebensgeschichte dieses berühmten Reisenden, dessen Berichte einen so großen Einfluß auf die Fortschritte der geographischen Wissenschaften ausübten. Er besaß in eminentem Maße die Kunst scharfer Beobachtung. Er wußte zu sehen, wie er zu reden verstand, und den späteren Forschern blieb nur übrig, die Richtigkeit seiner Reisebeschreibung zu bestätigen. Bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts dienten die den Berichten Marco Polo's entlehnten Documente als Grundlage sowohl für geographische Studien, wie für Handelsexpeditionen nach China, Indien und Innerasien. Auch die Nachwelt kann nur ihre Zustimmung geben zu dem Titel: »Das Buch der Weltwunder«, den die ersten Abschreiber dem Werke Marco Polo's vorgesetzt hatten.

[107]
5. Capitel
Fünftes Capitel.
Ibn Batuta (1328–1353).

Ibn Batuta. – Der Nil. – Gaza, Tyrus, Tiberias, der Libanon, Balbek, Damaskus, Mesched, Bassorah, Bagdad, Tebriz, Medina, Mekka. – Yemen. – Abyssinien. – Das Land der Berber. – Zanguebar. – Ormuz. – Syrien. – Anatolien. – Kleinasien. – Astrachan. – Konstantinopel. – Turkestan. – Herat. – Der Indus. – Delhi. – Malabar. – Die Malediven. – Ceylon. – Coromandel. – Bengalen. – Die Nikobaren. – Sumatra. – China. – Afrika. – Der Niger. – Timbutku.


Marco Polo hatte sein Vaterland seit fünfundzwanzig Jahren wieder gesehen, als ein Laienbruder des Franziskanerordens zwischen 1313 – 1330 ganz Asien vom Schwarzen Meere aus bis zu den äußersten Punkten von China durchwanderte, wobei er über Trebizonde, den Berg Ararat, Babel und durch die Insel Java kam. Sein Bericht ist aber so verwirrt und seine Leichtgläubigkeit so offenbar, daß man seinen Angaben keinerlei Gewicht beilegen kann. Dasselbe gilt von den fabelhaften Reisen Johannes von Mandeville's, von dem Cooley sagt, er habe»ein Werk veröffentlicht, so voll von Lügen, daß es wahrscheinlich unter allen bekannten Sprachen kein ähnliches wieder giebt«.

Der erste würdige Nachfolger des venetianischen Reisenden ist ein Araber, der für Egypten, Arabien, Anatolien, die Tatarei, Indien, China, Bengalen und Sudan dasselbe leistete wie Marco Polo für einen beträchtlichen Theil Centralasiens. Dieser ebenso geistvolle als unternehmende Mann verdient unbedingt einen Platz unter den kühnsten Forschern.

Er war ein Gottesgelehrter und hieß eigentlich Abd Allah El Lawati, erwarb seinen Ruhm aber unter dem Beinamen Ibn Batuta. Im Jahre 1324, d. i. im siebenhundertundfünfundzwanzigsten Jahre der Hedschira, entschloß er sich zu einer Pilgerfahrt nach Mekka und begab sich von Tanger, seiner Vaterstadt aus, nach Alexandrien und von da nach Kairo. Während seines Aufenthaltes in Egypten studirte er eingehend den Lauf des Nils, vorzüglich an seinen Mündungen; dann versuchte er längs des Stromes hinauszugehen, durch die damals an den Grenzen Nubiens herrschenden Unruhen aber zurückgehalten, mußte er wieder flußabwärts reisen und segelte nach Kleinasien.

Nach einem Besuche Gaza's, der Gräber Abraham's, Isaak's und Jakob's, des stark befestigten und von drei Seiten so gut wie unangreifbaren [108] Tyrus, der in Ruinen liegenden Stadt Tiberias, deren weitberühmte Bader vollständig zerstört waren, erregten Ibn Batuta's Aufmerksamkeit die Wunder des Libanon, des Sammelplatzes aller Einsiedler jener Zeit, welche wohlweislich einen der schönsten Punkte der Erde erwählt hatten, um daselbst ihre Tage zu beschließen. Weiter zog er über Balbek und berührte im Jahre 1345 auch Damaskus, wo die Pest unerhörte Verheerungen anrichtete. Nach den Angaben unseres Reisenden verschlang die entsetzliche Geisel damals bis »24.000« Menschen täglich, und ohne Zweifel wäre Damaskus gänzlich entvölkert worden ohne das Eingreifen des Himmels, der endlich dem Flehen des Volkes nachgab, das sich in der heiligen Moschee versammelt hatte, in welcher man den kostbaren Stein mit dem Fußeindruck Mosis bewahrt.

Von Damaskus aus begab sich der arabische Geistliche nach der Stadt Mesched, in der er das Grab Ali's besuchte. Dieses Grab zieht eine große Menge gelähmter Pilger an, welche in dessen Nähe nur eine Nacht über betend zu verbringen haben, um von ihren Gebrechen zu genesen. Batuta scheint in die Wahrhaftigkeit dieses Wunders, das im ganzen Orient unter dem Namen der »Nacht der Wiederherstellung« bekannt ist, keinerlei Zweifel zu setzen.

Mesched verlassend, begab sich der unermüdliche Ibn Batuta, getrieben von seinem unzähmbaren Wunsche, immer mehr zu sehen, nach Bassorah, drang tief bis in das Königthum Ispahan hinein und durchwanderte die Provinz Schiraz, wo er den berühmten Zauberer Magd Oddin zu sprechen suchte. Von Schiraz ging er nach Bagdad und Tebriz, dann nach Medina, um am Grabe des Propheten zu beten, und endlich nach Mekka, wo er sich drei Monate Ruhe gönnte.

Bekanntlich ziehen von dieser heiligen Stadt fortwährend Handelskarawanen nach allen Seiten der umgebenden Länder aus. In Gesellschaft einiger solcher unternehmenden Kaufleute besuchte Ibn Batuta alle Städte von Yemen. Er dehnte seinen Ausflug bis Aden, am südlichen Ende des Rothen Meeres, aus und schiffte sich dort nach Zeita, einem der Häfen Abyssiniens ein. Fetzt betrat er also wieder afrikanischen Boden. Im Lande der Berber studirte er die Sitten und Gebräuche dieser schmutzigen, widerlichen Volksstämme, welche nur von Fischen und Kameelfleisch leben. Dennoch begegnete Ibn Batuta in der Stadt Makdasbu einem gewissen Luxus, um nicht zu sagen, einem wohlthuenden Comfort, an den er sich immer gern [109] erinnert. Die Bewohner der genannten Stadt waren alle sehr wohlbeleibt; Jedermann »aß hier so viel, wie sonst ein ganzes Kloster«; dabei waren die ausgesuchtesten Leckereien, wie in Milch gekochtes Wegebreit, eingemachte Citronen, die Schoten von frischem Pfeffer und grüner Ingwer sehr beliebt.

Nachdem er sich von dem Lande der Berber, vorzüglich von dessen Küstenstrichen ziemlich eingehende Kenntniß verschafft, beschloß Ibn Batuta nach Zanguebar zu reisen, überschritt also das Rothe Meer und begab sich längs der arabischen Küste bis nach Zafar, eine Stadt am Indischen Meere. Die Vegetation dieser Gegend war wirklich prächtig; Betel, Cocospalmen und Weihrauchbäume bildeten hier die herrlichsten Wälder; der von seinem unruhigen Geiste stets weiter getriebene arabische Reisende aber ging nun nach Ormuz am Persischen Golfe. Er durchstreifte einige persische Provinzen. Wir begegnen ihm ein zweites Mal in Mekka, im Jahre 1332 wieder. Er kehrte also drei Jahre nach seiner ersten Anwesenheit in die heilige Stadt zurück.

Hiermit tritt indeß nur eine Pause, ein kurzer Ruhepunkt in dem Leben des reiselustigen Ibn Batuta ein, denn nochmals vertauscht er Asien gegen Afrika und dringt mitten in unbekannte Gegenden Ober-Egyptens ein, von wo aus er nach Kairo zurückkommt. Dann wendet er sich nach Syrien, geht nach Jerusalem und Tripolis und gelangt bis zu den Turkomanen von Anatolien, wo ihm die »Gesellschaft der jüngeren Brüder« einen höchst gastfreundlichen Empfang bereitet.

Nach Anatolien verbreitet sich der arabische Reisebericht über Kleinasien. Ibn Batuta kam hier bis Erzerum, wo man ihm einen Meteorstein von sechshundert Pfund Gewicht zeigte. Dann segelte er über das Schwarze Meer, besuchte die Krim, Kafa und Bulgar, eine Stadt, welche schon in hinlänglich hoher Breite liegt, um einen bedeutenden Unterschied in der Länge der Tage und Nächte wahrnehmen zu lassen, und erreichte endlich Astrachan, an der Mündung der Wolga, wo der Khan der Tataren den Winter über residirte.

Prinzessin Bailun, die Gemalin dieses Fürsten, Tochter des Kaisers in Konstantinopel, traf eben Anstalt, ihrem Vater einen Besuch abzustatten. Damit bot sich für Ibn Batuta eine günstige Gelegenheit, die europäische Türkei kennen zu lernen. Er erwirkte sich die Erlaubniß, die Prinzessin begleiten zu dürfen, welche unter Bedeckung von fünftausend Mann reiste und eine tragbare Moschee mit sich führte, die an jedem Haltepunkt aufgestellt [110] wurde. Der Prinzessin bereitete man in Konstantinopel einen ungewöhnlich prächtigen Empfang und läutete die Glocken dabei so stark, »daß der ganze Horizont davon erzitterte«.

Auch der Empfang des Theologen seitens der Prinzen des Landes entsprach vollkommen dem Ruhme seines Namens. Er fand Gelegenheit, die Stadt sehr genau kennen zu lernen, und verweilte daselbst sechsunddreißig Tage lang.

Man wird zugeben, daß sich Ibn Batuta in jener Zeit mit ihren schwierigen und theilweise sogar gefährlichen Communicationsmitteln zwischen den verschiedenen Ländern als kühner Reisender erwiesen hat, indem er Egypten, Arabien, die asiatische Türkei und die Provinzen am Kaukasus durchwanderte. Nach solchen Anstrengungen verdiente er gewiß eine längere Ruhe. Sein Ruhm reichte weit und hätte einem minder ehrgeizigen Geiste sicherlich genügt. Er war ohne Zweifel der berühmteste Reisende des 14. Jahrhunderts; noch immer aber zog ihn seine unbezwingliche Leidenschaft hinaus, so daß sich der Kreis seiner Forschungen noch beträchtlich erweiterte.

Von Konstantinopel aus wandte sich Ibn Batuta von Neuem nach Astrachan, dann zog er durch die unwirthbaren Wüsten des heutigen Turkestan nach der Stadt Chorasm, die ihm sehr groß und volkreich erschien, und weiter nach dem von den Heerhaufen Gengis Khans halb zerstörten Bukhara. Bald nachher finden wir ihn in Samarkand, einer sehr frommen und gottesfürchtigen Stadt, welche dem Reisenden besonders gefällt, ferner in Balk, das er nur erreichen konnte, indem er es wagte, durch die Wüste von Khoracan zu ziehen. Die genannte Stadt lag freilich vollständig in Trümmern und Ruinen. Die Armeen der Barbaren waren hier vorübergezogen. Ibn Batuta konnte daselbst also nicht verweilen. Er beabsichtigte nach Westen, nach der Grenze von Afghanistan zurückzukehren. Vor ihm breitete sich das Bergland Kusistan aus. Er zögerte keinen Augenblick, sich des schwierigen, durch dasselbe führenden Weges zu bedienen und er reichte auch nach glücklicher und geduldiger Ueberwindung unendlicher Hindernisse die wichtige Stadt Herat.


Plan von Jerusalem. (S. 110.)

Das war der äußerste Punkt im Westen, an dem Ibn Batuta Halt machte. Er beschloß nun, wiederum den Weg nach dem Oriente einzuschlagen und bis zum Ende Asiens, an die Küste des Pacifischen Oceans vorzudringen. Gelang ihm auch das, so übertraf er [111] bezüglich des Umfanges seiner Forschungsreisen den berühmten Marco Polo noch beiweitem.


Ibn Batuta's Fahrzeug wurde von Seeräubern weggenommen (S. 115.)

Er brach also auf und kam durch Kabul und längs der Grenzen Afghanistans zunächst an die Ufer des Sindhi, des heutigen Indus, den er bis zu seiner Mündung hinab verfolgte. Von der Stadt Lahori aus begab er sich nach Delhi, jener großen und schönen Stadt, welche ihre Bewohner [112] damals aber verlassen hatten, um dem Wüthen des Sultans Mohammed zu entgehen.

Dieser zu Zeiten auch edeldenkende und gutmüthige Tyrann empfing den arabischen Reisenden sehr gnädig und kargte ihm gegenüber nicht mit Gunstbezeugungen, indem er ihn in Delhi zum Richter ernannte und sowohl mit Ländereien als mit Bareinkünften reichlich ausstattete. Nicht lange aber sollte[113] dieses Verhältniß währen. Ibn Batuta, verdächtigt, an einer Verschwörung theilgenommen zu haben, glaubte seinen Platz verlassen zu müssen und wurde sogar Fakir, um dem Zorne des Kaisers zu entfliehen. Mohammed beliebte es aber gerade, ihm zu verzeihen, und so ernannte er ihn zu seinem Gesandten in China.

Noch einmal lächelte das Glück also unserem muthigen Geistlichen, der ausnahmsweise unter den günstigsten Bedingungen für sein Wohlbefinden und seine persönliche Sicherheit nach jenen entlegenen Gebieten gelangen sollte. Es wurden ihm außerdem reiche Geschenke für den Kaiser von China überliefert und ihm eine Bedeckung von zweitausend Reitern mitgegeben.

Ibn Batuta machte seine Rechnung freilich ohne die Insurgenten, welche in den benachbarten Gegenden umherschwärmten. Zwischen seinen Begleitmannschaften und den Hindus kam es zu einem Gefecht. Ibn Batuta wurde dabei von seinen Leuten getrennt, gefangen genommen, beraubt, gefesselt und weggeschleppt. Wohin – das wußte er nicht. Trotzdem verlor er weder Muth noch Hoffnung und es gelang ihm auch wirklich, den Händen der Räuber zu entwischen. Sieben Tage lang irrte er umher, bis er endlich einen Neger traf, der ihn nach Delhi und in den Palast des Kaisers zurückbrachte.

Mohammed rüstete sofort eine neue Expedition aus und bestätigte den Reisenden in seiner Eigenschaft als Gesandten zum zweiten Male. Jetzt glückte der Escorte der Zug durch das insurgirte Land über Kanoge, Merwa, Gwalior und Barum bis nach Malabar. Bald darauf gelangte Ibn Batuta nach Calicut, dem späteren Hauptort der Provinz Malabar und wichtigen Hafenplatze, in dem er drei Monate auf günstigen Wind warten mußte, um in See gehen zu können. Er benutzte diesen unfreiwilligen Aufenthalt zum Studium der chinesischen Handelsmarine, welche diese Stadt viel besuchte, und spricht mit Bewunderung von den Tjonken, wirklich schwimmenden Gärten, in denen man Ingwer und Küchengewächse zog, als eine Art unabhängiger Ansiedlungen, deren manche reiche Leute eine große Menge besaßen.

Die günstige Jahreszeit kam heran. Ibn Batuta wählte sich für die Reise eine kleine, bequeme Tjonke aus, auf welche er seine Schätze und sein Gepäck unterbrachte. Dreizehn andere Tjonken enthielten die vom Herrscher von Delhi für den Kaiser von China bestimmten Geschenke. Da erhob sich Nachts ein schrecklicher Sturm, der alle Fahrzeuge versenkte. Zum Glück war Ibn Batuta auf dem Lande zurückgeblieben, um noch dem Gebete in der [114] Moschee beizuwohnen. Seine Frömmigkeit ward ihm zur Rettung. Aber er hatte Alles verloren; nichts war ihm übrig geblieben, als »der Teppich, auf dem er seine Andacht zu verrichten pflegte«. Nach diesem zweiten Unfalle wagte er es nicht mehr, dem Beherrscher von Delhi wieder unter die Augen zu treten. Freilich hätte solches Mißgeschick auch einen minder ungeduldigen Fürsten erzürnen können.

Ibn Batuta's Entschluß war schnell gefaßt; er gab den Dienst des Kaisers auf und verzichtete auf die Vortheile seiner Stellung als Gesandter; dann schiffte er sich nach den Malediven ein, die damals von einer Frau regiert wurden und lebhaften Handel mit Cocosfasern (eine Art Hanf) trieben. Auch hier übertrug man dem arabischen Theologen die Würde eines Richters; er heirathete drei Frauen, erregte aber den Unmuth des Vezirs, der ihn wegen der hohen, ihm zu Theil gewordenen Auszeichnungen beneidete, und mußte in Folge dessen fliehen. Er hoffte die Coromandelküste zu erreichen; die Winde verschlugen sein Schiff aber nach der Insel Ceylon. Ibn Batuta wurde daselbst von dem Könige mit aller Achtung aufgenommen und erhielt sogar die Erlaubniß, den heiligen Berg von Serendid, d. i. den Pic Adam, zu besteigen. Er wollte hier den wunderbaren Eindruck auf der Bergspitze sehen, den die Hindus den Fußabdruck Buddah's, die Mohammedaner aber den Fußabdruck Adam's nennen. Er sagt in seinem Berichte darüber, daß dieser Eindruck elf Handbreiten lang sei, womit er weit unter der Schätzung eines Geschichtsschreibers des 9. Jahrhunderts zurückbleibt, der ihm nicht weniger als neunundsiebzig Armlängen giebt. Der Letzterwähnte fügt auch noch hinzu, daß, während der eine Fuß unseres Stammvaters auf dem Berge ruhte, der andere im indischen Ocean gestanden habe. Ibn Batuta spricht auch von großen bärtigen Affen, »welche einen großen Theil der Bevölkerung der Insel ausmachen«, die eine monarchische Regierung besitzt, mit einem kynocephalischen, mit Baumblättern gekrönten Könige an der Spitze. Man weiß jedoch, was von allen diesen, durch die Leichtgläubigkeit der Hindus aufgekommenen und verbreiteten Fabeln zu halten ist.

Von Ceylon aus setzte der Reisende unter schweren Stürmen nach der Coromandelküste über und erreichte, indem er den untersten Theil der Ostindischen Halbinsel durchwanderte, die entgegengesetzte Küste, wo er sich von Neuem einschiffte. Auf offenem Meere wurde aber das von ihm benutzte Fahrzeug von Seeräubern weggenommen und geplündert, so daß Ibn Batuta [115] gänzlich beraubt, fast nackt und zum äußersten erschöpft in Calicut anlangte. Kein Unglück aber vermochte seinen Muth zu brechen. Er gehörte zu jener Art der großen Reisenden, die das Mißgeschick nur stählt. Sobald die Freigebigkeit reicher Kaufleute ihn in den Stand gesetzt hatte, den Wanderstab zu ergreifen, ging er von Neuem nach den Malediven unter Segel und begab sich dann nach Bengalen, dessen natürliche Reichthümer seine Bewunderung erregten, schiffte sich darauf nach Sumatra ein, rastete nach fünfzigtägigen Fahrt unter abscheulichem Wetter auf einer Insel der Nikobaren-Gruppe im Golfe von Bengalen und erreichte endlich nach weiteren fünfzehn Tagen Sumatra, dessen König ihn mit großer Auszeichnung empfing, wie er es übrigens allen Mohammedanern gegenüber zu thun pflegte. Ibn Batuta aber zählte nicht zu den gewöhnlichen Menschen; er gefiel auch dem Herrscher der Insel so ausnehmend, daß dieser ihm die Mittel gewährte, nach China zurückzukehren.

Eine Tjonke trug den Reisenden über das »Stille Meer«, und zwölf Tage nach der Abreise von Sumatra legte er glücklich im Hafen von Kailuka, der Hauptstadt eines sehr räthselhaften Landes an, dessen wohlgestaltete und muthige Bewohner sich im Kriegshandwerk auszeichneten. Von Kailuka aus kam Ibn Batuta nach den chinesischen Provinzen und besuchte zuerst die prächtige Stadt Zaitem, wahrscheinlich das Tsuen-cheu der Chinesen, das ein wenig nördlich von Nan-king liegt. Er durchstreifte verschiedene Gegenden des großen Reiches, studirte die vielen Sitten der Völkerschaften, deren Reichthümer, Industrie und Civilisation sein Erstaunen erregten, gelangte aber nicht bis zur großen Mauer, welche er »Gog's und Magog's Hinderniß« nannte. Während dieser Kreuz und Querzüge durch das unermeßliche Land verweilte er auch in der Stadt Chensi, welche selbst wieder sechs befestigte Städte umfaßt. Sein Glücksstern fügte es auch so, daß er dem Begräbniß eines Khans beizuwohnen Gelegenheit fand, mit dessen Leiche vier Sklaven, sechs seiner Favoritinnen und vier Pferde gleichzeitig eingescharrt wurden.

Inzwischen brachen in Zaitem Unruhen aus und nöthigten Ibn Batuta, diese Stadt zu verlassen. Der arabische Reisende schiffte sich also nach Sumatra ein und kehrte, während er Calicut und Ormuz berührte, im Jahre 1348 nach Mekka zurück, nachdem er durch ganz Persien und Syrien gezogen war.

[116] Noch hatte die Stunde der Ruhe für diesen unermüdlichen Forscher nicht geschlagen. Im folgenden Jahre sah er Tanger, seine Vaterstadt wieder. Dann begab er sich nach Abstattung eines Besuches in Spanien nach Marokko, drang nach Sudan hinein, durchwanderte die vom Niger bewässerten Länder, zog durch die große Wüste und gelangte bis Timbuktu – eine Reise, welche allein hingereicht hätte, einen minder ehrgeizigen Reisenden berühmt zu machen.

Das sollte seine letzte Expedition sein. Im Jahre 1353, neunundzwanzig Jahre nach seiner ersten Abreise von Tanger, kehrte er nach Marokko zurück und ließ sich in Fez nieder. Ibn Batuta verdient den Ruhm des unerschrockensten Reisenden des 14. Jahrhunderts, und die Nachwelt handelt nicht mehr als gerecht, wenn sie seinen Namen dem Marco Polo's, des berühmten Venetianers, an die Seite stellt.

6. Capitel
1.
I.

Der normannische Edelmann. – Seine Eroberungsgedanken. – Was man von den Canarischen Inseln wußte. – Cadix. – Der Archipel der Canarischen Inseln. – Graciosa. – Lancerote. – Fortaventura. – Lobos. – Johann von Bethencourt kehrt nach Spanien zurück. – Berneval's Aufstand. – Zusammenkunft Johann von Bethencourt's und König Heinrich's III. – Gadifer besucht den Archipel der Canarischen Inseln. – Gran-Canaria. – Die Insel Ferro. – Die Palmeninsel.


Etwa im Jahre 1339 wurde in der Grafschaft Eu, in der Normandie, Johann von Bethencourt, Baron von Saint-Martin-le-Gaillard, geboren. Dieser Johann von Bethencourt stammte aus einem guten Hause, und da er sich im Kriege und auf dem Meere ausgezeichnet hatte, erhielt er eine Stelle als Kämmerer Karls VI. Ihn beseelte aber eine große Neigung zu neuen Entdeckungen, und da ihm, vorzüglich als der König in Wahnsinn verfiel, der Dienst am Hofe lästig ward und er sich im eigenen Hause nicht glücklich fühlte, so beschloß er, sein Vaterland zu verlassen und sich durch irgend eine abenteuerliche Eroberung einen Namen zu machen. Eine günstige Gelegenheit bot sich ihm durch Folgendes.

[117] Nahe der Küste Afrikas befindet sich eine Inselgruppe mit dem Namen der Canarischen Inseln, welche früher die Inseln der Glückseligkeit hießen. Juda, ein Sohn des Königs Numidias, sollte sie, der Sage nach, schon gegen das Jahr 776 der römischen Zeitrechnung nach besucht und erforscht haben. Im Mittelalter landeten, wie man aus Ueberlieferungen weiß, Araber, Genuesen, Portugiesen, Spanier und Biscayenser an dieser interessanten Inselgruppe. Im Jahre 1393 ging ein spanischer Señor, Almonaster, der Befehlshaber einer spanischen Flottenabtheilung, hier an's Land, durchstreifte Lancerote, eine der Canarien, und brachte außer einer Anzahl Gefangener eine Menge Naturerzeugnisse als Belege für die große Fruchtbarkeit des Archipels mit heim.

Diese Thatsachen trieben den normannischen Ritter zur Ausführung seiner Pläne. Die Eroberung der Canarien schwebte ihm vor den Augen und nebenbei wollte er als frommer Christ die Bewohner der Insel zum katholischen Glauben bekehren. Er war ein kühner, intelligenter, geschickter und an Hilfsquellen reicher Mann. So verließ er denn sein Hôtel de Grainville-la-Teinturière in Caux und begab sich nach la Rochelle. Dort traf er mit dem umherirrenden Ritter Gadifer de la Salle zusammen, der ebenfalls auf Abenteuer auszog. Johann von Bethencourt theilte Gadifer seine Absichten mit. Gadifer machte ihm den Vorschlag, sein Glück in Verbindung mit ihm zu versuchen. Zwischen Beiden wurden »ungeheuer viel schöne Worte« gewechselt und die Sache endgiltig beschlossen.

Inzwischen hatte Johann von Bethencourt seine Armee gesammelt. Er besaß gute Schiffe mit ausreichender Mannschaft und Proviant. Gadifer und er gingen unter Segel und kamen, nachdem sie bei der Insel Ré durch widrige Winde und noch mehr durch wiederholte Zwistigkeiten unter den Leuten längere Zeit aufgehalten worden waren, in den Hafen von Vivero, an der Küste von Galice, und später nach Corogne. Hier blieb Johann von Bethencourt mit seinen Biedermännern volle acht Tage. Die Franzosen hatten einige Streitigkeiten mit einem gewissen Grafen von Schottland, der ihren Anordnungen nicht Folge leisten wollte, doch ging Alles noch mit einem bloßen Wortwechsel ab. Der Baron stach wieder in See, schiffte um Cap Finisterre, folgte der portugiesischen Küste bis zum Cap Saint Vincent und gelangte nach dem Hafen von Cadix, in dem er ziemlich lange Halt machte. Daselbst entstanden auch einige Zänkereien mit genuesischen Kaufleuten, welche [118] ihn beschuldigten, sich unrechtmäßiger Weise ein Schiff angeeignet zu haben, in Folge dessen er sich sogar nach Sevilla begeben mußte, wo der König ihm jedoch volle Gerechtigkeit widerfahren ließ und ihn von der Anklage freisprach. Johann von Bethencourt kam also nach Cadix zurück und traf dort einen Theil seiner Mannschaft in heller Empörung an. Viele Matrosen wollten, erschreckt durch die Gefahren der Expedition, die Fahrt nicht weiter fortsetzen. Der französische Ritter behielt nur die Muthigen bei sich und ließ die anderen ihres Weges ziehen, dann setzte er sofort Segel bei und steuerte auf das hohe Meer hinaus.

Drei Tage lang wurde das Schiff des Barons durch Windstillen zurückgehalten; als sich das Wetter geändert hatte, erreichte er eine der kleineren Inseln der Gruppe der Canarien, nämlich Graciosa, und endlich eine bedeutendere Insel, Namens Lancerote, deren Länge vierundvierzig und deren Breite sechzehn Kilometer beträgt, die also ungefähr die Größe und nahezu die Form der Insel Rhodus hat. Lancerote ist reich an Weideplätzen und fruchtbarem Ackerlande, das sehr viel Gerste erzeugt. Wasserkünste und Cisternen liefern ihr reichliches gutes Wasser. Die Farbpflanze Orseille wächst hier im Ueberfluß. Die Einwohner dieser Insel, welche fast nackt zu gehen pflegen, sind groß und schön gewachsen, und ihre Frauen, welche Lederüberröcke tragen, die bis zur Erde reichen, sehr schön und ehrbar.

Johann von Bethencourt wollte sich, bevor er mit seinem Eroberungsprojecte offen hervortrat, wenigstens die Ergebenheit einer Anzahl der Bewohner versichern. Er kannte jedoch das Land nicht und die Sache bot unerwartete Schwierigkeiten. Er zog sich also einstweilen in den Schutz einer kleinen, mehr im Norden gelegenen Insel zurück, versammelte dort seinen Kriegsrath und legte diesem die Frage vor, was zu beginnen sei? Die allgemeine Meinung sprach sich bei dieser Gelegenheit dahin aus, daß man durch List oder Entführung sich einiger Landesbewohner bemächtigen müsse. Das Glück begünstigte den kühnen Rittersmann. Der König der Insel, Guardarfia, setzte sich mit ihm in Verbindung und schwor ihm Gehorsam als Freund, aber nicht als Unterthan. Johann von Bethencourt ließ darauf hin ein Castell oder richtiger ein Fort im südwestlichen Theile der Insel erbauen, besetzte es mit einigen Leuten unter dem Befehl Berthin Berneval's, eines Mannes von erprobtem Eifer, und brach mit dem Reste seiner Truppen auf, um die Insel Erbanie, d. i. das heutige Fortaventura, zu erobern.

[119] Gadifer rieth zu einer nächtlichen Landung, welche man auch unternahm: dann stellte er sich an die Spitze einer kleinen Abtheilung und durchstreifte acht Tage lang die ganze Insel, ohne einen Eingebornen zu Gesicht zu bekommen, da sich diese Alle in die Gebirge geflüchtet hatten.


Johann von Bethencourt. (S. 117.)

Gadifer mußte wegen Mangels an Nahrungsmitteln zurückkehren und wandte sich nach der Insel Lobos, zwischen Lancerote und Fortaventura. Dort empörte sich aber [120] sein erster Schiffsführer gegen ihn und er kam nur mit Mühe nach dem Fort der Insel Lancerote zurück.

Johann von Bethencourt faßte nun den Entschluß, zunächst nach Spanien zu gehen, um Proviant und neue Mannschaft zu sammeln, denn auf seine jetzige Mannschaft konnte er sich nicht allzu sehr verlassen. Er übergab also das Obercommando der Insel an Gadifer; dann nahm er feierlich von Allen Abschied und segelte auf einem Schiffe Gadifer's nach Spanien.

Man erinnert sich, daß Johann von Bethencourt vorher Berthin von Berneval zum Commandanten des Forts auf der Insel Lancerote ernannt hatte. Dieser Berneval war ein persönlicher Feind Gadifer's. Der normannische Ritter war kaum abgereist, als Berneval schon seine Leute zum Ungehorsam aufreizte, und es gelang ihm auch, einen Theil derselben auf seine Seite zu bringen, darunter vorzüglich die Gascogner, welche sich in Folge dessen gegen den Gouverneur empörten. Ohne jeden Verdacht derartiger Machinationen seitens Berneval's hatte sich dieser mit seinem Freunde Remonnet von Leveden und mehreren Anderen zur Jagd auf Seebären nach der Insel Lobos begeben. Der genannte Remonnet war nach Lancerote zurückgegangen, um neue Lebensmittel zu besorgen, fand aber zu seinem Erstaunen daselbst Berneval nicht mehr vor, der mit seinen Complicen die Insel verlassen hatte und nach einem Hafen der Insel Graciosa entwichen war, wo ein durch seine Versprechungen bethörter Schiffspatron ihm sein Fahrzeug überlassen hatte. Von Graciosa aus kehrte der Verräther Berneval nach Lancerote zurück und setzte seinen Schurkereien damit die Krone auf, daß er ein Bündniß mit dem König der Canarischen Inseln abzuschließen suchte. Der König, dem es gar nicht in den Sinn kam, daß ein Officier des Herrn von Bethencourt, auf den dieser volles Vertrauen setzte, ihn betrügen könnte, lieferte sich mit achtzig Leuten Berneval ahnungslos aus. Letzterer ließ Alle, als sie eingeschifft waren, in Fesseln legen und nach dem Hafen von Graciosa überführen.

Als der König sich so schändlich hintergangen sah, sprengte er seine Fesseln und die von Dreien seiner Leute, denen es glückte, mit ihm zu entfliehen, ihre unglücklichen Gefährten blieben aber gefangen und wurden von Berneval spanischen Seeräubern übergeben, die sie zum Verkauf in fremde Länder mit fortnahmen.

[121] Zu diesen Infamien fügte Berneval aber auch noch weitere. Auf sein Geheiß bemächtigten sich seine Leute des Fahrzeuges, das Gadifer zur Einnahme von Nahrungsmitteln nach Lancerote gesendet hatte. Remonnet wollte gegen die Verräther ankämpfen, doch befand er sich mit den Seinen einer zu großen Uebermacht gegenüber. Ihre vereinten Bitten verhinderten nicht einmal Berneval's Bande und diesen selbst, die Lebensmittel-Vorräthe, Werkzeuge, Waffen, welche Johann von Bethencourt in Lancerote aufgespeichert hatte, zu berauben und unbrauchbar zu machen. An rohen Beschimpfungen des Gouverneurs fehlte es natürlich nicht und Berneval rief: »Ich wünsche, daß Gadifer de la Salle erfahre, daß ich ihn tödten würde, wenn er noch so jung wäre wie ich, da das jedoch nicht der Fall ist, werde ich es unterlassen. Wenn es mir aber einmal wieder einfallen sollte, werde ich ihn auf der Insel Lobos ins Meer tauchen, da mag er Seebären jagen, so viel er will.«

Inzwischen kamen Gadifer und seine zehn Begleiter wegen Mangels an Speise und Trank in Gefahr, auf Lobos elend umzukommen. Glücklicher Weise hatten sich die beiden Caplane des Forts von Lancerote nach dem Hafen von Graciosa begeben, wo sie einen Schiffspatron für sich gewannen, der über den Verrath Berneval's selbst aufgebracht war. Dieser Mann gab ihnen einen seiner Leute, Namens Ximenes, mit, der nach dem Fort von Lancerote zurückging. Dort befand sich ein zerbrechlicher Nachen, den Ximenes mit Lebensmitteln belud; dann bestieg er denselben in Gesellschaft von vier Getreuen Gadifer's und wagte sich damit auf's Meer, um die Insel Lobos zu erreichen, wobei er den vier Stunden langen Weg »durch die gefährlichste Stelle, welche das Meer hier als Passage bot«, zurücklegte.

Gadifer und die Seinen litten inzwischen furchtbar an Hunger und Durst. Ximenes traf gerade noch rechtzeitig ein, um sie vom Tode zu erretten. Als Gadifer von Berneval's Verrätherei hörte, schiffte er sich auf demselben kleinen Nachen ein, um nach dem Fort von Lancerote zurückzukehren. Er war auf's höchste erzürnt über Berneval's Auftreten gegenüber den armen Canariensern, denen Herr von Bethencourt und er selbst Schutz versprochen hatten. Niemals hätte er geglaubt, daß jener Mann, den man sonst für den Verläßlichsten unter Allen hielt, solcher Schurkenstreiche, solch' heimlicher Verrätherei fähig wäre.

Was begann aber Berneval selbst in dieser Zeit? Nachdem er seinem Vorgesetzten verrathen, verrieth er nicht minder seine eigenen Genossen, die [122] ihn bei der Durchführung seiner Schändlichkeiten beigestanden hatten; er ließ Zehn von ihnen an's Land setzen, ging unter Segel in der Absicht, Johann von Bethencourt in Spanien aufzusuchen und seine nachträgliche Zustimmung zu den von ihm getroffenen Maßnahmen einzuholen, indem er ihm das Vorgefallene in seiner Weise darzustellen gedachte. Natürlich lag es in seinem Interesse, sich unbequemer Zeugen zu entledigen, und so ließ er diese einfach zurück. Diese Unglücklichen hatten zuerst den Gedanken, die Großmuth des Gouverneurs anzurufen; sie vertrauten sich deshalb ihrem Caplane, der sie in jenem Vorsatze bestärkte. Die armen Leute fürchteten sich aber vor der Rache Gadifer's, bemächtigten sich eines Schiffes und entflohen in einem Augenblicke der Verzweiflung nach dem Lande der Mauren. Das Fahrzeug strandete an der Küste der Berberei. Zehn seiner Insassen kamen dabei im Wasser um, die Anderen fielen den Heiden in die Hände und wurden als Sklaven verkauft.

Zur Zeit, als die erzählten Ereignisse sich auf der Insel Lancerote abspielten, langte Johann von Bethencourt mit Gadifer's Schiffe in Cadix an Er ergriff zunächst strenge Maßregeln gegen seine murrende, widerspenstige Mannschaft und ließ zehn der Rädelsführer in Fesseln legen. Dann sandte er sein Schiff nach Sevilla, wo sich König Heinrich III. damals aufhielt; das Fahrzeug ging jedoch zum großen Nachtheil Gadifer's im Guadalquivir zu Grunde.

Als Johann von Bethencourt sich in Sevilla befand, empfing er dort den Besuch eines gewissen Francisco Calve, der so schnell als möglich von den Canarien gekommen war und sich anbot, mit neuen Provisionen und Waffen für den Gouverneur dahin zurückzukehren. Baron von Bethencourt wollte hierüber jedoch nicht eher eine Entschließung fassen, als bis er den König selbst gesprochen hätte.

Inzwischen langte auch Berneval mit seinen thätigsten Spießgesellen an und brachte einige Canarier mit, um diese als Sklaven zu verkaufen. Der Verräther hoffte seine Schändlichkeiten in einem solchen Lichte hinzustellen, daß ihm gar noch ein Dank für seine Maßregeln zu Theil würde, wenn es ihm gelang, Johann von Bethencourt zu täuschen; er hatte aber ohne einen gewissen Courtille gerechnet, der auf Gadifer's Seite stand, und sich gleichzeitig mit ihm einfand. Dieser wackere Soldat brachte die Betrügereien Bernevals an den Tag und auf seine Aussagen hin wurde der Verbrecher [123] im Gefängniß zu Cadix in Fesseln gelegt. Courtille theilte auch das Nöthige über die Lage der an Bord befindlichen Canarier mit. Der normannische Ritter konnte zwar Sevilla nicht selbst in dem Augenblicke verlassen, da er eine Audienz beim Könige haben sollte, doch gab er gemessenen Befehl, die Insulaner mit aller Rücksicht zu behandeln. Während dieser Verhandlungen war jedoch das Schiff, welches sie trug, schon nach Aragon geführt und die armen Leute wirklich als Sklaven verkauft worden.

Johann von Bethencourt hatte es nun erreicht, sich dem Könige von Castilien persönlich vorzustellen, und sagte, nachdem er den vorläufigen Erfolg seines kühnen Zuges geschildert, Folgendes: »Ich komme, Sire, um Sie um Unterstützung anzugehen und mir gleichzeitig die Genehmigung auszuwirken, die Bewohner der Länder, welche man die Canarischen Inseln nennt, zum christlichen Glauben zu bekehren, Sie als König und Herrn der genannten Gebiete nebst Umgebung ausrufen zu lassen, da Sie ja doch der nächst interessirte König sind, und zu bitten, daß Sie geruhen mögen, mich als Lehenspflichtigen anzuerkennen«. Sehr erfreut nahm der König das Anerbieten des normannischen Ritters an. Er belehnte ihn mit stellvertretender höchster Gewalt auf den Canarischen Inseln und bewilligte ihm unter Anderem den fünften Theil der von jenen Inseln nach Spanien kommenden Waaren. Außerdem machte er ihm ein Geschenk von 20.000 Maravedis (etwa 12.000 Mark – 6000 Gulden), um alle für den Gouverneur Gadifer nöthigen Ausrüstungsgegenstände, Lebensmittel u.s.w. einzukaufen, und verlieh ihm überdies das Recht, auf den Canarien selbst Geld zu prägen.

Leider wurden diese 20.000 Maravedis einem unzuverlässigen Mann übergeben, der nach Frankreich entfloh und das Geschenk des Königs von Castilien raubte.

Als Ersatz erhielt Johann von Bethencourt von Heinrich III. ein wohlausgerüstetes Fahrzeug mit vierundzwanzig Mann Besatzung und reicher Ladung an Nahrungsmitteln, Waffen und Werkzeugen aller Art.-Johann von Bethencourt schrieb unter dem Ausdruck des wärmsten Dankes für die Freigebigkeit des Königs an Gadifer, was ihm hier auszurichten gelungen sei, gab seiner Erregung und »Verblüffung« Ausdruck über Berneval's Schurkenstreiche, da er gerade diesen für ganz zuverlässig gehalten hatte, und meldete ihm die nahe bevorstehende Abfahrt des vom Könige von Castilien geschenkten Schiffes.

[124] Während dieser Zeit wurde aber die Insel Lancerote der Schauplatz sehr ernster Ereignisse. Der König Guardarfia, tief entrüstet über das Verfahren des Verräthers Berneval ihm gegenüber, hatte sich erhoben, und es waren in Folge dessen mehrere Leute Gadifer's von den Canariern umgebracht worden. Gadifer war im Begriff, die Bestrafung der Schuldigen zu fordern, als ein Verwandter des Königs, der Eingeborne Ache, ihm den Vorschlag machte, sich Guardarfia's zu bemächtigen und ihn zu seinen Gunsten zu entthronen. Dieser Ache war nichts als ein Betrüger, der, nachdem er seinen König verrathen, auch die Normannen hintergehen und sie wieder aus dem Lande treiben wollte. Da Gadifer diese schlechten Absichten nicht erkannte und den Tod seiner Leute rächen wollte, nahm er den Vorschlag Ache's an, und kurze Zeit darauf, am Tage der heiligen Katharina, wurde der König überfallen, nach dem Fort geschleppt und in Ketten gelegt.

Wenige Tage später aber überfiel der nun zum König ausgerufene Ache die Leute Gadifer's und verwundete mehrere tödtlich. Schon in der folgenden Nacht jedoch gelang es Guardarfia nochmals, zu entkommen, und nun brachte er Ache in seine Gewalt und ließ ihn ohne Umstände zu Tode steinigen und verbrennen.

Der über die Gewaltscenen, welche sich fast täglich auf der Insel abspielten, aufgebrachte Gouverneur beschloß jetzt, alle männlichen Bewohner des Landes zu tödten und nur die Frauen und Kinder zu schonen, um diese taufen zu lassen. Ungefähr zu eben dieser Zeit traf indeß das von Johann von Bethencourt abgesandte Schiff ein, wodurch Gadifer von anderen Dingen in Anspruch genommen wurde. Johann von Bethencourt theilte Gadifer officiell mit, daß er ein Lebensverhältniß der Canarischen Inseln mit dem Könige verabredet habe, worüber der Gouverneur keineswegs erfreut war, da auch er ein Anrecht auf die erwähnten Inseln zu haben glaubte. Er verheimlichte jedoch seine Mißstimmung und nahm die neuen Ankömmlinge so gut wie möglich auf.

Die Löschung der Ladung an Lebensmitteln und Waffen ging sofort vor sich, dann aber schiffte sich Gadifer auf jenem Fahrzeuge ein, um die benachbarten Inseln näher in Augenschein zu nehmen. Ihn begleiteten Remonnet und mehrere Andere, auch nahm er verschiedene Eingeborne mit, die ihm als Führer dienen sollten.

[125] Ohne Unfall kam Gadifer bei der Insel Fortaventura an. Einige Tage nach der Landung brach er mit dreißig Mann Bedeckung auf, um das Land selbst kennen zu lernen. Sehr bald aber verließ ihn ein großer Theil seiner Mannschaften und nur dreizehn Leute, darunter zwei Bogenschützen, hielten noch zu ihm. Gadifer unterbrach jedoch deshalb seinen Zug nicht. Nach Durchwatung eines ziemlich bedeutenden Wasserlaufes, kam er in ein prächtiges, von achthundert Palmen beschattetes kleines Thal. Hier wurde Rast gemacht und dann zog die Gesellschaft in der Nähe einer langgestreckten Küste weiter.

Da zeigten sich einige Fünfzig Eingeborne, welche die wenigen Portugiesen umzingelten und sie zu vernichten drohten. Gadifer hielt jedoch nebst seinen Leuten tapfer Stand, so daß es ihnen gelang, ihre Feinde in die Flucht zu schlagen, und sie gegen Abend ihr Schiff wieder erreichen konnten, wobei sie vier Frauen als Gefangene mitführten.

Am folgenden Tage verließ Gadifer Fortaventura und ankerte bei Gran-Canaria in einem Hafen zwischen Teldez und Argonnez. Fünfhundert Eingeborne sammelten sich um ihn, ohne feindselige Haltung zu zeigen; sie tauschten vielmehr gegen Angelhaken und Eisenwaaren ihre Landesproducte aus, wie z.B. Feigen und Drachenblut, eine vom Drachenblutbaume herstammende harzige Substanz mit balsamischem, höchst angenehmem Geruche. Die Canarier bewahrten den Fremden gegenüber jedoch eine vorsichtige Zurückhaltung, denn sie erinnerten sich noch der schonungslosen Behandlung, die sie zwanzig Jahre früher von Lopez und dessen Leuten bei Gelegenheit eines Einfalls derselben in ihre Insel erfahren hatten, und gestatteten deshalb Gadifer auch nicht, an's Land zu gehen.

Der Gouverneur mußte also wieder in See gehen, ohne Gran-Canaria näher untersucht zu haben, und begab sich nun nach der Eiseninsel (Hierro oder Ferro); hier berührte er indeß kaum die Küste und ging mit seinem Schiffe noch nach der Insel Gomera, auf der er die Feuer der Eingebornen leuchten sah. Mit Tagesanbruch wollten einige von Gadifer's Leuten an's Land gehen; die wegen ihrer Kampfgeschicklichkeit und Unerschrockenheit gar nicht zu verachtenden Gomeriten aber drangen auf die Castilianer ein, welche in aller Eile sich wieder an Bord zurückziehen mußten.

Sehr enttäuscht durch den Empfang der wilden Canarier, beschloß Gadifer, sein Heil noch einmal auf der Insel Ferro zu versuchen. Er lichtete [126] also die Anker und kam noch bei Tage vor jener Insel an. Hier konnte er, ohne Widerstand zu finden, landen und verweilte auch zweiundzwanzig Tage lang an derselben Stelle.

Im Innern bot diese Insel einen wahrhaft herrlichen Anblick durch mehr als hunderttausend schlanke Pinien. Klare und wasserreiche Bäche bewässerten die Landschaft. Wachteln gab es im Ueberfluß und Schweine, Ziegen und Schafe traf man in großer Menge an.

Von diesem gastfreundlichen Lande aus zogen die Eroberer nach der Insel Palma und ankerten daselbst in einem Hafen zur rechten Hand eines bedeutenden Flusses. Diese Insel lag am weitesten in den Atlantischen Ocean hinaus. Bedeckt mit Pinien und Drachenbäumen, bewässert von schönen Flüssen und geschmückt mit einer saftigen Grasdecke schien sie für jede Art Cultur geeignet; ihre großen, kräftigen und wohlgebauten Bewohner zeichneten sich durch hübsche Gesichtszüge und auffallend weißen Teint aus.

Gadifer verweilte hier nicht lange; seine Matrosen versorgten sich mit Wasser für die Rückfahrt, und nachdem man binnen zwei Tagen und zwei Nächten längs der übrigen Inseln des Archipels hingesegelt war, ohne dabei an's Land zu gehen, kamen Alle nach dem Fort von Lancerote zurück. Drei Monate lang hatte ihre Abwesenheit gedauert.

Während dieser Zeit hatten ihre Gefährten, welche im fortwährenden Streite mit den Eingebornen standen, eine große Anzahl Gefangene gemacht, und tagtäglich trafen viele der nun entmuthigten Canarier ein, um sich auf Gnade und Ungnade zu ergeben und sich taufen zu lassen.

Erfreut über diese Erfolge, sandte Gadifer einen seiner Edelleute nach Spanien, um Johann von Bethencourt über die jetzigen Verhältnisse der canarischen Colonie Bericht zu erstatten.

2.
II.

Rückkehr Johanns von Bethencourt. – Eifersucht Gadifer's. – Johann von Bethencourt besucht den Archipel. – Gadifer zieht zur Eroberung von Gran-Canaria aus. – Zwistigkeiten der beiden Befehlshaber. – Sie gehen nach Spanien. – Gadifer wird vom König getadelt. – Rückkehr der normannischen Ritters. – Die Eingebornen von Fortaventura lassen sich taufen. – Johann von Bethencourt kommt nach dem Pays de Caux. – Rückkehr nach Lancerote. – Landung an der Küste Afrikas. – Eroberung von Gran-Canaria, Palma und Ferro. – Maciot wird zum Gouverneur des Archipels ernannt. Johann von Bethencourt erlangt in Rom vom Papste die Ernennung eines canarischen Bischofs. – Seine Rückkehr in das Vaterland und sein Tod.


Der Gesandte des Gouverneurs war in Cadix noch nicht eingetroffen, als Baron von Bethencourt schon persönlich vor dem Fort von Lancerote [127] mit »einer hübschen kleinen Gesellschaft« landete. Gadifer und die Seinen ebenso wie die getauften Canarier empfingen sie mit großen Ehren. Wenige Tage nachher ergab sich auch König Guardarfia auf Gnade und Ungnade und trat mit allen seinen Leuten am 20. Februar 1404 zum Christenthum über Johann von Bethencourt's Capläne verfaßten auch auf seinen Wunsch ein einfaches Büchlein über die Grundelemente des Christenthums, die Schöpfung der Welt, den Sündenfall Adam's und Eva's, die Geschichte


Gadifer kam in ein prächtiges Thal. (S. 126.)

Noah's und des Thurms zu Babel, das Leben der Patriarchen, die Geschichte Jesu Christi und seiner Kreuzigung durch die Juden, und endlich gab es Anleitung, wie man an die zehn Gebote, das Sacrament [128] des Altars, die Osterfeier, die Beichte und andere Punkte zu glauben habe.

Johann von Bethencourt war ein ehrgeiziger Mann. Nicht zufrieden damit, den Archipel der Canarien erforscht und sozusagen in Besitz genommen zu haben, dachte er schon daran, die benachbarten oceanischen Küstengebiete Afrikas zu erobern. Schon als er wieder nach Lancerote kam, trug er sich insgeheim mit solchen Gedanken, obwohl ihm noch viel zu thun übrig blieb, um auf dieser Inselgruppe, deren Herr er doch vorläufig nur dem Namen nach war, eine dauernde Regierung zu begründen. Das bestimmte ihn also, sich zunächst dieser Aufgabe zuzuwenden und alle von Gadifer schon früher erforschten Inseln nun auch selber zu besuchen.

Vor der Abreise kam es da zwischen ihm und Gadifer zu einer Auseinandersetzung, welche wir nicht übergehen dürfen. Gadifer verlangte unter Hervorhebung seiner Verdienste von dem Baron eine Belohnung; er wünschte Fortaventura, Teneriffa und Gomer zum Geschenk.

»Mein würdiger Freund, erwiderte der Baron, die Inseln und Länder, die Sie von mir beanspruchen, sind noch nicht einmal erobert. Es liegt nicht im geringsten in meiner Absicht, Ihre Bemühungen unbelohnt zu lassen, denn Sie haben sich große Verdienste um unsere Sache erworben. Für jetzt aber bitte ich Sie, vollenden wir erst unser Unternehmen und bleiben wir Brüder und Freunde.

– Das klingt zwar Alles recht schön, entgegnete Gadifer, doch mit einer Maßregel bin ich auch gar nicht zufrieden, daß Sie nämlich die Canarischen Inseln vom König von Castilien zu Lehen genommen und sich dabei zum Lehnsherrn aufgeworfen haben.

– Was Sie da einwenden, antwortete Johann von Bethencourt, ist zwar richtig; ich habe das Lehen angetreten und betrachte mich, so lange es dem Könige gefällt, hier als rechtmäßigen Herrn. Doch warten Sie nur die endliche Entwicklung der ganzen Angelegenheit ab und ich werde nicht anstehen, Ihnen so viel zukommen zu lassen, daß Sie gewiß zufrieden sind.

– Ich bleibe nicht lange mehr in diesem Lande, erwiderte Gadifer, denn ich muß nach Frankreich zurückkehren. Ich mag nicht mehr hier bleiben.«

[129] Mit diesen Worten trennten sich die beiden Cavaliere; Gadifer beruhigte sich jedoch allmälich und weigerte sich auch nicht, Johann von Bethencourt auf seiner Rundreise zu begleiten.

Gut bewaffnet und reichlich mit Allem versehen, ging Baron von Bethencourt nach Fortaventura unter Segel. Er verweilte auf dieser Insel drei volle Monate und brachte eine große Menge Eingeborne in seine Gewalt, die er nach der Insel Lancerote schaffen ließ. In einer Zeit, da alle Entdeckungsreisenden in gleicher Weise verfuhren, darf uns diese Art des Auftretens nicht wundernehmen. Während seines Aufenthaltes durchstreifte der Baron die ganze Insel, nachdem er zum Schutze gegen die Angriffe der großen, starken und starr auf ihrem Rechte bestehenden Eingebornen eine Befestigung errichtet hatte. Es wurde zu diesem Zwecke nämlich die Citadelle Richeroque, deren Spuren man noch heute inmitten eines Weilers findet, am Abhange eines hohen Berges erbaut.

Jenerzeit übernahm Gadifer, der seine Beschwerden und seine üble Laune, die sich manchmal in harten Worten Luft machten, keineswegs vergessen hatte, doch den Befehl über eine Compagnie, welche der Baron zum Zwecke der Eroberung von Gran-Canaria zu seiner Verfügung stellte.

Er brach dann am 24. Juli 1404 auf, doch hatte diese Expedition keinen dauernden Erfolg. Zuerst wurde sie auf der See von heftigen Stürmen und ungünstigen Winden heimgesucht. Endlich erreichten die Leute zwar den Hafen von Teldes, da es indeß schon Nacht wurde und eine sehr frische Brise wehte, wagten sie nicht, hier an's Land zu gehen, sondern fuhren noch ein Stück weiter bis zu der kleinen Stadt Arguynegui, bei welcher sie acht Tage lang vor Anker lagen. Von ihrem König Artaney aufgereizt, legten ihnen die hiesigen Bewohner aber da und dort einen verderblichen Hinterhalt, wodurch Gadifer's Mannschaft ein empfindlicher Schaden zugefügt wurde. Es kam auch zu einem Scharmützel mit Blutvergießen, da die Castilier sich jedoch an Zahl zu schwach fühlten, wichen sie zurück, hielten sich noch zwei Tage vor Teldes auf und segelten dann wieder nach Lancerote.

Gadifer überließ sich wegen dieses Mißerfolges einer solchen üblen Stimmung, daß er an Allem zu tadeln hatte, was um ihn vorging. Die Eifersucht gegen seinen Chef wuchs mit jedem Tage und verleitete ihn zu den härtesten Beschuldigungen, in denen er wiederholt aussprach, daß der [130] Baron selbst eigentlich gar nichts ausgeführt habe und daß Alles besser stehen würde, wenn nicht immer Andere ihre Hand mit im Spiele hätten. Diese Worte kamen dem Baron zu Ohren, der darüber erklärlicher Weise höchst aufgebracht war. Er nannte Gadifer einen mißgünstigen Eiferer, was einen harten Wortwechsel zwischen den beiden Führern zur Folge hatte. Gadifer bestand darauf, das Land zu verlassen, wo er, je länger er hier blieb, nur noch mehr verlieren könne. Da sich Johann von Bethencourt eben anschickte, noch einmal nach Spanien zu gehen, so schlug er Gadifer vor, ihn zu begleiten, um ihre Streitigkeiten vor Gericht zum Austrag zu bringen. Gadifer stimmte zu; die beiden Rivalen reisten indeß nicht miteinander, sondern der Baron auf seinem Schiffe und Gadifer auf dem seinigen. Beide kamen nach Sevilla und Gadifer brachte seine Klagen an; da der König von Castilien ihm aber nach allen Seiten Unrecht gab und Baron von Bethencourt's Maßnahmen vollständig billigte, so verließ Gadifer Spanien, kehrte nach Frankreich zurück und kam auch später niemals wieder nach den Canarischen Inseln, welche er für sich selbst zu erwerben gedacht hatte.

Baron von Bethencourt nahm fast gleichzeitig vom Könige Abschied. Die Verwaltung der jungen Kolonie erheischte dringend seine Anwesenheit. Vor seiner Abreise bereiteten ihm die Bewohner von Sevilla, bei denen er in hohem Ansehen stand, mancherlei Huldigungen und – was noch wichtiger war – versorgten ihn reichlich mit Waffen, Lebensmitteln, Silber und Gold.

Johann von Bethencourt kam nach der Insel Fortaventura und wurde von den Seinen sehr freudig empfangen. Gadifer seinerseits hatte vor der Abfahrt seinen Bastard Annibal an seiner Statt zurückgelassen, dem der Baron indessen seinen berechtigten Groll gegen den früheren Nebenbuhler nicht entgelten ließ.

Während der ersten Zeit der Uebernahme der Geschäfte auf der Insel durch Johann von Bethencourt kam es zu zahlreichen Gefechten mit den Canariern, welche sogar die Befestigung von Richeroque zerstörten, nachdem sie eine Kapelle verbrannt und die Proviantspeicher beraubt hatten. Der Baron verfolgte sie eifrig und es gelang ihm auch, die Aufständischen vollständig zu zerstreuen und zu unterwerfen. Dann rief er schnellstens eine Anzahl Leute von Lancerote herbei, durch die er die zerstörte Citadelle sofort wieder aufbauen ließ.

[131] Nichtsdestoweniger kam es immer wieder zu Gefechten mit den Canariern, wobei viele derselben fielen, unter Anderen auch ein Riese von neun Fuß Höhe, den Johann von Bethencourt gern lebend gefangen hätte. Der Baron konnte dem Sohne Gadifer's übrigens ebensowenig vertrauen wie den Leuten, welche dessen Begleitung bildeten. Der Bastard hatte von seinem Vater die Eifersucht auf den Baron gleichsam geerbt; da der Letztere jedoch seiner Hilfe jetzt noch nicht entbehren konnte, verheimlichte er sein Mißtrauen gegen ihn. Zum Glück übertraf die Zahl seiner eigenen Leute beiweitem die der treu gebliebenen Anhänger Gadifer's. Inzwischen nahmen die Beschwerden Annibal's in solchem Maße zu, daß ihm der Baron einen seiner Lieutenants, Jean le Courtois, zuschickte, um jenen an seinen Eid zu erinnern und ihn zu ermahnen, darnach auch zu handeln.

Jean le Courtois wurde sehr übel empfangen; er gerieth mit dem Bastard und dessen Leuten in Streit, vorzüglich wegen gewisser canarischer Gefangener, welche diese unrechtmäßiger Weise zurückhielten und auch ihm nicht ausliefern wollten. Annibal mußte sich zuletzt doch fügen; als Jean le Courtois dann zu dem Baron zurückkehrte, erzählte er ihm die Unverschämtheit des Bastarden und suchte seinen Herrn gegen diesen aufzureizen. »Nein, mein Herr, antwortete der gerechte Bethencourt, ich will nicht, daß man ihm Unrecht thue, weder ihm, noch seinen Leuten. Man muß nicht Alles thun, wozu man vielleicht berechtigt wäre, und immer damit zufrieden sein, seine Ehre, wenn auch nicht seinen Vortheil zu wahren.« Gewiß schöne Worte, welche sich Jedermann merken sollte.

Trotz dieser inneren Mißhelligkeiten nahm der Krieg zwischen den Eingebornen und den Eroberern seinen Fortgang, wobei Letztere, Dank ihrer besseren Bewaffnung auch mit schwerem Geschütz, stets im Vortheil blieben. Die Könige von Fortaventura waren denn auch bald zu Unterhandlungen geneigt und sandten einen Canarier zum Baron von Bethencourt, um von diesem einen Waffenstillstand zu erlangen. Sie fügten auch hinzu, daß es ihr Wunsch sei, sich zum Christenthum zu bekehren. Sehr erfreut über diese Eröffnungen, antwortete der Baron, daß die Könige mit Freuden empfangen werden sollten, wenn sie zu ihm kämen.

Sofort stellte sich zunächst der im Nordwesten der Insel regierende König Maxorata mit einem Gefolge von zweiundzwanzig Personen ein, welche Alle am 18. Januar 1405 getauft wurden. Drei Tage später [132] er hielten zweiundzwanzig andere Landesbewohner die heilige Taufe. Am 25. Januar stellte sich der König, der die Halbinsel Handia, im Südosten Fortaventuras, beherrschte, mit sechsundzwanzig Unterthanen ein, welche ebenfalls getauft wurden. In kurzer Zeit bekannten sich überhaupt alle Bewohner von Fortaventura zur katholischen Religion.

Baron von Bethencourt gedachte nun, erfreut über diese Erfolge, einmal sein Vaterland wieder zu sehen. Er überließ den Oberbefehl und die Verwaltung der Inseln seinem neuen Lieutenant Jean le Courtois und reiste am letzten Tage des Januars unter den Thränen und Segenswünschen seiner Gefährten ab, indem er drei Männer und eine Frau von den Inseln mitnahm, denen er das Königreich Frankreich zeigen wollte. So ging er unter Segel. »Gott geleite ihn und führe ihn glücklich zurück!« lautet der Bericht.

Nach einundzwanzig Tagen langte Baron von Bethencourt im Hafen von Harfleur an und kam zwei Tage später in sein Hôtel von Grainville zurück. Die gesammte angesehenere Bevölkerung des Landes veranstaltete Festlichkeiten zu seiner Begrüßung. Es lag in Johann von Bethencourt's Absicht, sobald als möglich nach den Canarischen Inseln zurückzukehren. Er hoffte dabei eine Anzahl freiwilliger Begleiter zu finden und engagirte auch Leute von allen Berufsarten, denen er den Besitz von Ländereien in Aussicht stellte. So brachte er etwa hundert Auswanderer zusammen, unter denen achtundzwanzig Kriegsleute waren, von welchen dreiundzwanzig ihre Frauen mitnahmen. Zum Zwecke der Ueberführung der Gesellschaft wurden zwei Schiffe hergerichtet, als Sammeltag aber der 6. Mai verabredet. Am 9. desselben Monats ging der Baron unter Segel und landete glücklich in Lancerote, vierundeinhalb Monate nachdem er den Archipel verlassen.

Der edle Normanne wurde mit dem Klange von Trompeten, Clarinetten, Tambourins, Harfen, Hörnern und anderen Instrumenten empfangen. »Man hätte Gott nicht donnern hören, so geräuschvoll war die Musik.« Die Canarier selbst feierten die Rückkehr des Gouverneurs mit Tänzen und Gesängen und riefen: »Da kommt unser König!« Auch Jean le Courtois stellte sich eiligst bei seinem Vorgesetzten ein, der ihn mit der Frage empfing, wie Alles ginge. »Herr, Alles geht von Tag zu Tag besser!« antwortete der Lieutenant.

[133] Die Gefährten des Barons von Bethencourt erhielten mit ihm vorläufiges Unterkommen im Fort Lancerote. Das Land schien ihnen sehr zu gefallen. Sie aßen Datteln und andere Früchte des Landes, die ihnen ausnehmend mundeten, »und Keinem etwas schadeten«.

Nach einigem Aufenthalte in Lancerote brach Johann von Bethencourt mit seinen neuen Leuten auf, die Insel Fortaventura zu besuchen. Hier war der ihm bereitete Empfang nicht minder herzlich, vorzüglich von Seiten der Canarier und ihrer Könige. Letztere nahmen mit dem Baron in der Festung Richeroque ein glänzendes Mahl ein, das Jean le Courtois hatte herrichten lassen.

Johann von Bethencourt trat nun mit der Absicht hervor, Gran-Canaria zu erobern, wie früher Lancerote und Fortaventura. Er hoffte auch, daß sein Neffe Maciot, den er aus Frankreich mitgebracht hatte, ihm in der Regierung der Insel folgen würde, damit der Name Bethencourt in diesem Lande nicht aussterbe. Eben dieses Project theilte er dem Lieutenant Jean le Courtois mit der es nach allen Seiten billigte und hinzufügte. »Herr, wenn es Gott gefällt, daß Sie nach Frankreich zurückkehren, so werde auch ich Ihnen folgen. Ich bin ein schlechter Ehemann; seit fünf Jahren schon hab' ich meine Frau nicht gesehen, doch – ehrlich gesprochen – sie wird sich auch nicht besonders d'rum gekränkt haben«.

Die Abfahrt nach Gran-Canaria wurde für den 6. October 1405 festgesetzt. Drei Fahrzeuge trugen die kleine Kriegsmacht des Barons. Der Wind verschlug diese aber zunächst nach der afrikanischen Küste, wo sie an Cap Bojador vorübersegelten und Johann von Bethencourt an's Land ging. Er führte einen Streifzug bis auf acht Meilen in das Innere aus und bemächtigte sich auch dreier Eingeborner und einiger Tausend Kameele, welche er nach seinem Ankerplatze hintrieb. Von den Thieren, deren Acclimatisation auf den Canarischen Inseln zu gelingen versprach, nahm man so viel als möglich an Bord, und der Baron ging unter Segel, indem er Cap Bojador wieder verließ, welches er die Ehre hatte, dreißig Jahre vor den portugiesischen Seefahrern zu entdecken.

Auf der Fahrt von der Küste Afrikas nach Gran-Canaria wurden die drei Schiffe durch einen Sturm getrennt. Das eine kam nach Fortaventura, ein anderes nach der Insel Palma. Zuletzt fanden sich jedoch alle am Orte des verabredeten Rendezvous ein. Gran-Canaria maß übrigens gegen zwanzig [134] Meilen in der Länge und zwölf Meilen in der Breite. Es hatte die Gestalt einer Egge. Im Norden war es eben und bergig im Süden. Weiden, Drachen-, Oliven-, Feigen- und Dattelbäume bildeten hier wirkliche Wälder. Schafe, Ziegen und wilde Hunde fanden sich in großen Mengen auf der Insel. Der leicht zu bearbeitende Boden lieferte jährlich zwei Korn-Ernten ohne Düngung zu brauchen. Die Bewohner bildeten ein ziemlich großes Volk und nannten sich selbst alle Edelleute.

Als Johann von Bethencourt seine Ausschiffung vollendet, dachte er an die Eroberung des Landes. Leider waren seine normannischen Krieger durch den kleinen Streifzug auf afrikanischem Boden sehr hochmüthig geworden, und wenn man sie so reden hörte, glaubten sie allein in der Zahl von zwanzig Mann ganz Gran-Canaria mit seinen 10.000 Einwohnern unterwerfen zu können. Als der Baron von Bethencourt diese Ueberhebung wahrnahm, ermahnte er die Leute ernstlich zu kluger Vorsicht, worauf sie jedoch nicht im mindesten achteten. Das sollte ihnen theuer zu stehen kommen. Nach einem Scharmützel, in dem sie gegen die Canarier zuerst im Vortheil gewesen waren, lösten sie sich in einzelne kleine Abtheilungen auf; später von den Eingebornen überfallen, wurden zweiundzwanzig Mann darunter Lieutenant Jean le Courtois und Annibal, Gadifer's Sohn, durch dieselben niedergemacht.

Nach diesem so verhängnißvollen Zusammenstoße verließ Baron von Bethencourt Gran-Canaria, um sich zunächst die Insel Palma zu unterwerfen. Die Palmeros waren sehr gewandt im Steineschleudern und verfehlten nur selten ihr Ziel. In den zahlreichen Gefechten mit den Eingebornen gab es denn auch stets eine ziemliche Anzahl Todte auf beiden Seiten, mehr jedoch auf der Seite der Canarier als auf der der Normannen, von denen etwa Hundert umkamen.

Sechs Wochen lang dauerten die Scharmützel fort, bis der Baron die Insel Palma verließ und sich zu einem dreimonatlichen Aufenthalte nach der Insel Ferro begab, eine große, sieben Meilen lange und fünf Meilen breite Insel von der Form eines Halbmondes. Sie bildet eine Hochebene mit einzelnen Berggipfeln.


Der König Maxorata stellte sich mit seinem Gefolge ein, (S. 132.)

Da und dort beschatten sie kleine Wäldchen von Pinien und Lobeerbäumen. Die an den hohen Bergen sich ansammelnden Dunstmassen liefern dem Boden hinreichende Feuchtigkeit und machen ihn zum Getreide-und Weinbau geeignet. Wild giebt es hier im Ueberfluß. Schweine, [135] Ziegen und Schafe tummeln sich auf dem Lande neben großen Eidechsen, welche fast die Größe der amerikanischen Iguane (Kropfeidechsen) erreichen. Die Urbewohner des Landes selbst, sowohl Männer als Frauen, sind sehr hübsch, lebhaft, lustig, gesund, körperlich gewandt und, wie es scheint, sehr heirathslustig. Alles in Allem war die Insel Ferro die »gemüthlichste« von allen im Archipel.

[136] Nach Eroberung der Inseln Ferro und Palma kehrte Johann von Bethencourt mit seinen drei Schiffen nach Fortaventura zurück. Diese siebzehn lange und acht Meilen breite Insel besteht abwechselnd aus Ebenen und Bergen, doch ist ihr Boden weniger zerrissen und zerklüftet als der der anderen Inseln der Gruppe. Reiche Ströme von süßem Wasser winden sich hier durch die herrlichsten Wälder; Euphorbien mit milchigem, aber scharfem [137] Safte liefern ein heftiges Gift. Daneben wuchern in üppiger Fülle Dattel-, Oel- und Mastixbäume, sowie eine gewisse Farbepflanze, deren Cultur außerordentlich lohnend sein mußte. Leider bietet die Küste von Fortaventura nirgends einen geeigneten Hafen für große Schiffe, kleinere Fahrzeuge finden daselbst aber stets eine sichere Zuflucht.

Auf eben dieser Insel schritt Baron von Bethencourt zum ersten Male zur Austheilung von Land für seine Kolonisten und ging dabei mit solcher Gerechtigkeit zu Werke, daß Jedermann mit dem empfangenen Lose zufrieden war.


Johann von Bethencourt machte also sein Testament. (S. 141.)

Seine eigenen Gefährten, d. h. Diejenigen, die er selbst mit hierher gebracht hatte, sollten außerdem neun Jahre lang von allen Steuern und Abgaben befreit bleiben.

Die Frage der Religion und der religiösen Verwaltung konnte einem so gottesfürchtigen Manne, wie dem Baron von Bethencourt, nicht gleichgiltig sein. Er beschloß also, sich nach Rom zu begeben und sich für das Land einen Bischof zu erbitten, der hier als Hüter des katholischen Glaubens schalten und walten sollte. Vor der Abreise aber ernannte er seinen Neffen, Maciot von Bethencourt, zum Stellvertreter und Gouverneur aller Inseln des Archipels. Unter seiner Leitung sollten zwei »Sergeanten« functioniren, denen speciell die Rechtspflege zufiel. Er ordnete ferner an, daß ihm zweimal jährlich ausführliche und umfassende Berichte nach der Normandie gesendet würden und daß die Einkünfte von Lancerote und Fortaventura zunächst zur Erbauung zweier Kirchen Verwendung finden sollten.

Seinem Neffen Maciot sagte er: »Im Uebrigen lasse ich Euch die volle Gewalt und Selbstbestimmung in Allem, was Ihr zu thun für gerathen findet und wobei Ihr selbstverständlich meine Ehre und unseren Vortheil stets im Auge behaltet. So weit das möglich ist, folgt Ihr den Sitten Frankreichs und der Normandie, z.B. in der Rechtspflege und wo das überhaupt thunlich erscheint. Auch bitte ich Euch und hinterlasse es als den Auftrag, der mir am meisten am Herzen liegt, haltet Frieden, seid einig untereinander und liebt Euch wie Brüder, vorzüglich dürft Ihr, die Edelleute des Landes, niemals gegenseitig neidisch und mißgünstig sein. Es ist Jedem sein Theil geworden. Das Land ist groß genug für Alle; fügt Euch ineinander und erinnert Euch der Zusammengehörigkeit Aller. Etwas Besseres weiß ich zum Abschied nicht zu sagen, als die Worte: Bewahret Euch den inneren Frieden und Alles wird sich zum Besten wenden!«

[138] Drei Monate lang verweilte Baron von Bethencourt dann auf Fortaventura und auf den anderen Inseln. Er ritt auf seinem Maulthiere überall umher und unterhielt sich mit den Bewohnern des Landes, welche schon anfingen, sich der normannischen Sprache zu bedienen. Maciot und die übrigen Edelleute begleiteten ihn. Er wies auf Alles hin, was mit Vortheil auszuführen sei, und gab auch die nöthigen Mittel und Wege an. Nachdem er so den ganzen von ihm eroberten Archipel durchstreift, ließ er durch Ausrufer bekannt machen, daß er am 15. December des laufenden Jahres nach Rom abreisen werde.

Nach Lancerote zurückgekehrt, blieb Baron von Bethencourt daselbst bis zur Abfahrt. Er befahl dann noch allen Edelleuten, die er einst selbst hierher gebracht, seinen Handwerkern und den drei canarischen Königen, sich zwei Tage vor seiner Abreise hier einzufinden, um ihnen seinen letzten Willen mitzutheilen und sie dem Schutze des Höchsten zu empfehlen.

Kein Einziger fehlte an dem bestimmten Tage. Baron von Bethencourt empfing Alle in der Festung von Lancerote, wo er sie Alle reichlich bewirthete. Nach beendigtem Mahle betrat er einen etwas erhöhten Stuhl, wiederholte seine früheren Ermahnungen, wies Alle darauf hin, daß sie von nun an nur seinem Neffen Maciot zu gehorchen hätten, erinnerte sie an den ihnen zukommenden fünften Theil der Erträgnisse und legte ihnen an's Herz, den Satzungen des Christenthums treu zu bleiben und vor Allem Gott zu lieben. Dann wählte er noch Diejenigen aus, welche ihn nach Rom begleiten sollten, und machte sich bereit zur Abreise.

Kaum hatte sein Schiff die Anker gelichtet, als von allen Seiten ein Seufzen und Wehklagen anhob. Europäer und Canarier weinten, weil sie diesen »gerechtesten aller Herren« niemals wiederzusehen fürchteten. Eine große Menge derselben lief noch bis an die Schultern in's Wasser und versuchte das Schiff, welches ihn entführte, zurückzuhalten. Doch die Segel waren einmal gehißt. Herr von Bethencourt reiste ab. »Gott wolle ihn in seiner Gnade vor jedem Uebel und Unfalle behüten und bewahren.«

Nach sieben Tagen langte der normannische Baron in Sevilla an. Von dort begab er sich, um den König zu treffen, nach Valladolid, woselbst ihm ein ausgezeichneter Empfang zu Theil wurde. Er erzählte dem Könige von Spanien die Geschichte seiner Eroberungen und bat ihn gleichzeitig um Empfehlungsbriefe für den Papst, um die Ernennung eines Bischofs der[139] Canarischen Inseln zu erlangen. Der König gab ihm, nachdem er ihn mit Gunstbezeugungen und Geschenken überhäuft, die gewünschten Briefe, und Baron von Bethencourt brach mit glänzendem Gefolge nach Rom auf.

In der Ewigen Stadt angelangt, wohnte der Baron daselbst drei Wochen lang. Er wurde bei Innocenz VII. zum Fußkusse zugelassen; der geistliche Oberhirt beglückwünschte ihn, daß er die unterworfenen Canarier Alle zum katholischen Glauben bekehrt habe, und lobte seinen Muth, sich überhaupt so weit von Frankreich weggewagt zu haben. Dann wurden die vom Baron von Bethencourt erbetenen Bullen ausgefertigt und Albert des Maisons zum Bischof aller Canarischen Inseln ernannt. Endlich verabschiedete sich der Baron vom Papste, der ihm seinen Segen ertheilte.

Der neue Prälat sagte dem Baron Lebewohl und reiste sofort nach seiner Diöcese ab. Er ging dabei durch Spanien, wo er dem Könige einige Briefe Johann's von Bethencourt übergab. Dann schiffte er sich nach Fortaventura ein, das er ohne Unfall erreichte. Der zum Ritter ernannte ehr- und tugendsame Herr Maciot empfing ihn mit aller gebührenden Hochachtung. Albert des Maisons organisirte unverweilt sei nen Sprengel, regierte leutselig und sanftmüthig, predigte häufig bald auf dieser, bald auf jener Insel und führte in den Gottesdienst ein specielles Gebet für Johann von Bethencourt ein. Maciot erfreute sich der Liebe Aller und vorzüglich der Landleute. Freilich dauerte diese schöne Zeit ungetrübten Friedens nur fünf Jahre an. Denn später erlaubte sich Maciot, den seine souveräne Gewalt übermüthig machte, so vielerlei Ueberschreitungen, daß er aus dem Lande verjagt wurde.

Baron von Bethencourt hatte also Rom auch selbst verlassen. Er reiste über Florenz, kam nach Paris, und endlich nach Bethencourt, wo ihn viele Leute als den König der Canarischen Inseln begrüßten. Hatten sich schon bei der ersten Rückkehr des Barons Viele bei ihm eingestellt, so waren es jetzt noch weit mehr, welche damit vielleicht irgend welche geheime Absicht verbanden.

Doch Baron von Bethencourt fühlte sich nun, »schon alt« und richtete sich in Grainville mit seiner Gemahlin, einer noch jugendlichen schönen Dame, häuslich ein. Häufig erhielt er durch seinen Neffen Maciot Nachricht von den ihm so theuren Inseln und hegte immer die Hoffnung, noch einmal nach [140] seinem Canarischen Königreiche zurückzukehren; doch sollte Gott ihm diese Freude nicht gewähren.

Im Jahre 1425 erkrankte der Baron in seinem Schlosse und man erkannte bald, daß er nicht wieder genesen werde. Er machte also sein Testament, empfing die heiligen Sterbesacramente, »und,« so lautet der Bericht, »so ist er aus dem einen Leben in das andere übergegangen. Gott wolle ihm seine Sünden gnädig verzeihen. Er ward begraben in der Kirche von Grainville-la-Teinturière, gerade vor dem Hochaltare der genannten Kirche, und er verschied im Jahre des Herrn eintausendvierhundertundfünfundzwanzig«.

7. Capitel
1.
I.

Entdeckung Madeiras, der Insel des Grünen Vorgebirges, der Azoren, Guineas und des Congo. – Bartholomäus Diaz. – Cabot und Labrador. – Die geographischen und commerciellen Bestrebungen des Mittelalters. – Allgemein angenommener Fehler bez. der Entfernung zwischen Europa und Asien. – Christoph Columbus' Geburt. – Seine ersten Reisen. – Seine abgewiesenen Projecte. – Aufenthalt im Franziskanerkloster. – Er wird endlich von Ferdinand und Isabella bei Hofe empfangen. – Sein Vertrag vom 17. April 1492. – Die Gebrüder Pinzon. – Drei im Hafen von Palos ausgerüstete Caravellen. – Abreise am 3. August 1492.


Das Jahr 1492 nimmt in den Annalen der Geographie eine sehr hervorragende Stelle ein, da es sich durch eines der merkwürdigsten Ereignisse, durch die Entdeckung Amerikas, auszeichnet. Der Genius eines einzelnen Mannes bereicherte und vervollständigte sozusagen unsere Erdkugel, indem er Gagliuffi's Vers.

Unus erat mundus; duo sint, ait iste: fuere!
(Eine Welt nur gab es; zwei gäb' es, sagt er, und es war so!)

bestätigte.

Die Alte Welt kam mit diesem Ereigniß in die Lage, ihre moralische und politische Bildung gleichsam von Neuem anzufangen. War sie bei ihrem beschränkten Ideenkreise, ihren halb barbarischen Bestrebungen, ihrem religiösen Hasse einer solchen Aufgabe gewachsen? Die Thatsachen selbst werden diese Fragen beantworten.

[141] Zunächst sei hier kurz berichtet über die bemerkenswertheren Vorkommnisse seit dem Jahre 1405, in dem Johann von Bethencourt seine Kolonisation der Canarischen Inseln beendigte, und dem eine neue Epoche beginnenden Jahre 1492.

Der ganzen Pyrennäen-Halbinsel bemächtigte sich jener Zeit eine von den eben aus Europa vertriebenen Arabern ausgehende, lebhafte wissenschaftliche Bewegung. In allen Häfen, vorzüglich in denen Portugals, sprach man nur noch von Afrika und den so reichen und wunderbaren Ländern jenseits des Meeres. »Unzählige Berichte, sagt Michelet, reizten die Neugierde, den Muth und den gemeinen Geiz; Jeder wollte die geheimnißvollen Länder sehen, wo die Natur zwar die schrecklichsten Ungeheuer erzeugte, dafür aber auch das Gold über den Erdboden verstreut hatte.« Ein junger Prinz, der Infant Dom Heinrich, Herzog von Veuse und dritter Sohn Johann's I., der sich dem Studium der Astronomie und Geographie er geben hatte, übte auf seine Zeitgenossen einen beträchtlichen Einfluß aus; ihm vor Allem verdankt Portugal die Entwicklung seiner Kolonialmacht und die Ausführung wiederholter Expeditionen, deren großartige, in enthusiastischen Berichten dargelegte Erfolge auch Christoph Columbus' Phantasie so nachhaltig anregten. An der Südspitze der Provinz von Algarbien, in Sagres, wo seine Blicke unbehindert über den grenzenlosen Ocean schweiften und darin ein unbekanntes Land zu suchen schienen, ließ Dom Heinrich ein Observatorium errichten, begründete eine Schifffahrtsschule, wo er von kundiger Hand richtigere Karten entwerfen ließ, zog Gelehrte heran, welche in allen einschlagenden Fächern Unterricht ertheilten, und sammelte schätzbare Nachrichten über die Möglichkeit, durch eine Umschiffung Afrikas nach Indien zu gelangen. Ohne je selbst an einer Seefahrt betheiligt gewesen zu sein, brachten doch die von ihm ausgehende Ermuthigung und seine Protection der Seeleute, Dom Heinrich den Beinamen, »Navigator« (der Seefahrer) ein, unter welchem er in der Geschichte bekannt ist.

Cap Non, jene verhängnißvolle Grenzmarke für die Schiffer des Alterthums, war im Jahre 1418 von zwei Edelleuten am Hofe des Königs Heinrich, Juan Gonzales Zarco und Tristam Vaz Teixeira mit Namen, überschritten worden, indem diese auf's hohe Meer hinaus und nach einer Insel verschlagen wurden, der sie den Namen Puerto Santo beilegten. Bald darauf segelten sie auf einen am fernen Horizonte eben sichtbaren [142] dunklen Punkt zu und gelangten nach einer großen, mit prächtigen Wäldern bedeckten Insel. Das war Madeira.

Im Jahre 1433 wurde auch Bojodar, so lange Zeit das Endziel der Entdeckungsreisenden, von den Portugiesen Gillianes und Gonzales Baldaya umschifft, welche Beide noch vierzig Meilen darüber hinausfuhren.

Durch dieses Beispiel ermuthigt, drangen Antonio Gonzales und Nuño Tristam im Jahre 1441 bis zum Cap Blanc, auf dem 21. Breitengrade, vor, »eine Heldenthat, sagt Faria y Souza, welche dem allgemeinen Urtheile nach in keiner Weise gegen die berühmtesten Arbeiten des Herkules zurücksteht«, und jene brachten nach Lissabon auch eine Quantität Goldpulver vom Rio del Ouro mit. Während einer zweiten Reise entdeckte Tristam einige Inseln des Grünen Vorgebirges und gelangte selbst bis Sierra Leone. Bei dieser Expedition erkaufte er an der Guinea-Küste von maurischen Händlern zehn Neger, die er nach Lissabon mitnahm und dort mit hohem Gewinn veräußerte, da diese die öffentliche Neugierde ganz außerordentlich erregten. Das war der Anfang des Handels mit Schwarzen, der Afrika vier Jahrhunderte hindurch so viele Millionen rauben und zum untilgbaren Schandfleck der Menschheit werden sollte.

Im Jahre 1441 umschiffte Cada Mosto das Grüne Vorgebirge und entdeckte einen Theil der unterhalb desselben gelegenen Küste. Im Jahre 1446 wagten sich die Portugiesen noch weiter als ihre Vorgänger auf das Meer hinaus und fanden dabei die Inselgruppe der Azoren. Jetzt war jede Furcht verbannt. Man hatte nun einmal die Linie überschritten, wo man vorher die Luft für brennend wie Feuer hielt; eine Expedition treibt nun die andere und keine kehrt zurück, ohne die Zahl der entdeckten Gebiete vermehrt zu haben. Es schien, als habe dieses Gestade Afrikas gar kein Ende. Je weiter man nach Süden vordrang, desto mehr schien das so ersehnte Cap, die untere Spitze des Welttheiles, welche man umsegeln mußte, um nach dem Indischen Meere zu gelangen, zurück zu weichen.

Seit einiger Zeit hatte König Johann II. seinen früheren Titeln auch noch den eines »Herren von Guinea« hinzugefügt. Schon mit dem Congo entdeckte man ferner gleichsam einen neuen Himmel mit bisher unbekannten Sternbildern; Diogo Cano aber erweiterte durch drei bald aufeinander folgende Reisen die Kenntniß Afrikas noch mehr als alle seine Vorgänger, und war nahe daran, Diaz die Ehre der Auffindung der Südspitze des Continents zu rauben.


Heinrich der Seefahrer. (S. 141.)

Der äußerste von ihm erreichte Punkt lag unter 21°50' südl. Br. Es war dies das Cap Croß, wo er, wie man das allgemein zu thun pflegte, einen »Padrao« oder »Padron«, d. h. eine Erinnerungssäule errichtete, die sich auch später wieder aufgefunden hat. Bei der Rückfahrt besuchte er den König von Congo in dessen Hauptstadt und brachte nach Lissabon einen Ge [143] sandten, Namens Caçuta, nebst zahlreichem afrikanischen Gefolge mit, welche Leute alle sich dort taufen und in den Lehrsätzen des Christenglaubens unterrichten lassen wollten, um diesen nach ihrer Rückkehr in der Heimat zu verbreiten.


Christoph Columbus. (S. 141.)

Nur kurze Zeit nach der Wiederkehr Diogo Canos liefen drei Caravellen unter dem Oberbefehl eines Ca [144] valiers vom Hofe des Königs, Namens Bartholomäus Diaz, einem Veteranen der Meere von Guinea, aus dem Tago aus [145] Unter ihm commandirte ein anderer erfahrener Seemann, Joao Infante, während sein leiblicher Bruder, Pedro Diaz, das mit Lebensmitteln befrachtete kleinste der drei Schiffe führte.

Ueber den ersten Theil dieser merkwürdigen Expedition ist uns keinerlei Nachricht erhalten geblieben. Wir wissen nur, durch Joao de Barros, dessen Niederschriften überhaupt als beste Quelle anzusehen sind für Alles, was auf die Entdeckungsfahrten der Portugiesen Bezug hat, daß Diaz jenseit des Congo der Küste bis zum 29. Breitengrade folgte und in einem Hafen vor Anker ging, dem er den Namen »das Voltas« gab, weil er nur lavirend in denselben gelangen konnte, und wo er die kleinste Caravelle unter der Obhut von neun Matrosen zurückließ. Schlechtes Wetter hielt ihn auch selbst fünf Tage lang an derselben Stelle zurück, dann aber stach er in See und steuerte, gen Süden, wurde jedoch noch dreizehn Tage lang vom Sturme hin und hergeworfen.

Je weiter er nach Süden vordrang, desto mehr erniedrigte sich die Temperatur und wurde zuletzt verhältnißmäßig rauh. Endlich legte sich die Wuth der Elemente und Diaz schlug einen Kurs nach Osten ein, wo er Land zu finden hoffte. Nach einigen Tagen aber – er segelte damals unter 42°54' südl. Br. – steuerte er wiederum nach Norden und ankerte in der Bai dos Vaqueiros, so genannt nach den Heerden von Hornvieh und den Schäfern, welche beim Anblick der Caravellen vom Strande nach dem Innern zu entflohen. Diaz befand sich jetzt vierzig Meilen östlich vom Cap der Guten Hoffnung, das er umsegelt hatte, ohne es zu Gesicht zu bekommen. Die Flottille nahm Wasser ein, erreichte die Bai San-Braz (St. Blaise, heute Mossul-Bai) und fuhr längs der Küste hinauf bis zur Bai de l'Algua und bis zur Insel da Cruz, wo ein Padrao errichtet wurde. Die durch die vielfachen Gefahren, denen die Seefahrer getrotzt hatten, entmuthigten, sowie durch schlechte und unzureichende Nahrung erschöpften Mannschaften erklärten aber nun, nicht mehr weiter gehen zu wollen. »Uebrigens, sagten sie, da die Küste jetzt nach Osten verläuft, dürfte es gerathen sein, das Cap in Augenschein zu nehmen, das man unbewußt umschifft hatte.«

Diaz stimmte diesem Rathschlage bei und erlangte dadurch das Versprechen, noch zwei oder drei Tage nach Nordosten zu segeln. Dank seiner Fähigkeit, entdeckte er auch, fünfundzwanzig Meilen von la Cruz, einen Strom, den er nach dem Namen des zweiten Befehlshabers Rio Infante [146] taufte. Gegenüber der bestimmten Weigerung seiner Leute, noch weiter mitzugehen, sah er sich nun freilich in der Lage, nach Europa zurücksegeln zu müssen.

»Als er sich, sagt Barros, von der an diesem letzt erreichten Punkte errichteten Säule trennte, geschah es mit einem solchen Gefühle von Bitterkeit und Schmerz, als ob er für immer einen Sohn im Exil zurückließe, vorzüglich, wenn er sich der Gefahren erinnerte, die er und seine Leute bisher überstanden hatten und von wie unendlich weit her sie gekommen waren, nur um hier die Grenzen ihres Zuges zu bezeichnen, da es Gott ihnen nicht gewährt hatte, ihr Haupt- und Endziel zu erreichen.«

Endlich entdeckten sie jenes große Cap, »das so viele Jahre verborgen geblieben war und das der Seeheld mit Zustimmung seiner Gefährten das Cap der Stürme (o Cabo Tormentoso) nannte, zur Erinnerung an die Gefahren und Stürme, welche sie bei seiner Umschiffung hatten überstehen müssen«.

Mit der Sehergabe, welche die Mitgift großer Geister ist, setzte Johann II. an die Stelle des Namens Cap der Stürme den Namen »Cap der Guten Hoffnung«. Für ihn lag nun der Weg nach Indien offen und seine weitumfassenden Pläne zur Ausdehnung des Handels und der Machtstellung seines Landes gingen damit ihrer Verwirklichung entgegen. Am 24. August 1488 kehrte Diaz nach Angra das Voltas zurück. Von den neun dort zurückgelassenen Leuten waren sechs schon todt und ein Siebenter starb vor Freude, seine Landsleute wieder zu sehen. Die Heim kehr ging nun ohne bemerkenswerthe Zwischenfälle vor sich. Nach kurzem Aufenthalte an der Küste von Benin, wo man sich Sklaven zum Verkaufe zu verschaffen suchte, und in La Mina, wo man vom Gouverneur die Ueberschüsse des Handels der Kolonie im Empfang nahm, traf die Expedition im Laufe des Decembers 1488 wieder glücklich in Portugal ein.

Auffallender Weise erhielt Diaz nicht allein keine anerkennende Belohnung für seine kühne, erfolggekrönte Fahrt, sondern schien sogar in Ungnade gefallen zu sein, da er in den nächsten zehn Jahren nirgends verwendet wurde. Noch mehr; der Oberbefehl über die mit der Umschiffung des von ihm entdeckten Caps beauftragte Expedition wurde Vasco da Gama anvertraut, den Diaz in untergeordneter Stellung nur bis La Mina begleiten sollte. Ihm war nur vergönnt, den Bericht seines glücklicheren Nebenbuhlers über dessen merkwürdigen Zug nach Indien kennen zu lernen und sich ein Urtheil zu [147] bilden über den ungeheuren Einfluß, den jenes Ereigniß auf die Geschicke seines Vaterlandes auszuüben versprach.

Er betheiligte sich später bei der Expedition Cabral's, der Brasilien entdeckte; doch auch hier blieb ihm die Genugthuung versagt, mit eigenen Augen ' das Gestade zu sehen, nach dem er den Weg gezeigt hatte. Kaum war die Flotte nämlich in See gegangen, als sich ein entsetzlicher Sturm erhob. Bier Schiffe versanken dabei, darunter dasjenige, welches Diaz führte. Auf dieses tragische Ende spielt Camoëns mit der düsteren Prophezeiung an, welche er Adamastor, dem Schutzgeiste des Caps der Stürme, in den Mund legt: »Ich werde ein schreckliches Gericht halten mit der Flotte, die zuerst an meinen Felswänden vorübersegelt, und Der soll meine ganze Rache empfinden, der zuerst in meine Wohnung dringt.«

Erst 1497, fünf Jahre nach der Entdeckung Amerikas, wurde die Südspitze Afrikas übrigens von Vasco da Gama umschifft. Es liegt auch die Annahme nahe, daß die Entdeckung der Neuen Welt sich wohl noch um Jahrhunderte verzögert haben würde, wenn der Seeweg nach Indien schon vor Columbus' Fahrten bekannt gewesen wäre.

Die Seefahrer jener Zeit erwiesen sich im Ganzen immer noch ziemlich zaghaft; sie wagten sich nicht gern weit in das offene Meer hinaus und spürten keine Lust, auf unbekannten Meeren zu segeln; so folgten sie immer klüglich der afrikanischen Küste, ohne sie je aus den Augen zu verlieren. Wäre das Cap der Stürme also umschifft gewesen, so hätten sich die Schiffer unzweifelhaft an diesen Weg nach Indien gewöhnt und es wäre zunächst kein Mensch auf den Gedanken gekommen, »das Land der Gewürze«, d. h. Asien, quer durch den Atlantischen Ocean segelnd, aufzusuchen. Wem hätte es auch einfallen sollen, nach dem Morgenlande auf einem Wege nach Westen zu gelangen?

Jenes Problem des Seeweges nach Indien stand nun damals in erster Stelle auf der Tagesordnung. »Der Hauptzweck der vielen See-Expeditionen der Portugiesen im 15. Jahrhundert, sagt Cooley, war einzig der, einen Wasserweg nach Indien aufzufinden.« Die Gelehrtesten des Zeitalters erhoben sich noch nicht zu der schon aus Gründen des Gleichgewichtes und der Vertheilung der Massen auf unserem Erdballe nothwendigen Annahme eines neuen Continents. Ja noch mehr. Einzelne Theile des amerikanischen Festlandes hatte man wirklich schon entdeckt. Ein italienischer Seefahrer, Sebastian [148] Cabot, soll 1487 an irgend einem Punkte von Labrador gelandet sein. Skandinavische Normannen waren unzweifelhaft nach diesen unbekannten Gestaden gekommen. Kolonisten von Grönland hatten, »Vinland« besucht. Die herrschende Richtung der Geister war aber einmal eine so unerschütterte, die Unwahrscheinlichkeit der Existenz einer Neuen Welt eine so große, daß dieses Grönland, Vinland und Labrador nur als Ausläufer des europäischen Festlandes betrachtet wurden.

Alle Seefahrer des 15. Jahrhunderts hatten nichts Anderes im Auge als die Auffindung eines bequemeren Weges nach den reichen Gestaden Asiens. Gewiß war die Straße nach Indien, China und Japan – Gebiete, welche man durch die merkwürdigen Berichte Marco Polo's schon so ziemlich genau kannte – jene Straße, die sich durch Kleinasien, Persien und die Tatarei hinzieht, sowohl sehr lang als auch mit mancherlei Gefahren verknüpft. Uebrigens entsprechen »Landwege« niemals den Bedürfnissen des Welthandels; der Transport gestaltet sich hier zu schwierig und wird deshalb zu theuer. Man bedurfte dringend einer praktischeren Communication. Darf es uns nun wundernehmen, daß alle europäischen Küstenvölker von England bis Spanien, daß die Bewohner der Ufer des Mittelländischen Meeres, wenn sie die weiten Wege des Atlantischen Oceans für ihre Schiffe offen liegen sahen, sich auch die Frage vorlegten, ob diese nicht auch nach den Küsten Asiens führen möchten?

Da die Kugelgestalt der Erde nachgewiesen war, entbehrte diese Vorstellung nicht der Begründung. Drang man also weiter und weiter nach Westen vor, so mußte man zuletzt wieder im Osten ankommen. Der Weg über den Ocean mußte allen Voraussetzungen nach offen sein. Wer hätte auch damals das gegen 3200 Meilen lange zwischen Europa und Asien gelagerte Hinderniß, welches Amerika heißt, nur ahnen können?

Hierzu kommt noch, daß die Gelehrten des Mittelalters die Entfernung der Küste Asiens von Europa auf höchstens 2000 Meilen schätzten. Aristoteles hielt unsere Erdkugel für weit kleiner, als sie es in Wirklichkeit ist. »Wie lange Zeit braucht man, um von den letzten Ausläufern Spaniens bis nach Indien zu kommen?« fragte Seneca und antwortet selbst: »Nur wenige Tage, wenn das Schiff vom Winde begünstigt wird«. Auch Strabo hatte dieselbe Meinung. Den Weg zwischen Europa und Asien hielt auch er nur für ziemlich kurz. Uebrigens mußten solche Ruhepunkte, wie die Azoren und [149] die Antilia-Inseln, (!) deren Vorhandensein man im 15. Jahrhundert voraussetzte, die Leichtigkeit der transoceanischen Communication sicherstellen.

Man wird zugeben können, daß dieser allgemein verbreitete Irrthum über die in Rede stehende Entfernung wenigstens das eine Gute hatte, die Seefahrer jener Zeit zu einem Versuche der Durchmessung des Oceans zu bewegen. Hätten sie die thatsächliche Entfernung zwischen Europa und Asien, welche 5000 Meilen beträgt, gekannt, so würde sich wahrscheinlich Niemand auf die Meere des Westens hinausgewagt haben.

Nun lagen außerdem einige Thatsachen vor, welche den, eine nicht allzu große Entfernung der Ostufer Asiens behauptenden Vertretern der Anschauung Aristoteles' und Strabo's Recht zu geben schienen. So fand ein Lootse des Königs von Portugal, der 450 Meilen vom Cap Vincent, an der äußersten Spitze der Algarven, auf hohem Meere herumsegelte, ein Stück mit alten Schnitzereien verziertes Holz, das nur von einem nicht allzu entfernten Continent herrühren konnte. In der Nähe von Madeira hatten Schiffer auch einen verzierten Balken und Bambusstengel aufgefischt, welche den von Indien her bekannten glichen. Dazu bargen die Bewohner der Azoren von ihrem Strande wiederholt ungeheure Fichten von unbekannter Art, und eines Tages sogar zwei menschliche Körper, »Leichen mit sehr breitem Gesicht, sagt der Chronist Herrera, welche Christenmenschen nicht ähnlich sahen«.

Diese verschiedenen Vorkommnisse erregten die Phantasie der Zeitgenossen. Da man im 15. Jahrhundert noch nichts vom Golfstrome wußte, der durch seine Annäherung an die Küsten Europas diesen amerikanische Seetriften zuführt, so konnte man jenen Funden nur einen rein asiatischen Ursprung zuschreiben. Asien lag demnach aber nicht sehr weit von Europa und die Verbindung zwischen den beiden entgegengesetzten letzten Ausläufern der Alten Welt mußte eine ziemlich leichte sein.

Kein Geograph dachte also an das Vorhandensein einer Neuen Welt; diesen Satz müssen wir unverrückt vor Augen behalten. Auch als man endlich den Weg nach Westen einschlug, bezweckte oder erwartete Niemand eine Erweiterung der geographischen Kennt nisse. Nein; nur Kaufleute als solche traten an die Spitze der Bewegung und für die Ueberschiffung des Atlantischen Oceans ein. Sie dachten nur daran, zu handeln, und suchten zu dem Zwecke nach dem kürzesten Wege.

[150] Hier sei auch des Umstandes erwähnt, daß die der allgemeinen Annahme nach gegen 1302 von einem gewissen Flavio Gioja d'Amalfi erfundene Boussole den Schiffern gestattete, sich von den Küsten zu entfernen und außer Sicht von jedem Lande zu segeln. Außerdem hatten jetzt Martin Behaim und zwei Leibärzte des Königs Heinrich von Portugal, Mittel und Wege gefunden, sich nach der Höhe der Sonne zu orientiren und das Astrolabium (Winkelmesser) dem Dienste der Schifffahrt zugängig gemacht.

Nachdem man diese Unterstützung gewonnen, blieb die handelswichtige Frage des Weges nach Westen in Spanien, Portugal und Italien, Länder, deren Wissenschaften ohnedies zu drei Viertheilen aus Phantasiegebilden bestand, stets auf der Tagesordnung. Man discutirte und schrieb hin und her darüber, die erhitzten Kaufleute brachten auch die Gelehrten in Streit miteinander. Nach und nach wuchs ein ganzer Berg ungeordneter Thatsachen, Systeme und Doctrinen empor. Es ward höchste Zeit, daß ein einziger intelligenter Geist diese zusammenfaßte und sich sozusagen assimilirte. Das sollte denn auch geschehen. Alle jene verstreuten Gedanken sammelten sich in dem Kopfe eines einzigen Mannes, der Ausdauer und Kühnheit in seltenem Maße in sich vereinigte.

Dieser Mann war Christoph Columbus, wahrscheinlich geboren in der Nähe von Genua im Jahre 1436. Wir sagen »wahrscheinlich«, denn außer Savone und Genua nehmen auch die Dorfschaften Cogorea und Nervi die Ehre, als seine Geburtsstätten zu gelten, für sich in Anspruch. Selbst das Geburtsjahr des großen Seehelden schwankt je nach den Commentatoren zwischen 1430 und 1445; doch scheint das Jahr 1436 am besten mit den zuverlässigsten Documenten übereinzustimmen.

Die Familie Christoph Columbus' lebte nur in ziemlich beschränkten Verhältnissen. Sein Vater Dominique Colombus, Fabrikant von Webstoffen, erfreute sich jedoch eines gewissen Wohlstandes, der es ihm gestattete, seinen Kindern eine etwas bessere Erziehung angedeihen zu lassen. Der junge Columbus ward, als ältester Sprößling der Familie, nach der Universität in Pavia geschickt, um daselbst Grammatik, Latein, Geographie, Astronomie und Schifffahrtskunde zu studiren.

Mit vierzehn Fahren schon vertauschte Christoph Columbus die Schulbank mit einem Schiffsdeck. Die nun folgende Periode seines Lebens bis 1487 ist immer in Dunkel verhüllt geblieben. Wir citiren hier nur den


Ein spanischer Hafen. (S. 148.)

von Charton wiedergegebenen Ausspruch Humboldt's, der umsomehr bedauert, daß über Columbus eine solche Unsicherheit herrscht, wenn er daran denkt, welche Einzelheiten die Chronisten über das Leben des Hundes Becerillo oder über den Elephanten Abulababat, den Harun-al-Raschid einst Karl dem [151] Großen zum Geschenk machte, der Nachwelt überliefert haben.


Christoph Columbus klopfte an die Pforte eines Klosters. (S. 156.)

Am annehmbarsten erscheint noch mit Bezugnahme auf gewisse Documente jener Zeit und einzelne von Columbus selbst herrührende, [152] allerdings lückenhafte Schriftstücke, daß der junge Reisende die Levante, den Occident, den Norden, zu wiederholten Malen England, ferner Portugal, die Küste von Guinea, die afrikanischen Inseln, vielleicht selbst Grönland besuchte und im Alter von vierzig Jahren »überall gewesen war, wo nur je vor ihm ein Seefahrer hinkam«.

Christoph Columbus hatte sich zum erfahrenen Seemanne ausgebildet. Auf seinen weitverbreiteten Ruf hin vertraute man ihm das Commando [153] der genuesischen Galeeren in dem damaligen Kriege der Republik mit Venedig an. Später leitete der neue Kapitän für den König René von Anjou eine Expedition nach den Küsten des Berberstaates und lief endlich 1'477 zur Erforschung der jenseits des Eises von Island gelegenen Länder aus.

Nach glücklicher Beendigung dieser Reise kehrte Christoph Columbus zurück nach Lissabon, das er als ständigen Wohnsitz erwählt hatte. Hier heirathete er die Tochter eines italienischen Edlen, Bartholomeo Muniz Perestrello, ein Seemann wie er selbst und ebenso vertraut mit den geographischen Ideen seiner Zeit. Seine Frau, Donna Felipa, war ohne Vermögen; er selbst besaß nichts; es galt also zu arbeiten, um leben zu können. Der spätere Entdecker der Neuen Welt beschäftigte sich mit der Herstellung von Bilderbüchern, Erdgloben, geographischen Karten und nautischen Plänen, und zwar bis 1484, ohne deshalb je doch seine wissenschaftlichen und literarischen Arbeiten ganz aufzugeben. Wahrscheinlich wiederholte er während dieser Periode sogar seine früheren theoretischen Studien und eignete sich dabei eine der gewöhnlichen Bildungsstufe der Seeleute sehr überlegene Menge von Kenntnissen an.

Es ist wohl anzunehmen, daß »der große Gedanke« ebenfalls während jener Zeit zuerst in seinem Gehirn aufkeimte. Christoph Columbus verfolgte eifrig die Discussionen über den Weg nach Westen und die Leichtigkeit der Verkehrsverbindung Asiens mit Europa mittelst desselben. Sein Briefwechsel bezeugt, daß er die Anschauung Aristoteles' über die verhältnißmäßig kurze Entfernung zwischen den äußersten Enden der Alten Welt vollkommen theilte. Er schrieb häufig an die hervorragendsten Gelehrten des Zeitalters, wie z.B. an den schon erwähnten Martin Behaim, an den berühmten Florentiner Astronomen Toscanelli, deren Ansichten auf die Christoph Columbus' nicht ohne Einfluß blieben.

Zu jener Zeit war Christoph Columbus, nach dem Bilde, das der Geschichtsschreiber Washington Irving von ihm entwirft, ein hochgewachsener kräftiger Mann von vornehmer Haltung. Er hatte ein längliches Gesicht, eine Adlernase, etwas hervorstehende Backenknochen, helle feurige Augen und munteren, etwas röthlichen Teint. Er war Christ aus tiefster Ueberzeugung, der den ihm von der katholischen Religion auferlegten Pflichten gewissenhaft nachkam.

[154] Als Christoph Columbus mit Toscanelli in Verbindung stand, vernahm er, daß dieser auf Verlangen König Alphons' V. von Portugal dem Letzteren eine Abhandlung über die Möglichkeit, Indien auf dem Wege nach Westen zu erreichen, ausgearbeitet und übergeben habe. Der ebenfalls um seine Meinung befragte Columbus unterstützte mit all' seiner Autorität die einem solchen Versuche günstigen Anschauungen Toscanelli's. Zuletzt blieb dieser hoffnungerweckende Anfang doch ohne Resultat, da der von einem Kriege gegen Spanien in Anspruch genommene König von Portugal mit Tod abging, bevor er dazu kam, seine Absichten bezüglich neuer maritimer Entdeckungen durchzuführen.

Sein Nachfolger Johann II. machte mit Enthusiasmus die combinirten Pläne Columbus' und Toscanelli's zu den seinigen. Dabei suchte er freilich – eine Betrügerei, welche die Geschichte brandmarken muß – die beiden Gelehrten des Lohnes ihrer Vorschläge zu berauben und ließ, ohne jene davon zu benachrichtigen, eine Caravelle auslaufen, um die Lösung des großen Räthsels eines über den Atlantischen Ocean führenden Weges nach China zu versuchen. Er machte seine Rechnung aber ohne die Unerfahrenheit seiner Leute, ohne die Witterung, die ihnen so ungünstig wie möglich war, und wenige Tage nach ihrer Abreise schon trieb ein Orkan die Seeleute des Königs von Portugal nach Lissabon zurück.

Christoph Columbus, mit Recht durch dieses tactlose Vorgehen beleidigt, gewann bald die Ueberzeugung, daß er auf diesen König, der ihn so unwürdig hintergangen, nicht zählen könne. Da er auch Witwer geworden war, verließ er mit seinem Sohne Portugal gegen Ende des Jahres 1484. Man nimmt an, er habe sich zunächst nach Genua, dann nach Venedig begeben, wo seine Projecte der transoceanischen Schifffahrt jedoch kein Entgegenkommen fanden.

Jedenfalls begegnet man ihm im Laufe des Jahres 1485 wieder in Spanien. Der arme große Mann stand gänzlich mittellos in der Welt. Er reiste nur zu Fuß, wobei er seinen zehnjährigen Sohn oft auf dem Arme trug. Von dieser Periode seines Lebens folgt ihm endlich die Geschichte Schritt für Schritt, verliert ihn niemals aus dem Auge und bewahrt der Nachwelt auch die kleinsten Ereignisse dieses merkwürdigen Lebenslaufes.

Christoph Columbus befand sich jener Zeit in Andalusien, eine halbe Meile von dem Hafen von Palos. Entblößt von Allem und vor Hunger dem [155] Tode nahe, klopfte er an die Pforte eines der heiligen Maria von Rabida geweihten Franziskanerklosters, um sich als Almosen ein wenig Brot und Wasser für sein armes Kind und sich selbst zu erbitten.

Der Pater Guardian dieses Klosters, Juan Perez da Marchena, bot dem unglücklichen Reisenden gastfreie Aufnahme an. Er legte ihm verschiedene Fragen vor. Verwunderte sich der Pater schon über die gebildete Sprache, so erstaunte er noch mehr über die Kühnheit der Pläne seines Gastes, als ihm Columbus mitgetheilt hatte, wohin sein Streben ziele Mehrere Monate verweilte der umherirrende Seefahrer in dem gastfreien Kloster Gelehrte Mönche interessirten sich für ihn und seine Projecte. Sie studirten seine Pläne, zogen von erfahrenen Seefahrern weitere Erkundigungen ein und dürfen – es verdient das wohl hervorgehoben zu werden – als die Ersten gelten, welche das Genie Christoph Columbus' in seinem ganzen Umfange erkannten. Juan Perez that noch mehr; er bot dem Vater an, die Erziehung des Sohnes zu übernehmen, und gab ihm einen dringenden Empfehlungsbrief für den Beichtvater der Königin von Castilien mit. Dieser Beichtvater und Prior des Klosters von Prado genoß das volle Vertrauen Ferdinands und Isabellas; er verstand aber die Projecte des genuesischen Seefahrers nicht gehörig vorzulegen und leistete diesem keinerlei Dienste bei seinem königlichen Beichtkinde.

Noch einmal mußte sich Christoph Columbus in Resignation ergeben. Er ließ sich also in Cordova, wohin der Hof kommen sollte, nieder und griff, um sich den nöthigen Lebensunterhalt zu verschaffen, wieder auf sein Gewerbe als Bildermaler zurück. Findet sich in der Geschichte berühmter Männer eine ebenso prüfungsreiche Existenz als die des großen Seefahrers? Konnte das Schicksal Jemand mit noch härteren Schlägen treffen? Und dennoch verzweifelte dieser große, unbezähmbare und unermüdliche Geist, der allen Prüfungen trotzte, noch immer nicht. Ihn entflammte ein heiliges Feuer, er arbeitete ununterbrochen, besuchte einflußreiche Personen und verbreitete und verfocht auch seine Ideen mit wahrhaftem Heldenmuthe. Endlich gelang es ihm, die Protection des Groß-Cardinals und Erzbischofs von Toledo, Pedro Gonzales de Mendoza, zu gewinnen, und dieser vermittelte seine Vorstellung bei dem Könige und der Königin von Spanien.

Columbus durfte nun wohl hoffen, dem Ende seiner Leiden nahe zu sein. Ferdinand und Isabella nahmen seine Pläne günstig auf, überließen [156] sie jedoch der Begutachtung einer Versammlung von Gelehrten, Prälaten und Geistlichen, welche eben im Dominikanerkloster zu Salamanca stattfand.

Der unglückliche Pfadfinder stand aber noch nicht am Ende seiner Unfälle. Der Ausspruch jener Versammlung fiel gegen ihn aus. Seine Ideen berührten leider auch gewisse, gerade im 15. Jahrhundert besonders leidenschaftlich ventilirte religiöse Fragen. Die Kirchenväter hatten die Annahme einer Kugelgestalt der Erde verworfen, und da dieser Planet darnach also nicht rund war, so widersprach eine Umschiffung desselben dem Texte der Bibel, konnte also logischer Weise gar nicht vorgenommen werden. »Uebrigens, sagten die gelehrten Theologen, sollte es je gelingen, nach der supponirten anderen Hemisphäre hinunter zu kommen, wie wollte man nach der unserigen wieder herauf gelangen?«

Für jene Zeit war das eine sehr schwer wiegende Beweisführung. Columbus kam auch fast in Gefahr, wegen eines, in jenen unduldsamen Ländern unverzeihlichen Verbrechens, nämlich wegen Ketzerei, angeklagt zu werden. Zwar gelang es ihm, sich den drohenden Maßnahmen des Concils rechtzeitig zu entziehen, jedes weitere Eingehen auf seine Projecte blieb aber auf unbestimmte Zeit vertagt.

Lange Jahre verstrichen. Der arme geistreiche Mann hatte, da er in Spanien an jedem Erfolge verzweifelte, seinen Bruder an den englischen König Heinrich VII. abgesendet, um diesem ihre Dienste anzubieten. Wahrscheinlich gab der König gar keine Antwort.

Columbus wandte sich also mit einem neuen Gesuche an Ferdinand. Dieser war aber noch mit dem Vernichtungskriege gegen die Mauren beschäftigt und lieh erst nach deren Vertreibung aus Spanien im Jahr 1492 sein Ohr wieder den Vorstellungen des Genuesen.

Jetzt wurde die Sache reiflicher erwogen. Der König willigte ein, wenigstens einen Versuch zu machen. Hierzu wollte ihm Christoph Columbus aber, wie es stolzen Seelen ziemt, gewisse Bedingungen stellen. Man feilschte mit Dem, der Spanien bereichern sollte! Entrüstet wandte sich Columbus ab, um das undankbare Land auf immer zu verlassen; Isabella aber, bewegt durch den Gedanken an die Heiden Asiens, die sie für den katholischen Glauben zu gewinnen hoffte, rief den berühmten Seefahrer zurück und bewilligte alle seine Wünsche.

[157] Erst siebzehn volle Jahre nach Aufstellung seines Projectes, und sieben Jahre nachdem er das Kloster in Palos verlassen, unterzeichnete der nun sechsundfünfzigjährige Columbus in Santa-Feta, am 17. April 1492, einen Vertrag mit dem Könige von Spanien.

Unter entsprechenden Feierlichkeiten ward Christoph Columbus zum Groß-Admiral aller von ihm zu entdeckenden Länder ernannt. Diese Würde sollte für alle Zeit auf seine Erben und Nachfolger übergehen. Christoph Columbus selbst wurde gleichzeitig als Vicekönig und Gouverneur der neuen Besitzungen installirt, die er von den reichen Gebieten Asiens erwerben würde. Ein Zehent von den Perlen, Edelsteinen, dem Golde, Silber, den Gewürzen und Waaren jeder Art, die aus den unter seiner Jurisdiction stehenden Ländern stammten, sollte ihm persönlich zukommen.

Ueber Alles war Verabredung getroffen, und endlich ging nun Columbus an die eigentliche Ausführung seiner Pläne. Dabei aber dachte er, wir wiederholen das ausdrücklich, nicht im Geringsten daran, eine Neue Welt zu entdecken, deren Vorhandensein er so wenig ahnte wie irgend ein Anderer. Er wollte nur »den Orient auf dem Wege durch den Occident auffinden, auf westlichem Wege in das Land der Gewürze gelangen«. Man darf auch behaupten, daß Columbus in dem Glauben gestorben ist, mit seinen Fahrten die östlichen Ausläufer Asiens erreicht zu haben, ohne also je zu erfahren, was er eigentlich entdeckt hatte. Es vermindert das seinen Ruhm indeß in keiner Weise. Die Auffindung des neuen Continents war nur ein Zufall. Was Columbus' unvergänglichen Nachruhm sichert, ist die Kühnheit des Geistes, die es ihn wagen ließ, den Gefahren eines unbekannten Oceans zu trotzen, sich von denjenigen Küsten zu entfernen, welche die Seefahrer bisher niemals aus den Augen zu verlieren trachteten, sich auf die Wogen hinaus zu begeben mit den damaligen gebrechlichen Fahrzeugen, die der erste Sturm zu verschlingen drohte, und damit endlich in die unbekannte Welt hinein zu dringen.

Columbus begann seine Vorbereitungen. Er verständigte sich mit drei reichen Seefahrern in Palos, den drei Gebrüdern Pinzon, welche die noch zur vollkommenen Ausrüstung nöthigen Vorschüsse leisteten.

Drei Caravellen wurden im Hafen von Palos ausgerüstet. Sie hießen die »Gallega«, die »Nina« und die »Pinta«. Christoph Columbus sollte die »Gallega« führen, die er in »Santa Maria« umtaufte. Die »Pinta« ward [158] von Martin Alonzo Pinzon, die, »Nina« aber von Francesco Martin und Vincenz Yanez Pinzon, den beiden Brüdern des Vorigen, befehligt. Da die Matrosen vor dem Unternehmen zurückschreckten, hatte man Schwierigkeiten, die nöthige Besatzung zu heuern. Doch gelang es endlich, dieselbe auf einen Bestand von 120 Mann zu bringen.

Am Freitag den 3. August 1492 um acht Uhr Morgens segelte der Admiral an der Klippe von Saltes, seewärts vor der Stadt Huelma in Andalusien, vorüber und drang mit seinen nur halbgedeckten drei Caravellen kühnen Muthes hinaus auf die Wogen des Atlantischen Oceans.

2.
II.

Erste Reise: Gran-Canaria. – Gomera. – Magnetische Variation. – Vorzeichen von Ungehorsam. – Land! Land! – San Salvador. – Besitznahme. – Conception. – Ferdinandina oder Groß-Exuma. – Isabella oder Ile Longue. – Die Mukaras. – Cuba. – Beschreibung der Insel. – Der Cazike an Bord der Santa-Maria. – Columbus' Caravelle strandet und kann nicht wieder flott gemacht werden. – Das Eiland Monte Christi. – Rückkehr. – Sturm. – Ankunft in Spanien. – Christoph Columbus' Huldigung.


Am ersten Reisetage legte der Admiral – mit diesem Titel bezeichnen ihn alle Berichte – nach Süden steuernd, vor Untergang der Sonne fünfzehn (franz.) Meilen zurück. Er schlug dann einen Kurs nach Südosten ein und hielt auf die Canarischen Inseln zu, um dort das beschädigte Steuer der »Pinta« auszubessern, eine Beschädigung, welche vielleicht der über diese Reise erschreckte Schiffszimmermann selbst verschuldete. Zehn Tage später ankerte Christoph Columbus vor Gran-Canaria, wo er die Havarie der Caravelle reparirte. Neunzehn Tage später warf er bei Gomera Anker, dessen Bewohner ihm das Vorhandensein eines unbekannten Landes im Westen ihres Archipels bestätigten.

Christoph Columbus verließ diese Insel nicht vor dem 6. September. Er hatte Nachricht erhalten, daß ihm in offener See drei portugiesische Schiffe auflauerten, um ihm den Weg zu verlegen. Ohne sich hierdurch abschrecken zu lassen, ging er unter Segel, vermied geschickt ein Zusammentreffen mit den Feinden, schlug eine Richtung direct nach Westen ein und verlor das Land bald gänzlich aus dem Gesicht.


Christoph Columbus auf seiner Caravelle. (S. 158.)

[159]

Im Verlauf der Reise bemühte sich der Admiral, seinen Gefährten die wirkliche, täglich zurückgelegte Strecke zu verheimlichen, um die Matrosen nicht noch mehr zu erschrecken, wenn sie die thatsächliche Entfernung bis zum Festlande Europas erführen. Tag für Tag beobachtete er aufmerksam die Boussole, und so verdankt man ihm auch die Entdeckung der magnetischen Variation, welche er schon in seinen Rechnungen berücksichtigte. Seine Lootsen beunruhigten sich aber nicht wenig, wenn sie diese Boussole »nordwestern« sahen, [160] wie sie sich auszudrücken pflegten. Am 14. September bemerkten die Matrosen der »Nina« eine Schwalbe und einen Spitzschwanz. Die Anwesenheit dieser Vögel konnte wohl auf die Nähe von Land hindeuten, da man sie gewöhnlich nicht weiter als fünfundzwanzig Meilen von der Küste noch antrifft. Die Temperatur war sehr mild, das Wetter prächtig. Der Wind wehte aus Osten und trieb die Caravellen in günstiger Richtung fort. Gerade dieses [161] Anhalten des Ostwindes aber erschreckte die meisten Seeleute, welche darin ein ernstes Hinderniß für die Rückkehr sehen wollten.

Am 16. September beobachtete man einige Büschel noch frischen Barecs, die sich auf den Wellen schaukelten. Land zeigte sich indeß nirgends. Diese Pflanzen rührten wahrscheinlich von Felsen unter dem Wasser her und nicht von der Küste eines Festlandes. Am 17., fünfunddreißig Tage nach der Abfahrt der Expedition, sah man wiederholt Grasmassen auf der Oberfläche des Meeres schwimmen. Auf einem dieser Grasbündel befand sich sogar ein lebender Krebs, was als Vorzeichen eines nahen Landes betrachtet wurde.


Bau einer Caravelle. (S. 159.)

Während der folgenden Tage umschwärmten die Caravellen große Mengen verschiedener Vögel, wie Tölpel, Spitzschwänze und Meerschwalben. Columbus benützte das Vorkommen dieser Vögel zur Beruhigung seiner Begleitung, welche nicht wenig verwundert war, auch nach sechswöchentlicher Fahrt noch kein Land zu finden. Er selbst trug stets das größte Vertrauen zur Schau, daß Gott sie nicht verlassen werde. Häufig richtete er mahnende Worte an die Seinigen und versammelte sie jeden Abend, um dasSalve Regina oder irgend einen anderen Hymnus an die heilige Jungfrau zu singen. Bei den Worten dieses heroischen, großen, seiner selbst so sicheren und über die gewöhnlichen Schwächen der Menschen erhabenen Mannes schöpften auch die Mannschaften neuen Muth und fuhren vertrauensvoll weiter.

Es versteht sich von selbst, daß die Matrosen und Officiere der Caravellen den westlichen Horizont, auf den sie zusteuerten, geradezu mit den Blicken verzehrten. Alle hatten mindestens ein reges pecuniäres Interesse daran, den neuen Continent zu entdecken, denn Dem, der ihn zuerst sehen würde, hatte Ferdinand eine Belohnung von 10.000 Maravedis (etwa 6400 Mark = 3200 Gulden unserer Münze) zugesichert.

In den letzten Tagen des September herrschte ein regeres Leben durch die Gegenwart einer gewissen Menge Felstauben, Fregattvögel und Captauben, lauter größere Vögel, welche häufig in starken Schwärmen zusammenflogen, ein Beweis, daß sie sich nicht blos verirrt hatten. Auch Christoph Columbus verblieb bei der unerschütterlichen Ueberzeugung, daß nun das Land nicht mehr fern sein könne.

Am 1. October verkündete der Admiral seinen Leuten, daß sie nun von der Insel Ferro aus 594 Meilen zurückgelegt hätten. Wirklich überstieg jedoch der von den Caravellen zurückgelegte Weg sogar 700 Meilen, was [162] Christoph Columbus zwar sehr gut wußte und nur noch immer dabei verharrte, nach dieser Seite die Wahrheit zu verhehlen.

Am 7. October versetzte ein von der »Nina« ausgehendes Musketenfeuer die Mannschaft der Flottille in ungewohnte Aufregung. Die Befehlshaber derselben, die beiden Brüder Pinzon, glaubten das Land entdeckt zu haben. Es zeigte sich jedoch bald, daß sie sich getäuscht hatten. Da sie indeß behaupteten, Papageien in der Richtung nach Südwesten hin fliegen gesehen zu haben, stimmte der Admiral zu, seine Richtung um einige Compaßstriche nach Süden zu ändern. Diese Aenderung hatte für die Zukunft die segensreichsten Folgen, denn hätten die Caravellen ihren Kurs direct nach Westen noch ferner beibehalten, so wären sie jedenfalls auf die große Sandbank von Bahama aufgefahren und daselbst zu Grunde gegangen.

Noch immer erschien das so heiß ersehnte Land nicht. Jeden Abend verschwand die Sonne am Horizont nur hinter der unbegrenzten Wasserlinie. Die Besatzung der drei Schiffe, welche wiederholt einer optischen Täuschung zum Opfer fiel, begann gegen Columbus, »einen Genuesen, einen Fremden«, der sie so weit von ihrem Vaterlande weggeschleppt habe, zu murren. Es kam sogar bis zu einigen Anzeichen von Ungehorsam an Bord, und am 10. October erklärten die Matrosen, daß sie nicht weiter mitgehen würden. Mehrere etwas phantastische Geschichtsschreiber, welche die Reisen Christoph Columbus' erzählt haben, erwähnen hierbei gewisser ernster Scenen, deren Schauplatz die Caravelle des Anführers gewesen sei. Ihren Angaben nach soll sogar sein Leben durch die Empörer auf der »Santa Maria« bedroht gewesen sein. Sie sagen ferner, daß in Folge dieser Auftritte und einer Art Verhandlung dem Admiral noch drei Tage Frist bewilligt worden wären, nach deren Ablauf die Flotte, wenn sich auch dann kein Land gezeigt hätte, den Weg nach Europa einschlagen sollte. Jetzt weiß man, daß diese Berichte nur aus der Phantasie der Romantiker jener Zeit entsprungene Legenden sind. In Columbus' hinterlassenen Papieren findet sich nichts, was jene Erzählungen bestätigte. Wir erwähnen dieselben hier nur deswegen, weil es uns gut scheint, nichts zu übergehen, was auf den großen genuesischen Seehelden Bezug hat. Und ein wenig Legende thut ja der großartigen Erscheinung eines Columbus keinen Abbruch. Doch wie dem auch sei, es steht fest, daß man auf den Caravellen anfing zu murren, doch verweigerten die Mannschaften auf eine Ansprache des Admirals hin und [163] angesichts seiner energischen Haltung wenigstens nicht, vorläufig ihre Pflichten zu erfüllen.

Am 11. October sah der Admiral neben seinem Schiffe einen noch grünen Rosenstock bei stürmischem Meere hintreiben. Gleichzeitig fischte die Besatzung der »Pinta« einen anderen Rosenstock, ein Brett und einen Stock, der mit einem eisernen Instrumente zugeschnitten schien, auf. Die Hand des Menschen hatte ihr Merkzeichen auf diesen Seetriften zurückgelassen. Fast in demselben Augenblicke bemerkten die Leute der »Nina« einen Dornenzweig mit Blüthen daran. Alle fühlten sich neu belebt. Jetzt konnte ja die Küste nicht mehr fern sein.

Allmälich sank die Nacht über das Meer herab. Die »Pinta«, der beste Segler der Flottille, hielt sich an deren Spitze. Schon glaubten Christoph Columbus selbst und ein gewisser Rodrigo Sandez, ein Controleur des Kapitäns, ein Licht bemerkt zu haben, das sich im Schatten des Horizontes hin und her bewegte, als der Matrose Rodrigo von der »Pinta« den Ruf: »Land! Land!« ertönen ließ. Was mochte in diesem Moment in der Seele Christoph Columbus' vorgehen? Gewiß empfand noch Niemand, seit Menschen auf der Erde wandeln, eine solche Erregung wie jetzt der große Seefahrer. Oder war es doch das Auge des Admirals selbst, der zuerst mit jenem unsicheren Lichte das Land entdeckte? Sei dem wie es will, nicht daß Christoph Columbus ankam, begründet seinen Ruhm, sondern daß er wagte, nach diesem Ziele hin abzureisen.

Zwei Uhr Nachts war es, als man mit Bestimmtheit das Land erkannte. Die Caravellen segelten keine zwei Stunden entfernt von demselben. Alle Mannschaften stimmten tiefbewegt das Salve Regina an.

Bei den ersten Strahlen der Sonne sah man dann eine kleine Insel, zwei Stunden weit unter'm Winde vor sich. Diese gehörte zur Bahama-Gruppe. Columbus nannte sie San Salvador, fiel auf beide Kniee und betete mit St. Ambrosius und St. Augustin: »Te Deum laudamus, te Dominum confitemur«.

Da erschienen einige vollkommen nackte Eingeborne auf der neuen Küste. Christoph Columbus begab sich mit Alonzo und Yanez Pinzon, dem Controleur Rodrigo, dem Secretär Descovedo und einigen Anderen in ein Boot. Er trat an's Land, während er das königliche Banner in der Hand hielt und die beiden Kapitäne das Banner des grünen Kreuzes mit den [164] verschlungenen Namenschiffern Ferdinands und Isabellens trugen. Dann nahm der Admiral im Namen des Königs und der Königin von Spanien von der Insel Besitz und ließ ein Protokoll darüber aufnehmen.

Inzwischen umringten die Eingebornen Christoph Columbus und seine Gefährten. Nach Charton, der hierbei Columbus' eigenem Berichte folgt, wird diese Scene folgendermaßen geschildert:

»Um ihnen (den Eingebornen) Freundschaft für uns einzuflößen, und, so wie ich sie sah, überzeugt, daß sie zutraulicher gegen uns sein und eher unseren heiligen Glauben annehmen würden, wenn wir mit ' möglichster Schonung und Milde verführen und zur Gewalt unsere Zuflucht nicht nähmen, ließ ich mehreren derselben bunte Mützen und Glasperlen schenken, welch' letztere sie am Halse befestigten. Ich fügte dem noch einige andere werthlose Sachen hinzu; sie zeigten eine große Freude darüber und erwiesen sich so erkenntlich dafür, daß es uns wirklich überraschte. Als wir wieder auf den Schiffen waren, schwammen sie zu uns heran, um Papageien, Knäuel von Baumwollfaden und mancherlei andere Dinge als Gegengeschenke anzubieten; wir gaben ihnen dafür nochmals kleine Glasperlen, klingende Schellen und anderen Tand. Sie gaben uns Alles, was sie besaßen. Alles in Allem schienen sie mir aber sehr arm zu sein; Männer und Frauen gingen so nackt, wie sie einst das Licht der Welt erblickt hatten. Unter Denen, die wir sahen, befand sich nur eine einzige jüngere Frau, keiner der Männer aber mochte über dreißig zählen. Uebrigens waren sie wohlgebaut, hübsch von Körper und angenehm von Gesicht. Ihre Haare – so grob wie die Haare des Roßschweifes – hingen über die Stirn bis auf die Augenbrauen herab; nach rückwärts trugen sie dieselben zu einem langen, niemals verschnittenen Büschel vereinigt. Einige derselben hatten sich mit schwärzlicher Farbe angemalt, sonst sind sie jedoch von der nämlichen Farbe wie die Bewohner der Canarischen Inseln. Sie sind weder schwarz noch weiß; einzelne malen sich auch weiß oder roth, oder mit beliebigen anderen Farben entweder den ganzen Körper, oder nur das Gesicht, die Augen, oder nur allein die Nase. Sie besitzen keine Waffen wie die unsrigen und kennen dieselben überhaupt gar nicht. Als ich ihnen Säbel zeigen ließ, ergriffen sie dieselben, um sich damit die Nägel zu verschneiden. Das Eisen ist ihnen unbekannt. Ihre Wurfspieße sind eigentlich nichts als Stöcke. Auch deren Spitze ist nicht von Eisen, wohl aber zuweilen mit einem spitzigen Fischzahn [165] oder einem anderen harten Körper bewehrt In ihren Bewegungen entwickeln sie viel natürliche Grazie. Da ich bei Einigen am Körper Narben bemerkte, fragte ich durch Zeichen, wie sie verwundet worden seien, und sie antworteten auf dieselbe Weise, daß die Bewohner benachbarter Inseln sie überfallen, um Gefangene zu machen, und sie sich dagegen vertheidigt hätten. Ich glaubte und glaube es noch immer, daß vom Festlande her Räuber kommen, um sie einzufangen und zu Sklaven zu machen. Sie müssen sehr treue und sanftmüthige Diener sein. Sie haben die Gewohnheit, schnell zu wiederholen, was sie hören. Ich bin überzeugt, daß sie leicht zum Christenthum zu bekehren sein werden, denn wie mir scheint, gehören sie keinerlei Secte an.«

Als Christoph Columbus nach seinem Schiffe zurückkehrte, folgte dem Boote eine Anzahl Eingeborner schwimmend. Am nächsten Tage, dem 13. October, zeigten sich Eingeborne in großer Anzahl bei den Caravellen. Sie saßen in großen, aus je einem Baumstamme geschnitzten Piroguen, von denen manche wohl vierzig Mann fassen konnte, und die sie mit Rudern in Form von Bäckerschaufeln fortbewegten. Einige dieser Wilden trugen als Schmuck kleine Goldplättchen an der Nasenscheidewand. Sie schienen über die Ankunft der Fremden sehr erstaunt und glaubten offenbar, diese weißen Männer seien vom Himmel gefallen. Mit ebensoviel Verehrung als Neugier berührten sie die Kleider der Spanier, die sie ohne Zweifel für eine Art natürlichen Gefieders hielten. Der scharlachrothe Rock des Admirals erregte ihre Bewunderung in höchstem Maße. Allem Anscheine nach betrachteten sie Columbus als einen Papageien von besserer Art. Uebrigens erkannten sie in ihm sofort den Anführer der Fremden.

Christoph Columbus und seine Leute nahmen nun diese neue Insel San Salvador näher in Augenschein und konnten deren glückliche Lage, ihre prächtigen Wälder, Flüsse und grünen Wiesen gar nicht genug bewundern. Nur die Fauna war ziemlich einförmig, Papageien mit schillerndem Gefieder wiegten sich in großer Menge auf den Bäumen, bildeten aber scheinbar auch die einzige, hier vorkommende Art Vögel. San Salvador erschien als eine wenig hügelige Hochebene; in seinem mittleren Theile breitete sich ein kleiner See aus, während kein eigentlicher Berg die Fläche des Erdbodens unterbrach. Vielleicht barg San Salvador jedoch große mineralische Schätze, da seine Bewohner Goldschmuck trugen, obwohl man ja nicht wissen konnte, ob dieses Metall von ihrer Heimatinsel selbst herrührte.

[166] Der Admiral fragte deshalb einen der Eingebornen und es gelang ihm, aus dessen Zeichen zu verstehen, daß er, wenn er die Insel umsegelte und sich nach Süden wendete, ein Land antreffen werde, dessen König große, goldene Gefäße und ungeheure Reichthümer besäße. Am anderen Tage gab Christoph Columbus seinen Caravellen mit dem ersten Morgengrauen Befehl, die Anker zu lichten, und steuerte nach dem bezeichneten Festlande, das seiner Meinung nach kein anderes als Cipango sein konnte.

Wir müssen hier eine wohl zu beachtende Bemerkung einflechten über einen Umstand, der sich aus den geographischen Kenntnissen der damaligen Zeit ergab: den nämlich, daß Christoph Columbus selbst glaubte, in Asien angekommen zu sein. Cipango ist Marco Polo's Name für Japan. Es bedurfte vieler Jahre, ehe man diesen von allen seinen Begleitern getheilten Irrthum des Admirals als solchen erkannte, und der große Seeheld selbst starb ja auch, wie erwähnt, nach vier glücklich zurückgelegten Reisen, ohne eine Ahnung davon, daß er eine Neue Welt entdeckt hatte. Es steht außer allem Zweifel, daß Columbus' Leute, und auch dieser selbst, der Meinung waren, in der Nacht des 12. October 1492 entweder Japan, China oder Indien aufgefunden zu haben. Hieraus erklärt es sich auch, daß ganz Amerika so lange den Namen »Westindien« führte, und daß die Eingebornen dieses Continents noch heute, sowohl in Brasilien und Mexiko, als in den Vereinigten Staaten »Indianer« genannt werden.

Christoph Columbus verfolgte jetzt also eigentlich nur das eine Ziel, nach Japan zu gelangen. Er segelte längs der Küste von San Salvador hin, um auch dessen westlichen Theil kennen zu lernen. Die Einwohner strömten am Ufer zusammen und boten ihm Wasser und Cassave, d. i. eine Art Brot aus Yucca-Wurzel an. Wiederholt ging der Admiral an verschiedenen Stellen an's Land und versündigte sich freilich gegen die Pflichten der Humanität, indem er mehrere Indianer entführen ließ, um sie nach Spanien mitzunehmen. Schon begann man also, diese Unglücklichen aus ihrer Heimat zu rauben; konnte es nun fehlen, daß man sie auch bald als Sklaven verkaufte? Endlich verloren die Caravellen San Salvador aus dem Gesichte und gingen wieder auf's offene Meer hinaus.

Gewiß hatte ein gütiges Geschick Columbus begünstigt, indem es ihn gerade mitten in einen der schönsten Archipele der ganzen Welt führte. All' [167] das neue Land, das er noch entdecken sollte, glich einem gefüllten Schmuckkästchen, woraus er nur mit vollen Händen zuzulangen brauchte.

Am 15. October mit Sonnenuntergang warf die Flottille an der Westseite einer zweiten Insel Anker, welche man Conception taufte, und welche nur ein Zwischenraum von fünf Meilen von San Salvador trennte. Am darauffolgenden Morgen ging der Admiral mit gut bewaffneten und gegen jeden etwaigen Ueberfall gesicherten Booten an's Land. Die Ureinwohner, [168] offenbar von derselben Race wie die in San Salvadar, empfingen die Spanier sehr freundlich. Da sich indessen ein günstiger Südostwind erhob, versammelte Columbus wieder seine Flotte und entdeckte, neun Meilen weiter im Westen, eine dritte Insel, der er den Namen Ferdinandina gab. Es ist dies das heutige Groß-Exuma.


Was mochte in der Seele Christoph Columbus' vorgehen? (S. 164.)

Man blieb die ganze Nacht aufgebraßt liegen und am nächsten Morgen, dem 17. October, kamen große Piroguen, welche um die Caravellen herumglitten. Die Beziehungen zu den Eingebornen gestalteten sich ganz vortrefflich. Die Wilden tauschten friedlich ihre Früchte und kleinen Baumwollenballen gegen Glasperlen, baskische Tamburins, Nadeln, für welche sie große Vorliebe zeigten, und gegen Syrup aus, von dem sie begierig naschten. Die Einwohner von Ferdinandina kannten schon mehr den Gebrauch der Kleidung und waren im Ganzen etwas civilisirter; sie bewohnten Häuser in Form von Pavillons mit hohen Schornsteinen, diese Hütten waren im Innern sehr reinlich und überhaupt wohlerhalten. Die von einer weiten Bucht tiefeingeschnittene Nordseite der Insel hätte wohl hundert Schiffen einen geräumigen und sicheren Hafen geboten.

Doch auch Ferdinandina bot den Spaniern die Reichthümer nicht, nach denen sie so großes Verlangen trugen und von welchen sie die Proben mit nach Spanien zurücknehmen wollten; Goldminen gab es hier offenbar nicht. Dagegen sprachen die auf der Insel miteingeschifften Eingebornen immer von einer größeren, mehr im Süden gelegenen Insel mit Namen Samoeto, die er Isabella nannte und welche man auf den jetzigen Karten unter dem Namen Isle Longue findet.

Nach den Aussagen der Bewohner von Salvador hätte man glauben müssen, hier einen großmächtigen König anzutreffen; mehrere Tage lang wartete der Admiral vergeblich; diese große Persönlichkeit zeigte sich nicht. Die Insel Isabella bot übrigens mit ihren kleinen Seen und dichten Wäldern einen wahrhaft prächtigen Anblick. Die Spanier bewunderten nur immer die neuen Baumarten, deren herrliches Grün europäische Augen über alle Maßen entzückte. Unter den üppigen Bäumen flatterten unzählige Papageien, und große, muntere Eidechsen, jedenfalls Iguane, schlüpften hurtig durch das hohe Gras. Die Einwohner der Insel, welche zuerst beim Anblick der Spanier entflohen waren, wurden doch bald zutraulicher und verhandelten die Erzeugnisse des Bodens an die Fremden.

[169] Christoph Columbus gab seinen Gedanken, bei Japan angelangt zu sein, noch immer nicht auf. Da die Eingebornen einer nicht weit entfernten, sehr großen Insel im Westen Erwähnung thaten, welche sie Cuba nannten, setzte der Admiral voraus, daß diese einen Theil des Königreichs Cipango bilden würde, und zweifelte gar nicht mehr, binnen Kurzem die Stadt Quin-say, sonst auch Hang-tcheu-fu genannt und früher die Hauptstadt von China, zu erreichen.

Deshalb ging die Flottille auch, sobald es der Wind gestattete, wieder unter Segel. Am Donnerstag den 25. October bekam man sieben bis acht längs einer Linie verstreute Inseln in Sicht, wahrscheinlich die Mukares (Jamentos Keys). Christoph Columbus hielt sich hier indessen nicht auf und langte am folgenden Sonntag vor Cuba an.

Die Caravellen ankerten in einem Strom, dem die Spanier den Namen San Salvador beilegten; nach kurzem Aufenthalt setzte man aber den Weg nach Westen fort und lief wiederum in einen Hafen an der Mündung eines großen Stromes ein, aus dem später der Hafen Nuevitas del Principe wurde.

Das Gestade der Insel schmückten viele Palmen, deren Blätter so breit waren, daß ein einziges zur Bedeckung der Hütten der Eingebornen hinreichte. Letztere hatten bei der Annäherung der Spanier die Flucht ergriffen. Am Strande fanden sich verschiedene kleine Götzenbilder in Form von weiblichen Figuren, ferner gezähmte Vögel, Gebeine von Thieren, stumme Hunde und mancherlei Jagdgeräthe. Auch die Wilden Cubas wurden durch die gewöhnlichen Mittel herbeigelockt und traten dann ebenfalls mit den Spaniern in Tauschhandel.

Christoph Columbus glaubte nun auf dem Festlande und wahrscheinlich nur wenige Meilen von Hang-tcheu-fu entfernt zu sein. Dieser Gedanke hatte sich sowohl seiner selbst als seiner Officiere so sehr bemächtigt, daß er sich schon damit beschäftigte, dem Groß-Khan von China einige Geschenke zu übersenden. Am 12. November beauftragte er einen Edelmann von seinem Schiffe und einen Juden, der hebräisch, chaldäisch und arabisch sprach, sich zu dem Monarchen des Landes zu begeben. Die Gesandten nahmen kostbare Perlenhalsbänder mit und begaben sich in das Innere des vermeintlichen Continents, in der Annahme, ihre Mission etwa binnen sechs Tagen erfüllen zu können.

[170] Inzwischen segelte Christoph Columbus ungefähr zwei Meilen weit einen schönen Fluß hinauf, der im Schatten großer, wohlriechender Bäume dahinlief. Die Eingebornen trieben dabei mit den Spaniern den gewohnten Tauschhandel und verwiesen diese immer wieder nach einem Orte Namens Bohio, wo sich Gold und Perlen im Ueberfluß finden sollten. Sie fügten auch hinzu, daß dort Menschen mit Hundeköpfen lebten, die sich von Fleisch ernährten.

Am 16. November schon, also nach kaum viertägiger Abwesenheit, kehrten die Gesandten des Admirals nach dem Hafen zurück. Nach zwei Marschtagen hatten sie ein aus etwa fünfzig Hütten bestehendes Dorf erreicht gehabt, in welchem sie mit wahrhaft übermäßiger Verehrung aufgenommen worden waren. Man küßte ihnen daselbst Füße und Hände und hielt sie geradezu für Götter, welche vom Himmel herabgestiegen seien. Ueber die Sitten der Eingebornen erzählten sie unter Anderem, daß Männer und Frauen mittelst einer gabelförmig getheilten Pfeife Tabak rauchten, wobei sie den Rauch durch die Nasenlöcher einsogen. Die Ureinwohner wußten sich auch durch Reibung zweier Hölzer aufeinander Feuer zu verschaffen. In ihren Häusern fand sich sehr viel Baumwolle vor, die sie in Gestalt von Zelten aufgestapelt hatten, und eines derselben enthielt nahe an 11.000 Pfund. Vom Groß-Khan freilich hatten sie auch nicht eine Spur entdeckt.

Wir berühren hier auch noch einen zweiten Irrthum und Fehler des Columbus, der in seinen Folgen, nach Irving, der ganzen Reihe seiner Entdeckungen eine andere Richtung gab. Da Columbus nämlich an der Küste Asiens zu sein glaubte, sah er folgerichtig Cuba für einen Theil des Festlandes an. Eben aber darum dachte er gar nicht daran, dasselbe zu umschiffen, sondern beschloß vielmehr, nun nach Osten zurückzukehren. Hätte er sich bei dieser Gelegenheit nicht getäuscht und wäre er seiner Richtung unentwegt gefolgt, so würde das Resultat seines Zuges ein ganz anderes Ansehen gewonnen haben. Entweder wäre er dann nach Florida, an die Südspitze Nord-Amerikas gelangt, oder direct nach Mexiko gekommen. Was hätte er aber in letzterem Falle an Stelle der Wilden und unwissenden Eingebornen gefunden? Nun, die Bewohner des großen Reiches der Azteken, der von Montezuma halb civilisirten Gebiete. Dort hätte er Städte, Heere neben unermeßlichen Reichthümern angetroffen und seine Rolle würde wahrscheinlich dieselbe gewesen sein, welche nach ihm Ferdinand Cortez übernahm.

[171] Doch es sollte nicht so kommen; der in seinem Irrthum befangene Admiral kehrte mit der Flottille, welche am 12. November 1492 die Anker lichtete, wieder nach Osten zurück.

Lavirend folgte Christoph Columbus der Küste Cubas, entdeckte die beiden Berge Cristal und Moa, besuchte einen Hafen, den er Puerto del Principe nannte, und einen Archipel, dem er den Namen das Meer von Notre-Dame beilegte. Jede Nacht leuchteten die Feuer der Fischer auf den zahlreichen Inseln, deren Bewohner sich von Spinnen, Krebsen und einer Art großer Würmer (Seealen?) ernährten. Die Spanier gingen auch wiederholt an's Land und errichteten ein Kreuz als Zeichen der Besitznahme des Landes.

Häufig sprachen die Eingebornen gegen den Admiral von einer gewissen Insel Babèque, wo Gold in Menge vorhanden sei. Der Admiral beschloß, sich dahin zu begeben. Martin Alonzo Pinzon aber, der Kapitän der »Pinta«, dessen Caravelle am besten segelte, fuhr ihm voraus und war bei Anbruch des 21. November vollständig aus dem Gesichtskreise der Anderen verschwunden.

Der Admiral erschien über diese Trennung mit Recht sehr erzürnt, wovon noch die Stelle in seinem Bericht den Beweis liefert, wo er sagt: »Pinzon hat mir auch noch manches Andere gesagt und angethan«. Er setzte indeß seinen Weg zur Durchforschung Cubas unbeirrt weiter fort und entdeckte die Bai von Moa, die Mangle-Spitze, das Cap Vaez und den Hafen Baracoa; nirgends aber fand er Kannibalen, obwohl die Hütten der Eingebornen nicht selten mit Menschenschädeln verziert waren, worüber sich die an Bord befindlichen Eingebornen sehr zu freuen schienen.

Während der folgenden Tage sah man den Fluß Boma und befanden sich die Caravellen, welche das Cap de los Azules umschifften, auf der Ostseite der Insel, deren Küste sie in einer Länge von hundertfünfundzwanzig Meilen aufgenommen hatten. Statt sich nun aber nach Süden zu wenden, entfernte sich Columbus mehr nach Osten und kam am 5. December in Sicht einer großen Insel, welche die Indianer Bohio nannten. Es war das Haïti oder San Domingo.

Am Abend lief die »Nina« unter Führung des Admirals einen Hafen an, der den Namen Port-Marie erhielt. Es ist das der heutige Hafen von San Nicolo in der Nähe des gleichnamigen Caps am Nordwestende der Insel.

Am nächsten Tage fanden die Spanier noch eine große Menge solcher Caps und auch ein Eiland, die Schildkröteninsel. Die Caravellen jagten, [172] sobald sie nur sichtbar wurden, die Piroguen der Indianer in die Flucht. Diese Insel, deren Gestade sie folgten, erschien ihnen sehr groß und sehr hoch, wovon der spätere Name Haïti, d. i. Hochland, sich herleitet. Die Aufnahme der Ufer wurde noch bis zur Mosquito-Bai fortgesetzt. Die Vögel, welche unter den schönen Bäumen dieser Insel umherflatterten, ihre Pflanzen, Ebenen und Hügel erinnerten Alle lebhaft an die Gefilde Castiliens. Deshalb gab Christoph Columbus dem neuen Lande auch den Namen Espagnola. Die Bewohner waren sehr furchtsam und mißtrauisch, so daß man, da sie in's Innere entflohen, mit ihnen keinerlei Verbindung anknüpfen konnte. Einigen Matrosen gelang es jedoch, eine Frau einzufangen, die sie an Bord brachten. Sie war noch jung und ziemlich hübsch. Der Admiral schenkte ihr Ringe, Perlen und Kleidungsstücke, deren sie höchst nothwendig bedurfte; er behandelte sie überhaupt mit größter Zuvorkommenheit und sandte sie dann wieder nach dem Lande zurück. Die nächste Folge davon war, daß die Eingebornen zutraulicher wurden, und als sich am Tage darauf neun bewaffnete Matrosen bis vier Stunden in das Innere des Landes hineingewagt hatten, wurden sie mit aller Ehrerbietung empfangen. In hellen Hansen strömten die Bewohner um sie zusammen und boten ihnen alle Erzeugnisse des Bodens an. Entzückt von dem Ausfluge, kamen die Matrosen zurück. Ihrer Erzählung nach war das Innere der Insel reich an Baumwollenstauden, Aloës und Mastixbäumen, und ein schöner Strom, später der Fluß der drei Ströme genannt, rollte daselbst sein klares Wasser dahin.

Am 15. December ging Columbus wieder unter Segel und führte ihn der Wind nach dem sogenannten Schildkröten-Eilande, wo er einen schiffbaren Wasserlauf fand und ein so herrliches Thal, daß er es das Thal des Paradieses nannte. Als er anderen Tages in einem tiefen Golfe lavirte, bemerkte er einen Eingebornen, der ein kleines Canot trotz der Gewalt des Windes mit großer Geschicklichkeit regierte. Dieser Indianer ward eingeladen, an Bord zu kommen; Columbus beschenkte ihn reichlich; dann segelte er nach einem Hafen Espagnola, den man später als den Hafen des Friedens bezeichnete, weiter.

Dieses freundliche Entgegenkommen erwarb dem Admiral die Zuneigung aller Eingebornen, und von demselben Tage ab fanden sie sich in großer Menge bei den Caravellen ein. Auch ihr König kam mit ihnen. Es war [173] das ein gut gebauter, kräftiger und etwas wohlbeleibter junger Mann von beiläufig zwanzig Jahren. Er ging eben so nackt wie seine männlichen und weiblichen Unterthanen, welche ihm viel Achtung, doch ohne das mindeste Zeichen kriechender Unterwürfigkeit, erwiesen. Columbus ließ ihm alle einem Souverän zukommenden Ehren erweisen, und aus Dankbarkeit theilte dieser König, oder richtiger Cazike, dem Admiral mit, daß die östlicheren Provinzen von Gold strotzten.

Am nächsten Tage stellte der Cazike alle Schätze seines Landes Columbus zur Verfügung. Er nahm an dem Feste der heiligen Maria theil, das Columbus auf seinem Fahrzeuge mit allem Prunke feiern ließ und bei welcher Gelegenheit auch das Schiff selbst möglichst ausgeschmückt worden war. Der Cazike wurde mit zur Tafel des Admirals gezogen und nahm wirklich an dem Mahle theil; nachdem er verschiedene Speisen und Getränke gekostet, schickte er die Becher und Schüsseln den Leuten seines Gefolges. Dieser Cazike hatte ein recht gutes Aussehen; er sprach wenig und erwies sich den Umständen nach ziemlich gebildet. Nach beendigtem Mahle bot er dem Admiral mehrere dünne Goldplättchen an. Dieser erwiderte das Geschenk durch einige Münzen mit den Bildnissen Ferdinands und Isabellens, und nachdem er ihm durch Zeichen begreiflich gemacht, daß von den mächtigsten Fürsten der Erde die Rede sei, ließ er in Gegenwart des eingebornen Königs die königlichen Banner von Castilien entfalten. Mit Anbruch der Nacht zog sich der Cazike sehr befriedigt zurück und mehrere Artilleriesalven donnerten ihm bei der Abfahrt nach.

Am folgenden Tage errichteten mehrere Leute der Mannschaft ein großes Kreuz mitten in dem Dorfe der Eingebornen, und dann verließen Alle diese gastliche Küste. Beim Auslaufen aus dem weiten, von den Schildkröteninseln und der Insel Espagnola gebildeten Golfe entdeckte man mehrere Häfen, Caps, Baien und Flüsse, an der Limbe-Spitze eine kleine Insel, welche St. Thomas getauft wurde, und endlich einen sehr geräumigen, sicheren und geschützten, zwischen der Insel und der Bai von Acul verborgenen Hafen, dessen Eingang ein von hohen baumbedeckten Bergen umschlossener Canal bildete.

Der Admiral betrat das Ufer ziemlich häufig. Die Eingebornen empfingen ihn als einen Abgesandten des Himmels und luden ihn ein, bei ihnen wohnen zu bleiben. Columbus beschenkte sie mit Schellen, zinnernen Ringen, Glasperlen [174] und anderen Kleinigkeiten, die sie sehr hoch zu schätzen schienen. Ein Cazike mit Namen Guacanagari, der Beherrscher von Marien, sandte Columbus einen Gürtel, geschmückt mit dem Abbilde eines Thieres mit großen Ohren, dessen Nase und Ohren aus Gold getrieben waren. Gold mochte es auf der Insel überhaupt viel geben, denn die Eingebornen brachten bald eine gewisse Menge dieses Metalls zusammen. Die Bewohner dieses Theiles von Espagnola zeichneten sich durch höhere Intelligenz und besseres, äußeres Ansehen aus. Nach Columbus dienten die schwarzen, rothen und weißen Malereien, mit denen sie ihren Körper bedeckten, wahrscheinlich nur zum Schutze gegen die Sonnenstrahlen. Die Häuser der Leute waren hübsch und gut gebaut. Als Columbus sie nach dem Lande fragte, woher das Gold komme, zeigten sie gen Osten nach einer Gegend, welche sie Cibao nannten und unter der der Admiral sich stets nur Cipango oder Japan vorstellen konnte.

Am heiligen Abend traf die Caravelle des Admirals ein schwerer Unfall. Es war das die erste Havarie bei dieser sonst so glücklich abgelaufenen Seefahrt. Ein unaufmerksamer Seemann bediente das Steuer der »Santa Maria« während eines Ausflugs aus dem Golfe von St. Thomas; als es finster wurde, gerieth er unbemerkt in eine falsche Strömung und wurde gegen die Uferfelsen getrieben. Die Caravelle strandete und ihr Steuer lief dabei fest auf. Der Admiral erwachte von dem Stoße und kam eiligst auf das Deck. Er ließ vom Vordertheile aus einen Anker auswerfen, um das Schiff durch kräftiges Ziehen an demselben zu wenden und wieder flott zu machen. Der Quartiermeister und einige Matrosen wurden mit der Ausführung dieses Manövers beauftragt und sprangen in das große Boot. Von Schrecken erfaßt, entflohen sie aber, so schnell sie rudern konnten, nach der »Nina« zu.

Inzwischen kam die Ebbe. Die »Santa Maria« sank immer tiefer ein; man mußte die Masten kappen, um sie zu erleichtern, und bald stellte sich die Nothwendigkeit heraus, die Besatzung an Bord des Begleitschiffes überzuführen. Der Cazike Guacanagari, der die mißliche Lage der Caravelle recht wohl begriff, kam mit seinen Brüdern, Verwandten und einer Menge Eingeborner herbei und betheiligte sich thätig bei der Entleerung des Fahrzeuges. Dank seiner Fürsorge, ging auch nicht ein Stück der Ladung verloren, und noch während der Nacht hielten bewaffnete Eingeborne rings um die einstweilen aufgespeicherten Proviantvorräthe Wache.


Columbus nannte dieses Thal das Thal des Paradieses. (S. 173.)

[175]

Am folgenden Tage begab sich Guacanagari an Bord der »Nina«, um den Admiral zu trösten, und stellte ihm alle seine Schätze zur Verfügung. Gleichzeitig bot er ihm zur Aushilfe einen Vorrath an Lebensmitteln, bestehend aus Brot, kleinen Ziegen, Fischen, Wurzeln und Früchten an. Gerührt durch diese Freundschaftsbezeugungen, beschloß Columbus, auf einer dieser Inseln eine Niederlassung zu gründen. Er bemühte sich also, die [176] Indianer durch kleine Geschenke und liebenswürdiges Entgegenkommen noch mehr für sich zu gewinnen; dann ließ er, um ihnen eine Vorstellung von seiner Macht zu geben, eine Arkebuse und eine Standbüchse abfeuern, worüber die armen Leute heftig erschraken.

Am 26. December begannen die Spanier den Bau einer kleinen Befestigung an diesem Theile der Insel. Die Absicht des Admirals ging dahin, hier eine Anzahl Leute, die für ein Jahr mit Brot, Wein und Getreide versorgt werden sollten, zurückzulassen und ihnen die Schaluppe der »Santa Maria« zu übergeben. Die Arbeiten wurden auch mit allem Eifer betrieben.

Am nämlichen Tage erhielt man ferner wieder die erste Kunde von der »Pinta«, die sich am 21. November von der Flottille getrennt hatte; sie sollte, wie Eingeborne meldeten, in einem Flusse am Ende der Insel vor Anker liegen; ein von Guacanagari abgesandtes Canot konnte sie aber nicht auffinden. Da kam denn Columbus, der seine Entdeckungsfahrt unter den gegebenen Umständen nicht fortsetzen wollte, da er sich seit dem Verlust der nicht wieder brauchbaren, »Santa Maria« auf eine einzige Caravelle angewiesen sah, auf den Entschluß, nach Spanien zurückzukehren und traf auch bald seine Vorbereitungen zur Abreise.

Am 2. Januar bot Columbus dem Caziken das Schauspiel einer kleinen Schlacht, worüber der König und seine Unterthanen sich höchst erstaunt zeigten. Dann wählte er neununddreißig Mann aus, die während seiner Abwesenheit die Besatzung der Festung bilden sollten, und ernannte Rodrigo de Escovedo zu deren Commandanten. Der größte Theil der Ladung aus der »Santa Maria« wurde ihnen ausgeliefert und versprach, für sie länger als ein Jahr auszureichen. Unter den ersten Kolonisten der neuen Welt befanden sich ein Schreiber, ein spanischer Gerichtsdiener, ein Faßbinder, ein Arzt und ein Schneider. Diese Spanier unterzogen sich des Auftrages, die Goldminen aufzusuchen und einen geeigneten Platz zur Gründung einer Stadt ausfindig zu machen.

Am 3. Januar lichtete die »Nina« nach einem feierlichen Abschiede von dem Caziken und den neuen Kolonisten die Anker und segelte aus dem Hafen. Bald entdeckte man ein Eiland, über welches ein sehr hoher Berg emporragte, der den Namen Monte Christi erhielt. Zwei Tage hindurch folgte Columbus der Küste, als man die Annäherung der »Pinta« meldete. Bald traf deren [177] Kapitän, Martin Alonzo Pinzon, an Bord der »Nina« ein und suchte sein Benehmen nach allen Seiten zu entschuldigen. In Wahrheit segelte Pinzon seiner Zeit nur voraus, um zuerst die Insel Babèque zu erreichen, welche die Eingebornen als so unermeßlich reich schilderten. Der Admiral beruhigte sich indeß bei den unhaltbaren Gründen, welche Kapitän Pinzon vorbrachte, und erfuhr von diesem, daß die »Pinta« nur längs der Küste von Espagnola hingesegelt sei, ohne eine neue Insel zu entdecken.

Am 7. Januar hielt man an, um ein kleines Leck im Raume der »Nina« auszubessern. Columbus benützte diesen Aufenthalt, um einen breiten, etwa eine Meile vom Monte Christi befindlichen Strom näher zu untersuchen. Von den glänzenden Flitterchen, welche die Strömung mit sich führte, erhielt derselbe den Namen der »Gold-Fluß«. Gern hätte der Admiral auch diesen Theil von Espagnola näher durchforscht, seine Mannschaften drängten aber zur Heimkehr und begannen, verleitet von den Gebrüdern Pinzon, sogar gegen seine Autorität zu murren.

Am 9. Januar gingen die beiden Caravellen wieder unter Segel und schlugen einen Kurs nach Ost-Südosten ein. Sie hielten sich dabei immer in der Nähe der Küsten, deren kleinste Ausbuchtungen ihre Namen erhielten, wie z.B. die Isabellen-Spitze, das Cap de la Roca, das Cap Francais, Cap Cabron und endlich die am äußersten östlichen Ende der Insel gelegene Bai von Samana. Hier fand sich ein Hafen, in dem die Flottille wegen der herrschenden Windstille vor Anker ging. Das erste Zusammentreffen mit den Eingebornen verlief ganz nach Wunsch; doch bald sollten sich diese guten Beziehungen ändern. Der schon begonnene Handel nahm ein Ende und gewisse feindselige Demonstrationen ließen deutlich die bösen Absichten der Indianer erkennen. Wirklich überfielen diese die Spanier unerwartet am 13. Januar. Trotz ihrer Minderzahl hielten Letztere jedoch wacker Stand und trieben mit Hilfe ihrer besseren Waffen die Feinde nach einem Kampfe von nur wenig Minuten in die Flucht. Das war das erste Mal, daß Indianerblut von europäischen Händen vergossen wurde.

Am nächsten Tage behielt Columbus noch vier Gefangene, junge Eingeborne, an Bord und ging mit ihnen, trotz ihres Widerspruchs, unter Segel. Seine erbitterten und wohl auch ermüdeten Mannschaften machten ihm manchen Aerger, und der über alle menschlichen Schwächen fast ganz erhabene Mann, den die schwersten Schicksalsschläge nicht niederzudrücken vermochten, beklagte [178] sich in seinem Reisebericht recht schmerzlich darüber. Am 16. Januar begann die eigentliche Rückreise und verschwand das Cap Samana an der äußersten Spitze von Espagnola, unter dem Horizonte.

Die Ueberfahrt ging sehr schnell und bis zum 12. Februar ohne merkliche Zwischenfälle von statten. Am genannten Tage wurden die beiden Caravellen aber von einem furchtbaren Sturme überrascht, der mit entsetzlichen Windstößen, haushohen Wellen, unter fortwährenden Blitzen in Nord-Nordosten dreimal vierundzwanzig Stunden anhielt. Erschreckt legten die Seeleute das Gelübde einer Pilgerfahrt zur heiligen Maria von Guadaloupe, Notre-Dame de Loretto und St. Clair de Moguer ab. Endlich schwuren die Leute, barfuß und im Büßerhemd in einer der Mutter Gottes geweihten Kirche zu beten.

Trotz alledem nahm der Sturm an Heftigkeit zu. Auch der Admiral befürchtete eine Katastrophe und schrieb auf ein Pergament eiligst einen kurzen Bericht seiner Entdeckungen nieder, mit der Bitte an den etwaigen Finder, dasselbe dem Könige von Spanien zugehen zu lassen; dann verschloß er dieses in Wachstuch eingewickelte Document in ein Holzfaß und ließ es in's Meer werfen.

Mit dem Aufgang der Sonne am 15. Februar schwächte der Orkan sich ab; die während der letzten Tage von einander getrennten Caravellen trafen wieder zusammen und ankerten drei Tage später bei der Insel Sainte Marie, einer der Azoren. Sofort sorgte der Kapitän für Erfüllung der während des Ungewitters gethanen Gelübde und schickte deshalb die Hälfte seiner Leute an's Land; diese wurden aber von den Portugiesen als Gefangene zurückgehalten und erst fünf Tage später, und nur auf die energische Reclamation Christoph Columbus', wieder freigegeben.

Am 93. Februar stach der Admiral wieder in See. Von widrigen Winden aufgehalten und von einem nochmaligen Sturm bedroht, legte er mit allen seinen Leuten auf's Neue verschiedene Gelübde ab und verpflichtete sich, am ersten Samstag nach der Ankunft in Spanien zu fasten. Am 4. März endlich bekamen die Seefahrer die Mündung des Tajo zu Gesicht, in welche sich die »Nina« flüchten konnte, während die »Pinta« vom Wind bis in die Bai von Biscaya verschlagen wurde.

Die Portugiesen nahmen den Admiral sehr herzlich auf; der König bewilligte ihm sogar eine Audienz. Columbus lag es nun aber am Herzen, [179] schnell nach Spanien zu kommen. Sobald es die Witterung irgend erlaubte, ging die »Nina« wieder in See und warf am 15. März, gegen Mittag, vor dem Hafen von Palos Anker, nach einer Reise von sieben Monaten, während welcher Columbus die Inseln San Salvador, Conception, Groß-Exuma, Longue, die Mukares, Cuba und San Domingo entdeckt hatte.

Ferdinands und Isabellens Hofhaltung befand sich zur Zeit eben in Barcelona. Der Admiral ward dahin befohlen. Er reiste sogleich mit den aus der neuen Welt mitgebrachten Indianern ab. Der Enthusiasmus, den er überall hervorrief, kannte fast keine Grenzen. Von allen Seiten lief das Volk zusammen, wo es den großen Seehelden nur treffen zu können glaubte, und erwies ihm wahrhaft königliche Ehren. Der Einzug Christoph Columbus in Barcelona gestaltete sich wahrhaft prächtig. Der König, die Königin und die Granden von Spanien empfingen ihn feierlich im Palaste der Deputation. Hier erstattete er einen Bericht über seine merkwürdige Reise, wies die Muster von Gold vor, die er mitgebracht hatte, und die ganze Versammlung fiel dann auf die Kniee und stimmte das Te Deum an.

Christoph Columbus ward hierauf durch ein besonderes Patent geadelt und der König verlieh ihm ein eigenes Wappen mit der Devise: »Castilien und Leone schenkte Columbus eine neue Welt«. Der Name des genuesischen Seefahrers hallte durch ganz Europa wider; die von ihm mitgeführten Indianer erhielten in Gegenwart des Hofes die christliche Taufe und der so lange Zeit arme und verkannte, geistvolle Mann stand jetzt auf der höchsten Staffel seines Ruhmes.

[180]
3.
III.

Zweite Reise: Flottille von 17. Schiffen. – Insel Ferro. – Dominica. – Marie-Galante. – Guadeloupe. – Die Kannibalen. – Montserrat. – Sainte Marie Rotonde. – St. Martin und St. Croix. – Der Archipel der 11.000 Jungfrauen. – Gründung der Stadt Isabella. – Absendung zweier mit Schätzen beladener Fahrzeuge nach Spanien. – Fort St. Thomas in der Provinz Cibao. – Don Diego, Columbus' Bruder, zum Gouverneur der Insel ernannt. – Insel St. Jean Baptiste oder Porto-Rico. – Espagnola. – Die ersten Kolonisten ermordet. – Jamaica. – Die Küste von Cuba. – Der Sauger (Hemmfisch). – Rückkehr nach Isabella. – Der Cazike wird gefangen gesetzt. – Aufstand der Eingebornen. – Hungersnoth. – Columbus in Spanien verleumdet. – Sendung Johann Aguada's, Commissär Isabellens. – Die Goldminen. – Columbus' Abreise. – Ankunft in Cadix.


Der Bericht von den Abenteuern des genuesischen Seefahrers hatte die Geister wahrhaft überreizt. Schon sah man in der Einbildung jenseits der Meere ganze Continente aus purem Golde. Alle Leidenschaften, welche die Habgier zu wecken im Stande ist, erwachten. Der Admiral mußte dem Drange der öffentlichen Meinung nachgeben und in kürzester Zeit wieder in See gehen. Ihn trieb es übrigens auch selbst, nach dem Schauplatz seiner Eroberungen zurückzukehren und die Karten jener Zeit mit neuen Ländern zu bereichern. Er erklärte sich also bereit, abzureisen.

Der König und die Königin stellten eine Flotte von drei großen Schiffen und vierzehn Caravellen zu seiner Verfügung. Zwölfhundert Menschen sollte dieselbe aufnehmen. Eine Anzahl vornehmer Castilianer zögerte nicht, Columbus' Stern zu folgen und ihr Glück jenseits der Meere zu versuchen. Pferde und Nutzthiere, Instrumente und Werkzeuge aller Art, bestimmt zur Einsammlung und Reinigung des Goldes, verschiedene Sämereien, mit einem Worte Alles, was zur Gründung einer großangelegten Kolonie irgend nöthig schien, füllte den Raum der Fahrzeuge. Von zehn nach Europa mitgenommenen Eingebornen kehrten fünf nach ihrer Heimat zurück, drei blieben als Kranke in Europa und zwei derselben waren gestorben.

Christoph Columbus wurde mit unbegrenzter Machtvollkommenheit zum »General-Kapitän« ernannt.

Am 25. September 1493 liefen die siebzehn Fahrzeuge unter den Jubelrufen einer unzählbaren Menschenmenge mit vollen Segeln von Cadix aus Am 1. October liefen sie die Insel Ferro, die westlichste der Canarien-Gruppe, an. Nach einer von Wind und Meer gleichmäßig begünstigten Ueberfahrt kam Columbus in Sicht des neu entdeckten Landes.

[181] Am 3. November, dem Sonntag in der Octave Allerheiligen, rief der Wachtposten des Admiralschiffes »Marie-Galante«: »Frohe Botschaft! Dort ist das Land!«

Dieses Land bestand aus einer bewaldeten Insel. Der Admiral segelte, da er sie für unbewohnt hielt, daran vorüber, sah auf seinem Wege noch mehrere verstreute Eilande und langte bei einer zweiten Insel an. Die erste wurde Dominica, die andere auf den Namen Marie-Galante getauft, wie sie auch noch heutigen Tages heißen. Am nächsten Tage zeigte sich den Blicken der Spanier eine dritte, größere Insel. »Und, sagt der von Pierre Martyr, einem Zeitgenossen Columbus', herrührende Bericht über diese Fahrt, als sie näher kamen, erkannten sie, daß das die Insel der verwünschten Kannibalen oder Caraïben war, von denen man gelegentlich der ersten Reise wiederholt reden gehört hatte.«

Wohl bewaffnet gingen die Spanier an's Ufer, wo sich gegen dreißig hölzerne, mit Palmenblättern bedeckte Hütten von runder Form erhoben, in denen allen man Hängematten aus groben Baumwollenstoffen fand. Auf dem Vorplatz derselben standen zwei Bäume oder Stämme, welche von zwei großen todten Schlangen umwunden waren. Bei der Annäherung der Fremden flohen die Eingebornen, so schnell sie konnten, und ließen eine Anzahl Gefangener zurück, die sie eben hatten aufzehren wollen. Die Matrosen durchsuchten jene Hütten, wobei sie menschliche Arme und Beine, frisch abgeschnittene, noch blutende Köpfe und andere menschliche Ueberreste fanden, welche jeden Zweifel über die Nahrungsweise dieser Caraïben beseitigten.

Die Insel wurde zum Theil untersucht und erhielt von dem Admiral den Namen Guadeloupe wegen ihrer Aehnlichkeit mit einer Provinz von Estremadura. Einige von den Matrosen eingefangene Frauen schickte man, nachdem sie auf dem Admiralschiff eine möglichst freundliche Aufnahme erfahren hatten, auf das Land zurück. Christoph Columbus rechnete darauf, daß sein zuvorkommendes Verfahren gegen die Indianerinnen auch die Männer bestimmen sollte, einmal an Bord zu kommen, eine Hoffnung, welche freilich nicht in Erfüllung ging.

Am 8. November gab der Admiral das Signal zur Abfahrt und segelte mit seiner ganzen Escadre nach Espagnola, dem heutigen San Domingo, wo er neununddreißig Theilnehmer der ersten Reise zurückgelassen hatte. Auf dem Wege nach Norden entdeckte er wiederum eine große Insel, der die an Bord [182] behaltenen Eingebornen den Namen Madanino gaben. Sie sagten aus, daß dieselbe nur von Frauen bewohnt sei, und da Marco Polo's Bericht einer Gegend in Asien erwähnte, die nur weibliche Bevölkerung haben sollte, so hatte Christoph Columbus allen Grund zu der Annahme, daß er längs der Küsten dieses Welttheils hinsegle. Der Admiral wünschte lebhaft, die betreffende Insel kennen zu lernen, doch verhinderte der widrige Wind eine Landung an derselben.

Zehn Meilen von hier entdeckte man eine weitere, von hohen Bergen umgebene Insel, welche Montserrat getauft wurde; am nächsten Tage eine zweite, die den Namen Sainte Marie Rotonde erhielt, und am folgenden Tage noch zwei Inseln: St. Martin und St. Croix.

Das Geschwader ankerte vor der letzteren, um Wasser einzunehmen. Hier ereignete sich eine sehr ernste Scene, welche Pierre Martyr mit so bezeichnenden Worten erzählt, daß wir uns zu deren Wiedergabe veranlaßt fühlen: »Der Admiral, sagt er, ordnete an, daß dreißig seiner Leute das Schiff verlassen sollten, um die Insel in Augenschein zu nehmen; als diese das Ufer betreten hatten, fanden sie daselbst außer vier Hunden auch ebensoviel junge Männer und Weiber am Strande, die ihnen entgegenkamen und mit erhobenen Armen um Schutz und Befreiung aus der Gewalt der grausamen Einwohner zu flehen schienen. Sobald die Kannibalen das sahen, entflohen sie, ganz wie auf Guadeloupe, eiligst in die Wälder. Unsere Mannschaften aber blieben zwei Tage auf der Insel, um diese näher zu untersuchen.

Inzwischen bemerkten Diejenigen, welche auf dem Boote zurückgeblieben waren, aus der Ferne ein Canot mit acht Männern und ebensoviel Frauen ankommen; unsere Leute versuchten, sich mit ihnen durch Zeichen zu verständigen; bei weiterer Annäherung aber überschütteten jene, Männer sowohl wie Frauen, sie mit einem dichten Hagel von Pfeilen, bevor diese nur dazu kommen konnten, sich mittelst ihrer Schilde zu schützen, so daß ein Spanier durch den Pfeil einer Frau getödtet wurde und diese auch einen zweiten mit einem anderen Pfeile schwer verletzte.


Golf von Mexico.

Golf von Mexico.


Diese Wilden führten vergiftete Pfeile, welche das Gift an der Spitze trugen; unter ihnen befand sich eine Frau, welcher die Anderen alle gehorchten und mit sichtbarer Ehrfurcht begegneten. Aller Wahrscheinlichkeit nach war das die Königin des Stammes und hatte sie einen schrecklich anzusehenden sehr kräftig gebauten Sohn mit einem wahren Löwenangesicht, der ihr nachfolgte.


Die Matrosen fanden frisch abgeschnittene Köpfe. (S. 182.)

Die Unsrigen hielten es für vortheilhafter, ein Handgemenge herbeizuführen, als sich durch einen Kampf aus der Entfernung noch mehr Verluste zufü [183] [185]gen zu lassen, und trieben ihr Boot mit den Rudern mit solcher Gewalt vorwärts, daß dasselbe das Fahrzeug der Anderen tüchtig anlief und es dabei versenkte.

[185] Die Indianer aber, lauter gute Schwimmer, fuhren, Männer sowohl wie Frauen, unbeirrt fort, die Unsrigen mit Pfeilen zu beschießen, bis sich einen halb vom Wasser verdeckten Felsen erreichten, den sie bestiegen und dann den Kampf von neuem begannen. Nichtsdestoweniger wurden sie zuletzt überwältigt, Einer von ihnen getödtet, der Sohn der Königin aber mehrfach durch Stiche verwundet; die Gefangenen schleppte man auf das Schiff des Admirals, wo sie sich mit derselben ungezähmten Wildheit benahmen, wie etwa libysche Löwen, wenn sie sich in Netzen gefangen sehen. Es waren durchaus Leute, welche Niemand ansehen konnte, ohne daß ihm Herz und Eingeweide erzitterten, so häßlich, fürchterlich und wahrhaft teuflisch war ihr Aussehen.«

Wie man sieht, gestalteten sich die Kämpfe zwischen Spaniern und Eingebornen immer ernster. Christoph Columbus setzte indeß seine Fahrt nach dem Süden fort, inmitten unzähliger, lieblicher, von Bergen in allen Farben bedeckter Inseln. Die Zusammenhäufung von Inseln erhielt den Gesammtnamen der 11.000 Jungfrauen. Bald kam die Insel St. Jean Baptiste, mit anderen Namen Porto-Rico in Sicht, ein Land, das ebenfalls die Caraïben inne hatten, das aber sorgfältiger angebaut erschien und mit seinen prächtigen Wäldern einen wirklich herrlichen Anblick darbot. Einige Matrosen gingen an's Land und fanden am Gestade etwa ein Dutzend unbewohnter Hütten. Der Admiral stach dann wieder in See und folgte ungefähr fünfzig Meilen weit der Südküste von Porto-Rico.

Am 12. November endlich landete Columbus an der Insel Espagnola. Man begreift wohl, wie erregt er sein mochte beim Wiedersehen des Schauplatzes seiner ersten Erfolge, und wie sehnlich er mit den Augen nach dem kleinen Fort gesucht haben mag, in dem er seine Gefährten zurückgelassen hatte. Wie mochte es den vor einem Jahre auf fremder Erde zurückgebliebenen Europäern wohl ergangen sein? Aus solchen Betrachtungen erweckte ihn die Annäherung eines Canots mit dem Bruder des Caziken Guacanagari, das an der »Marie-Galante« anlegte. Der Eingeborne schwang sich an Bord und brachte dem Admiral zwei goldene Bilder zum Geschenk.

Christoph Columbus lag es indessen zunächst am Herzen, seine Befestigung zu entdecken, und obwohl er vor demselben Platz ankerte, wo er diese hatte erbauen lassen, fand er doch keine Spur von ihr wieder. Voller Unruhe über das Schicksal seiner Leute, betrat er das Land. Welcher Schreck, als er [186] von der ganzen Ansiedlung nichts als ein Häuschen Asche übrig sah! Was war aus seinen Landsleuten geworden? Hatten sie diesen ersten Ansiedlungsversuch mit dem Leben bezahlt? Der Admiral ließ, um seine Ankunft weit über die Insel Espagnola bekannt zu machen, sein gesammtes Geschütz auf einmal abfeuern, doch keiner von seinen Gefährten folgte diesem Rufe.

Voll Verzweiflung sandte Columbus sofort Boten aus zu dem Caziken Guacanagari. Diese brachten, als sie zurückkamen, freilich nur sehr traurige Nachrichten mit. Den Mittheilungen Guacanagari's nach hatten andere Caziken, erzürnt über die Anwesenheit der Fremdlinge auf ihrer Insel, die unglücklichen Kolonisten überfallen und bis auf den letzten elend umgebracht. Guacanagari selbst wollte bei deren Vertheidigung eine Wunde davon getragen haben und zeigte zum Beweis noch sein mit einer Baumwollenbinde umwickeltes Bein vor.

Christoph Columbus glaubte zwar nicht an diese angebliche Intervention zu Gunsten der Spanier, doch ließ er sich davon nichts merken und nahm am folgenden Tage, als Guacanagari zu ihm an Bord kam, denselben so freundlich wie früher auf. Der Cazike nahm auch ein kleines Bild der heiligen Jungfrau an, das er sich an die Brust hängte. Ueber die Pferde, die man ihm zeigte, schien er höchlichst erstaunt; solche Thiere waren ihm und seinen Begleitern noch nicht zu Gesicht gekommen. Nach Beendigung dieses Besuches kehrte der Cazike an's Land zurück, begab sich in das Gebirge und ward dann nicht wieder gesehen.

Der Admiral beorderte hierauf einen seiner Kapitäne nebst dreihundert Mann, das Land zu durchstreifen und sich des Caziken zu bemächtigen. Diese Truppe drang zwar bis tief in das Innere der Insel ein, entdeckte aber keine Spur von dem Caziken oder von den beklagenswerthen Kolonisten. Bei dieser Excursion entdeckte deren Anführer einen großen Fluß mit schönem sicheren Hafen, den er Port-Royal nannte.

Trotz des Fehlschlagens seines ersten Versuches hatte Christoph Columbus doch beschlossen, auf dieser Insel eine neue Niederlassung zu gründen, da ihm das Land reich schien an Gold und Silbererzen. Die Eingebornen sprachen auch immer noch von den in der Provinz Cibao gelegenen Minen. Zwei Edelleute, Alonzo de Hojeda und Corvalan, erhielten deshalb den Auftrag, sich zu überzeugen, was hieran Wahres sei, und brachen im Laufe des Januar mit zahlreicher Begleitung auf. Wirklich fanden sie vier Flüsse [187] mit goldhaltigem Sande und brachten unter Anderem ein Geschiebe von neu Unzen Gewicht mit zurück.

Der Anblick dieser Reichthümer bestärkte den Admiral in dem Glauben daß dieses Espagnola das berühmte Ophir sein müsse, von dem im Buche der Könige die Rede ist. Er suchte einen geeigneten Platz zur Erbauung eine Stadt, und legte, zehn Meilen östlich vom Monte Christi, an der hafen artig erweiterten Mündung eines Flusses den Grundstein für das später Isabella. Am Tage Epiphanias celebrirten dreizehn Priester in Gegenwart einer ungeheuren Menge Eingeborner, den Gottesdienst in der Kirche.

Columbus gedachte nun dem König und der Königin von Spanien einige Nachrichten über die Kolonie zugehen zu lassen. Unter dem Befehl des Kapitän Torres wurden also zwölf Schiffe auserwählt, die mit vielem auf der Insel gesammelten Golde und den verschiedensten Erzeugnissen des Bodens befrachtet nach Europa zurückkehren sollten. Diese Flottille ging am 2. Februar 1494 unter Segel und bald darauf schickte ihr Columbus noch eines der ihm verbliebenen fünf Schiffe mit dem Lieutenant Bernhard de Pisa, über den er sich mehrfach zu beklagen hatte, ebenfalls mit reichen Ladung nach.

Sofort nach Wiederherstellung der Ordnung in der Kolonie Isabella bestellte der Admiral daselbst seinen Bruder Diego zum Gouverneur und brach mit fünfhundert Mann auf, um die Minen von Cibao selbst zu besuchen. Das Land, durch welches der Zug kam, zeigte eine an's Wunderbare grenzende Fruchtbarkeit; Gemüse reisten hier binnen dreizehn Tagen; im Februar gesäeter Weizen stand schon im April in üppigen Aehren und lieferte jedes Jahr zwei reiche Ernten. Durch Berge und Thäler führte der Weg; oft mußte die Axt helfen, durch diese jungfräulichen Gebiete Bahn zu brechen, und nach vielen Beschwerden erst langten die Spanier in Cibao an Hier ließ der Admiral auf einem Hügel in der Nähe eines großen Flusses aus Stein und Holz ein Fort erbauen, das er mit einer Art Wallgraben umzog, und dem er, um einige seiner Officiere, welche an das Vorhandensein der Goldminen nicht glauben wollten, zu necken, den Namen St. Thomas beilegte. Jetzt konnten jene nämlich ihre Zweifel nicht wohl länger aufrecht erhalten; von allen Seiten brachten ja die Eingebornen Gold in Geschiebe und Körnern herbei, das sie eifrig gegen Perlen und vorzüglich gegen die so beliebten kleinen Schellen umzutauschen suchten, deren heller Klang sich [188] zum Tanzen anreizte. Die in Rede stehende Gegend war aber nicht nur das Land des Goldes, sondern auch das Land der Gewürze und Balsame; ja, die Bäume, welche die so geschätzten Producte lieferten, bildeten hier wirkliche Wälder. Die Spanier hatten also allen Grund, sich zur Besitznahme dieser reichen Insel zu beglückwünschen.

Nachdem er das Fort St. Thomas unter den Schutz von fünfzig Mann, mit Don Pedro de Margerita als deren Anführer, gestellt, begab sich Columbus Anfang April wieder nach Isabella zurück, wurde aber bei diesem Zuge durch häufige, starke Regen sehr aufgehalten. Bei seiner Ankunft fand er die entstehende Kolonie in größter Unordnung; schon drohte sogar eine Hungersnoth wegen Mangels an Mehl, und das Mehl fehlte wegen Mangels an Mühlen; Soldaten und Arbeiter waren von Anstrengung auf's höchste erschöpft. Columbus wollte seine Edelleute veranlassen, mit helfender Hand einzugreifen; die dummstolzen Hidalgos aber, welche nur begierig waren, Schätze einzuheimsen, wollten sich doch nicht einmal bücken, um solche aufzuheben, und verweigerten, sich als Handarbeiter nützlich zu machen. Die Priester unterstützten sie in ihrem Widerstande, und Columbus, der nur mit Strenge durchzugreifen vermochte, mußte die Kirchen mit seinem Interdict belegen. Indeß konnte er seinen Aufenthalt in Isabella nicht allzusehr ausdehnen, es trieb ihn, immer noch neue Länder zu entdecken. So stach er denn nach Einsetzung eines aus drei Edelleuten und dem Chef der Missionäre unter Vorsitz Don Diego's bestehenden Verwaltungsrathes der Kolonie, am 24. April wieder mit drei Fahrzeugen in See, um den Kreis seiner Entdeckungen zu vervollständigen.

Die Flottille wandte sich nach Süden. Bald entdeckte man eine neue Insel, welche die Eingebornen Jamaica nannten. Das Relief dieser Insel zeichnete sich durch einen bedeutenden Berg mit sanft verlaufenden Abhängen aus. Ihre Bewohner schienen sehr geweckten Geistes und für mechanische Künste begabt, aber von wenig friedliebendem Charakter zu sein. Wiederholt versuchten sie eine Landung der Spanier abzuwehren, wurden aber vertrieben und schlossen zuletzt eine Art Bündniß mit dem Admiral ab.

Von Jamaica aus setzte Columbus seine Nachforschungen weiter nach Westen hin fort. Er glaubte nach der Stelle gelangt zu sein, wohin die alten Geographen den Chersones, das Goldgebiet des Abendlandes, verlegten. Starke Meeresströmungen warfen ihn nach Cuba zurück, dessen Küste er auf [189] 225 Meilen Länge folgte. Während dieser, wegen vieler Untiefen und enger Fahrstraßen sehr gefährlichen Seereise benannte er über 700 Inseln, untersuchte eine große Anzahl Häfen und trat mit den Eingebornen häufig in Verbindung.

Im Monat Mai meldeten die Ausluger der Schiffe wiederum eine große Anzahl pflanzenbedeckter, fruchtbarer und bewohnter Inseln. Columbus näherte sich dem Lande und lief in einen Fluß mit so heißem Wasser ein, daß Niemand die Hand in dasselbe halten konnte; offenbar eine sehr übertriebene Angabe, welche später niemals eine Bestätigung gefunden hat. Die Fischer dieses Strandes verwendeten beim Fischen einen gewissen Fisch mit Namen »Remora« (Hemm-, Saugfisch), der ihnen denselben Dienst leistete wie der Hund dem Jäger.

»Dieser bisher unbekannte Fisch glich etwa einem sehr großen Aale besaß aber an der Rückseite des Kopfes eine sehr haltbare, beutelförmige Haut, mit der er eigentlich Nahrung einfängt. Diesen Fisch halten die Leute hier mittelst einer Schnur außer dem Boote stets im Wasser, denn er kann den »Anblick« der Luft nicht vertragen. Bemerken sie nun einen Fisch oder eine Schildkröte, welche hier wirklich größer als Schilder sind, so verstatten sie dem Remora durch Nachlassen der Schnur eine freiere Bewegung. Sobald er das fühlt, schießt er schneller als ein Pfeil auf den betreffenden Fisch oder die Schildkröte los, wirst seinen Hautbeutel über diese und hält seine Beute so fest, daß sie ihm Niemand entreißen kann, wenn man ihn nicht durch allmähliches Einziehen der Schnur zur Wasseroberfläche heranholt; denn sobald er »den Glanz der Luft« wittert, läßt er sofort die Beute los. Die Fischer beugen sich so weit als möglich herab, um ihm den Fang abzunehmen, den sie dann in ihr Boot bringen. Den »Jagdfisch« binden sie dann kurz an, um ihn an Ort und Stelle zu halten, und geben ihm als Belohnung ein Stück Fleisch von der Beute.«

Die Ufer wurden auch noch weiter nach Westen hin untersucht. Der Admiral kam nach verschiedenen Ländern, in denen es Ueberfluß gab an Gänsen, Enten, Reihern und jenen stummen Hunden, welche die Einwohner als Nahrung benutzen, und die entweder sogenannte Almiguis oder eine Art Ratten sein dürften. Inzwischen verengten sich die versandeten Furthen immer mehr; die Schiffe hatten Noth, sich noch hindurchzuwinden. Dennoch beharrte der Admiral darauf, sich von der Küste, die er auskundschaften wollte [190] nicht zu entfernen. Eines Tages glaubte er auf einer entfernten Landspitze weißgekleidete Männer zu erkennen, die er für Brüder aus dem Orden Sainte-Marie de la Mercede hielt, und sandte deshalb mehrere Matrosen ab, sich mit jenen in's Einvernehmen zu setzen. Alles stellte sich jedoch als optische Täuschung heraus; die vermeintlichen Mönche waren nichts Anderes als große Reiher der Tropenlande, welchen die weite Entfernung ein menschenähnliches Aussehen verlieh.

Während der ersten Tage des Juni mußte Columbus vor Anker liegen bleiben, um seine Schiffe auszubessern, deren Rumpf durch die Untiefen mancherlei Beschädigungen erlitten hatte. Am 7. desselben Monats ließ der Admiral am Strande eine feierliche Messe lesen. Während des Gottesdienstes traf ein bejahrter Cazike ein, der dem Admiral nach Beendigung der Ceremonie verschiedene Früchte anbot. Dann sprach der. Cazike einige Worte, welche die Dolmetscher folgendermaßen übersetzten:

»Es ist uns davon Kunde geworden, daß Du Länder, die Euch bisher unbekannt waren, überfallen und in Deine Gewalt gebracht hast und daß Dein Erscheinen die Völker und einzelnen Bewohner so sehr in Schrecken setzte. Ich glaube also, Dich ermahnen und daran erinnern zu sollen, daß es für die Seelen, wenn sie sich von den Körpern trennen, zwei verschiedene Wege giebt: den einen voll Finsterniß und Trübsal für die Seelen Derjenigen, welche dem Menschengeschlechte einst schädlich und lästig waren; den anderen, voller Lust und Freude für Diejenigen, welche im Leben den Frieden und die Ruhe ihrer Nebenmenschen achteten und liebten. Denkst Du aber daran, daß Du selbst auch sterblich bist und daß der zukünftige Lohn abgemessen wird nach Deinen Thaten in diesem Leben, so wirst Du Niemand mehr zunahe treten.«

Welcher Philosoph der alten oder neuen Zeit hätte jemals besser und mit einfacherer Klarheit sprechen können! Alles Menschliche des Christenthums ist in diesen herrlichen Worten zusammengedrängt, die aus dem Munde eines – Wilden kamen! Columbus und der Cazike trennten sich entzückt von einander und der Erstaunteste von Beiden war der alte Eingeborne wahrscheinlich nicht gewesen.

Der ganze Volksstamm schien sich übrigens der Beachtung der von seinem Chef angedeuteten Lebensvorschriften zu befleißigen. Das Land z.B. gehörte allen Bewohnern gemeinschaftlich, wie die Sonne, die Luft und das Wasser.


Strandfischer von Cuba. (S. 190.)

Das Mein und Dein, die Ursachen so vieler Streitigkeiten, war hier unbekannt und Alle lebten mit Wenigem zufrieden. »Sie leben im goldenen Zeitalter, sagt der Bericht, und schließen ihre Besitzungen weder durch Gräben oder Hecken ab; sie lassen ihre [191] Gärten offen stehen, ohne Gesetze, Bücher oder Richter zu kennen; ihre Natur sagt ihnen allein, was gut und recht ist, und sie haben für Den, der einem Anderen Unrecht thut, nur die Strafe der allgemeinen Verachtung.«


Perlenfischer. (S. 192.)

Christoph Columbus kehrte, als er Cuba verließ, nach Jamaica zurück, dessen Küste er bis zum östli [192] chen Ende folgte. Seine Absicht ging dahin, die Inseln der Caraïben anzugreifen und diese abscheuliche Brut auszurotten. In Folge seiner vielen Nachtwachen und Strapazen aber fiel der Admiral in eine Krankheit, die ihn zum Aufgeben seiner Pläne nöthigte. Er mußte nach Isabella zurückkehren, wo er unter dem Einflusse der guten Luft und [193] der nöthigen Ruhe, Dank der sorgfältigen Pflege seines Bruders und anderer Angehöriger, seine Gesundheit wiederfand.

Uebrigens bedurfte auch die Kolonie dringend seiner Anwesenheit. Der Gouverneur des Fort St. Thomas hatte die Eingebornen durch seine rücksichtslosen Maßnahmen erbittert. Don Diego, Columbus' Bruder, ließ ihm wiederholte, leider fruchtlose Mahnungen zugehen. Derselbe Gouverneur war dann, während Columbus' Abwesenheit, nach Isabella zurückgekehrt und hatte sich auf einem der Fahrzeuge, die eben Don Barthelemy, den zweiten Bruder des Admirals, nach Espagnola gebracht hatten, nach Spanien eingeschifft.

Nach wieder erlangter Gesundheit konnte Columbus doch das Ansehen Derjenigen, die er einmal zu seinen Stellvertretern ernannt hatte, nicht ungeahndet mißachten lassen und beschloß also, den gegen den Befehlshaber von St. Thomas aufgestandenen Caziken zu bestrafen. Vor Allem sandte er neun wohlbewaffnete Leute aus, sich dieses gefürchteten Caziken, Namens Carnabo, zu bemächtigen. Der Anführer derselben, Hojeda, der auch später wiederholte Proben seiner Unerschrockenheit ablegen sollte, raubte den Caziken aus der Mitte der Seinigen und führte ihn als Gefangenen nach Isabella. Columbus seinerseits ließ den Eingebornen nach Europa schaffen; das Fahrzeug, welches ihn trug, muß aber Schiffbruch erlitten haben, denn man hörte nicht das Mindeste von ihm wieder.

Inzwischen langte Antonio de Torres, gesendet von dem König und der Königin, um Columbus deren Wohlgeneigtheit auszudrücken, in San Domingo mit vier Schiffen an. Ferdinand erklärte sich überaus zufrieden mit den Erfolgen des Admirals und versprach eine monatliche Verbindung zwischen Spanien und der Insel Espagnola herzustellen.

Inzwischen hatte eine neue Revolte des Stammes Carnabo's auch eine wiederholte allgemeine Empörung der Eingebornen hervorgerufen. Diese wollten ihren beleidigten und unrechtmäßiger Weise fortgeschleppten Häuptling rächen Nur der Cazike Guacanagari blieb, trotz seiner Betheiligung an dem Morde der ersten Ansiedler, den Spaniern treu. Von Don Barthelemy und dem Caziken begleitet, zog Columbus gegen die Rebellen zu Felde.

Er begegnete bald einem Heere der Ureinwohner, dessen Stärke – jedenfalls weit übertrieben – von ihm zu 100.000 Mann angegeben wird. Doch wie dem auch sei, diese Armee wurde durch ein einfaches Detachement von 200 Infanteristen, 25 Reitern und 25 Hunden völlig in die Flucht [194] geschlagen. Dieser Sieg stellte allem Anscheine nach die Autorität des Admirals wieder her. Den Besiegten wurde die Zahlung eines Tributs auferlegt. Die Indianer aus der Nachbarschaft der Minen mußten von drei zu drei Monaten eine gewisse Menge Gold liefern, die anderen, entfernter wohnenden aber je 25 Pfund Baumwolle. Die Empörung war jedoch nur unterdrückt, keineswegs erloschen. Auf den Ruf einer Frau, Anacaona, der Witwe Carnabo's, erhoben sich die Eingebornen noch ein zweites Mal, wobei es ihnen sogar gelang, den bis dahin an Columbus' Seite kämpfenden Guacanagari zu sich herüber zu ziehen; nach Zerstörung der Maisfelder und aller Anpflanzungen zogen sie sich in die Gebirge zurück. Die Spanier sahen sich hiermit allen Schrecken einer Hungersnoth preisgegeben und übten in ihrer Wuth furchtbare Repressalien gegen die Eingebornen. Man berichtet, daß ein Viertel der Ureinwohner durch Hunger, Krankheiten und die Waffen der Leute Columbus' umgekommen sei. Die unglücklichen Indianer bezahlten ihre mit den siegreichen Europäern angeknüpften Verbindungen wirklich theuer.

Christoph Columbus' Stern war von jetzt ab im Erbleichen. Während seine Autorität auf Espagnola mehr und mehr untergraben wurde, erlitten sein Charakter und sein Ruf auch so manche Anfechtung von Europa aus. Er selbst konnte ja nicht zur Hand sein, sich zu vertheidigen, und die Officiere, die er nach dem Mutterlande zurückgesendet hatte, klagten ihn laut der Ungerechtigkeit und Grausamkeit an; sie sprengten sogar das Gerücht aus, der Admiral beabsichtige, sich gänzlich unabhängig von dem Könige zu machen. Ferdinand sandte unter dem Eindrucke dieser verleumderischen Nachrichten einen Commissär ab, der sich über die Verläßlichkeit solcher Anschuldigungen unterrichten sollte. Dieser Edelmann hieß Jean d'Aguado. Die Wahl gerade des Genannten zu einem derartigen vertraulichen Auftrage war keine besonders glückliche zu nennen. Jean d'Aguado galt als ein einseitiger, etwas vorurtheilsvoller Mann. Er langte Mitte October in Isabella an, als der mit weiteren Untersuchungen beschäftigte Admiral eben nicht anwesend war, und begegnete Christoph Columbus' Bruder mit verletzendem Hochmuth. Don Diego aber berief sich auf seinen Titel als General-Gouverneur und lehnte es ab, sich den Anforderungen des königlichen Commissärs zu fügen.

Jean d'Aguado rüstete sich schon, nach Spanien zurückzukehren, wohin er doch nur sehr mangelhafte Nachrichten hätte mitbringen können, als ein [195] entsetzlicher Orkan im Hafen die Schiffe zerstörte, auf denen er hierhergekommen war.

Auf der Insel Espagnola waren jetzt nur noch zwei Caravellen übrig. Christoph Columbus stellte, sobald er nach der Kolonie zurückkam, mit einer Großherzigkeit, die alle Bewunderung verdient, dem Commissär des Königs eines seiner Schiffe zur Verfügung unter der Bedingung, daß er sich auf dem anderen einschiffen wolle, um sich vor dem Könige zu rechtfertigen.

So lagen die Verhältnisse, als auf der Insel Espagnola plötzlich neue Goldminen entdeckt wurden. Der Admiral verschob in Folge dessen seine Abreise. Die Sucht nach Schätzen schnitt sofort alle weiteren Verhandlungen ab. Jetzt war keine Rede mehr weder vom Könige von Spanien noch von der von ihm angeordneten Untersuchung. Mehrere Officiere verfügten sich nach den neuen, goldführenden Landschaften; daselbst fanden sie Metallgeschiebe, deren einige bis elf Unzen wogen, und auch einen Ambrablock von dreihundert Pfund Gewicht.

Columbus ließ zum Schutze der Goldgräber zwei Befestigungen anlegen, die eine an der Grenze der Provinz Cibao, die andere am Ufer des Hayna-Flusses. Nach Durchführung dieser Vorsichtsmaßregel reiste er, da ihm seine schleunigste Rechtfertigung am Herzen lag, sofort nach Spanien ab.

Am 10. März 1496 verließen die beiden Caravellen den Hafen von Isabella. Columbus hatte fünfundzwanzig Passagiere und dreißig Indianer mit an Bord. Am 9. April berührte er Maria-Galante und nahm am 10. in Guadeloupe, wo es zu einem ernsthaften Treffen mit den Eingebornen kam, das für die Reise nöthige Wasser ein. Am 20. verließ er diese ungastliche Insel und kämpfte einen vollen Monat hindurch gegen den Passatwind. Endlich im Laufe des 11. Juni kamen die Küsten Europas in Sicht und am folgenden Tage liefen die Caravellen im Hafen von Cadix ein.

Diese zweite Rückkehr des großen Seefahrers wurde nicht wie die erste von der Bevölkerung mit rauschenden Huldigungen gefeiert. An die Stelle des Enthusiasmus waren die Kälte und der Neid getreten. Des Admirals Gefährten selbst nahmen Partei gegen ihn. Muthlos und enttäuscht, ohne die erhofften Schätze heimzubringen, für welche sie so vielen Gefahren und Beschwerden getrotzt hatten, erwiesen sie sich jetzt noch ungerecht dazu. Denn Columbus' Fehler war es doch wahrlich nicht, wenn die bisher in Angriff genommenen Goldminen mehr Unkosten verursachten, als sie Ausbeute lieferten.

[196] Trotzdem wurde der Admiral am Hofe gnädig empfangen. Der Bericht über seine zweite Reise gewann ihm die irregeführten Geister wieder. Entdeckte er denn nicht bei dieser Expedition die Inseln Dominica, Maria-Galante, Guadeloupe, Montserrat, Sainte- Marie, Saint-Croix, Porto-Rico und Jamaica? Hatte er nicht eine eingehendere Untersuchung von Cuba und San Domingo durchgeführt? Columbus kämpfte also mannhaft wider seine Gegner und verwendete dabei sogar die Waffen des Scherzes. Denen, welche sein Verdienst bei den Entdeckungen herabzusetzen suchten, schlug er dabei vor, ein Ei so auf die eine Spitze zu stellen, daß es im Gleichgewichte bliebe, und als ihnen das nicht gelang, drückte der Admiral die eine Spitze der Schale etwas ein und stellte das Ei auf diese zerbrochene Stelle.

»Ja, daran hattet Ihr nicht gedacht, sagt er, so ist es aber überall!«

4.
IV.

Dritte Reise: Madeira. – Santiago und der Archipel des Grünen Vorgebirges. – Trinidad. – Erster Blick auf die amerikanische Küste von Venezuela, jenseits des Orinoco, der heutigen Provinz Cumana. – Golf von Paria. – Die Gärten. – Tabago. – Grenada. – Margarita. – Cubaga. Espagnola während Columbus' Abwesenheit. – Gründung der Stadt San Domingo. – Columbus' Ankunft. – Insubordination in der Kolonie. – Klagen in Spanien. – Bovadilla wird vom Könige abgesendet, um sich über Columbus' Auftreten in Westindien zu unterrichten. – Columbus wird gefesselt und nebst seinen beiden Brüdern nach Spanien zurückgesendet. – Sein Erscheinen vor Ferdinand und Isabella. – Wiedererlangung der königlichen Gnade.


Noch hatte Columbus nicht darauf verzichtet, seine Erwerbungen jenseits des Atlantischen Oceans zu vermehren. Weder die erlittenen Strapazen, noch die Ungerechtigkeit der Zeitgenossen vermochten ihn zu lähmen. Nachdem er nicht ohne Mühe die bösen Absichten seiner Feinde vereitelt, gelang es ihm, unter den Auspicien der spanischen Regierung eine dritte Expedition zu Stande zu bringen. Der König bewilligte ihm acht Schiffe, vierzig Reiter, hundert Infanteristen, sechzig Matrosen, zwanzig Bergleute, fünfzig Ackerbauer, zwanzig verschiedene Handwerker, und sorgte außerdem dafür, daß auch dreißig Frauen, einige Aerzte und sogar etliche Musikanten sich dem Zuge anschlossen. Dazu erwirkte sich der Admiral die Zusage, daß im Königreiche alle jetzt üblichen Strafen in Deportation nach den Inseln umgewandelt werden[197] sollten. Er lief den Engländern also den Rang ab mit dem klugen Gedanken, die neuen Kolonien durch Verbrecher zu bevölkern, welche die harte Arbeit wieder sittlich zu erheben versprach.

Obwohl Christoph Columbus eben an der Gicht litt und erschöpft war durch den Aerger und die bitteren Erfahrungen seit seiner Rückkehr, ging er doch schon am 30. Mai 1498 wieder unter Segel. Vor der Abfahrt hörte er noch, daß ihn bei Cap Vincent auf hohem Meere eine französische Flotte erwarte, um seine Expedition unmöglich zu machen. Er steuerte auf diese Nachricht hin einen anderen Kurs und kam nach Madeira, wo er vor Anker ging. Von hier aus sandte er alle Schiffe bis auf drei unter dem Commando Pedro's de Arana, Alonzo Sanchez' de Carabojal und Joan Antonio Columbus, eines seiner Verwandten, nach der Insel Espagnola. Er selbst steuerte mit einem Schiffe und zwei Caravellen nach Süden, mit der Absicht, den Aequator zu überschreiten und tiefer südlich liegende Länder aufzusuchen, welche der allgemeinen Annahme nach an Erzeugnissen jeder Art noch reicher sein sollten.

Am 27. Juni berührte die Flottille Santiago und einige andere Inseln von dem Archipel des Grünen Vorgebirges. Am 4. Juli stach sie wieder in See, segelte hundertfünfundzwanzig Meilen weit nach Südosten, litt dann von andauernder Windstille und brennender Hitze und wendete sich, etwa Sierra Leone gegenüber angelangt, geraden Wegs nach Westen.

Am 31. Juli gegen Mittag meldete ein Matrose die Nähe des Landes; es war das eine am äußersten Nordosten Südamerikas und sehr nahe der Küste des Festlandes gelegene Insel.

Der Admiral gab ihr den Namen Trinidad und die ganze Mannschaft stimmte dankerfüllt das Salve Regina an. Am nächsten Tage, am 1. August, ankerte das Schiff und die beiden Caravellen etwa fünf Meilen von dem zuerst gesehenen Punkt, nahe der Landspitze von Alcatraz. Der Admiral ließ hier einige Matrosen an's Land gehen, um seine Vorräthe an Wasser und Holz zu erneuern. Das Gestade schien unbewohnt zu sein, doch sah man viel Spuren von Thieren, wahrscheinlich von Ziegen, auf dem Strande.

Am 2. August ruderte ein langes, von 24 Eingebornen besetztes Canot auf die Fahrzeuge zu. Die wohlgewachsenen und an Hautfarbe weißeren Indianer als die Eingebornen von Espagnola trugen auf dem Kopfe eine Art Turban aus einer baumwollenen Schärpe mit grellen Farben und um den Körper einen kleinen Rock aus demselben Stoffe. Man suchte sie durch[198] Vorzeigung von Spiegeln und anderen Glaswaaren an Bord zu locken; die Matrosen begannen sogar, um jene zutraulicher zu machen, lustige Tänze; die Eingebornen aber antworteten, erschreckt durch den Lärm des Tambourins, der ihnen nichts Gutes zu versprechen schien, mit einer Wolke von Pfeilen und wandten sich nach einer der Caravellen hin; ein Steuermann machte noch einmal den Versuch, sie milder zu stimmen, und wagte sich dicht an sie heran, bald aber entfernte sich das Canot und wurde auch nicht wieder gesehen.

Christoph Columbus ging wieder in See und entdeckte eine neue Insel, die er Gracia nannte. Was er jedoch für eine Insel hielt, war in der That die Küste Amerikas, und zwar das Gestade von Venezuela, welches das von sehr vielen Flußarmen durchschnittene Delta des Orinoco bildet.

An diesem Tage entdeckte Columbus also wirklich, freilich ohne davon Kenntniß zu haben, den amerikanischen Continent an dem Theile Venezuelas, der jetzt Cumana heißt. Zwischen der Küste und der Insel Trinidad bildet das Meer einen gefährlichen Golf, den Golf von Paria, in dem ein Fahrzeug nur schwierig gegen die Strömung aufkommen kann, die es mit außerordentlicher Schnelligkeit nach Westen zu treibt. Der Admiral glaubte auf offenem Meere zu sein und setzte sich in diesem Golfe mehr Gefahren aus, als er wohl ahnte, weil die durch ein zufälliges Hochwasser angeschwollenen Flüsse des Festlandes eine ungeheure Wassermasse gegen das Schiff wälzten. Christoph Columbus berichtet hiervon in einem Schreiben an den König und die Königin mit folgenden Worten:

»Als ich mich in später Nachtstunde auf dem Deck befand, hörte ich plötzlich ein entsetzliches Rauschen. Ich suchte die Dunkelheit mit den Augen zu durchdringen und bemerkte da, wie sich das Meer in Gestalt eines Hügels, von derselben Höhe wie unser Schiff, von Süden her langsam auf uns zuwälzte. Auf diesem Wasserberge brodelte noch eine gewaltige Strömung mit erschreckendem Geräusche. Ich glaubte nichts Anderes, als daß wir im nächsten Augenblicke verschlungen werden würden, und noch heute kann ich nicht ohne eine gewisse schmerzliche Empfindung an jene Minuten denken. Doch Wogen und Strömung gingen glücklich vorüber, stürmten auf die Mündung des Canals zu und kämpften dort lange Zeit, bis sie sich allmählich verliefen.«

Trotz der Schwierigkeiten, welche die Schifffahrt bot, segelte der Admiral doch in diesem Meere, dessen Wasser süßer und süßer wurde, je mehr er nach nördlicheren Gegenden kam, weiter, entdeckte verschiedene Caps, das eine [199] im Osten der Insel Trinidad, das Cap Pena-Blanca, das andere im Westen des Vorgebirges von Paria, das Cap von Lapa; er verzeichnete mehrere Häfen, unter anderen den sogenannten Hafen der Affen an der Mündung des Orinoco.


Einschiffung des Christoph Columbus. (S. 196.)

Columbus ging im Westen der Spitze von Cumana an's Land und erfreute sich seitens der in großer Anzahl herbeigeströmten Eingebornen eines freundlichen Empfanges. Nach Westen zu, jenseit der Spitze von[200] Alcatraz, bot die Landschaft einen wahrhaft herrlichen Anblick, und die Eingebornen behaupteten, daß dort viel Perlen und Gold gefunden würden.

Columbus wäre an diesem Theile der Küste gern längere Zeit liegen geblieben, doch sah er nirgends einen Schutz für seine Schiffe. Außerdem verlangten auch seine Gesundheit, welche tief erschüttert war, und vorzüglich sein merkbar geschwächtes Sehvermögen eine längere Ruhe, ohne davon zu sprechen, daß seine ermüdeten Mannschaften sich nicht minder, wie er selbst, darnach sehnten, endlich nach Isabella zu kommen. Er fuhr also am Ufer von Venezuela weiter und unterhielt, so viel dies möglich war, immer einige Verbindungen mit den Eingebornen. Diese Indianer zeichneten sich durch schönen Körperbau und angenehme Physiognomie aus; ihre häuslichen Einrichtungen verriethen einen gewissen Geschmack; sie besaßen Wohnungen mit geschmückten Façaden, in denen sich ziemlich geschickt hergestellte Möbel befanden. Am Halse trugen sie kleine Goldplatten. Das Land selbst war prächtig; seine Flüsse, Berge und Wälder hielten den Vergleich mit allen anderen aus. Der Admiral benannte diese herrliche Gegend deshalb auch Gracia und hat durch eine lange Abhandlung den Beweis zu führen gesucht, daß hier die Wiege des Menschengeschlechtes gestanden habe, in diesem indischen Paradiese, das Adam und Eva so lange bewohnten. Um diese Anschauung des großen Seefahrers wenigstens theilweise zu erklären, darf man nicht vergessen, daß er stets an den Küsten von Asien zu sein wähnte. Dem bezaubernden Orte selbst, an dem er sich befand, gab er den Namen »die Gärten«.

Am 23. August verließ Columbus, nachdem er nicht ohne Gefahr und Mühe die Strömung dieser Meerenge glücklich überwunden, den Golf von Paria durch die schmale Straße, die er den Drachenmund nannte, welche Bezeichnung sich bis auf den heutigen Tag erhalten hat. In's offene Meer gelangt, entdeckten die Spanier die Insel Tabago im Nordosten von Trinidad, ferner weiter im Norden La Conception, das heutige Grenada. Von hier aus änderte der Admiral seinen Kurs nach Südwesten, wodurch er nach der amerikanischen Küste zurückkam; dieser folgte er auf einer Strecke von vierzig Meilen und bekam am 25. August die stark bevölkerte Insel Margarita und endlich die nahe dem Festland gelegene Insel Cubaga zu Gesicht. Am Strande der letzteren hatten die Eingebornen eine Perlenfischerei errichtet und waren eben beschäftigt, das kostbare Naturproduct einzusammeln. Columbus sendete [201] deshalb ein Boot an's Land und machte ein sehr vortheilhaftes Geschäft, denn er erhielt für Fayence-Bruchstücke und klingende Schellen mehrere Pfund Perlen, unter denen einige sehr groß und vom reinsten Wasser waren.

An diesem Punkte seiner Entdeckungen machte der Admiral Halt. Die Versuchung, das Land, bei dem sie sich befanden, näher zu untersuchen, war zwar groß genug, doch fühlten sich die Mannschaften und ihr Führer jetzt wirklich erschöpft. Man schlug nun den unmittelbaren Weg nach San Domingo ein, wohin die wichtigsten Interessen Christoph Columbus zurückriefen.

Vor der Abreise hatte der Admiral seinem Bruder Vollmacht gegeben, den Grund zu einer neuen Stadt zu legen. Don Barthelemy durchreiste zu diesem Zwecke die verschiedensten Theile der Insel. Nachdem er etwa fünfzig Meilen von Isabella einen sehr schönen Hafen an der Mündung eines breiten Stromes ausfindig gemacht hatte, steckte er daselbst die ersten Straßen einer Ansiedlung ab, aus der die spätere Stadt San Domingo entstand. Nach derselben Stelle verlegte Don Barthelemy dann auch seine Residenz, während Don Diego Gouverneur von Isabella blieb. So vereinigten die beiden Brüder durch die Lage ihrer Aufenthaltsorte die ganze Verwaltung der Kolonie in ihren Händen. Schon rührten sich aber viele Unzufriedene und standen bereit, sich gegen ihre Autorität aufzulehnen. Unter diesen Verhältnissen kam der Admiral in San Domingo an. Er billigte das Verfahren seiner Brüder, welche die Verwaltung übrigens mit großer Klugheit geführt hatten, und erließ eine Proclamation, um die empörten Spanier an ihren Gehorsam zu erinnern. Am 18. October ließ er darauf fünf Schiffe nach Spanien abgehen in Begleitung eines Officiers, der dem Könige die neuen Entdeckungen mittheilen und über den Zustand der Kolonie, welche durch den Ungehorsam Einzelner gefährdet worden sei, Bericht zu erstatten.

Zu dieser Zeit nahmen indeß die Angelegenheiten Columbus' in Europa eine üble Wendung. Seit seiner Abfahrt häuften sich die Verleumdungen gegen ihn und seine Brüder unablässig mehr und mehr an. Einige aus der Kolonie weggejagte Rebellen denuncirten die hochmüthige »Dynastie« Columbus' und erregten die Eifersucht eines eitlen und undankbaren Monarchen. Selbst die Königin, bisher die treueste Gönnerin des genuesischen Seemannes, fing an, ihm zu zürnen, als sie auf den Schiffen einen Transport von dreihundert ihrer Heimat entführten Indianern sah, welche als Sklaven verkauft werden sollten. Isabella wußte freilich nicht, daß man die Gewalt auf diese [202] Weise ohne Vorwissen Columbus' und in seiner Abwesenheit gemißbraucht hatte. Der Admiral erschien nichtsdestoweniger verantwortlich und um sein Auftreten kennen zu lernen, sandte der Hof nach der Insel Espagnola einen Officier von Calatrara, Namens Franz von Bovadilla, dem die Titel eines Intendanten der Justiz und eines General-Gouverneurs beigelegt wurden. Genau genommen war hiermit die Absetzung Columbus' ausgesprochen. Bovadilla reiste, mit jener discretionären Gewalt bekleidet, gegen Ende Juni 1500 mit zwei Caravellen ab. Am 23. August bemerkten die Kolonisten zwei Fahrzeuge, welche in den Hafen von San Domingo einzulaufen suchten.

Christoph Columbus und sein Bruder Barthelemy waren eben abwesend. Sie ließen im Canton von Naragua ein Fort errichten. Don Diego führte an ihrer Stelle den Oberbefehl. Bovadilla kam an's Land und ließ eine feierliche Messe lesen, während welcher Ceremonie er mit sehr bezeichnender Ostentation auftrat; dann berief er Don Diego zu sich und befahl ihm, die Macht in seine Hände niederzulegen. Christoph Columbus kam, von einem Boten unterrichtet, eiligst herbei. Er nahm die Patente Bovadilla's in Augenschein und war wohl bereit, ihn als Intendanten der Justiz, nicht aber als General-Gouverneur der Kolonie anzuerkennen.

Darauf übergab ihm Bovadilla einen Brief des Königs und der Königin mit folgendem Wortlaute:

»Don Christoph Columbus, unserem Admiral im Ocean.

Wir haben den Commandeur Franz Bovadilla entsendet, Euch unsere Absichten zu erklären. Wir befehlen Euch, daran nicht zu zweifeln und zu thun, was er in unserem Namen anordnen wird.

Ich, der König. Ich, die Königin.«


Der in Folge feierlicher Bestallung Columbus zukommende Titel eines Vicekönigs war in diesem Schreiben Ferdinands und Isabellas gar nicht gebraucht. Columbus unterdrückte seinen berechtigten Zorn und unterwarf sich. Gegen den in Ungnade gefallenen Admiral erhob sich nun aber ein großes Lager falscher Freunde. Alle, welche ihr Glück nur Columbus verdankten, wendeten sich jetzt gegen ihn; sie griffen seine Ehre an und beschuldigten ihn, er habe sich völlig unabhängig machen wollen. – Welch' ungereimte Anklagen! Wie hätte dieser Gedanke ihm als Fremden, als Genuesen, kommen können, der sich allein inmitten einer spanischen Kolonie befand?

[203] Bovadilla hielt doch die Gelegenheit für passend, mit möglichster Strenge vorzugehen. Don Diego saß schon gefangen; bald ließ der Gouverneur auch Don Barthelemy und Christoph Columbus selbst in Eisen legen. Des Hochverrathes beschuldigt, wurde der Admiral mit seinen beiden Brüdern auf ein Schiff geschleppt und unter dem Befehle Alphons de Villeja nach Spanien gebracht. Der genannte Officier, ein Mann von Gefühl, wollte, empört über die Behandlung, welche man Columbus angedeihen ließ, diesem die beengenden Fesseln abnehmen. Columbus lehnte das ab. Er, der Erwerber einer neuen Welt, wollte nun auch in dem durch ihn bereicherten Spanien wirklich mit seinen Ketten ankommen.

Der Admiral that ganz recht daran; denn wenn man ihn in diesem Zustande der Erniedrigung, gefesselt wie ein Verbrecher, behandelt wie ein Strafgefangener sah, mußte sich wohl das Gefühl des Volkes empören. Die Anerkennung der Größe des verleumdeten Mannes brach sich, trotz aller gegen ihn in's Werk gesetzten Ungerechtigkeiten, wieder Bahn. Gegen Bovadilla allein loderte der allgemeine Unwille auf. Von dem einmüthigen Ausdrucke des Volkswillens überwältigt, mißbilligten der König und die Königin öffentlich das Verfahren des Befehlshabers und richteten gleichzeitig einen freundlichen Brief an Columbus, den sie einluden, an ihren Hof zu kommen.

Das war noch einmal ein schöner Tag für Columbus. Vor Ferdinand und Isabella erschien er nicht als Angeklagter, sondern als Ankläger; die Erinnerung an die erlittene unwürdige Behandlung brach ihm fast das Herz – der arme, große Mann weinte und alle Anderen rings um ihn weinten mit. Seine Lebensweise schilderte er mit allem Freimuthe. Er, den man des maßlosen Ehrgeizes und der Sucht beschuldigte, sich in den Kolonien nur zu bereichern, er stand fast gänzlich ohne Mittel da! Ja, der Entdecker einer Welt besaß selbst nicht eine Stelle, wo er sein Haupt hinlegen konnte!

Die gute und theilnahmvolle Isabella weinte mit dem bejahrten Seemann und war eine Zeit lang außer Stande, ein Wort zu sprechen. Endlich drangen einige huldreiche Worte über ihre Lippen; sie versicherte Columbus ihres Schutzes und Beistandes und versprach, ihn bei seinen Feinden zu rächen, sie entschuldigte sich wegen der unglücklichen Wahl, die man mit Bovadilla's Sendung nach den Inseln getroffen habe, und beschwor sie werde es an einer exemplarischen Bestrafung nicht fehlen lassen. Jedenfalls aber bat sie den Admiral, einige Zeit verstreichen zu lassen, bevor er in dem [204] Gouvernement seine Stellung wieder einnähme, um den erhitzten Gemüthern Zeit zu gönnen, dem Gefühle der Ehre und Gerechtigkeit wieder Raum zu geben.

Christoph Columbus beruhigte sich bei den huldvollen Worten der Königin; er verhehlte nicht seine Befriedigung über den ihm gewordenen Empfang und willigte auch gern in den von Isabella gewünschten Aufschub. Er hatte vor Allem ja nur das eine Ziel im Auge, er wollte seinem Adoptiv-Vaterlande und dessen Beherrscher noch weiter dienen und stellte noch so manche Erweiterung der bisherigen Entdeckungen in gewisse Aussicht. Trotz ihrer kurzen Dauer war ja auch seine dritte Reise keine unfruchtbare zu nennen, denn die Länderkarten hatten bei derselben die neuen Namen Trinidad, Golf von Paria, Cumanaküste, Tabago, Grenada, Margarita und Cubaga gewonnen.

5.
V.

Vierte Reise: Eine Flottille von vier Fahrzeugen. – Gran-Canaria. – Martinique. – Dominica. – Sainte-Croix. – Porto-Rico. – Die Insel Espagnola. – Jamaica. – Die Caimans-Inseln. – Die Pinien-Insel. – Insel Guanaja. – Cap Honduras. – Die amerikanische Küste von Truxillo am Golf von Darien. – Die Limonaren-Inseln. – Insel Huerta. – Küste von Veragua. – Goldführendes Land. – Aufstand der Eingebornen. – Columbus' Traum. – Porto-Bello. – Die Mulatas. – Aufenthalt auf Jamaica. – Elend. – Empörung der Spanier gegen Columbus. – Mondfinsterniß. – Columbus' Ankunft in Espagnola. – Columbus' Rückkehr nach Spanien. – Sein Tod am 20. März 1506.


Christoph Columbus hatte am Hofe Ferdinand's und Isabella's das ganze, ihm gebührende Ansehen wieder erlangt. Vielleicht benahm sich der König noch einigermaßen kühl gegen ihn, während ihn die Königin warm und offenkundig beschützte. Der officielle Titel eines Vicekönigs wurde ihm indeß nicht wiedergegeben und der Admiral war ein viel zu großer Mann, um seinen Anspruch auf denselben geltend zu machen. Er hatte jedoch die Genugthuung, Bovadilla sowohl wegen Mißbrauchs seiner Gewalt gegen ihn, als auch wegen seines herzlosen Auftretens gegen die Indianer schimpflich abgesetzt zu sehen. Die Unmenschlichkeit dieses Spaniers ging so weit, daß sich die eingeborne Bevölkerung unter seiner Verwaltung wirklich zusehends verminderte.

[205] Inzwischen begann die Insel Espagnola Columbus' Voraussetzungen zu bestätigen, indem schon ein Zeitraum von drei Jahren hinreichte, die Einkünfte der Krone um sechzig Millionen zu vergrößern. In den jetzt besser ausgenutzten Minen fand man Gold in Ueberfluß. Am Ufer des Hayna-Flusses hatte ein Sklave einen Klumpen im Gewichte von 3600 Gold-Thalern ausgegraben. Jetzt ließ sich schon voraussehen, daß die neuen Kolonien jedenfalls unermeßliche Schätze bargen.

Der Admiral, der nicht lange müßig bleiben konnte, drang inständig darauf, eine vierte Reise zu unternehmen, obwohl er schon sechsundsechzig Jahre zählte. Die von ihm zu Gunsten dieser Expedition angeführten Gründe erschienen auch wirklich ganz annehmbar. Ein Jahr vor Columbus' Rückkehr nämlich war der Portugiese Vasco da Gama nach Umschiffung des Caps der Guten Hoffnung von Indien heimgekehrt. Columbus gedachte nun dadurch, daß er sich auf dem weit kürzeren und sichereren westlichen Wege dahin begab, dem portugiesischen Handel eine ernsthafte Concurrenz zu bereiten. Er glaubte immer, in der Voraussetzung, die Küsten Asiens erreicht zu haben, daß die von ihm entdeckten Inseln von den Molukken nur durch eine schmale Wasserstraße getrennt sein könnten. Ohne Espagnola und die anderen schon begründeten Kolonien zu berühren, wollte er diesmal geraden Weges nach dem eigentlichen Indien gehen. Man sieht, daß sich der ehemalige Vicekönig wieder vollständig zum kühnen Seefahrer seiner früheren Jahre verwandelt hatte.

Der König genehmigte das Gesuch des Admirals und übergab ihm den Oberbefehl über eine aus vier Schiffen, der »Santiago«, »Gallego«, »Vizcaino« und der Admirals-Caravelle bestehenden Flottille. Das größte dieser Fahrzeuge maß nur siebzig, das kleinste gar nur fünfzig Tonnen. Im Grunde gehörten also alle vier nur in die Klasse der Küstenschiffe.

Christoph Columbus verließ Cadix am 2. Mai 1502 mit einem Gefolge von 500 Mann und nahm, außer seinem Bruder Barthelemy, auch seinen zweiten, kaum dreizehnjährigen Sohn aus zweiter Ehe, Ferdinando, mit sich.

Am 20. Mai ankerten die Schiffe vor Gran-Canaria und erreichten am 15. Juni Martinique, eine der Inseln des Windes. Später liefen sie Dominica, Sainte-Croix und Porto-Rico an und trafen endlich, nach einer im Ganzen glücklichen Ueberfahrt, vor Espagnola ein.

Gewiß lag es in Columbus' Absicht, treu dem Rathe seiner Königin, den Fuß nicht auf diese Insel zu setzen, von der er so schimpflich weggeführt [206] worden war; seine schlecht gebaute Caravelle hielt aber nicht mehr die See und bedurfte am Rumpfe nothwendiger Weise mancher Ausbesserungen. Der Admiral ersuchte den Gouverneur also um Erlaubniß, in den Hafen einlaufen zu können.

Der neue Gouverneur und Nachfolger Bovadilla's, ein Ordensritter von Alcantara, mit Namen Nicolas Ovando, war ein gemäßigter und gerechter Mann. Aus übertriebener Klugheit nur verweigerte er Columbus, durch dessen Anwesenheit er ungesetzliche Auftritte fürchtete, das Einlaufen in den Hafen. Columbus verbarg die Erbitterung, in die ihn ein solches Benehmen versetzte, schweigend im Herzen und antwortete auf diese erniedrigende Behandlung sogar noch mit einem wohlgemeinten Rathschlage.

Die Flotte, welche Bovadilla nach Spanien zurückbringen und außer dem erwähnten gewaltigen Goldklumpen auch ungeheure Schätze dahin mitnehmen sollte, war eben zum Auslaufen bereit; das Wetter aber hatte sich drohender gestaltet, und Columbus, dem sein seemännischer Scharfblick die Annäherung eines Sturmes verrieth, ließ dem Gouverneur anrathen, seine Schiffe und Mannschaften nicht unnöthig einer Gefahr auszusetzen. Ovando schlug den Rath des Admirals achtlos in den Wind. Die Schiffe stachen in See; sie hatten jedoch kaum das östliche Ende der Insel erreicht, als ein entsetzlicher Orkan einundzwanzig derselben mit Mann und Maus versenkte. Bovadilla und der größte Theil von Columbus' Feinden lagen auf dem Grunde des Meeres, während das Schiff, welches die Reste des Vermögens Columbus' trug, wie durch ein Wunder der Vorsehung dem Verderben entging. Zehn Millionen an Gold und Edelsteinen hatte der Ocean verschlungen.

Währenddem flüchteten Columbus' vier, vor dem Hafen abgewiesene Caravellen vor dem Sturme. Sie wurden arg mitgenommen und zerstreut, doch gelang es ihnen, sich wieder zu vereinigen. Der rasende Wind trieb sie am 14. Juli in Sicht von Jamaica. Dort führten sie mächtige Strömungen nach dem »Garten der Königin« und in der Richtung nach Ost ein Viertel Südost weiter. Sechzig volle Tage kämpfte die kleine Flottille, ohne dabei mehr als siebzig Meilen zurückzulegen, und ward endlich an die Küste von Cuba geworfen, was zur Entdeckung der Cumanen und der Pinien-Insel führte.

Christoph Columbus schlug nun einen südöstlichen Kurs ein, mitten durch diese Meere, welche noch kein europäisches Schiff durchpflügt hatte. Mit der ganzen Leidenschaft des Seefahrers betrat er wieder den Weg der [207] Entdeckungen. Sein Glücksstern führte ihn nach einem gegen Norden gerichteten Küstenstriche Mittelamerikas, er fand am 30. Juli die Insel Guanaja und berührte am 14. August Cap Honduras, die Landspitze, welche in ihrer Verlängerung als Isthmus von Panama die beiden Continente Amerikas verbindet.


Columbus gefesselt wie ein Verbrecher. (S. 204.)

Zum zweiten Male lief also Columbus hier, ohne es selbst zu ahnen, das wirkliche Festland Amerikas an. Er folgte den Umrissen des Ufers neun Monate lang, immer unter Gefahren und Kämpfen aller Art, und entwarf eine Karte dieser Küsten von jenem Punkte aus bis zum Golfe von Darien. Jede Nacht warf er Anker, um sich nicht vom Lande zu entfernen, und gelangte bis zu der mit dem Cap Gracias a Dios scharf auslaufenden Ostspitze des Landes.


Goldminen von Cuba. (Facsimile. Alter Kupferstich.) (S. 206.)

Am 14. September wurde dieses Cap umschifft; [208] dann aber ward der Admiral von einem so heftigen Sturme heimgesucht, wie weder er selbst noch [209] der älteste seiner Seeleute le einen ähnlichen erlebt hatte. In einem an den König von Spanien gerichteten Schreiben äußert er sich über diese schreckliche Episode folgendermaßen: »Vierundzwanzig Tage lang dauerte das Wüthen der Elemente, während der ich weder Sonne noch Sterne oder einen Planeten sah; meine Schiffe waren geborsten, die Segel zersetzt; Taue, Boote und Takelage – Alles verloren. Die erschöpften und bestürzten Matrosen beteten und legten strenge Gelübde ab; jeder verpflichtete sich zu einer frommen Pilgerfahrt, während Alle von Minute zu Minute das Ende ihres Lebens gekommen glaubten. Ich habe wohl so manchen Sturm gesehen, doch keinen, der so andauernd und heftig gewesen wäre. Viele der Meinigen, die man sonst für die unerschrockensten Seeleute hielt, verloren den Muth; am meisten freilich nagten mir am Herzen die Leiden meines Sohnes, dessen Jugend meine Verzweiflung vermehrte, und den wohl härtere Qualen als einen von uns Anderen heimsuchten. Gewiß verlieh ihm nur Gott allein die Kraft zum Widerstande. Mein Sohn allein belebte den Muth und erhielt die Geduld der Seeleute bei ihrer schweren Arbeit; Alles in Allem hätte man ihn für einen in Stürmen ergrauten Seemann halten können, der, so unglaublich das klingt, in die schwere, über uns verhängte Prüfung doch einen Schimmer von Freude zu mischen verstand. Ich selbst erkrankte und mehrmals glaubte ich mein letztes Stündlein gekommen.. Um meine unglückliche Stimmung voll zu machen, sagte ich mir auch, daß ich nach zwanzig Jahre langem Dienste, nach Ueberstehung so vieler Mühen und Gefahren, nichts, auch gar nichts erübrigt hatte und heute in Spanien auch nicht einen Ziegelstein mein nenne, daß nur das Gasthaus mir eine Stätte bietet, wenn ich ein wenig Ruhe oder die einfachste Mahlzeit brauche; und dann begegnet es mir noch häufig, daß ich meine Zeche kaum zu bezahlen im Stande bin...«

Liefern diese wenigen Zeilen nicht den Beweis, wie bitter Columbus im Innern manchmal leiden mochte? Wie konnte er inmitten solcher drückenden Verhältnisse noch die für den Chef einer Expedition so nöthige Energie bewahren?

Während der ganzen Dauer des Sturmes fuhren die Schiffe längs jener Küste hin, welche successive die Namen der Küste von Honduras, Moskito, Nicaragua, Costa-Rica, Veragua und Panama führt. Die zwölf Limonares-Inseln wurden während dieser Fahrt entdeckt. Am 25. September endlich sucht Columbus zwischen der kleinen Insel la Huerta und dem Festlande [210] Zuflucht, reist dann am 5. October von Neuem ab und wirst, nach Aufnahme der Bai von Almirante, vor dem Dorfe Cariay Anker. Hier wurden die Schiffe ausgebessert und verweilten dieselben bis zum 15. October.

Christoph Columbus glaubte nun unsern der Mündungen des Ganges angelangt zu sein, und die Eingebornen, die von einer gewissen Provinz Ciguare sprachen, schienen diese Annahme zu bekräftigen. Sie sagten auch, daß diese Gegend reiche Goldminen besitze, deren hervorragendste etwa fünfundzwanzig Meilen südlicher zu suchen sei. Der Admiral stach also wieder in See und segelte an dem bewaldeten Ufer Veraguas weiter. Die Indianer dieses Theiles des Continents schienen sehr wilder Natur zu sein. Am 26. November lief die Flottille in den Hafen El Retrete, den heutigen Hafen des Escribanos, ein. Die von Würmern zernagten Schiffe befanden sich im elendsten Zustande; noch einmal mußte man ihre Havarien ausbessern und den Aufenthalt in El Retrete länger als beabsichtigt ausdehnen. Columbus verließ aber diesen Hafen nur, um einen noch schrecklicheren Sturm als alle vorhergehenden zu erleben. »Neun Tage hindurch, schreibt er, verzweifelte ich an jeder Möglichkeit einer Rettung. Noch nie sah Jemand ein wilderes, entsetzlicheres Meer; es war durchweg mit Schaum bedeckt; der Sturm erlaubte weder weiter zu segeln noch irgendwo an's Land zu gehen; er hielt mich auf offener See fest, wo das Wasser fast blutigroth aussah und zu sieden schien, als würde es durch Feuer er hitzt. Noch niemals bot mir der ganze Himmel einen grauenvolleren Anblick. Tag und Nacht im Feuer, schleuderte er ohne Unterlaß seine Blitze herab, und jeden Augenblick fürchtete ich, unsere Masten und Segel verloren gehen zu sehen. Der Donner rollte mit so furchtbarem Krachen, als sollte er unsere Schiffe zersprengen, und während der ganzen Zeit strömte ein so überaus heftiger Regen hernieder, daß man ihn eigentlich gar nicht mehr Regen, sondern nur eine zweite Sintfluth nennen konnte. Erschöpft von so vielen Beschwerden und Qualen, sehnten sich meine Matrosen fast nach dem Tode, dem Ende dieser Leiden. Die Schiffe waren an allen Seiten leck und die Boote, Anker, Seile und Segel alle rettungslos verloren.«

Während dieser langen und mühevollen Fahrt hatte der Admiral nahezu dreihundert Meilen zurückgelegt. Seine Mannschaft war am Ende ihrer Kräfte. Er mußte also daran denken, umzukehren und das Gestade von Veragua wieder zu erreichen suchen; da er für seine Schiffe aber augenblicklich keinen sicheren Zufluchtsort fand, so segelte er nur ein Stück weiter [211] nach dem Ausflusse des Bethlehem-Stromes, dem heutigen Yebra, in welchem er am Tage Epiphanias des Jahres 1503 vor Anker ging. Am andern Tage begann der Sturm von Neuem, und am 24. Januar rissen, in Folge plötzlichen Anschwellens, die Ankerkabel, so daß die Schiffe nur mit genauer Noth gerettet werden konnten.

Niemals setzte der Admiral inzwischen den Hauptzweck seiner Mission aus den Augen und unterhielt fortlaufende Verbindungen mit den Eingebornen. Der Cazike von Bethlehem zeigte sich ziemlich entgegenkommend und machte ihm von einem etwa fünf Meilen landeinwärts gelegenen goldreichen Districte Mittheilung. Christoph Columbus sandte in Folge dessen eine Abtheilung von sechzig Mann unter dem Befehle seines Bruders Barthelemy dahin ab. Der Weg führte über ein sehr hügeliges Land mit vielen und in solchen Windungen verlaufenden Flüssen, daß man einen derselben neununddreißigmal überschreiten mußte, ehe die Spanier das goldhaltige Gebiet erreichten, das sich als sehr groß erwies und bis über Gesichtsweite hinaus erstreckte. Gold fand sich hier in solchem Ueberfluß, daß ein Mann in zehn Tagen ein ganzes Maß voll sammeln konnte. In vier Stunden schon hatte Barthelemy mit seinen Leuten für eine ganz enorme Summe von diesem Metalle zusammengebracht. Dann kehrten sie zum Admiral zurück. Als dieser jenes vielversprechende Resultat erfuhr, beschloß er, an der Küste eine Niederlassung zu gründen und ließ zunächst einige hölzerne Baracken errichten.

Die Erzlager dieser Gegend bargen wirklich einen Reichthum ohne Gleichen; sie schienen unerschöpflich zu sein und um ihretwillen vergaß Columbus Cuba und St. Domingo. Ein Brief an König Ferdinand giebt seinem Enthusiasmus darüber in einer Weise Ausdruck, daß man unwillkürlich erstaunt, aus der Feder dieses großen Mannes folgende, weder eines Philosophen noch eines Christen würdige Sätze fließen zu sehen: »Gold! Gold! Ein prächtig Ding! Das Gold ist die Mutter der Reichthümer! Das Gold regiert die ganze Welt und seine Macht reicht oft allein hin, den Seelen das ihnen sonst verschlossene Paradies zu öffnen!«

Die Spanier arbeiteten also emsig, ihre Schiffe mit Gold zu befrachten. Bis dahin gestaltete sich ihr Verhältniß zu den Eingebornen recht friedlich, obgleich Letztere etwas wilder Natur zu sein schienen. Bald aber beschloß der Cazike, unwillig über die factische Besitznahme seines Landes, die Fremdlinge niederzumachen und ihre Wohnstätten in Brand zu stecken. Eines Tages [212] überfiel er die Spanier also mit ganz beträchtlichen Streitkräften. Es kam zu einem ernsthaften Treffen. Die Indianer wurden zurückgeworfen; der Cazike selbst war mit seiner ganzen Familie gefangen worden, doch gelang es ihm, sammt seinen Kindern zu entfliehen und sich mit vielen seiner Leute in die Gebirge zu retten. Später – im Laufe des Aprils – griff ein zahlreiches Indianerheer die Spanier noch einmal an, wurde von diesen aber zum größten Theile aufgerieben.

Inzwischen wurde Columbus' Gesundheitszustand immer schwankender. Zur Weiterfahrt fehlte ihm der günstige Wind. Er war der Verzweiflung nahe. Eines Tages fiel er vor Erschöpfung in Schlummer. Im Traume vernahm er, wie eine freundliche Stimme ihm folgende Worte zuflüsterte, die wir hier ohne Veränderung wiedergeben, denn sie sind charakteristisch wegen ihrer schwärmerischen Religiosität, welche das Bild des alten Seefahrers weiter vervollständigt. Jene Worte lauteten:

»O, Du Thor! Was zögerst Du so sehr, an Deinen Gott zu glauben und ihm, dem Beherrscher des Weltalls, zu dienen? Was hat er für Moses und David, seinen Diener, mehr als für Dich gethan? Erwies er Dir nicht von Geburt an die zärtlichste Fürsorge, und hat er nicht, als Du in das Alter kamst, seine Absichten durchzuführen, Deinem Namen Ruhm verliehen in allen Landen? Gab er Dir nicht Indien, diesen reichsten Theil dieser Welt? Hat er es Dir nicht anheim gegeben, dasselbe zu verschenken, an wen Du wolltest? Wer anders als Er lieh Dir die Mittel, seine Pläne auszuführen? Noch war der Eingang zum Ocean verschlossen und Keiner vermochte dessen Riegel zu brechen. Dir hat er die Schlüssel dazu gegeben. Deine Macht erkannten die fernen Lande und Dein Ruhm glänzte durch die ganze Christenheit. Erwies Gott seinem Volke Israel etwa mehr Gnade, als er es aus Egypten führte? Oder goß er seine Gunst reichlicher aus über David, als er ihn vom Hirten zum König über Juda erhob? Wende Dein Antlitz zu ihm und erkenne Deinen Irrthum, denn sein Erbarmen ist ohne Grenzen. Dein Alter soll kein Hinderniß sein für die große Zukunft, die Deiner noch harrt, er hält das Schicksal ja in seiner Hand. War Abraham nicht hundert Jahre alt und auch Sarah schon über die erste Jugend hinaus, da Isaak geboren wurde? Du rufst nach einer unsicheren Hilfe. Antworte mir: Wer hat Dich so vielen und großen Gefahren ausgesetzt? War es Gott oder die Welt? Was Gott einmal versprochen, das [213] weigert er seinen Dienern niemals. Er schützt, wenn Jemand ihm einen Dienst geleistet, nicht eine Ausrede vor, daß dieser nicht ganz nach seinem Willen gehandelt habe, und er giebt seinen Worten niemals später eine andere Auslegung; er bemüht sich nimmermehr, einem Acte der Willkür ein schönes Gewand umzuhängen. An seinen Reden ist nicht zu deuteln; Alles, was er verspricht, hält er gewißlich. So handelte er von Ewigkeiten her. Ich habe Dir Alles gesagt, was der Schöpfer für Dich gethan hat; jetzt zeigt er Dir den Preis und die Belohnung für alle Mühen und Gefahren, denen Du Dich im Dienste Anderer unterzogst.« Und ich (setzt Columbus hinzu), obwohl von Leiden gemartert, hörte zwar die ganze Rede, doch ich konnte die Kraft nicht finden, auf diese so sicheren Versprechungen zu antworten; ich begnügte mich, meine Irrthümer zu beweinen. Jene Stimme sprach zuletzt noch die Worte: »Hoffe, fasse Vertrauen; Deine Arbeiten wird die gerechte Nachwelt in Marmor schreiben!«

Sobald er einigermaßen wiederhergestellt war, dachte Columbus daran, diese Insel zu verlassen. Er hätte hier zwar gern eine dauernde Niederlassung gegründet, doch war seine Mannschaft nicht zahlreich genug, um einen Theil derselben ohne Gefahr am Lande zurücklassen zu können. Die vier Caravellen waren von Würmern zerfressen. Eine derselben mußte in Bethlehem zurückgelassen werden, als er zu Ostern unter Segel ging. Kaum dreißig Meilen im Meere, sprang noch eines von den Fahrzeugen leck. Der Admiral mußte eiligst nach der Küste zurückkehren und gelangte glücklich nach Porto-Bello, wo er jenes Schiff, dessen Havarien sich als unverbesserlich erwiesen, einfach stehen ließ. Die Flottille bestand jetzt nur noch aus zwei Caravellen ohne Boote, fast ohne Proviant, und dazu hatte sie einen Weg von über 700 Meilen vor sich. Sie segelte längs der Küste hinauf, am Hafen El Retrete vorüber, entdeckte die Gruppe der Mulatas und drang in den Golf von Darien ein. Das war der östlichste von Columbus erreichte Punkt.

Am 1. Mai begab sich der Admiral auf den Weg zur Insel Espagnola; am 10. war er in Sicht der Caï mans-Inseln, vermochte aber nicht gegen den heftigen Wind aufzukommen, der ihn nach Nordwesten, bis in die Nähe von Cuba verschlug. Hier verlor er bei einem Sturme, der ihn inmitten von Untiefen überfiel, seine Segel und Anker, auch stießen die Fahrzeuge während der Nacht wiederholt auf den Grund. Dann warf ihn der Sturm nach Süden zurück und er kam mit seinen halbzertrümmerten Schiffen nach [214] Jamaica, wo er am 23. Juni in den Hafen San Gloria, die spätere Bai Don Christoph, einlief. Der Admiral trachtete zwar, nach Espagnola zu kommen; dort fanden sich die nöthigen Hilfsmittel, seine Schiffe wieder in Stand zu setzen, während solche auf Jamaica gänzlich fehlten; doch seine von Würmern zerfressenen Caravellen, »welche eher Bienenstöcken glichen«, waren nicht in dem Zustande, mit ihnen die Ueberfahrt von dreißig Meilen zu wagen. Wie konnte er aber an Ovando, den Gouverneur der Insel Espagnola, sonst einen Boten abfertigen?

Da die Caravellen an allen Seiten Wasser schluckten, mußte sie der Admiral auf den Strand setzen; dann suchte er in das Leben auf dem Lande einige Ordnung zu bringen. Die Indianer kamen ihm anfangs zu Hilfe und lieferten der Mannschaft die nöthigen Lebensmittel. Die armen, so schwer geprüften Matrosen verhehlten ihren Unmuth gegen den Admiral nicht länger; sie singen an zu murren, während der unglückliche, durch Krankheit herabgekommene Columbus sein Schmerzenslager nicht zu verlassen vermochte.

Unter diesen Umständen machten zwei muthige Officiere, Mendez und Fieschi, dem Admiral den Vorschlag, auf Piroguen der Indianer die Ueberfahrt von Jamaica nach Espagnola zu wagen. Thatsächlich war das eine Reise von zweihundert Meilen, da sie auch noch längs der Küste bis zum Hafen der Kolonie hinfahren mußten. Die unerschrockenen Officiere erklärten sich jedoch bereit, allen Gefahren zu trotzen, da die Rettung oder der Untergang aller ihrer Gefährten auf dem Spiele stand. Christoph Columbus verstand diesen kühnen Vorschlag, den er unter anderen Umständen gewiß selbst ausgeführt hätte, und ermächtigte Mendez und Fieschi, abzureisen. Der Admiral blieb nun ohne Schiffe, fast ohne alle Nahrungsmittel, mit seinen Leuten auf der wilden Insel zurück.

Bald steigerte sich das Elend der Schiffbrüchigen – so kann man sie ja wohl nennen – so sehr, daß eine Empörung ausbrach. Geblendet durch ihre traurige Lage, redeten sich die Leute ein, ihr Chef wage nicht, nach dem Hafen von Espagnola zurückzukehren, in den ihm der Gouverneur Ovando schon früher den Eintritt verweigert hatte. Sie glaubten, dieses Verbot treffe sie mit dem Admiral gleichmäßig, und wenn der Gouverneur der Flottille die Häfen der Kolonie verschloß, so könne er nur auf königlichen Befehl handeln. Diese thörichten Anschauungen erhitzten die schon unruhigen Köpfe noch mehr und am 2. Januar 1504 stellten sich der Kapitän einer der Caravellen und der Schatzmeister der Flottille, zwei Brüder Namens Porras, an die Spitze der Unzufriedenen.


Der Admiral mußte die Caravellen auf den Strand setzen. (S. 215.)

Sie verlangten nach Europa zurückzukehren, und [215] stürmten das Zelt des Admirals mit dem Rufe: »Nach Castilien! Nach Castilien!«

Columbus war krank und lag zu Bette. Seine Brüder und sein Sohn traten vor, ihn mit dem eigenen Leibe zu schützen. Beim Anblick des [216] bejahrten Admirals hielten die Empörer ein und legte sich die frühere Wuth. Seine Darlegungen und Rathschläge wollten sie jedoch nicht hören, und nicht einsehen, wie sie ihr Heil nur darin finden könnten, daß jeder Einzelne unbeirrt seine Pflicht erfülle und für das allgemeine Wohl arbeite. Ihr Entschluß, die Insel sobald als möglich und mit Benützung jedes sich nur darbietenden Mittels zu verlassen, stand einmal fest. Porras und die anderen Unzufriedenen liefen also nach dem Strande; hier bemächtigten sie sich mehrerer Canots der Eingebornen und begaben sich nach dem östlichen Ende der Insel. Dort plünderten sie, blind vor Wuth und alle Rücksichten vergessend, die Indianer-Wohnungen, indem sie den Admiral für ihre Gewaltthätigkeiten verantwortlich machten, und schleppten selbst verschiedene Eingeborne mit in die geraubten Boote. Porras segelte dann mit seinen Angehörigen davon; Alle wurden aber, als sie kaum einige Meilen in See waren, von einem plötzlichen Windstoße überfallen und in große Gefahr gebracht, so daß sie zur Erleichterung ihrer Boote die Gefangenen einfach in's Meer warfen. Nach diesem unmenschlichen Acte versuchten die Canots die Insel Espagnola zu erreichen, wie es vordem Mendez und Fieschi gelungen war, wurden aber unwiderstehlich nach der Küste von Jamaica zurück verschlagen.

Inzwischen gelang es dem, mit den Kranken und seinen Freunden zurückgebliebenen Admiral, die Ordnung in seiner kleinen Welt wieder herzustellen. Doch das Elend nahm noch weiter zu. Der Hunger drohte immer ernstlicher. Die Eingebornen wurden es überdrüssig, diese Fremden, deren Aufenthalt auf ihrer Insel sich mehr, als ihnen lieb war, verlängerte, noch ferner mit Nahrung zu versorgen. Dazu hatten sie wohl gesehen, daß die Spanier selbst untereinander uneinig waren und sich bekämpften, wodurch ihr Ansehen eine merkbare Einbuße erlitt. Die Urbewohner überzeugten sich endlich, daß die Europäer auch nur gewöhnliche Menschen seien und verloren damit ebenso den Respect wie die frühere Furcht vor jenen. Columbus' Autorität und Einfluß verminderten sich gegenüber der indianischen Bevölkerung von Tag zu Tag, und es bedurfte eines glücklichen Zufalles, den der Admiral geschickt benützte, um ihm das zur Rettung der Seinigen so nothwendige Ansehen wiederzugeben.

In nächster Zeit sollte eine von Columbus vorhergesehene und berechnete Mondfinsterniß stattfinden. Am Morgen desselben Tages ließ Columbus die [217] Caziken der Insel zu einer Besprechung zu sich bitten Diese folgten der Einladung, und als sie in Columbus' Zelte versammelt waren, kündigte der Admiral ihnen an, daß Gott, um sie für ihr ungastliches Benehmen und die lieblosen Maßregeln gegen die Spanier zu bestrafen, ihnen am nächsten Abend das Licht des Mondes entziehen werde. Die Vorhersage traf denn auch in allen Stücken ein. Der Erdschatten zog über den Mond, dessen Scheibe durch irgend ein furchtbares Ungeheuer geröthet erschien. Erschreckt warfen sich die Wilden Columbus zu Füßen mit der Bitte, sich beim Himmel für sie zu verwenden, wofür sie ihm Alles versprachen, was sie nur immer besäßen. Nach einigem schlau berechneten Zögern stellte sich Columbus, als gäbe er dem Flehen der Eingebornen nach. Unter dem Vorwande, zur Gottheit zu beten, verschloß er sich während der ganzen Dauer der Finsterniß in sein Zelt und erschien erst wieder, als das Phänomen sich zu Ende neigte. Dann verkündigte er den Caziken, daß der Himmel ihn erhört habe, und befahl mit weitausgestreckten Armen dem Monde, nun auch wieder zu leuchten. Bald trat die glänzende Scheibe aus dem Schattenkegel hervor und leuchtete das Gestirn der Nacht wieder in gewohnter Pracht. Von diesem Tag erkannten die Eingebornen die Uebermacht des Admirals an, welche ihnen die himmlischen Mächte so zweifellos vor Augen geführt hatten.

Während dieser Vorkommnisse auf Jamaica hatten Mendez und Fieschi längst ihr Ziel erreicht. Die kühnen Officiere waren, nach einer wunderbaren, vier Tage langen Fahrt in einem zerbrechlichen Canot auf der Insel Espagnola angekommen. Dem Gouverneur machten sie sofort Meldung von der verzweifelten Lage Columbus' und seiner Genossen. Der gehässige und ungerechte Ovando hielt die beiden Officiere zunächst in Gewahrsam und sandte unter dem Vorwande, sich erst über den wahren Sachverhalt zu unterrichten, nach achtmonatlichem Zögern einen ihm ergebenen, gegen den Admiral aber besonders eingenommenen Mann, einen gewissen Diego Escobar, nach Jamaica ab. Daselbst angelangt, wollte Letzterer mit Columbus selbst gar nicht sprechen und ging nicht einmal an's Land; er begnügte sich, für die nothleidenden Mannschaften »ein Schwein und ein Fäßchen Wein« an das Ufer bringen zu lassen, und reiste, ohne irgend Jemand an Bord zu empfangen, sofort wieder ab. Wohl mag sich der bessere Mensch dagegen sträuben, solche Gemeinheit für möglich zu halten, und doch stehen ähnliche Fälle nicht vereinzelt da!

[218] Der Admiral war empört über diese grausame Verhöhnung, doch er ereiferte sich weder, noch dachte er deshalb an Rache. Escobar's Erscheinen diente den Schiffbrüchigen doch zu einiger Beruhigung, da es ihnen bewies, daß ihre Lage wenigstens bekannt sein müsse. Ihre Erlösung konnte also nur eine Frage der Zeit sein, eine Ueberzeugung, welche den Muth und das Vertrauen der Spanier nicht wenig auffrischte.

Der Admiral wollte nun versuchen, Porras und die übrigen Europäer, welche seit ihrem Entweichen nur verwüstend durch die Insel streiften und die abscheulichsten Greuelthaten gegen deren unglückliche Bewohner begingen, wieder zu sich heranzuziehen. Er ließ ihnen also verkündigen, daß sie straflos zurückkehren könnten. Die Verführten beantworteten dieses edelmüthige Anerbieten aber nur dadurch, daß sie Columbus selbst in seinem Lager überfielen. Die der Sache der Ordnung treu gebliebenen Spanier mußten zu den Waffen greifen und vertheidigten ihren Führer mannhaft. Sie verloren nur einen einzigen der Ihrigen bei diesem traurigen Zusammentreffen, blieben aber die Herren des Kampfplatzes und hatten sogar die beiden Gebrüder Porras gefangen genommen. Nun warfen sich die Empörer Columbus zu Füßen, der in Anbetracht dessen, was sie zu erleiden gehabt hatten, großherzig genug war, ihnen auch jetzt noch zu verzeihen.

Endlich ein volles Jahr nach der Abfahrt Mendez' und Fieschi's, kam das von diesen auf Columbus' Kosten ausgerüstete Schiff an, das die Schiffbrüchigen heimführen sollte.

Am 24. Juni 1504 gingen Alle an Bord, verließen Jamaica, den Schauplatz so vielen moralischen und physischen Unglücks, und segelten nach Espagnola.

Nach glücklicher Ueberfahrt im Hafen daselbst angelangt, wurde Christoph Columbus zur größten eigenen Verwunderung mit allen Ehrenbezeugungen empfangen. Der Gouverneur Ovando, ein viel zu schlauer Mann, als daß er sich dem Ausdrucke der öffentlichen Meinung nicht gefügt hätte, begrüßte den Admiral selbst. Diese guten Beziehungen sollten indessen nicht lange anhalten. Bald begannen wieder die alten Nergeleien. Columbus, der sich erniedrigt, ja fast mißhandelt sah, konnte und wollte das nicht mehr ertragen, miethete deshalb zwei Fahrzeuge, deren Führung er mit seinem Bruder Barthelemy theilte, und schlug am 12. September 1504 zum letzten Male den Weg nach Europa ein.

[219] Diese vierte Reise hatte die geographische Wissenschaft mit den Inseln der Caïmanen, Martinique, den Limonaren und Gunaja, der Küste von Honduras, Mosquito, Nicaragua, Veragua, Costa-Rica, Porto-Bello, Panama, den Mulatas-Inseln und dem Golfe von Darien bereichert.

Noch einmal sollte ein Sturm Columbus bei seiner letzten Reise über den Ocean heimsuchen. Sein Schiff wurde arg zugerichtet und die Besatzung mußte sich auf das Fahrzeug seines Bruders retten. Am 19. October zerbrach ein Orkan auch noch den Großmast des letzteren, das nun noch 700 Meilen mit seinem mangelhaften Segelwerk zurücklegen sollte. Am 7. November endlich lief der Admiral in den Hafen von San-Lucar ein.

Hier wartete seiner bei der Rückkehr eine höchst betrübende Nachricht. Seine Beschützerin, die Königin Isabella, war unlängst gestorben. Wer interessirte sich nun ferner für den alten Genuesen?

Der undankbare und neidische König Ferdinand empfing den Admiral sehr frostig. Er machte ihm allerlei Mißgriffe und Nachlässigkeiten zum Vorwurf, indem er hoffte, dadurch von den mit eigener Hand feierlichst unterzeichneten Verträgen freizukommen, und schlug Columbus schließlich eine kleine Stadt in Castilien, Camon de los Condes, als Austausch für seine Titel und Würden vor.

Solcher Undank und solch' illoyales Verfahren lasteten schwer auf dem Greise. Sein tief erschütterter Gesundheitszustand besserte sich niemals wieder und der Kummer führte ihn in's Grab. Am 20. Mai 1506 athmete er in Valladolid seinen Geist aus mit den letzten Worten: »Herr, in Deine Hände befehle ich meinen Leib und meine Seele!«

Christoph Columbus' sterbliche Ueberreste wurden zuerst in dem Kloster der Franziskaner beigesetzt und im Jahre 1513 nach dem Karthäuserkloster in Sevilla übergeführt. Es scheint aber, als sei dem großen Seefahrer auch im Tode noch keine Ruhe gegönnt gewesen, denn im Jahre 1536 ward sein Leichnam nach der Kathedrale von St. Domingo geschafft. Eine locale Ueberlieferung behauptet, daß nach Unterzeichnung des Vertrages von Basel im Jahre 1795, wonach die spanische Regierung den östlichen Theil von St. Domingo abtrat, jene die Ueberführung der Asche des großen Reisenden nach Havanna zwar angeordnet, ein Domherr bei dieser Gelegenheit aber die Ueberreste eines Anderen für die Christoph Columbus' untergeschoben habe und letztere noch im Chor der genannten Kathedrale, zur Linken des Altars, ruhen sollen.

[220] In Folge der Maßnahmen des genannten Domherrn, den hierzu entweder ein Gefühl von Local-Patriotismus oder auch die Hochachtung vor Columbus' letztem Willen, wonach er sich St Domingo als Begräbnisplatz erwählt hatte, bewegen mochte, besäße Spanien also nicht die Asche des größten Länder-Entdeckers selbst, sondern wahrscheinlich nur die seines Bruders Diego.

Ein am 10. September 1877 in der Kathedrale von St. Domingo aufgefundener bleierner Behälter mit menschlichen Gebeinen und der Aufschrift, daß darin die sterblichen Ueberreste des »Entdeckers« von Amerika aufbewahrt seien, scheint die oben mitgetheilte Ueberlieferung nach allen Seiten zu bestätigen.

Mag aber der Leib Christoph Columbus' in St. Domingo oder in Havanna ruhen – was liegt daran? Sein Name und sein Ruhm leben ja überall fort.

8. Capitel
1.
I.

Covilham und Païva. – Vasco da Gama. – Das Cap der Guten Hoffnung wird umschifft. – Sam Braz, Mozambique, Mombaz und Melinde. – Ankunft in Calicut. – Verrath des Zamorin. – Kämpfe. – Rückkehr nach Europa. – Der Scorbut. – Tod Paul da Gama's. – Ankunft in Lissabon.


Gleichzeitig während Johann II., König von Portugal, Diaz aussendete, um im Süden Afrikas einen Weg nach Indien zu finden, gab er den Edelleuten seines Hofes den Auftrag, zu erforschen, ob es nicht möglich sei, auf einem leichteren, kürzeren und sichereren Wege dahin zu gelangen, wobei ihm die Landenge von Suez, das Rothe Meer und der Indische Ocean vorgeschwebt zu haben scheinen.

Natürlich verlangte eine solche Mission einen geschickten und unternehmenden Mann, der mit den Schwierigkeiten einer Reise in jenen Gegenden bekannt und der orientalischen Sprachen, mindestens des Arabischen, mächtig war. Er brauchte einen geschmeidigen, verschlossenen Agenten, der im Stande war, auf keine Weise seine Absichten zu verrathen, welche auf nichts Geringeres [221] hinausliefen als darauf, den Muselmanen, Arabern und dadurch in letzter Reihe den Venetianern den asiatischen Handel zu entreißen und diesen Portugal zuführen.

Ein erfahrener Seemann, Pedro von Covilham, der unter Alphons V. im castilischen Kriege mit Auszeichnung gedient, hatte sich auch ziemlich lange Zeit in Afrika aufgehalten. Nach ihm richtete Johann II. seine Blicke. Man gab ihm Alonzo de Païva zum Begleiter mit, und Beide reisten, mit eingehenden Instructionen ebenso versehen wie mit einer nach der Weltkarte des Bischofs Calsadilla entworfenen Specialkarte, nach der man Afrika vollständig sollte umsegeln können, von Lissabon im Mai 1487 ab.

Die beiden Reisenden erreichten Alexandria und Kairo, wo sie das Glück hatten, maurische Kaufleute aus Fez und Tlemcen zu begegnen, welche ihnen bis nach Thor, dem alten Asiongaber, am Fuße des Sinaï, das Geleite gaben, wo sie sehr werthvolle Erkundigungen über den Handel von Calicut einzuziehen vermochten.

Covilham beschloß, diesen glücklichen Umstand zu benutzen, um ein Land zu besuchen, auf welches Portugal schon seit einem Jahrhundert lüsterne Blicke geworfen hatte, während Païva in die bis dahin sehr unvollkommen beschriebenen Länder, welche man unter dem Namen Aethiopien zusammenfaßte, ein dringen und jenen berühmten Priester Johann aufsuchen wollte, der nach Aussage früherer Reisender über einen besonders reichen und fruchtbaren Theil Afrikas regieren sollte. Ohne Zweifel kam Païva bei seinem abenteuerlichen Unternehmen um's Leben, denn man hat später nie wieder das Geringste von ihm gehört.

Covilham seinerseits erreichte Aden, von wo aus er sich nach der Malabar-Küste einschiffte. Nach einander besuchte er nun Cananor, Calicut, Goa und sammelte höchst wichtige Nachrichten über den Handel und die Erzeugnisse der dem Indischen Meere benachbarten Länder, ohne auch nur einen Verdacht der Hindu zu erregen, welche weit entfernt waren, zu glauben, daß der wohlwollende und freundliche Empfang, den sie dem einzelnen Reisenden zu Theil werden ließen, den Untergang und die Unterjochung ihres Vaterlandes zur Folge haben könne.

Covilham, der für seine Heimat immer noch nicht genug geleistet zu haben glaubte, verließ nun Indien und setzte nach der Ostküste Afrikas über, wo er Mozambique, das wegen seiner Goldminen, von denen vielfache Gerüchte [222] durch arabische Kaufleute bis Europa gedrungen waren, weit berühmte Sofala, und Zeila, den Avalites pontus der Alten, und die Hauptstadt der Küste von Aden, beim Uebergange des Arabischen Golfes in das Meer von Oman besuchte. Nach längerem Aufenthalte daselbst kehrte er zurück nach Aden, damals dem wichtigsten Handelsplatze des Orientes, drang von hier aus bis Ormuz, am Eingange des persischen Meerbusens vor, und begab sich endlich wieder, das Rothe Meer hinaufsegelnd, nach Kairo zurück.

Dorthin hatte Johann II. zwei wohlunterrichtete Juden gesendet, um Covilham zu erwarten. Dem Einen derselben, dem Rabbiner Abraham Beja, überlieferte dieser seine Notizen, das Tagebuch seiner Reise und eine Karte von Afrika, die ihm ein Muselman gegeben hatte, mit dem Auftrage, das Ganze so schnell als möglich nach Lissabon zu schaffen.

Er selbst wagte sich, noch immer nicht zufrieden mit seinen bisherigen Leistungen und in der Absicht, das Vorhaben durchzuführen, an dem Païva durch einen vorzeitigen Tod gehindert worden war, nach Abessinien hinein, dessen Negus (d. i. Kaiser), eben jener Priester Namens Johann, ihn mit größtem Wohlwollen empfing, da es ihm schmeichelte, seine Allianz von einem der damals mächtigsten Herrscher Europas gesucht zu sehen, und vertraute ihm sogar eine hervorragende Stellung an seinem Hofe an, hinderte ihn aber, um sich seiner Dienste für immer zu versichern, stets daran, das Land zu verlassen. Obwohl Covilham sich verheiratete und auch Kinder hatte, dachte er doch immer an sein Vaterland zurück, und als im Jahre 1525 eine portugiesische Gesandtschaft unter Führung von Alvares nach Abessinien gekommen war, sah er seine Landsleute nur mit größtem Bedauern wieder scheiden und der Caplan der Expedition machte sich auf sehr naive Weise zum Echo seiner Klagen und seines Schmerzes.


Vasco da Gama. (Facsimile. Alter Kupferstich.) (S. 225.)

»Indem er, sagt Ferdinand Denis, über die Möglichkeit der Umschiffung Afrikas sehr bestimmte Angaben lieferte, den richtigen Weg nach Indien zeigte, von dem Handel jener Länder positive und eingehende Berichte übersandte und die Goldminen von Sofala beschrieb, was natürlich die Begierde Portugals reizte, trug Covilham sehr wirksam zur Beschleunigung der Expedition Vasco da Gama's bei.«

Wenn man alten Traditionen Glauben schenken darf, obwohl dieselben durch kein authentisches Document bekräftigt wurden, so stammte Vasco da Gama in illegitimer Seitenlinie von Alphons III., König von Portugal, ab [223] Sein Vater, Estevam Eanez da Gama, Groß-Alcalde von Sines und Silves im Königreiche Algarbien und Commandant von Seixal, nahm am Hofe Johanns II. eine sehr hohe Stellung ein. Sein Ruf als Seefahrer war ein so großer, daß dieser König, noch als der Tod an ihn herantrat, daran dachte, ihm den Befehl über die Flotte zu übergeben, welche er nach Indien senden wollte.

[224] Aus seiner Ehe mit Isabella Sodre, einer Tochter Johannes von Resende, dem Proveditore der Befestigungen von Santarem, entsprossen mehrere Kinder und unter diesen Vasco, der als der Erste nach Umschiffung des Caps der Guten Hoffnung nach Indien kam, und Paul, der ihn bei dieser denkwürdigen Expedition begleitete. Man weiß zwar, daß Vasco da Gama in Sines das Licht der Welt erblickte, kennt die Zeit seiner Geburt aber nicht mit Bestimmtheit.


Indische Barken. (Facsimile. Alter Kupferstich.) (S. 228.)

Gewöhnlich nimmt man das Jahr 1469 als [225] Geburtsjahr desselben an, doch außer, daß Gama noch sehr jung gewesen wäre (er hätte nur achtundzwanzig Jahre zählen können, als man ihm das wichtige Commando einer Expedition nach Indien anvertraute), hat man vor einigen zwanzig Jahren überdies in spanischen Archiven einen im Jahre 1478 ausgestellten Geleitsbrief für zwei Persönlichkeiten, Namens Vasco da Gama und Lemos, zur Reise nach Tanger aufgefunden. Es ist sehr unwahrscheinlich, daß man einen solchen Geleitsschein für ein Kind von neun Jahren ausgefertigt hätte; das Datum seiner Geburt wird also nothwendig weiter zurückzuverlegen sein.

Vasco da Gama scheint sehr frühzeitig schon für die Seemanns-Carrière bestimmt gewesen zu sein, in der auch sein Vater sich ausgezeichnet hatte. Der erste Geschichtsschreiber Indiens, Lopez de Castañeda, berichtet, daß er sich die Sporen auf den Meeren Afrikas erworben habe.

Es ist auch bekannt, daß er den Auftrag erhielt, sich aller in portugiesischen Häfen ankernden französischen Schiffe zu bemächtigen, als Repressalie für die mitten im Frieden erfolgte Wegnahme einer von Mina zurückkehrenden reichbeladenen portugiesischen Gallione durch französische Corsaren.

Eine solche Mission konnte nur einem thatkräftigen, energischen und durch frühere Erfolge erprobten Kapitän anvertraut werden. Für uns ist es der Beweis, wie hoch der Werth und die Geschicklichkeit Gama's bei dem König in Ehren stand.

Zu jener Zeit etwa heirathete er Catarina de Ataïda, eine der ersten Hofdamen, die ihn mit mehreren Kindern beschenkte, darunter Estevam da Gama, der spätere Gouverneur von Indien, und Don Christovam, der durch seinen in Abessinien geführten Krieg gegen Ahmed Guerad, genannt der Linke, und durch sein romantisches Ende unter die berühmten Abenteurer des 16. Jahrhunderts gezählt zu werden verdient.

Wir verdanken es einem in der öffentlichen Bibliothek zu Porto aufgefundenen Documente – ein Document, das Castañeda kennen mußte und von dem Ferdinand Denis die Uebersetzung in den Voyageurs anciens et modernes von E. Charton mittheilte – daß über die Zeit der ersten Reise Gama's ein Zweifel nicht mehr aufkommen kann.

Man darf deren Anfang mit aller Sicherheit auf Sonnabend den 8. Juli im Jahre 1497 ansetzen. Alle Einzelheiten der seit langer Zeit geplanten Expedition waren bis in's Kleinste vorgesehen und geregelt.

[226] Sie sollte aus vier Fahrzeugen mittlerer Größe bestehen, »um, sagt Pacheco, möglichst überall ein- und auslaufen zu können«. Solid gebaut, führten sie alles Segelwerk und Takelage zu dreimaligem Ersatz bei sich, die Wasser-, Wein- und Oeltonnen erhielten starke eiserne Reisen; Provisionen jeder Art, Mehl, Wein, Gemüse, Arzneimittel, Schießbedarf, Alles wurde im Ueberfluß mitgenommen; dazu bildeten die besten Matrosen, die geschicktesten Lootsen und die erfahrensten Kapitäne das Personal des Geschwaders.

Gama, der den Titel »Capitam mōr« erhalten hatte, hißte seine Flagge auf dem »Sam-Gabriel« von 190 Tonnen. Sein Bruder, Paula da Gama, befehligte den »Sam-Raphael« von 100 Tonnen. Eine Caravelle von 50 Tonnen, der »Berrio«, sogenannt zur Erinnerung an den Piloten Berrio, der jenen an Emanuel I. verkauft hatte, wurde vom Kapitän Nicolas Coelho, einem weit erfahrenen Seemann, geführt. Eine große Barke endlich mit Provisionen und verschiedenen Waaren, die zum Tauschen mit den Eingebornen der zu besuchenden Länder bestimmt waren, hatte Pedro Nuñez zum Befehlshaber.

Pero de Alemquer, der schon Bartholomäus Diaz als Pilot diente, sollte den Kurs der Expedition bestimmen.

Die Mannschaft der Flotte, darunter zwei Verbrecher, welche man eingeschifft hatte, um sie bei besonders gefahrvollen Gelegenheiten zu verwenden, zählte 160 Mann.

Welch' kleine Mittel, welche fast lächerlichen Hilfsquellen im Vergleich zu der Mission, welche diese erfüllen sollten!

Mit den ersten Sonnenstrahlen des 8. Juli begiebt sich Vasco da Gama, gefolgt von seinen Officieren, mitten durch eine ungeheure Volksmenge nach den Schiffen. Ihn umringt eine große Zahl von Mönchen und Weltgeistlichen, welche Hymnen singen und den Segen des Himmels für die kühnen Reisenden herabflehen.

Diese Abfahrt von Rastello muß sich zu einer ergreifenden Scene gestaltet haben, da bei ihr Alle, die Betheiligten wie die Zuschauer, ihre Gesänge, Ausrufe, ihre Abschiedsworte und Thränen vermischten, während die von günstigem Winde geschwellten Segel Gama und das Glück von Portugal nach dem hohen Meere entführten.

Eine große Caravelle und eine kleinere Barke, welche nach Mina bestimmt waren, segelten unter dem Befehl Bartholomäus Diaz in Gesellschaft der Flotte Gama's.

[227] Am folgenden Sonnabend befanden sich die Schiffe in Sicht der Canarischen Inseln und verbrachten die Nacht bei Lancerote. Als sie auf die Höhe des Rio de Ouro kamen, trennte ein Nebel Paulo da Gama, Coelho und Diaz von der übrigen Flotte. Bei dem bald darauf erreichten Grünen Vorgebirge vereinigte man sich von Neuem. In Santiago wurden die Provisionen an Fleisch, Wasser und Holz erneuert und die Schiffe nach allen Seiten wieder in besten Zustand gesetzt.

Am 3. August verließ die Flotte den Strand von Santa Maria. Die Reise verlief ohne besondere Zwischenfälle, und am 4. November warf man an der Küste Afrikas in einer Bucht Anker, welche den Namen Santa Ellena erhielt. Dort verweilte man acht Tage, um Holz einzunehmen und an den Fahrzeugen Alles wieder in Ordnung zu bringen. Ebenda sah man auch zum ersten Male Boschis, eine sehr herabgekommene Race, die sich von dem Fleische der Seewölfe und Walfische, sowie von Wurzeln nährte. Die Portugiesen bemächtigten sich einiger Eingebornen und behandelten sie sehr freundlich. Diese Wilden kannten von keiner Waare, die man ihnen vorlegte, den Werth und Preis, sie sahen sie offenbar zum ersten Male, ohne von deren Anwendung etwas zu wissen. Das Einzige, was sie zu schätzen schienen war das Kupfer, und sie trugen auch kleine Ringe aus diesem Metalle in den Ohren. Dagegen bedienten sie sich der Zagaien, d. i. eine Art kleiner Wurfspieße mit im Feuer gehärteter Spitze, ziemlich geschickt, wie drei oder vier Matrosen und sogar Gama selbst erfahren mußten, als sie einen gewissen Velloso aus ihren Händen befreien wollten, der sich unkluger Weise zu weit in das Land hinein gewagt hatte – ein Zwischenfall, der Camoëns den Stoff zu einer der reizendsten Episoden seiner Luisiade geliefert hat.

Beim Auslaufen aus Santa Ellena erklärte Pero de Alemquer, der frühere Pilot Diaz', daß er noch dreißig Meilen vom Cap entfernt zu sein glaube. Da man indessen nicht wissen konnte, ob sich das wirklich so verhielt segelte man in die offene See hinaus, und erst am 18. November befand sich die Flotte in Sicht des Caps der Guten Hoffnung, das sie schon am anderen Tage mit günstigem Winde umsegelte. Am 25. landeten die Schiffe in der Bai von Sam-Braz, wo sie dreizehn Tage verblieben, während welcher Zeit man das Provisionsschiff demolirte und dessen Inhalt auf die anderen drei Schiffe vertheilte.

[228] Die Portugiesen schenkten den Boschis kleine Schellen und andere Gegenstände, die sie jene mit Erstaunen annehmen sahen, denn zur Zeit der Reise Diaz' hatten sich die Neger sehr furchtsam, ja sogar feindselig erwiesen und dem Einnehmen von Wasser mit Steinwürfen zu wehren gesucht. Jetzt führten sie sogar Ochsen und Schafe herbei, und um ihre Befriedigung über den Aufenthalt der Portugiesen an den Tag zu legen, »begannen sie, sagt Nicolas Velho, ein Concert mit vier oder fünf Flöten, deren einige sehr hohe, andere tiefe Töne gaben, und machten eine bei Negern wenigstens unerwartet erträgliche Musik. Dazu tanzten sie auch, wie Neger eben tanzen, und der (Capitam mõr ließ dazu mit Trompeten blasen und wir in unserer Schaluppe tanzten auch und derCapitam mõr tanzte, als er zu uns zurückgekehrt war, ebenfalls mit«.

Was sagt nun der Leser über dieses kleine Fest und das gegenseitige Ständchen, das sich Portugiesen und Neger gaben? Hätte Jemand erwartet, daß Gama, der so ernste Gama, wie die Porträts uns seine Erscheinung überliefern, die Neger in die Reize des Pfauentanzes habe einweihen können? Leider dauerten diese guten Verhältnisse nicht allzu lange und es bedurfte zuletzt sogar einiger Artillerie-Salven, um feindliche Demonstrationen zurückzuweisen.

In der Bai von Sam-Braz pflanzte Gama einen Padrao auf, der jedoch sofort nach seiner Abfahrt wieder zerstört wurde. Bald hatte man den Rio Infante, den äußersten von Diaz erreichten Punkt, überschritten. Da machte sich die Wirkung einer mächtigen Meerströmung fühlbar, die man jedoch bei dem gerade recht günstigen Winde zu überwinden vermochte. Am 25. December, am ersten Weihnachtsfeiertage, wurde die Küste von Natal entdeckt.

Die Fahrzeuge hatten einige Havarie erlitten und das Wasser fing an zu fehlen, so daß man bald anlaufen mußte, was die Flotte denn auch am 10. Januar 1498 that. Die Schwarzen, welche die Portugiesen schon bei ihrer Ausschiffung zu Gesicht bekamen, waren weit größer als die bisher gesehenen. Sie führten als Waffe einen großen Bogen mit langen Pfeilen und eine mit Eisenspitze versehene Zagaie, und gehörten zu dem Stamme der Kaffern, welche den Boschis in jeder Weise überlegen schienen. Bald entwickelten sich mit ihnen übrigens so gute Beziehungen, daß Gama der Küste den Namen des »Landes der guten Nation« (Terra da boa Gente) gab.

[229] Beim weiteren Hinaufsegeln längs des Ufers besuchten zwei muselmanische Kaufleute, deren einer einen Turban, der andere eine Kapuze von grünem Atlas trug, die Portugiesen mit einem jungen Manne, der, »so viel man aus ihren Zeichen verstehen konnte, einem sehr entfernten Lande angehörte und schon so große Schiffe wie die unsrigen gesehen habe«. Vasco da Gama hielt dies für den Beweis, daß er sich den so lange und so eifrig gesuchten Ländern Indiens näherte; er nannte deshalb den Strom, der an dieser Stelle in's Meer fiel, »Rio dos Boms Signaez« (der Strom der guten Vorzeichen). Unglücklicher Weise traten unter der Besatzung gleichzeitig die ersten Symptome des Scorbuts auf, der sehr bald eine große Anzahl Matrosen auf's Lager streckte.

Am 10. März ankerte die Expedition vor der Insel Mozambique. Dort erfuhr Gama durch seine arabischen Dolmetscher, daß sich unter den Einwohnern mohammedanischen Ursprungs eine gewisse Anzahl Kaufleute befanden, welche mit Indien Handel trieben. Gold und Silber, Tuche und Gewürze, nebst Perlen und Rubinen bildeten die Hauptgegenstände ihrer Geschäftsthätigkeit. Gleichzeitig erhielt Gama die Versicherung, daß er beim weiteren Hinaufsegeln längs der Küste eine Menge Städte finden werde, »worüber wir, schreibt Velho in seinem so naiven und doch überaus werthvollen Berichte, so entzückt waren, daß wir vor Freude weinten und Gott nur um Gesundheit baten, um das auch noch zu sehen, was wir so heiß herbeigewünscht hatten«.

Der Vicekönig Colyptam, der es mit Muselmanen zu thun zu haben glaubte, erschien mehrmals an Bord der Schiffe, wo man ihn auf das Beste bewirthete; er erwiderte diese Höflichkeiten durch verschiedene Geschenke und sandte Gama sogar zwei tüchtige Piloten; als er durch maurische Kaufleute, die in Europa gereist waren, aber erfahren hatte, daß diese Fremdlinge keineswegs Türken, sondern die schlimmsten Feinde der Mohammedaner seien, versuchte der Vicekönig, aus Aerger darüber, daß er sich so getäuscht habe, Alles, um sich jener zu bemächtigen und sie umzubringen. Gama mußte sogar Artillerie auf die Stadt richten und drohte, Alles in Grund und Boden schießen zu lassen, nur um das nöthige Wasser zur Fortsetzung der Reise noch einnehmen zu können. Es kam zum Blutvergießen, wobei Paolo da Gama zwei Barken eroberte, deren reiche Ladung unter die Matrosen vertheilt wurde.

[230] Gama verließ diese ungastliche Stadt am 29. März und setzte seine Reise fort, wobei er die arabischen Piloten jedoch auf's Schärfste überwachen und sogar peitschen lassen mußte.

Am 4. April bekam man die Küste in Sicht und er reichte am 8. Mombaca oder Mombaz, eine Stadt, welche nach Versicherung der Lootsen von Christen und Muselmanen bewohnt sein sollte.

Die Flotte warf vor dem Hafen derselben Anker, ging aber trotz der enthusiastischen Aufnahme, welche ihr zu Theil ward, nicht weiter hinein. Schon dachten die Portugiesen daran, mit den Christen der Insel die Messe zu hören, als sich dem Admiralschiffe in der Nacht eine von hundert Bewaffneten besetzte Zavra näherte, deren Insassen dasselbe mit aller Gewalt besteigen wollten, was ihnen jedoch verwehrt wurde.

Obwohl der König von Mombaz recht wohl wußte, was in Mombaz geschehen war, stellte er sich doch unwissend, sandte Geschenke an Gama, machte ihm das Anerbieten, in der Hauptstadt eine Niederlassung zu gründen, und versicherte, daß er eine Ladung Gewürze und aromatische Droguen einnehmen könne, wenn er in den Hafen einliefe. Ohne etwas Böses zu ahnen, schickte der Capitam mõr sofort zwei Mann ab, um sein Einlaufen für den folgenden Tag anzuzeigen. Schon lichtete man die Anker, ließ sie aber, da das Admiralschiff nicht wenden wollte, wieder herabfallen. In einer reizenden und hochpoetischen Dichtung sagt Camoëns, daß es die Nereïden, von Venus, der Beschützerin der Piloten, geführt, gewesen seien, welche die Schiffe abhielten, hier in den Hafen einzulaufen. In diesem Augenblick verließen alle Mauren, welche sich auf den portugiesischen Schiffen befanden, die Flotte, während die Lootsen aus Mozambique sich direct in's Meer stürzten.


Bai von Mozambique. (Facsimile. Alter Kupferstich.)

Zwei Mauren, welche man der Tortur mittelst siedenden Oeles unterwarf, gestanden, daß man sich der Portugiesen, sobald sie in den Hafen gekommen wären, habe bemächtigen wollen. Im Laufe der Nacht versuchten die Mauren wiederholt an Bord zu klettern und die Ankertaue zu zerschneiden, um die Schiffe stranden zu lassen, wurden aber stets rechtzeitig entdeckt und vertrieben. Der Aufenthalt in' Mombaz konnte unter diesen Verhältnissen nicht von langer Dauer sein; dennoch wurde er so lange ausgedehnt, bis alle Scorbutkranken genesen waren.

Acht Meilen vom Lande fing die Flotte eine mit Gold, Silber und Proviant reich beladene Barke ab. Am nächsten Tage kam sie in Melinde, einer reichen, blühenden Stadt, an, deren in den Sonnenstrahlen blinkende, vergoldete Minarets und blendend weiße Moscheen sich scharf von dem tiefblauen Himmel abhoben.

[231] [234]Die anfangs sehr kühle Aufnahme – man wußte hier von der vorhergegangenen Wegnahme der Barke – wurde bald eine recht herzliche, als die nöthigen Erklärungen über diese Angelegenheit gegeben worden waren. Der Sohn des Königs machte dem Admiral mit einem Gefolge seiner Frauen einen Besuch und brachte auch Musiker mit, welche verschiedene Instrumente spielten. Am meisten erstaunte derselbe über den Gebrauch und die Wirkung der Kanone, denn die Erfindung des Pulvers war zu jener Zeit auf der Ostküste Afrikas noch nicht bekannt. Ein feierlicher Vertrag wurde auf das Evangelium und den Koran beschworen und durch prächtige gegenseitige Geschenke besiegelt.


Karte der Ostküste von Afrika. (Facsimile. Alter Kupferstich.)

Der böse Wille, die Nachstellungen und Schwierigkeiten jeder Art, welchen die Flotte bisher begegnet war, verschwanden nun wie durch Zauberschlag, was nur der Offenherzigkeit und Generosität des Königs von Melinde und der Hilfe, die er den Portugiesen gewährte, zuzuschreiben war.

Treu seinem Vasco da Gama gegebenen Versprechen, sandte der König diesem einen Lootsen aus Guzara, Namens Malemo Cana, einen in der Seefahrt gut bewanderten Mann, der sich der Karten, des Compasses und Quadranten zu bedienen wußte und der Expedition die wichtigsten Dienste leistete.

Nach einem Aufenthalte von neun Tagen lichtete die Flotte die Anker, um nach Calicut zu gehen.

Jetzt mußte man auch auf die Gewohnheit der Küstenfahrer, immer längs des Ufers zu segeln, verzichten. Nun galt es, auf dem unendlichen Ocean der Gnade des Höchsten zu vertrauen, ohne jeden anderen Führer, als einen unbekannten Lootsen, der von einem König geschickt worden war dessen Wohlwollen das Mißtrauen der Portugiesen nicht ganz zu besiegen vermocht hatte.

Dank der Geschicklichkeit und Treue des Lootsen jedoch, wie der Freundlichkeit des Meeres und des Windes, der fortwährend ein günstiger blieb, landete die Flotte nach einer Fahrt von dreiundzwanzig Tagen und warf am folgenden Tage zwei Meilen unter Calicut Anker.

[234] Groß war die Freude an Bord. Endlich hatte man die reichen Wunderländer vor sich; Anstrengung, Gefahr und Krankheit, Alles ward vergessen; das Ziel so vieler und so langer Anstrengungen war ja errungen!

Wenigstens schien es doch so, denn noch galt es ja, sich der Schätze und reichen Erzeugnisse Indiens auch wirklich zu bemächtigen.

Kaum faßte der Anker den Grund, als schon vier Lootsen vom Ufer abstießen und um die Flotte herumglitten, als wollten sie die Matrosen einladen, an's Land zu gehen. Durch die Erfahrungen in Mozambique und Mombaz aber gewitzigt, sandte Gama einen der miteingeschifften Verbrecher gewissermaßen als Plänkler voraus. Dieser sollte die ganze Stadt durchstreifen und sich von den Verhältnissen der Einwohner unterrichten.

Umringt von einer Unmasse Neugieriger und bestürmt mit Fragen, auf welche er nicht zu antworten vermochte, wurde dieser vor einen Mauren Namens Moucaïda geführt, welcher Spanisch sprach und dem er mit kurzen Worten den Zweck der Expedition auseinandersetzte.

Moucaïda begleitete ihn nach der Flotte zurück, und seine ersten Worte, als er die Fahrzeuge betrat, waren: »Gute Aussicht! Gute Aussicht! Viel Rubinen und Smaragde!« Von Stund an wurde Moucaïda als Dolmetscher der Flotte angestellt.

Da der König von Calicut damals fünfzehn Meilen von seiner Residenz entfernt wohnte, sandte der Capitam mõr zwei Leute, um ihn zu benachrichtigen, daß ein Gesandter des Königs von Portugal angelangt sei und Briefe von seinem Souverän mitbringe. Der König beorderte sofort einen Lootsen, die portugiesischen Schiffe nach der sicheren Rhede von Pandarany zu führen, und antwortete, daß er am nächsten Tage in Calicut zurück sein werde. Er beauftragte auch seinen Intendanten oder Catoual, Gama nach dem Lande einzuladen, um daselbst über seine Sendung zu verhandeln. Trotz der flehentlichen Bitten seines Bruders Paul da Gama, der ihm die Gefahren vorstellte, denen er sich selbst und im Falle eines Unglücks die ganze Expedition aussetzte, begab sich der Capitam mõr an's Land, wo ihn eine zahllose Volksmenge erwartete.

Der Gedanke, daß sie sich unter einem christlichen Volke befänden, wurzelte bei den Theilnehmern der Expedition so fest, daß Gama, als er einer Pagode ansichtig wurde, sogar eintrat, um daselbst seine Andacht zu verrichten. Einer seiner Begleiter, Juan de Saa, dessen Glauben die häßlichen [235] auf die Mauer gemalten Bilder einigermaßen erschüttert hatten, sagte jedoch mit lauter Stimme, indem er niederkniete: »Wenn das auch ein Teufel ist, so vermag ich dabei doch nur zu dem einzigen, wahren Gott zu beten!« eine Bemerkung, welche bei dem Admiral eine auffallende Heiterkeit hervorrief.

Nahe den Thoren der Stadt wurde die Volksmenge immer dichter. Gama und die Portugiesen hatten, trotz der Führung des Catoual, große Mühe, bis zu dem Palaste zu gelangen, wo der König, der in den Berichten den Titel »Zamorin« hat, sie mit äußerster Ungeduld erwartete.

Die Portugiesen wurden in einen mit Seidenstoffen und Tapeten prächtig geschmückten Saal geführt, in dem auserwählte, wohlriechende Harze glimmten, und fanden hier den Zamorin, der in prachtvoller Kleidung mit vielen Edelsteinen, Perlen und Diamanten von außerordentlicher Größe erschien.

Der König ließ ihnen Erfrischungen bringen und Sessel anweisen – eine hochzuschätzende Gunst in einem Lande, wo man nur auf der Erde liegend mit dem Herrscher desselben spricht – und ging auf Gama's Wunsch mit nach einem anderen Gemach, um die Motive der Gesandtschaft des Letzteren zu vernehmen und den Wunsch des Königs von Portugal, mit dem von Calicut einen Handels- und Allianz-Vertrag abzuschließen. Auf die Ansprache Gama's antwortete der Zamorin, daß er glücklich sein werde, sich als Bruder und Freund des Königs Emanuel zu betrachten und daß er als Erwiderung auch Gesandte nach Portugal schicken wolle.

Es giebt gewisse Sprichwörter, welche unter allen Zonen gleichmäßig wahr bleiben; eines derselben: »Die Tage folgen zwar aufeinander, gleichen sich aber nicht«, fand in Calicut sehr bald seine Bestätigung. Der bei dem Zamorin durch die gewandten Reden Gama's erregte Enthusiasmus und die ihm gemachte Hoffnung, mit Portugal in vortheilhafte Handelsverbindung zu treten, verschwanden alsbald angesichts der für ihn bestimmten Geschenke.

»Zwölf Stück gestreiftes Tuch, zwölf Mäntel mit scharlachrother Kapuze, sechs Hüte und vier Korallenzweige, begleitet von einer Kiste mit sechs Stück Becken, einer Kiste Zucker und vier Fässern, zwei mit Oel und zwei mit Honig«, bildeten allerdings kein besonders kostbares Angebinde. Bei dessen Anblick erklärte der erste Minister spöttisch, daß der ärmste Kaufmann von Mekka reichere Geschenke darbringe und daß der König niemals solch' lächerliche Kleinigkeiten annehmen werde. Empört über diese Verhöhnung, beeilte sich Gama, dem Zamorin einen Besuch abzustatten. Nur nach langem Harren, [236] mitten unter einer Menge von Leuten, die sich über ihn lustig zu machen schienen, wurde er bei dem Fürsten vorgelassen. Dieser warf ihm in verächtlichem Tone vor, daß er ja nichts zu bieten habe und doch der Vertreter eines mächtigen Königs zu sein behaupte. Gama antwortete mit großer Sicherheit und brachte die Briefe Emanuel's vor, welche in sehr schmeichelhaften Ausdrücken das bestimmte Versprechen enthielten, daß er viel Waaren nach Calicut senden werde. Der König, den diese Aussicht lockte, unterrichtete sich darauf eingehender von dem Umfange der Erzeugnisse und Hilfsquellen Portugals und erlaubte Gama, sich auszuschiffen, sowie seine Waaren zu verkaufen.

Dieser plötzliche Umschwung in den Anordnungen des Zamorin paßte aber den maurischen und arabischen Händlern, denen Calicut seine Blüthe verdankte, keineswegs. Sie konnten nicht mit kaltem Blute zusehen, daß diese Fremdlinge den bis jetzt in ihren Händen gebliebenen Handel zu eigenem Nutzen auszubeuten sich bemühten, und beschlossen, nichts unversucht zu lassen, um diese gefährlichen Concurrenten für immer von Indien fern zu halten. Ihre erste Sorge bestand nun darin, den Catoual für sich zu gewinnen. Diesem schilderten sie denn mit den düstersten Farben jene unersättlichen Abenteurer, jene frechen Räuber, welche im Grunde nur die Kräfte und die Hilfsquellen der Stadt auszukundschaften suchten, um später in großer Anzahl wiederzukehren, diese auszuplündern und Alles niederzumachen, was sich ihren Plänen widersetze.

An der Rhede von Pandarany angelangt, fand Gama kein einziges Boot vor, um ihn nach seinen Schiffen zu bringen, und mußte er deshalb auf dem Lande übernachten. Der Catoual verließ ihn niemals und bemühte sich ihm einzureden, daß er die Flotte näher an das Ufer legen solle, und als der Admiral dieses Ansinnen rundweg ablehnte, erklärte er ihn als Gefangenen. Damit zeigte er freilich eine grenzenlose Unkenntniß des Charakters Gama's.

Schnell wurden bewaffnete Boote ausgesendet, um sich der Schiffe zu bemächtigen; die Portugiesen aber, welche ihr Admiral heimlich von dem Vorgefallenen unterrichtet hatte, waren streng auf ihrer Hut und offene Gewalt wagte man doch nicht anzuwenden.

Gama, der noch immer gefangen gehalten wurde, drohte dem Catoual mit dem Zorne des Zamorin, der seiner Ansicht nach die Pflichten der Gastfreundschaft nicht so schwer verletzen lassen könne; da er sich aber von der [237] Erfolglosigkeit seiner Drohungen überzeugen mußte, beschenkte er den Minister mit einigen Stücken Tuch, welche dessen Maßnahmen sofort änderten. »Hätten die Portugiesen, sagte er, ihr dem König gegebenes Versprechen gehalten und ihre Waaren ausgeschifft, so wäre der Admiral schon längst zu seiner Flotte zurückgekehrt.« Gama ertheilte sofort Befehl dazu und richtete ein Comptoir unter Leitung Diego Diaz', des Bruders vom Entdecker des Caps der Guten Hoffnung, ein und ging darauf an Bord zurück.

Die Muselmanen suchten jedoch dem Verkaufe der Waaren allerlei Hindernisse dadurch in den Weg zu legen, daß sie dieselben zu niedrig schätzten, so daß Gama seinen Vertreter Diaz zu dem Zamorin sandte, um sich über die Perfidie der Mauren und über die schlechte, ihm zu Theil gewordene Behandlung zu beklagen. Gleichzeitig verlangte er die Verlegung seines Comptoirs nach Calicut, wo er für seine Waaren reichen Absatz hoffte. Das Gesuch fand entgegenkommende Aufnahme und es entwickelten sich, trotz der Angriffe der Mauren, recht leidliche Verhältnisse, die bis zum 10. August 1498 anhielten. An diesem Tage begab Diaz sich zum Zamorin, um die bevorstehende Abreise Gama's zu melden, sowie ihn an sein Versprechen wegen der nach Portugal zu schickenden Gesandtschaft zu erinnern und erbat er sich gleichzeitig je eine Probe aller Erzeugnisse des Landes, die aus dem Erlöse der ersten nach Abfahrt der Flotte verkauften Waaren bezahlt werden sollten, denn die Beamten des Comptoirs beabsichtigten, auch während der Abwesenheit Gama's, in Calicut zu bleiben.

Der Zamorin, den die arabischen Händler noch fortwährend aufhetzten, verweigerte nicht nur die Erfüllung seines Versprechens, sondern verlangte auch noch 600 Seraphin Zollgebühren. Gleichzeitig ließ er die vorhandenen Waaren mit Beschlag belegen und führte die Beamten der Factorei als Gefangene weg. Ein solcher Schimpf, eine solche Verletzung alles Völkerrechtes forderte strenge Vergeltung. Gama wußte sich aber zu beherrschen; doch als er an Bord den Besuch mehrerer reicher und angesehener Kaufleute empfing, hielt er diese zurück und verlangte vom Zamorin die Auswechslung der Gefangenen. Da die Antwort des Königs über die vom Admiral bestimmte Zeit ausblieb, so ging dieser unter Segel und warf vier Meilen von Calicut Anker. Nach einem wiederholten fruchtlosen Angriff der Hindus kamen die beiden Beamten der Factorei an Bord zurück und Gama wechselte dagegen einen Theil der in seiner Gewalt befindlichen Geiseln aus. Diaz brachte [238] einen von dem Zamorin selbst an den König von Portugal auf ein Pergamentblatt geschriebenen Brief mit. Wir geben diesen hier mit all' seinem auffallenden Lakonismus wieder, der von dem gewöhnlichen Pomp des orientalischen Styls so bemerkbar abweicht:

»Vasco da Gama, ein Mitbewohner Deines Palastes, kam in mein Land, worüber ich mich freute. In meinem Reiche giebt es viel Zimmet, Nelken und Pfeffer, sowie zahlreiche Edelsteine, und was ich aus Deinem Reiche wünsche, besteht in Gold, Silber, Korallen und Scharlach. Leb' wohl!«

Am anderen Tage suchte Moucaïda, der Maure von Tunis, der den Portugiesen als Dolmetscher Dienste bei ihren Verhandlungen mit dem Zamorin geleistet hatte, Obdach auf den portugiesischen Schiffen. Da die Waaren nicht zur festgesetzten Frist freigegeben worden waren, beschloß der Capitam mõr, mit den als Geiseln zurückbehaltenen Personen abzusegeln. Einige Meilen von Calicut aber wurde die Flotte durch eine totale Windstille aufgehalten, wo sie eine Flottille von zwanzig bewaffneten Barken nochmals zu überfallen suchte, so daß die Artillerie Mühe hatte, jene in angemessene Entfernung zurückzuweisen, bis ein heftiger Sturm sie nöthigte, nahe dem Lande Schutz zu suchen.



Der Admiral segelte längs der Küste von Dekkan hin und hatte einigen Matrosen Erlaubniß ertheilt, an's Land zu gehen, um Früchte zu holen und Zimmet zu sammeln, als er acht Boote bemerkte, welche auf ihn zuzusteuern schienen. Gama rief seine Leute an Bord zurück und fuhr den Hindus entgegen, welche nichts Eiligeres zu thun hatten, als die Flucht zu ergreifen, wobei sie eine mit Cocosnüssen und Lebensmitteln beladene Barke in den Händen der Portugiesen zurückließen.


Zusammenkunft des Zamorin mit Gama. (S. 236.)

Im Archipel der Lakediven angelangt, ließ Gama den »Berrio« am Boden reinigen und einfetten und sein eigenes Schiff an's Land legen, um es auszubessern. Die Matrosen waren mit dieser Arbeit beschäftigt, als sie noch einmal, doch auch jetzt nicht mit besserem Erfolge, angegriffen wurden. Da sahen sie am nächsten Tage einen einzelnen Mann von etwa vierzig Jahren auf sich zukommen, der zwar in der Tracht der Hindus erschien, ihnen jedoch im besten Italienisch mittheilte, daß er aus Venedig gebürtig, aber schon in zarter Jugend nach diesem Lande entführt worden sei und der christlichen Lehre anhänge, ohne Gelegenheit zu haben, seine Religion zu üben.[239] [241] Im Besitze einer einflußreichen Stellung bei dem Könige dieses Gebietes sei er zu ihnen geschickt worden, um ihnen Alles zur Verfügung zu stellen, was das Land nur für sie Passendes böte. Ein gegenüber dem gewohnten Empfange so überaus freundliches Anerbieten erregte den Verdacht der Portugiesen. Sie kamen bald auf den Gedanken, daß dieser Abenteurer der Anführer der Barken sein möge, die sie am vorhergegangenen Tage angegriffen hatten. Der Bursche erhielt als Antwort die Peitsche, bis er das Geständniß [241] ablegte, nur gekommen zu sein, um auszukundschaften, wie die Flotte wirksamer angegriffen werden könne, und gleichzeitig verrieth, daß die gesammte Bevölkerung der Küste sich verbunden habe, die Portugiesen abzufangen. Man behielt ihn demnach an Bord zurück; die nöthigen Arbeiten wurden möglichst beschleunigt und nach Einnahme einer hinreichenden Menge von Wasser und anderen Provisionen segelte man nach Europa ab.

Bis zur Küste von Afrika brauchte die Expedition in Folge von Windstillen und Gegenwinden drei Monate weniger drei Tage. Während dieser langen Ueberfahrt erkrankten viele Leute von der Mannschaft am Scorbut und starben sogar dreißig Matrosen. Auf jedem Fahrzeuge blieben nur noch sieben bis acht Mann zur Dienstleistung übrig und oft waren die Officiere selbst genöthigt, mit Hand anzulegen. »Weshalb ich versichern kann, sagt Velho, daß, wenn die Zeit, in der wir durch jene Meere fuhren, sich noch um vierzehn Tage verlängert hätte, Niemand von hier nach uns dort gesegelt wäre... und als die Kapitäne wegen dieser mißlichen Umstände eine Berathung abhielten, wurde beschlossen, für den Fall weiterer ungünstiger Winde nach Indien zurückzukehren und dort Zuflucht zu suchen.«

Am 2. Februar 1499 endlich befanden sich die Portugiesen in der Nähe einer großen Stadt an der Küste von Ajan mit Namen Magodoxo, etwa hundert Meilen von Melinde.

Gama befürchtete eine Wiederholung des Empfanges, wie er ihn von Mozambique her kannte, und wollte deshalb nicht beilegen, sondern feuerte nur im Vorübersegeln eine volle Breitseite bei der Stadt ab. Wenige Tage später bekam man die reichen und gesunden Gefilde von Melinde in Sicht, wo man vor Anker ging. Der König beeilte sich, frische Lebens mittel und Orangen für die Kranken zu senden. Der Empfang war mit einem Worte ein wahrhaft herzlicher und die bei dem ersten Besuche Gama's geknüpften Bande der Freundschaft schlossen sich jetzt nur noch mehr. Der Scheikh von Melinde sandte für den König von Portugal einen schönen Elephantenzahn und viele andere Geschenke mit; gleichzeitig bat er Gama, einen jungen Mauren an Bord aufzunehmen, damit der König durch ihn erfahre, wie sehr er seine Freundschaft wünsche.

Die fünf Ruhetage, welche die Portugiesen in Melinde zubrachten, gewährten ihnen eine namhafte Erleichterung, so daß sie mit frischem Muth wieder in See stachen. Kaum bei Monbaça vorüber, sahen sie sich gezwungen, [242] den Sam Raphael zu verbrennen, denn die Mannschaften waren zu sehr gelichtet, um drei Fahrzeuge zu bedienen. Sie trafen nun auf die Insel Zansibar, ankerten in der Bai von Sam Braz, umschifften, Dank einem günstigen Winde, am 20. Februar das Cap der Guten Hoffnung und befanden sich nun wieder im Atlantischen Ocean.

Eine anhaltende Brise schien die Rückkehr der Reisenden zu beschleunigen. In siebenundzwanzig Tagen hatten sie die Höhe der Insel von Santiago erreicht. Nicolaus Coelho, der den »Berrio« führte, trennte sich, da er darnach geizte, dem König Emanuel zuerst die Nachricht von der Entdeckung Indiens zu über bringen, am 25. April von dem Geschwader und segelte, ohne, wie verabredet war, die Insel des Grünen Vorgebirges anzulaufen, direct nach Portugal, wo er am 10. Juli anlangte.

Unterdessen durchlebte der arme Gama eine rechte Trauer- und Schmerzenszeit. Sein Bruder Paul da Gama, der alle Mühen und Gefahren mit ihm ausgestanden und mit ihm den erworbenen Ruhm so gern getheilt hätte, ging langsam seinem Ende entgegen. In Santiago, auf bekanntem und vielfach befahrenem Meere angekommen, überließ Vasco da Gama das Commando seines Schiffes an Joao de Saa und miethete eine schnellsegelnde Caravelle, um seinem geliebten Kranken die Gestade der Heimat desto eher begrüßen zu lassen.

Diese Hoffnung trügte und die Caravelle langte nur noch mit der Leiche des braven und liebenswürdigen Paul da Gama in Terceira an.

Bei seiner Rückkunft, welche in den ersten Tagen des September erfolgt sein mag, wurde der Admiral mit pompösen Festen empfangen. Von hundertsechzig Portugiesen, die er einst mitgenommen hatte, kamen freilich nur fünfundfünfzig wieder zurück. Gewiß war der Verlust ein großer, was bedeutete er aber gegenüber den unermeßlichen Vortheilen, die man sich von dem Unternehmen versprach! Die öffentliche Meinung täuschte sich nicht, als sie Gama eine hoch enthusiastische Aufnahme bereitete. Der König Emanuel I. fügte seinen eigenen bisherigen Titeln den eines »Herrn der Eroberung und Umschiffung Aethiopiens, Arabiens, Persiens und Indiens« hinzu; er zögerte aber zwei volle Jahre, bevor er auch Gama belohnte und ihm den Titel eines Admirals von Indien ertheilte, womit gleichzeitig die Erlaubniß verbunden war, seinem Namen ein »Dom« vorzusetzen, eine Begünstigung welche man damals nur sehr schwierig zugestand. Wahrscheinlich um sein [243] Zaudern, bezüglich der äußerlichen Anerkennung der Verdienste Gama's vergessen zu machen, schenkte er ihm noch eintausend Thaler, eine für die damalige Zeit sehr beträchtliche Summe, und gewährte ihm für den Handel mit Indien gewisse Privilegien, die ihn voraussichtlich bald weiter bereichern mußten.

2.
II.

Alvarez Cabral. – Entdeckung von Brasilien. – Die Küste Afrikas. – Ankunft in Calicut, Cochin, Cananor. – Joao de Nova. – Zweite Expedition Gama's. – Der König von Cochin. – Die Anfänge Albuquerque's. – Da Cunha. – Erste Belagerung von Ormuz. – Almeida, seine Siege, sein Handel mit Albuquerque. – Einnahme von Goa. – Belagerung und Einnahme von Malacca. – Zweiter Zug gegen Ormuz. – Ceylon. – Die Molukken. – Albuquerque's Tod. – Schicksale des portugiesischen Reiches in Indien.


Am 9. März 1500 verließ eine Flotte von dreizehn Schiffen Rastello unter dem Commando von Pedro Alvarez Cabral; zu ihr gehörte als Freiwilliger auch Luiz de Camoëns, der einst in seiner berühmten Luisiade den Muth und Unternehmungsgeist seiner Landsleute preisen sollte. Man weiß nur wenig von Cabral und versteht vorzüglich nicht, wie ihm der Oberbefehl bei dieser so wichtigen Expedition hat übertragen werden können.

Cabral stammte aus einer vornehmen portugiesischen Familie und war sein Vater Fernando Cabral, Herr von Zurara da Beira, Alcalde mõr von Belmonte. Pedro Alvarez hatte eine gewisse Isabel de Castro, eine Hofdame der Infantin Donna Maria, der Tochter Johann III., geheirathet. Machte sich Cabral vielleicht einen Namen durch irgend eine wichtige maritime Entdeckung? Das ist kaum zu glauben, da die Geschichtsschreiber seiner sonst gewiß erwähnten. Dennoch ist nur schwer anzunehmen, daß er der Hofgunst allein den Oberbefehl über eine Expedition verdankt habe, bei der Männer, wie Bartholomäo Diaz, Nicolaus Coelho, der Gefährte Gama's, und Sancho de Thovar ihm untergeordnet waren. Warum wurde nicht der vor sechs Monaten zurückgekehrte Gama mit dieser Mission betraut, der sich durch seine Kenntnisse der zu befahrenden Meere und der Sitte der Landesbewohner doch ganz besonders dafür zu eignen schien? Hatte er sich noch nicht von [244] seinen Strapazen erholt? Nagte der Schmerz über den Verlust des geliebten Bruders so sehr an ihm, daß er sich von der öffentlichen Wirksamkeit fernzuhalten wünschte? Oder sollte nicht vielmehr König Emanuel I., der auf Gama's Ruhm schon eifersüchtig war, ihm die Gelegenheit entzogen haben, seine Popularität noch weiter zu vergrößern? Hier liegen ebensoviele Probleme als Fragen vor, welche die Geschichte vielleicht niemals zu beantworten im Stande sein wird.

Man glaubt so leicht an die Erfüllung dessen, was man wünscht. Emanuel hatte sich eingebildet, der Zamorin von Calicut werde sich der Errichtung von Comptoirs und portugiesischen Factoreien in seinem Lande gar nicht widersetzen, und Cabral, der sehr werthvolle und prächtige Geschenke mitbrachte, um die Knausereien Gama's vergessen zu machen, erhielt den Auftrag, auszuwirken, daß Jener den Mauren in seiner Hauptstadt jede Handelsthätigkeit untersagen solle. Uebrigens wollte der neue Capitam mõr in Melinde vor Anker gehen, dem Könige die reichen Geschenke anbieten und den Mauren, der sich der Flotte Gama's angeschlossen hatte, wieder übergeben. Endlich sollten fünfzehn auf der Flotte mit eingeschiffte Geistliche in jenen fernen Gebieten Asiens die Kenntniß des Evangeliums verbreiten.

Nach dreizehntägiger Fahrt hatte die Flotte die Inseln des Grünen Vorgebirges passirt, als man gewahr wurde, daß das von Vasco d'Attaïda geführte Schiff weit zurückgeblieben sei. Man legte eine Zeit lang bei, um es abzuwarten, doch vergeblich, und so setzten denn die übrigen zwölf Fahrzeuge ihre Reise auf offener See fort und nicht mehr von einem Vorgebirge Afrikas zum anderen segelnd, wie es vorher besprochen gewesen war. Cabral hoffte dadurch die Windstillen zu vermeiden, welche die früheren Expeditionen im Golfe von Guinea immer so lange aufgehalten hatten. Vielleicht hegte der Capitam mõr, dem wie allen seinen Landsleuten ja die Entdeckungen Christoph Columbus' bekannt waren, die geheime Hoffnung, noch ein dem großen Seehelden entgangenes Land aufzufinden, wenn er etwas weiter nach Westen abwich.

Mochte nun die stürmische Witterung oder wirklich eine unausgesprochene Absicht es verschulden, jedenfalls segelte die Flotte keineswegs auf der Route, die man hätte einhalten müssen, um das Cap der Guten Hoffnung zu umschiffen, als man am 22. April einen hohen Berg und bald darauf eine lange Küstenreihe entdeckte, die den Namen Vera-Cruz erhielt, der später in [245] Santa-Cruz umgewandelt wurde. Dieses Land war Brasilien und die Stelle dieselbe, wo sich heutzutage Porto-Seguro erhebt.

Nach sorgfältiger Untersuchung der Küste durch Coelho betraten die Portugiesen den Boden Amerikas und fanden hier eine höchst milde Temperatur und eine Ueppigkeit der Pflanzenwelt, welche Alles, was man an den Gestaden Afrikas oder Malabars gesehen hatte, weit hinter sich ließ.

Die fast vollkommen nackten Eingebornen trugen auf der Hand einen gezähmten Papagei, etwa wie die großen Herren in Europa ihren Falken oder Sperber, und umringten die Neuangekommenen ohne jedes Zeichen von Furcht. Am Ostersonntag den 26. April ward angesichts der Indianer am Lande eine Messe celebrirt und nahm Cabral von jenem feierlich im Namen des Königs von Portugal Besitz. Am 1. Mai wurde ein großes Kreuz und ein Padrao am Ufer aufgepflanzt. Seine erste Sorge nach Beendigung dieser Formalität bestand darin, Caspard de Lemos nach Lissabon abzusenden, um die Entdeckung dieses reichen und fruchtbaren Gebietes zu verkünden. Lemos nahm gleichzeitig einen von Pedro Vaz de Canincha abgefaßten Bericht über die Expedition und ein wichtiges von Jao herrührendes astronomisches Document mit, welches jedenfalls die Lage der neuen Erwerbung angab. Vor dem Aufbruch nach Asien schiffte Cabral zwei Uebelthäter aus mit dem Auftrage, sich über die Hilfsquellen und Reichthümer des Landes, sowie die Sitten und Gebräuche der Eingebornen genau zu unterrichten.

Diese so klugen und vorsorglichen Maßnahmen bekundeten hinlänglich die Staatsklugheit und Scharfsichtigkeit Cabral's.

Am 2. Mai verlor die Flotte das Festland Brasiliens aus den Augen. Ueber diesen glücklichen Anfang der Reise erfreut, glaubten Alle auch an den weiteren und raschen Erfolg derselben, als acht Tage darauf die Erscheinung eines glänzenden Kometen die unwissenden, naiven Gemüther, die darin ein übles Vorzeichen sahen, mit Furcht und Schrecken erfüllte. Die weiteren Vorkommnisse sollten diesmal den Aberglauben bestätigen.

Es erhob sich nämlich ein entsetzlicher Sturm, berghoch stürzten sich die Wogen auf die Schiffe, während der Wind wüthend blies und der Regen in dichten Strömen herabfiel. Blickte die Sonne ja einmal durch den dichten Wolkenvorhang, der ihr Licht fast vollständig zurückhielt, so beleuchtete sie nur ein grauenvolles Bild. Das Meer erschien schwarz und fast schlammig, große, weiße Flocken lagerten auf den Wogen bis hinauf zu deren schaumigen [246] Kämmen, und während der Nacht schimmerten phosphorescirende Streifen auf der endlosen Fläche und bezeichneten das Kielwasser der Schiffe als eine feurige Straße.

Zweiundzwanzig Tage lang wurden die portugiesischen Fahrzeuge ohne Rast und Ruh' umhergeschleudert. Die erschreckten Matrosen fühlten sich zum Tode erschöpft, verlassen trotz aller Gebete und Gelöbnisse, und gehorchten ihren Officieren nur noch aus alter Gewohnheit. Schon am ersten Tage hatten sie ihr Leben verloren gegeben und erwarteten jeden Augenblick, verschlungen zu werden.

Als der Himmel sich endlich wieder aufhellte und die Wogen sich glätteten, glaubte die Besatzung jeden Schiffes nur allein noch übrig zu sein und suchte ängstlich nach den früheren Gefährten. Zur größten Freude, welche bald die traurige Wirklichkeit vergessen ließ, fanden sich drei Segler wieder zusammen. Acht andere fehlten. Bier derselben waren in den letzten Tagen des Sturmes durch eine riesige Trombe vernichtet worden. Eines von diesen commandirte Bartholomäo Diaz, der Entdecker des Caps der Guten Hoffnung. »Es war versenkt worden, sagte Camoëns, durch die empörten Wogen, die Vertheidiger des Reiches des Ostens, gegen die Völker des Westens, welche schon so manche Jahrhunderte nach dessen Reichthümern lechzten.«


Ansicht von Chuilva. (Facsimile. Alter Kupferstich.)

Während dieser Reihe von Stürmen hatte man das Cap umschifft und näherte sich nun mehr den Küsten Afrikas. Am 20. Juli wurde Mozambique signalisirt. Die Mauren zeigten sich jetzt entgegenkommender als bei der ersten Reise Gama's und sendeten den Portugiesen Lootsen zur Führung nach Quiloa, einer wegen ihres nach Sofala betriebenen Handels mit Goldpulver berühmten Insel. Daselbst fand Cabral noch zwei seiner Schiffe wieder, welche hierher verschlagen worden waren, und nachdem er durch rechtzeitige Abfahrt eine Verschwörung, in Folge welcher die Europäer alle ermordet werden sollten, vereitelt hatte, kam er ohne weiteren Unfall in Melinde an.

Das Verweilen der Flotte in diesem Hafen ward Veranlassung zu zahllosen Festen und Lustbarkeiten, und bald darauf fuhren die portugiesischen Schiffe, nachdem sie frisch verproviantirt und sorgsam ausgebessert worden waren, unter der Leitung tüchtiger Lootsen nach Calicut ab, woselbst sie am 13. December 1500 anlangten.

[247] [249]Diesmal erfuhren sie, Dank ihrer Respect einflößenden Bewaffnung und der reichen Geschenke, welche sie dem Zamorin darbrachten, einen ganz anderen Empfang, und schnell stimmte der wankelmüthige Fürst Allem zu, was Cabral von ihm verlangte: das ausschließliche Vorrecht des Handels mit Specereien und Gewürzen, sowie das Recht der Beschlagnahme derjenigen Fahrzeuge, welche diese Vorschrift übertreten würden. Eine Zeit lang verbargen die Mauren ihre Unzufriedenheit, als sie die Bevölkerung aber[249] hinlänglich aufgereizt zu haben glaubten, stürmten sie auf ein gegebenes Zeichen die von Ayres Correa geleitete Factorei und machten daselbst fünfzig Portugiesen, welche sie darin überraschten, nieder.


Cabral nahm feierlich Besitz von Brasilien. (S. 246.)

Die Wiedervergeltung ließ freilich nicht auf sich warten. Die im Hafen ankernden Schiffe wurden genommen, beraubt und vor den Augen der ohnmächtig zuschauenden Hindus verbrannt, die Stadt bombardirt und zur Hälfte zerstört.

Dann setzte Cabral seine Erforschung der Küste von Malabar fort und kam nach Cochin, dessen Rajah, ein Vasall des Zamorin, sich beeilte, mit den Portugiesen ein Bündniß zu schließen, und hastig die Gelegenheit ergriff, sich für unabhängig zu erklären.

Obwohl seine Flotte schon eine reiche Ladung eingenommen hatte, besuchte Cabral doch noch Cananor, wo er eine Allianz mit dem Rajah des Landes schloß, bald aber, voll Ungeduld, nach Europa zurückzukehren, unter Segel ging.

Als er der von dem Indischen Meere bespülten Küste Afrikas folgte, entdeckte er auch Sofala, das Gama's Nachforschung entgangen war, und kehrte am 13. Juli 1501 nach Lissabon zurück, wo ihm die Freude wurde, auch die beiden letzten Fahrzeuge wiederzufinden, die er schon verloren geglaubt hatte.

Man nimmt allgemein an, daß ihm damals ein, den wichtigen Ergebnissen dieser denkwürdigen Expedition entsprechender Empfang zu Theil geworden sei. Schweigen auch die zeitgenössischen Geschichtsschreiber vollständig über sein Leben nach der Rückkunft von Indien, so ist es doch neueren Nachsuchungen gelungen, sein Grab in Santarem aufzufinden, und ein glücklicher Fund Ferdinand Denis' beweist auch, daß er als Belohnung für seine glorreichen Dienste ebenso wie Vasco da Gama das Prädicat Dom zugestanden erhielt.

Während der Rückfahrt nach Europa hätte Alvarez Cabral einer Flotte von 40 Caravellen unter dem Befehl Joao da Novas begegnen können, abgesendet vom König Emanuel, um den Handelsbeziehungen, welche Cabral in Indien voraussichtlich angeknüpft hatte, einen erneuten Aufschwung zu geben. Diese neue Expedition umschiffte das Cap der Guten Hoffnung ohne Hinderniß, entdeckte zwischen Mozambique und Guiloa eine bis dahin unbekannte Insel, welche den Namen des Commandanten erhielt, und langte [250] glücklich in Melinde an, wo sie erst die in Calicut vorgekommenen Ereignisse erfuhr.

Da Nova nicht über hinreichende Streitkräfte, um den Zamorin zu züchtigen, verfügte, und da er nicht die Ehre der portugiesischen Waffen durch einen Mißerfolg schädigen wollte, begab er sich nach Cochin und Cananor, deren Tributär-Fürsten des Zamorin sich mit Alvez Cabral verbündet hatten. Schon trugen seine Schiffe eine Fracht von eintausend Centnern Pfeffer, fünfzig Centnern Ingwer und vierhundertfünfzig Centnern Zimmet, als er die Nachricht empfing, daß eine scheinbar von Calicut herkommende beträchtliche Flotte in feindlicher Absicht auf ihn heransegle.

Hatte sich da Nova mehr um den Handel als um den Krieg gekümmert, so erwies er sich in diesem kritischen Momente doch nicht weniger kühn und tapfer als seine Vorgänger. Trotz der offenbaren Ueberlegenheit der Hindus, nahm er das Gefecht auf und zerstreute, Dank seiner vortrefflichen Dispositionen und der verheerenden Wirkung seiner Artillerie, die feindlichen Schiffe, von denen er einzelne noch eroberte oder versenkte.

Vielleicht hätte er sich den Schrecken, den sein unerwarteter Sieg auf der ganzen Küste verbreitet hatte, und die augenblickliche Erschöpfung der Hilfsquellen der Mauren zunutze machen sollen, um sich durch einen kühnen Handstreich Calicuts zu bemächtigen.

Wir stehen jetzt aber diesen Ereignissen viel zu fern und kennen alle Einzelheiten zu wenig, um unparteiisch die Gründe beurtheilen zu können, welche da Nova veranlaßten, unverzüglich nach Europa zurückzukehren.

Bei diesem letzten Theile seiner Reise entdeckte er mitten im Atlantischen Ocean die kleine Insel St. Helena, an deren Auffindung sich eine merkwürdige Sage knüpft. Ein gewisser Fernando Lopez hatte, um ein Hindumädchen ehelichen zu können, seinem Glauben entsagen und Mohammedaner werden müssen. Beim Erscheinen da Nova's wünschte er, mochte er nun der Frau oder der Religion überdrüssig geworden sein, nach dem Vaterlande zurückzukehren, und nahm deshalb den alten Glauben wieder an. Bei dem zufälligen Besuche St. Helenas bat Lopez, um einem plötzlichen Gedanken, den er für göttliche Eingebung hielt, zu folgen, hier ausgesetzt zu werden, um, wie er sagte, seine abscheuliche Apostasie zu büßen und durch neue Bemühungen zum Wohle der Menschheit wieder gut zu machen. Diese Absicht erschien da Nova so löblich, daß er seine Zustimmung gab und ihm auf sein Verlangen auch [251] verschiedene Sämereien zu Früchten und Gemüsen überließ. Der sonderbare Eremit arbeitete übrigens an der Urbarmachung und Anpflanzung der Insel vier Jahre hindurch mit solchem Erfolge, daß die Schiffe bei der langen Reise zwischen Europa und der Südspitze Afrikas hier genügende Vorräthe fanden, um sich frisch zu verproviantiren.

Die einander folgenden Expeditionen Gama's, Cabral's und da Nova's bewiesen zur Evidenz, daß auf geordnete Handelsbeziehungen und einen regelmäßigen Waarenaustausch mit der Bevölkerung der Küste von Malabar, die sich immer und immer wieder gegen die Portugiesen verbunden hatte, nicht zu rechnen sei, so lange man ihre Unabhängigkeit und ihre Freiheit respectirte. Zu dem Handel mit den Europäern, den sie so energisch abwehrten, mußte man sie wohl oder übel zwingen, und zu dem Ende stehende Militär-Etablissements gründen, welche im Stande waren, die Unzufriedenen im Zaume zu halten und sich, wenn nöthig, selbst des Landes zu bemächtigen.

Wem aber sollte man eine so verantwortungsreiche Stellung übertragen? Die Wahl konnte nicht schwer sein, und einstimmig wurde auch Vasco da Gama als der geeignetste Mann bezeichnet, den Oberbefehl über die imposante Macht zu führen, welche bei dieser Gelegenheit entfaltet werden sollte.

Unter seinem unmittelbaren Commando hatte Vasco zehn Fahrzeuge; je fünf führten sein zweiter Bruder oder Vetter, Etienne da Gama und Vincent Sodres, denen Vasco jedoch als Oberbefehlshaber vorgesetzt war.

Die Ceremonien vor der Abfahrt von Lissabon trugen einen besonders ernsten und feierlichen Charakter. König Emanuel begab sich mit seinem ganzen Hofstaate und mitten unter einer ungeheuren Volksmenge nach der Kathedrale, wo er den Segen des Himmels für diese zu religiösen und militärischen Zwecken ausgerüstete Expedition herabflehte, und der Erzbischof selbst weihte die Gama übergebene Standarte ein Des Admirals erste Sorge war es, sich nach Sofala und Mozambique zu begeben, über welche Städte er sich gelegentlich seiner früheren Reise schwer zu beklagen hatte. Begierig, sich Nothhäfen und Verproviantirungsplätze zu beschaffen, richtete er hier Comptoirs ein und legte auch den ersten Grund zu Befestigungen. Von dem Scheikh von Guiloa zog er einen namhaften Tribut ein und segelte hierauf nach der Küste von Hindostan ab.

[252] Er befand sich auf der Höhe von Cananor, als er am 3. October 1502 ein Fahrzeug von großem Tonnengehalt in Sicht bekam, in dem er eine reiche Ladung vermuthete. Es war das der »Merri«, der von Mekka eine aus allen Theilen Asiens zusammengeströmte Pilgerschaar zurückführte. Gama griff das Schiff ohne alle Ursache an, eroberte dasselbe und überlieferte mehr als dreihundert Menschen, die jenes trug, einem grausamen Tode. Nur zwanzig Kinder blieben verschont und wurden nach Lissabon mitgenommen und getauft, später aber der portugiesischen Armee eingereiht. Dieses abscheuliche Blutbad, das man nur unter Berücksichtigung der Denkungsweise jener Zeit erklärlich findet, sollte Gama's Meinung nach auf die Hindus einen heilsamen Schrecken ausüben. Vergeblich. Jene häßliche und vollkommen nutzlose Grausamkeit hat nur einen Flecken auf den bis dahin so reinen Namen des großen Admirals geworfen.

Nach seiner Ankunft in Cananor hatte Gama eine Unterredung mit dem Rajah, in welcher er das Zugeständniß auswirkte, eine Factorei und ein Fort anzulegen; gleichzeitig ward ein Offensiv- und Defensiv-Vertrag abgeschlossen. Die nöthigen Arbeiter wurden angestellt und ein Factor eingesetzt, dann aber segelte der Admiral nach Calicut ab, um von dem Zamorin wegen seiner Illoyalität und der Ermordung der in der Factorei gefangenen Portugiesen Rechenschaft zu fordern.

Obwohl er von der Annäherung seiner furchtbaren Feinde Nachricht erhielt, traf der Rajah von Calicut doch keinerlei militärische Maßregeln zu seinem Schutze. Auch konnte Gama, als er vor der Stadt erschien, sich, ohne Widerstand zu finden, der am Hafen verankerten Schiffe bemächtigen und über hundert Gefangene machen; dann gewährte er dem Zamorin eine Frist von vier Tagen, den Portugiesen wegen Ermordung Correa's Genugthuung zu leisten und den Werth der bei jener Gelegenheit geraubten Waaren zu ersetzen.

Die zugestandene Frist war kaum abgelaufen, als auch schon die Körper von fünfzig Gefangenen an den Raaen der Schiffe schaukelten, wo sie den ganzen Tag über der Stadt zur Schau gestellt blieben. Gegen Abend schnitt man diesen ersten Opfern noch die Hände und Füße ab, welche nach der Stadt geschickt wurden, gleichzeitig mit einem Briefe und der Drohung des Admirals, daß er seine Rache nicht auf diese Execution beschränken werde. Unter dem Schutze der Nacht legten sich die Schiffe sehr nahe vor die Stadt[253] und beschossen dieselbe drei Tage lang. Man wird zwar niemals etwas über die Zahl der hierbei gefallenen Opfer erfahren, doch muß sie ohne Zweifel eine sehr große gewesen sein. Ohne Rücksicht auf Diejenigen, welche den Geschossen der Artillerie und den Kugeln der Musketen unmittelbar unterlagen, wurde eine große Menge Hindus entweder begraben unter den Ruinen der zusammenbrechenden Häuser oder kam bei der Feuersbrunst, welche einen Theil von Calicut zerstörte, elend in den Flammen um. Als einer der Ersten entfloh der Rajah aus seiner Hauptstadt, und that sehr wohl daran, denn sein Palast gehörte unter die demolirten Gebäude.

Endlich schlug Gama den Kurs nach Cochin wieder ein, nachdem er jene früher so wohlhabende und volksreiche Hauptstadt in einen Haufen von Trümmern verwandelt, seine Rache dadurch gekühlt hatte, und auch der Ueberzeugung geworden war, daß diese Action nicht ohne Nutzen sein werde. Doch ließ er aus Vorsicht und zur Fortsetzung der Blockade Vincent Sodres mit einigen Schiffen vor dem Hafen zurück.

Triumpara, der Herrscher von Cochin, theilte ihm mit, daß er vom Zamorin wiederholt gedrängt worden sei, sich das Vertrauen, welches die Portugiesen zu ihm hätten, zunutze zu machen, um sich derselben zu bemächtigen; der Admiral aber schenkte ihm als Anerkennung dieser Rechtlichkeit und Loyalität, die seinen Alliirten der Feindschaft des Rajah von Calicut aussetzte, bevor er mit einer reichen Ladung nach Lissabon absegelte, mehrere Schiffe, die ihm bis zur Ankunft eines neuen portugiesischen Geschwaders die nöthige Sicherheit verliehen.

Der einzige Zwischenfall, der Gama's Rückfahrt nach Europa unterbrach, war die Niederlage einer malabrischen Flotte, welche er unterwegs traf. Am 20. December 1503 langte er dann in der Heimat an.

Auch diesmal wurden die hervorragenden Dienste, die der große Mann seinem Vaterlande geleistet hatte, verkannt oder doch nicht so geschätzt, wie sie es verdienten. Er, der Grundsteinleger zu dem portugiesischen Kolonialreiche in Indien, bedurfte der Fürsprache des Herzogs von Braganza, um den Titel eines Grafen von Vidiguera zu erhalten, und blieb einundzwanzig Jahre lang ohne alle Verwendung. Es ist das wiederum ein Beispiel der so häufigen Undankbarkeit, welche immer gebrandmarkt zu werden verdient.

Kaum war Vasco da Gama nach Europa aufgebrochen, als der Zamorin den die Muselmanen, weil sie ihren früheren Handel mehr und mehr gefährde [254] sahen, immer aufreizten, in Pani seine Bundesgenossen versammelte, um den König von Cochin anzugreifen und ihn für die den Portugiesen gewährte Unterstützung zu bestrafen. Bei dieser Gelegenheit ward die Treue des unglücklichen Rajah auf eine sehr harte Probe gestellt. In seiner Hauptstadt von überlegenen Kräften belagert, sah er sich plötzlich auch der Hilfe Derjenigen beraubt, für die er sich im Grunde in diese Gefahren gestürzt hatte.

Sodres und einige seiner Hauptleute verließen den Posten, wo Ehre und Erkenntlichkeit sie auszuharren und, wenn nöthig, in den Tod zu gehen verpflichtet hätten, und gaben Triumpara einfach auf, um in der Gegend von Ormuz und am Eingang des Rothen Meeres zu kreuzen, wo sie darauf rechneten, daß ihnen in Folge der jährlichen Pilgerfahrten nach Mekka eine reiche Beute in die Hände fallen werde. Vergeblich stellte der portugiesische Factoreiverweser ihnen das Ehrlose eines solchen Benehmens vor; sie segelten nur um so eiliger ab, um sich dieser lästigen Beurtheilung zu entziehen.

Bald sah sich der König von Cochin von einigen seiner Unterthanen welche der Zamorin für sich gewonnen hatte, verrathen, seine Hauptstadt durch Sturm genommen und er mußte mit den wenigen treu gebliebenen Portugiesen auf einen uneinnehmbaren Felsen der Insel Viopia flüchten. Als er auf's Aeußerste bedrängt war, sandte der Zamorin ihm einen Emissär, der ihm im Namen seines Herrn Vergessen und Verzeihung zusicherte, im Falle er die Portugiesen auslieferte. Triumpara aber, dessen treues Aushalten gar nicht genug gerühmt werden kann, antwortete: »daß der Zamorin von seinem Rechte als Sieger Gebrauch machen solle, daß er recht gut wisse, welche Gefahren ihm drohten, daß es jedoch in keines Menschen Macht liege, ihn zum Verräther und Meineidigen zu machen«. Eine edlere Antwort konnte man auf die schmähliche Flucht und die Feigheit Sodres' nicht wohl ertheilen.

Letzterer kam zwar an der Straße von Bab-el-Mandeb an, fand daselbst aber durch einen fürchterlichen Sturm mit seinem Bruder den Tod. Das Schiff des Letzteren war auf die Klippen geworfen und zerschmettert worden; die Ueberlebenden sahen in diesem Ereignisse eine göttliche Strafe für ihr schändliches Benehmen, gingen unter Segel und begaben sich nach Cochin. Bei den Lakediven durch widrige Winde zurückgehalten, begegneten sie dort schon einem neuen portugiesischen Geschwader unter dem Befehl Francisco d'Albuquerque's. Dieser hatte Lissabon fast gleichzeitig mit seinem Vetter [255] [257]Alfonso, dem größten Seemann seiner Zeit, verlassen, welcher mit dem Titel eines Capitam mõr Anfang April 1503 von Belem abgefahren war.

Das Eintreffen Francisco d'Albuquerque's erlöste die Portugiesen wieder aus der durch Sodres Criminalverbrechen herbeigeführten schlimmen Lage und rettete mit einem Schlage ihren einzigen, treuen Alliirten Triumpara.


Karte der Küsten von Persien. (Facsimile. Alter Kupferstich.)

Die Belagerer entflohen, ohne nur weiteren Wider stand zu versuchen, beim Erblicken des Geschwaders der Portugiesen, und diese verwüsteten zur Vergeltung mit Hilfe der Streitkräfte des Königs von Cochin die ganze Küste von Malabar. In Folge dieser Ereignisse gestattete Triumpara seinen Verbündeten in seinen Staaten eine zweite Festung anzulegen und autorisirte sie auch, die Anzahl und den Umfang ihrer Comptoirs zu vergrößern. Gerade zu dieser Zeit traf nun Alfonso d'Albuquerque ein, der der eigentliche Begründer der portugiesischen Macht in Indien werden sollte. Diaz, Cabral und Gama hatten ihm die Wege gebahnt, Albuquerque aber war der Führer mit den großartigsten Plänen, der bald herauszufinden wußte, welches die wichtigsten Städte des Landes seien, deren man sich bemächtigen mußte, um die Herrschaft Portugals auf einer festen und dauernden Grundlage aufzubauen. Da Alles, was mit der Geschichte dieses hervorragenden, kolonisatorischen Genies in Verbindung steht, von Interesse ist, so flechten wir einige Worte über seine Familie, seine Erziehung und seine erste öffentliche Thätigkeit ein.

Alfonso d'Alboquerque oder d'Albuquerque erblickte das Licht der Welt im Jahre 1453 in Alhandra, sechs Meilen von Lissabon. Durch seinen Vater Gonçalo d'Albuquerque, Herr von Villaverde, stammte er, freilich illegitim, vom König Diniz ab, durch seine Mutter von den Menezes, den berühmten Forschungsreisenden. An den Hof Alfons' V. gebracht, genoß er daselbst eine ebenso vielseitige als für die damalige Zeit gründliche Bildung. Er studirte zunächst die großen Schriftsteller des Alterthums, was man auch an der Größe und Bestimmtheit seines Styls wieder erkennt, und Mathematik, von der er sich den ganzen Kreis des damaligen Wissens in diesem Fache aneignete. Nach mehrjährigem Aufenthalt in Afrika, und zwar in der, in Alfons V. Gewalt gefallenen Stadt Arzila, kehrte er nach Portugal zurück und wurde zum Oberstallmeister Johann's III. ernannt, dessen ganzes Dichten und Trachten darauf gerichtet war, den Namen und die Macht Portugals jenseits der Meere zu verbreiten. Offenbar lag in dem häufigen, durch seine Stellung herbeigeführten Beisammensein mit dem König der Grund dafür, [257] daß Albuquerque sich zu geographischen Studien hingezogen fühlte und nur noch von den Mitteln träumte, seinem Vaterlande die Indischen Reiche zu erwerben. Er hatte an einem Feldzuge zur Unterstützung des Königs von Neapel gegen den Einfall der Türken theilgenommen und im Jahre 1489 den Auftrag gehabt, die Festung Graciosa, an der Küste von Larache, zu entsetzen und zu vertheidigen.

Für Alfonso d'Albuquerque bedurfte es nur weniger Tage, sich über die thatsächliche Lage klar zu werden; er sah ein, daß der portugiesische Handel sich nur dann ausbreiten könne, wenn er sich auf Gebietserweiterungen stütze. Seine erste dahin zielende Bestrebung entsprach freilich nur der Unzulänglichkeit seiner Hilfsmittel; er belagerte nämlich Raphelin, aus dem er einen Waffenplatz für seine Landsleute zu machen gedachte, und begab sich selbst mit zwei Schiffen hinaus zur Auskundschaftung der Küste von Hindostan. Zu Wasser und zu Lande unerwartet angegriffen, wäre er dabei sicher unterlegen, als die Ankunft und das Miteingreifen seines Vetters Francisco dem Gefechte eine günstige Wendung gab und die Schaaren des Zamorin die Flucht ergreifen mußten. Die Folgen dieses Sieges waren sehr beträchtlich; er lieferte den Siegern eine ungeheure Beute und eine Menge kostbarer Steine in die Hände, wodurch die Habgier der Portugiesen natürlich nur noch mehr erregt wurde; gleichzeitig aber bestärkte er Albuquerque in seinen Absichten, zu deren Durchführung er freilich die Zustimmung des Königs und der Gewährung sehr umfänglicher Hilfsmittel bedurfte. Er reiste also nach Lissabon ab, wo er im Juli 1504 eintraf.

In dem nämlichen Jahre hatte der König Emanuel zum Zwecke der Errichtung einer regelrechten Regierung in Indien Tristan da Cunha schon das Patent als Vicekönig ertheilt; eine plötzliche Erblindung aber nöthigte diesen, von seinen Functionen abzustehen, bevor er diese noch angetreten hatte. Die Wahl des Königs fiel darauf auf Francisco d'Almeida, der in Begleitung seines Sohnes im Jahre 1505 absegelte. Wir werden bald sehen, welche Mittel dieser anwenden zu müssen glaubte, um seinen Landsleuten das dauernde Uebergewicht zu sichern.

Am 6. März 1506 verließen sechzehn Schiffe Lissabon unter dem Befehl Tristan da Cunha's, der inzwischen seine Sehkraft wieder erlangt hatte. Mit ihm reiste Alfonso d'Albuquerque, der ohne eigene Kenntniß davon seine Ernennung zum Vicekönig von Indien in der Tasche trug. Er sollte ein ihm [258] übergebenes versiegeltes Packet erst nach Ablauf von drei Jahren öffnen, wenn Almeida seinen Auftrag durchgeführt haben werde.

Die zahlreiche Flotte drang nach kurzem Aufenthalte bei den Inseln des Grünen Vorgebirges und der Entdeckung des Cap Saint Augustin in Brasilien, entschlossen in die noch unerforschten Theile des südlichen Atlantischen Oceans ein, und zwar so tief, sagen die zeitgenössischen Geschichtsschreiber, daß mehrere zu leicht gekleidete Matrosen erfroren und auch alle Uebrigen ihren Pflichten nur mit großer Mühe nachkommen konnten. Unter 37°8' südlicher Breite und 14°21' westlicher Länge entdeckte da Cunha drei kleine unbewohnte Inseln, deren größte noch heute seinen Namen trägt. Stürmische Witterung machte eine Landung unmöglich und zerstreute die ganze Flotte so vollständig, daß sich die einzelnen Schiffe erst vor Mozambique wieder zusammenfanden. Bei der Fahrt längs der Küste von Afrika lief er die Insel Madagascar oder Sam-Lorenzo an, welche Sodres als Befehlshaber einer Flotte von acht Schiffen, die Almeida nach Europa zurückschickte, entdeckt hatte, konnte sich aber nicht dazu entschließen, hier eine Niederlassung zu gründen.

Nach der Ueberwinterung in Mozambique schiffte er in Melinde drei Abgesandte aus, welche auf dem Landwege nach Abessinien zu kommen suchen sollten; ferner ankerte er vor Brava, dessen Unterwerfung Cotinho, einer seiner Unterbefehlshaber, nicht zu erzwingen vermochte. Die Portugiesen sahen sich also genöthigt, die Stadt förmlich zu belagern, und wenn diese auch einen heldenmüthigen Widerstand leistete, so mußte sie doch dem Muthe und der vollkommeneren Bewaffnung ihrer Gegner zuletzt unterliegen. Die Bevölkerung ward ohne Schonung hingemordet, die Stadt selbst aber den Flammen überliefert.

In Magodoxo, noch immer an der Küste Afrikas, versuchte da Cunha, jedoch vergeblich, seine Autorität zur Anerkennung zu bringen. Die starken Befestigungen der Stadt, deren zahlreiche Bevölkerung sich sehr entschlossen vertheidigte, und die Annäherung des Winters zwangen ihn, die Belagerung aufzuheben. Er wandte nun seine Waffen gegen die Insel Socotora, am Eingange des Golfes von Aden, deren Festungswerke er einnahm. Die ganze Besatzung mußte über die Klinge springen, und nur ein alter blinder Soldat, den man in einem Brunnen versteckt gefunden hatte, blieb dabei verschont Denen, die ihn fragten, wie er habe da hinabsteigen können, erwiderte er:

[259] »Die Blinden können keinen anderen Weg sehen, als den, der zur Freiheit führt!«

In Socotora erbauten die beiden portugiesischen Anführer das Fort von Coco, das nach d'Albuquerque's Anschauungen dazu bestimmt war, den Golf von Aden und das Rothe Meer durch die Straße von Bab-el-Mandeb zu beherrschen, indem es einen der von den Afrikanern bei dem Handel mit Indien am meisten benutzten Seewege verlegte.

An diesem Punkte trennten sich da Cunha und d'Albuquerque, der Erste ging nach Indien ab, um dort eine Ladung Gewürze zu erlangen, der Zweite, jetzt der officielle Capitam mõr und ganz erfüllt von seinen weitaussehenden Plänen, segelte am 10. März 1507 nach Ormuz, während er in der neuen Festung seinen Neffen, Alfonso de Noronha, zurückließ. Nach und nach, und wie um in der Uebung zu bleiben, eroberte er Calayate, wo sich ungeheure Vorräthe befanden, Curiate und Maskate, das er der Plünderung, dem Feuer und der Zerstörung preisgab, um sich für wiederholte Verräthereien zu rächen, welche bei dem doppelzüngigen Charakter der dortigen Bewohner sehr erklärlich erscheinen.

Der Erfolg, den er bei Maskate errungen, genügte, so durchschlagend er auch war, d'Albuquerque doch beiweitem nicht. Er hegte großartigere Pläne, deren Durchführung nur durch die Eifersüchteleien seiner Officiere in Frage gestellt wurde, und vorzüglich durch Joao de Nova, welcher seinen Commandanten direct verlassen wollte, so daß d'Albuquerque sich gezwungen sah, ihn auf seinem eigenen Schiffe verhaften zu lassen. Nach Zurückweisung dieser Versuchungen zum Ungehorsam und zur Meuterei erreichte derCapitam mõr Orfacate, das nach heldenmüthigem Widerstande eingenommen wurde.

Auffallender Weise hatte Albuquerque zwar schon lange von Ormuz reden gehört, doch kannte er dessen Lage bisher noch nicht, wenn er auch wußte, daß diese Stadt der Lagerplatz aller von Asien nach Europa gehenden Waaren sei. Ihren Reichthum und ihre Macht, die große Einwohnerzahl, die Schönheit ihrer Denkmale, rühmte der ganze Orient, so daß man zu sagen pflegte: »Wenn die Welt ein Ring ist, so ist Ormuz dessen Edelstein!«

Jetzt reiste bei Albuquerque aber der Entschluß, sich derselben zu bemächtigen, nicht allein, weil sie an und für sich eine wünschenswerthe Beute in Aussicht stellte, sondern auch, weil sie den ganzen Persischen Golf und damit die zweite Handelsstraße zwischen Orient und Occident beherrschte.

[260] Ohne die Kapitäne seiner Flotte über seine Absichten aufzuklären, da sie sich wohl geweigert haben würden, eine so starke Stadt, die Hauptstadt eines mächtigen Reiches, anzugreifen, ließ d'Albuquerque das Cap Mocendon umschiffen, und bald drang die Flotte in die Meerenge von Ormuz, das Thor des Persischen Golfes ein, wo man der prächtigen, auf einer Felseninsel terrassenförmig erbauten Stadt ansichtig ward, deren Hafen eine weit zahlreichere Flotte, als man erwartet hatte, barg, welch' letztere mit furchtbarer Artillerie ausgerüstet und von einem Heere von 15- bis 20.000 Mann unterstützt war.

Bei diesem Anblick bestürmten die anderen Befehlshaber den Capitam mõr mit lebhaften Vorstellungen wegen der Gefahr eines Angriffes auf eine so wohlbewaffnete Stadt, und hoben besonders hervor, welche üble Folgen das Mißlingen dieser Unternehmung nach sich ziehen könne. D'Albuquerque erwiderte auf diese Einreden aber nur, daß es »sich hier allerdings um nichts Geringes handle, daß es aber zur Umkehr zu spät sei und er mehr nach Beendigung dieser unangenehmen Lage, als nach gutem Rathe verlange«.

Kaum hatten die Anker den Grund gefaßt, als Albuquerque auch schon sein Ultimatum stellte. Trotz seiner nur unzulänglichen Kräfte, ging die Forderung des Capitam mõr dahin, daß Ormuz die Souveränität des Königs von Portugal anerkennen und sich seinem Gesandten unterwerfen solle, wenn es sich nicht derselben Behandlung wie Maskate aussetzen wolle.

Der damals in Ormuz regierende König Seif-Eddin war selbst noch ein Kind. Sein erster Minister, Kodja-Atar, ein geschickter und schlauer Diplomat, führte in dessen Namen die Regierung.

Ohne d'Albuquerque's Ansinnen im Principe abzulehnen, wollte der erste Minister nur Zeit gewinnen, seine Heerhaufen zum Entsatze der Stadt heranziehen zu können; der Admiral durchschaute jedoch diesen Plan und scheute sich nicht, nach dreitägigem Warten, mit seinen fünf Schiffen und der Flor de la mar, dem schönsten und größten Fahrzeuge jener Zeit, die gewaltige, unter den Kanonen von Ormuz liegende Flotte anzugreifen.

Es entwickelte sich ein blutiges und lange Zeit unentschiedenes Gefecht; als die Mauren aber sahen, daß das Kriegsglück sich gegen sie zu wenden schien, flohen sie von ihren Schiffen und suchten schwimmend die Küste zu erreichen. Die Portugiesen sprangen eiligst in ihre Boote, verfolgten jene und richteten unter ihnen ein entsetzliches Blutbad an. D'Albuquerque [261] wandte sich nun mit aller Macht gegen einen von Artillerie und Bogenschützen vertheidigten Hafendamm, die Pfeile der Letzteren verwundeten viele Portugiesen und auch den General selbst, was diesen jedoch nicht abhielt, an's Land zu gehen und wenigstens die Vorstadt einzuäschern. Erfüllt von der Ueberzeugung, daß jeder weitere Widerstand vergeblich sei und ihre Hauptstadt nur Gefahr laufe, zerstört zu werden, entfalteten die Mauren die Parlamentärsflagge und unterzeichneten einen Vertrag, in welchen sich Seif-Eddin zum Vasallen des Königs Emanuel erklärte, ihm einen jährlichen Tribut von 15.000 Seraphin oder Xarafin zu zahlen versprach und den Siegern die Errichtung einer Festung gestattete, welche trotz des Widerspruches der portugiesischen Kapitäne und der von ihnen bereiteten Hindernisse doch bald in vertheidigungsfähigen Zustand kam.

Leider hinterbrachten Deserteure diese Meinungsverschiedenheiten bald dem Kodja-Atar, der sich diese Mittheilungen zunutze machte und sich unter mancherlei Vorwänden der Ausführung des erst abgeschlossenen Vertrages zu entziehen suchte. Wenige Tage darauf verließen Joao da Nova und zwei andere auf die Erfolge d'Albuquerque's eifersüchtige Kapitäne, Ehre, Disciplin und Vaterlandsliebe vergessend, ihren Oberbefehlshaber, um sich nach Indien zu begeben; Letzterer selbst sah sich durch die Desertion jener Schurken zum Rückzug gezwungen, bei dem er sogar die mit aller Vorsorge und Umsicht erbaute Festung wieder aufgeben mußte.

Er segelte also nach Socotora, dessen Garnison der Hilfe sehr bedurfte, kreuzte später nochmals vor Ormuz, zog sich aber im Gefühle seiner Schwäche, die keine erfolgversprechende Unternehmung gestattete, vorläufig nach Goa zurück, das er gegen Ende 1508 erreichte.

Was war während dieses langen und abenteuerreichen Feldzuges auf der Küste von Malabar vorgegangen? Versuchen wir diese Ereignisse in wenigen Zeilen zusammenzufassen.

Man erinnert sich, daß Almeida im Jahre 1505 vor Belem mit einer Flotte von zweiundzwanzig Segeln und einer Besatzung in der Stärke von 1500 Mann abgereist war. Gleich anfangs eroberte er Quiloa, später Mombaça, dessen »Ritter, wie die Eingebornen mit einem gewissen Stolze sagten, sich nicht so leicht ergaben, wie die Hennen von Quiloa«. Von der ungeheuren Beute, welche hier in seine Hände fiel, nahm er für sich nichts als einen Pfeil, gewiß ein Zeichen seltener Uneigennützigkeit.

[262] Nachdem er kurze Zeit in Melinde verweilt, begab er sich nach Cochin, wo er dem Rajah die diesem vom König Emanuel gesandte goldene Krone überlieferte und die Gelegenheit ergriff, sich mit der ihm eigenen anmaßenden Voreiligkeit den Titel eines Vicekönigs zuzulegen.

Nachdem er in Sofala eine Befestigung in der Absicht angelegt, durch dieselbe alle Muselmanen der Küste im Zaum zu halten, kreuzten Almeida und sein Sohn auf dem Indischen Meere, vernichteten die Malabarischen Flotten, singen Handelsschiffe ab und fügten dem Feinde überhaupt einen unberechenbaren Schaden zu, indem sie ihm alle früheren Seewege verlegten.

Um diese Raubzüge aber erfolgreich weiter zu führen, bedurfte es einer beträchtlichen und doch schnellsegelnden Flotte, denn es stand, wenigstens an der Küste Asiens, kein anderer Nothhafen offen als Cochin. Wie empfehlenswerther dagegen erschien das Verfahren d'Albuquerque's, der sich in jedem Lande gleich dauernd festzusetzen bemühte, indem er überall Befestigungen anlegte, sich der bedeutendsten Städte bemächtigte, von denen aus es ihm leicht wurde, Streifzüge in das Hinterland derselben zu unternehmen, und der sich endlich dadurch, daß er die Schlüssel der beschränkteren Fahrstraßen in seine Hände zu bekommen suchte, das Handelsmonopol mit Indien auf weit gefahrlosere und mehr Andauer verheißende Weise sicherte.

Inzwischen hatten die Siege Almeida's und die fortschreitenden Eroberungen d'Albuquerque's dem Saladin von Egypten lebhafte Besorgniß eingeflößt. Verwaiste der Handelsweg über Alexandria, so zog das eine bedeutende Verminderung der Zolleinkünfte, Ankerabgaben und Transitgebühren nach sich, welche sonst auf den asiatischen Waaren, wenn sie durch sein Gebiet befördert wurden, lasteten. Mit der Unterstützung der Venetianer, die ihm sowohl das nöthige Bauholz, als auch geschickte Seeleute lieferten, rüstete er ein Geschwader von zwölf hochbordigen Schiffen aus, welche die Flotte Lorenzo d'Almeida's bei Cochin aufsuchte und sie nach einem blutigen Kampfe vernichtete, bei dem auch deren Anführer selbst den Tod fand.

Traf diese betrübende Nachricht den Vicekönig auch sehr schmerzlich, so ließ er davon doch nichts merken und setzte Alles daran, um an den »Roumis« – ein Name, aus dem noch der jahrhundertlange Schrecken, den die Römer verbreiteten, herausklingt und der noch damals auf der Küste von Malabar bei allen von Byzanz kommenden muselmanischen Soldaten üblich war – eine furchtbare Rache zu nehmen. Mit neunzehn Seglern begab sich Almeida zunächst vor den Hafen, in dem sein Sohn umgekommen war, und erfocht einen durchschlagenden Sieg, der freilich durch wahrhaft entsetzliche Grausamkeiten befleckt wurde, so daß man zu sagen pflegte: »Möge der Zorn der Franken über Dich kommen, wie er Dabul getroffen hat!«


[263]
D'Albuquerque vor Ormuz. (S. 261.)

Nicht zufrieden mit diesem ersten Erfolge, vernichtete Almeida einige Wochen später vor Diu die vereinigten Streitkräfte des Saladin von Egypten und des Rajah von Calicut.

[264] Die Nachricht von diesem Siege ging wie ein Lauffeuer durch ganz Indien und machte der Oberherrschaft der Mohammedaner aus Egypten für immer ein Ende.


Insel Ormuz. (Facsimile. Alter Kupferstich.)

[265] Joao da Nova nebst den anderen Kapitänen, welche d'Albuquerque vor Ormuz verlassen hatten, beschlossen nun, sich Almeida anzuschließen; ihren Ungehorsam suchten sie dabei durch Verleumdungen zu beschönigen, in Folge deren schon eine gerichtliche Untersuchung gegen Albuquerque eingeleitet werden sollte, als der Vicekönig die Mittheilung seiner Ersetzung durch den Erstgenannten erhielt. Anfangs hatte Almeida zwar erklärt, dieser königlichen Bestimmung Folge leisten zu müssen. Bestochen aber von den Einflüsterungen jener Verräther, welche eine strenge Bestrafung fürchteten, wenn die Macht in Albuquerque's Hände überging, begab er sich im März 1509 nach Cochin mit dem Entschlusse, den Oberbefehl an seinen Nachfolger nicht abzutreten. Dadurch entstanden zwischen den beiden großen Männern langdauernde und häßliche Streitigkeiten, bei denen das Unrecht offenbar auf Almeida's Seite lag, und schon sollte Albuquerque geschlossen in Eisen nach Lissabon zurückgeführt werden, als zum Glück eine Flotte von fünfzehn Segeln unter dem Commando des Großmarschalls von Portugal, Fernan Cutinho, in den Hafen einlief. Dieser stellte sich dem Gefangenen sofort zur Verfügung, befreite denselben, theilte Almeida noch einmal officiell den Inhalt der Vollmacht mit, welche Albuquerque vom König besaß, und bedrohte ihn mit dem königlichen Zorne Emanuel's, wenn er nicht gehorchen werde. Almeida mußte nachgeben und that es jetzt auch ohne Widerspruch. Joao da Nova aber, der eigentliche Urheber dieser beklagenswerthen Vorkommnisse, starb kurze Zeit darauf, verlassen von Allen, und Niemand folgte ihm zur letzten Ruhestätte, als der neue Vicekönig, der edelmüthig genug vergaß, was er ihm angethan hatte. Sofort nach Abgang Almeida's erklärte der Großmarschall Cutinho, daß er nach Indien mit dem Auftrage gekommen sei, Calicut zu zerstören, und daß er sich zu diesem Zwecke die Abwesenheit des Zamorin von seiner Hauptstadt zunutze machen wollte. Vergeblich bemühte sich der neue Vicekönig, seine Thatenlust zu zügeln und ihm einige durch bittere Erfahrungen gewonnene Klugheitsregeln zu empfehlen – Cutinho wollte nichts hören und Albuquerque mußte sich fügen.

Zuerst ward das unvorbereitete Calicut allerdings ohne Schwierigkeiten in Brand gesteckt; als die Portugiesen aber schon die Plünderung des Palastes [266] des Zamorin begannen, wurden sie von den Eingebornen, welche sich schnell gesammelt hatten, kräftig zurückgeworfen. Cutinho, der sich unüberlegt zu weit hinreißen ließ, fand den Tod, und es bedurfte des ganzen Muthes und der bewährten Kaltblütigkeit des Vicekönigs, die Wiedereinschiffung seiner Truppen unter dem Feuer des Feindes zu erzwingen und wenigstens die völlige Vernichtung der von Emanuel gesendeten Streitkräfte zu verhindern.

Nach Cintagara, einem Seehafen in Besitz des Königs von Narsingue, den die Portugiesen als Bundesgenossen erworben hatten, zurückgekehrt, vernahm Albuquerque, daß Goa, die Hauptstadt eines mächtigen Reiches, jetzt unter dem Drucke einer politischen und religiösen Anarchie stehe. Verschiedene hervorragende Führer stritten sich dort um die Herrschaft. Einer derselben, Melek Cufergugi, war schon nahe daran, sich des Thrones zu bemächtigen, und es galt also, die Umstände zu benützen und die Stadt anzugreifen, bevor jener im Stande wäre, alle Kräfte derselben zu vereinigen, um sich den Portugiesen zu widersetzen. Der Vicekönig durchschaute vollkommen die Bedeutung dieser Unternehmung. Die Lage Goa's, von wo aus der Weg nach dem Königreiche Narsingue und nach Dekkan führte, bot ihm schon ein besonderes Interesse. Er zögerte daher keinen Augenblick, und bald hatten die Portugiesen eine weitere Eroberung zu verzeichnen. Das »goldene« Goa, eine Art kosmopolitische Stadt, wo Parsis, Feueranbeter und Christen mit allen Secten des Islams verkehrten, verfiel dem Joche Albuquerque's und erhob sich unter dessen weisem, aber strengem Regimente, das sich die Sympathien der feindlichen Secten zu erwerben verstand, bald zur Hauptstadt, zur wichtigsten Festung und zum herrschenden Handelsplatz des portugiesischen Reiches in Indien.

Unmerklich hatte sich nun im Laufe der Jahre mehr Licht über diese reichen Länder verbreitet. Vielfältige Erfahrungen, gesammelt von den kühnen Seefahrern, welche jene sonnenübergossenen Meere durchschifften, kamen dem Mutterlande zugute und man kannte nun die eigentlichen Productionsstätten der Gewürze, welche man von so weit her und unter so unsäglichen Gefahren gesucht hatte. Schon seit mehreren Jahren hatte Almeida auf Ceylon, dem alten Taprobane, die ersten portugiesischen Comptoirs begründet. Jetzt reizten die Sunda-Inseln und die Halbinsel Malacca die Begierde des Königs Emanuel, der schon den Beinamen des Glücklichen führte. Er beschloß also, zu ihrer Auskundschaftung eine neue Flotte auszusenden, da Albuquerque [267] in Indien genug zu thun hatte, um die murrenden Rajahs und die Muselmanen – wie man sie damals nannte – im Zaume zu halten.

Auch diese Expedition unter dem Befehle Diego Lopez Sequeira's wurde der altgewohnten Politik der Mauren gemäß, in Malacca zuerst sehr freundlich aufgenommen Als Lopez Sequeira's Mißtrauen aber durch die wiederholten Versicherungen bundesgenossenschaftlicher Treue eingeschläfert schien, stand plötzlich die ganze Bevölkerung wie ein Mann gegen ihn auf und zwang ihn, sich eiligst wieder einzuschiffen, wobei er sogar noch dreißig Mann von den Seinigen in den Händen der Malayen zurückließ.

Die letzten Ereignisse spielten sich schon einige Zeit vorher ab, bevor die Nachricht von der Einnahme Goa's bis Malacca drang. Der »Benderra« oder Justizminister, der Reichsverweser für seinen noch kindlichen Neffen, beeilte sich, aus Furcht, daß die Portugiesen für diese Verrätherei eine gräßliche Rache nehmen würden, diese zu besänftigen. Er suchte deshalb die Gefangenen auf, entschuldigte sich bei ihnen, indem er eidlich versicherte, daß Alles ohne sein Wissen und ohne seinen Willen geschehen sei, und daß er nichts mehr wünschte, als die Portugiesen in Malacca einen friedlichen Handel treiben zu sehen; dazu ertheilte er Befehl, die Rädelsführer dieser Verrätherei ausfindig zu machen und exemplarisch zu züchtigen.

Die Gefangenen schenkten solchen lügnerischen Versicherungen allerdings keinen Glauben, benützten aber die ihnen aufgedrungene relative Freiheit und wußten Albuquerque auf geschickte Weise sehr werthvolle Notizen über die Lage und Stärke der Stadt zugehen zu lassen.

Albuquerque vermochte nur mit Anstrengung eine Flotte von neunzehn Kriegsfahrzeugen zusammenzubringen, welche 1400 Mann trug, von denen nur 800 Portugiesen waren. Sollte er nun, wie der König Emanuel verlangte, nach Aden, dem Schlüssel des Rothen Meeres, gehen, dessen Besitz von Wichtigkeit war, wenn es sich darum handelte, einer neuen Flotte, welche der Saladin von Egypten nach Indien zu schicken beabsichtigte, das Auslaufen aus dem beschränkten Meere zu verwehren? Noch zögerte er mit seinem Entschlusse, als das Umschlagen des Moussons (Jahreszeitenwind) ihn zu einem solchen nöthigte.

Bei dem jetzt herrschenden Winde erschien es nämlich überhaupt unmöglich, nach Aden zu gelangen, während jener zur Fahrt nach Malacca besonders günstig war.

[268] Diese damals in höherer Blüthe stehende Stadt zählte nicht weniger als 100.000 Einwohner. Enthielt sie auch viel hölzerne, nur mit Palmenblättern bedeckte Häuser, so fanden sich daneben doch auch eine Menge sehr umfänglicher Bauwerke, Moscheen und steinerne Thürme, deren Panorama sich in der Ausdehnung von einer Stunde vor den Blicken entrollte. Indien, China, die malayischen Königreiche der Sunda-Inseln trafen in der Stadt zusammen, wo zahlreiche von der Küste von Malabar, dem Persischen Golfe, dem Rothen Meere und der Küste Afrikas gekommene Schiffe Waaren aus allen Ländern und von aller Art austauschten.

Beim Anblick der in seine Gewässer einlaufenden portugiesischen Flotte sah der Rajah von Malacca ein, daß er den Fremdlingen eine eclatante Genugthuung geben müsse, indem er den Minister, der ihren Grimm erregt und ihr Erscheinen veranlaßt hatte, opferte. Sein Abgesandter brachte also dem Vicekönig die Mittheilung, daß der Benderra hingerichtet worden sei, und erkundigte sich gleichzeitig nach den Absichten der Portugiesen.

Albuquerque antwortete mit Reclamation der in der Gewalt des Rajah verbliebenen Gefangenen; dieser aber versteckte sich, – da er Zeit zu gewinnen wünschte, bis der Mousson wieder wechselte, wodurch die Portugiesen entweder gezwungen wurden, unverrichteter Dinge nach Malabar zurückzukehren oder wiederum noch sehr lange Zeit in Malacca zu verweilen, wo er sie dann zu vertilgen hoffte – hinter tausenderlei leere Ausflüchte, und errichtete, wie die alten Berichte melden, inzwischen eine Batterie mit 8000 Kanonen, neben der er noch ein Kriegsheer von 20.000 Mann ansammelte.

Albuquerque, dem die Geduld ausging, ließ jetzt einige Häuser und mehrere guzaretische Schiffe anzünden, als Anfang seiner Selbsthilfe, was die sofortige Herausgabe der Gefangenen zur Folge hatte; ferner forderte er 30.000 Cruzaden Ersatz für den der Flotte Lopez Sequeira's zugefügten Schaden, endlich verlangte er, daß man ihn in der Stadt selbst eine Befestigung errichten lasse, welche gleichzeitig als Comptoir dienen sollte. Albuquerque wußte im voraus, daß diese Anforderungen nicht erfüllt werden würden, was denn auch der Fall war.

Er beschloß also, sich der Stadt zu bemächtigen. Der Tag des heiligen Jakob ward zum Angriff bestimmt. Trotz sehr energischer, neun volle Tage fortgesetzter Vertheidigung, trotz der Verwendung ganz außerordentlicher [269] Mittel, wie z.B. dressirter Elephanten, vergifteter Pfeile, geschickt verborgener Fallen und Barrikaden, wurde die Stadt, Quartier für Quartier, nach wahrhaft heldenmüthigem Kampfe eingenommen. Den Soldaten fiel eine ungeheure Beute zu. Albuquerque behielt für sich nur zehn bronzene, nach Anderen nur eiserne Löwen, welche er zum Schmucke seiner dereinstigen Grabstätte als ewige Erinnerung au diesen Sieg bestimmte.

Das Thor nach Oceanien und dem oberen Asien war nun gesprengt. Viele, bisher noch unbekannte Völker traten in Folge dessen mit den übrigen Europäern in Berührung. Die merkwürdigen Sitten und die fabelhafte Geschichte so vieler Nationen kamen zur Kenntniß des erstaunten Occidents. Eine neue Aera begann, und diese unübersehbaren Resultate verdankte man dem ungezügelten Eifer und unbezwinglichen Muthe eines Volkes, dessen Heimat auf der Weltkarte fast verschwindet.

In Folge der religiösen Toleranz, welche Albuquerque übte, eine Toleranz, die von dem grausamen Fanatismus der Spanier so vortheilhaft absticht, sowie in Folge seiner klugberechneten Maßnahmen vertrug der Wohlstand Malaccas auch diese furchtbare Erschütterung. Wenige Monate später fand man fast keine weitere Spur der vorhergegangenen Prüfungen, als die Flagge Portugals, welche stolz über dieser gewaltigen Stadt wehte, die das Haupt und der Pionnier des königlichen Reiches jenes kleinen, durch seinen Muth und Unternehmungsgeist so ausgezeichneten Volkes wurde.

So große Bedeutung Albuquerque auch der neuen Erwerbung beilegte, so drängte diese seine früheren Projecte doch keineswegs in den Hintergrund. Wenn er auf dieselben verzichtet zu haben schien, so geschah das nur, weil ihm die Umstände zu deren Durchführung nicht günstig genug erschienen. Mit der Bestimmtheit und Zähigkeit, die den Grundzug seines Charakters bildeten, richtete er den Blick von dem südlichsten Ende des von ihm gegründeten Reiches auch unausgesetzt nach Norden hin. Immer lag ihm Ormuz, welches aufzugeben ihn zu Anfang seiner Carrière die Vorsicht und der Verrath seiner Untergebenen gezwungen hatte, und das gerade in dem Augenblicke, wo der beste Erfolg seine Mühe und Ausdauer zu krönen versprach –. immer lag ihm Ormuz noch im Sinne. Die Gerüchte von seinen Erfolgen und der Schrecken seines Namens hatten Kodja-Atar bestimmt, sich nun entgegenkommender zu beweisen, jenen um Abschluß eines Vertrages anzugehen und ihm den Rest des früher vereinbarten Tributs zu senden. Obwohl er den [270] wiederholten Freundschafts-Versicherungen keinen Glauben beimaß – jener maurischen Treue, welche ebenso berühmt zu werden verdiente wie die punische Treue – nahm der Vicekönig einstweilen Alles ruhig an in der Erwartung, seine Herrschaft in jenen Ländern dereinst doch noch auf die Dauer begründen zu können.

Im Jahre 1513 oder 1514 – das Datum ist geschichtlich nicht festgestellt – als die Eroberung von Malacca und die Ruhe, deren sich seine anderen Besitzungen erfreuten, Flotte und Soldaten nicht besonders in Anspruch nahmen, eilte Albuquerque mit vollen Segeln nach dem Persischen Golfe.

Obwohl wiederholte Empörungen einen Wechsel in der Regierung von Ormuz herbeigeführt und die Macht jetzt in die Hände eines Usurpators, Namens Rais-Nordim oder Nur-eddim, gelegt hatten, verlangte Albuquerque doch gleich nach seiner Ankunft die Rückgabe der früher begonnenen Befestigungen. Nachdem er sie wieder in Stand gesetzt und ganz ausgebaut hatte, ergriff er Partei gegen den Prätendenten Rais-Named in dem Streite, der die Stadt Ormuz gleichsam in zwei Lager theilte und sie beinahe unter persische Oberhoheit gebracht hätte, bemächtigte sich derselben und lieferte sie an Den aus, der auf seine Bedingungen im voraus eingegangen war und ihm die besten Garantien für seine Unterwürfigkeit und Treue zu bieten schien. Uebrigens konnte es ihm nicht schwer fallen, sich deren Besitz künftig vollends zu sichern, denn Albuquerque ließ in dem Festungswerke eine hinreichend starke Besatzung zurück, um Rais-Nordim an jedem Versuche einer Auflehnung oder der Wiedererlangung seiner Sebstständigkeit zu hindern. An diesen Zug nach Ormuz knüpft sich eine Anekdote, welche zwar schon sehr bekannt ist, deren Nichterzählung aber der Leser uns eben deshalb zum Vorwurf machen würde.

Als der König von Persien von Nur-eddin den Tribut verlangte, den die Herrscher von Ormuz ihm zu zahlen pflegten, ließ Albuquerque eine große Menge Gewehre und Kanonenkugeln, sowie Bomben herbei bringen und den Abgesandten vorlegen, indem er sagte, das sei die Münzsorte, in welcher der König von Portugal Tribut zu entrichten gewöhnt sei.


D'Albuquerque ließ eine große Menge Kugeln herbeibringen. (S. 271.)

Es scheint nicht, als ob die Gesandten Persiens ihr Verlangen wiederholt hätten.

Mit seiner von ihm bekannten Klugheit verstand es Albuquerque, den Bewohnern in keiner Weise zu nahe zu treten, so daß diese sehr bald nach der Stadt zurückkamen. Weit entfernt, sie zu mißhandeln oder zu bedrücken, [271] wie es seine Nachfolger bald thun sollten, sorgte er für unparteiische Verwaltung und gerechte Richter, wodurch er den portugiesischen Namen geliebt und geachtet zu machen wußte.

Während er nun selbst so Außerordentliches leistete, hatte Albuquerque einige seiner Officiere beauftragt, die unbekannten Landstriche zu erforschen, deren Zugang er durch die Eroberung von Malacca offen gelegt hatte. Zu diesem Zwecke übergab er Antonio und Francisco d'Abreu das Commando [272] des kleinen Geschwaders nebst zweihundert Mann Besatzung, mit denen sie den ganzen Archipel der Sunda-Inseln, Sumatra, Java, Anjoam, Simbala, Jolor, Galav u.s.w. näher in Augenschein nahmen; unsern der Küste Australiens steuerten sie dann nach Norden, nach einer Fahrt von über fünfhundert Meilen mitten durch den gefährlichen Archipel voller Klippen und Korallenriffe, und stets bedroht von einer feindlichen Bevölkerung, bis zu den Inseln Bura und Ambroine, welche schon zu den Molukken gehören. Nach Befrachtung ihrer Schiffe mit Zimmet, Muscate, Sandelholz, Macisnüssen und Perlen gingen sie im Jahre 1512 wieder nach Malacca unter Segel. Jetzt war nun das wirkliche Gewürzland aufgefunden worden und es erübrigte nur noch die Begründung von Factoreien und die vollständige Besitznahme desselben, welche nicht lange auf sich warten lassen sollte.

Der Tarpejische Felsen liegt ganz nahe dem Capitol, hat man häufig gesagt: Alfons d'Albuquerque war es beschieden, die Wahrheit dieser Worte an sich selbst zu erfahren und seine letzten Tage wurden ihm durch unverdienten Undank verbittert, ein Resultat vieler Lügen und Verleumdungen, eines wirklich künstlich eingefädelten Verraths, der, wenn er ihm auch vorübergehend sein Ansehen bei dem König Emanuel raubte, doch den Ruhm dieser hervorragenden Gestalt in den Augen der Nachwelt nicht zu verdunkeln vermochte. Schon früher hatte man dem Könige von Portugal einmal einzuflüstern gesucht, daß die Besitznahme von Goa ein schwerer Fehler sei sein verderbliches Klima sollte, so wurde behauptet, eine europäische Besatzung in kurzer Zeit decimiren. Boll Vertrauen auf die Erfahrung und die Weltkenntniß seines Feldherrn wollte der König den Feinden desselben kein Gehör schenken, worauf ihm Albuquerque mit den Worten dankte: »Ich schulde dem König Emanuel mehr Dank, Goa gegen die Portugiesen in Schutz genommen zu haben, als er mir dafür, daß ich es zweimal erobert habe.« Im Jahre 1514 aber hatte Albuquerque als Lohn für seine Dienste vom König den Titel eines Herzogs von Goa erbeten und diesen unklugen Schritt wußten seine Gegner bestens auszunützen.

Soarez d'Albergavia und Diego Mendez, welche Albuquerque, nachdem sie sich öffentlich als dessen Widersacher bekannt hatten, als Gefangene nach Portugal geschickt hatte, gelang es nicht nur, sich von den gegen sie erhobenen Beschuldigungen reinzuwaschen, sondern sie überredeten auch den König zu dem Glauben, der Vicekönig wolle sich ein unabhängiges Herzogthum mit [273] der Hauptstadt Goa errichten, und wußten dadurch dessen Ungnade zu erregen.

Die Nachricht von der Ernennung d'Albergavia's zum General-Kapitän von Cochin traf Albuquerque, als er aus der Meerenge von Ormuz kam, um sich nach der Malabarküste zu begeben. Schon tief von Krankheit ergriffen, »erhob er, sagt F. Denis in seiner ausgezeichneten Geschichte Portugals, seine Hand gen Himmel und sprach folgende wenige Worte: ›Da stehe ich nun zerfallen da mit dem Könige wegen meiner Liebe zu den Menschen und mit den Menschen wegen meiner Anhänglichkeit an den König. Greis, lenke Deine Schritte zur Kirche, bereit zum Tode, denn Deine Ehre verlangt es, zu sterben, und Du hast niemals etwas unterlassen, was Deine Ehre erheischte.‹«

Auf der Rhede von Goa angelangt, erleichterte Alfons d'Albuquerque, so weit er dessen bedurfte, der Kirche gegenüber sein Gewissen und ließ sich unter die Brüder des heiligen Jakob aufnehmen, deren Oberer er schon war, und »am Sonntag den 16. December 1515, eine Stunde vor dem Morgenrothe, kehrte seine Seele zu Gott zurück. Hier fand sein Streben, sein Arbeiten ein Ende, ohne ihm jemals die verdiente Genugthuung gewährt zu haben«.

Er ward mit größtem Pompe beerdigt, und die Soldaten, die treuen Gefährten seiner wunderbaren Abenteuer und die Zeugen seiner schmerzlichen Enttäuschung, stritten sich dabei weinend um die Ehre, seine sterblichen Ueberreste bis nach der letzten, von ihm selbst erwählten Ruhestätte zu tragen. In ihrem Schmerze wollten die Hindu's gar nicht glauben, daß er gestorben sei, sondern behaupteten, er sei nur von ihnen gegangen, um im Himmel die Heerschaaren anzuführen.

Ein erst in jener Zeit aufgefundenes Schreiben Emanuel's beweist übrigens, daß der König, wenn er sich auch zeitweise durch die gefälschten Berichte der Feinde Albuquerques täuschen ließ, nachher doch nicht zögerte, ihm volle Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Leider ist dieser, ihn in alle seine Ehren wiedereinsetzende Brief ihm niemals zugekommen, gewiß hätte er die Bitterkeit seiner letzten Augenblicke gemildert, während er mit dem Schmerze die Augen schloß, von einem Fürsten undankbar behandelt zu werden, dessen Ruhm und dessen Macht er sein ganzes Lebensglück hingeopfert hatte.

[274] Mit ihm erlosch, sagt Michelet, bei den Siegern alle Gerechtigkeit, alle Menschlichkeit. Noch lange Zeit wallfahrteten die Indianer zu dem Grabe des großen Albuquerque, ihn um Gerechtigkeit gegen die Quälereien seiner Nachfolger anzuflehen.

Unter den Ursachen, welche so schnell den Verfall und die Zerbröckelung des ungeheuren Königreichs herbeiführten, mit dem Albuquerque sein Vaterland beschenkt, und das noch nach seinem Zusammenbruche unverwischbare Spuren in Indien hinterlassen hat, verdienen, nach Michelet, besonderer Erwähnung: Die Entfernung und Zerstreuung der Comptoirs, die geringe, für die Ausdehnung seiner Niederlassungen gänzlich unzureichende Bevölkerung Portugals, die Raublust und die Quälereien einer liederlichen Regierung, vor Allem aber der unbezähmbare Nationalstolz, der eine Vermischung der Sieger und der Besiegten zur Unmöglichkeit machte.

Nur durch zwei Helden wurde dieser Verfall etwas aufgehalten, nämlich durch Juan de Castro, der nach Erwerbung ungeheurer Reichthümer zuletzt noch so arm war, daß er sich in seiner letzten Krankheit nicht einmal eine Henne zu erkaufen vermochte, und durch Ataïde, welche Beide der entsittlichten Bevölkerung noch einmal ein Beispiel männlicher Tugenden und untadelhafter Verwaltung vor Augen führten. Nach ihnen kam jedoch der Einsturz, der Zerfall; das gewaltige Reich zerbröckelte und fiel den Spaniern und Holländern in die Hände, die es auch ihrerseits nicht unversehrt zu erhalten verstanden. Alles vergeht – Alles wechselt. Kann man nicht hierbei unter Anwendung auf die Königreiche der Menschen den Spruch aus dem spanischen Gedicht citiren: Das Leben ist nur ein Traum?

[275][277]

2. Theil

1. Capitel
1.
I.

Hojeda. – Amerigo Vespucci. – Die Neue Welt erhält seinen Namen. – Juan de la Cosa. – v. Yanez. Pinzon. – Bastidas. – Diego de Lepe. – Diaz de Solis. – Ponce de Leon und Florida. – Balboa entdeckt den Pacifischen Ocean. – Grijalva an den Küsten von Mexico.


Die Briefe und Berichte Columbus' und seiner Gefährten, die sich wiederholt und mit offenbarer Vorliebe über den Gold- und Perlenreichthum der jüngst entdeckten Länder verbreiteten, hatten eine gewisse Anzahl begieriger Kaufleute und eine große Menge abenteuerlustiger Edelleute nicht wenig in Aufregung versetzt.

Am 10. April 1495 hatte die spanische Regierung eine allgemeine Erlaubniß zur Entdeckung neuer Gebiete ertheilt; der unglaubliche Mißbrauch derselben aber und die Beschwerden von Columbus' Seite, dessen Privilegien hierdurch empfindlich geschädigt wurden, führten am 2. Juni 1497 die ausdrückliche Zurücknahme jenes Zugeständnisses herbei, ein Verbot, das man sich später noch durch Androhung schwerer Strafen zu verschärfen gezwungen sah.

Damals herrschte in der That ein wirkliches Entdeckungsfieber, das Fonseca, der Bischof von Bajadoz, über den Columbus wiederholt Klage zu führen hatte und in dessen Hand alle Angelegenheiten Indiens ruhten, noch außerdem begünstigte.

[277] Kaum war der Admiral zur dritten Reise von San-Lucar ausgelaufen, als schon vier Entdeckungs-Expeditionen fast gleichzeitig von reichen Rhedern, darunter in erster Linie Pinzon und Amerigo Vespucci, ausgerüstet wurden.

Von diesen Expeditionen verließ die aus vier Schiffen bestehende erste derselben den Hafen von Santa-Maria am 20. Mai 1499 unter dem Commando Alfonso's de Hojeda; als Lootse fungirte dabei Juan de la Cosa, während Amerigo Vespucci wahrscheinlich das Amt des Astronomen der Flotte vertrat.

Vor der auszugsweisen Erzählung der Geschichte dieser Reise geben wir einige Details über jene drei Männer, deren Letzterer in der Geschichte der Entdeckung der Neuen Welt eine um so hervorragendere Rolle spielt, als diese selbst später seinen Namen erhalten hat.

Hojeda, geboren in Cuenca gegen 1465, und erzogen in dem Hause der Herzöge von Medina-Celi, hatte sich die Sporen in den Kriegen gegen die Mauren verdient. Als einer der Abenteurer, welche Columbus für seine zweite Reise angeworben hatte, fand er Gelegenheit, sich wiederholt durch sein kaltes Blut und die Gewandtheit in der Auffindung aller möglichen Hilfsmittel auszuzeichnen. Welche Ursachen führten nun zwischen Columbus und Hojeda zu einem so vollständigen Bruche, trotz der hochwichtigen Dienste, welche der Letztere, vorzüglich im Jahre 1495, geleistet hatte, wo er die Schlacht von La Vega entschied, in der die ganzen verbündeten Karaïben vernichtet wurden? Man weiß das nicht. Jedenfalls aber fand Hojeda bei seiner Rückkehr nach Spanien in Fonseca eine Stütze und einen mächtigen Beschützer. Der Minister für Indien soll ihm sogar, wie man behauptet, das Journal der letzten Reise des Admirals und dessen Karte der neuentdeckten Gebiete ausgeantwortet haben.

Der erste Steuermann Hojeda's war Juan de la Cosa, wahrscheinlich aus Santona in Biscayen gebürtig. Er war oft längs der Küste Afrikas gesegelt, bevor er Columbus auf der ersten und zweite Reise begleitete, wobei ihm die Functionen des Kartographen (maestro de hacer cartas) oblagen.

Als Zeugnisse der kartographischen Geschicklichkeit La Cosa's besitzen wir zwei sehr merkwürdige Karten: die eine enthält alle Angaben über Landungen in Afrika bis zum Jahre 1500; die auf Pergament gezeichnete und sorgfältig colorirte andere aber die Entdeckungen Columbus' und seiner Nachfolger.

[278] Der zweite Steuermann war Barthelemy Roldan, gleichfalls ein Theilnehmer an Columbus' Reise von Paria aus.

Amerigo Vespucci's Obliegenheiten schienen etwas unbestimmt gelassen zu sein; er sollte ganz im Allgemeinen »entdecken helfen« (ajutore a discoprire lautet der italienische Text seines Briefes an Soderini).

Geboren zu Florenz am 9. März 1451, gehörte Amerigo Vespucci einer vornehmen und sehr wohlhabenden Familie an. Er hatte Mathematik, Physik und Astrologie, wie man sich damals ausdrückte, mit gutem Erfolge studirt, wogegen seine Kenntnisse in der Geschichte und Literatur nur oberflächlicher und untergeordneter Art gewesen zu sein scheinen. Gegen 1492 verließ er Florenz ohne bestimmten Zweck und begab sich nach Spanien, wo er zuerst Handelsgeschäfte betrieb. So findet man ihn in Sevilla als Geschäftsführer in dem bedeutenden Hause seines Landsmannes Juanoto Berardi. Da Columbus von eben diesem Hause die Mittel zu seiner zweiten Reise erhielt, darf man wohl annehmen, das Vespucci den Admiral zu jener Zeit gekannt habe. Mit dem 1495 erfolgten Tode Juanoto's trat Vespucci auf Wunsch der Erben überhaupt an die Spitze des Hauses.

Entweder müde einer Stellung, die in keinem rechten Verhältnisse zu seinen Fähigkeiten stand, ergriffen von dem herrschenden Reisefieber, oder in dem Glauben, sich in den neuen, als so reich geschilderten Ländern schnell ein Vermögen erwerben zu können, schloß sich Vespucci 1499 der Expedition Hojeda's an, wie die gerichtliche Aussage des Letzteren in dem von dem Fiscus gegen Columbus' Erben angestrengten Processe bestätigt.

Die aus vier Fahrzeugen bestehende Flottille ging am 20. Mai von Santa-Maria aus unter Segel, steuerte nach Südwesten und gebrauchte nur siebenundzwanzig Tage, um den amerikanischen Continent, und zwar an einem Punkt zu erreichen, der den Namen Venezuela erhielt, weil die auf Pfählen erbauten Wohnhäuser am Strande unwillkürlich an Venedig erinnerten. Nach wiederholten vergeblichen Versuchen einer mündlichen (Verständigung mit den Wilden, deren er sich vielmehr einige Male mit Waffengewalt erwehren mußte, fand Hojeda die Insel Margarita und kam nach einer Fahrt von achtzig Meilen östlich des Orinoco im Golfe von Paria in einer Bai an, welche den Namen las Perlas erhielt, weil deren Uferbewohner lebhafte Fischerei auf Perlenmuscheln betrieben.

Gestützt auf Columbus' Karten, segelte Hojeda dann durch den Drachenmund, der Trinidad vom Continent trennt, und gelangte im Westen bis zum Cap la Bela.


Amerigo Vespucci. (Facsimile. Alter Kupferstich.) (S. 278.)

Endlich ging er, nach einem Besuche der Karaïbeninseln, wo viele Gefangene gemacht wurden, die in Spanien verkauft werden sollten, am 5. September 1499 in Yaquimo auf der Insel Espagnola vor Anker.

Der Admiral, der die Kühnheit und den unruhigen [279] Geist Hojeda's sehr wohl kannte und davon nur neue Störungen der Ordnung in der Kolonie befürchtete, sandte Francisco Roldan mit zwei Caravellen ab, um die Ursachen [280] seiner Hierherkunft zu erfahren und sich im Nothfalle einer Landung zu widersetzen. Des Admirals Muthmaßungen erwiesen sich nur zu richtig. Kaum am Lande, verständigte sich Hojeda mit einer Anzahl Unzufriedener, zettelte in Navagua einen Aufstand an und beschloß, Columbus einfach zu vertreiben. Nach einigen zu seinem Nachtheile ausgefallenen Scharmützeln mußten sich Roldan, Diego de Escobar und Juan de la Cosa in's Mittel schlagen, um Hojeda zum Verlassen der Insel Espagnola zu bewegen. Er führte, sagt Las Casas, eine werthvolle Ladung Sklaven mit sich, die er auf dem Markte von Cadix für eine ganz enorme Summe verkaufte. Im Februar 1500 kehrte er nach Spanien zurück, wohin ihm die schon am 18. October 1499 angelangten A. Vespucci und F. Roldan zuvorgekommen waren.

Der von Hojeda bei dieser Reise erreichte südlichste Punkt ist der vierte Grad nördlicher Breite und es dauerte seine eigentliche Entdeckungsfahrt nicht länger als drei und einen halben Monat.

Wenn wir uns trotzdem über obige Expedition etwas ausführlicher verbreitet haben, so geschah es, weil jene die erste Reise Vespucci's war. Verschiedene Autoren, vorzüglich Varnhagen, und in der letzten Zeit noch H. Major in seiner Geschichte Prinz Heinrichs des Seefahrers, behaupteten, Vespucci's erste Reise falle in das Jahr 1497, er habe folglich das Festland Amerikas eher gesehen als Columbus. Uns kam es darauf an, das Datum des Jahres 1499 festzustellen, wobei wir uns sowohl auf die Autorität Humboldt's stützen, der seiner Untersuchung der Geschichte der Entdeckung Amerikas so viele Jahre widmete, als auf Ed. Charton und Jules Codine, der diese Frage bei Gelegenheit des Major'schen Werkes im Bulletin der Pariser geographischen Gesellschaft vom Jahre 1873 eingehend behandelt.

»Doch wenn es auch wahr wäre, sagt Voltaire, daß Vespucci das eigentliche Festland zuerst entdeckt hätte, so gebührt der Ruhm ihm immer noch nicht: er kommt nur Dem zu, der das Einsehen und den Muth hatte, die erste Reise zu unternehmen, also Columbus. Der Ruhm ziert, wie Newton in seinem Streite mit Leibnitz sagt, nur den Erfinder, den Urheber einer Idee Wie vermag man aber, sagen wir mit Codine, an eine Expedition im Jahre 1497 zu glauben, bei welcher achthundertfünfzig Meilen der Festlandküsten entdeckt worden wären, ohne daß von derselben der mindeste Beweis auf uns gekommen wäre, weder in den Aufzeichnungen der zeitgenössischen Geschichtsschreiber, noch in den gerichtlichen Aussagen, in welchen, [281] bei Gelegenheit des Processes der Erben Columbus' gegen die spanische Regierung, im Gegentheil die Prioritätsansprüche jedes Expeditions-Führers auf jeden Theil der befahrenen Küste festgestellt wurden?«

Endlich beweisen authentische Documente aus den Archiven der Casa de Contratacion, daß Vespucci von Mitte August 1497 bis zur Abreise Columbus' am 30. Mai 1498, in Sevilla und San-Lucar mit Ausrüstung der zu dessen dritter Expedition bestimmten Schiffe betraut gewesen ist.

Die vorhandenen Berichte über Vespucci's Reisen sind alle sehr unklar, sowohl bezüglich der Darstellung der Thatsachen, als auch der Zeitfolge derselben; sie bezeichnen die Punkte, welche jener besuchte, so oberflächlich und unbestimmt, daß ihre Beschreibung fast auf jeden beliebigen Küstenpunkt paßt, und lassen auch über die Begleiter Vespucci's so viele Zweifel übrig, daß sic dem Geschichtsschreiber keinerlei verläßlichen Anhaltspunkt bieten. Man findet keinen bekannten Namen und nichts als einander widersprechende Daten in jenen Schriftstücken, welche nur durch die große Menge Commentare, zu denen sie Veranlassung gaben, merkwürdig sind. »Es ist, sagt A. von Humboldt, als ob ein besonderes Verhängniß gewaltet habe, daß alle auf den florentinischen Seefahrer bezüglichen Documente sich nur durch eine seltene Unklarheit und Verwirrung auszeichnen.«

Wir erzählen die erste Fahrt Hojeda's, mit der ja Vespucci's erste Reise zusammenfällt, nach Humboldt, der die wichtigsten Ereignisse der beiden Berichte verglichen und klargelegt hat. Varnhagen nämlich behauptet, daß der am 10. Mai 1497 abgereiste Vespucci am darauf folgenden 10. Juni in den Golf von Honduras eingedrungen, dann dem Gestade von Yucatan und Mexico gefolgt und den Mississippi hinaufgesegelt sei, und später, gegen Ende Februar 1498, die Spitze von Florida umschifft habe. Nach siebenunddreißigtägigem Aufenthalt an der Mündung des St. Lorenzo soll er dann im October 1498 nach Cadix zurückgekehrt sein.

Hätte Vespucci wirklich diese außerordentliche Fahrt ausgeführt, so ließe er damit freilich alle zeitgenössischen Seefahrer weit hinter sich zurück, und mit vollem Rechte verdiente der Continent den Namen Dessen, der eine so ausgedehnte Strecke seiner Küste erforscht hatte. Hierfür finden sich freilich nicht die mindesten Beweise, während Humboldt's Ansicht, nach dem Urtheile der glaubwürdigsten Schriftsteller, die größte Summe von Wahrscheinlichkeiten für sich hat.

[282] Amerigo Vespucci unternahm drei andere Reisen. A. von Humboldt identificirt die erste derselben mit der B. Yanez Pinzon's, und Avezae mit der Diego de Lepe's (1499– 1500). Gegen Ende des letzteren Jahres verhandelte Giuliani Bartholomeo di Giocondo im Auftrage des Königs Emanuel mit Vespucci und beredete diesen zum Uebertritt in portugiesische Dienste. Auf Kosten dieser Macht betheiligte sich Vespucci noch bei zwei Entdeckungsreisen. Bei der ersten nimmt er nicht wie früher die Stellung eines Führers der Expedition ein, sondern spielt an Bord nur die Rolle eines Mannes, auf dessen nautische Kenntnisse man sich unter gegebenen Verhältnissen zu stützen sucht. Die bei dieser dritten seiner Reisen untersuchte Strecke der amerikanischen Küste ist zwischen dem Cap St. Augustin und dem 52. Grad südlicher Breite zu suchen.

Bei Vespucci's vierter Expedition litt das Admiralschiff nahe der Insel Fernando de Noronha Schiffbruch, ein Umstand, der die anderen Fahrzeuge verhinderte, ihren Weg fortzusetzen und jenseits des Caps der Guten Hoffnung weiterzusegeln, sie dagegen veranlaßte, in der Bai Allerheiligen in Brasilien zu landen. Diese vierte Reise befehligte ohne Zweifel Gonzalo Coelho; dagegen ist gänzlich unbekannt geblieben, wer der Führer der dritten gewesen ist.

Diese verschiedenen Expeditionen hatten Vespucci keine Schätze eingetragen, die Verhältnisse des portugiesischen Hofes waren auch selbst so wenig glänzender Natur, daß er sich entschloß, wieder in spanische Dienste zu gehen. Bald erfolgte hier, am 22. März 1568, seine Ernennung zum »Piloto mayor«. Bei der Einträglichkeit dieser Stellung beschloß er denn seine Tage, wenn auch nicht reich, doch frei von Sorgen, und starb in Sevilla am 22. Februar 1512, ebenso wie Columbus in dem Wahne, die Küsten Asiens weiter erforscht zu haben.

Amerigo Vespucci ist vorzüglich berühmt geworden, weil die Neue Welt, statt gerechter Weise Columbia zu heißen, später seinen Namen erhalten hat, wofür ihn selbst eine Verantwortlichkeit allerdings nicht trifft. Lange Zeit und gewiß mit Unrecht hat man ihn der frechsten Dreistigkeit, des Betrugs und der Lügenhaftigkeit durch die Nachrede beschuldigt, er habe den Ruhm Columbus' verdunkeln wollen und für sich die ihm nicht gebührende Ehre einer so großartigen Entdeckung erstrebt, was doch keineswegs der Fall war. Vespucci war von Columbus and seinen Zeitgenossen geliebt und geachtet, [283] und alle seine Aufzeichnungen liefern für jene Verdächtigungen keinen Stützpunkt. Man kennt sieben später gedruckte Documente, die von Vespucci selbst herrühren sollen. Es sind das die kurzgefaßten Berichte über seine vier Reisen, zwei andere Berichte über die dritte und vierte Fahrt in Form zweier Briefe an Lorenzo de Pier Francesco de Medici, endlich ein an denselben gerichtetes Schreiben, das sich über die Entdeckungen der Portugiesen in Indien verbreitet. Diese als Plaquettes oder Büchlein in kleinem Formate gedruckten Documente wurden schnell in verschiedene Sprachen übersetzt und fanden in Europa die weiteste Verbreitung.

Schon 1507 macht ein gewisser Hylacolymus, dessen wirklicher Name Martin Waldseemüller lautet, in einem zu St. Dié in Lothringen gedruckten Buche mit dem Titel »Cosmographiae introductio« den Vorschlag, den neuen Erdtheil »Amerika« zu nennen. Im Jahre 1509 erscheint darauf in Straßburg ein kleiner Abriß der Geographie, der Hylocolamus' Empfehlung befolgt, und 1520 wird in Basel eine Ausgabe des Pomponius Mela gedruckt, welche eine Karte der neuen Welt mit der Bezeichnung »Amerika« enthält. Die Anzahl der Werke, in denen von jener Zeit ab die von Waldseemüller vorgeschlagene Bezeichnung Aufnahme fand, mehrt sich nun von Tag zu Tage.

Mehrere Jahre später, als Waldseemüller sich besser über den eigentlichen Entdecker und die Bedeutung der Reisen Vespucci's unterrichtet hatte, tilgte derselbe in seinem Werke Alles, was fälschlich mit Vespucci in Beziehung gebracht war, und setzte für dessen Namen überall den des Columbus ein. Zu spät! Der Irrthum hatte schon Bürgerrecht!

Vespucci selbst wird schwerlich viel davon erfahren haben, was man sich in Europa erzählte, und was in St. Dié vorging Die in Bezug auf seine Ehrenhaftigkeit ganz einstimmigen Zeugnisse sollten ihn doch wohl endlich von einer unverdienten Beschuldigung befreien, die so lange auf seinem Andenken lastete.

Fast gleichzeitig mit Hojeda liefen drei andere Expeditionen von Spanien aus. Die erste, welche mit einem einzigen Schiff unternommen wurde, ging Mitte Juni 1499 von Barra Saltes ab. Ihr Anführer war Pier Alonso Nino, der bei den letzten beiden Reisen des Admirals unter diesem gedient und sich jetzt mit einem Kaufmann von Sevilla, Christoval Guerra, welcher jedenfalls die Kosten der Unternehmung deckte, verbunden hatte. Diese Reise längs der Küste von Paria scheint als Hauptzweck mehr einen ergiebigen [284] Handel als wissenschaftliche Interessen verfolgt zu haben. Eine neue Entdeckung wurde während derselben nicht gemacht; die beiden Seefahrer brachten im April 1500 nach Spanien aber eine so beträchtliche Menge Perlen mit, daß die Habgier ihrer Landsleute und der Wunsch, ähnliche Abenteuer zu versuchen, nur noch mehr erweckt wurde.

Die zweite Expedition segelte unter dem Befehle Vincente Yanez Pinzon's, des jüngeren Bruders Alonso's, des Commandanten der »Pinta«, der auf Columbus so eifersüchtig war und auch die lügnerische Devise annahm:

A Castilla y a Leon

Nuevo Mundo dia Pinzon.

Yanez Pinzon, dessen treue Ergebenheit für den Admiral ebenso groß war wie der eifersüchtige Neid seines Bruders, hatte jenem zu der ersten Reise von 14(92 den achten Theil der Kosten vorgestreckt und die »Nina« damals selbst befehligt.

Im December 1499 reiste er mit vier Schiffen ab, von denen Ende September 1500 jedoch nur zwei nach Palos zurückkehrten. Er traf auf den neuen Continent etwas unterhalb der, von Hojeda wenige Monate vorher besuchten Küste, segelte an derselben 700–800 (See-) Meilen hin, entdeckte unter 8°20' südlicher Breite das Cap St. Augustin, folgte der Küste nach Nordwesten bis zum Rio Grande, dem er den Namen »Santa Maria de la Mar dulce« beilegte, und gelangte in der nämlichen Richtung bis zum Cap Vincente.

Endlich untersuchte Diego de Lepe vom Januar bis Juni 1500 dieselben Ufergebiete. Seine Fahrt ist nur wichtig durch die Feststellung der Richtung der Küsten des Festlandes jenseits des Caps St. Augustin.

Kaum war Lepe nach Spanien zurückgekehrt, als wiederum zwei Schiffe von Cadix ausliefen. Rodrigo de Bastidas, ein vornehmer und reicher Mann, hatte dieselben ausgerüstet, um neue Länder zu entdecken, vorzüglich aber zu dem Zwecke, gegen Glaswaaren und andere geringwerthige Dinge Gold und Perlen einzutauschen.

Juan de la Cosa, dessen Geschicklichkeit sprichwörtlich war und der die aufzusuchenden Gegenden schon von früher her kannte, erhielt den Oberbefehl der Expedition. Die Seefahrer erreichten das feste Land, sahen den Rio Sinn, den Golf von Uraba und gelangten nach dem Puerto del Retrete oder [285] de los Escribanos, am Isthmus von Panama. Dieser von Columbus erst am 26. November 1502 aufgefundene Hafen liegt siebzehn Meilen von der ehedem berühmten, jetzt aber verfallenen Stadt Nombre de Dias.

Ueberhaupt wurde diese von einem einfachen Kaufmanne organisirte Expedition durch Juan de la Cosa an Entdeckungen zu einer der fruchtbarsten Reisen. Leider sollte sie ein trauriges Ende nehmen. Die Schiffe erlitten im Golf von Haragua namhafte Beschädigungen, wodurch Bastidas und la Cosa genöthigt wurden, bei St. Domingo an's Land zu gehen. Hier ließ aber Bovadilla, der Ehrenmann, dieses Muster eines Gouverneurs, dessen niederträchtiges Verfahren gegen Columbus wir schon früher schilderten, die beiden Führer unter dem erdichteten Vorwande, von den Indianern Xaragua's Gold gekauft zu haben, verhaften und sendete sie nach Spanien, wo sie nach einem entsetzlichen Sturme, bei dem ein Theil der Flotte zu Grunde ging, ankamen.

Nach dieser erfolgreichen Expedition vermindert sich die Zahl der Entdeckungsreisen während mehrerer Jahre, welche die Spanier mehr dazu benutzten, ihre Herrschaft in den Ländern, wo sie Niederlassungen gegründet hatten, zu befestigen.

Schon 1493 begann die Kolonisation Espagnolas und entstand daselbst die Stadt Isabella. Zwei Jahre später durchstreifte Columbus selbst das ganze Gebiet der Insel, unterwarf mit Hilfe seiner zur Indianerjagd abgerichteten Hunde die armen Wilden und zwang sie, die eigentlich gar nichts zu thun gewöhnt waren, in den Bergwerken zu harter Arbeit. Bovadilla und später Ovando, welche die Indianer wie eine Heerde wilder Thiere behandelten, hatten jene unter die Kolonisten vertheilt. Die Grausamkeiten gegen diese unglückliche Race wurden von Tag zu Tag abscheulicher. Durch gemeine Hinterlist bemächtigte sich Ovando der Königin von Xaragua und dreihundert Großer des Landes. Auf ein gegebenes Zeichen wurden Alle, trotzdem, daß man ihnen nicht das Geringste vorwerfen konnte, einfach niedergemacht. »Im Verlaufe einiger Jahre, sagt Robertson, stieg die Summe Gold, welche man in den königlichen Schatz Spaniens abführte, auf ungefähr 460.000 Pesos (2,400.000 Livres tournois = 11/2 Millionen Mark), eine sehr beträchtliche Summe, wenn man im Auge behält, wie sehr der Werth des Goldes zu Anfang des 16. Jahrhunderts gestiegen war.« Im Jahre 1511 erobert Diego Velasquez Cuba mit nur dreihundert Mann, und hier [286] erneuerten sich die blutigen Auftritte und die rohe Plünderungswuth, welche dem spanischen Namen eine so traurige Berühmtheit erwarben. Man schnitt den Indianern die Hände ab, stach ihnen die Augen aus und goß siedendes Oel oder geschmolzenes Blei in ihre Wunden, wenn man sie nicht bei mäßigem Feuer briet, um von ihnen ein Geständniß bezüglich der Schätze zu erpressen, in deren Besitz man sie glaubte. Die Bevölkerung verminderte sich denn auch zusehends, so daß der Tag ihres völligen Verschwindens nicht fern sein konnte. Man muß hierüber bei Las Casas, dem unermüdlichen Vertheidiger dieser grausam mißhandelten Volksstämme, nachlesen, um aus dessen herzzerreißender und entsetzlicher Darstellung zu erfahren, welche Qualen und Mißhandlungen jene zu erdulden hatten.

Auf Cuba wurde der Cazike Hattuey gefangen und zum Feuertode verurtheilt. Als er schon an den Pfahl gebunden war, bemühte sich ein Franziskaner noch, ihn zu bekehren, indem er ihm versprach, daß er auf der Stelle alle Wonnen des Paradieses schmecken werde, wenn er den christlichen Glauben annähme.

»Befinden sich, fragte Hattuey dagegen, auch Spanier an demselben Orte, der diese Wonnen bieten soll? Gewiß, antwortete der Mönch, doch nur Solche, welche gerecht und gut gewesen sind! – Der Beste von Euch, versetzte der empörte Cazike, kennt ja weder Gerechtigkeit noch Güte! Nein, ich mag nimmer dahin kommen, wo ich einem einzigen Vertreter dieser verfluchten Race begegnen könnte!«

Kennzeichnet das nicht hinreichend den Grad der Verzweiflung, zu dem jene bedauernswerthen Völkerschaften getrieben waren? Jene Schreckensscenen aber wiederholten sich überall, wohin die Spanier den Fuß setzten. Doch werfen wir einen Schleier über die Schandthaten, welche Menschen vollbrachten, die sich für civilisirt hielten und andere minder wilde Völker zum Christenthume, der Religion der Vergebung und der Liebe, zu bekehren trachteten.

Im Laufe der Jahre 1504 und 1505 untersuchten vier Schiffe den Golf von Uraba. Hierbei führte Juan de la Cosa zum ersten Male den unbeschränkten Oberbefehl. In die nämliche Zeit hat man auch die dritte Reise Hojeda's nach dem Gestade von Coquibacoa zu verlegen, welche, nach Humboldt, zwar bestimmt stattfand, aber sehr dunkel geblieben ist.

Im Jahre 1507 entdeckte Juan Diaz de Solis im Vereine mit V. Yanez Pinzon ein ausgedehntes Land, das später unter dem Namen [287] Yucatan bekannt wurde. Obwohl sich diese Reise durch keine besonderen Ereignisse auszeichnete, sagt Robertson, verdient sie doch der Erwähnung weil sie zu den wichtigsten Entdeckungen führte. Aus demselben Grunde werden wir uns später auch mit einer Fahrt Diego de Orampo's beschäftigen, der, als er nach Cuba segeln sollte, zuerst mit Sicherheit erkannte, daß dieses von Columbus früher für einen Theil des Continents angesehene Land nur eine große Insel sei.


Lebendig verbrannte Indianer. (Facsimile. Alter Kupferstich.) (S. 284.)

Zwei Jahre später drangen Juan Diaz de Solis und V. Pinzon, bei einer Reise nach dem Aequator und [288] über diesen hinaus, bis zum 40. Grade südlicher Breite vor und erkannten mit Verwunderung, daß der Continent zu ihrer Rechten diese erstaunliche Längenausdehnung habe.


Durch Hunde zerrissene Indianer. (Facsimile. Alter Kupferstich.) (S. 287.)

Sie landeten wiederholt und nahmen feierlich von dem Küstenstriche Besitz, gründeten aber aus Mangel an Hilfsmitteln nirgends eine Niederlassung. Das auffälligste [289] Resultat dieser Reise bestand demnach einzig in der genaueren Kenntnißnahme der Länge dieses Erdtheiles.

Der Erste, der auf den Gedanken kam, eine Kolonie auf dem Festland zu gründen, war jener Alfons de Hojeda, dessen abenteuerliche Fahrten nur im Vorhergehenden erzählten. Selbst ohne Vermögen, doch bekannt wegen seines Muthes und Unternehmungsgeistes, fand er leicht einige Theilnehmer die ihm die nöthigen Mittel für dieses Vorhaben lieferten.

Gleichzeitig rüstete Diego de Nicuessa, ein reicher Kolonist von Espagnol eine Expedition zu dem nämlichen Zwecke aus (1509). König Ferdinand, wie immer verschwenderisch mit Unterstützungen, wenn sie nichts kosteten, verließ ihnen Beiden reichlich Patente und Ehrentitel, gab zu den Unternehmungen selbst aber keinen Maravedi. Er errichtete auf dem Continente zwei Gouvernements, deren eines sich vom Cap la Vela bis zum Golfe von Darien, das andere von hier aus bis zum Cap Gracias a Dios erstreckte. Das erste wurde Hojeda, das zweite Nicuessa verliehen. Die beiden »Conquistadores« bekamen es jetzt aber mit minder sanftmüthigen Bevölkerungen als die der Antillen zu thun. Entschlossen, sich der Wegnahme ihres Landes zu widersetzen, entwickelten sie den Spaniern ganz unerwartete Vertheidigungsmittel. Es kam zu erbitterten Kämpfen. In einem einzigen Gefechte fielen sechzig Leute Hojeda's von den Pfeilen der Indianer, deren Spitzen mit »Curare« bestrichen waren, das ist ein so heftiges Gift, das schon die geringste Verwundung den Tod nach sich zieht. Nicuessa seinerseits hatte vollauf zu thun, sich nur zu vertheidigen, weil trotz zweier namhaften Verstärkungen aus Cuba die größte Zahl der Theilnehmer an jenem Zuge in Folge von Verwundungen, Anstrengungen, Krankheiten und Entbehrungen umgekommen war. Die Ueberlebenden begründeten unter der Leitung Balboa's dann die kleine Kolonie Santa Maria el Antigua in Darien.

Vor der Erzählung der merkwürdigen Expedition des Letztgenannten müssen wir jedoch die Entdeckung eines Landstriches erwähnen, welcher den nördlichsten Theil des tief in das Festland eingeschnittenen Bogens bilden der den Namen des Golfs von Mexico führt. Im Jahre 1502 war Juan Ponce de Leon, einer der ältesten Familien Spaniens angehörig, mit Ovand in Espagnola eingetroffen. Er hatte thatkräftig zur Unterwerfung dieser Insel beigetragen und 1508 die Insel San Juan de Porto-Rico erobert. Da er von Indianern hörte, daß sich auf der Insel Bimini eine Wunderquell [290] befinde, deren Wasser Diejenigen verjüngte, welche davon tranken, beschloß Ponce de Leon, dieselbe aufzusuchen. Man darf wohl annehmen, daß er diese Heilquelle selbst erproben wollte, obwohl er damals nur gegen fünfzig Jahre zählte.

Ponce de Leon setzte also auf seine Kosten drei Schiffe in Stand, mit denen er am 1. März 1512 aus dem Hafen St. Germain de Porto-Rico absegelte. Er wandte sich nach den Liucayen, die er ebenso wie den Bahama-Archipel eingehend durchforschte. Fand er aber auch die im naiven Glauben gesuchte Wunderquelle nicht, so entdeckte er doch ein scheinbar sehr fruchtbares Land, dem er, entweder, weil er daselbst am Palmsonntag (Blumen-Ostern) landete, oder wegen seines bezaubernden Anblickes den Namen Florida gab. Mit einem solchen Erfolge hätte sich wohl mancher andere Seefahrer begnügt. Ponce de Leon irrte aber von Insel zu Insel und trank von jeder Quelle, die er fand, ohne dadurch sein weißes Haar wieder dunkeln oder die Falten des Gesichtes verschwinden zu sehen. Dieser trügerischen Narrenfahrt müde, warf er nach sechsmonatlichen fruchtlosen Versuchen die Flinte in's Korn, überließ es Perez de Ortubia und dem Piloten Antonio de Alminos, die Nachforschungen fortzusetzen, und kehrte am 5. October nach Porto-Rico zurück. »Hier mußte er manchen Spott über sich ergehen lassen, sagt der Pater Charlevoix, als man ihn leidender und mehr gealtert als bei der Abfahrt wiederkommen sah.«

Man wäre wohl versucht, diese ihren Motiven nach so lächerliche, ihren Erfolgen nach so fruchtbare Reise unter die erfundenen Fahrten zu rechnen, wenn sie nicht durch so glaubwürdige Geschichtsschreiber wie Peter Martyr, Oviedo, Herrera und Garcilasso de la Vega bestätigt würde.

Vasco Nuñez de Balboa, ein fünfzehn Jahre jüngerer Mann als Ponce de Leon, war mit Bastidas nach Amerika gekommen und hatte sich auf Espagnola niedergelassen. Dort versank er aber, wie so viele seiner Landsleute, trotz des »Repartimiento« ihm zugetheilter Indianer, so tief in Schulden, daß er sehnlichst die Gelegenheit herbeiwünschte, sich den Verfolgungen seiner zahlreichen Gläubiger entziehen zu können. Zum Unglück verbot eine Verordnung jedem nach dem Festlande bestimmten Schiffe, zahlungsunfähige Schuldner an Bord aufzunehmen. Dank seinem erfinderischen Kopfe, wußte Balboa diese Schwierigkeit zu überwinden und ließ sich in einer leeren Tonne bis auf das Schiff rollen, das Encisco nach Darien führen sollte.

[291] Wohl oder übel mußte sich der Führer der Expedition den ihm so sonderbar aufgedrängten Anschluß des vor den Häschern fliehenden, aber muthigen Abenteurers gefallen lassen. Von den Antillen her gewöhnt, keinen ernsthaften Widerstand zu finden, vermochten die Spanier doch nicht die wilden Völkerschaften des Festlandes zu unterwerfen. In Folge innerer Streitigkeiten mußten sie sich nach St. Maria el Antigua zurückziehen, welches der, an Stelle Encisco's zum Befehlshaber ernannte Balboa in Darien gründete.

Wußte er sich bei den Indianern durch seinen persönlichen Muth geachtet zu machen, ebenso wie durch seinen, mehr als zwanzig bewaffnete Männer gefürchteten Spürhund Leocillo, der auch Soldatensold empfing, so hatte Balboa jenen durch seine Gerechtigkeitsliebe und verhältnißmäßige Mildheit, welche unnütze Grausamkeiten nicht zuließ, doch auch eine gewisse Sympathie einzuflößen gewußt. Im Laufe mehrerer Jahre erhielt er wiederholt schätzbare Nachrichten über jenes Eldorado, jenes Goldland, das er zwar selbst nicht erreichen sollte, zu dem er seinen Nachfolgern jedoch den Zugang wesentlich erleichterte.

So hörte er von der Existenz eines »sechs Sonnen« (d. h. sechs Reisetage) entfernten anderen Meeres, dem Pacifischen Ocean, das die Küste Perus, eines Landes mit ungeheurem Reichthume an Gold, bewässern sollte. Balboa, dessen Charakter ein eben so zäher war wie der Cortez' oder Pizarro's, der aber nicht wie diese Zeit fand, seine außergewöhnlichen Naturgaben in ihrem ganzen Umfange zu verwerthen, täuschte sich nicht über den Werth dieser Mittheilung und sah den hohen Ruhm vor Augen, den eine solche Entdeckung auf seinen Namen häufen müßte.

Er sammelte demnach hundertundachtzig Freiwillige, lauter unerschrockene Soldaten und an die Wechselfälle des Krieges und die ungesunden Ausdünstungen eines sumpfigen Landes, wo Fieber, Ruhr und Leberkrankheiten epidemisch herrschten, hinlänglich gewöhnte Leute.

Wenn der Isthmus von Darien nur sechzig Meilen in der Breite mißt, so trägt er doch eine gewaltige Gebirgskette, an deren Fuße das angeschwemmte, ungemein fruchtbare Land eine Vegetation hervorbringt, von deren Ueppigkeit Europäer gar keine Vorstellung haben. Hier wuchert ein unentwirrbares Netz von Lianen zwischen Farrenkräutern und Baumriesen, welche die Sonne vollkommen verdecken, hier grünt der echte, da und dort von sumpfigen Lachen durchsetzte Urwald mit seiner Unzahl von Vögeln, Insecten und Säugethieren, [292] deren munteres Leben kaum jemals die Erscheinung eines Menschen störte. Die feuchte Wärme dieser Landschaft erschöpft dazu die Kräfte und knickt bald die Energie auch des kraftvollsten Mannes.

Zu diesen Hindernissen, mit welchen die Laune der Natur den von Balboa zu durchmessenden Weg versperrt hatte, traten aber auch noch die nicht minder furchtbaren, welche ihm die wilden Bewohner des ungastlichen Landes zu bereiten suchen konnten. Ohne Rücksicht auf die Gefahren, die seiner Expedition durch die immerhin zweifelhafte Verläßlichkeit seiner indianischen Führer und Hilfsmannschaften drohen mochten, brach Balboa auf unter Begleitung von etwa tausend indianischen Trägern und einer Meute jener schrecklichen Spürhunde, die schon auf Espagnola an Menschenfleisch Geschmack gefunden hatten.

Von den Volksstämmen, auf die er unterwegs stieß, entflohen einige mit Hab und Gut in die Berge, andere benutzten das schwierige zerrissene Terrain, um sich zu widersetzen. In der Mitte seiner Leute marschirend, ihre Entbehrungen theilend und stets bereit, sich selbst jeder Gefahr auszusetzen, wußte Balboa wiederholt deren gesunkenen Muth neu zu beleben und ihnen einen solchen Feuereifer mitzutheilen, daß er nach fünfundzwanzig Tagen mühevollen, durch viele Gefechte unterbrochenen Marsches, vom Gipfel eines Berges aus den ungeheuren Ocean erblicken konnte, von dem er vier Tage später, den blanken Degen in der einen Hand, in der anderen das Banner Castiliens, im Namen des Königs von Spanien Besitz ergriff.

Der Theil des Stillen Oceans, welchen er zuerst auffand, liegt südöstlich von Panama und führt noch heute den Namen des Golfs von San-Miguel, den Balboa ihm damals gegeben. Die Erkundigungen, die er von den mit Waffengewalt unterworfenen Caziken, bei denen er übrigens eine beträchtliche Beute machte, einzog, stimmten in allen Punkten mit denen vor seinem Aufbruche überein.

Gewiß lag im Süden ein großes Reich mit so ungeheuren Schätzen, »daß man die gewöhnlichsten Geräthe aus Gold herstellte«, wo eine Art Hausthiere, die Lamas, deren Erscheinung nach der Zeichnung Eingeborner der der Kameele ähneln mußte, abgerichtet wurden und schwere Lasten schleppten. Diese interessanten Einzelheiten und die ihm angebotene große Menge Perlen bekräftigten Balboa in der Ansicht, die von Marco Polo beschriebenen Gebiete Asiens erreicht zu haben und nun wirklich dem Königreiche [293] Cipango nahe zu sein, dessen wunderbare, den Augen der habgierigen Abenteurer unablässig vorschwebende Reichthümer der venetianische Reisende so verlockend geschildert hatte.

Balboa überschritt den Isthmus von Darien wiederholt und stets auf anderem Wege. Alexander von Humboldt konnte mit Recht behaupten, daß dieser Landstrich zu Anfang des 16. Jahrhunderts besser bekannt gewesen sei als zu seiner Zeit. Noch mehr; Balboa fuhr auch auf den Ocean hinaus mit Schiffen, die auf seinen Befehl erbaut wurden, und rüstete eben eine ansehnliche Flotte und Waffenmacht, womit er Peru zu erobern gedachte, als er nach schmählichem Rechtsspruche auf Befehl Pedrarias Davila's, des Gouverneurs von Darien, zum Tode verurtheilt wurde, nur weil Letzterer auf das errungene Ansehen des Freibeuters und den weiteren Ruhm, den er sich bei dem beabsichtigten Zuge voraussichtlich erwerben würde, eifersüchtig geworden war. Die Eroberung Perus verzögerte sich also um fünfundzwanzig Jahre durch die verbrecherische Laune eines Menschen, dessen Name durch die Ermordung Balboa's fast ebenso berüchtigt worden ist, wie der des Herostratus.

Besaß man nun durch Balboa die ersten, etwas sicheren Kenntnisse von Peru, so sollte ein anderer Entdeckungsreisender nicht minder wichtige Nachrichten über Mexico liefern, dessen Herrschaft fast über ganz Central-Amerika reichte. Juan de Grijalva hatte im Jahre 1518 den Oberbefehl über eine aus vier Schiffen bestehende, von Diego Velasquez, dem Eroberer Cubas, ausgerüstete Flottille übernommen, um das, im Vorjahre von Fernandez de Cordova zuerst gesehene Yucatan näher in Augenschein zu nehmen. Grivalja führte, außer dem Piloten Alaminos, einem Theilnehmer an Ponce de Leon's Fahrt nach Florida, zweihundertundvierzig Freiwillige mit sich, unter diesen auch Bernal Dias de Castilla, den naiven Verfasser einer höchst interessanten Geschichte der Eroberung von Mexico, aus der wir noch manche Stellen entlehnen werden.

Nach dreizehntägiger Seefahrt entdeckte Grijalva nahe der Küste von Yucatan die Insel Cozumel, umschiffte das Cap Codoche und drang in die Campeche-Bai ein. Am 10. Mai ging er in Potonchan an's Land, dessen Bewohner trotz ihres Erstaunens über die Schiffe, die sie für Meerungeheuer ansahen, und über die Blitze schleudernden Männer mit bleichem Gesicht, den Platz, wo die Spanier Wasser einzunehmen suchten, und die Stadt so [294] standhaft vertheidigten, daß dabei siebenundfünfzig Spanier getödtet und viele verwundet wurden. Ein so warmer Empfang verlockte Grijalva natürlich nicht zum längeren Verweilen bei diesem kriegstüchtigen Volke. Nach viertägiger Rast stach er wieder in See, fuhr in westlicher Richtung längs der Küste Mexicos hin, lief am 17. Mai in einen, von den Eingebornen Tabasco genannten Fluß ein und sah sich hier sehr bald von einer, etwa fünfzig wohlbewaffnete Piroguen zählenden Flottille eingeschlossen, welche einen Kampf aufnehmen zu wollen schien. Dank der Klugheit Grijalva's und den Freundschafts-Versicherungen, mit denen man nicht sparsam war, wurde der Friede jedoch nicht gestört.

»Wir ließen ihnen sagen, schreibt Bernal Dias, daß wir Unterthanen eines mächtigen Kaisers, Namens Don Carlos, seien, den auch sie als Herrn anerkennen sollten, wobei es ihnen wohl gehen werde. Sie antworteten darauf, daß sie schon einen Herrscher hätten und nicht recht verständen, wie wir, kaum hier angekommen, ihnen einen anderen anböten, ohne ihre Verhältnisse zu kennen.« Man wird zugeben, daß diese Antwort nicht verräth, daß sie von Wilden stammt.

Im Austausch gegen einige werthlose europäische Kleinigkeiten erhielten die Spanier Yuccabrot, Copalharz, Goldstückchen in Form von Fischen oder Vögeln, ebenso wie im Lande verfertigte Baumwollenstoffe. Da die bei Cap Cotoche mit an Bord genommenen Eingebornen die Sprache der Bewohner von Tabasco nicht verstanden, kürzte man den Aufenthalt daselbst ab und stach wieder in See. Man segelte am Rio Guatzacoalco vorüber, entdeckte die schneeigen Sierras von San Martin und warf Anker an der Mündung eines Flusses, der den Namen Rio de las Banderas erhielt wegen der vielen weißen Fähnchen, welche die Eingebornen beim Erblicken der Fremden als Zeichen ihrer Friedfertigkeit schwenkten.

Bei seiner Landung wurde Grivalja mit wahrhaft göttlichen Ehren empfangen. Unter Copalräucherungen legte man mehr als fünfzehnhundert Piaster an Goldgeschmeide, ferner grüne Perlen und kupferne Aexte zu seinen Füßen nieder. Nach feierlicher Besitznahme des Landes erreichten die Spanier eine Insel, welche die Insel de los Sacrificios genannt wurde, weil man auf einer Art Altar, am oberen Ende einer hohen Treppe, fünf am Tage vorher geopferte Indianer mit geöffnetem Brustkasten, aus dem das Herz herausgenommen war, und mit abgeschnittenen Armen und Beinen vorfand.


Balboa entdeckt den Pacifischen Ocean. (S. 293.)

Später machte man vor einer kleinen Insel Halt, die nach dem Namen des Kalender-Heiligen jenes Tages San Juan genannt wurde, wozu man noch das Wort Culua fügte, das man die Indianer jener Gegend häufig wiederholen hörte. Culua aber war die alte Be [295] zeichnung für Mexico und unter jener Insel San Juan de Culua ist das heutige Saint Jean d'Ulloa zu verstehen.


Fernando Cortez. (Facsimile. Alter Kupferstich.) (S. 209.)

Nachdem er auf ein Schiff, das er nach Cuba schickte, alles hier eingesammelte Gold verladen, setzte Grijalva seine Fahrt längs der Küste [296] fort, ent deckte die Sierras von Tusta und von Tuspa, verschaffte sich vielfache nützliche Nachrichten von diesen volkreichen Gebieten und kam beim Rio Panuco au wo er sich von einer zahlreichen Flottille von Ruderbooten angegriffen sah, die er nur mit Mühe abzuwehren vermochte.

Die Expedition ging nun ihrem natürlichen Ende entgegen; die Schiffe waren in traurigem Zustande, die Lebensmittel nahezu erschöpft; die Freiwilligen,[297] zum Theil verwundet oder krank, erreichten in Folge dessen eine zu geringe Zahl, um sie, selbst unter dem Schutze schnell hergestellter Befestigungen, inmitten dieser kriegerischen Stämme zurückzulassen. Auch unter den Führern herrschte keine rechte Einigkeit mehr. Kurz, nach vorläufiger Ausbesserung der Schiffe im Rio Tonala, wo Bernal Dias sich rühmt, die ersten Orangenkerne in Mexico gesteckt zu haben, schlugen die Spanier wieder den Weg nach Santiago de Cuba ein, wo sie am 15. November anlangten, nach einer Kreuzfahrt von sieben Monaten, nicht von fünfundvierzig Tagen, wie Ferdinand Denis in der Didot'schen »Biographie etc.« sagt und es Ed. Charton in seinen »Voyageurs anciens et modernes« wiederholt hat.

Diese Reise hatte sehr wichtige Resultate ergeben. Zum ersten Male wurde dabei die ungeheure Küstenlinie Yucatans, die Campeche-Bai und der am meisten zurückliegende Theil des Golfs von Mexico im Zusammenhange untersucht. Jetzt wußte man nicht allein, daß Yucatan, nicht, wie man früher annahm, eine Insel sei, sondern besaß auch schon vielseitige und verläßliche Kenntnisse des mächtigen mexicanischen Reiches. Man war höchlichst erstaunt über die Anzeichen einer Civilisation, welche die der Antillen beiweitem übertraf, über die zweckmäßige Bodencultur, die Zartheit des Gewebes der baumwollenen Kleidungsstücke, über die hochentwickelte Baukunst, wie über die Vollendung des von den Eingebornen getragenen Goldschmuckes – lauter Wahrnehmungen, welche geeignet erschienen, bei den Spaniern von Cuba den Durst nach Schätzen zu erregen und in ihnen den Entschluß reisen ließen, als moderne Argonauten zur Gewinnung dieses Goldenen Vließes auszuziehen.

2.
II.

Ferdinand Cortez. – Sein Charakter. – Seine Ernennung. – Vorbereitungen zur Expedition und Velasquez Versuche, jene zu hintertreiben. – Landung in Vera-Cruz. – Mexico und der Kaiser Montezuma. – Die Republik von Tlascala. – Zug nach Mexico. – Gefangennahme des Kaisers. – Narvaez' Niederlage. – Die »Noche triste«. – Schlacht bei Otumba. – Zweite Belagerung und Einnahme von Mexiko. – Zug nach Honduras. – Reise in Spanien. – Expeditionen im Pacifischen Ocean. – Cortez' zweite Reise in Spanien. – Sein Tod.


Velasquez hatte die Rückkehr Grijalva's nicht abgewartet, um die reichen Producte der von diesem entdeckten Gebiete nach Spanien zu senden, und dabei vom Rathe für Indien ebenso wie vom Bischof von Burgos um [298] erweiterte Machtvollkommenheiten nachzusuchen, die ihm freie Hand gaben, jene nun auch zu erobern. Gleichzeitig traf er schon die nöthigen Vorbereitungen zu einem neuen Zuge in dem Maßstabe, den die Gefahren und die Wichtigkeit des geplanten Unternehmens verlangten. Fiel es ihm nun auch verhältnißmäßig leicht, das dazu erforderliche Material und ausreichende Mannschaft zusammenzubringen, so hatte Velasquez, den ein alter Schriftsteller als einen etwas geizigen, abergläubischen und argwöhnischen Mann schildert, weit mehr Mühe, einen Anführer zu finden. In der That mußte man bei diesem eine glückliche Vereinigung immerhin seltener Eigenschaften voraussetzen, wie großes Talent und unerschrockenen Muth, ohne welche auf einen durchschlagenden Erfolg gar nicht zu rechnen war, gleichzeitig neben der Einsicht und Unterwürfigkeit, um nichts ohne Befehl zu thun und Dem, der bei der ganzen Sache keinerlei Gefahr lief, den Ruhm der Entdeckung und ihrer Erfolge zu überlassen. Die Einen, vielleicht thatenlustige und kühne Männer, wollten sich nicht zu Werkzeugen erniedrigen; Andere, welche gefügiger oder nur minder offenherzig waren, entbehrten wieder der nothwendigsten Eigenschaften für den wichtigen Ausgang eines so weitschichtigen Unternehmens; Diese, und zwar die meisten Theilnehmer des Grijalva'schen Zuges, wollten das Obercommando ihrem Führer übergeben wissen, Jene zogen Augustin Bermudez oder Bernardino Velasquez vor. Während dieser langen Vorverhandlungen einigten sich zwei Günstlinge des Gouverneurs, Andreas de Duero, dessen Secretär, und Amador de Lares, ein Controleur auf Cuba, mit einem Hidalgo, Namens Fernando Cortez, unter der Bedingung, den Ertrag des Zuges zu theilen.

»Sie drückten sich, sagt Bernal Dias, mit so schönen und honigsüßen Worten aus, erschöpften sich in Lobsprüchen über Cortez mit der Versicherung, daß nur er der geeignete Mann für diese Sache und der gesuchte unerschrockene Führer und gleichzeitig der treueste Diener Velasquez', übrigens seines Taufzeugen, sein werde, daß sie Letzteren überredeten und Cortez wirklich zum General-Kapitän ernannt wurde. Andreas de Duero, als Secretär des Gouverneurs, beeilte sich, für Cortez möglichst günstig gefaßte und vorschriftsmäßig unterzeichnete Vollmachten auszufertigen.«

Und doch wäre gerade dieser gewiß nicht der Mann gewesen, den Velasquez gewählt hätte, wenn er hätte in die Zukunft schauen können. Cortez war im Jahre 1485 zu Medellin in Estremadura von alter, aber [299] unvermögender Familie geboren. Nachdem er in Salamanca lange Zeit den Studien obgelegen, kehrte er nach seiner Vaterstadt zurück, deren ruhiges und friedliches Leben seinem erregbaren Charakter und launischen Sinne nicht lange genügen konnte. Er reiste also bald nach Amerika, wo er unter der Protection seines Verwandten, des Gouverneurs Ovando in Espagnola, schneller vorwärts zu kommen hoffte.

Cortez fand nach seiner Ankunft wirklich bald eine ebenso ehrenhafte als einträgliche Beschäftigung, davon zu schweigen, daß er wiederholt an Streifzügen gegen die Eingebornen theilnahm. Wenn er sich hierbei mit der gewohnten Taktik der Indianer vertraut machte, so verlor er dabei leider auch alle Scheu vor den Grausamkeiten, welche den castilischen Namen später so oft besudeln sollten.

Im Jahre 1511 begleitete er Diego de Velasquez bei einem Zuge nach Cuba und zeichnete sich dabei so sehr aus, daß er trotz gewisser Mißhelligkeiten, worüber die neueren Schriftsteller vollkommenen Aufschluß geben, als Belohnung sehr ausgedehnte Ländereien mit vielen Bewohnern verliehen erhielt.

Binnen wenig Jahren hatte Cortez durch glückliche Unternehmungen schon drei Millionen Castellanos zusammengebracht, eine für seine Verhältnisse gewiß sehr beträchtliche Summe. Obwohl er sich als Anführer noch nicht erprobt hatte, so waren es doch seine unermüdliche Thätigkeit, die von dem ungeordneten Aufbrausen der Jugendzeit übrig blieb, seine anerkannte Klugheit, seine Prudhomie, wie man früher sagte, die Entschlossenheit und das ihm in hohem Maße zukommende Talent, durch die Cordialität seines Wesens die Herzen Anderer zu gewinnen, welche ihm bei Velasquez der Empfehlung seiner Protectoren würdig erscheinen ließen. Hierzu denke man sich noch eine ansprechende äußere Erscheinung, neben hervorragender Gewandtheit in allen körperlichen Uebungen und einer selbst unter allen diesen Abenteurern seltenen Ausdauer in Entbehrungen und Strapazen.

Als er aber einmal außer den sprechendsten Zeugnissen wohlerworbener Dankbarkeit einen Auftrag, als Führer zu dienen, erhielt, zog Cortez an seinem Hause eine schwarze, goldgestickte Standarte mit einem rothen Kreuze inmitten blauer Flammen auf, unter der er die Inschrift anbrachte: »Freunde, folgen wir dem Kreuze, und wenn wir den Glauben haben, werden wir unter diesem Zeichen siegen«. Nun concentrirte er auch alle Kräfte seines [300] erfinderischen Geistes, um den Erfolg seines Unternehmens sicher zu stellen. Getrieben von einem Enthusiasmus, den nicht einmal Diejenigen erwartet haben würden, die ihn vielleicht am besten kannten, verwendete er nicht nur alle seine baaren Mittel zur Ausrüstung der Flotte, sondern belastete auch seinen Grundbesitz und entlieh von Freunden ganz namhafte Summen, nur um Schiffe, Lebensmittel, Schießbedarf und Pferde einzukaufen. In wenig Tagen traten, angezogen von dem Ruhme des Generals und gereizt durch die verlockende und sicheren Erfolg versprechende Aussicht auf reichlichen Ertrag, dreihundert Freiwillige bei ihm ein.

Velasquez jedoch wollte, vielleicht noch immer voll Verdacht und von einigen neidischen Seelen noch angetrieben, den Zug noch in seinem Anfange verhindern. Cortez empfing von dessen Absicht, ihm in letzter Stunde noch den Oberbefehl wieder abzunehmen, durch seine Beschützer Nachricht, und schnell war sein Entschluß gefaßt. Trotz seiner noch nicht vollzähligen Mannschaft und der unzureichenden Ausrüstung, rief er seine Leute zusammen und lichtete während der Nacht die Anker. Velasquez, der sich so überlistet sah, verheimlichte zwar seinen Zorn darüber, ging aber sofort daran, Den auf seinem Wege aufzuhalten, der alle Abhängigkeit so leicht von sich geschüttelt hatte.

In Macaca vervollständigte Cortez seinen Proviant und sah viele frühere Genossen Grijalva's unter seiner Fahne zusammenströmen, wie Pedro de Alvarado und seine Brüder Christoval de Olid, Alonzo de Avila, Hermandez de Puerto Carrero, Gonzalo de Sandoval und Bernal Diaz de Castillo, der über diese Ereignisse, quorum pars magna fuit, eine prächtige Chronik schrieb. Dann wandte er sich nach Maritima de Trinidad, einem an der Südküste Cubas gelegenen Hafen, wo er noch weitere Provisionen einnahm. Inzwischen erhielt der Gouverneur Verdugo von Velasquez briefliche Mittheilung, Cortez zu verhaften, da diesem der Oberbefehl über die Flotte wieder entzogen worden war. Das wäre aber für die Stadt ein sehr gefährlicher Versuch gewesen, und Verdugo enthielt sich dessen klüglich. Um noch neue Anhänger zu gewinnen, begab sich Cortez nach Havanna, während sein Lieutenant Alvarado den Landweg dahin einschlug, wo die letzten Vorbereitungen getroffen wurden. Trotz des Mißerfolges seines ersten Versuches erließ Velasquez noch einen zweiten Befehl, Cortez zu verhaften; der Gouverneur Pedro Barba sah aber ohne Weiteres die Unmöglichkeit ein, diesen [301] Auftrag auszuführen inmitten der Soldaten, die nach Bernal Diaz' Zeugnis gern ihr Leben für Cortez gelassen hätten.

Nach Zusammenrufung seiner Freiwilligen und Einschiffung alles dessen, was er brauchte, ging Cortez am 18. Februar 1519 unter Segel mit elf Schiffen, deren größtes 100 Tonnen maß, in Begleitung von 110 Seelenten, 553 Soldaten, darunter 13 Andalusier, 200 Indianer von der Insel und einige Frauen zur Verrichtung der häuslichen Arbeiten. Die Hauptstärke der Expedition bildeten ihre zehn Stück Kanonen und vier Falkonets mit reichlicher Munition und sechzehn Pferde, die für schweres Geld angeschafft worden waren. Mit diesen geringfügigen Mitteln, deren Aufbringung ihm doch so viel Mühe gekostet hatte, wagte Cortez den Kampf gegen einen Herrscher, dessen Besitzungen einen größeren Umfang hatten als die der Krone Spaniens – ein Unternehmen, vor dessen Schwierigkeiten er gewiß zurückgewichen wäre, wenn er nur deren Hälfte gekannt hätte. Schon vor langer Zeit sang jedoch ein Dichter: »Das Glück ist stets dem Kühnen hold«.

Nach einem heftigen Sturme gelangte die Expedition nach der Insel Cozumal, deren Bewohner entweder aus Furcht vor den Spaniern, oder weil sie die Machtlosigkeit ihrer Götter erkannten, zum Christenthum übertraten. Eben als die Flotte die Insel verlassen wollte, hatte man das Glück, noch einen Spanier, Jeromino de Aguilar, der seit sieben Jahren in Gefangenschaft der Indianer gewesen war, aufzunehmen. Dieser Mann, der die Maya-Sprache vollständig gelernt hatte und ebensoviel Klugheit als Gewandtheit besaß, sollte der Expedition als Dolmetscher bald die ersprießlichsten Dienste leisten.

Cortez segelte nach Umschiffung des Cap Cotoche in die Campeche-Bai, an Potonham vorüber und den Rio Tabasco hinauf, in der Hoffnung, hier ebensogut wie früher Grijalva aufgenommen zu werden und eine ähnliche Menge Gold als Geschenk zu erhalten. Jetzt hatten aber die Anschauungen der Indianer eine völlige Umwandlung erfahren, so daß man gegen dieselben Gewalt brauchen mußte. Trotz ihrer großen Anzahl und ihres persönlichen Muthes wurden die Eingebornen doch in mehreren Gefechten gänzlich geschlagen, vorzüglich, weil ihnen die Detonationen der Feuerwaffen und die Erscheinung der von ihnen für übernatürliche Wesen gehaltenen Reiter einen wahrhaft panischen Schrecken einflößten. Die Indianer verloren hierbei viel Menschen, während die Spanier mit zwei Todten und vierzehn verwundeten Soldaten[302] nebst einigen blessirten Pferden davon kamen; die letzteren verband man mit Fett, das die todten Körper der Indianer lieferten. Zuletzt wurde Friede geschlossen und Cortez erhielt Lebensmittel, Baumwollenstoffe, etwas Gold und zwanzig weibliche Sklaven, unter diesen auch jene Marina, deren alle zeitgenössischen Schriftsteller Erwähnung thun und welche den Spaniern so hervorragende Dienste als Dolmetscherin leisten sollte.

Cortez steuerte seinen Kurs nach Westen weiter, immer bemüht, einen geeigneten Landungsplatz zu entdecken, fand aber einen solchen erst in St. Jean d'Ulloa. Kaum hatte die Flotte Anker geworfen, als sich dem Admiralschiffe ein Canot ohne jedes Zeichen von Furcht näherte. Durch Marina, welche ja selbst aztekischer Abkunft war, erfuhr Cortez, daß die Völkerstämme dieses Landes einem großen Reiche unterthan waren, dessen jüngst eroberte Provinz ihre Heimat bildete. Ihr Monarch, mit Namen Moctheuzoma, bekannter unter dem Namen Montezuma, residirte zu Tenochtitlan oder Mexico, etwa sechzig Meilen im Innern des Landes. Cortez theilte den Indianern seine friedlichen Absichten mit, bot ihnen einige Geschenke an und landete an dem unfruchtbaren und ungesunden Strande von Vera-Cruz. Lebensmittel strömten bald in Menge herbei. Am Tage nach der Landung kam aber der von Montezuma gesendete Gouverneur der Provinz in nicht geringe Verlegenheit, was er Cortez antworten sollte, als dieser von ihm ohne Verzug zu seinem Herrn geführt zu werden verlangte. Er kannte nur zu gut die Unruhe und die Furcht, welche die Seele des Herrschers seit dem Eintreffen der Spanier erfüllten. Inzwischen ließ er jedoch seine Baumwollenstoffe, Federmäntel und verschiedene goldene Gegenstände zu den Füßen des Generals niederlegen, wodurch freilich die Habsucht der Europäer nur noch mehr gereizt wurde. Um nun den armen Indianern eine Vorstellung von seiner Macht zu geben, ließ Cortez seine Soldaten exerciren und einige Kanonen abfeuern, deren Donner jene zu Eis erstarren ließ. Während der ganzen Zeit der Verhandlungen hatten mehrere Maler auf weißen Baumwollenstoffen die Schiffe, die Truppen und Alles, was jenen in die Augen gefallen war, abconterfeit. Diese sehr geschickt ausgeführten Bilder sollten Montezuma zugesendet werden.

Bevor wir zu dem Berichte über die wahrhaft heldenmüthigen Kämpfe, welche nun bald folgen sollten, übergehen, scheint es wohl am Orte, Einiges über das mexicanische Reich mitzutheilen, das, so mächtig es auf den ersten Blick auch erschien, doch schon vielfache Keime des Zerfalls und der Auflösung in seinem Schooße barg. Sonst möchte es dieser Handvoll Abenteurern schwerlich gelungen sein, dasselbe zu überwinden.


Cortez erhielt Lebensmittel, Baumwollenstoffe, etwas Gold und zwanzig weibliche Sklaven. (S. 303.)

Der unter Montezuma's Herrschaft stehende Theil von Amerika hieß Anahuac und erstreckte sich zwischen dem 14. und 20. Grade nördlicher Breite. Etwa in der Mitte dieses Gebietes, welches der wechselnden Höhenlage wegen sehr verschiedene Temperaturen [303] bietet, findet sich, etwas näher dem Pacifischen Ocean als dem Atlantischen, in einem Umfange von fünfundsiebzig Meilen und einer Meereshöhe von 7500 Fuß ein ausgedehntes Becken, das mehrere Seen enthält und unter dem Namen des Thales von Mexico – dem Namen der Hauptstadt des Reiches – bekannt ist.


Lagunen von Mexico. (Facsimile. Alter Kupferstich.)

[304]

[305] Erklärlicher Weise besitzen wir nur wenig authentische Kenntnisse über ein Volk, dessen schriftlich aufbewahrte Geschichte durch unwissende »Conquistadores« und fanatische Mönche den Flammen übergeben wurde, weil Letztere vorzüglich mit tollem Eifer Alles zu vernichten suchten, was an die religiösen oder politischen Traditionen des unterjochten Volkes erinnern konnten.

Im 7. Jahrhundert von Norden herabziehend, hatten sich die Tolteken über das Plateau von Anahuac verbreitet. Es war das ein intelligenter, mit dem Landbau, mechanischen Künsten und der Bearbeitung der Metallen vertrauter Volksstamm, der die meisten jener prachtvollen und wahrhaft-riesigen Bauwerke aufgeführt hat, deren Spuren man noch heute in Neu-Spanien auffindet.

Nach einer Herrschaft von vierhundert Jahren verschwanden die Tolteken ebenso geheimnißvoll, wie sie einst gekommen waren. Ein Jahrhundert nachher wurden sie durch einen anderen, von Nordwesten herabgestiegenen wilden Volksstamm ersetzt, dem bald noch andere, auf höheren Bildungsstufen stehende Stämme nachfolgten, welche die toltekische Sprache gesprochen zu haben scheinen. Die berühmtesten dieser Stämme sind die Azteken und die Alkolhues oder Tezkukanen, welche mit Leichtigkeit den Rest von Civilisation in sich aufnahmen, der im Lande noch von den letzten Tolteken her vorhanden war. Die Azteken ließen sich, nach verschiedenen Wanderungen und Kriegszügen, seit dem Jahre 1326 im Thale von Mexico nieder, wo sie ihre Hauptstadt Tenochtitlan erbauten. In Folge eines Offensiv- und Defensiv-Vertrages zwischen den Staaten von Mexico, Tezkuko und Tlakoplan, dem man ein volles Jahrhundert lang streng nachkam, breitete sich die aztekische Civilisation, während sie sich früher nur auf die Grenzen des Thales beschränkte bald so weit aus, wie das Land zwischen dem Pacifischen und Atlantischen Ocean reichte.

In kurzer Zeit stiegen diese Völker zu einem solchen Grade der Civilisation empor, daß sie alle Stämme der Neuen Welt überragten. In Mexico gab es schon ein anerkanntes Eigenthumsrecht, der Handel stand in [306] voller Blüthe und drei Arten verschiedener Münzen erleichterten den Verkehr. Das Polizeiwesen war geregelt und ein ganzes System mit vollkommener Sicherheit fungirender Relais vermittelte schnell die Befehle des Herrschers von einem Ende des Reiches bis zum anderen. Die Anzahl und Schönheit der Städte, die Größe der Paläste, Tempel und Festungswerke legen Zeugniß ab von einer weit vorgeschrittenen Civilisation, welche doch mit dem sonst wilden Stamme der Azteken in grellem Widerspruche stand. Man kann sich etwas barbarischeres und blutigeres als ihre polytheistische Religion kaum vorstellen. Die Priester bildeten eine sehr zahlreiche Kaste und übten, selbst bei rein politischen Fragen, einen weitgehenden Einfluß aus. Neben manchen rituellen Aehnlichkeiten mit der christlichen Religion, wie z.B. bezüglich der Taufe und des Glaubensbekenntnisses, bestand die ihrige aus einem dichten Gewebe des sinnlosesten und blutigsten Aberglaubens. So kam es, daß die zu Anfang des 14. Jahrhunderts aufgekommenen und zuerst nur seltenen Menschenopfer bald so häufig wurden, daß man die Zahl der geschlachteten Opfer im Jahresmittel auf zwanzigtausend schätzt, welche meist von den besiegten Völkern geliefert wurden. Unter gewissen Verhältnissen ward diese Zahl sogar noch beträchtlich überschritten. So fanden z.B. im Jahre 1486, bei Gelegenheit der Einweihung des Tempels von Huitzilopchit, nicht weniger als siebzigtausend Gefangene ihren Tod an einem einzigen Tage.

Die Regierung Mexicos war eine monarchische; mit den immer ausgebreiteteren Eroberungen wuchs aber die sonst ziemlich beschränkte Macht der Kaiser mehr und mehr und artete zuletzt in eine reine Despotie aus. Der Souverän ward stets aus derselben Familie gewählt und seine Thronbesteigung durch zahllose Menschenopfer gefeiert.

Der Kaiser Montezuma gehörte der Priesterkaste an und gerade seine Machtbefugniß hatte vielerlei Erweiterungen erfahren. Durch zahlreiche Kriege hatte er die Grenzen des Landes immer weiter hinausgerückt und Nationen unterjocht, welche nun die Spanier mit Freuden empfingen, deren Herrschaft ihnen weniger drückend und minder grausam als die der Azteken erschien.

Es unterliegt keinem Zweifel, daß die Spanier, wenn Montezuma mit allen ihm zu Gebote stehenden Kräften sie überfallen hätte, als sie auf der heißen und ungesunden Ebene von Vera-Cruz lagerten, einem solchen Stoße trotz der Ueberlegenheit ihrer Waffen und Disciplin nicht hätten Widerstand leisten können, Sie wären dabei alle umgekommen oder doch genöthigt [307] gewesen, wieder zu Schiffe zu gehen. Das Schicksal der Neuen Welt wäre dann wohl ein anderes geworden.

Montezuma aber, der niemals genau wußte, was er thun sollte, fehlte vor Allem jene Entschlossenheit, die einen hervorragenden Zug in Cortez' Charakter bildet.

Inzwischen hatten sich andere Gesandte des Kaisers nach dem spanischen Lager begeben, mit dem Befehl an Cortez, das Land unverzüglich zu verlassen; auf dessen Weigerung hin aber wurden alle Beziehungen mit den Eingebornen sofort abgeschnitten. Die Situation schleppte sich hin. Cortez verstand sie auszunützen. Nach Besiegung einiges Zauderns im Schooße seiner Truppen ließ er den Grundstein zu Vera-Cruz legen, eine Festung, die ihm als Operationsbasis, im Nothfalle aber wenigstens als Rückhalt dienen sollte, nm eine Wiedereinschiffung zu ermöglichen. Er organisirte sofort eine Art Civilregierung, eine Junta, wie man sich heute ausdrücken würde, der er seine von Velasquez zurückgenommenen Aufträge vorlegte, und ließ sich – Alles im Namen des Königs – neben weiteren Provisionen auch die ausgedehntesten Vollmachten geben. Dann empfing er die Abgesandten der Stadt Zempoalla, welche ein Bündniß mit ihm und seinen Schutz gegen Montezuma begehrten, dessen Joch man nur mit Unwillen ertrug.

Gewiß war es ein besonderes Glück, schon in den ersten Tagen nach der Landung solche Verbündete zu finden. Cortes wollte sich auch diese gute Gelegenheit nicht entgehen lassen und nahm die Totonaken möglichst freundlich auf, begab sich nach deren Hauptstadt und beschloß, nachdem er eine Befestigung in Quiabislan am Meeresufer erbaut, die Zahlung von Zöllen zu verweigern. Seinen Aufenthalt in Zempoalla benutzte er auch dazu, das Volk zur Annahme des Christenthums zu ermahnen, und stürzte ihre Götzenbilder um, wie er es schon in Cozumal gethan hatte, um den Bewohnern die Ohnmacht ihrer Götter vor Augen zu führen.

Währenddem wurde in seinem eigenen Lager ein Complot geschmiedet, und da er die Ueberzeugung hatte, daß er ebenso lange gegen die Lässigkeit und Unzufriedenheit seiner Soldaten anzukämpfen haben werde, als noch eine Möglichkeit vorlag, nach Cuba zurückzukehren, ließ Cortez seine Schiffe auf den Strand setzen unter dem Vorgeben, daß sie alle in zu schlechtem Zustande seien, um noch ferner Dienste zu leisten. Gewiß ein Act wahrhaft unerhörter Kühnheit, der seinen Begleitern nur noch die Wahl ließ, zu siegen oder zu sterben.

[308] Da er nun von dem Ungehorsam seiner Leute nichts mehr zu fürchten hatte, brach Cortez am 16. August von Zempoalla aus mit fünfhundert Soldaten, fünfzehn Pferden und sechs Stück Feldgeschützen auf, ungerechnet zweihundert indianische Träger, welche die niederen Arbeiten verrichten sollten.

Bald erreichte er die Grenzen der kleinen Republik Tlascala, deren wilde Eingeborne als Feinde jeder Knechtschaft schon lange mit Montezuma im Streite lagen. Cortez schmeichelte sich, daß seine so vielmal öffentlich erklärte Absicht, die Indianer Mexicos zu befreien, ihm die Tlascalanen in die Arme führen und zu seinen Verbündeten machen würde. Er begehrte also den Durchzug durch ihr Gebiet, um nach Mexico zu gelangen. Seine Abgesandten wurden aber einfach zurückgehalten, und als er in das Innere eindrang, mußte er vierzehn Tage hintereinander Tag und Nacht die unablässigen Angriffe mehrerer Heerhaufen von zusammen 30.000 Tlascalanen aushalten, die eine solche Kühnheit und Zähigkeit entwickelten, wie sie den Spaniern in der Neuen Welt noch niemals vorgekommen war.

Die Waffen dieser Wackeren waren aber gar zu primitiver Art. Was vermochten sie auszurichten mit ihren Pfeilen und mit Obsidian oder Fischknochen besetzten Lanzen, mit ihren getrockneten Pfählen und hölzernen Schwertern und vorzüglich mit ihrer unausgebildeten Taktik? Als sie gewahr wurden, daß in allen den Gefechten, welche das Leben einer so großen Zahl ihrer besten Krieger gekostet hatten, kein einziger Spanier getödtet worden war, singen sie an zu glauben, daß die Fremden Wesen höherer Art sein müßten, vorzüglich da sie sich über Menschen nicht klar wurden, welche die in ihrem Lager gefangenen Spione nicht mit abgeschnittenen Händen zurückschickten und nach jedem Siege die Gefangenen nicht nur nicht aufzehrten, wie es die Azteken gethan haben würden, sondern sie gar noch beschenkten – und so baten sie um Frieden.

Die Tlascanen bekannten sich also als Vasallen Spaniens und schwuren, Cortez bei jedem Zug Heerfolge zu leisten. Er seinerseits sollte sie dafür gegen ihre Feinde beschützen. Uebrigens war es hohe Zeit, daß es zu einem Friedensschlusse kam. Viele Spanier lagen verwundet, krank oder doch von Anstrengung erschöpft darnieder. Ihr Siegeseinzug in Tlascala aber, wo sie gleich übernatürlichen Wesen empfangen wurden, ließ sie bald alle früheren Leiden vergessen.

Nach zwanzigtägiger Rast in genannter Stadt nahm Cortez mit einem [309] Hilfscorps von 6000 Tlascanen seinen Marsch nach Mexico wieder auf. Er wandte sich zunächst nach Cholula; der Aussage der Indianer nach eine sehr gesunde Stadt, gleichzeitig ein heiliger Ort und bevorzugter Sitz ihrer Götter. Montezuma freute sich nicht wenig darüber, die Spanier dorthin gelockt zu sehen; mochte er nun darauf rechnen, daß die Götter selbst die Verletzung ihrer Tempel rächen würden, oder sagte er sich, daß eine Ermordung der Eindringlinge in dieser volkreichen und fanatischen Stadt leichter auszuführen sein werde.

Cortez jedoch war von den Tlascanen schon gewarnt worden, den Freundschafts- und Ergebenheits-Versicherungen der Cholulanen Glauben zu schenken. Trotzdem wählte er seine Quartiere ganz im Innern der Stadt, denn sein Ansehen verlangte wenigstens den Schein, daß er nichts zu fürchten brauche. Als ihn die Tlascanen aber benachrichtigten, daß die Weiber und Kinder aus der Stadt weggeschleppt worden seien, und Marina, daß sich eine beträchtliche Truppenmenge an den Thoren der Stadt sammle, sowie daß man in den Straßen Fußangeln gelegt und Gräben eingeschnitten habe, während nach allen erhöhten Stellen Steine gebracht würden, da kam Cortez seinen Feinden zuvor, ließ die Vornehmsten der Stadt ergreifen, fesseln und richtete unter der erschrockenen und ihrer Führer beraubten Einwohnerschaft ein entsetzliches Blutbad an. Volle zwei Tage lang waren die armen Cholulanen allen Schrecken preisgegeben, welche die Wuth der Spanier und die Rache der Tlascanen, ihrer Alliirten, nur erfinden konnten. Sechstausend Einwohner ermordet, die Tempel eingeäschert und die halbe Stadt zerstört – das war freilich ein grausames Beispiel und gewiß geeignet, Montezuma und seinen Untergebenen die nöthige Furcht einzuflößen.

Auf den zwanzig Meilen, die ihn noch von der Hauptstadt trennten, wurde Cortez überall als Befreier begrüßt. Es gab keinen einzigen Caziken, der sich nicht über den kaiserlichen Despotismus zu beklagen gehabt hätte, was Cortez noch mehr in dem Glauben bestärkte, er werde mit einem, im Innern so zerspaltenen Reiche leicht genug fertig werden.

Je weiter sie von den Bergen von Chalco herabstiegen, desto lieblicher entrollte sich das Thal von Mexico, sein umfangreicher Binnensee, der weite Buchten bildete und mit großen Städten besetzt war, die auf Pfählen gebaute herrliche Hauptstadt selbst nebst ihren wohl angebauten Feldern, vor den entzückten Augen der Spanier.

[310] Ohne sich um die fortwährenden Winkelzüge Montezuma's zu kümmern der bis zum letzten Augenblicke noch schwankte, ob er die Spanier als Feinde oder Freunde empfangen sollte, zog Cortez mit seinen Leuten auf der künstlichen Straße weiter, welche quer durch den See nach Mexico führt. Kaum eine Meile befand er sich von der Stadt entfernt, als sich mehrere durch ihre prächtige Kleidung als hervorragende Persönlichkeiten ausgezeichnete Indianer näherten und ihm die Ankunft des Kaisers meldeten.

Bald darauf erschien Montezuma, auf einer reich mit Gold und Federn geschmückten Tragbahre, welche auf den Schultern seiner Günstlinge ruhte, während ihn gleichzeitig ein prächtiger Thronhimmel gegen die Strahlen der Sonne schützte.

Wo er auf der Straße dahinzog, warfen sich die Indianer vor ihm nieder und verbargen ihr Gesicht, als seien sie unwürdig, des Herrschers Antlitz zu sehen. Dieses erste Zusammentreffen wurde ein sehr herzliches, und Montezuma führte in eigener Person seine Gäste nach dem für sie hergestellten Quartiere, einem ausgedehnten, mit einer Mauer umgebenen und von hohen Thürmen vertheidigten Palaste. Cortez traf sofort die nöthigsten Vertheidigungsmaßregeln und ließ seine Geschütze so aufstellen, daß sie die hierher führenden Straßen bestrichen.

Bei der zweiten Zusammenkunft wurden dem General und seinen Soldaten werthvolle Geschenke angeboten. Montezuma erzählte auch, daß die Vorfahren der Azteken, einer alten Sage nach, einst unter Anführung eines weißen und, ebenso wie die Spanier, bärtigen Mannes in's Land gekommen seien. Nachdem dieser ihre Macht begründet, habe er sich auf dem Ocean eingeschifft, unter dem Versprechen, seine Nachfolger würden dereinst wieder erscheinen, sie zu besuchen und ihre Gesetze zu verbessern. Wenn er sie (die Spanier) heute nicht als Fremde, sondern als Freunde aufnähme, so geschehe das, weil er überzeugt sei, in ihnen die Abkömmlinge jenes alten Häuptlings zu sehen, und er bitte sie deshalb, sich als die Herren seiner Staaten zu betrachten.

Die nächsten Tage widmeten die Spanier einer genaueren Besichtigung der Stadt, die sie größer, volkreicher und schöner fanden als irgend eine bis jetzt in Amerika gesehene andere. Als ganz besondere Eigenthümlichkeit erschienen die Straßen, die sie mit dem Festlande verbanden, nämlich eine Art Dämme mit verschiedenen Durchlaßöffnungen, um den auf dem See dahinsegelnden Fahrzeugen unbehinderten Durchgang zu gewähren. Uebrigens [311] schlossen leicht zerstörbare Brücken jene Oeffnungen ab. In der Richtung nach Osten fehlte es jedoch an einem solchen Straßendamme, und konnte man auf dieser Seite nur mittelst Canots nach der Stadt gelangen.

Diese eigenthümliche Lage der Stadt Mexico flößte Cortez, der hier, ohne einen Ausweg zu haben, unerwartet eingeschlossen werden konnte, doch einige Unruhe ein. Er beschloß also, um jedem verrätherischen Putsche zuvorzukommen, sich des Kaisers als Geisel zu bemächtigen. Die ihm eben zukommenden Nachrichten lieferten dazu den geeignetsten Vorwand: der mexicanische General Qualpopoka hatte von den Spaniern schon unterworfene Gebiete angegriffen und dabei Escalante und sieben Soldaten tödtlich verwundet.

Cortez benutzte diese Vorkommnisse, den Kaiser des Verrathes zu beschuldigen. Er behauptete, daß jener seinen Soldaten nur freies Spiel gewähre, um sie auch die erste günstige Gelegenheit ergreifen zu lassen, ihnen gegenüber hier ebenso wie gegen Escalante aufzutreten, ein Verfahren, das eines mächtigen Herrschers unwürdig wäre und sich sehr von dem guten Vertrauen unterscheide, mit dem Cortez zu ihm gekommen sei. Im Falle der Verdacht der Spanier aber unbegründet sei, habe der Kaiser ja ein einfaches Mittel, sich zu rechtfertigen, indem er Qualpopoka empfindlich bestrafen lasse. Um die Wiederkehr gewaltthätiger Auftritte zu verhindern, welche dem bisherigen guten Einvernehmen doch nur schaden konnten, und um seinen Mexicanern zu zeigen, daß er selbst gegen die Spanier keinerlei böse Absichten hege, blieb Montezuma keine andere Wahl übrig, als mitten unter Letzteren seine eigene Wohnung aufzuschlagen. Es liegt auf der Hand, daß sich der Kaiser hierzu nur sehr ungern entschloß, doch mußte er wohl oder übel der Uebermacht und den Drohungen seiner ungebetenen Gäste nachgeben. Als er seinen Unterthanen den Beschluß der Residenzverlegung kundgab, mußte er ihnen wiederholt versichern, daß er sich freiwillig und aus eigener Wahl unter die Spanier begebe, und sie durch seine Worte zu besänftigen suchen, da jene nicht übel Lust zeigten, über die Fremdlinge herzufallen.

Cortez' gewagter Streich gelang also weit über Erwarten. Qualpopoka, sein Sohn und fünf Hauptanführer bei jenem Angriffe wurden von den Mexicanern selbst verhaftet und einem spanischen Tribunal – Richter und Partei in einer Person – übergeben, das sie verurtheilte und lebendig verbrennen ließ. Nicht zufrieden damit, die Männer grausam bestraft zu haben, welche nur ihres Kaisers Befehle ausführten und sich dem Raube ihres Landes mit bewaffneter Hand widersetzten, bereitete Cortez Montezuma noch eine weitere Erniedrigung, indem er diesen unter dem Vorwande, von den Verurtheilten im letzten Augenblicke schwer angeschuldigt worden zu sein, in Ketten legen ließ.


Montezuma's Tod. (S. 317.)

Sechs Monate hindurch übte der »Conquistador« so im Namen des zum bloßen Scheinherrscher degradirten Kaisers die oberste Gewalt aus, [312] [314]entsetzte ihm mißliebige Gouverneure, ließ Zölle und Steuern eintreiben, bekümmerte sich um alle Einzelheiten der Verwaltung und entsendete Spanier in die verschiedenen Provinzen des Reiches, um sich Kenntnisse von deren Erzeugnissen zu verschaffen und vorzüglich die Bergbau-Districte auszukundschaften, sowie die bei der Goldgewinnung üblichen Verfahrungsweisen zu studiren.

Endlich machte sich Cortez die Neugier Montezuma's, der gern einmal europäische Schiffe sehen wollte, zunutze und ließ von Vera-Cruz Takelage nebst anderem Ausrüstungsmateriale kommen, um zwei Brigantinen erbauen zu lassen, die ihm die Verbindung mit dem Festlande sichern sollten.

Ermuntert durch die Beweise von Furcht und Unterwürfigkeit, ging Cortez noch weiter und verlangte von Montezuma, daß er sich als Vasall und Tributärfürst Spaniens bekennen solle. Die Leistung des Lehenseides ging, wie man sich leicht denken kann, unter Darbringung zahlreicher und kostbarer Geschenke, sowie unter Auflegung einer starken Contribution vor sich. Durch letztere wollte man alles von den Indianern erpreßte Gold und Silber zusammenhäufen, das mit Ausnahme weniger, ihrer schönen Bearbeitung wegen verschonter Stücke eingeschmolzen werden sollte. Alles in Allem kamen aber nicht mehr als 600.000 Pesos ( = 1,600.000 Mark) zusammen. Obwohl die Spanier also ihre ganze Macht aufboten und Montezuma seine eigenen Schätze leerte, um sie zu befriedigen, so erreichte das Ergebniß doch nur obige lächerliche Summe, die den Vorstellungen der Eindringlinge von den Reichthümern des Landes herzlich schlecht entsprach.

Nach Absetzung eines Fünftels für den König, eines Fünftels für Cortez und nach Abzug der für die Heeresausrüstung aufgewendeten Unkosten betrug der Antheil jedes Soldaten noch nicht hundert Pesos. Statt so arge Strapazen durchzumachen, sich so großen Gefahren auszusetzen und so schwere Entbehrungen zu erleiden für – erbärmliche hundert Pesos, wäre Jeder gewiß lieber auf Espagnola geblieben! Liefen Cortez' prahlerische Versprechungen auf dieses armselige Resultat hinaus, wenn anders die Theilung gerecht zugegangen war, worüber man sich allerdings leise Zweifel erlaubte, so erschien es wahrhaft lächerlich, noch länger in einem so elenden Lande auszuharren, während man unter einem, mit Versprechungen mehr haushälterischen aber freigebigeren Führer an Gold und Edelsteinen reiche Länder erobern konnte, wo für brave Kriegsleute wenigstens eine entsprechendere Belohnung [314] ihrer Mühen zu erwarten war. So etwa murmelten die beutegierigen Abenteurer unter einander; die Einen nahmen ihren Antheil höchstens unwillig in Empfang, Andere schlugen ihn verächtlich ganz aus.

Gelang es nun Cortez, auch bei Montezuma bezüglich aller politischen Angelegenheiten seinen Willen durchzusetzen, so war das bezüglich der Religion doch ganz und gar nicht der Fall. So konnte er ihn niemals dazu bewegen, das Christenthum anzunehmen, und als er, wie in Zempoalla, einen Versuch machte, die Götzenbilder umzustürzen, entstand sofort ein Aufruhr, der gewiß ein sehr ernstes Aussehen angenommen hätte, wenn er nicht staatsklug genug gewesen wäre, von seinem Vorhaben sofort abzustehen. Ertrugen die Mexicaner auch fast ohne Widerstand die Einkerkerung und Herabwürdigung ihres Monarchen, so beschlossen sie jetzt doch, den ihren Göttern angethanen Schimpf zu rächen, und bereiteten heimlich eine allgemeine Empörung gegen die Eindringlinge vor.

Eben als die Dinge im Innern des Landes einer minder günstigen Wendung entgegen gingen, empfing Cortez von Vera-Cruz her die Nachricht, daß mehrere Schiffe vor dem dortigen Hafen kreuzten. Zuerst glaubte er, diese als eine von Karl V. gesendete Hilfsflotte ansehen zu dürfen, und als Antwort auf einen Brief, den er durch Karrero und Monteja am 16. Juli 1519 an den König abgeschickt hatte. Bald erkannte er seine Täuschung und er erfuhr, daß diese Flottille, ausgerüstet von Velasquez, welcher wohl erfahren hatte, mit wie leichtem Herzen sein Unterbefehlshaber alle Bande des Gehorsams gegen ihn gesprengt hatte, den Auftrag habe, ihn abzusetzen, gefangen zu nehmen und nach Cuba zu schaffen, wo ihm der Proceß gemacht werden sollte.

Diese, unter dem Commando Pamphilo de Narvaez' stehende Flotte zählte nicht weniger als achtzehn Schiffe und trug vierhundert Reiter, hundert Fußsoldaten, darunter achtzig Musketiere nebst hundertzwanzig Armbrustschützen, und zwölf Kanonen.

Narvaez landete, ohne Widerstand zu finden, in der Nähe des Forts San Juan d'Ulloa. Als er aber an Sandomal, den Gouverneur von Vera-Cruz, das Ansuchen stellte, ihm die Stadt auszuliefern, verhaftete dieser einfach die Leute, welche sich zur Ueberbringung jener unverschämten Zumuthung hergegeben hatten, und schickte dieselben nach Mexico. Cortez setzte sie hier sofort wieder in Freiheit und zog von ihnen eingehende Erkundigung über die [315] Absichten und Streitkräfte Narvaez' ein. Die ihm persönlich drohende Gefahr war gewiß nicht gering. Außer ihrer überlegenen Anzahl besaßen die von Velasquez aufgebotenen Truppen auch bessere Waffen und reichlichere Munition als die seinigen; was ihn aber vorzüglich beunruhigte, war nicht etwa die Aussicht, selbst zum Tode verurtheilt zu werden, sondern die Furcht, die Erfolge seiner Mühen wieder verloren gehen zu sehen und die vor dem schlechten Eindruck, den solche Differenzen in Spanien hervorrufen mußten. Die Lage wurde kritisch Zuletzt, nach reiflicher Ueberlegung und Abwägung des Für und Wider, entschloß sich Cortez trotz des Mißverhältnisses zwischen seinen und den entgegenstehenden Kräften doch, lieber den Kampf aufzunehmen, als seine Eroberungen und die Interessen Spaniens aufzugeben.

Bevor es jedoch zum Aeußersten kam, entbot Cortez an Narvaez seinen Kaplan Olmeda, der eine sehr schlechte Aufnahme fand, und alle seine überbrachten Vermittelungsvorschläge kurzer Hand abgewiesen sah. Mehr Erfolg hatte Olmedo bei den Soldaten, die ihn meist von früherher kannten und unter denen er eine Menge Kettchen, Goldringe und andere Schmuckgegenstände vertheilte, Geschenke, welche nur zu sehr geeignet waren, bei jenen eine hohe Meinung von den Reichthümern des kühnen Eroberers zu erwecken. Narvaez, der hiervon hörte, wollte seine Soldaten aber nicht länger der Verführung ausgesetzt wissen; er setzte einen Preis aus auf den Kopf Cortez' und seiner ersten Officiere und zog jenem entgegen. Der Letztere war viel zu kriegsgewandt, um unter ungünstigen Verhältnissen eine Schlacht anzunehmen. Er suchte nur Zeit zu gewinnen, ermüdete Narvaez und dessen Truppen, die sich nach Zempoalla zurückzogen, und traf so ausgezeichnete Vorbereitungen, daß er durch eine nächtliche Ueberrumpelung, bei der Erstaunen und Schrecken das Mißverhältniß der Streitkräfte ausglichen, seinen Gegner mit allen Truppen gefangen nahm, während er selbst nur zwei Soldaten verlor.

Der Sieger behandelte die Besiegten mild und ließ ihnen die Wahl entweder nach Cuba zurückzukehren, oder sich seiner Fahne anzuschließen. Der letztere Ausweg erschien durch Cortez' Geschenke und Versprechungen den neuen Ankömmlingen am verlockendsten, so daß jener sich heute an der Spitze von 1000 Mann befand, wo er gestern so nahe daran war, Narvaez in die Hände zu fallen.

Diese unerwartet günstige Wendung seiner Verhältnisse benutzte Cortez mit diplomatischer Gewandtheit und beeilte sich zunächst, nach Mexico [316] zurückzugehen. Die hier unter dem Befehle Almarado's zurückgelassenen Truppen zur Bewachung seiner Schätze und des kaiserlichen Gefangenen befanden sich in harter Bedrängniß. Die Eingebornen hatten nicht wenige derselben getödtet und verwundet und hielten den Rest, unter fortwährender Bedrohung mit einem allgemeinen Sturmangriff eng eingeschlossen. Uebrigens muß hierzu bemerkt werden, daß das unkluge, vor keinem Verbrechen zurückscheuende Verfahren der Spanier und vorzüglich die Ermordung der hervorragendsten Personen der Stadt während eines Festes, den Aufruhr erst hervorgerufen, dem die Spanier dadurch hatten zuvorkommen wollen.

Nachdem er sich durch zweitausend Tlascalanen verstärkt, wandte sich Cortez in Eilmärschen nach der Hauptstadt, wo er glücklich eintraf, bevor die Indianer die Brücken der Landstraßen und Dammwege, welche Mexico mit dem Lande verbanden, zerstört hatten. Trotz Eintreffens dieser Verstärkung besserte sich aber die Lage noch nicht. Tagtäglich kam es zu Gefechten und mußten die Straßen, die nach dem von den Spaniern besetzten Palaste führten, mit Waffengewalt gesäubert werden.

Cortez erkannte jetzt den Fehler, den er begangen hatte, sich in einer Stadt festzusetzen, wo er in jedem Augenblicke angegriffen werden konnte, während der Abzug aus derselben mit ganz besonderen Schwierigkeiten verknüpft war. Da wandte er sich an Montezuma, der durch seine Autorität und den Einfluß, den er noch immer übte, die Wogen der Empörung glätten, jedenfalls aber den Spaniern eine Zeit der Ruhe verschaffen konnte, um ihren Rückzug vorzubereiten. Als der unglückliche, zu Cortez' bloßem Spielballe herabgesunkene Kaiser aber, geschmückt mit den Abzeichen seiner Würde, auf der Mauer erschien und seinen Unterthanen anrieth, die Feindseligkeiten einzustellen, erhob sich ein Murren der Unzufriedenheit und wurden verschiedene Drohungen laut, die Feindseligkeiten begannen von Neuem, und bevor die Soldaten Zeit gewannen, ihn mit ihren Schilden zu decken, wurde der Kaiser durch mehrere Pfeile verwundet und von einem Steine so an den Kopf getroffen, daß er zusammenbrach.

Bei diesem Anblick stellten die Indianer, erschrocken über das begangene Verbrechen, augenblicklich den Kampf ein und stoben nach allen Richtungen auseinander. Montezuma aber, der nun erst begriff, zu welch' niedriger Rolle Cortez ihn herabgewürdigt hatte, riß sich den Verband seiner Wunden ab, [317] verweigerte jede Aufnahme von Nahrung und gab, mit einem Fluche gegen die Spanier auf den Lippen, den Geist auf.

Nach so unseligen Ereignissen war auf die Wiederherstellung freundschaftlicher Beziehungen zu den Mexicanern natürlich nicht ferner zu rechnen, und es galt nur, schnell und um jeden Preis eine Stadt zu räumen, in der man fürchten mußte, eingeschlossen und ausgehungert zu werden. Cortez sah das ein und traf im Geheimen seine Vorbereitungen. Seine Truppen hielten sie stets so eng als möglich beisammen, und er selbst mußte häufig zum Degen greifen und fechten wie ein gemeiner Soldat. Solis erzählt sogar, ohne daß seine Quelle bekannt geworden ist, daß zwei junge Mexicaner bei einem Angriffe auf ein, das Quartier der Spanier beherrschendes Gebäude, als sie Cortez, der seine Soldaten anfeuerte, erkannten, den Beschluß faßten, sich aufzuopfern, um den Urheber des Unglücks ihres Vaterlandes umzubringen. Sie näherten sich ihm mit flehenden Geberden, als suchten sie Schutz und Hilfe, faßten ihn dann aber mitten um den Leib und schleppten ihn nach den Zinnen des Daches, von welchen sie sich herabstürzten, während sie ihn dabei mit sich zu reißen versuchten. Cortez verdankte es nur seiner außerordentlichen Körperkraft und Gewandtheit, daß er sich von ihnen loswand und nur die muthigen Mexicaner bezahlten ihre heldenhafte, aber nutzlose That mit dem Leben.

Nachdem der Rückzug einmal beschlossen war, fragte es sich, ob man ihn am Tage oder in der Nacht bewerkstelligen sollte. Am hellen Tage konnte man dem Feinde erfolgreichen Widerstand leisten, etwa in den Weg gelegte Hindernisse erkennen und leichter Anstalt treffen, die von den Mexicanern voraussichtlich zerstörten Brücken wieder herzustellen. Andererseits wußte man aus Erfahrung, daß die Indianer sich nach Sonnenuntergang kaum in ein Gefecht einließen; vorzüglich aber entschied sich Cortez zu einem nächtlichen Rückzuge, weil ein Soldat, der etwas Astrologie trieb, seinen Kameraden einen guten Ausgang vorausgesagt hatte, wenn man die Nacht zum Abzuge benutze.

Um Mitternacht ward also der Abmarsch angetreten. Außer den spanischen Truppen standen unter Cortez' Befehle auch Heerhaufen aus Tlascala, Zempoalla und Cholula, zusammen, trotz der erheblichen, im Laufe der Zeit erlittenen Verluste, eine Stärke von 7000 Mann. Sandoval commandirte den Vortrab; Cortez befand sich mit dem Gepäck, den Kanonen[318] und den Gefangenen, darunter ein Sohn und zwei Töchter Montezuma's, in der Mitte; Alvarado und Velasquez de Leon führten den Nachtrab. Man hatte vorsorglicher Weise auch eine fliegende Brücke hergestellt, um den Uebergang über etwaige zerstörte Stellen der Straße zu ermöglichen. Kaum drängte sich das Heer aber auf dem nach Tacuba führenden, nämlich dem kürzesten Dammwege zusammen, als es auch schon von vorn, von den Seiten und von rückwärts her durch dichte feindliche Massen angegriffen wurde, während es eine unzählbare Bootsflottille mit einem Hagel von Steinen und Geschossen überschüttete. Bestürzt und unfähig, etwas zu sehen, wissen die Alliirten nicht, nach welcher Seite hin sie sich vertheidigen sollen. Die hölzerne Brücke giebt unter der Last der Cavallerie und der Kämpfenden nach. Eingekeilt in eine schmale Chaussee, außer Stande, von ihren Feuerwaffen Gebrauch zu machen, oder die Cavallerie, der es an Terrain zur Bewegung gänzlich fehlt, zu verwenden, untermengt mit Indianern, die sie Mann gegen Mann überfallen, und ohne Kräfte, um einen Feind niederschlagen zu können, weichen die von allen Seiten umringten Spanier nebst ihren Verbündeten vor der immer wachsenden Uebermacht der Angreifer zurück. Führer und Soldaten, Infanterie und Cavallerie, Spanier und Tlascanen, Alles wälzt sich durcheinander; Jeder wehrt sich seiner Haut, so gut er eben kann, ohne sich um Disciplin und die Rettung des Ganzen zu bekümmern.

Alles schien verloren, da gelingt es Cortez mit etwa hundert Mann einen Dammeinschnitt über die ihn fast ausfüllenden Leichen der Gefallenen zu überschreiten. Er ordnet seine Soldaten, so gut das im Drange des Augenblickes möglich ist, und schiebt sich an der Spitze der noch kampffähigsten Mannschaften wie ein Keil in das Gewirr ein, wodurch es ihm gelingt, einen Theil der Seinigen zu befreien. Noch vor Tagesanbruch fanden sich Alle, denen es gelungen war, dem Blutbade dieser »noche triste«, wie jene entsetzliche Nacht bezeichnet ward, zu entrinnen, in Tabuca zusammen. Thränenden Auges musterte Cortez seine letzten Soldaten, die alle fast ohne Ausnahme verwundet waren, und übersah die fürchterliche Größe des erlittenen Verlustes; 4000 Indier, Tlascanen und Cholulanen und fast sämmtliche Pferde waren getödtet; die ganze Artillerie nebst Munition und fast alles Gepäck verloren; verschiedene hervorragende Officiere, Velasquez de Leon, Salcedo, Morla, Laros und noch manche Andere zählten zu den Gefallenen; Alvarado lag an den schwersten Wunden darnieder.

[319] In Tacuba hielt man sich nicht auf, sondern marschirte auf gut Glück, unbekümmert um den dort zu gewärtigenden Empfang, nach Tlascala zu.


Cortez in der Schlacht von Otumba. (S. 349.)

Von den Mexicanern unablässig beunruhigt, mußten die Spanier in der Gegend von Otumba auch noch eine große Schlacht gegen zahlreiche feindliche Heerhaufen annehmen, deren Stärke manche Geschichtsschreiber auf 200.000 Mann angeben. Mit den wenigen, ihm übrig gebliebenen Reitern gelang es Cortez jedoch, Alles niederzurennen, was im Wege stand, und sich [320] bis zu einer Gruppe an den goldverzierten Federbüschen und der prachtvollen Kleidung erkennbarer hoher Persönlichkeiten durchzuschlagen, unter der sich auch der das Banner tragende General befand. Cortez stürzte sich also mit einigen Reitern auf jene Gruppe und war glücklich oder geschickt genug, den mexikanischen Officier mit einem Lanzenstiche zum Falle zu bringen, während ein Soldat, Namens Juan de Salamanca, demselben mit dem Degen vollends den Garaus machte. Mit dem Augenblicke, wo das Banner verschwand, ward die Schlacht entschieden, und die von panischem Schrecken ergriffenen Mexicaner flohen nach allen Seiten. »Noch niemals vorher, sagt Prescott, waren die Spanier so schwer bedroht gewesen, und ohne Cortez' Glücksstern würde kaum Einer am Leben geblieben sein, um der Nachwelt von der blutigen Schlacht bei Otumba zu berichten.« Die Siegesbeute war sehr beträchtlich und entschädigte die Spanier doch theilweise für die beim Auszuge aus der Stadt Mexico erlittenen Verluste, denn die Armee bestand aus den vornehmsten Kriegern des Volkes, die sich, überzeugt von der Unfehlbarkeit des Erfolges, mit ihren reichsten Zieraten geschmückt hatten.

Am folgenden Tage betraten die Spanier das Gebiet Tlascalas.

»Ich lenke jetzt die Aufmerksamkeit des Lesers, sagt Bernal Dias, auf die Thatsache, daß unsere eigene Gesammtstärke, als wir zum Entsatze Alvarado's nach Mexico marschirten, 1300 Mann betrug, darunter siebenundneunzig Reiter, achtzig Armbrust- und ebenso viele Büchsenschützen, neben mehr als 2000 Tlascanen und reichlicher Artillerie. Unser zweiter Einzug in Mexico erfolgte am Johannistage 1520 und unsere Flucht am 10. Juli. Die denkwürdige Schlacht bei Otumba lieferten wir am 14. Juli. Weiter richte ich hiermit die Aufmerksamkeit auf die Anzahl Menschen, welche sowohl in Mexico, bei dem Zuge über die Dammstraße und deren Brücken, als auch bei Otumba und anderen Gefechten unterwegs den Tod fanden. Im Zeitraume von fünf Tagen verloren wir 760 Mann, darunter 70 Soldaten, die in dem Dorfe Rustepeque niedergemacht wurden, und außerdem fünf castilische Frauen; in derselben Zeit fielen auch 1200 Tlascalanen. Es verdient ferner erwähnt zu werden, daß, wenn auch von Narvaez' Truppen mehr Leute als von den Cortez'schen Soldaten umkamen, das deshalb geschah, weil sie sich bei dem Ausmarsche mit vielem Golde beladen hatten, dessen Gewicht sie verhinderte, zu schwimmen und sich aus den Dammdurchstichen wieder heraufzuarbeiten.«

[321] Cortez' Truppen waren jetzt auf 400 Mann mit 20 Pferden, 12 Armbrust- und 7 Büchsenschützen zusammengeschmolzen, welche keine Ladung Pulver mehr besaßen, Alle verwundet und an Armen und Beinen gelähmt waren; sie erreichten also dieselbe Stärke wie bei ihrem ersten Einzuge in Mexico, freilich mit dem nennenswerthen Unterschiede, daß sie jetzt als Besiegte die Hauptstadt geräumt hatten.

Beim Uebertritt auf tlascalanisches Gebiet legte es Cortez seinen Leuten und vorzüglich denen von Narvaez' Heere übernommenen dringend an's Herz, sich gegenüber den Einwohnern ja keinerlei Uebergriffe zu erlauben, da jetzt das allgemeine Wohl auf dem Spiele stand, und die einzigen ihnen noch verbliebenen Verbündeten auf keine Weise zu reizen. Zum Glück erwiesen sich auch die wegen der Treue der Tlascalanen gehegten Befürchtungen als grundlos. Die Spanier wurden mit theilnehmender Anhänglichkeit empfangen; die Bewohner dachten dagegen nur daran, ihre von den Mexicanern hingemordeten Brüder zu rächen. In ihrer Hauptstadt traf Cortez auch die Nachricht von dem Verluste zweier weiterer Detachements, doch waren alle diese harten Schläge nicht im Stande, seinen Muth zu beugen. Unter seinem Befehle standen ja noch kriegsgewohnte Truppen und treue Bundesgenossen; Vera-Cruz war unversehrt; noch einmal konnte er ja sein Glück versuchen.

Bevor er jedoch einen neuen Feldzug unternahm und sich auf eine wiederholte Belagerung einließ, galt es, Unterstützung zu finden und Vorbereitungen zu treffen. Cortez versäumte das auch nicht. Er sandte vier Schiffe nach Espagnola, um Freiwillige zu werben und Pferde, Pulver und Munition aufzukaufen; gleichzeitig ließ er in den Wäldern von Tlascala das nöthige Holz zur Erbauung von zwölf Brigantinen fällen, welche stückweise nach dem See von Mexico geschafft und dort zu geeigneter Zeit vom Stapel gelassen werden sollten.

Nach Unterdrückung einiger Meuterei-Versuche, vorzüglich unter den mit Narvaez hierher gekommenen Leuten, marschirte Cortez wieder vorwärts und band, mit Hilfe der Tlascalanen, mit den Bewohnern von Tepeaka und anderen Provinzen an, was den Vortheil hatte, seine eigenen Truppen wieder an den Sieg, seine Alliirten aber an den Krieg zu gewöhnen.

Inzwischen fielen Cortez zwei mit Munition und Verstärkungen beladene Brigantinen in die Hände, welche Velasquez an Narvaez, ohne Kenntniß von dessen Mißgeschick, abgesendet hatte, gleichzeitig schloß sich ihm noch eine [322] Anzahl, von Franz de Garay, Gouverneur von Jamaica, hierher geschickter Spanier an. Cortez Armee bestand nun, nach Ausscheidung aller, ihm nicht genehmer Anhänger Narvaez', aus 500 Mann Fußvolk, darunter 80 Musketiere nebst 40 Reitern. Mit diesem schwachen Heere, dem als Unterstützung noch 1000 Tlascalanen zur Seite standen, brach er den am 28. December 1520 wiederum nach Mexico auf, sechs Monate, nachdem er dasselbe gezwungen verlassen hatte.

Trotz des Interesses, welches er bietet, gehen wir über diesen Feldzug in Kürze hinweg, da dessen Schauplatz in schon vorher bekannten Gegenden zu suchen, unsere Aufgabe aber nicht die ist, hier eine Geschichte der Eroberung Mexicos zu liefern. Es genüge hier also die Bemerkung, daß nach Montezuma's Tode dessen auf den Thron erhobener Bruder Quetlavaca alle durch die strategische Kunst der Azteken gebotenen Vertheidigungsmaßregeln getroffen hatte. Er starb aber an den Blattern, jenem traurigen Geschenke, das die Spanier der Neuen Welt gemacht hatten, gerade in dem Augenblicke, wo seine vorsorgliche Klugheit und sein entschlossener Muth am nöthigsten gewesen wären. Sein Nachfolger wurde Guatimozin, ein wegen seiner Talente und persönlichen Werthes bekannter Neffe Montezuma's.

Sobald Cortez nur den Fuß auf mexicanischen Boden setzte, hatte er auch zu kämpfen. Er eroberte bald Tezcuco, eine zwanzig Meilen von Mexico und am Gestade des Binnensees gelegene Stadt, auf welch' letzterem die Spanier nach Verlauf von drei Monaten eine achtunggebietende Flotte besitzen sollten. In diese Zeit fällt auch die Anzettelung einer Verschwörung, welche die Ermordung Cortez' und seiner obersten Anführer bezweckte und deren Haupturheber hingerichtet wurde. Im Uebrigen lächelte Cortez jetzt allseitig das Glück; er erhielt Nachricht von weiteren, in Vera-Cruz eingetroffenen Verstärkungen und der größte Theil der unter Guatimozin's Herrschaft stehenden Städte unterwarf sich der Gewalt seiner Waffen. Die wirkliche Belagerung (Mexicos) nahm im Mai 1521 ihren Anfang und dauerte, unter wechselnden Erfolgen und Mißerfolgen, bis zu dem Tage, da die Brigantinen flott wurden. Die Mexicaner schreckten jedoch nicht vor einem Angriffe auf dieselben zurück, vier- bis fünfhundert von je zwei Mann besetzten Boote bedeckten plötzlich den See und fuhren gegen die spanischen Schiffe, welche eine Bemannung von drei- bis vierhundert Soldaten hatten, heran. Die neun mit Kanonen bewaffneten Brigantinen hatten die feindliche Flotte zwar sehr [323] bald zerstreut oder vernichtet, doch führten weder dieser Erfolg noch auch einige andere Vortheile, die Cortez gleichzeitig gewann, zu einer merklichen Aenderung der Situation und die Belagerung zog sich noch weiter in die Länge. Der General beschloß also, die Stadt mit Sturm zu nehmen. Leider fand der Officier, der die Rückzugslinien auf den Dammwegen decken sollte, während die Spanier in die Stadt eindrangen, diesen Posten seiner nicht würdig und verließ denselben also, um sich am Kampfe zu betheiligen. Sobald Guatimozin von diesem Fehler hörte, beeilte er sich, daraus Nutzen zu ziehen Er griff die Spanier von allen Seiten mit einer solchen Heftigkeit an, daß er sehr viele derselben tödtete und zweiundsechzig Soldaten gefangen nahm. Cortez selbst, der am Schenkel eine schwere Verwundung davontrug, wäre bald lebend in seine Hände gefallen. Während der Nacht ward der große Tempel des Kriegsgottes zur Feier des Sieges festlich erleuchtet und mit tiefster Trauer hörten die Spanier die Töne der großen Trommeln der Mexicaner. Von ihren Stellungen aus konnten sie die letzten Augenblicke ihrer gefangenen Landsleute beobachten, denen man die Brust öffnete, um das Herz herauszureißen, und deren die Altartreppen hinabgestürzte Leiber vollends von den Azteken zerstückelt wurden, welche sich noch darum stritten, um sie bei einem schauerlichen Gastmahle zu verzehren.

Diese furchtbare Niederlage trug noch mehr dazu bei, daß sich die Belagerung in die Länge zog und bis zu dem Tage dauerte, wo Guatimozin, nachdem die Stadt schon zu drei Viertheilen eingenommen oder zerstört war, durch seine Rathgeber veranlaßt wurde, sich nach dem festen Lande zu begeben und hier den weiteren Widerstand zu organisiren. Die Barke, welche ihn trug, wurde jedoch abgefangen und er selbst ergriffen. Während seiner Hast bewies er übrigens mehr Charakterstärke und Selbstachtung als sein Oheim Montezuma.

Jetzt hatte nun aller Widerstand ein Ende und Cortez konnte von der, zur Hälfte in Trümmern liegenden Stadt Besitz nehmen. Nach heldenmüthiger Vertheidigung, während welcher 120.000 – wie die Einen sagen – oder 240.000 Mexicaner nach anderen Berichten – den Tod fanden, nach einer Belagerung, welche nicht weniger als fünfundsiebzig Tage dauerte, unterlag Mexico, und mit der Hauptstadt auch das ganze Reich, weniger den Streichen der Spanier, als vielmehr dem alten Hasse, der Empörung der unterworfenen Volksstämme und der Eifersucht der Nachbarstaaten, welche bald das neue Joch schwer beklagen sollten, dem sie sich so bereitwillig gebeugt hatten.

[324] Dem Siegesrausche folgte bei den Spaniern bald der Aerger und die Wuth. Die ungeheuren Schätze, auf welche sie gerechnet hatten, waren nicht vorhanden oder in den See versenkt worden.

Cortez, der seine Unzufriedenen auf keine andere Weise zu beruhigen vermochte, sah sich genöthigt, den Kaiser und seinen ersten Minister der Tortur zu unterwerfen. Einige Geschichtsschreiber, in erster Reihe Gomorra, erzählen, daß der letztere, während die Spanier das Feuer unter dem Roste schürten, auf dem die beiden unglücklichen Opfer ausgestreckt lagen, den Kopf nach seinem Herrn gewendet habe, wie um ihn zum Reden und dadurch zur Beendigung seiner Qualen zu bewegen; Guatimozin aber habe jede Anwandlung von Schwäche unterdrückt durch die wenigen Worte: »Und ich, bin ich etwa hier zum Vergnügen oder im Bade?« eine Antwort, welche poetischer in: »Und ich, bin ich hier etwa auf Rosen gebettet?« umgewandelt wurde.

Die Geschichtsschreiber schließen ihren Bericht über die Eroberung Mexicos gewöhnlich mit der endgiltigen Einnahme der Hauptstadt ab; uns bleibt jedoch noch übrig, von einigen anderen, von Cortez zu verschiedenen Zwecken unternommenen Expeditionen zu sprechen, welche ein ganz neues Licht über verschiedene Theile Central-Amerikas verbreitet haben; endlich wollen wir uns auch von diesem Helden, der in der Entwicklung der Civilisation und in der Geschichte der Neuen Welt eine so hochwichtige Rolle spielt, nicht verabschieden, ohne dem Ende seiner merkwürdigen Laufbahn einige Worte zu widmen.

Mit der Hauptstadt war, im eigentlichen Sinne, das mexicanische Reich gefallen; leisteten die Bewohner auch da und dort, vorzüglich in der Provinz Oaxaca noch einigen Widerstand, so blieb dieser doch vereinzelt und reichten geringe Truppenabtheilungen hin, die letzten Widerstrebenden zu entwaffnen, welche überdies erschreckt waren durch die schrecklichen Strafen, mit denen man andere Aufständische in Panucco belegt hatte. Gleichzeitig schickten die Bewohner der entferntesten Gegenden des Reiches Abgesandte, sich von der Wahrheit dieses wunderbaren Ereignisses, der Einnahme von Mexico, zu überzeugen, die Ruinen der verwünschten Stadt in Augenschein zu nehmen und ihre Unterwerfung anzuzeigen.

Cortez, der endlich seine Stellung gesichert sah nach so vielen Zwischenfällen, daß deren Aufzählung hier zu vielen Raum beanspruchen würde, und [325] von denen er selbst sagte: »Es hat mir mehr Mühe gekostet, gegen meine eigenen Landsleute zu kämpfen als gegen die Azteken!« blieb nun nur noch übrig, sein erobertes Land zu organisiren. Er begann damit, den Sitz seiner Herrschaft in dem wieder aufgebauten Mexico zu errichten. Viele wußte er durch Landschenkungen herbeizulocken, die Indianer aber dadurch zu gewinnen, daß er ihnen zunächst ihre gewohnten Häuptlinge ließ, obwohl er, mit Ausnahme der Tlascalanen, durch das abscheuliche, in den spanischen Kolonien gebräuchliche System der repartimientos sie im Grunde zu Sklaven gemacht hatte. Verdient aber Cortez auch den Vorwurf, daß er alle politischen Rechte der Indianer schmählich mißachtet habe, so muß man doch anerkennen, daß er für ihr geistiges Wohlsein eine lobenswerthe Sorgfalt an den Tag legte. So ließ er z. B. Franziskaner in's Land kommen, die durch ihren Eifer und ihre theilnehmende Liebe sich bald die Achtung der Eingebornen errangen und binnen zwanzig Jahren die ganze Bevölkerung zum Christenthum bekehrten.

Gleichzeitig schickte Cortez kleinere Truppenabtheilungen nach Mechoacan, welche bis zum Pacifischen Ocean vordrangen und bei ihrer Rückkehr einige der reichen, im Norden des Landes gelegene Provinzen besuchten. Ueberall, wo ihm das von Vortheil schien, gründete er Niederlassungen, so in Zacutala, am Gestade des Stillen Oceans, bei Coliman in Mechoacan, in Santesteban bei Tampico, in Medellin, nahe Vera-Cruz u.s.w.

Nach der völligen Pacification des Landes vertraute Cortez Christoval de Olid eine beträchtliche Streitmacht an, um auch in Honduras eine Kolonie zu gründen. Gleichzeitig sollte Olid die Südküste des Landes aufnehmen, und nach einer Straße suchen, welche den Atlantischen Ocean mit dem Pacifischen verbände. Bethört durch den Stolz als Anführer und Befehlshaber, hatte Olid indeß kaum sein Ziel erreicht, als er sich auch schon für unabhängig erklärte. Cortez sandte sofort einen seiner Verwandten, um den Ungehorsamen zu verhaften, und brach dann auch selbst noch, begleitet von Guatimozin, hundert Reitern und fünfzig Fußsoldaten, am 12. October 1524 zur Verfolgung auf. Dieses Detachement zog unter Strapazen aller Art durch die Provinzen Gratzocoalco, Tabasco und durch Yucatan, ein höchst mühseliger Marsch durch sumpfiges, sozusagen bewegliches Terrain, durch einen Ocean wogender Wälder, und näherte sich jetzt der Provinz Aculan, als Cortez der Plan einer, wie man behauptete, von Guatimozin und den[326] vornehmsten Indianerhäuptlingen angezettelten Verschwörung hinterbracht wurde. Dieser lief darauf hinaus, den Anführer und die Soldaten bei der ersten sich bietenden Gelegenheit zu ermorden, wonach man weiter nach Honduras ziehen, die dortigen Anlagen zerstören und sich endlich nach Mexico zurückbegeben wollte, wo es einer allgemeinen Erhebung ohne Zweifel leicht genug gelingen müsse, sich der Unterdrücker zu entledigen. Da half Guatimozin freilich keine Betheuerung seiner Unschuld, obwohl diese so gut wie am Tage lag, er wurde an den Aesten eines »Ceyba«, der die Straße beschattete, nebst mehreren vornehmen Azteken einfach gehenkt. »Die Hinrichtung Guatimozin's, sagt Bernal Diaz del Castilla, war gewiß ein Act der Ungerechtigkeit, den wir Alle fast einstimmig tadelten.« Aber auch »wenn Cortez, äußert sich Prescott hierüber, nur seine Ehre und das Interesse seines Rufes befragt hätte, so mußte er sich jenen als lebende Trophäe, als unwiderlegliches Siegeszeichen erhalten, wie man etwa Gold im Futter des Rockes aufbewahrt«.

Endlich erreichten die Spanier Aculan, eine blühende Stadt, wo sie sich in ausgezeichneten Quartieren gütlich thaten, und wandten sich von hier nach dem See von Peten hin, dessen Uferbevölkerung ohne Schwierigkeit zum Christenthum bekehrt wurde. Wir übergehen das Elend und die Leiden der Expedition in diesen menschenarmen Gegenden und bis nach San Gil de Buena-Vista am Golfe Dolce, wo sich Cortez nach Empfang der Nachricht von Olid's Hinrichtung und der Wiederherstellung der gesetzlichen Gewalt einschiffte, um nach Mexico zurückzukehren.

Jetzt übergab Cortez an Alvaredo ein Commando über dreihundert Fußsoldaten, hundertsechzig Reiter und vier Kanonen nebst einem indianischen Hilfscorps. Alvaredo marschirte nach Süden, zur Eroberung von Guatemala aus. Er unterwarf die Provinzen Zacatulan, Tehuantepec, Soconusco und Utlatlan, gründete die Stadt Guatemale la Vieja und wurde, auf einer Reise, die er später in Spanien machte, vom Kaiser Karl V. zum Statthalter der von ihm eroberten Gebiete ernannt.

Kaum drei Jahre nach den ersten Eroberungsversuchen war ein Territorium mit über vierhundert Meilen Küstenausdehnung am Atlantischen und über fünfhundert am Pacifischen Ocean der Krone Castiliens unterthan und erfreute sich, mit nur sehr wenigen Ausnahmen, der ungestörten Ruhe.

Nur wenige Tage nach seiner Rückkehr von der nutzlosen Expedition


Die Spanier schürten das Feuer unter dem Roste. (S. 325.)

nach Honduras, welche den Spaniern fast eben so viel Zeit und Anstrengung gekostet hatte als die Eroberung Mexicos, erhielt Cortez die Nachricht seiner vorläufigen Entsetzung und den Befehl, sich zur Vertheidigung wegen verschiedener Anschuldigungen nach [327] Spanien zu begeben. In der Hoffnung, diese Anordnung widerrufen zu sehen, beeilte er sich nicht allzu sehr, ihr nachzukommen;


Karte von Peru. (Facsimile. Alter Kupferstich.)

seine unermüdlichen Verleumder und erbitterten Feinde in Spanien wie in Mexico aber trieben es so weit, daß er sich genöthigt [328] [330]sah, seine Vertheidigung selbst in die Hand zu nehmen, seine Beschwerden auseinander zu setzen und eine öffentliche Gutheißung seiner Maßnahmen zu erwirken.

Cortez reiste also in Begleitung seines Freundes Sandoval, Tapia's und mehrerer Azteken-Häuptlinge, unter letzteren auch eines Sohnes Montezuma's, ab. Im Mai 1528 landete er in Palos, an derselben Stelle, wo Christoph Columbus fünfunddreißig Jahre früher den Boden der Heimat zum ersten Male wieder betreten hatte, und wurde mit demselben Enthusiasmus und ebenso lauten Freudenbezeugungen empfangen wie der Entdecker der Neuen Welt. Hier begegnete er Pizarro, der, im Anfange seiner Laufbahn stehend, sich bei der spanischen Regierung um Unterstützung seiner Pläne bewarb. Von Palos aus begab er sich nach Toledo, dem dermaligen Aufenthaltsorte des Hofes. Schon die einfache Nachricht von seinem Eintreffen hatte die Gemüther völlig umgestimmt. Durch die kaum erwartete Rückkehr fanden seine angeblichen Pläne zur Empörung gegen und zur Unabhängigmachung von der spanischen Krone das gebührende Dementi. Karl V. begriff, daß die Stimme des Volkes sich einmüthig dagegen erheben würde, wenn er einen Mann bestrafen wollte, der zur Krone Castiliens die werthvollsten Juwelen beigesteuert hatte. Cortez' Reise gestaltete sich zu einem ununterbrochenen Triumphzuge mitten durch unerhörte Menschenmengen. »Die Häuser und Straßen der großen Städte, berichtet Prescott, strotzten von Zuschauern, welche ungeduldig dem Anblicke des Helden entgegenharrten, dessen Arm gewissermaßen allein Spanien ein ganzes Kaiserreich erworben hatte, und der, um die Worte eines alten Geschichtsschreibers zu gebrauchen, nicht mit dem Pompe und Ruhme eines Vasallen, sondern gleich einem unabhängigen Monarchen dahinzog.«

Nachdem er ihm mehrere Audienzen bewilligt und besondere Zeichen seiner Gunst erwiesen, welche seitens der Hofbeamten als sehr beträchtliche bezeichnet wurden, geruhte Karl V. das von Cortez eroberte Reich und die prächtigen Geschenke, die jener mitbrachte, entgegen zu nehmen. Uebrigens glaubte er ihn aber genug belohnt zu haben, indem er ihn mit dem Titel eines Marquis della Balle de Oajaca und der Würde eines General-Kapitäns von Neuspanien belohnte, ohne ihm die Civilregierung, welche er von der Junta von Vera-Cruz früher erhalten hatte, wieder zuzugestehen. Cortez, der jetzt die Nichte des Herzogs von Bejar, aus einer der ersten Familien [330] Castiliens, geheirathet hatte, begleitete nun den Kaiser, der sich nach Italien begab, bis zum Hafen, bald aber machte er sich, dieses thatlosen, mit seinen übrigen Gewohnheiten so wenig entsprechenden Lebens müde, 1530 wieder auf den Weg nach Mexico, wo er in Villa-Rica landete.

Er schlichtete zuerst einige Zänkereien der Behörde, welche in seiner Abwesenheit die Zügel der Regierung geführt und früher die gegen ihn erhobenen Anklagen hervorgesucht hatte, kam aber auch wegen militärischer Angelegenheiten mit der Civil-Junta in Conflict. Bald ekelten ihn diese Zwistigkeiten so sehr an, daß sich der Marquis della Balle auf seine ungeheuren Besitzungen nach Cuernavaca zurückzog, um sich mit Landbau zu beschäftigen. Auf diesem Gebiete verdankt man ihm die Einführung des Zuckerrohres und des Maulbeerbaumes, die Anregung zur Cultur des Hanfes und Leinsamens und die in größerem Maßstabe getriebene Zucht des Merinoschafes.

Dieses friedliche Leben ohne jedes Abenteuer konnte jedoch dem unternehmenden Geiste eines Cortez nicht lange genügen. In dem Jahre 1532 und 1533 rüstete er zwei Geschwader aus, welche im Nordosten des Pacifischen Oceans eine Entdeckungsreise unternehmen sollten. Die letzteren gelangten bis zum Südende der Californischen Halbinsel, ohne dasjenige Resultat zu erzielen, auf welches ihr Haupt-Augenmerk gerichtet war, nämlich auf die Entdeckung einer Wasserstraße zwischen dem Atlantischen und Pacifischen Ocean. Nicht mehr Erfolg hatte er selbst im Jahre 1536 im »Purpurmeere« (Busen von Californien). Endlich, drei Jahre später, drang eine letzte Expedition bis zum Grunde des Golfs ein, folgte dann der äußern Küste der Halbinsel und segelte bis zum 29. Grade der Breite hinaus. Von hier aus sandte der Chef der Expedition eines seiner Schiffe an Cortez zurück, während er selbst weiter nach Norden vordrang; man hörte jedoch später kein Wort mehr von ihm.

Das war das unglückliche Ende von Cortez' Expeditionen, die, ohne ihm einen Ducaten einzubringen, einen Kostenaufwand von über 300.000 Goldpesos verursacht hatten. Immerhin verdankt man denselben die Kenntniß der Küste des Pacifischen Oceans von der Bai von Panama bis zum Colorado. Es wurde ferner dabei die californische Halbinsel umschifft und festgestellt, daß die vermeintliche Insel einen Theil des Festlandes bildete. Alle Einbuchtungen des Purpurmeeres, oder der Cortez-See, wie es die Spanier mit Fug und [331] Recht bezeichneten, wurden sorgfältig untersucht, wobei man eben erkannte daß jenes, statt, wie vorausgesetzt, einen Ausgang nach Norden zu haben nur einen tief in den Continent eingeschnittenen Golf darstellte.

Die erwähnten Expeditionen hatte Cortez freilich nicht in's Werk setzen können ohne Conflict mit dem Vicekönig Don Antonio de Mendoza, den der Kaiser mit diesem, für den Marquis della Valle beleidigenden Titel nach Mexico geschickt hatte. Ermüdet von den unaufhörlichen Streitigkeiten und verletzt in seiner Würde, seine Vorrechte als General-Kapitän, wenn auch nicht gänzlich mißachtet, so doch immer wieder angefochten zu sehen, reiste Cortez noch einmal nach Spanien. Freilich sollte diese Fahrt der ersten nicht im mindesten gleichen. Gealtert, thatenmüde und vom Glücke verlassen, wie der »Conquistador« jetzt auftrat, hatte er von der Regierung nichts mehr zu erwarten und sollte das auch nur zu bald gewahr werden. Eines Tages drängte er sich durch die Menge, welche die Sänfte des Kaisers umgab, und stieg auf das Trittbrett derselben. Karl V. stellte sich, als erkenne er ihn nicht wieder, und fragte, wer dieser Mann sei? »Der, antwortete Cortez stolz, der Euch mehr Reiche geschenkt hat, als Eure Väter Euch Städte hinterließen!« Die öffentliche Meinung beschäftigte sich jetzt im Ganzen weniger mit Mexico, das den zuerst überspannten Erwartungen nicht entsprochen hatte, und alle Köpfe waren schon von den an's Wunderbare grenzenden Reichthümern Perus verdreht. Von dem obersten Rathe für Indien ehrenvoll empfangen, setzte Cortez seine Beschwerden vor diesem Tribunal auseinander; die Verhandlungen zogen sich jedoch in die Länge und er konnte keine Genugthuung erlangen. Im Jahre 1541 verlor Cortez, bei Gelegenheit von Karl's V. unglücklichem Zuge gegen Algier, an dem er als Freiwilliger theilnahm, obwohl man seiner abmahnenden Stimme kein Gehör geschenkt hatte, drei künstlich geschnittene Smaragden hervorragender Größe, deren Werth für ein Königreich als Lösegeld hingereicht hätte. Nach der Rückkehr brachte er seine Beschwerden wiederholt an maßgebender Stelle, doch ohne besseren Erfolg an. Solche Ungerechtigkeit und die vielfachen Enttäuschungen bereiteten ihm so bitteren Kummer, daß seine Gesundheit ernstlich darunter litt. Fern von dem Schauplatze seiner Großthaten, starb er am 10. November 1547 in Castilleja de la Cuesta, eben als er sich zur Rückkehr nach Amerika rüstete.

»Er war ein irrender Ritter, sagt Prescott. Unter dem ganzen [332] glorreichen Heere von Abenteurern, das im 16. Jahrhundert von Spanien aus auf Entdeckungen und Eroberungen auszog, war keiner so tief erfüllt von dem Geiste dieser romantischen Unternehmungen wie Fernand Cortez, Der Kampf war seine Lust und er liebte es, seine Aufgaben womöglich von der schwierigsten Seite anzufassen....«

Die Vorliebe für das Romantische könnte den Eroberer von Mexico wohl leicht zu der Rolle eines gewöhnlichen Abenteurers erniedrigen; Cortez war aber sicherlich auch ein weitsichtiger Politiker und großer Anführer, wenn irgend ein Mann nur diesen Namen verdient, der so weitumfassende Unternehmungen allein durch sein Genie ausführte. Die Geschichte kennt kein zweites Beispiel, daß solche Großthaten mit so unzulänglichen Mitteln vollbracht worden wären, und man kann in der That behaupten, daß Cortez Mexico nur mit eigener Hilfe unterjocht hat.

Sein Einfluß auf den Geist der Soldaten gründete sich gewiß auf deren Vertrauen zu seiner Geschicklichkeit, doch wird man auch sein leutseliges Auftreten dabei mit in Anschlag bringen müssen, das ihn mehr als einen Anderen zur Führung einer Bande von Abenteurern geeignet machte. Als er zu hohem Range emporgestiegen, sich mehr Aufwand gestattete, büßten wenigstens seine alten Kriegskameraden ihr vertrauliches Verhältniß zu ihm keineswegs ein. Zur Vollendung dieses Bildes des »Conquistadors« schließen wir uns vollständig dem an, was der ehrenwerthe und wahrheitsliebende Bernal Dias von ihm sagt: »Er gab seinem einfachen Namen Cortez stets den Vorzug vor allen Titeln, die ihm zu Theil wurden, und gewiß hatte er allen Grund dazu, denn der Name Cortez ist noch heute so berühmt wie der Cäsar's bei den Römern oder Hannibal's bei den Karthagern«. Der alte Chronist schließt mit einem Satze, der die religiöse Geistesrichtung des 16. Jahrhunderts recht charakteristisch kennzeichnet: »Vielleicht sollte er, heißt es nämlich an der betreffenden Stelle, seinen Lohn erst in einer besseren Welt empfangen, und das glaube ich gewiß; denn er war ein sehr ehrenwerther Ritter, voll ernstlicher Ergebung gegen die heilige Jungfrau, den Apostel St. Petrus und gegen alle Heiligen«.

[333]
3.
III.

Die Tripelallianz. – Franz Pizarro und seine Brüder. – Don Diego d'Almagro. – Die ersten Versuche. – Peru, seine Ausdehnung, Bevölkerung und seine Könige. – Gefangennahme Atahualpa's, sein Lösegeld und sein Tod. – Peter d'Alvarado. – Almagro in Chili. – Kämpfe zwischen den Eroberern. – Proceß und Hinrichtung Almagro's. – Expeditionen Gonzalo Pizarro's und d'Orellana's. – Ermordung Franz Pizarro's. – Empörung und Hinrichtung seines Bruders Gonzalo.


Kaum gewannen die Berichte Balboa's von den Schätzen der im Süden von Panama gelegenen Länder einige Ausbreitung in Spanien, als auch schon mehrere Expeditionen ausgerüstet wurden, um deren Eroberung zu versuchen. Alle aber scheiterten, entweder weil ihre Führer der übernommenen Aufgabe nicht gewachsen waren, oder wegen Unzulänglichkeit der zu Gebote stehenden Hilfsmittel. Man darf auch nicht vergessen, daß die von den ersten Abenteurern – jenen Pionnieren, wie man sich heute ausdrücken würde – erforschten Länder keineswegs dem entsprachen, was spanische Habsucht von ihnen erwartete. In der That hatten sich alle nach jenen Gebieten begeben, welche man damals das »Festland« nannte, nach jenen sumpfigen, gebirgigen und ungesunden, waldbedeckten Küstenländern, deren zwar verstreute, aber sehr kriegslustige Ureinwohner den Fremden zu den schon von Natur vorhandenen Hindernissen noch manche neue in den Weg legten. So erkaltete nach und nach der frühere Enthusiasmus und man erwähnte der wunderbaren Berichte Balboa's höchstens noch, um sie in's Lächerliche zu ziehen.

In Panama aber befand sich noch ein Mann, der von der Wahrheit der Gerüchte über die Reichthümer der von dem Pacifischen Ocean bespülten Länder genugsam überzeugt war, Francisco Pizarro, ein früherer Begleiter Nuñez de Balboa's im südlichen Meere, der sich nun mit zwei anderen Abenteurern, Diego de Almagro und Fernand de Luque, in Verbindung setzte.

Zuerst einige Worte über die Führer der Unternehmung. Franz Pizarro, geboren in der Nähe von Truxillo zwischen 1471 und 1478, war der natürliche Sohn eines Kapitäns Gonzalo Pizarro, der ihn weiter nichts lernen ließ, als Schweine zu hüten. Bald eines solchen Lebens müde, wurde Pizarro, der sich die Gelegenheit zunutze machte, wegen eines unter seiner Obhut gestandenen Schweines, das sich verlaufen hatte, nicht wieder in das väterliche Haus [334] zurückzukehren, wo er gleich bei dem geringsten Versehen mit Stockschlägen bestraft ward, Soldat, verbrachte mehrere Jahre als Söldner in Italien und folgte Columbus im Jahre 1510 nach Espagnola. Hier diente er ebenso wie auf Cuba mit Auszeichnung und begleitete Hojeda, dessen Günstling er geworden war, nach Darien, bei der Eroberung des unter dem Namen des »Goldenen Castiliens« benannten Gebietes.

War Pizarro ein außereheliches Kind, so war Diego de Almagro ein Findling, der im Jahre 1475 aufgefunden wurde, entweder, wie die Einen sagen, in Aldea del Rey, oder, wie Andere behaupten, in Almagro, von welchem Orte er auch den Namen angenommen haben soll. Mitten unter Soldaten aufgewachsen, gelangte er beizeiten nach Amerika, wo es ihm glückte, ein kleines Vermögen zu erwerben. Fernand de Luque endlich war ein begüterter Weltgeistlicher aus Tabago, der sich in Panama als Schulmeister beschäftigte.

Der jüngste der drei Abenteurer zählte schon mehr als dreißig Jahre und Garcilasso de la Vega berichtet, daß jene, als man ihre Absichten erfuhr, zum Gegenstand des allgemeinen Gelächters wurden; vorzüglich spottete man über Fernando de Luque, der bald den Namen Fernando el Loco, Ferdinand der Narr, erhielt.

Schnell geschlossen war der Bund jener drei Männer, von denen Zwei wenigstens ohne Furcht, wenn auch alle Drei nicht ohne Tadel waren, Luque schoß die nöthigen Geldmittel zur Ausrüstung der Schiffe und zur Besoldung der Soldaten vor; auch Almagro betheiligte sich hierbei; Pizarro freilich, der nichts besaß als seinen Degen, mußte seinen Beitrag auf andere Weise liefern. Er übernahm den Oberbefehl bei dem ersten Zuge, den wir etwas eingehender erzählen wollen, weil jeder Tag für die Ausdauer und unbeugsame Hartnäckigkeit des »Conquistadors« Beweise beibringt.

»Nach eingeholter und erhaltener Erlaubniß Pedro Arias d'Avila's, berichtet Augustin de Zarate, einer der Geschichtsschreiber der Eroberung von Peru, bemannte Franz Pizarro mit ziemlicher Mühe ein Fahrzeug, auf dem er sich mit 114 Mann einschiffte. Fünfzig Meilen von Panama entdeckte er ein kleines und ärmliches Land, Namens Peru, was von der Zeit ab die Ursache zur unrichtigen Benennung der ganzen Küstenstrecke wurde, die man hier in einer Längenausdehnung von 1200 Meilen verfolgte. Weiterhin entdeckte er ein anderes Land, das die Spanier das Gebiet »des Verbrannten [335] Volkes« nannten. Hier tödteten ihm die Indianer so viel Leute, daß er sich gezwungen sah, in größter Unordnung nach Chinchama zurückzufliehen, das von seinem Ausgangspunkte nicht gar zu fern liegt. Inzwischen bemannte der in Panama zurückgebliebene Almagro ein zweites Schiff, auf dem er mit siebzig Spaniern an Bord ging, und fuhr hinab bis zum San Juan-Flusse, gegen hundert Meilen von Panama.


Franz Pizarro. (Facsimile. Alter Kupferstich.)

Da er Pizarro nicht fand, segelte er bis zum Lande des Verbrannten Volkes, wo er, da ihm mehrere Zeichen verriethen, daß der Gesuchte hier gewesen sei, mit seinen Leuten an's Ufer ging. Die Indianer aber, durch ihren über Pizarro davon getragenen Sieg nur zuversichtlicher gemacht, widersetzten sich herzhaft stürmten die Verschanzung, durch welche Almagro sich zu schützen versuchte und zwangen ihn, wieder zu Schiffe zu gehen.


Die Indianer tödteten so viele Leute... (S. 335.)

Er kehrte nun, immer dicht an der Küste hinsegelnd, um, bis er nach Chinchama kam, wo er Franz Pizarro antraf. Beide waren über das Wiedersehen sehr erfreut, und da sie ihre Mannschaft jetzt auch durch mehrere neu geworbene Soldaten verstärken [336] [338]konnten, fuhren sie noch einmal längs der Küste hinab. Dabei litten sie jedoch so sehr von Mangel an Nahrungsmitteln und den Angriffen der Indianer, daß Don Diego nach Panama zurückging, um daselbst neue Recruten zu werben und Proviant einzukaufen. Er führte auch wirklich weitere achtzig Mann hinzu, mit denen sie nun gleichzeitig mit den ihnen übrig gebliebenen bis zu einem Lande, Namens Catamez kamen, einem nur mäßig bevölkerten Gebiete, wo sie jedoch einen Ueberfluss an Nahrungsmitteln vorfanden. Es fiel ihnen wiederholt auf, daß die Indianer jener Gegenden, die sie so unablässig angriffen, das ganze Gesicht mit goldenen Nägeln verziert hatten, die sie, durch besondere, nur für dieser Zweck gestochene Löcher gesteckt, als Schmuck zu tragen schienen. Noch einmal segelte Diego de Almagro allein nach Panama, während sein Gefährte ihn auf der kleinen Ile du Coq mit Verstärkungen zurückerwartete, wo Letzterer jedoch bitteren Mangel an allem zum Leben Nothwendigen zu erleiden hatte.

Bei seiner Ankunft in Panama konnte Almagro von Los Rios, dem Nachfolger Avila's, nicht die Erlaubniß auswirken, neue Aushebungen vorzunehmen, denn er könne nicht zugeben, sagte jener, daß eine noch größere Menge Leute einem so aussichtslosen Unternehmen geopfert würde; er schickte sogar ein Schiff nach der Ile du Coq, um Pizarro sammt seinen Gefährten heimzuführen. Ein solches Vorgehen fand aber weder Almagro's noch de Luque's Beifall. Hiermit wären ja alle Kosten weggeworfen, alle Hoffnungen, welche der Anblick des Silber- und Goldschmucks der Bewohner von Catamez erregt hatte, mit einem Schlage zunichte gemacht gewesen. Sie sandten also einen Vertrauten an Pizarro ab, um diesem anzuempfehlen, bei seinem Vorhaben zu verharren und sich den Anordnungen des Gouverneurs von Panama nicht zu fügen. Pizarro konnte sich jedoch in den lockendsten Versprechungen erschöpfen., die Erinnerung an so harte Leiden waren noch zu frisch, und alle seine Leute bis auf zwölf ließen ihn im Stich.

Mit diesen unerschrockenen Männern, deren Namen auf uns gekommen sind, und unter denen sich Garcia de Xeres, einer der Geschichtsschreiber der Expedition, befand, zog sich Pizarro nach einer von der Küste etwas entfernt liegenden unbewohnten Insel zurück, der er den Namen Gorgone gab.

[338] Dort fristeten die Spanier ihr Leben mit Magnolien, Fischen und Muschelthieren und warteten fünf Monate lang auf die Hilfe, die Almagro und de Luque ihnen senden sollten.

Endlich sandte Los Rios, besiegt durch den einstimmigen Protest der ganzen Kolonie, welche darüber entrüstet war, Leute, »deren einziger Fehler darin bestand, an ihrem Unternehmen nicht verzweifelt zu haben«, elend und Verbrechern gleich umkommen zu sehen, an Pizarro ein kleines Schiff mit dem Auftrage, ihn abzuholen. Damit dieser aber nicht versucht würde, sich dessen etwa zur Fortsetzung seiner Expedition zu bedienen, trug man dafür Sorge, daß la kein einziger Soldat mit an Bord kam. Beim Erblicken der nahenden Hilfe vergaßen die dreizehn Abenteurer alle Noth und Entbehrung und hatten nichts Eiligeres zu thun, als die zu ihrer Abholung gesendeten Matrosen auch mit ihrer Hoffnung zu erfüllen. Statt nach Panama zurückzukehren, gingen nun Alle trotz Wind und Strömungen nach Südosten unter Segel, bis sie, nach Entdeckung der Insel St. Clara, im Hafen von Tumbez, unter 3 Grad südlicher Breite anlangten, wo sie einen prächtigen Tempel und einen Palast, ein Besitzthum der Könige des Landes, der Inkas, antrafen.

Die Umgegend schien bevölkert und gut angebaut; was die Spanier aber am meisten entzückte und in dem Glauben bestärkte, daß sie jetzt das früher so oft erwähnte Wunderland gefunden hätten, das war der große Ueberfluß an Gold und Silber, welche beide Metalle nicht blos zum Putz und Geschmeide der Eingebornen, sondern auch zu Gegenständen des täglichen Gebrauches verarbeitet waren.

Pizarro ließ das Innere des Landes durch Pietro de Cantia und Alonzo de Molina in Augenschein neh men, die ihm von demselben eine wahrhaft enthusiastische Beschreibung lieferten, worauf er sich sowohl einige goldene Gefäße als auch mehrere der von den Peruanern als Hausthiere gehaltenen Lamas verschaffte. Endlich nahm er zwei Eingeborne an Bord auf, die er in der spanischen Sprache unterrichten und als Dolmetscher gebrauchen wollte, wenn er später in das Land zurückkam. Er ankerte darauf nach und nach in Payta, Saugarata und in der Bai von Santa-Cruz, deren Herrscherin, Capillana, die Fremden mit solcher Freundlichkeit empfing, daß mehrere derselben sich gar nicht wieder einschiffen wollten. Nachdem er die Küste bis Porto-Santo hinabgesegelt, steuerte Pizarro wieder auf Panama zu, wo er [339] nach dreijährigen, gefahrvollen Irrfahrten, welche de Luque und Almagro völlig ruinirt hatten, glücklich wieder ankam.

Bevor er nun die Eroberung des von ihm entdeckten Gebietes versuchte, entschloß sich Pizarro, da er die Erlaubniß, neue Abenteurer anzuwerben, von Los Rios nicht erhalten hatte, direct an Karl V. zu gehen. Er lieh sich das nöthige Reisegeld und fuhr im Jahre 1528 nach Spanien, um daselbst dem Kaiser von seinen Unternehmungen Bericht zu erstatten. Von den zu erobernden Ländern entwarf er ein reizendes Bild und erhielt als Lohn seiner Bestrebungen die Titel des Gouverneurs, General-Kapitäns und Alguazilmajor von Peru für sich und seine Nachkommen. Gleichzeitig erhob der Kaiser ihn in den Adelsstand mit einer Pension von tausend Thalern. Seine, von dem Gouverneur von Panama unabhängige Jurisdiction sollte sich auf eine Entfernung von zweihundert Meilen südlich des Santiago-Stromes, längs der Küste, für die man den Namen Neu-Castilien wählte und deren Gouvernement ihm zugesprochen wurde, erstrecken, eine Concession, welche Spanien ja nichts kostete, da es ihm zukam, sich deren Genuß zu erwerben. Er seinerseits verpflichtete sich, zweihundertfünfzig Mann anzuwerben und sich mit Schiffen, Waffen und Munition zu versehen. Pizarro begab sich sofort nach Truxillo, wo er seine Brüder, Fernand, Joan und Gonzalo, bestimmte, ihm zu folgen, ebenso wie einen seiner Brüder aus der anderen Ehe, Namens Martin d'Alcantara. Er benutzte den Aufenthalt in seiner Vaterstadt, in Caceres und ganz Estremadura, um sich Recruten zu verschaffen, welche doch nicht in Menge herzuliefen, trotz des Titels Caballeros de la Espada dorata, den er Denen versprach, welche unter ihm Dienste nehmen würden. Dann kam er nach Panama zurück, wo doch nicht Alles so leicht abging, wie er gehofft hatte. Es gelang ihm zwar, de Luque zum Bischofprotector de los Indios ernennen zu lassen; für Almagro aber, dessen Ehrgeiz er fürchtete und dessen Talente er kannte, begnügte er sich, die Erhebung in den Adelsstand und nebst dem Befehle über eine in Turbez zu errichtende Festung eine Gratification von fünfhundert Ducaten zu erlangen. Almagro, der für frühere Expeditionen sein gesammtes Vermögen geopfert hatte, zeigte sich über den ihm zufallenden mageren Antheil nicht zufrieden, lehnte es ab, sich an der neuen Expedition zu betheiligen, und wollte eine solche auf eigene Rechnung ausrüsten.

Es bedurfte der ganzen Gewandtheit Pizarro's und des Versprechens, [340] ihm das Amt eines »Adelantado« zu überweisen, um ihn umzustimmen und die alte Verbindung noch einmal zu erneuern.

Die Hilfsquellen der drei Verbündeten waren eben jetzt so erschöpft, daß sie nur drei kleine Fahrzeuge und 180 Soldaten, darunter 36 Reiter zusammenbringen konnten, welche im Monat Februar 1531 unter dem Befehle Pizarro's und seiner vier Brüder absegelten, während Almagro in Panama blieb, um noch eine Expedition zu organisiren. Nach dreizehntägiger Seefahrt und nachdem sie durch einen Orkan um hundert Meilen über ihr Ziel hinaus verschlagen worden waren, sah sich Pizarro genöthigt, seine Mannschaften und Pferde in der Bai San Mater auszuschiffen und der Küste nachzugehen. Dieser Marsch ward sehr schwierig in einem bergerfüllten, wenig bevölkerten und von Flüssen durchschnittenen Lande, welch' letztere man alle nahe ihrer Mündung überschreiten mußte; endlich erreichte man eine Ortschaft Namens Coagui, welche eine so reiche Beute lieferte, daß Pizarro zwei seiner Fahrzeuge damit belud und diese im voraus zurücksendete. Sie nahmen nach Panama und Nicaragua eine Summe von 30.000 Castellanos, sowie eine große Menge Smaragden mit, ein Ergebniß, von dem Pizarro hoffte, daß es ihm viele neue Abenteurer zuführen müsse.

Weiter setzte der Eroberer seinen Marsch nach Süden bis Porto Virjo fort und traf Sebastian Benalcazar nebst Juan Fernandez, die ihm zwölf Reiter und dreißig Fußsoldaten zuführten. Die Wirkung des Anblickes der Pferde und der Detonationen der Feuerwaffen wiederholte sich in Peru in ganz gleicher Weise wie in Mexico, und es gelang Pizarro, ohne Widerstand zu finden, bis zur Insel Puna im Golfe von Guyaquil vorzudringen. Die Bewohner derselben aber, an Zahl und Kriegsgewandtheit ihren Nachbarn vom Festlande weit überlegen, trotzten sechs Monate lang allen Angriffen der Spanier. Obwohl Pizarro von Nicaragua eine durch Fernand de Soto zugeführte Verstärkung erhielt, und obwohl er den Caziken Tonallo und sechzehn andere Anführer hatte hinrichten lassen, so gelang es ihm doch nicht, ihren Widerstand zu besiegen. Er sah sich also zur Rückkehr nach dem Continente gezwungen, wo seine Leute so heftig von Krankheiten befallen wurden, daß er, den unablässigen Neckereien der Eingebornen ausgesetzt, drei Monate lang in Tumbez ausharren mußte. Von hier aus begab er sich nach dem Rio Puira, entdeckte den Hafen von Payta, den besten der ganzen Küste, und gründete an der Mündung des Chilo die Kolonie [341] San-Miguel, um den von Panama kommenden Schiffen einen sicheren Zufluchtsort zu bieten. Hier empfing er auch Abgesandte von Huascar, der ihm von der Empörung seines Bruders Atahualpa Nachricht gab und seine Unterstützung erbat.

Zur Zeit als die Spanier landeten, grenzte Peru an den Pacifischen Ocean in einer Länge von 1500 Meilen und erstreckte sich bis über die imposante Kette der Anden in das Innere des Continentes hinein. Ursprünglich zerfiel die Bevölkerung in mehrere wilde und barbarische Stämme, ohne jeden Begriff von Civilisation, welche fortwährend mit einander im Kriege lagen. Eine lange Reihe von Jahrhunderten hindurch war dieser Zustand der Dinge der nämliche geblieben und noch kein Anzeichen für den Anbruch einer neuen Aera vorhanden, als den Indianern am Ufer des Titicaca ein Mann und eine Frau erschienen, welche sich rühmten, Kinder der Sonne zu sein. Diese beiden Personen von majestätischer Gestalt, mit Namen Manco-Capac und Mama-Oello, vereinigten, nach Garcilasso de la Vega, gegen Ende des 12. Jahrhunderts eine Anzahl der unstet umherschweifenden Stämme und legten den Grund zu der Stadt Cusco. Manco-Capac unterrichtete die Männer im Ackerbau und mechanischen Künsten, während Mama-Oello, die Frauen nähen und sticken lehrte. Als er diesen ersten Grundlagen gesellschaftlichen Beisammenseins genügt, gab Manco-Capac seinen Unterthanen Gesetze und errichtete ein regelrecht geordnetes Staatswesen. Auf diese Weise entstand die Herrschaft der Inkas oder Oberherren von Peru. Das zuerst nur auf die Umgebungen von Cusco beschränkte Reich vergrößerte sich bald unter ihren Nachfolgern und breitete sich vom Wendekreis des Steinbockes bis zu den Perleninseln in einer Länge von dreißig Graden aus. Ihre Macht war nach und nach eben so absolut geworden, wie die der früheren asiatischen Souveräne. »Es gab auch, sagt Zarate, nirgends in der Welt ein Land, wo der Gehorsam und die Unterwürfigkeit größer gewesen wären. Die Inkas erschienen in den Augen ihrer Unterthanen wie Halbgötter; sie hatten nur nöthig, aus ihrem königlichen Stirnbande einen Faden zu ziehen und denselben Jemand zu übergeben, um jenem unbedingten Gehorsam zu verschaffen, so als ob dessen Befehle von dem Könige selbst ausgingen und er wirklich eine ganze Provinz seinem Willen ohne jede andere Unterstützung unterordnen, oder Männer und Frauen beliebig hinrichten lassen konnte, weil sich Alle beim Anblick jenes Fadens vom Könige, freiwillig und ohne Widerstand dem Tode opferten.«

[342] Alte Chronisten erzählen allerdings, daß die Inkas diese ihre unbegrenzte Macht stets nur zum Wohle der Landeskinder benutzt hätten. Unter einer Reihe von zwölf aufeinander auf dem Throne Perus folgenden Fürsten hat Keiner ein anderes Andenken hinterlassen als das eines weisen und von seinem Volke geliebten Herrschers. Würde man in der übrigen Welt nicht vergeblich nach einem Lande suchen, dessen Geschichte ein so ungetrübt reines Bild lieferte? Ist es nicht zu beklagen, daß die Spanier den Krieg und seine Schrecken, die Krankheiten und Laster eines anderen Klimas und das, was sie in ihrem Stolze Civilisation nannten, diesen glücklichen und reichen Völkerschaften brachten, deren verarmte und entartete Nachkommen nicht einmal die Erinnerung ihres früheren Wohlstandes als Trost in dem jetzigen jammervollen Zustand besitzen?

»Die Peruaner, sagt Michelet in seinem bewunderswerthen Précis d'histoire moderne, überlieferten die Kenntnisse der wichtigsten Vorkommnisse der Nachwelt durch Knoten, welche sie in Stricke knüpften. Sie besaßen Obelisken, regelrechte Sonnenuhren, um die Zeit der Aequinoctien und Solistitien zu bezeichnen. Ihr Jahr zählte 365 Tage, sie hatten wahrhafte Wunderwerke der Baukunst errichtet, Bildsäulen mit überraschender Kunstfertigkeit gemeißelt und repräsentirten überhaupt die gebildetste und gewerbfleißigste Nation der Neuen Welt.«

Der Inka Huayna-Capac, der Vater Atahualpa's, unter dem dieses große Reich zertrümmert wurde, hatte dasselbe bedeutend erweitert und verschönert. Dieser Inka, der das ganze Gebiet von Quito eroberte, hatte mit Hilfe seiner Soldaten und der besiegten Völker von Cusco bis Quito durch Ausfüllung von Abgründen und Abtragung von Hügeln und Bergen eine fünfhundert Meilen lange Heerstraße erbauen lassen. Von einer halben Meile zur anderen standen hier Boten als Relais, welche die Befehle des Monarchen durch das ganze Land verbreiteten.

So weit war das Volk also in der Cultur vorgeschritten; will man aber über die Prachtliebe und den Reichthum der Fürsten urtheilen, so genügt es, zu wissen, daß der König bei seinen Reisen auf einem goldenen Throne im Gewicht von fünfundzwanzigtausend Ducaten getragen wurde. Die goldene Bahre, auf der sich der Thron selbst befand, lag dabei auf den Schultern der ersten Personen des Reiches.

Zur Zeit als die Spanier, im Jahre 1526, zum ersten Male an der [343] Küste Perus erschienen, hatte der zwölfte Inka, mit Verletzung der alten Landesgesetze, eben eine Tochter des besiegten Königs von Quito geheiratet und besaß von dieser einen Sohn, Namens Atahualpa, dem er bei seinem 1529 erfolgten Tode dieses Königreich hinterließ.


Pizarro empfangen durch Karl V. (S. 340.)

Sein älterer Sohn, Huascar, dessen Mutter dem Stamme der Inkas angehörte, erhielt den Rest seiner Staaten. Eine solche, gegen die seit undenklichen Zeiten gepflogenen Gewohnheiten verstoßende Theilung aber erregte in Cusco eine solche Unzufriedenheit, daß der von seinen Unterthanen angetriebene Huascar sich entschloß, gegen seinen Bruder zu marschiren, der ihn als seinen Herrn und Meister nicht anerkennen wollte;


Gefangennahme Atahualpa's. (Facsimile. Alter Kupferstich.) (S. 349.)

jedenfalls hatte Atahualpa schon genug von königlicher Macht gekostet, um sie nicht ohne Weiteres aufgeben zu können. Er brachte durch Freigebigkeit die meisten Krieger, die seinem Vater bei der Eroberung [344] von [345] Quito gedient hatten, auf seine Seite, und als die beiden Heere zusammenstießen, begünstigte das Schicksal den Usurpator.

Erscheint es nicht auffallend, daß das Auftreten der Spanier sowohl in Mexico wie hier in Peru unter wirklich ganz ausnahmsweise günstigen Umständen stattfand? In Mexico empfingen sie die erst neuerdings den Azteken unterworfenen Stämme, welche von den Siegern ohne Gnade bedrückt wurden, als willkommene Befreier; in Peru hinderte der Streit zweier feindlicher, gegen einander erbitterten Brüder die Indianer, alle ihre Kräfte gegen die Eindringlinge zu verwenden, die sie sonst leicht zermalmt hätten!

Als Pizarro die Abgesandten Huascar's empfing, die ihn um Hilfe angingen gegen dessen als Rebellen und Usurpator angesehenen Bruder, begriff er sofort, welchen Vortheil er aus diesen Umständen ziehen könne. Er rechnete darauf, daß er durch Unterstützung des Einen derselben, später desto leichter alle Beide unterdrücken werde. Er drang also ohne Aufschub mit beträchtlichen Streitkräften in das Innere des Landes ein, wobei er zweiundsechzig Reiter und hundertzwanzig Fußsoldaten, von denen freilich nur zwanzig mit Arquebusen und Musketen bewaffnet waren, mit sich nahm, da ein Theil der Truppen zur Bewachung von San Miguel zurückbleiben mußte, wo Pizarro im Falle eines Mißerfolges Zuflucht zu finden hoffte, und wo auf jeden Fall die Verstärkungen, welche er erwartete, sollten an's Land gehen können.

Pizarro begab sich nach Caxamalca, einer kleinen, zwanzig Tagemärsche von der Küste gelegenen Stadt. Er mußte dabei durch eine baum- und wasserlose Wüste voll brennenden Sandes ziehen, die sich in einer Länge von zwanzig Meilen bis zur Provinz Matupe erstreckte und wo der geringste feindliche Ueberfall, in Anbetracht der harten Entbehrungen dieser handvoll Soldaten hingereicht hätte, der ganzen Expedition ein Ende zu machen. Dann drang er in die Berge ein und wagte sich in die beschränktesten Engpässe, wo ihn auch schwache feindliche Kräfte aufzureiben im Stande gewesen wären. Während des Marsches erreichte ihn ein Gesandter Atahualpa's, der als Geschenk gemalte Schuhe und eine goldene Halskrause mitbrachte, welche er bei dem nächsten Zusammentreffen mit dem Inka tragen sollte. Natürlich war Pizarro mit den Versprechungen von Freundschaft und Ergebenheit nicht sparsam. Er erklärte dem indischen Gesandten, daß er nur den Anordnungen des Königs, seines Herrn und Meisters nachkommen und Leben und Eigenthum [346] der Einwohner schonen werde. Gleich nach seiner Ankunft in Caxamalca quartierte Pizarro seine Soldaten kluger Weise in einem Tempel und Palaste des Inkas ein, wo sie vor jeder Ueberrumpelung gesichert waren. Dann sandte er einen seiner Brüder mit de Soto und etwa zwanzig Reitern nach dem nur eine Meile entfernten Lager Atahualpa's, um ihm sein Eintreffen anzumelden. Die mit allen Ehren empfangenen Soldaten konnten nicht genug erstaunen über die Menge von Zieraten, goldenen und silbernen Gefäßen, die sie im indianischen Lager zu Gesicht bekamen. Sie kehrten mit dem Versprechen zurück, daß Atahualpa am nächsten Tage Pizarro einen Besuch abstatten und ihn in seinem Reiche willkommen heißen werde. Gleichzeitig erzählten sie von den ungeheuren Reichthümern, die sie gesehen, was Pizarro nur noch mehr in seinem Projecte bestärkte, sich des unglücklichen Atahualpa und seiner Schätze durch Verrath zu bemächtigen.

Mehrere spanische Autoren verdrehen offenbar die ihnen allzu häßlichen Thatsachen und suchen die Schuld des Verrathes auf Atahualpa abzuwälzen. Die Jetztzeit aber besitzt hinlängliche Zeugnisse, um mit Robertson und Prescott die ganze Perfidie Pizarro's zu durchschauen. Für Letzteren war es natürlich hochwichtig, den Inka in seiner Gewalt zu haben und sich seiner als willenloses Werkzeug zu bedienen, ebenso wie Cortez früher mit Montezuma verfuhr. Er benutzte also die Einfalt und Ehrenhaftigkeit Atahualpa's, der seinen Freundschaftsversicherungen unbegrenzten Glauben schenkte und nicht im Geringsten auf seiner Hut war, um einen Hinterhalt zu legen, in den jener nothwendig fallen mußte. Mit einem Wort, kein Skrupel beschwerte das Gewissen des verrätherischen Eroberers, er bewahrte sein kaltes Blut, als ob es gelte, dem Todfeind eine Schlacht zu liefern, und doch wird dieser abscheuliche Verrath eine ewige Schande seines Namens bilden.

Pizarro theilte seine Reiter in drei kleinere Abtheilungen, während er die Infanterie zu einem Haufen zusammenzog, die Arquebüsiere neben dem Wege verbarg, den der Inka einschlagen mußte, und er in seiner Nähe aber zwanzig der verwegensten Leute behielt.

Atahualpa, der den Fremdlingen eine hohe Meinung von seiner Macht beizubringen wünschte, kam mit seiner ganzen Armee dahergezogen. Er selbst ward auf einer Art blumengeschmückten, mit Gold-und Silberplatten belegten und mit kostbaren Steinen verzierten Bette getragen; umringt von Gauklern und Tänzern, erschien er begleitet von seinem vornehmsten Gefolge; auch diese [347] Herren ruhten in Sesseln auf den Schultern ihrer Diener. Ein solcher Zug glich natürlich mehr einer Procession als dem Marsche eines Heeres.

Sobald der Inka im Quartiere der Spanier angelangt war, trat, nach Robertson, der Pater Vincent Valverda, der Almosenier der Expedition, der später für seine geleisteten Dienste den Titel eines Bischofs erhielt, mit dem Crucifix in der einen und dem Brevier in der anderen Hand vor. Mit unendlichem Redeschwall erklärte er dem Monarchen die Schöpfungsgeschichte, den Sündenfall des ersten Menschen, die Menschwerdung, die Leiden und Wiederaufstehung Jesu Christi, ferner wie Gott St. Peter zu seinem Stellvertreter auf Erden erwählt und dieser seine Macht den Päpsten übertragen, und endlich, daß Papst Alexander dem Könige von Castilien alle Länder der Neuen Welt geschenkt habe; nach Entwicklung dieser Sätze ermahnte er Atahualpa, die christliche Religion anzunehmen, die Oberherrschaft des Papstes anzuerkennen und sich dem Könige von Castilien als seinem legitimen Herrscher zu unterwerfen. Bei sofortiger Zustimmung versprach ihm Valverda, daß der König, sein Herr, Peru unter seinen Schutz nehmen und ihm gestatten werde, daselbst auch ferner zu regieren; er erkläre ihm aber hiermit den Krieg und drohe ihm mit fürchterlicher Rache, wenn er den Gehorsam verweigere und noch länger in seiner Gottlosigkeit verharre.

Gewiß war das mindestens ein sonderbarer Empfang und eine merkwürdige Zumuthung, die auf Verhältnisse Bezug nahm, von welchen die Peruaner nicht ein Sterbenswörtchen wußten und von deren Wahrheit sie auch ein geschickterer Redner als Valverda nicht hätte überzeugen können. Rechnet man hierzu noch, daß der Dolmetscher die spanische Sprache so schlecht verstand, daß es ihm unmöglich sein mochte, zu übersetzen, was er selbst nur zur Hälfte begriff, und daß es der peruanischen Sprache an Worten fehlte, solche ihrem Geiste fremde Begriffe auszudrücken, so wird man sich nicht darüber wundern, daß Atahualpa von der langen Rede des spanischen Mönches so gut wie nichts verstand; nur einzelne Phrasen, die seine Machtvollkommenheit betrafen, schienen ihn zu verwundern und zu erregen. Trotzdem antwortete er in sehr gemäßigtem Tone. Er sagte ungefähr, daß er es als erbangesessener Herrscher seines Reiches nicht begreife, wie man über dasselbe ohne seine Zustimmung verfügen könne; bemerkte auch, daß er keineswegs gewillt sei, die Religion seiner Väter abzuschwören, um dafür eine andere anzunehmen, von der er heute zum ersten Male reden höre; von den anderen [348] erwähnten Punkten verstehe er nichts, das wären für ihn ganz neue Sachen, und er sei begierig zu erfahren, woher Valverda solch' wunderbare Dinge wisse. – »Aus diesem Buche!« antwortete Valverde unter Vorzeigung des Breviers. Atahualpa ergriff dasselbe hastig, blätterte neugierig darin herum und hielt es zuletzt an das Ohr. »Was Ihr mir da zeigt, sagte er, spricht nicht zu mir und sagt mir nichts!« Darauf warf er das Buch zur Erde.

Das war das Signal zum Angriffe oder vielmehr zum Blutbad. Die Kanonen und Musketen eröffneten das Feuer, die Reiter stürmten vor und die Fußsoldaten warfen sich mit den Säbeln in der Faust auf die erschrockenen Peruaner In wenig Minuten schon herrschte eine namenlose Verwirrung. Die Indianer flohen nach allen Seiten, ohne an eine Vertheidigung zu denken.

Auf Atahualpa, den seine ersten Anführer mit sich wegzuziehen suchten, indem sie sich bemühten, ihn mit eigenem Leibe zu decken, stürzte sich Pizarro selbst, zerstreute oder durchbohrte seine Beschützer, erfaßte ihn an dem langen Haupthaare und riß ihn von der Tragbahre herab. Erst die Nacht machte dem Morden ein Ende. Viertausend Indianer waren getödtet, eine noch größere Anzahl verwundet und dreitausend gefangen worden. Daß es sich hierbei nicht um ein eigentliches Gefecht handelte, wird dadurch bis zur Evidenz bewiesen, daß von allen Spaniern nur Pizarro allein eine kleine Wunde davontrug, die ihm noch dazu von einem seiner eigenen Soldaten aus Unvorsichtigkeit beigebracht wurde, als dieser sich gar zu hastig auf den Inka stürzte.

Die von den Gefallenen und dem indianischen Lager zusammengestohlene Beute übertraf Alles, was die Spanier jemals erwartet hatten. Ihr Enthusiasmus entsprach auch der Menge dieser lockenden Schätze.

Zuerst ertrug Atahualpa seine Gefangenschaft mit Ergebung, da ihn Pizarro, wenigstens mit Worten, immer zu besänftigen suchte. Da er sich aber sehr bald darüber klar wurde, wie groß die Habgier seiner Kerkermeister sei, schlug er Pizarro vor, ihm ein Lösegeld zu zahlen und ein Zimmer von zweiundzwanzig Fuß Länge und sechzehn Fuß Breite bis zu der Höhe, die er mit der Hand erreichen könne, mit goldenen Gefäßen, Geräthen und Geschmeiden anzufüllen. Pizarro gab eiligst seine Zustimmung und der gefangene Inka erließ sofort nach allen Provinzen seine Befehle, welche schnell und ohne Murren ausgeführt wurden. Noch mehr; die indianischen Truppen [349] wurden verabschiedet und Pizarro konnte Soto nebst fünf Spaniern nach Cusco, einer über zweihundert Meilen von Caxamalca gelegenen Stadt entsenden, während er selbst das Land im Umkreise von hundert Meilen unterjochte.

Inzwischen landete Almagro mit zweihundert Soldaten. Man legte für ihn und seine Leute – mit welchem Bedauern ist wohl leicht zu begreifen – 100.000 Pesos zurück; der für den König bestimmte fünfte Theil ward ebenfalls abgezogen und nun verblieben noch 1,258.500 Pesos zur Vertheilung an Pizarro und seine Leute. Dieses Ergebniß der Plünderung und des Blutbades ward am Tage des heiligen Jakob, des Schutzpatrons von Spanien, nach frommer, inbrünstiger Anrufung des Himmels, feierlich unter die Berechtigten vertheilt. Welch' beklagenswerthe Mischung von gläubiger Frömmigkeit und Entweihung, und wie häufig begegnet man ihr in jener Zeit des Aberglaubens und der brennenden Habgier!

Jeder Reiter erhielt für seinen Theil 8000 Pesos, jeder Fußsoldat 4000, d. h. eine Summe von etwa 32.000, resp. 16.000 Mark. Das war doch dazu angethan, nach einem weder lange dauernden, noch besonders anstrengenden Feldzuge auch die Anspruchsvollsten zu befriedigen. Jetzt beeilten sich aber auch viele dieser Abenteurer, in dem Wunsche, das unverhoffte Glück in Frieden und im Vaterlande zu genießen, um ihren Abschied einzukommen. Pizarro bewilligte ihnen denselben ohne Schwierigkeiten, denn er sagte sich, daß die Nachricht von ihrem so schnell erworbenen Vermögen, ihm bald neue Recruten zuführen werde. Mit seinem Bruder Fernand, der nach Spanien ging, um dem Kaiser von diesem Triumphzug Bericht zu erstatten und ihm prächtige Geschenke zu überbringen, reisten sechzig Spanier zwar schwer an Silber, aber leicht an Gewissensbissen ab.

Nach Erlegung des Lösegeldes verlangte Atahualpa seine Freilassung. Pizarro, der ihm das Leben nur geschenkt hatte, um sich selbst mit der Autorität und dem Einflusse zu decken, den der Kaiser noch bei seinen Unterthanen genoß, um auf diese Weise alle Reichthümer Perus an sich zu reißen, ward von dem Gefangenen bald mit Reclamationen bestürmt. Er hegte seit letzter Zeit gegen ihn auch den Verdacht, daß jener in den entlegenen Provinzen des Reiches heimlich Truppen ausheben lasse. Da Atahualpa bemerkte, daß Pizarro über die thatsächlichen Verhältnisse nicht im Geringsten besser unterrichtet war als der niedrigste seiner Söldner, erwuchs in ihm [350] allmälich eine gewisse Verachtung gegen den Gouverneur, die er zu seinem Unglück nicht einmal zu verheimlichen wußte. Solcher Art waren die sehr nichtigen Gründe – um keinen schlimmeren Ausdruck zu gebrauchen – welche Pizarro bestimmten, dem Inka den Proceß machen zu lassen.

Es giebt kaum etwas Widerlicheres als dieser Proceß, in dem Pizarro und Almagro gleichzeitig Richter und Partei waren. Von den erhobenen Anschuldigungen sind die einen so lächerlich, die anderen so unsinnig, daß man wahrlich nicht weiß, ob man mehr über die Frechheit oder über die schreiende Ungerechtigkeit Pizarro's erstaunen soll, der auf solche Grundlagen hin den Herrscher eines mächtigen Reiches verurtheilte, über das ihm nicht die geringste Jurisdiction zustand. Indeß, Atahualpa wurde für schuldig befunden und verurtheilt, lebendig verbrannt zu werden. Da er sich aber zuletzt, nur um seinen Peiniger Valverda loszuwerden, noch hatte taufen lassen, begnügte man sich damit, ihn zu erdrosseln. Ein würdiges Seitenstück zu Guatimozins Hinrichtung! Wahrlich, eine der abscheulichsten und entsetzlichen Gräuelthaten der Spanier in Amerika, wo diese sich übrigens durch mehrere ähnliche Verbrechen besudelt haben!

Immerhin befanden sich unter dieser Rotte von Abenteurern doch noch einige Männer, welche das Gefühl für Ehre und ihre eigene Würde nicht ganz verloren hatten. Sie protestirten lebhaft im Namen der unwürdig entstellten Gerechtigkeit; ihre edelmüthige Stimme wurde jedoch durch die eigennützigen Redereien Pizarro's und seiner gottlosen Helfershelfer erstickt.

Der Gouverneur übertrug nun einem Sohne Atahualpa's unter dem Namen Paul Inka die königliche Würde. Der Krieg zwischen den beiden Brüdern aber und die seit Ankunft der Spanier vorgekommenen Ereignisse hatten die Bande, welche die Peruaner sonst mit ihrem Könige verknüpften, merklich gelockert, und der junge Mann, der ebenfalls bald einen schmählichen Tod finden sollte, genoß kaum mehr Ansehen als Manco-Capac, der Sohn Huascar's, der von den Bewohnern Cuscos auf den Thron erhoben wurde. Bald versuchten nun auch mehrere Große des Landes, sich aus dem Peruanischen Reiche eigene unabhängige Herrschaften auszuscheiden, so z.B. Ruminagui, der Commandant von Quito, der den Bruder und die Kinder Atahualpa's umbringen ließ und sich für unabhängig erklärte.

Ueberall herrschte Uneinigkeit im peruanischen Lager. Die Spanier beschlossen, sich dieselbe zunutze zu machen. Pizarro marschirte jetzt eiligst nach Cusco;


Erdrosselung Atahualpa's. (S. 351.)

daß er es nicht schon früher gethan, lag nur in dem Mangel hinreichender Streitkräfte. Jetzt, da eine Menge von den nach Panama gebrachten Schätzen verlockte Abenteurer um die Wette nach Peru strömte, [351] wo er fünfhundert Mann unter seiner Fahne sammeln konnte, und noch unter dem Befehle Benalcazar's eine starke Garnison in San-Miguel zurückließ, fiel für Pizarro jeder Grund für weiteres Zaudern hinweg.


Pizarro und Almagro schwuren auf die geweihte Hostie. (S. 355.)

Unterwegs wurden mehreren größeren Heerhaufen einige Gefechte geliefert; diese endeten jedoch wie ge [352] wöhnlich mit einem sehr großen Verluste der Eingebornen und einem ganz geringfügigen der Spanier. Als diese in Cusco einzogen und von der Stadt Besitz nahmen, erstaunten sie sehr über die geringe Menge von Gold und Edelsteinen, die sie hier fanden, obgleich sie den Werth des Lösegeldes Atahualpa's weit überstieg. Entweder hatten sie sich nun schon [353] mit den Reichthümern des Landes zu sehr vertraut gemacht, oder es waren ihrer zu Viele zur Theilung.

Während dieser Zeit benutzte Benalcazar, der seiner Unthätigkeit müde war, eine von Nicaragua und Panama angelangte Verstärkung, um sich nach Quito zu begeben, wo Atahualpa nach Aussage der Peruaner den größten Theil seiner Schätze zurückgelassen haben sollte. Er stellte sich an die Spitze von achtzig Reitern und hundertundzwanzig Fußsoldaten, schlug wiederholt Ruminagui, der ihm den Weg zu verlegen suchte, und konnte, Dank seiner Klugheit und Gewandtheit, als Sieger in Quito einziehen; er fand aber da nicht, was er suchte, d. h. keine von Atahualpa herrührenden Schätze.

Ungefähr gleichzeitig gab sich Pierre d'Alvarado, der sich schon unter Cortez besonders ausgezeichnet hatte und als Lohn für seine Dienste zum Gouverneur von Guatemala ernannt worden war, den Anschein zu glauben, daß Quito nicht mehr unter dem Befehle Pizarro's stehe, und organisirte eine Expedition von fünfhundert Mann, von denen hundertzwanzig als Reiter dienten. Nach seiner Landung in Porto-Viego wollte er ohne Führer durch einen Zug längs des Guyaquil und über die Andenkette nach Quito gelangen. Gerade dieser Weg war zu jener Zeit einer der schlechtesten und gefährlichsten, den man nur wählen konnte. Vor der Ankunft auf der Ebene von Quito, nach entsetzlichen Qualen durch Hunger und Durst, von der glühenden Asche des Chimborasso, eines Vulkans in der Nachbarschaft von Quito, und den Schneestürmen, die sie überfielen, ganz zu schweigen, war der fünfte Theil der Abenteurer und die Hälfte der Pferde zu Grunde gegangen; der Rest fühlte sich gänzlich entmuthigt und unfähig, einen Angriff aufzunehmen. Zu ihrem größten Erstaunen und gleichzeitig mit einem gewissen Gefühle von Unruhe sahen sich da Alvarado's Leute plötzlich, nicht wie sie erwarteten, einem Heere Indianer, sondern einem spanischen Corps unter Führung Almagro's gegenüber. Die Letzteren machten sich schon fertig, auf jene Feuer zu geben, als einige gemäßigtere Officiere eine Vereinbarung zu Stande brachten, laut welcher Alvarado gestattet wurde, sich in sein Gouvernement zurückzuziehen, nachdem er auf seinen Zug nicht weniger als 100.000 Pesos verwendet hatte.

Während diese Ereignisse sich in Peru abspielten, segelte Fernand Pizarro nach Spanien, wo ihm die große Menge Gold, Silber und Edelsteine, die er mitbrachte, ohne Zweifel einen ausgezeichneten Empfang sichern [354] mußten. Er erwirkte für seinen Bruder Franz die Bestätigung seiner Vollmacht als Gouverneur mit sehr erweiterten Machtbefugnissen; er selbst ward zum Ritter des heiligen Jakob ernannt; Almagro wurde in seinem Titel als »adelantado« bestätigt und seine Herrschaft auf einen Raum von zweihundert Meilen festgesetzt, ohne daß man diesen eine bestimmte Grenze gab, wodurch weitere Verschiedenheit der Anschauung Thür und Thor offen gelassen wurde.

Fernand Pizarro war noch nicht nach Peru zurück, als Almagro auf die Nachricht hin, daß ihm ein besonderes Gouvernement zugesprochen worden sei, das Verlangen stellte, Cusco ihm unterzuordnen, und auch schon Vorbereitungen traf, dasselbe für sich zu erobern. Johann und Gonzalo spürten aber nicht die geringste Lust, sich jenes entreißen zu lassen. Schon stand man auf dem Punkte, handgemein zu werden, als Franz Pizarro, den man häufig den »Marquis« oder auch den Großen Marquis nannte, in seiner Hauptstadt eintraf.

Niemals hatte Almagro diesem seine Hinterlist und Doppelzüngigkeit in den Verhandlungen mit Kaiser Karl V. und den Eigennutz vergeben können, mit dem er sich auf Kosten seiner Verbündeten die größte Autorität und das ausgedehnteste Gouvernement hatte zutheilen lassen. Da er aber zu vielfachem Widerspruch gegen seine Absichten begegnete und sich selbst nicht besonders stark fühlte, so verheimlichte er seine Unzufriedenheit, machte gute Miene zum bösen Spiele und stellte sich höchst erfreut über eine Wiederannäherung zwischen ihm und Pizarro.

»Sie erneuerten also, sagt Zarate, ihre frühere Gesellschaft unter der Bedingung, daß Don Diego Almagro ausziehen sollte, um weiter im Süden neue Länder zu entdecken, und man, wenn er eines fand, das seinem Geschmacke entsprach, bei Sr. Majestät um das Gouvernement für ihn anhalten wolle, fand er aber nichts, was ihn befriedigte, so sollte das Gouvernement Don Franz' zwischen Beiden getheilt werden. Diesen Vertrag schloß man unter gebührenden Feierlichkeiten, und Beide schwuren auf die geweihte Hostie, in Zukunft niemals etwas gegeneinander zu unternehmen. Manche berichten sogar, daß Almagro einen Eid geleistet habe, niemals etwas gegen Cusco und das umgebende Land bis auf hundertdreißig Meilen Entfernung zu unternehmen, auch wenn Se. Majestät selbst ihm das Gouvernement darüber ertheilte. Er selbst soll dabei unter Anrufung des Heiligen Sacramentes die Worte gesprochen haben: »Herr, wenn ich je den [355] eben jetzt geleisteten Eid verletze, so mögest Du mich verderben und an Leib und Seele bestrafen«.

Nach Abschluß dieses feierlichen Vertrages, der mit ebensowenig Treue wie der frühere gehalten werden sollte, bereitete Almagro alles Nothwendige zu seiner Abreise. Dank seiner bekannten Freigebigkeit und seinem oft bewährten Muthe, brachte er bald fünfhundertsiebzig Mann, Reiter und Infanteristen zu gleichen Theilen, zusammen, mit denen er nach Chili zu abmarschirte. Der Zug stieß auf viele Schwierigkeiten und die Abenteurer hatten bei ihrer Ueberschreitung der Anden von der Kälte ganz außerordentlich zu leiden; überdies bekamen sie es hier mit sehr kriegerischen Volksstämmen zu thun, deren Sitten noch keine Civilisation gemildert hatte und die sie mit einer »furia« angriffen, für die sie in Peru sonst noch kein Beispiel fanden. Almagro vermochte nirgends eine Niederlassung zu gründen, und kaum befand er sich zwei Monate im Lande, als er erfuhr, daß die Indianer Perus sich erhoben und den größten Theil der Spanier ermordet hätten.

Nach Unterzeichnung des neuen Vertrages zwischen den Eroberern nämlich (1534), zog Pizarro wieder nach den näher dem Meere gelegenen Landestheilen, in welchen er, da jetzt hier nichts mehr zu fürchten war, eine regelrechte Regierung einrichten konnte. Für einen Mann, der sich früher niemals mit Gesetzgebung beschäftigt, erließ er in der That sehr weise Verordnungen, betreffend die Justizverwaltung, die Erhebung der Steuern, die Landvertheilung an die Indianer und die Arbeit in den Bergwerken. Bot der Charakter des »Conquistador« auch manche Handhaben für eine minder wohlwollende Kritik, so verlangt es doch die Gerechtigkeit, anzuerkennen, daß ihm eine gewisse Erhabenheit der Gedanken nicht abging und er sich der Rolle des Begründers eines großen Reiches wohl bewußt war. Hierin liegt auch der Grund seines Zögerns bezüglich der Wahl des Ortes für die zukünftige Hauptstadt der spanischen Besitzungen. Cusco hatte zwar den Vorzug für sich, früher die Residenz der Inkas gewesen zu sein; diese vom Meere über vierhundert Meilen entfernte Stadt aber trennte ein gar zu großer Zwischenraum von Quito, dem Pizarro einmal eine hervorragende Bedeutung zuschrieb. Da reizte ihn plötzlich die Schönheit und Fruchtbarkeit eines großen Thales, durch welches sich ein Wasserlauf, der Rinac, dahinschlängelte. Hierher verlegte er dann im Jahre 1536 den Sitz seiner Regierung. Bald nahm Lima, »die Stadt der Könige«, wie man sie durch [356] Verstümmelung des Namens jenes zu ihren Füßen verlaufenden Flusses nannte, durch das prächtige Palais, das er sich erbauen ließ, und die schönen und geräumigen Wohnungen seiner ersten Beamten das Aussehen einer großen Stadt an. Während Pizarro die Einrichtung der Regierung hier fern von seiner bisherigen Hauptstadt hielt, durchschwärmten einzelne kleinere Truppenabtheilungen die entlegensten Gegenden des Reiches, um auch die letzten Herde des Widerstandes zu zerstören, so daß in Cusco nur eine sehr geringe Truppenzahl zurückblieb. Der in den Händen der Spanier befindliche Inka glaubte jetzt den geeigneten Zeitpunkt gekommen, um eine allgemeine Erhebung anzuschüren, durch welche er der fremden Herrschaft ein Ende zu bereiten hoffte. Trotz seiner scharfen Ueberwachung wußte er alle nothwendigen Maßregeln mit solchem Geschick zu treffen, daß er bei seinen Unterdrückern auch nicht den leisesten Verdacht erregte. Er erhielt sogar die Erlaubniß, einem großen Feste beizuwohnen, das einige Meilen von Cusco gefeiert werden sollte und bei dem die ersten Personen des ganzen Reiches erschienen. Sobald der Inka sich sehen ließ, wurde die Fahne der Empörung entfaltet. Von den Grenzen der Provinz Quito bis nach Chili stand das ganze Land plötzlich unter Waffen und sehr viele kleine spanische Detachements wurden überfallen und vernichtet. Cusco selbst, das die drei Brüder Pizarro's mit nur hundertsiebzig Spaniern vertheidigten, war acht Monate lang den unaufhörlichen Angriffen der Peruaner ausgesetzt, die sich den Gebrauch der ihren Gegnern abgenommenen Waffen angeeignet hatten. Die Eroberer widerstandenheldenmüthig, erlitten aber sehr empfindliche Verluste, vorzüglich als Johann Pizarro selbst fiel. Als Almagro diese Nachrichten erhielt, verließ er eiligst Chili, zog durch die gebirgige, steinige und auch sandige Wüste von Atacama, wo er von der Hitze und Dürre nicht weniger litt als in den Anden von Schnee und Kälte, drang in das peruanische Gebiet ein, besiegte Manco-Capac in einer größeren Schlacht und gelangte endlich, nach Vertreibung der Indianer, bis nach Cusco. Sofort machte er nun den Versuch, sich die Stadt ausliefern zu lassen, unter dem Vorwande, daß sie gar nicht zu Pizarro's Gouvernement gehöre, und stürmte unter Verletzung eines Waffenstillstandes, während die Leute des Marquis sich einige Ruhe gönnten, die Stadt, bemächtigte sich Fernand und Gonzalo Pizarro's und ließ sich als Gouverneur anerkennen.

Inzwischen griff ein größeres indianisches Heer Lima an, schnitt diesem [357] alle Verbindung ab und vernichtete mehrere kleinere Abtheilungen, welche Pizarro wiederholt zum Entsatze Cuscos absendete. Gleichzeitig schickte Letzterer alle seine Schiffe nach Panama, um seine Leute zum verzweifelten Widerstande zu nöthigen; er rief von Truxillo die unter dem Befehle Alonzo d'Alvarado's stehende Truppe herbei und übergab diesem die Führung einer Colonne von fünfhundert Mann, mit der er bis auf einige Meilen an die Hauptstadt heranzog, ohne im geringsten zu ahnen, daß diese sich in den Händen von Landsleuten befand, welche entschlossen waren, ihm den Weg zu sperren. Almagro aber lag es weit mehr am Herzen, die neuen Ankömmlinge an sich zu locken, als sie zu vernichten; er traf also Anstalt, sie zu überraschen, und machte sie zu Gefangenen. Jetzt bot sich ihm die günstigste Gelegenheit, dem Kriege ein Ende und sich mit einem Schlage zum Herrn von zwei Gouvernements zu machen. Mehrere Officiere ließen auch einen derartigen Vorschlag laut werden und vorzüglich Orgoños, der dafür war, daß er die Brüder des »Conquistador« einfach hinrichten lasse und mit Eilmärschen mit seinen siegreichen Kräften nach Lima ziehe, wo ihm der überraschte Pizarro nicht werde widerstehen können. Doch Die, welche Jupiter verderben will, sagt ein lateinischer Dichter, die verblendet er. Almagro, der bei so vielen anderen Gelegenheiten sich über jeden Scrupel hinwegsetzte, wollte nicht das Unrecht auf sich nehmen, das Gouvernement Pizarro's als Empörer zu überfallen, und schlug ruhig den Weg nach Cusco wieder ein.

Vom Standpunkte seines persönlichen Interesses aus beging Almagro hiermit gewiß einen schweren Fehler, den er auch gar zu bald bereuen sollte. Fasst man aber, was ja stets der Fall sein sollte, nur das Interesse des Vaterlandes in's Auge, so bildeten schon die Angriffe, die er unternommen, und der Bürgerkrieg, den er angesichts eines Feindes, welcher nur darauf lauerte, daraus seinen Nutzen zu ziehen, entflammte, ein Capitalverbrechen. Seine Gegner erinnerten sich dessen auch nur gar zu bald.

Bedurfte es für Almagro eines schnellen Entschlusses, um sich zum Herrn der Situation zu machen, so hatte Pizarro im Gegentheil Alles von der Zeit und der günstigen Gelegenheit zu erwarten. Während er weitere, ihm von Darien her versprochene Verstärkungen erwartete, ließ er sich mit seinem Gegner in Unterhandlungen ein, welche mehrere Monate dauerten und während welchen es einem seiner Brüder und Alvarado gelang, mit siebzig [358] Mann zu entkommen. Obwohl er schon wiederholt hintergangen worden war, gab er doch seine Zustimmung, den Licentiaten Espinosa zu empfangen, der beauftragt war, ihm vorzustellen, daß, wenn der Kaiser wüßte, was zwischen den beiden Rivalen vorging und über die Sachlage aufgeklärt würde, welche ihre Streitigkeiten herbeigeführt hatten, er wahrscheinlich Beide abberufen und durch andere Personen ersetzen werde. Nach Espinosa's bald darauf erfolgtem Tode wurde durch den Bruder Franz von Bovadilla's, dem Pizarro und Almagro die Entscheidung über ihren Zwist anheimgegeben hatten, ein Vertrag zu Stande gebracht, nach dem Fernand Pizarro sofort freigegeben, Cusco den Händen des Marquis überlassen werden sollte, und man beschloß, mehrere Officiere von beiden Parteien nach Spanien abzusenden, welche die beiderseitigen Rechte der Rivalen vertheidigen und die Entscheidung des Kaisers selbst anrufen sollten.

Kaum hatte der letzte seiner Brüder die Freiheit wieder erlangt, als Pizarro, jeden Gedanken an Frieden und freundschaftliches Uebereinkommen verwerfend, erklärte, daß es der Gewalt der Waffen überlassen bleiben solle, zwischen ihm und Almagro zu entscheiden, wer in Peru Herr sei. In kurzer Zeit vereinigte er siebenhundert Mann, deren Führung er seinen beiden Brüdern anvertraute. Bei der Unmöglichkeit, die Berge zu überschreiten, um auf directem Wege nach Cusco zu gelangen, folgten diese Truppen dem Ufer des Meeres bis nach Nasca, von wo aus sie in ein Seitenthal der Anden eindrangen, das sie bald nach der Hauptstadt führen mußte.

Vielleicht hätte Almagro richtiger gehandelt, schon die Abhänge des Gebirges zu vertheidigen, doch er besaß nur fünfhundert Mann und rechnete stark auf seine Reiterei, die in beschränktem Terrain nicht wohl in Verwendung kommen konnte. Er erwartete den Feind also in der Nähe von Cusco. Beide Theile griffen sich am 26. April 1538 mit gleicher Wuth an, der Sieg wurde jedoch durch zwei Compagnien Musketiere entschieden, welche der Kaiser, auf die Nachricht von der Empörung der Indianer hin, Pizarro zu Hilfe geschickt hatte. Hundertvierzig Soldaten fanden in dem Gefechte, das den Namen der Schlacht von Bas Selimas erhielt, den Tod. Orgoños und mehrere hervorragende Führer wurden nach dem Kampfe kaltblütig niedergemetzelt. Auch der alte und kränkliche Almagro vermochte Pizarro nicht zu entkommen.

Die auf den benachbarten Bergen in Waffen stehenden Indianer hatten [359] sich zwar verabredet, Denjenigen, der Sieger bleiben würde, zu überfallen, jetzt aber stoben sie nach allen Richtungen auseinander. »Nichts, sagt Robertson, beweist deutlicher das Uebergewicht, das die Spanier über die Amerikaner besaßen, als die Thatsache, daß Letztere, die Zeugen der Niederlage und Zersprengung der einen feindlichen Partei, nicht den Muth hatten, die andere, welche jetzt durch den Kampf geschwächt und ermattet war, anzugreifen und ihre Unterdrücker zu überfallen, als ihnen die Umstände eine Gelegenheit an die Hand gaben, die kaum je so günstig wiederkehren konnte, um einen Befreiungskampf zu beginnen.«

Zu jener Zeit galt ein Sieg, wenn ihn keine Plünderung begleitete, nur für einen halben. Auch die Stadt Cusco verfiel diesem Schicksale, doch vermochten alle Schätze, welche die Leute Pizarro's auffanden, diese nicht zu befriedigen. Sie hatten Alle eine so große Meinung von ihren Verdiensten und von dem, was sie jetzt geleistet, daß für Jeden ein Gouverne ments-Posten hätte frei sein müssen. Fernand Pizarro zerstreute sie also und sandte sie mit einigen Parteigängern Almagro's, die sich ihm jetzt angeschlossen hatten und deren Entfernung ihm am Herzen lag, bald weg, um noch weitere Länder zu erwerben.

Was den Letzterwähnten selbst betrifft, so beschloß Pizarro, überzeugt, daß sich unter dessen Namen stets ein verdächtiger Herd der Aufregung erhalten könne, sich seiner zu entledigen. Er ließ ihm also den Proceß machen, der selbstverständlich mit einem Todesurtheil endigte. Bei dieser Nachricht behielt er nach einigen Augenblicken natürlicher Erregung, in denen er sein Alter und die sehr abweichende Art und Weise, in der er mit Fernand und Gonzalo Pizarro verfahren sei, als sie seine Gefangenen waren, doch sein kaltes Blut und sah dem Tode mit dem Muthe eines tapferen Soldaten entgegen. Er wurde im Gefängniß erdrosselt und dann öffentlich hingerichtet (1538).

Nach einigen weiteren glücklichen Zügen reiste Fernand Pizarro nach Spanien ab, um den Kaiser von allen Vorkommnissen zu unterrichten. Jetzt fand er aber die öffentliche Meinung gegen sich und seine Brüder heftig eingenommen. Ihre Grausamkeiten und Gewaltacte, ihre Mißachtung der heiligsten Verträge waren nämlich durch einige Anhänger Almagro's in ihrer ganzen Nacktheit und ohne jede Schonung aufgedeckt worden. Fernand Pizarro bedurfte seiner ganzen Gewandtheit, um sich beim Kaiser Gehör zu verschaffen.


Die Ufer des Rio Napo. (S. 363.)

Außer Stande, zu entscheiden, auf welcher Seite das Recht sei, da er nur durch die beiden Parteien von deren Händeln wußte, erkannte Karl V., daß seinem überseeischen Reiche die größten Gefahren und der [360] verderblichste Bürgerkrieg drohten. Er entschied also dahin, einen Commissär an Ort und Stelle zu senden, den er mit ausgedehntester Machtvollkommenheit ausstattete und der nach genauer Einsicht in die Verhältnisse die Regierungsform so herstellen sollte, wie es ihm am Besten dünkte. Diese heikle Mission [361] wurde einem Richter von dem Obergericht zu Valladolid, Christoval de Vaca, zuertheilt, der sich dieses Vertrauens nicht unwürdig zeigte. Sonderbar! Man empfahl ihm, ganz besonders gegen Franz Pizarro mit größtmöglicher Schonung zu verfahren, während sein Bruder Fernando verhaftet und in den Kerker geworfen wurde, wo er zwanzig lange Jahre vergessen schmachten sollte.

Während sich diese Ereignisse in Spanien abspielten, vertheidigte der Marquis das eroberte Land, behielt für sich und seine Getreuen die fruchtbarsten und bestgelegenen Landschaften und gestand den Kampfgenossen Almagro's, denen von Chili, wie man sich ausdrückte, nur unfruchtbare und entlegene Einöden zu. Dann übertrug er einem seiner Abtheilungsführer, Pedro de Valdivia, die Ausführung des Projects, an dem Almagro gescheitert war, nämlich die Unterjochung von Chili. Am 28. Januar 1540 brach dieser auf in Begleitung von hundertfünfzig Spaniern, unter denen sich Pedro Gomez, Pedro de Miranda und Alonso de Monroy besonders hervorthun sollten, zog durch die Wüste von Atacama, ein Unternehmen, das auch heutigen Tages für sehr beschwerlich gilt, und kam in Copiapa inmitten eines herrlichen Thales an. Während er zuerst eine sehr freundliche Aufnahme fand, mußte er doch nach Einbringung der Ernte zahlreiche Gefechte mit einer von den Indianern Perus sehr verschiedenen Race, den Araucaniern, sehr tapferen und unermüdlichen Kriegern, bestehen. Nichtsdestoweniger gründete er am 12. Februar 1541 die Stadt Santiago. Acht Jahre lang verweilte Valdivia in Chili und leitete die Eroberung und Organisation des Landes.

Minder habsüchtig als die anderen »Conquistadoren« jener Zeit, forschte er nach den Mineralschätzen des Landes nur in der Absicht, die gedeihliche Entwickelung der Kolonie, in der übrigens auch dem Landbau die gebührende Pflege zu Theil wurde, sicherzustellen. »Der beste Bodenschatz, den ich kenne, ist doch Getreide und Wein nebst dem Futter für die Thiere. Wer diesen hat, besitzt auch Silber und Gold. Von den eigentlichen ersten Producten des Bergbaues vermögen wir nicht unser Leben zu fristen. Ein reiches Bergwerk sichert noch Niemand ein angenehmes Leben.« Diese Worte Lescarbot's in seiner »Geschichte von Neu-Frankreich« könnte Valdivia wohl selbst ausgesprochen haben, denn sie drücken seine Gefühle in zutreffender Weise aus. Seine Tapferkeit, Klugheit und Menschlichkeit – und vorzüglich die letztere sticht gegenüber den Grausamkeiten Pizarros sehr vortheilhaft ab – sichern [362] ihm einen besonderen Ehrenplatz und gewiß einen der vornehmsten unter den »Conquistadoren« des 16. Jahrhunderts.

Zur Zeit, als Valdivia sich nach Chili begab, überschritt Gonzalo Pizarro an der Spitze von dreihundertvierzig Spaniern, die zur Hälfte beritten waren, und viertausend Indianern die Anden, doch um den Preis so entsetzlicher Strapazen, daß die Hälfte der Letzteren vor Kälte dabei umkamen; dann drang er nach Osten zu tiefer in das Festland ein, in der Absicht, ein Land aufzusuchen, in dem, wie man allgemein sagte, Zimmt und andere Gewürze in Ueberfluß gediehen. In den unendlichen, von Sümpfen und Urwäldern bedeckten Savannen von furchtbaren Regengüssen überrascht, welche gleich zwei Monate anhielten, hatten die Spanier bei der dünnen, wenig thätigen und feindseligen Bevölkerung oft Hunger und Durst zu leiden in einem Lande, wo es weder Rinder noch Pferde gab, und die größten Vierfüßler Tapire und Lamas waren, welch' letzteren man übrigens auf den Abhängen der Anden auch nur sehr selten begegnete. Trotz dieser Schwierigkeiten, die gewiß hingereicht hätten, minder energische Leute als die »Descubridores« des 16. Jahrhunderts abzuschrecken, harrten sie bei ihrem Unternehmen aus und gingen längs des Rio Napo oder Coca, einem linken Nebenflusse des Marañon, bis zur Einmündung in diesen hinab. Dort erbauten sie mit größter Mühe eine Brigantine, auf welcher fünfzig Soldaten unter Führung Francisco Orellana's Platz nahmen. Ob diesen nun die Gewalt der Strömung hinwegriß oder er, einmal aus den Augen des Chefs, der Versuchung nicht widerstehen konnte, jetzt selbst den Anführer einer Entdeckungsexpedition zu spielen, jedenfalls erwartete er Gonzalo Pizarro nicht an dem verabredeten Platze, sondern segelte den Strom hinunter bis zu dem Atlantischen Ocean. Eine solche Fahrt von nahe 2000 Meilen durch unbekannte Gebiete, ohne Führer, ohne Boussole und ohne Vorrath an Lebensmitteln, mit einer Mannschaft, welche wiederholt über dieses tolle Unternehmen ihres Hauptmanns zu murren anfing, und mitten durch eine fast allenthalben feindselig auftretende Bevölkerung, ist gewiß eine wunderbare zu nennen. Von der Mündung des Stromes aus, den er mit seiner mangelhaft construirten und halbzerfallenen Barke hinabgefahren war, gelang es Orellana noch, die Insel Cabragua zu erreichen, von welcher er nach Spanien abreiste.

Wenn das Sprichwort: »Der hat gut lügen, der aus weiter Ferne [363] kommt«, noch nicht erfunden gewesen wäre, Orellana hätte dazu Veranlassung gegeben. Er verbreitete in der That die ungereimtesten Fabeln von den Schätzen des von ihm durchreisten Landes. Die Einwohner desselben sollten so reich sein, daß die ganzen Tempeldächer nur aus massiven Goldplatten beständen, eine Versicherung, welche zur Entstehung der Legende von El Dorado Veranlassung gab. Orellana wollte auch von der Existenz einer Republik kriegerischer Frauen gehört haben, was dem Marañon den Namen »Amazonen-Strom« erwarb. Entkleidet man diese Berichte indeß alles Lächerlichen und Grotesken, dem für die Phantasie der Zeitgenossen berechneten Beiwerke, so bleibt doch das eine bestehen, daß Orellana's Zug eine der merkwürdigsten Expeditionen jener an gigantischen Unternehmungen so überreichen Periode darstellt, und daß eben dieser die erste Nachricht von der unendlichen Ausdehnung des Landes zwischen den Anden und dem Atlantischen Ocean lieferte.

Kehren wir jedoch zu Gonzalo Pizarro zurück. Seine Verlegenheit und Verwunderung mögen nicht gering gewesen sein, als er selbst an den Zusammenfluß des Napo und Marañon kam, ohne Orellana zu finden, der ihn hier erwarten sollte. In der Befürchtung, daß seinem Lieutenant ein Unfall zugestoßen sei, marschirte er fünfzig Meilen weit längs des Stromes hinunter, bis er einen unglücklichen Officier antraf, der als Strafe für den Einspruch gegen die Perfidie seines Chefs hier ausgesetzt worden war. Bei der Nachricht von der elenden Verlassenheit und Entblößung, in der sie sich befanden, verloren auch die Kühnsten den Muth. Pizarro mußte ihren Vorstellungen nachgeben und nach Quito umkehren, von wo man übrigens mehr als zwölfhundert Meilen entfernt war. Zur Kennzeichnung der Entbehrungen bei diesem Marsche genüge die Bemerkung, daß nach Aufzehrung von Pferden und Hunden, Wurzeln und wilden Thieren, und nachdem sie sogar ihr gesammtes Lederzeug zerkaut, nur achtzig Ueberlebende vom Buschwerk zerrissen, blaß und abgemagert nach Quito wirklich zurückkamen. Viertausend Indianer und zweihundertzehn Spanier hatten bei diesem Zug, der nicht weniger als zwei volle Jahre dauerte, das Leben eingebüßt.

Während Gonzalo Pizarro diese unglückselige Expedition führte, über welche wir eben berichteten, schaarten sich die alten Parteigänger Almagro's, welche sich niemals ganz und voll an Pizarro anzuschließen vermochten, um den Sohn ihres früheren Chefs und faßten den Beschluß, den Marquis zu [364] ermorden. Vergeblich ward Franz Pizarro wiederholt gewarnt, doch niemals wollte er solchen Nachrichten Glauben schenken und sagte stets: »Seid nur ruhig, ich bin sicher genug, daß es in ganz Peru Niemand giebt, der nicht wüßte, daß ich die Macht habe, ihm in dem Augenblicke das Leben zu nehmen, wo er es wagen sollte, nach dem meinigen zu trachten.«

Am Sonntag dem 26. Juni 1531, zur Zeit der Siesta, traten Jean de Herrada und achtzehn Verschworene aus dem Hause Almagro's, den Degen in der Faust und von Kopf bis zu den Füßen bewaffnet. Sie stürzen sich mit dem Rufe: »Tod dem Tyrannen! Tod dem Verräther!« auf das Haus Pizarro's, stürmen den Palast, tödten Franz de Chaves, der auf den Lärm hin herbeilief, und dringen in den Saal, in dem sich mit Franz Pizarro, dessen Bruder Franz Martin, der Doctor Juan Velasquez und ein Dutzend Diener aufhielten. Diese retten sich mit Ausnahme Martin Pizarro's durch die Fenster, während zwei Edelleute und mehrere Diener bei der Vertheidigung des Zugangs zu den Gemächern des Gouverneurs fallen. Dieser selbst ergreift, da ihm die Zeit fehlte, erst einen Panzer anzulegen, den Degen und ein Schild, wehrt sich tapfer und tödtet vier Gegner, während viele Andere Wunden davontragen. »Trotzdem, sagt Zarate, erreichten sie ihre Absicht und ermordeten ihn durch einen Stich in den Hals. Im Niederfallen verlangte er noch mit lauter Stimme zu beichten, und da er dann nicht weiter reden konnte, machte er noch auf dem Boden das Zeichen des Kreuzes und gab so seinen Geist auf. Einige Neger schleppten seinen Leichnam nach der Kirche, von wo Juan Barbazan, sein altbewährter Diener, denselben allein zu reclamiren wagte. Dieser treue Diener erwies ihm heimlich die letzten Ehren, denn die Verschworenen hatten Pizarro's Wohnung geplündert und nicht so viel übrig gelassen, um davon die Wachskerzen neben dem Sarge zu bezahlen.«

So endete Franz Pizarro, ermordet in der Hauptstadt seines großen Reiches, das Spanien seiner Tapferkeit und unermüdlichen Ausdauer verdankte, das er dem Vaterlande aber nur verwüstet, halb entvölkert und mit Blut getränkt, hinterließ. Häufig mit Cortez verglichen, besaß er gewiß ebenso viel Muth, Ehrgeiz und militärisches Geschick; dagegen besaß er auch die Fehler des Marquis, Grausamkeit und Habsucht, in erhöhtem Maße, und Treulosigkeit und Doppelzüngigkeit noch obendrein. Wenn das Jahrhundert in dem Cortez lebte, die Schattenseiten seines Charakters erklärlich erscheinen [365] läßt, so läßt man sich eben gern durch die Anmuth und das Edle in seinem Wesen, sein über gewöhnliches Vorurtheil erhabenes Auftreten gefangen nehmen, das ihn bei seinen Soldaten so außerordentlich beliebt machte. In Pizarro's Charakter dagegen tritt eine Roheit ohne Gleichen, eine wenig sympathische Härte der Gefühle häßlich hervor, und selbst seine erträglichen Eigenschaften verschwanden gänzlich gegenüber der Habgier und Treulosigkeit, diesen markantesten Zügen seiner Persönlichkeit.

Begegnete Cortez in den Mexicanern tapferen und entschlossenen Feinden, die ihm fast unüberwindliche Hindernisse bereiteten, so hatte Pizarro dafür fast keine Mühe, die milderen und furchtsameren Peruaner zu besiegen, welche seinen Waffen kaum jemals ernsteren Widerstand leisteten. Stellt man die Eroberung Perus und Mexicos nebeneinander, so führte die leichtere Spanien allerdings mehr metallische Schätze zu. Sie war es auch, auf die man den höheren Werth legte.

Noch einmal nach Pizarro's Tode sollte der Bürgerkrieg aufflackern, als der von der hauptstädtischen Regierung abgeschickte Gouverneur eintraf. Dieser raffte aber sofort die nöthigen Truppen zusammen und zog gegen Cusco aus. Er bemächtigte sich bald des jüngern Almagro, ließ ihn nebst vierzig seiner Helfershelfer hinrichten und regierte das Land mit Festigkeit bis zur Ankunft des Vicekönigs Blasco Nuñez Vela. Es liegt nicht in unserer Absicht, näher auf die Streitigkeiten einzugehen, die dieser mit Gonzalo Pizarro hatte, der sich unter Benutzung der durch die neuen »Repartimentos« erzeugten allgemeinen Unzufriedenheit gegen den Stellvertreter des Kaisers auflehnte. Nach verschiedenen Wechselfällen endete der Kampf mit der Niederlage und Hinrichtung Gonzalo Pizarro's im Jahre 1548. Sein Leichnam ward nach Cusco gebracht und daselbst völlig bekleidet begraben, da »Niemand, sagt Garcilasso de la Vega, ein armseliges Leichentuch für ihn hergeben wollte«. So endete der Mörder Almagro's. Liegt es nicht nahe, hier an die Worte der heiligen Schrift zu denken: »Wer Menschenblut vergießt, dessen Blut soll wieder vergossen werden?«

[366]
2. Capitel
Zweites Capitel.
Erste Reise um die Erde.

Magellan, seine Anfänge, Verdrießlichkeiten und Wechsel der Nationalität. – Vorbereitungen zur Reise. – Rio de Janeiro. – Die Bai St. Julien. – Wiedersetzlichkeiten eines Theiles des Geschwaders. – Schreckliche Bestrafung der Schuldigen. – Die Magellan-Straße. – Die Patagonier. – Der Pacifische Ocean. – Die Ladronen. – Zebu und die Philippinen. – Magellan's Tod. – Borneo. – Die Molukken und ihre Erzeugnisse. – Trennung der »Trinidad« und der »Victoria«. – Rückkehr nach Europa um das Cap der Guten Hoffnung. – Die letzten Unfälle.


Noch immer war die ungeheure Ausdehnung des von Columbus entdeckten Continentes nicht bekannt. Beharrlich suchte man noch längs der Küsten Amerikas, das der allgemeinen Annahme nach mehrere große Inseln bildete nach dem Sunde, der auf kürzestem Wege in den Pacifischen Ocean und nach den begehrten Gewürzinseln, der Quelle von Spaniens Reichthümern, führen sollte. Während Cortereal und Cabot sich im Atlantischen Ocean um die Lösung dieses Räthsels bemühten, Cortez bis zum Golfe von Californien hinauf-, Pizarro längs der Küste Perus hinabsegelte und Valdivia Chili eroberte, gelang die Auffindung des gesuchten Seeweges Fernand de Magellan, einem im Dienste Spaniens stehenden Portugiesen.


Ermordung Pizarro's. (Facsimile. Alter Kupferstich.) (S. 365.)

Fernand de Magellan ward als Sohn eines Ritters der Cota e Armas in Porto, Lissabon, Villa de Sabrossa oder in Villa de Figueiro, es ist unbestimmt wo, auch weiß man nicht, an welchem Tage, sicher jedoch gegen Ende des 15. Jahrhunderts geboren. Er wuchs im Hause des Königs Johann II. auf und erhielt hier eine auf der Höhe jener Zeit stehende Ausbildung. Nach eingehendem Studium der Mathematik und Schifffahrtskunde – denn damals herrschte in Portugal ein unwiderstehlicher Drang zu maritimen Entdeckungen – betrat Magellan sehr frühzeitig die Seemanns-Carrière und schiffte sich 1505 mit Almeida, der nach Indien ging, ein. Er wohnte der Plünderung Quiloas und allen Vorkommnissen jener Reise bei. Im folgenden Jahre begleitete er Vaz Pereira nach Sofala; später, nach der Rückkehr zur Malabarküste, sehen wir ihn unter Albuquerque an der Einnahme von Malacca theilnehmen, wo er ebenso viel Umsicht als persönliche Tapferkeit an den Tag legte. Dann betheiligte er sich an den Expeditionen, [367] welche Albuquerque gegen 1510 zur Aufsuchung der berühmten Gewürzinseln unter dem Commando Antonio de Abreu's und Francisco Serrão's ausschickte, welche Banda, Amboine, Ternate und Tidor entdeckten. Inzwischen war Magellan an den 600 Meilen von Malacca entfernten malayischen (d. s. polynesischen) Inseln gelandet und empfing hier sehr eingehende Berichte über den Archipel der Molukken, wodurch in seinem Kopfe der erste Gedanke zu einer Reise erweckt wurde, die er später ausführen sollte.

[368] Nach Portugal heimgekehrt, erhielt er, nicht ohne Schwierigkeiten, die Erlaubniß, die Archive der Krone einzusehen, aus denen ihm bald Gewißheit darüber ward, daß die Molukken auf derjenigen Halbkugel lägen, welche durch [369] die von den Königen Spaniens und Portugals in Tordesillas angenommene und 1494 durch Papst Alexander VI. bestätigte, sog. Demarcations-Bulle Spanien zugesprochen war.


Magellan auf seiner Caravelle. (Facsimile. Alter Kupferstich.) (S. 367.)

Zufolge dieser Vereinbarung, welche noch zu so erbitterten Kämpfen Anlaß geben sollte, gehörte Spanien alles Land bis dreihundertsiebzig Meilen westlich vom Meridian der Inseln des Grünen Vorgebirges, das östlich von diesem gelegene aber Portugal an.

Magellan war viel zu thatenlustig, um lange Zeit müßig bleiben zu können. Er nahm also Kriegsdienste in Afrika, wo er bei Azamor, einer Stadt Marokkos, eine scheinbar leichte Kniewunde erhielt, in Folge der er jedoch, weil sie einen größeren Nerven verletzt hatte, sein Leben lang hinkte und bald nach Portugal zurückkehren mußte. Stolz und sich der Ueberlegenheit bewußt, die ihm seine theoretischen und praktischen Kenntnisse, sowie seine bisher geleisteten Dienste gegenüber dem Schwarm der Höflinge sicherten, mußte Magellan nur desto lebhafter die Anschuldigung bedauern, die ihm seitens des Königs Emanuel widerfuhr, in Folge gewisser Klagen der Bewohner von Azamor über die portugiesischen Officiere. Emanuel's Vorurtheil vergrößerte sich bald zur wirklichen Abneigung. Diese äußerte sich durch die schimpfliche Behauptung, Magellan stelle sich, um widerlichen Anschuldigungen aus dem Wege zu gehen, nur so, als litte er noch von einer Wunde, welche doch längst ohne Nachwehen geheilt sei. Eine solche Schmach drückte zu schwer auf das leicht verletzbare Ehrgefühl Magellan's; sie trieb ihn zu dem letzten schweren Entschlusse, der übrigens der Größe der erlittenen Beleidigung die Wage hielt. Um Niemand darüber in Ungewißheit zu lassen ließ er durch einen authentischen Act bekräftigen, daß er auf seine Rechte, als portugiesischer Bürger verzichte und sich in Spanien eine neue Heimat suche. Er veröffentlichte damit, so feierlich wie das eben möglich war, daß er von der Krone Castilien als Unterthan betrachtet zu sein wünsche, der er in alle Zukunft seine Dienste und sein ganzes Leben widmen wollte. Gewiß ein schwerer Entschluß, den doch Keiner zu tadeln wagte, und den, nach dem Zeugnisse Barro's und Faria y Susa's, selbst die rigorösesten Geschichtsschreiber jener Zeit entschuldigt haben.

Zugleich mit ihm verließ ein anderer, an kosmographischen Kenntnissen reicher Mann, der Licenciat Ruy Faleiro, der ebenfalls beim König Emanuel in Ungnade gefallen war, Lissabon in Begleitung seines Bruders Francisco [370] und eines Kaufmannes, Namens Christovam de Haro. Jener hatte mit Magellan einen Gesellschaftsvertrag abgeschlossen, nach den Molukken auf einem neuen Wege zu gehen, der nicht weiter bezeichnet wurde und zunächst Magellan's Geheimniß blieb. Sofort nach ihrem Eintreffen in Spanien (1517) unterbreiteten die beiden Gesellschafter ihr Project Karl V., der es im Principe billigte. Nun handelte es sich aber, was ja immer ein mißlicher Punkt ist, um die Mittel zur Ausführung. Glücklicher Weise fand Magellan in Juan de Aranda, dem Geschäftsführer der Handelskammer, einen enthusiastischen Bewunderer seiner Theorien, der ihm versprach, allen seinen Einfluß aufzubieten, um das Unternehmen durchzuführen. Er wandte sich deshalb an den Großkanzler, Cardinal und Erzbischof von Burgos, Fonseca mit Namen. Diesem setzte er mit so großer Gewandtheit die Vortheile auseinander, welche Spanien von der Entdeckung eines direct in das Centrum der Gewürzländer führenden Weges haben müsse, und schilderte dabei den ungeheuren Nachtheil für den Handel Portugals, daß es am 22. März 1518 zu einer betreffenden Convention kam. Der Kaiser trat auch für die Kosten der Ausrüstung ein, wogegen ihm der größte Theil des Ertrages der Expedition zugesichert wurde.

Bevor er in See gehen konnte, hatte Magellan freilich noch mancherlei Hindernisse zu besiegen. Diese bestanden zunächst in den Einwendungen des portugiesischen Gesandten, Alvaro da Costa, der, als er die Erfolglosigkeit seines Widerspruches erkannte, nach Faria y Susa selbst nicht vor dem Versuche zurückgeschreckt sein soll, Magellan durch Meuchelmord aus dem Wege schaffen zu lassen. Ferner begegnete er dem Unwillen der Beamten an der Oasa de contratacion in Sevilla, welche eifersüchtig waren, die Leitung einer so wichtigen Expedition in die Hände eines Ausländers gelegt zu sehen und deren kleinlicher Neid obendrein durch die jüngste, Magellan und Ruy Faleiro zu Theil gewordene Gunstbezeugung erregt worden war, als der König jene zu Commandeuren des Ordens des heiligen Jakob ernannte. Karl der V. hatte indeß einmal seine Zustimmung durch einen öffentlichen Act ertheilt, diese konnte also nicht widerrufen werden. Noch einmal versuchte man auf seinen Entschluß bestimmend einzuwirken, indem im November 1518 durch portugiesisches Gold ein Volksaufstand angezettelt wurde, der unter dem Vorwande zum Ausbruch kam, daß Magellan, als er eines seiner Schiffe auf das Land gesetzt, um es ausbessern und anstreichen zu lassen, dasselbe [371] mit dem portugiesischen Wappen geschmückt habe. Auch dieser letzte Versuch scheiterte jedoch höchst kläglich, und drei königliche Ordonnanzen vom 30. März, 6. und 30. April bestimmten die nothwendigen Mannschaften und ernannten den Stab der Flottille; ein letztes Handschreiben endlich, datirt aus Barcelona vom 26. Juli 1519, übertrug das einheitliche Commando der Expedition an Magellan.

Was inzwischen mit Ruy Faleiro vorgegangen war, das ist nicht mit Bestimmtheit zu sagen. Wenn er bis jetzt mit Magellan, dem freilich der erste Entwurf des ganzen Planes angehörte, immer gleichmäßig behandelt und bedacht worden war, so sah er sich doch völlig von dem Commando der Expedition ausgeschlossen, und zwar in Folge von Meinungsverschiedenheiten, deren Ursache nicht in die Oeffentlichkeit gedrungen ist. Seine ohnehin erschütterte Gesundheit erhielt durch diesen Schimpf einen harten Schlag, und dazu wurde der arme, halb geistesgestörte Ruy Faleiro nach seiner Rückkehr nach Portugal und zu seiner Familie verhaftet und konnte nur auf die nachdrückliche Verwendung Karl's V. hin wieder auf freien Fuß kommen.

Nach seinem der Krone Castiliens geleisteten Lehenseide schwuren Magellan auch seine Officiere und Matrosen Anhänglichkeit und Treue, und er segelte nun, am 10. August 1519, aus dem Hafen von San Lucar de Barrameda ab.

Bevor wir zur Erzählung des nun folgenden merkwürdigen Zuges übergehen, mögen hier einige Worte über den Mann Platz finden, dem wir den ausführlichsten Bericht über diese Reise verdanken. Francisco Antonio Pigafetta, geboren in Vicenza aus vornehmer Familie im Jahre 1491, gehörte zu dem Gefolge des Gesandten Francesco Chloricalco, den Leo X. an Karl V. nach Barcelona abschickte. Jedenfalls wurde seine Aufmerksamkeit erregt durch das Aufsehen, welches die Vorbereitungen zu Magellan's Reise in Spanien erweckten, und er erhielt wirklich Erlaubniß, an jener theilzunehmen. Dieser Freiwillige war übrigens eine sehr werthvolle Erwerbung, denn er erwies sich unter allen Verhältnissen als ebenso getreuer und scharfsichtiger Beobachter, wie als anhänglicher, tapferer Gefährte. Im Gefechte bei Zebu an Magellan's Seite verwundet, konnte er der Einladung an dem Gastmahle nicht folgen, während dessen eine so große Anzahl seiner Genossen den Tod finden sollte. Was seinen Bericht betrifft, so ist dieser, abgesehen von einigen Uebertreibungen im Geschmacke jener Zeit, ein recht verläßlicher, so daß die meisten von ihm herrührenden Beschreibungen durch die Reisenden [372] und die gelehrten Forscher der Neuzeit, unter denen Alcide de Orbigny besonders hervorgehoben zu werden verdient, nur allseitig bestätigt werden konnten.

Nach seiner Rückkehr nach San-Lucar am 6. September 1522 legte der Lombarde, wie man ihn an Bord der, »Victoria« nannte, gleich nach Einlösung seines Gelübdes, der »Nuesta Señora de la Victoria« barfüßig seinen Dank darzubringen, Karl V. in Valladolid das vollständige Tagebuch der Reise vor. Später verfaßte er in Italien auf Grund jenes Originales, sowie vieler ergänzender Anmerkungen auf Veranlassung Papst Clemens' VII und des Großmeisters des Malteserordens, Villiers' de l'Isle Adam, einen ausführlichen Reisebericht, von dem er einige gleichlautende Copien mehreren hervorragenden Persönlichkeiten, darunter auch Louise von Savoyen, der Mutter Franz' I., zugehen ließ. Da Letztere aber, nach Harisse, dem gelehrten Herausgeber der Bibliotheca americana vetustissima, das von Pigafetta geschriebene Patois, eine Mischung aus der italienischen, venetianischen und spanischen Sprache, nicht verstand, so beauftragte sie einen gewissen Jacques Antoine Fabre, jenen Bericht in's Französische zu übersetzen. Statt einer treuen Uebersetzung lieferte Fabre freilich nur eine Art Abriß. Einige Kritiker vertreten übrigens die Anschauung, daß das Original des Reiseberichtes überhaupt schon in französischer Sprache abgefaßt gewesen sei, und begründen dieselbe mit dem Vorhandensein dreier französischer Handschriften aus dem 16. Jahrhundert, welche beträchtliche Abweichungen aufweisen, und von denen zwei in der Pariser National-Bibliothek aufbewahrt werden.

Pigafetta starb zu Vicenza gegen 1534, in einem Hause der Mondstraße daselbst, das noch im Jahre 1800 zu sehen war und die bekannte Inschrift trug: »Keine Rose ohne Dornen!«

Wir halten uns im Nachfolgenden nicht ausschließlich an den Bericht Pigafetta's, sondern haben ihn mit dem Maximilian's des Siebenbürgen, eines Geheimschreibers Karl V., deren italienische Uebersetzung sich in der werthvollen Sammlung Ramusio's vorfindet, verglichen.

Magellan's Flotte bestand aus der »Trinidad« von 120 Tonnen, auf der die Flagge des Befehlshabers der Expedition aufgezogen war; der »Sante Antonio«, gleichfalls von 120 Tonnen, unter Führung Juan's de Carthagena als zweitem Officier und mit Magellan »verbundene Person«, wie das königliche Handschreiben lautete; ferner aus der »Conception« [373] von 90 Tonnen, Commandant Caspar de Quesada; der berühmten »Victoria« von 85 Tonnen, Commandant Luis de Mendoza, und endlich der »Santiago«, Commandant Joao Serrão, woraus die Spanier Serrano gemacht haben.

Vier unter diesen Kapitänen und alle Steuermänner waren Portugiesen. Barbosa und Gomez auf der »Trinidad«, Luis Alfonso de Goes und Vasco Gallego auf der »Victoria«, Serrão, Joao Lopes de Carvalho auf der »Conception«, Joao Rodriguez de Monfrapil auf der »Sant Antonio« und Joao Serrão auf der »Santiago« nebst fünfundzwanzig Matrosen bildeten eine Anzahl von 33 Portugiesen unter der Gesammtheit von 237 Mann, deren Namen erhalten geblieben und unter welchen auch noch andere Nationen vertreten sind.

Von den oben namentlich aufgeführten Officieren bemerken wir, daß Duarte Barbosa der Schwager Magellan's war, und daß Estavam Gomes, der, später von Karl V. zur Aufsuchung der nordwestlichen Durchfahrt ausgeschickt, im Jahre 1524 längs der Küsten Amerikas von Florida aus bis Rhode-Island und vielleicht bis zum Cap Cot hinauf segelte, schon am 6. Mai 1521 nach Sevilla zurückkehrte, sich an dieser denkwürdigen Fahrt also nicht bis zum Ende betheiligte.

Die Expedition, zu der man alle Hilfsmittel aufbot, welche die Schifffahrtskunst jener Zeit nur besaß, war in jeder Hinsicht so vollkommen als möglich ausgerüstet. Gleich nach der Abfahrt händigte Magellan seinen Steuerleuten und Kapitänen die letzten Instructionen ein nebst den festgesetzten Signalen zur Sicherung der Gleichzeitigkeit aller Manöver und zur Verhinderung einer möglichen Trennung von einander.

Am Montag den 10. August 1519 des Morgens lichtete die Flotte die Anker und fuhr den Guadalquivir hinab bis San Lucar de Barrameda, dem Hafen von Sevilla, wo der Proviantvorrath noch vermehrt wurde. Erst am 20. September stach sie wirklich in See. Sechs Tage später ankerte sie im Archipel der Canarien vor Teneriffa, um Wasser und Holz einzunehmen. Schon beim Verlassen dieser Inselgruppe traten zwischen Magellan und Juan Carthagena die ersten Spuren von Uneinigkeit zu Tage, welche der Expedition so ungemein nachtheilig werden sollte Juan verlangte nämlich von dem Chef-Commandeur über den einzuschlagenden Kurs vorher unterrichtet zu werden, was Magellan rundweg mit der Erklärung verweigerte, daß er seinen Untergebenen keine Rechenschaft zu geben schuldig sei.

[374] Nachdem man zwischen den Inseln des Grünen Vorgebirges und Afrika vorübergekommen, segelte man nahe Sierra Leone hin, wo theils Gegenwinde, theils vollständige Windstillen die Flotte zwanzig Tage lang aufhielten.

Während dessen ereignete sich ein sehr peinlicher Vorfall. Bei Gelegenheit einer an Bord des Admiralschiffes stattfindenden Berathung nämlich kam es zu sehr lebhaftem Wortwechsel, und da Juan de Carthagena, der den General-Kapitän überhaupt mit einer gewissen Mißachtung behandelte, diesem sehr laut und anmaßend antwortete, sah sich Magellan genöthigt, ihn in den »Bock« spannen zu lassen. Es ist das ein aus zwei übereinander liegenden Hölzern bestehender Apparat mit Oeffnungen, durch welche die Füße des zu bestrafenden Matrosen gesteckt und gefesselt werden. Gegen diese, für einen hohen Officier doch gar zu entehrende Strafe erhoben die übrigen Kapitäne bei Magellan Einspruch und setzten es auch durch, daß Carthagena einfach unter der Bewachung eines anderen Befehlshabers gefangen gehalten wurde.

Auf die Windstillen folgten nun Regengüsse mit plötzlichen Windstößen und wirklichen Stürmen, welche die Fahrzeuge zum Beilegen zwangen. Während dieser Unwetter beobachteten die Seefahrer widerholt eine, ihrer Ursache nach bis dahin unbekannte Erscheinung, welche man als ein Zeichen des besonderen himmlischen Schutzes auffaßte, und die heute noch mit dem Namen »St. Elmsfeuer« bezeichnet wird. Nach Ueberschreitung der Linie – ein Moment, der zu jener Zeit nicht wie in späterer Zeit durch die wunderliche Meerestaufe gefeiert wurde – steuerte man auf Brasilien zu, wo die Flotte am 13. December 1519 in dem herrlichen, heute unter dem Namen Rio-Janeiro bekannten Hafen Santa Lucia vor Anker ging. Es war das übrigens nicht, wie man lange Zeit geglaubt hat, zum ersten Male, daß Europäer diese Bai erblickten. Schon 1511 geschieht ihrer unter dem Namen Cabo-Frio Erwähnung. Bier Jahre vor Magellan's Ankunft hatte sie Pedro Lopez besucht, auch kamen seit Anfang des 16. Jahrhunderts wahrscheinlich zu wiederholten Malen Schiffer aus Dieppe hierher, welche von ihren Vorfahren, den Normannen, die Vorliebe für abenteuerliche Seefahrten geerbt hatten und fast überall auf Erden Niederlassungen oder Handelscomptoirs errichteten.

Hier versorgte sich die spanische Expedition sehr billig mit kleinen Spiegeln, Bändern, Scheeren, Schellen und Angelhaken nebst einer Menge Lebensmitteln, unter denen Pigafetta Ananasfrüchte, Zuckerrohr, Pataten, Hühner und Fleisch vom »Anta« (wahrscheinlich Tapir) aufzählt.


Küste von Brasilien. (Facsimile. Alter Kupferstich.)

[375] [377]Die Beobachtungen, welche derselbe Bericht über die Sitten und Gebräuche der Einwohner mittheilt, sind so merkwürdig, daß sie hier Erwähnung verdienen: »Die Brasilianer sind keine Christen, heißt es darin, besitzen aber auch keine Götzenbilder, sondern beten eigentlich gar nichts an; der natürliche [377] Instinct ist ihr einziges Gesetz«.


Juan de Carthagena in den Bock gespannt. (S. 375.)

Es ist das ein interessanter Ausspruch, ein eigenthümliches Geständniß seitens eines sehr zum Aberglauben geneigten Italieners aus dem 16. Jahrhundert, und beweist wiederum, daß die Idee der Gottheit keineswegs eine allgemein angeborne ist, wie es gewisse Theologen behaupten.

Diese Eingebornen werden sehr alt, gehen gewöhnlich ganz nackt und schlafen auf Baumwollnetzen, d.h. in Hängematten, die mit den Enden an Pfählen befestigt werden. Ihre »Canoas« genannten Boote sind aus einem einzigen Baumstamme ausgehöhlt und fassen bis vierzig Mann. Sie sind gelegentlich auch Menschenfresser, verzehren aber nur die im Kampfe gefallenen Feinde. Ihre Staatskleidung besteht aus einer Art Weste von Papageienfedern, welche in der Weise miteinander verbunden sind, daß die größten Federn aus den Flügeln und dem Schwanze um die Hüften eine Art Gürtel bilden, was ihnen ein höchst sonderbares und lächerliches Ansehen verleiht.« Wir erwähnten schon, daß der Federmantel am Pacifischen Ocean bei den Peruanern in Gebrauch war; es ist gewiß merkwürdig, ihn auch hier bei den Brasilianern wiederzufinden. In den ethnographischen Museen begegnet man jetzt übrigens gewöhnlich einigen Exemplaren dieses eigenartigen Schmuckes. Hierin bestand jedoch nicht der einzige Putz dieser Wilden; sie steckten sich nämlich durch die dreimal durchbohrte Unterlippe kleine steinerne Cylinder, eine Mode, der auch die oceanischen Völkerschaften huldigen und die mit dem bei uns gebräuchlichen Tragen von Ohrringen in naher Beziehung steht. Jene Völker sind übrigens sehr leichtgläubig und gutmüthig; Pigafetta bemerkt auch, daß es wohl keine Schwierigkeit gehabt hätte, sie zum Christenthum zu bekehren, denn sie wohnten schweigend und mit einer gewissen Andacht jeder am Strande gelesenen Messe bei, eine Beobachtung, welche auch Alvarez Cabral schon gemacht hatte.

Nach einem Aufenthalte von dreizehn Tagen setzte das Geschwader seinen Weg längs der Küste nach Süden hin fort und gelangte, unter 30° 40' südlicher Breite, nach einem Lande, aus dem ein großer Süßwasserstrom hervorbrach. Das war der La Plata Die Eingebornen Churruas zeigten beim Anblick der Schiffe eine solche Furcht, daß sie mit ihrer werthvollsten Habe eiligst in das Innere entflohen, so daß es unmöglich war, mit ihnen in Verbindung zu treten. In dieser Gegend war es, wo Juan Diaz de Solis, vier Jahre vorher von einem Stamme der Churruas ermordet [378] wurde, der mit jenem schrecklichen Instrumente bewaffnet war, dessen sich die »Gauchos« der Argentinischen Republik noch heute bedienen, nämlich den »Bolas«, d. s. metallene Kugeln, die an den Enden eines langen Lederriemens, des sog. »Lasso«, befestigt sind.

Ein wenig unterhalb der Mündung des La Plata, den man früher für einen nach dem Pacifischen Ocean führenden Meeresarm ansah, ankerte die Flotte im Hafen Desiré. Hier versorgte man sich mit einer für die Besatzung aller fünf Schiffe hinreichenden Menge Proviant an Pinguins, einer Geflügelart, welche nicht eben die leckerste Speise bildet. Endlich machte man unter 49°30' in einem Hafen Halt, wo Magellan zu überwintern beschloß und der den Namen der St. Julien-Bai erhielt.

Seit zwei Monaten schon weilten die Spanier an dieser Stelle, als sie eines Tages einen Mann bemerkten, der ihnen von wahrhaft riesiger Größe erschien. Bei ihrem Anblick begann er zu tanzen und zu singen, während er sich Erde auf das Haupt streute. Es war ein Patagonier, der sich ohne Widerstand nach den Schiffen führen ließ. Ueber Alles, was ihn umgab, zeigte er das größte Erstaunen, doch nichts verwunderte ihn so sehr, wie ein großer Stahlspiegel, den man ihm vorhielt. »Der Riese, der von diesem Möbel nicht die geringste Ahnung hatte und sein Gesicht höchst wahrscheinlich zum ersten Male sah, wich davor so entsetzt zurück, daß er vier unserer Leute, die hinter ihm standen, zu Boden riß.« Reich beschenkt, brachte man ihn wieder an's Land, wo der ihm widerfahrene wohlwollende Empfang achtzehn seiner Landsleute – dreizehn Männer und fünf Frauen – veranlaßte, auch einmal an Bord zu gehen. Groß von Gestalt, mit breitem, bis auf einen mehr gelblichen Ring um die Augen, fast kupferrothem Gesicht, die Haare künstlich gebleicht, waren sie mit ungeheuren Pelzmänteln bekleidet und trugen jene großen Lederschuhe, nach denen sie den Namen Großsüße oder Patagonier bekamen. Immerhin war ihre Größe nicht eine so außergewöhnliche wie sie unserem naiven Gewährsmann erschien, denn sie variirt etwa zwischen 1·72 bis 1·92 Meter, was freilich die mittlere Größe der Europäer etwas übertrifft. Als Waffen führten sie einen kurzen, sehr festen Bogen und Pfeile von Rosenholz mit einem scharfen Kiesel an der Spitze.

Um zwei jener Wilden, die er mit nach Europa nehmen wollte, zurück zu behalten, bediente sich der Kapitän einer List, die wir heute zwar als häßlich bezeichnen würden, die aber im 16. Jahrhundert nicht auffällig erschien, [379] da man überall Neger und Indianer nur als eine Art Thiere zu betrachten pflegte. Er bot den Beiden nämlich reichliche Geschenke an, und als er sie darüber höchst erfreut sah, brachte er auch noch Eisenringe, von der Art, wie sie für zu fesselnde Verbrecher gebraucht werden, herbei. Da sie das Eisen über Alles hochschätzten, wollten sie diese zwar gern mitnehmen, doch hatten sie die Hände nicht mehr frei. Man schlug also vor, ihnen dieselben an den Beinen zu befestigen, worauf sie ohne Mißtrauen eingingen. Die Matrosen schlossen sodann die Ringe, so daß die Wilden sich plötzlich gefesselt sahen. Nichts vermag aber eine Vorstellung von ihrer Wuth zu geben, als sie dieses eher Wilden als civilisirten Menschen zuzutrauende Verfahren wahrnahmen. Vergebens versuchte man auch noch mehrerer habhaft zu werden, und bei dieser Hetzjagd wurde einer der Spanier von einem vergifteten Pfeile verletzt, der ihn fast augenblicklich tödtete. Als unerschrockene Jäger betreiben diese Völkerschaften sehr begierig die Verfolgung der Guanaquis und anderen Wildes, denn sie sind so gefräßig, daß »was für zwanzig Matrosen zur Sättigung hinreichen würde, nur für sieben oder acht der Ihrigen genügt«.

Magellan ordnete nun, in der Voraussicht eines sich länger hinziehenden Aufenthaltes und in der Erkenntniß, daß das Land nur spärliche Hilfsmittel darbot, die vorsichtige Eintheilung der Nahrung an, wobei die Leute nur bestimmte Rationen erhielten, um den Frühling abwarten zu können, ohne geradezu Noth zu leiden, und dann nach wildreicherer Gegend weiter zu ziehen.

Unzufrieden mit der Unfruchtbarkeit der Umgebung, der langen Dauer und der Strenge des Winters, begannen die Spanier schon zu murren. Dieses Land schien sich, wie sie sagten, bis zum Südpole hin zu erstrecken und eine Meerenge in demselben nirgends vorhanden zu sein; schon waren Einzelne den harten Strapazen erlegen; mit einem Worte, sie hielten es für die höchste Zeit, wieder nach Spanien umzukehren, wenn der Commandant hier nicht seine gesammte Mannschaft umkommen sehen wollte.

Magellan, entschlossen zu sterben, oder sein Unternehmen zu Ende zu führen, antwortete, ihm habe der Kaiser die einzuhaltende Route vorgeschrieben, von der er weder abweichen dürfe noch wolle, und daß er demnach geraden Weges weiter segeln werde, bis er entweder das Ende dieses Landes oder eine dasselbe durchschneidende Meerenge gefunden habe. Wenn die Mannschaften an Nahrungsmitteln etwas Mangel litten, so stehe es ihnen [380] ja frei, zu fischen und zu jagen, so viel sie wollten. Magellan glaubte, eine so bestimmte Erklärung werde die Unzufriedenen zum Schweigen bringen und ihm nichts mehr von Entbehrungen zu Ohren kommen, welche ihn übrigens nicht weniger trafen, als seine Leute.

Wie bitter täuschte er sich hierin! Einige Kapitäne, Juan de Carthagena voran, hatten nämlich offenbar ein Interesse daran, eine Emeute ausbrechen zu sehen.

Sie singen also an, den Haß der Spanier gegen die Portugiesen auf's Neue zu schüren. Der zu letzteren gehörige General-Kapitän sollte sich, ihrer Behauptung nach, niemals ehrlich dem Banner Spaniens angeschlossen haben. Nur um in sein Vaterland zurückkehren zu dürfen und sein früheres Unrecht vergessen zu machen, wolle er irgend eine Heldenthat ausführen und für Portugal könne es ja nichts Günstigeres geben als den Untergang dieser schönen Flotte. Statt sie nach dem Archipel der Molukken zu bringen, den er wegen seines üppigen Reichthums so laut gepriesen habe, wolle er sie nur in die Regionen des ewigen Eises und Schnees verschleppen, wo er ihren Untergang schon herbeizuführen wissen würde; mit Hilfe der auf dem Geschwader dienenden Portugiesen werde er dann mit den Schiffen, deren er sich bemächtigen könne, nach seiner Heimat zurücksegeln.

Derartige Gerüchte und Beschuldigungen verbreiteten die Anhänger Juan's de Carthagena, Luis' de Mendoza und Gaspar's de Queseda unter den Matrosen; da berief Magellan am Palmsonntag den 1. April 1520 Kapitäne, Officiere und Steuerleute zur Anhörung der Messe und zu einem nachfolgenden gemeinsamen Mittagsmahle auf sein Schiff. Alvaro de La Mesquita, ein Vetter des General-Kapitäns, und Antonio de Coca folgten nebst ihren Officieren dieser Einladung; Mendoza und Queseda, sowie natürlich auch Juan de Carthagena, der Gefangene des Letztgenannten, erschienen jedoch nicht. In der folgenden Nacht bestiegen sie mit dreißig Mann von der »Conception« die »Sant Antonio«, um sich La Mesquita's zu bemächtigen. Der Steuermann Eliorraga empfing bei der Vertheidigung seines Kapitäns vier Dolchstiche in den Arm. Dabei rief Queseda: »Ihr werdet sehen, daß dieser Narr uns noch den ganzen Handel verderben wird!« Die drei Schiffe »Conception«, »Sant Antonio« und »Santiago« fielen den Aufrührern, die unter den Mannschaften verschiedene Helfershelfer hatten, ohne Schwierigkeit in die Hände. Trotz dieses ersten Erfolges wagten die drei Kapitäne doch keinen directen Angriff auf den General-Kapitän, sondern unterbreiteten ihm [381] nur ihre Vermittlungsvorschläge. Magellan gab zur Antwort, sie möchten an Bord der »Trinidad« kommen, um sich mit ihm zu verständigen, eine Einladung, welche jene rundweg abschlugen. Da ihn nun keine weiteren Rücksichten banden, ließ Magellan das Boot mit den Ueberbringern der letzten Antwort zunächst festhalten, wählte aus seiner Mannschaft sechs handfeste, entschlossene Leute und sandte sie an Bord der »Victoria« unter Führung des Alguacil Espinosa. Dieser übergab Mendoza noch einen Brief Magellan's, der ihm bedeutete, sich an Bord der »Trinidad« zu verfügen, und da der Empfänger spöttisch lächelte, stieß er ihm seinen Dolch in den Hals, während ihm ein Matrose mit dem Jagdmesser über den Kopf schlug. Inzwischen legte noch ein anderes, von fünfzehn Bewaffneten besetztes Boot an der »Victoria« an, und diese bemächtigten sich des Schiffes jetzt ohne Schwierigkeit, da die verblüfften Matrosen gegenüber diesen schnell durchgeführten Maßregeln sich gar nicht zu widersetzen wagten. Am nächsten Tage, dem 3. April, wurden auch die beiden anderen Rebellen-Schiffe, wenn auch nicht ohne Blutvergießen, wiedererobert. Mendoza's Leichnam ward geviertheilt, während ein Profoß das ihn brandmarkende Urtheil mit lauter Stimme verlas. Drei Tage darauf wurde Queseda enthauptet und durch seinen eigenen Diener in Stücke geschnitten, der sich zu diesem traurigen Geschäfte hergab, um sich das eigene Leben zu retten. Carthagena entging wegen des hohen Ranges, den ihm das königliche Handschreiben bei dieser Expedition zutheilte, zwar der verdienten Todesstrafe, wurde aber, ebenso wie der Kaplan Gomez de la Reina, am Strande ausgesetzt, wo ihn Estevam Gomez einige Monate später wieder aufnahm. Vierzig der Auflehnung beschuldigte Matrosen erhielten die erbetene Verzeihung nur, weil man ihrer Dienstleistung nothwendig bedurfte. Nach diesen strengen Bestrafungen durfte Magellan wohl voraussetzen, daß der Geist der Meuterei ein- für allemal unterdrückt sei.

Als die Temperatur milder wurde, lichtete man die Anker; das Geschwader ging am 24. August in See, folgte immer der Küste und durchforschte sorgfältig jede Einbiegung derselben, um die so beharrlich gesuchte Meerenge zu entdecken. Auf der Höhe des Caps St. Croix ging eines der Schiffe, die »Santiago«, bei einer heftigen Böe aus Osten auf den Uferfelsen zu Grunde. Glücklicher Weise vermochte man die Mannschaften und Ladung zu retten, ohne zu erwähnen, daß es gelang, auch die Takelage und Apparate des gescheiterten Schiffes auf den vier übrigen zu bergen.

[382] Endlich, am 21. October nach Pigafetta's, am 27. November nach Maximilian's des Siebenbürgen Angabe, drang die Flotte in die enge Oeffnung eines Golfes ein, von dessen Hintergrunde aus sich eine enge Wasserstraße fortsetzte, die, wie man sich bald überzeugte, nach dem »Südmeere« führte. Man nannte jene zuerst die Meerenge der Elftausend Jungfrauen, weil der betreffende Tag diesen geheiligt war. Auf jeder Seite der Meerenge stiegen hohe schneebedeckte Uferberge empor, auf welchen man, vorzüglich an der linken Seite, zahlreiche Feuer wahrnahm, ohne daß es möglich wurde, mit den Eingebornen in Verbindung zu treten. Pigafetta's und Maximilian's des Siebenbürgen Einzelbeschreibungen der topographischen Anordnung und der Hydrographie der Meerenge sind sehr unklar, und da wir auf diese Fragen gelegentlich der Expedition Bougainville's zurückkommen, halten wir uns jetzt dabei nicht weiter auf. Nach einer Fahrt von zweiundzwanzig Tagen durch eine Reihe enger Sunde und Meeresarme, von einer bis vier Meilen Breite, die sich in der Länge von vierhundertvierzig Meilen fortsetzte und die den Namen der Magellan-Straße erhalten hat, schaukelte die Flotte wieder auf dem unendlichen, bergetiefen Meere.

Groß war die Freude, als man das Ziel so vieler und so beharrlicher Anstrengungen erreicht sah. Für die Zukunft lag nun die Bahn offen und die kühne Voraussetzung Magellan's hatte ihre Bestätigung gefunden.

Die Reise Magellan's durch den weiten Ocean, in dem er während drei Monaten nicht einen Sturm erlebte, hat kaum ihres Gleichen; aus eben jenem Grunde nannte er ihn auch den »Pacifischen« (friedlichen) Ocean. Die Entbehrungen freilich, welche die Schiffsbesatzungen während dieses langen Zeitraumes zu erdulden hatten, waren recht hart. Der Zwieback bestand nur noch aus einem mit Würmern untermengten Staube und das verdorbene Wasser verbreitete einen unausstehlichen Geruch. Um nicht Hungers zu sterben, mußte man Mäuse und Baumrinde verzehren und alles Leder kauen, das sich nur vorfand. Wie zu vermuthen, wurde die Mannschaft durch den Scorbut decimirt. Neunzehn Leute starben und gegen dreißig litten wenigstens sehr lange Zeit an den heftigsten Schmerzen in den Armen und Beinen. Nachdem man endlich 4000 Meilen durchmessen in einem Oceane, wo man so viele stark bevölkerte Inselgruppen entdecken sollte, traf das Geschwader auf zwei verlassene und unfruchtbare Inseln, die deshalb den Namen der [383] »Unglücklichen Inseln« erhielten, deren Lage aber so widersprechend angegeben wird, daß es unmöglich ist, sie wieder zu erkennen.

Unter 19° nördlicher Breite und 146° der Länge (östlich von Greenwich) entdeckten die Seefahrer am Mittwoch den 6. März bald nacheinander drei Inseln, bei denen sie gern gerastet hätten, um Erfrischungen und Lebensmittel einzunehmen; die an Bord gekommenen Eingebornen aber stahlen daselbst, ohne daß man es verhindern konnte, so Vieles, daß man auf jene Absicht verzichten mußte. Jene fanden sogar Mittel und Wege, sich eine Schaluppe anzueignen. Magellan, den eine solche Frechheit empörte, ging darauf mit vierzig Bewaffneten an's Land, zerstörte durch Feuer eine Anzahl Hütten und Boote und tödtete sieben Männer. Diese Insulaner besaßen weder einen Häuptling oder König, noch kannten sie irgend eine Religion. Den Kopf mit einer Art Hut aus Palmenblättern bedeckt, trugen sie Bart und Haare sehr lang, so das letztere bis zum Gürtel herabreichten. Im Allgemeinen von Olivenfarbe, glaubten sie sich zu verschönern, indem sie die Zähne abwechselnd roth und schwarz färbten, während ihr Körper, offenbar zum Schutz gegen die Sonnenstrahlen, mit Cocosöl eingesalbt war. Ihre eigenthümlich gebauten Boote trugen ein sehr großes Mattensegel, das jene leicht hätte zum Kentern bringen müssen, wenn man nicht bedacht gewesen wäre, ihnen durch ein langes, wiederum mittelst zweier Querstangen verbundenes und durch diese an das Boot selbst befestigtes Holz, den sogenannten, »Balancier«, weit mehr Stabilität zu verleihen. Trotz ihrer Gewerbthätigkeit besaßen die Bewohner dieser Inseln doch einen so ausgesprochenen Hang zum Stehlen, daß ihr Land davon den Namen die Ladronen- (Räuber-)Inseln bekam.

Am 16. März beobachtete man, dreihundert Meilen von den Ladronen, ein hochaufsteigendes Land, das bald als Insel erkannt wurde und heute den Namen Samar führt. Magellan beschloß, seiner erschöpften Mannschaft hier etwas Ruhe zu gewähren und ließ am Lande zwei Zelte für die Kranken errichten. Die Eingebornen brachten hier sehr bald Cocosnüsse und Fische herbei. Zum Austausch bot man ihnen dafür Spiegel, Kämme, Schellen und ähnliche Kleinigkeiten an. Ein vor allen anderen schätzenswerther Baum, die Cocospalme, lieferte den Einwohnern allein Brot, Wein, Oel und Essig, ohne zu erwähnen, daß sie aus gewissen Theilen desselben ihre Bekleidung gewinnen, nebst dem nöthigen Holze zum Bau und zur Bedachung ihrer Hütten.

[384] Die Eingebornen befreundeten sich bald mit den Spaniern und erzählten ihnen, daß ihre Inselgruppe Gewürznäglein, Zimmet, Pfeffer, Muscatnüsse, Ingwer und Macisnüsse hervorbringe, und daß man sogar Gold finde. Magellan gab dem Archipel den Namen St. Lazare, der später nach Philipp von Oesterreich, dem Sohne Karl's V., zu dem der Philippinen umgewandelt wurde.


Ladronen-Insel. (Facsimile. Alter Kupferstich.)

Dieser Archipel besteht aus sehr vielen Inseln, die zwischen 5°32' und 19° 38' nördlicher Breite, sowie 114°56' und 123° 43' östlicher Länge von Paris verstreut liegen. Die wichtigsten derselben sind: Luzon, [385] Mindaro, Leyte, Ceylon de Pigafetta, Samar, Panay, Negros, Zebu, Bohol, Palauan und Mindanao.

Nachdem sie sich einigermaßen erholt, gingen die Spanier wieder in See, um den Archipel näher kennen zu lernen. Sie besuchten nach und nach die Inseln Cenalo, Huinaugan Ibusson und Abarien, sowie eine Insel mit Namen Massava, deren König Colambu sich verständlich machen konnte durch einen aus Sumatra gebürtigen Sklaven, den Magellan früher aus Indien mit nach Europa gebracht hatte, und der bei seiner Kenntniß des Malayischen oft die besten Dienste leistete. Mit sechs oder sieben der Ersten seines Volkes kam der König an Bord. Er brachte dem General-Kapitän verschiedene Geschenke mit, für die er eine türkische Weste aus rothem und gelbem Tuche und eine scharlachfarbene Mütze erhielt, während man die Leute seines Gefolges durch kleine Spiegel und Taschenmesser erfreute. Dabei zeigte man ihnen alle Feuerwaffen und schoß in ihrer Gegenwart mehrere Kanonen ab, worüber sie gewaltig erschraken. »Ferner ließ Magellan, sagt Pigafetta, Einen von uns volle Rüstung anlegen und gab drei Mann Befehl, diesen mit Degenhieben und Dolchstößen anzugreifen, um dem Könige zu zeigen, daß nichts einen in dieser Weise geschützten Mann zu verwunden im Stande sei, was jenen höchlichst verwunderte. Er wendete sich auch an den Dolmetscher und sagte dem Kapitän, daß ja ein solcher Krieger gegen hundert andere kämpfen könne. »Gewiß, erwiderte der Commandant durch seinen Sklaven, und jedes der drei Schiffe besitzt zweihundert Mann, welche in dieser Weise ausgerüstet und bewaffnet sind.« Erstaunt über Alles, was er gesehen, nahm der König von dem Kapitän mit der Bitte Abschied, ihm zwei der Seinigen mitzugeben, um diesen die Insel etwas näher zu zeigen. Pigafetta ward hierzu erwählt und hatte den ihm zu Theil gewordenen Empfang nur zu loben. Der König sagte ihm »daß man auf seiner Insel Stücke Gold so groß wie Nüsse und selbst wie Eier mit Erde vermischt finde, welch' letztere man durch ein Sieb reibe, um jene auszuscheiden, und daß alle seine Gefäße und selbst die Zieraten seines Hauses aus demselben Metalle beständen. Er war nach Landessitte, sehr sauber gekleidet und wirklich der schönste Mann, den ich unter jenen Völkern gefunden habe. Seine langen Haare [386] fielen ihm auf die Schultern herab; ein seidener Schleier bedeckte seinen Kopf und an den Ohren trug er zwei Ringe. Vom Gürtel bis zu den Knieen war er mit einem baumwollenen, seidengestickten Stoffe bekleidet. Auf jedem Zahne trug er drei Goldplättchen, so daß es aussah, als hätte er alle Zähne mittelst dieses Metalles verbunden. Er war mit Storax und Benzoë parfümirt, und seine Haut gemalt, im Grunde aber olivenfarbig«.

Am Auferstehungstage ging man an's Land, um eine Messe abzuhalten, nachdem am Strande aus Segeln und Baumästen eine Art kleiner Kirche errichtet worden war. Auch ein Altar zierte dieselbe, und während der ganzen Dauer der religiösen Ceremonie hörte der König nebst vielem herzugeströmten Volke stillschweigend zu und ahmte die Bewegungen der Spanier nach. Dann wurde auf einem Hügel in der Nähe unter großen Feierlichkeiten ein Kreuz errichtet und man lichtete die Anker, um nach Zebu zu segeln, was für die Verproviantirung der Schiffe und für den Handel geeigneter erschien. Hier langte man am Sonntag den 7. April an. Magellan schickte sofort einen seiner Officiere in Begleitung des Dolmetschers als Gesandten an's Land und zu dem Könige von Zebu. Der Gesandte erklärte, daß der Chef des Geschwaders unter dem Befehle des mächtigsten Königs der Erde stehe. Das Ziel ihrer Reise seien die Molukken, und der Wunsch, ihm einen Besuch abzustatten und gegen den Austausch verschiedener Waaren einige Erfrischungen zu erhalten, das seien die Gründe, welche sie veranlaßten, an einem Lande zu verweilen, wohin sie als Freunde kämen.

»Sie sollen mir willkommen sein, antwortete der König, doch wenn sie Handel treiben wollen, müssen sie auch eine Steuer entrichten, der alle in meinem Hafen einlaufenden Schiffe unterworfen sind, wie es vor kaum vier Tagen eine Tjonke von Siam gethan hat, welche hierherkam, um Gold und Sklaven aufzukaufen, und wie das noch ein maurischer Kaufmann bezeugen wird, der in der Stadt zurückgeblieben ist.« Der Spanier erwiderte, sein Herr sei ein zu großer König, um sich derartigen Forderungen zu fügen. Sie wären mit friedlichen Absichten gekommen, wenn man aber mit ihnen Händel suche, so werde man sehen, mit wem man zu thun habe. Der König von Zebu, den der maurische Kaufmann von der Macht Derjenigen, mit denen er unterhandelte und die er für Portugiesen hielt, aufgeklärt hatte, ließ sich endlich bewegen, von seinen Forderungen abzustehen. Noch mehr, der König von Massava, der den Spaniern sozusagen als Lootse gedient [387] hatte, wußte seinen Rebenherrscher so umzustimmen, daß jene für die Insel ein ausschließliches Handelsprivilegium erhielten und ein feierlicher Freundschaftsbund zwischen dem Könige von Zebu und Magellan abgeschlossen wurde, den man mit Blut, das sich beide Parteien aus dem Arme entnahmen, besiegelte.

Sogleich wurden nun Lebensmittel herbeigeschafft und es entwickelten sich recht freundliche Verhältnisse. Der Neffe des Königs stattete Magellan einen Besuch auf dessen Schiffe ab. Dieser benutzte die Gelegenheit, ihm die wunderbare Geschichte der Erschaffung der Welt und die Erlösung der Menschheit durch Christum zu erzählen, und redete ihm zu, mit seinem Volke das Christenthum anzunehmen. Niemand widersetzte sich, und am 14. April erhielten der König von Zebu, der von Massava, der maurische Kaufmann und fünfhundert Männer nebst ebenso vielen Frauen, die heilige Taufe. Was aber nur eine Art Modesache war, da man ja nicht sagen konnte, daß die Eingebornen die Religion kannten, der sie sich zuwandten, oder daß sie von deren Wahrheit überzeugt waren, das wurde zur wahrhaften Wuth nach einer durch Magellan vollbrachten Heilung. Als dieser nämlich vernahm, daß der Vater des Königs seit zwei Jahren krank liege und jeden Augenblick sterben könne, versicherte der General-Kapitän, daß er, wenn er sich taufen lasse und die Eingebornen ihre Götzenbilder verbrennen würden, wieder gefunden solle. »Er fügte hinzu, daß er von seinen Worten selbst so überzeugt gewesen sei, berichtet Pigafetta – und es empfiehlt sich, bei derlei Gegenständen die Autoren textgetreu zu citiren – daß er seinen Kopf zum Pfande setze, wenn sein Versprechen nicht auf der Stelle in Erfüllung ginge. Wir bildeten nun mit allem möglichen Pompe eine Procession von dem Platze aus, wo wir uns befanden, und zogen vor das Haus des Kranken, den wir allerdings in so traurigem Zustande antrafen, daß er weder reden noch sich bewegen konnte. Wir tauften ihn mit zweien seiner Frauen und zehn Töchtern. Der Kapitän fragte ihn sogleich nach der Ceremonie, wie er sich befinde, und er antwortete auch, daß er sich durch die Gnade des Herrn wohler fühle. Wir Alle waren Zeugen dieses Wunders; vorzüglich der Kapitän lobte laut die Güte Gottes. Er reichte dem Fürsten ein stärkendes Getränk und sandte ihm davon alle Tage zu, bis er wieder ganz hergestellt war. Am fünften Tage fühlte sich der Kranke gänzlich geheilt und verließ sein Lager. Seine erste Sorge war, in Gegenwart des Königs und des ganzen Volkes ein [388] Götzenbild zu verbrennen, dem er besondere Ehrfurcht gezollt hatte und das einige alte Frauen in seinem Hause sorgsam bewachten. Auch ließ er einige Tempel am Strande des Meeres niederreißen, wo das Volk sofort zusammenlief, um das den alten Gottheiten geweihte Fleisch zu verzehren. Jedermann stimmte diesen Maßnahmen bei und man nahm sich allgemein vor, alle Götzenbilder zu vernichten, sogar die im Hause des Königs, was unter dem fortwährenden Rufe: »Es lebe Castilien!« ausgeführt wurde.«

Nahe der Insel Zebu liegt eine andere Insel, Natan mit Namen, welche zwei Häuptlinge hatte; der eine erkannte die Autorität der Spanier unbedingt an, der andere widersetzte sich dem nach Kräften, und so beschloß Magellan, ihn dazu zu zwingen. Am 26. April, eines Freitags, fuhren drei Schaluppen mit sechzig Mann in Kürassen, Sturmhauben und mit Musketen bewaffnet, nebst etwa dreißig Balangais, auf denen der König von Zebu, sein Schwiegersohn und eine Menge Krieger Platz nahmen, nach Natan ab. Die Spanier warteten den Tag ab und sprangen dann, neunundvierzig an der Zahl, in's Wasser, denn die Schaluppen konnten wegen Felsen und Untiefen nicht am Ufer selbst anlegen. Hier traten ihnen mehr als eintausendfünfhundert Eingeborne entgegen. Diese warfen sich in drei Abtheilungen sogleich auf jene und griffen sie von vorn und von den Seiten her an. Die Musketiere und Bogenschützen schossen von fern auf die Krieger, ohne denselben viel Schaden zu thun, da sie durch Schilde gedeckt waren. Mit Steinwürfen, Pfeilen, Wurfspießen und Lanzen bestürmt, setzten die Spanier einige Hütten in Brand, um die Eingebornen dadurch abzuziehen und zu erschrecken. Durch den Anblick der Feuersbrunst verdoppelte sich aber nur deren Wuth und sie bedrängten die Spanier von allen Seiten, so daß diese die größte Mühe hatten, ihnen nur zu widerstehen, als ein unseliger Zufall den Ausgang des Gefechtes entschied. Die Eingebornen bemerkten nämlich sehr bald, daß alle Schläge, die sie nach dem Körper ihrer Feinde führten, diese wegen des Panzers, den sie trugen, nicht im mindesten verletzten. Sie änderten also ihre Angriffsweise und schossen alle Pfeile und Wurfspieße nach den unteren Körpertheilen der Spanier ab, wo diese unbedeckt waren. Auch Magellan wurde von einem vergifteten Pfeile in den Schenkel getroffen, so daß er den Rückzug befahl, der zwar zuerst in voller Ordnung vor sich ging, bald aber in eine so wilde Flucht ausartete, daß sieben bis acht Spanier an der Küste allein zurückblieben. Mit größter Noth wichen diese kämpfend nach den Schaluppen [389] hin zurück. Schon standen sie bis an die Kniee im Wasser, als sich mehrere Insulaner gleichzeitig auf den auch am Arme verwundeten Magellan stürzten, dem es jetzt unmöglich war, den Degen zu ziehen, und ihm einen so gewaltigen Schlag an das Bein versetzten, daß er sofort in's Wasser zurücksank, wo sie ihm bald den Garaus machten. Seine letzten Getreuen, unter ihnen Pigafetta, wurden zwar Alle angegriffen, entkamen aber glücklich nach den Booten. So starb der berühmte Magellan am 27. April 1521. »Ihn schmückten alle Tugenden, sagt Pigafetta; selbst im größten Unglück zeigte er unerschütterlichen Gleichmuth. Draußen auf dem Meere ertrug er eher noch mehr Entbehrungen als seine Leute. Mehr als irgend ein Anderer bewandert in der Kenntniß der nautischen Karten, beherrschte er die Schifffahrtskunde vollständig, wovon er durch seine Reise um die Welt, die Keiner vorher gewagt hatte, den glänzendsten Beweis lieferte.«

Diese Leichenrede Pigafetta's mag zwar etwas übertrieben sein, enthält jedoch gewiß viel Wahres. Magellan besaß eine Beharrlichkeit, einen kecken Muth ohnegleichen, der ihn befähigte, mit Verachtung der Furcht seiner Begleiter, sich nach Gegenden zu wagen, in denen der abergläubische Zeitgeist die phantastischesten Gefahren witterte. Um jene Meerenge am Ende der langen Küste, die mit Recht seinen Namen trägt, zu entdecken, mußte ihm ein besonderer Schatz nautischer Kenntnisse zu Gebote stehen. Es bedurfte der unausgesetzten strengsten Aufmerksamkeit, um in dem unbekannten Fahrwasser und ohne verläßliche Instrumente einem Unfalle zu entgehen. Wenn eines seiner Schiffe verloren ging, so ist dafür nur der Stolz und der widerspenstige Geist des betreffenden Kapitäns verantwortlich zu machen, nicht etwa die Unerfahrenheit oder ein Mangel an Vorsicht seitens des Generals. Wir sagen gern mit seinem enthusiastischen Bibliographen: »Der Ruhm Magellan's wird seinen Tod in Ewigkeit überdauern!«

Duarte Barbosa, der Schwager Magellan's, und Juan Serrano wurden nun zu Anführern der Spanier erwählt, die noch manch' anderes Unglück erleben sollten.

Der Sklave, der bis dahin als Dolmetscher gedient hatte, war bei dem Gefechte am Arme leicht verletzt worden. Seit dem Tode seines Herrn hielt er sich beiseite, er verweigerte den Spaniern jeden weiteren Dienst und blieb auf seiner Matte ausgestreckt liegen. Nach einigen etwas lebhaften Vorstellungen Barbosa's, der ihm zu verstehen gab, daß er durch den Tod[390] Magellan's seine Freiheit keineswegs wiedererlangt habe, war er plötzlich verschwunden. Er wußte zu dem jüngst getauften Könige zu gelangen und ihn zu bereden, daß, wenn er die Spanier in eine Falle zu locken und umzubringen im Stande sei, er sich auch in den Besitz ihrer Provisionen und Handelswaaren setzen könne. Barbosa, Serrano und siebenundzwanzig Spanier wurden zu einer feierlichen Zusammenkunft eingeladen, um die für den Kaiser bestimmten Geschenke entgegenzunehmen, bei einem Festmahle aber unerwartet überfallen und Alle ermordet. Serrano allein ward gefesselt an's Ufer des Meeres geführt. Dort flehte er seine Gefährten an, ihn loszukaufen, da er sonst hingemordet würde. Jean Carvalho und die Uebrigen aber, welche eine allgemeine Empörung fürchteten und voraussetzten, daß sie bei den Verhandlungen von einer zahlreichen Flotte angegriffen werden könnten, der sie keinen Widerstand entgegenzusetzen im Stande wären, hörten nicht auf die Bitte des unglücklichen Serrano. Sie gingen vielmehr unter Segel und erreichten bald die nicht weit entfernte Insel Bohol.

In der Erkenntniß, daß ihre Anzahl jetzt zu gering sei, um drei Schiffe zu bedienen, verbrannten die Spanier die »Conception«, nachdem sie alles Werthvolle von derselben auf die übrigen Fahrzeuge vertheilt hatten. Dann kamen sie nahe der Insel Panilongon vorüber und rasteten vor dem zu Mindanao gehörigen Butuan, einer prächtigen Insel mit vielen Häfen, fischreichen Flüssen, von der Luzon, die umfangreichste des Archipels, in nordöstlicher Richtung liegt. Weiterhin ankerten sie vor Paloan, wo sie zu ihrer Verproviantirung Schweine, Hühner, Bananen verschiedener Sorten, Cocosnüsse, Zuckerrohr und Reis vorfanden. Hier war für sie, wie Pigafetta sich ausdrückt, das gelobte Land. Unter den erwähnenswerthen Dingen führt der italienische Reisende vorzüglich die Hähne an, welche sich die Eingebornen für ihre Hahnenkämpfe hielten, eine Volksbelustigung, die, nach so vielen Jahren, noch heute im Archipel der Philippinen gebräuchlich ist. Von Paloan aus gelangten die Spanier nach der Insel Borneo, dem Brennpunkte der malayischen Civilisation. Von jetzt ab haben sie es überhaupt nicht mehr mit Naturvölkern auf der niedrigsten Entwicklungsstufe zu thun, sondern mit reichen Volksstämmen, die sie mit einer gewissen Prachtentfaltung empfangen. Die Art und Weise, wie sie hier z.B. der Rajah aufnahm, ist zu merkwürdig, um sie ganz übergehen zu können. Am Landungsplatze fanden sie zwei mit Seide bedeckte Elephanten, die sie nach dem Hause des Gouverneurs der Stadt trugen, während zwölf Männer ihre für den Rajah bestimmten Geschenke nachbrachten.


Magellan's Tod. (S. 390.)

Von dem Hause des Gouverneurs aus, wo sie erst der Ruhe pflegten, waren alle Straßen bis zum Palaste des Herrschers mit wohlbewaffneten Leuten besetzt Nachdem sie von den Elephanten herabgestiegen, führte man sie in einen von Hofbedienten gefüllten Saal. Von dem einen Ende desselben ging man in einen [391] kleineren, mit Goldstoffen geschmückten Salon, in welchem dreihundert mit Dolchen Wohlbewaffnete als Leibwache des Königs standen. Von hier aus konnten sie durch eine weitere Thür endlich den König an einem Tische sitzen sehen, in Gesellschaft eines kleinen, Betel kauenden Kindes. Hinter ihm hielten sich einige seiner Frauen auf.

[392] Die Etikette erforderte, daß ihr Gesuch durch den Mund dreier, in immer höherem Grade stehender Beamten ging, bevor es mittelst eines in der [393] Mauer angebrachten Sprachrohres einem Oberofficier mitgetheilt wurde, der es dem Könige vorzulegen hatte. Darauf kam es zu einem sehr förmlichen Austausch von Geschenken, bis die spanischen Gesandten endlich mit demselben Ceremoniel wie bei der Ankunft nach ihren Schiffen zurückgeleitet wurden. Die Hauptstadt ist im Meere selbst auf Pfählen erbaut; bei der Fluthzeit durchfahren die Lebensmittel-Verkäuferinnen die Straßen auf Barken. Am 29. Juli umringten über hundert Piroguen die beiden Schiffe, während auch mehrere bewaffnete Tjonken die Anker lichteten und sich denselben näherten. Da die Spanier verrätherischer Weise angegriffen zu werden fürchteten, kamen sie jenen zuvor und feuerten eine Artilleriesalve auf die Piroguen ab, durch welche sehr Viele umkamen. Der König beeilte sich, das hier obwaltende unselige Mißverständniß aufzuklären, indem er ihnen sagen ließ, daß die Flotte nicht gegen sie aufgeboten werde, sondern gegen die Heiden, mit denen die Muselmanen täglich zu kämpfen hätten.


Der Sultan Manzor. (S. 395.)

Die Insel Borneo erzeugt Arrak, d. i. durch Gährung des Reises gewonnener Alkohol, Kampher, Zimmet, Ingwer, Orangen, Citronen, Zuckerrohr, Melonen, neben Rettigen, Zwiebeln u. dergl. Als Tauschartikel dienen Kupfer, Quecksilber, Zinnober, Glas, Wollenstoffe und Leinwand, vorzüglich aber Eisen und Augengläser, nebst Porzellan und Diamanten, die man zuweilen in sehr großen und höchst kostbaren Exemplaren findet. Einheimische Thiere sind Elephanten, Pferde, Büffel, Schweine, Ziegen und Hühnervögel. Die gebräuchliche Münze besteht aus Bronze und die des Aufreihens wegen durchbohrten Stücke werden Sapekos genannt.

Nach ihrer Abfahrt von Borneo suchten die Seefahrer eine geeignete Oertlichkeit zur Ausbesserung der Schiffe, welche derselben sehr bedürftig sein mochten, denn sie nahm nicht weniger als zweiundvierzig Tage in Anspruch. »Das Merkwürdigste, was ich auf jener Insel fand, erzählt Pigafetta, waren Bäume, deren herabfallende Blätter belebt erschienen. Diese Blätter gleichen denen des Maulbeerbaumes, nur sind sie ein wenig kürzer, ihr Blattstiel ist kurz und spitzig und an beiden Seiten desselben haben sie je zwei Füße. Berührt man sie, so laufen sie davon, geben aber beim Zerdrücken kein Blut von sich. Ich bewahrte eines derselben neun Tage lang in einer Schachtel auf; wenn ich den Deckel lüftete, spazierte das Blatt in der Schachtel umher; ich glaube, daß dieselben von der Luft leben.« Diese merkwürdigen Geschöpfe sind heutzutage näher bekannt und werden als »Gespenstheuschrecken« oder [394] »Wandelnde Blätter« bezeichnet. Ihre graubraune Färbung begünstigt eine Verwechslung derselben mit abgestorbenen Blättern, deren Form sie besitzen.

Von jetzt aber verlegte sich die Expedition, die bei Lebzeiten Magellan's immer ihren wissenschaftlichen Charakter bewahrt hatte, mehr und mehr auf gewöhnliche Seeräuberei. So brachte man wiederholt unterwegs getroffene Tjonken in seine Gewalt und erpreßte von deren Besatzung namhafte Lösegelder.

Weiter segelte man durch den Archipel der Sulu-Inseln, dem Schlupfwinkel malayischer Piraten, der erst in neuerer Zeit (1851) unter spanische Oberherrschaft kam, dann nach dem schon früher besuchten Mindanao, denn es war bekannt, daß die so sehnsüchtig gesuchten Molukken sich in mehr oder weniger unmittelbarer Nachbarschaft befinden mußten. Nachdem sie eine Menge Inseln gesehen, deren namentliche Aufzählung für uns zwecklos erscheinen würde, entdeckten die Spanier am Mittwoch den 6. November den Archipel, über den die Portugiesen so schreckenerregende Fabeln verbreitet hatten, und gingen zwei Tage später in Tidor an's Land. Das eigentliche Ziel ihrer Reise war hiermit erreicht.

Der König kam den Spaniern entgegen und ließ sie in seiner Pirogue Platz nehmen. »Er saß unter einem seidenen Sonnenschirme, der ihn vollständig bedeckte. Vor ihm standen einer seiner Söhne mit dem königlichen Scepter in der Hand, zwei Männer, jeder mit einem goldenen Gefäße mit Wasser zum Waschen der Hände und zwei mit goldenen Beteldosen«. Darauf ersuchten die Spanier jenen, auf die Schiffe zu kommen, wo man ihm mit aller Ehrerbietung begegnete; gleichzeitig machte man ihm und den Leuten seines Gefolges viele Geschenke, die jenen sehr werthvoll erschienen. »Dieser König ist Maure, d. h. Araber, versichert Pigafetta; er mag gegen fünfundvierzig Jahre zählen und zeichnet sich durch einen wohlgestalteten Körper und ansprechende Gesichtszüge aus. Seine Kleidung bestand aus einem sehr feinen, an den Aermeln goldgestickten Hemd; vom Gürtel bis zu den Füßen umschloß ihn eine lose faltige Hülle; ein seidener Schleier. – jedenfalls der Turban – bedeckte seinen Kopf, und um jenen rankte sich noch eine Blumenguirlande. Sein Name lautet Rajah-Sultan-Manzor.«

Am folgenden Tage erklärte Manzor bei einer langen Zusammenkunft mit den Spaniern seine Absicht, sich selbst sammt den Inseln Tidor und Termate unter den Schutz des Königs von Spanien zu stellen.

[395] Wir geben hier nach Pigafetta, dessen Bericht wir Schritt für Schritt nach der Bearbeitung Ed. Chartons, der jene mit werthvollen Anmerkungen vermehrte, folgen, einige Einzelheiten über den Archipel der Molukken.

Diesen Archipel bilden eigentlich die Inseln Gilolo, Ternate, Tidor, Mormay, Batchian und Misal, doch hat man unter dem allgemeinen Namen Molukken auch häufig die Inselgruppe von Banda und Amboine verstanden. In der Vorzeit durch wiederholte vulcanische Störungen erschüttert, umschließt dieser Archipel eine große Anzahl feuerspeiender Berge, welche entweder erloschen oder doch seit einer langen Reihe von Jahren unthätig sind. Die Luft ist brennend heiß und würde so gut wie unathembar sein, wenn die Atmosphäre nicht durch häufige Regengüsse etwas erfrischt würde. An Naturproducten sind die Inseln ausnehmend reich. In erster Reihe verdient hier Erwähnung die Sagopalme, deren Mark, der Sago, im Verein mit der Yamswurzel die Brotfrucht des ganzen malayischen Archipels darstellt. Gleich nach dem Fällen des Baumes entnimmt man ihm das Mark, welches dann grob gemahlen und durch ein Sieb getrieben, zuletzt aber zu kleinen Kuchen geformt wird; daneben der Seidenbaum, der Nelken- und Gewürznäglein-, der Muscat-, Kampher- und Pfefferbaum und überhaupt alle Gewürzbäume und Früchte der Tropenzone.

Die Wälder des Archipels enthalten kostbare Holzarten, wie den Ebenholz-, Eiseneichen- und Teakholzbaum, deren letzterer sich durch Festigkeit seines Holzes auszeichnet, das man zu allen Luxusbauwerken anwendet; ferner den Calilaban-Lorbeer, der ein sehr gesuchtes ätherisches Oel liefert. Hausthiere gab es zu jener Zeit auf den Molukken nur wenige, unter den wilden aber die merkwürdigsten Arten, z.B. den Babirussa (Hornschwein), einen gewaltigen Eber mit gebogenen Hauern; das Opossum, eine Art Beutelthier, das unser Eichhörnchen an Größe etwas übertrifft; das Gliederthier, eine Art Gürtelthier, das den Aufenthalt in dichten dunklen Wäldern liebt, wo es sich von Blättern und Früchten ernährt; ferner den Tarsier, eine Art indisches Kaninchen, ein kleines, sehr graziöses unschuldiges Thierchen mit röthlichem Fell, das an Größe kaum einer Ratte gleichkommt, an Körperbildung aber merkwürdiger Weise an den Affen erinnert. Unter den Vögeln nennen wir die Papageien und Cacadus, die Paradiesvögel, von welchen man glaubte, daß sie keine Füße hätten, Taucherenten und Casuare, die an Größe fast die Strauße erreichen.

[396] Seit langer Zeit schon war ein Portugiese Namens de Lorosa auf den Molukken ansässig; die Spanier ließen ihm ein Schreiben zugehen in der Hoffnung, daß er sein Vaterland verrathen und sich Spanien anschließen werde. Sie erhielten von ihm die merkwürdigsten Nachrichten von den Expeditionen, die der König von Portugal nach dem Cap der Guten Hoffnung, dem Rio de la Plata und bis zu den Molukken entsendet haben sollte; gewisse Umstände erwiesen jedoch mit Sicherheit, daß diese letzteren gar nicht stattgefunden haben konnten. Er selbst befand sich in diesem Archipel seit sechzehn Jahren, und die seit zehn Jahren hier wohnenden anderen Portugiesen bewahrten darüber das strengste Geheimniß. Als er die Vorbereitung zur Abreise seitens der Spanier sah, begab sich Lorosa mit seiner Frau und seinen Habseligkeiten an Bord, um nach Europa zurückzukehren. Am 12. November wurden alle zum Tauschhandel bestimmten Waaren ausgeschifft, welche zum größten Theil von den vier Tjonken herrührten, deren man sich in Borneo bemächtigt hatte. Gewiß machten die Spanier ein vortheilhaftes Geschäft, doch nicht in dem Umfange, wie das wohl möglich gewesen wäre, wenn sie ihre Rückkehr nach Spanien nicht gar zu sehr übereilt hätten. Von Gilola und Bachian kamen ebenfalls Boote herbei, um mit ihnen zu handeln, und wenige Tage später erhielten sie vom Könige von Tidor eine beträchtliche Sendung Gewürznäglein. Der König lud sie dabei auch zu einem Festmahle ein, das er, wie er sagte, zu veranstalten gewohnt sei, wenn ein Schiff oder eine Tjonke die ersten Gewürznäglein verlud. Die Spanier erinnerten sich jedoch zu gut, was ihnen auf den Philippinen widerfahren war, und schlugen unter vielen Entschuldigungen an den König die Einladung aus. Gleich nach der Einnahme der vollen Fracht gingen sie unter Segel.

Kaum trieb die, »Trinidad« auf dem Meere, als man bemerkte, daß sie ein bedeutendes Leck habe, so daß man sich beeilen mußte, Tidor wieder zu erreichen. Da selbst die gewandten Taucher, welche der König den Spaniern zur Verfügung stellte, dasselbe nicht aufzufinden vermochten, sah man sich gezwungen, das Schiff theilweise zu entladen, um die Reparatur vornehmen zu können. Die Besatzung der »Victoria« wollte auf ihre Gefährten nicht so lange warten, und da es ziemlich auf der Hand lag, daß die Trinidad« niemals werde nach Spanien wieder zurücksegeln können, beschlossen die Befehlshaber, sie solle nur Darien zu erreichen suchen, wo ihre werthvolle Ladung gelöscht und über die Landenge geschafft werden sollte, um im [397] Atlantischen Ocean auf einem anderen Schiffe untergebracht zu werden. Das unglückliche Fahrzeug und nicht minder seine Insassen sollten aber auch das nicht auszuführen im Stande sein. Geführt von dem Alguaziel Gonzalo Gomez de Espinosa, der Juan de Carvalho als Steuermann hatte, mußte die »Trinidad« ihrer Seeuntüchtigkeit wegen bald nach der Abfahrt von Tidor schon bei Termate, in dem Hafen von Talagomi wieder vor Anker gehen, wo die aus siebzehn Mann bestehende Mannschaft von den Portugiesen sofort gefangen gesetzt wurde. Auf Espinosa's Beschwerden antwortete man mit der Drohung, ihn an der ersten besten Raae aufzuknüpfen, und zuletzt ward der arme Alguazil, den man erst nach Cochin brachte, nach Portugal geschickt und schmachtete dort in Gesellschaft zweier Spanier, den letzten Uebriggebliebenen von der Mannschaft der »Trinidad«, sieben Monate lang in dem Gefängniß von Limoeiro.

Was die »Victoria« betrifft, so verließ diese, reich beladen, Tidor unter dem Commando Juan Sebastians del Cano, der, nachdem er auf einem Schiffe Magellan's einfacher Steuermann gewesen war, am 27. April 1521 die Führung der »Conception« übernahm und Juan Lopez de Carvalho folgte, als diesem seiner Unfähigkeit wegen das Commando abgenommen worden war. Seine Mannschaft bestand aus dreiundfünfzig Europäern und dreizehn Indianern; vierundfünfzig Europäer blieben damals in Tidor auf der »Trinidad« zurück.

Nachdem sie zwischen den Inseln Caivan, Laigoma, Sigo, Giofi, Cafi, Laboan, Toliman, Bachian, Mata und Batutiga hingesegelt war, ließ die »Victoria« die letztere im Westen liegen, steuerte nach Westsüdwest und verweilte während der Nacht bei der Insel Sula oder Xula. Zehn Meilen von hier ankerten die Spanier vor Buru, Bougainville's Boëro, wo sie frischen Proviant faßten. Fünfunddreißig Meilen weiter hielten sie dann in Banda an, wo man Macis-und Muscatnüsse findet; ferner in Solor, einem Hafenplatze für den Handel mit weißem Sandelholz. Hier rasteten sie vierzehn Tage behufs Ausbesserung ihres Schiffes, das mehrfache Beschädigungen erlitten hatte, und versorgten sich mit reichlichen Mengen von Wachs und Pfeffer; später ankerten sie bei Timor, wo sie sich nur dadurch neue Lebensmittel verschaffen konnten, daß sie einen mit seinem Sohne an Bord gekommenen Häuptling eines Dorfes daselbst zurückbehielten. Nach dieser Insel kamen viele Tjonken von Luzon und »Praos« aus Malakka und Java, welche hier [398] mit Sandelholz und Pfeffer ziemlich umfänglichen Handel trieben. Auf der weiteren Fahrt berührten die Spanier Java, wo zu jener Zeit, wie es scheint, die »Sutties« schon gebräuchlich waren, welche man auch heutzutage in Indien noch wiederfindet.

Unter den Erzählungen, welche Pigafetta, ohne selbst recht daran zu glauben, einflicht, ist eine besonders wunderbar. Sie handelt von einem riesigen Vogel, dem Epyornis, von dem man noch im Jahre 1850 auf Madagaskar Knochen und ungeheuer große Eier gefunden hat. Es beweist das, wie vorsichtig man damit sein muß, eine Menge jener uns fabelhaft erscheinenden Legenden ohne Weiteres in das Bereich erfundener Wunder zu verweisen, da ihr Kern nicht selten etwas Wahres enthält.

»Im Norden von Groß-Java, berichtet Pigafetta, giebt es am chinesischen Golfe einen gewaltigen Baum, Campanganghi nannte man ihn, wo sich gewisse Vögel, die Garulas, aufhalten, welche so groß und so stark sind, daß sie einen Büffel und selbst einen Elephanten aufheben und ihn fliegend nach einem Theile des Baumes bringen, der als Puzathaer bezeichnet wird.« Diese Legende erhält sich bei den Persern und Arabern seit dem 9. Jahrhundert und jener Vogel spielt in den Erzählungen der Letzteren unter dem Namen »Rock« eine sehr hervorragende Rolle. Es darf also gar nicht allzu sehr auffallen, wenn Pigafetta bei den Malayen einer ähnlichen Tradition begegnete.

Von Groß-Java aus umschiffte die, »Victoria« die Halbinsel Malakka, welche von dem großen Albuquerque schon seit zehn Jahren unterworfen war. In deren Nähe befand sich Siam und Cambodje, sowie Chiempa, wo der Rhabarber heimisch ist. Diese Substanz findet man auf folgende Art und Weise: »Eine Gesellschaft von zwanzig bis fünfundzwanzig Mann begiebt sich in den Wald und verbringt die Nacht auf Bäumen, um sich gegen die Löwen – man erinnere sich, daß es hier gar keine Löwen giebt – und andere wilde Thiere zu sichern und gleichzeitig den Duft vom Rhabarber besser wahrzunehmen, den der Wind mit sich führt. Gegen Morgen gehen die Leute nach der Richtung hin, von der der Geruch herkam, und suchen da nach Rhabarber, bis sie denselben auffinden. Der Rhabarber ist das vermoderte Holz eines großen Baumes, dessen Geruch von der Fäulniß selbst herrührt; der werthvollste Theil des Baumes ist die Wurzel, doch hat der Stamm, den man »Calama« nennt, die nämlichen medicinischen Eigenschaften.«

Dieses Pröbchen beweist, daß wir für unsere botanischen Kenntnisse bei [399] Pigafetta eine Erweiterung nicht suchen dürfen; wir liefen zu ernstlich Gefahr, die Märchen für Wahrheit zu nehmen, die ihm ein Maure, bei dem jener seine Erkundigungen einzog, erzählte. So schildert der lombardische Reisende mit größtem Ernste die phantastischsten Einzelheiten von China und verfällt in die schwersten Irrthümer, welche dagegen sein Zeitgenosse Duarte Barbosa glücklich vermieden hat. Durch diesen Letzteren wissen wir auch, daß der Handel mit »Anfian«, d. i. Opium, schon zu jener Zeit blühte.

Als die »Victoria« die Gegend von Malakka verlassen, trug Sebastian del Cano dafür Sorge, die Küste von Zanguebar zu meiden, wo die Portugiesen schon seit Anfang des Jahrhunderts ansässig waren. Er segelte vielmehr bis zum 42. Grad südlicher Breite über das hohe Meer, mußte aber gegenüber dem Cap in Folge unaufhörlicher West- und Nordwestwinde, die mit einem furchtbaren Sturm endeten, fast neun Wochen lang hin und her laviren. Von Seite des Kapitäns gehörte hierzu ebensoviel Ausdauer als Muth und Lust, dieses Unternehmen zu Ende zu führen. Das Schiff hatte mehrere schadhafte Stellen und viele Matrosen verlangten in Mozambique anzulegen, da die Besatzung, nachdem das ungesalzene Fleisch vollständig verdorben war, nur noch Reis und Wasser zum Essen und Trinken besaß. Am 6. Mai endlich wurde das Cap der Stürme umschifft und man konnte nun wohl auf einen glücklichen Ausgang der Reise rechnen. Dennoch sollten die Seefahrer noch mancherlei Schwierigkeiten zu bekämpfen haben. Binnen zwei Monaten erlagen einundzwanzig Mann, fast ebensoviel Europäer als Indianer, in Folge der Entbehrungen, und wäre das Schiff nicht am 9. Juli in Santiago am Grünen Vorgebirge vor Anker gegangen, so wären wohl Alle Hungers gestorben. Da dieser Archipel den Portugiesen gehörte, gab man hier an, von Amerika zu kommen, und verheimlichte sorgsam den von Magellan entdeckten Weg. Einer der Matrosen beging jedoch die Unklugheit, auszusprechen, die »Victoria« sei das einzige Schiff von dem Geschwader Magellan's das nach Europa zurückkehre. Darauf hin verhafteten die Portugiesen sofort die Mannschaft einer Schaluppe und machten sich sogar schon fertig, das spanische Schiff anzugreifen. Del Cano aber überwachte jeden Augenblick die Bewegungen der Portugiesen. Da er nun aus gewissen Anzeichen den Verdacht schöpfte, daß jene sich der »Victoria« bemächtigen wollten, ging er eiligst unter Segel und ließ dreizehn von seinen Leuten in den Händen der Portugiesen zurück.


Normännische Barken. (S. 404.)

Maximilian der Siebenbürge legt dieser Landung an den Inseln des Grünen Vorgebirges ein anderes Motiv zugrunde, als Pigafetta. Er behauptet, daß die durch lange Entbehrungen erschöpften Matrosen, welche dabei noch fortwährend an den Pumpen arbeiten muß [400] ten, den Kapitän bestimmt hätten, vor Anker zu gehen, um einige Sklaven einzukaufen, welche hierbei behilflich sein sollten. Da es ihnen hierzu an Geld fehlte, hätten die Spanier in Gewürzen bezahlt, wodurch den Portugiesen die Augen geöffnet worden wären.

[401] »Um zu erfahren, ob unsere Tagebücher in Ordnung geführt worden seien, erzählt Pigafetta, fragten wir am Lande nach, welchen Wochentag man habe. Die Antwort lautete, es sei Donnerstag, was uns nicht wenig verwunderte, da wir erst bei dem Mittwoch waren. Wir konnten nicht glauben, uns um einen Tag getäuscht zu haben; mein Erstaunen war vielleicht noch größer als das der Anderen, da ich mein Tagebuch immer in größter Ordnung gehalten und ohne Unterbrechung alle Wochentage und Monatsdaten eingetragen hatte. Bald sahen wir denn auch ein, daß hier kein Rechenfehler die Schuld trug, denn da wir immer dem Laufe der Sonne folgend von Osten nach Westen gesegelt und jetzt nach demselben Punkte zurückgekehrt waren, mußten wir ja gegenüber Denjenigen, die an ein und demselben Punkte blieben, vierundzwanzig Stunden gewonnen haben; es bedarf ja nur einiges Nachdenkens, um das einzusehen.«

Sebastian del Cano suchte nun schnell die Küste Spaniens zu erreichen und lief am 5. September mit einer fast durchwegs kranken Besatzung von siebzehn Mann in San-Lucar de Barrameda ein. Zwei Tage später ging er am Molo von Sevilla vor Anker, womit die erste vollständige Reise um die Erde zu Ende geführt war.

Gleich nach der Ankunft begab sich Sebastian del Cano nach Valladolid, wo sich der Hof eben aufhielt, und fand dort bei Karl V. einen, der glücklichen Ueberwindung so unendlicher Schwierigkeiten entsprechenden Empfang. Man wies dem kühnen Seemann eine jährliche Pension von fünfhundert Ducaten an und gab ihm die Erlaubniß, eine Erdkugel im Wappen zu führen mit der Devise: Primus circumdedisti me. Die kostbare Last der »Victoria« veranlaßte den Kaiser, eine zweite Flotte nach den Molukken zu senden. Den Oberbefehl über diese erhielt Sebastian del Cano jedoch nicht, sondern ein gewisser Garcia de Loaisa, der keinen anderen Titel als seinen großen Namen besaß. Die Flotte hatte jedoch kaum die Magellan-Straße erreicht, als del Cano nach dem Tode des Ober-Commandanten doch den Oberbefehl übernehmen mußte, den er indeß auch nur ganz kurze Zeit führte, weil ihn schon sechs Tage später der Tod ereilte.

Die berühmt gewordene »Victoria« ward sehr lange Zeit im Hafen von Sevilla aufbewahrt, ging aber trotz aller darauf verwendeten Sorgfalt doch endlich in Stücke.

[402]
3. Capitel
1.
I.

Die Normannen. – Erik der Rothe. – Die Zeni. – Jean Cabot. – Cortereal. – Sebastian Cabot. – Willoughby. – Chancellor.


Durch die Entdeckung Islands, dem Thule der Sage und jenes »cronischen« Oceans, dessen Untiefen und Eis die Schifffahrt so gefährlich machen, wo die Nächte so hell sind wie bei uns die Dämmerung, hatte Pytheas den Skandinaven den Weg nach Norden eröffnet. Die Ueberlieferung der von den Alten ausgeführten Reisen bis zu den Arcaden, den Färöer und Island lebte bei den irländischen Mönchen fort, diesen gelehrten und muthigen Männern, von deren Unternehmungsgeiste die von ihnen auf allen Inseln gegründeten Niederlassungen Zeugniß geben. Sie waren gleichsam die Piloten der »Normannen«, ein Name, mit dem man im Allgemeinen die skandinavischen, d. h. die norwegischen und dänischen Seeräuber bezeichnet, welche sich im Mittelalter dem gesammten Europa so furchtbar machten. Sind auch alle Nachrichten der Alten, der Griechen und Römer, über diese hyperboräischen Länder nur sehr unbestimmt und sozusagen fabelhaft, so ist das nicht der Fall bezüglich der abenteuerlichen Fahrten jener »Männer des Nordens«. Die »Sagas« – so hießen die isländischen und dänischen Volkslieder mit historischem Inhalt – sind verläßlicher, als man zuerst annehmen mochte, und die zahlreichen Ueberlieferungen, welche wir ihnen verdanken, werden noch tagtäglich durch archäologische Entdeckungen in Grönland, Island, Norwegen und Dänemark bestätigt. Hier bietet sich eine lange Zeit unbekannte und jedenfalls nicht ausgenutzte Quelle der werthvollsten Aufschlüsse, deren Eröffnung man dem gelehrten Dänen C. C. Rafn verdankt und die uns über die vorcolumbische Entdeckung des amerikanischen Continents authentische Thatsachen von höchstem Interesse mittheilt.

Norwegen war ein armes, aber stark bevölkertes Land; dieser Umstand veranlaßte eine fortwährende Auswanderung, welche es einem nicht geringen Theile der Bewohner erlaubte, in gesegneteren Landstrichen die nothwendige [403] Nahrung zu suchen, die der eisige Boden des Vaterlandes nicht gedeihen ließ. Hatten die Auswanderer dann ein reicheres Land gefunden, das ihnen eine hinlängliche Beute lieferte, so zogen sie nach der Heimat zurück und mit dem nächsten Frühlinge wieder hinaus in Begleitung vieler, Solcher, welche das Verlangen nach Gewinn und die Liebe zu einem leichten, kämpfereichen Leben mit hinauslockte.

Unerschrockene Jäger und Fischer, gewöhnt an die Gefahren der Schifffahrt zwischen dem Festlande und jener Anhäufung von Inseln und Felsen, welche jenes umgürten, als wollten sie es gegen den Andrang des Meeres vertheidigen, durch jene engen und tiefen Fjorde, die von einem Riesenschwerte in das Land geschnitten erscheinen, fuhren sie auf Eichen-Schiffen hinaus und setzten die Anwohner der Nordsee und des Canals schon durch ihre Erscheinung in Furcht und Schrecken. Ihre Fahrzeuge besaßen oft nicht einmal ein Verdeck, waren groß oder klein, lang oder kurz gebaut, liefen am Vordertheile aber meist in einen ungeheuren Sporn aus, über den sich der Steven hoch aufbaute, so daß daraus etwa die Form eines S entstand. Die »Hällristningar« – so nannte man gewisse graphische Darstellungen, die sich an den Strandfelsen Norwegens und Schwedens vielfach vorfinden – geben uns eine genaue Vorstellung von jenen schnellen Fahrzeugen, welche oft eine starke Besatzung trugen, wie z.B. von der »langen Schlange« Olaf Trygyvason's, welche zweiunddreißig Ruderbänke und neunzig Mann Besatzung hatte, dem Schiffe Kanut's mit sechzig und den beiden Schiffen Olaf des Heiligen mit einer Mannschaft von zweihundert Köpfen. Die Könige des Meeres, wie man diese Abenteurer häufig nannte, lebten fast ausschließlich auf dem Ocean, siedelten sich niemals auf dem Lande an, zogen von der Plünderung eines Schlosses nur zur Einäscherung eines Klosters weiter, verwüsteten die Gestade Frankreichs, segelten die Flüsse hinauf, vorzüglich die Seine bis nach Paris, durchstreiften das Mittelmeer bis Konstantinopel, verweilten später bei Sicilien und ließen überall in der bekannten Welt die Spuren ihrer Raubzüge und ihres Aufenthaltes kennbar zurück.

Diese Seeräuber wurden damals, statt wie heute, vom Gesetze unerbittlich bestraft zu werden, unter jener barbarischen oder halbcivilisirten Gesellschaft nicht allein ermuthigt, sondern sogar von den »Skalden« besungen, welche jene ritterlichen Kämpfe, Abenteurerzüge und die Aeußerungen urwüchsiger Kraft mit enthusiastischen Lobpreisungen feierten. Vom 8. Jahrhundert ab [404] besuchten diese furchtbaren Seehelden die Orkaden, die Hebriden, die Shetlands-Inseln und die Färöer, wo sie irische Mönche antrafen, die sich daselbst schon seit einem Jahrhundert niedergelassen hatten, um die heidnischen Urbewohner zu bekehren.

Gegen 861 wurde ein norwegischer Pirat, Namens Naddod, vom Sturm nach einer schneebedeckten Insel verschlagen, die er Snöland (Schneeland) taufte, ein Name, der in späterer Zeit in Island (Eisland) umgeändert wurde. Auch hier begegneten die Normannen in den Bezirken von Papeya und Popili den irischen Mönchen, welche man Papis nannte.

Wenige Jahre später kam Ingolf in das Land und gründete Reijkiawik. Im Jahre 885 unterwarf Harold Haarfager ganz Norwegen seinen Waffen und sandte eine zahlreiche Flotte mit vielen Unzufriedenen nach Island. Hier bildete sich allmählich eine republikanische Regierung aus, welche im Mutterlande eben gestürzt worden war, und bestand auch bis 1261, zu welcher Zeit Island unter die Herrschaft der norwegischen Könige kam.

Kaum hatten sich jene abenteuerlustigen und durch Jagd auf Robben und Walrosse an weite Fahrten gewöhnten Leute in Island eingebürgert, als sie auch schon wieder ihre Irrfahrten anfingen und weit hinaus nach Westen segelten, wobei Guumbjörn, nur drei Jahre nach der Ankunft Ingolf's, die weißglänzenden Gebirgsspitzen Grönlands entdeckte. Fünf Jahre später fand Erik der Rothe, der von Island eines Mordes wegen verbannt worden war, unter 64. Grad nördlicher Breite die Küsten des von Guumbjörn gesehenen Landes wieder. Die Unfruchtbarkeit des Landes und die hier aufgethürmten Eismassen bestimmten ihn jedoch, weiter im Süden ein milderes Klima und offeneres, wildreicheres Land aufzusuchen. Er umschiffte also das Cap Farewell an der unteren Spitze Grönlands, ließ sich auf der Ostküste desselben nieder und errichtete hier für sich und seine Gefährten sehr geräumige Wohnstätten, deren Ueberreste von Jörgensen in unseren Tagen wieder aufgefunden wurden. Die Landschaft hier mochte wohl mit Recht den Namen, »Grünes Land« (Grönland) verdienen, den ihm die Normannen beilegten; seitdem freilich hat die jährlich beträchtliche Zunahme der Gletscher aus der ganzen Landschaft eine traurige Einöde gemacht.

Erik ging einmal nach Island, um seine Freunde aufzusuchen; im Jahre seiner Rückkehr nach Brattahalida (so hieß seine Niederlassung) schlossen sich ihm vierzehn Schiffe mit Auswanderern an. Das war ein wahrer Auszug, [405] der etwa in das Jahr 1000 zu setzen sein wird. In gleichem Schritt mit der Erweiterung der Hilfsquellen nahm auch die Bevölkerung Grönlands zu, und im Jahre 1121 wurde Gardar, die Hauptstadt des Landes, der Sitz eines Bischofs, der bis nach Columbus' Entdeckung der Antillen hier residirte.

Im Jahre 986 kam Björn Herjulfsson von Norwegen nach Island, um hier den Winter in Gesellschaft seines Vaters zu verbringen, stach aber, als er hörte, daß dieser mit Erik dem Rothen nach Grönland fortgezogen sei, sofort wieder in's Meer. Auf gut Glück hin suchte der junge Mann nun ein Land, dessen Lage er nicht einmal genau kannte, und die Strömungen trugen ihn nach Gestaden hin, welche man für Neu-Schottland oder Maine hält. Endlich gelangte er doch nach Grönland, wo ihm Erik, der mächtige, normannische »Jarl«, ernstliche Vorwürfe darüber machte, daß er die Länder, nach welchen ihn ein glücklicher Zufall geführt, nicht näher erforscht habe,

Erik hatte eben seinen Sohn Leif an den norwegischen Hof gesendet, ein Beweis, daß zwischen der Hauptstadt und den Kolonien ziemlich lebhafte Verbindungen bestanden haben mögen. Der König, der sich inzwischen zum Christenthum bekannt, hatte eben eine Gesandtschaft nach Island abgeschickt, um den Odhin-Cultus aufzuheben. Auch Leif gab er mehrere Priester mit, welche die Grönländer belehren und in den Grundwahrheiten des Christenthums unterrichten sollten; kaum in sein Vaterland zurückgekehrt, ließ der junge Abenteurer die frommen Männer unbekümmert an der Erfüllung ihres Auftrages arbeiten, setzte, als er von Björn's Entdeckung hörte, seine Schiffe wieder in Stand und zog zur Aufsuchung der von diesem gesehenen Länder aus. Er landet nacheinander an einer steinigen, trostlosen Ebene, der er den Namen Helluland gab und worin man ohne Schwierigkeit New-Foundland wiedererkennt, ferner an einer niedrigen, sandigen Küste, hinter der sich ein Saum dunkler, aber durch den Gesang unzähliger Vögel belebter Wälder hinstreckte. Zum dritten Male geht er in See und erreicht, nach Süden steuernd, die Bai von Rhode-Island, mit mildem Klima, deren Wasser so sehr von Lachsen wimmelte, daß er sich hier längere Zeit niederließ und aus Brettern und Planken große Gebäude errichtete, die er Leifsbudir (Leif's Haus) nannte. Hierauf beorderte er einige seiner Leute, die Umgegend in Augenschein zu nehmen, und diese kamen mit der frohen Botschaft zurück, daß im Innern des Landes der wilde Weinstock gedeihe, weshalb jenes den Namen »Vinland« erhielt. Im Frühlinge des Jahres 1001 fuhr Leif dann, nachdem [406] er seine Schiffe mit Fellen, Trauben, Holz und anderen Erzeugnissen des Landes reich beladen, nach Grönland zurück und hatte inzwischen auch beobachtet, daß der kürzeste Tag in Vinland noch neun Stunden währte, wodurch es möglich geworden ist, die Lage von Leifsbudir unter 41°24'10" zu bestimmen. Dieser gelungene Entdeckungszug, sowie die Rettung einer norwegischen Barke mit fünfzehn Mann, erwarb dem Sohne Erik's den Beinamen des Glücklichen.

Seine Expedition erregte allgemeines Aufsehen und die Erzählungen von den Wundern des Landes, in dem Leif verweilt hatte, veranlaßten seinen Bruder Thorwald, mit dreißig Mann dahin abzusegeln. Nachdem er den Winter in Leifsbudir zugebracht, untersuchte Thorwald die Küsten weiter nach Süden, kehrte im Herbst nach Vinland zurück und segelte im folgenden Jahre, 1004, längs des Ufers von Leifsbudir nach Norden. Während der Rückkehr trafen die Normannen zum ersten Male mit Eskimos zusammen, welche sie ohne Veranlassung unbarmherzig ermordeten. In der darauf folgenden Nacht sahen sie sich aber plötzlich von einer zahlreichen Flottille von Kayacs umringt, aus der eine Wolke von Pfeilen auf sie zuflog. Thorwald, der Führer der Expedition, wurde allein tödtlich verwundet, und seine Gefährten begruben ihn auf einem Vorgebirge, dem sie den Namen »das Vorgebirge des Kreuzes« gaben.

Am Golf von Boston fand man im 18. Jahrhundert ein ausgemauertes Grab mit Gebeinen und einem eisernen Säbelgefäß; da die Indianer dieses Metall nicht kannten, konnte dieses Skelet ihrem Stamme nicht angehören; ebenso konnte es sich hier nicht um die Ueberreste eines im 16. Jahrhundert gelandeten Europäers handeln, deren Säbel nicht diese so charakteristische Form hatten. Man hat darin vielmehr das Grab eines Skandinaven wiedererkennen wollen, wenn auch nicht gerade das Thorwald's, des Sohnes Erik's des Rothen.

Im Frühjahre 1007 verließen drei Schiffe mit hundertsechzig Mann und vielen Thieren den Eriksfjord, um eine dauernde Niederlassung zu begründen. Die Auswanderer bekamen Helluland, Markland und Vinland zu Gesicht und landeten an einer Insel, wo sie Baracken errichteten und schon die Bearbeitung des Bodens begannen. Man muß jedoch annehmen, daß sie hierbei nicht mit der nöthigen Umsicht und Vorsicht zu Werke gegangen seien, denn der Winter überraschte sie ohne Lebensmittelvorräthe, so daß sie arg[407] vom Hunger litten. Zum Glück kamen sie auf den Gedanken, einstweilen nach dem Festlande zurückzukehren, wo sie das Ende des Winters in leidlichen Verhältnissen abwarten konnten.

Zu Anfang des Jahres 1008 zogen sie wieder zur Aufsuchung von Leifsbudir aus und ließen sich an der Mount-Hope-Bai, und zwar an dem, Leif's früherer Ansiedlung gegenüberliegenden Ufer nieder. Hier wurden zuerst einige Verbindungen mit den in den Sagas »Skrellings« genannten Eingebornen angeknüpft, unter welch' Letzteren man die Eskimos ohne Schwierigkeit wiedererkennt. Die erste Begegnung mit denselben verlief ganz friedlich und es entwickelte sich ein, beide Theile zufriedenstellender Tauschhandel bis zu dem Tage, da das Verlangen der Eskimos nach eisernen Aexten, deren Auslieferung die Norweger stets verweigert hatten, jene zu feindlichen Angriffen und Gewalthätigkeiten trieb, welche die neuen Ansiedler nach dreijährigem Aufenthalt zur Rückkehr in ihr Vaterland veranlaßten, ohne von ihrer Niederlassung auf amerikanischem Boden auch nur eine Spur zu hinterlassen.

Wir können hier begreiflicher Weise nicht die Expeditionen alle einzeln aufzählen, die von Grönland aus nach den Küsten Labradors und der Vereinigten Staaten ausgeführt wurden. Diejenigen unserer Leser, welche sich hierüber eingehender zu unterrichten wünschen, verweisen wir auf die interessante Arbeit Gabriel Gravier's, dessen vollständigstem Werke über diesen Gegenstand wir auch selbst alles auf die Fahrten der Normannen Bezügliche entlehnen.

In demselben Jahre, wo Erik der Rothe nach Grönland kam, also 983, wurde ein gewisser Hari Marson durch Sturm von der gewöhnlichen Schiffsstraße nach einem Lande verschlagen, das den Namen des Landes der weißen Menschen führt und sich, nach Rafn, von der Cheasapeak-Bai bis Florida erstreckte.

Woher stammte wohl dieser Name? Wohnten etwa hier Landsleute Marson's schon früher? Nach den Worten der Chronik sollte man das fast voraussetzen. Es hätte offenbar ein großes Interesse, die Nationalität dieser ersten Ansiedler bestimmen zu können. Noch haben die Sagas ja nicht alle ihre Geheimnisse offenbart. Gewiß sind noch manche derselben unbekannt, und da die bis jetzt aufgefundenen alle vorher nur angenommenen Thatsachen bestätigt haben, darf man wohl die Hoffnung hegen, daß unsere Kenntnisse der isländischen Seezüge sich nach und nach vervollständigen werden.


Eisberge Grönlands. (S. 413.)

Eine andere, zum Theil freilich sehr romantische Legende, welche aber jedenfalls einen Kern von Wahrheit enthält, erzählt, daß ein gewisser Björn, der in Folge einer unglücklichen Leidenschaft Island verlassen mußte, bis über Vinland hinaus geflüchtet sei, wo man im Jahr 1027 noch einige seiner Begleiter wiedergefunden habe.

[408]

Bei einer anderen Expedition im Jahre 1051 wurde eine isländische Frau von den Skrellings erschlagen und im Jahre 1867 hat man ein Grab [409] mit Runen-Inschrift eröffnet, in dem sich Gebeine und einzelne Toilettegegenstände vorfanden, welche jetzt im Museum zu Washington aufbewahrt werden. Diesen Fund machte man übrigens genau an derselben Stelle, welche eine, diese Vorfälle behandelnde Sage, die man 1863 entdeckte, bezeichnet hatte.

Die in Island und Grönland hausenden Normannen waren indessen auch um das Jahr 1000 nicht die einzigen Besucher der amerikanischen Küsten, wie das der Name Groß-Irland – die andere Bezeichnung für das Land der weißen Menschen – darthut. Die Geschichte Madoc-op-Owens weist nach, daß hier Irländer und Gallier Kolonien angelegt hatten, über die wir freilich nur sehr spärliche Nachrichten besitzen. Trotz aller Ungewißheit stimmen aber d'Avezai und Gaffarel über die Wahrscheinlichkeit derselben vollkommen überein.

Von der Erwähnung dieser Züge und Ansiedlungsversuche der Normannen in Labrador, Vinland und den noch südlicheren Gegenden kehren wir nun nach dem Norden zurück. Die zuerst in der Nähe des Cap Farewell gegründeten Niederlassungen verbreiteten sich bald längs der Nordküste, welche damals beiweitem nicht einen so trostlosen Charakter hatte als heute, bis in hohe Breitengrade hinauf, zu denen man erst in unseren Tagen wieder vorgedrungen ist. Zu jener Zeit betrieb man den Robben-, Walrosse- und Walfischfang noch in der Bai von Diskö, und man zählte hundertneunzig Städte in der Westerbygd neben sechsundneunzig Städten in der Esterbygd Heute erreicht die Anzahl der Niederlassungen an jenen eisigen Küsten jene frühere nicht im mindesten.

Wahrscheinlich bestanden diese Städte allerdings nur aus kleinen Gruppen von hölzernen und steinernen Häusern, deren Ruinen man vom Cap Farewell bis Uppernavik unter 72°50' nördlicher Breite noch vielfach wiederfindet. Eine Menge Runen-Inschriften, deren Entzifferung später gelungen ist, hat jetzt über die so lange Zeit vergessenen Thatsachen völlig Licht verbreitet. Wie viele solche Spuren der Vergangenheit mögen aber noch immer zu entdecken sein! Wie viele werthvolle Zeugnisse von der Kühnheit und dem Unternehmungsgeiste der skandinavischen Race mögen wohl für immer unter den Gletscher-Riesen begraben liegen!

Man hat auch angenommen, daß selbst das Christenthum in Amerika und vorzüglich in Grönland schon Fuß gefaßt hatte. In letzterem Lande fanden auf Anordnung Papst Gregor's IX. regelmäßige Kirchenvisitationen [410] statt, um die neubekehrten Normannen im Glauben zu stärken und die Indianer- und Eskimostämme dem Christenthum zu gewinnen. Noch mehr; im Jahre 1865 hat Riant unwiderleglich bewiesen, daß in Grönland, vorzüglich im Bisthum Gardar, sowie auf den Inseln und in den benachbarten Ländern die Kreuzzüge gepredigt worden sind, und daß Grönland bis zum Jahre 1418 dem päpstlichen Stuhl einen Zehent und den gewöhnlichen Peterspfennig bezahlte, der für das genannte Jahr aus 2600 Pfund Walroßzähnen bestand.

Die norwegischen Kolonien verdanken ihren Zerfall und ihren Untergang verschiedenen Ursachen, wie der ungemein schnellen Ausdehnung der Gletscher – Hayes hat z.B. nachgewiesen, daß der Bruder »Johann«-Gletscher jährlich um 30 Meter zunahm –; der schlechten Politik des Mutterlandes, welche die Auswanderung nach den Kolonien einschränkte; der schwarzen Pest, die Grönlands Bevölkerung von 1347–1351 decimirte; endlich den Verwüstungen fremder Seeräuber, welche im Jahre 1418 die schon heruntergekommenen Ansiedlungen überfielen und in welchen man Bewohner der Orkaden und der Färöer, von denen später die Rede sein soll, zu erkennen geglaubt hat.

Einer der Genossen Wilhelm's des Eroberers, Saint-Clair oder Sinclair mit Namen, der sich durch den ihm zufallenden Antheil an Land nicht nach Verdienst belohnt hielt, zog nach Schottland auf Abenteuer aus und erwarb sich hier bald Ehren und Reichthümer. In der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts kamen die Orkaden unter die Herrschaft seiner Nachfolger.

. Im Jahre 1390 litt ein gewisser Nicolo Zeno, der Sproß einer der ältesten und vornehmsten Familien Venedigs, der auf seine Kosten ein Fahrzeug ausgerüstet hatte, nur um England und Flandern kennen zu lernen, im Archipel der Orkaden Schiffbruch. Schon war er in Gefahr, von den Bewohnern elend hingemordet zu werden, als ihn Graf Sinclair noch rechtzeitig in seinen Schutz nahm. Die Geschichte dieses Schiffbruchs, der Abenteuer und Entdeckungen, welche dessen Folge waren und deren auch Ramusio in seiner Sammlung Erwähnung thut, beschrieb, nach dem Zeugnisse des gelehrten Geographen Clemens Markham, das sich in seinen »Zugängen nach den ungekannten Ländern« findet, zuerst Antonio Zeno. Leider zerriß ein im Jahre 1515 geborner Nachkömmling desselben, Namens Nicolas Zeno, als Kind diese Papiere, deren Werth er ja nicht zu begreifen verstand. Da noch einige Blätter erhalten blieben, vermochte er diesen Bericht später wieder zu [411] ergänzen, und dieser spätere ist es, den wir jetzt in einem aus Venedig stammenden Drucke besitzen. In dem Palaste der Familie fand sich auch eine durch das Alter schon halb vermoderte Karte, welche jene Reise vor Augen führte. Er stellte von dieser eine Copie her, wobei er sie leider nach dem Texte seines Berichtes vervollständigte, was er für das Verständniß derselben für nothwendig erachtete. Da er aber hierbei in sehr unbesonnener Weise zu Werke ging und ohne die eingehenden geographischen Kenntnisse, die uns heute zu entscheiden erlauben, wo er sich irrte, so brachte er in das Ganze eine bedauernswerthe Unklarheit, während diejenigen Theile der Karte, die einer solchen Verstümmlung entgingen und noch das alte Original erkennen lassen, sich durch eine, selbst über die geographischen Kenntnisse der Zeit Nicolas Zeno's des Jüngeren weit hinausreichende Genauigkeit auszeichnen und die Lage der alten Kolonie von Grönland ganz unzweifelhaft feststellen. Es erklären sich hierdurch nicht allein die vielen, über diesen Gegenstand geführten Discussionen, sondern es wird damit auch die Authenticität des Berichtes selbst unwiderleglich dargethan, denn Nicolas Zeno der Jüngere war doch nicht im Stande, eine Geschichte zu erfinden, deren Wahrheit er gegenüber den Angaben der Karte aus Unkenntniß entstellt hätte.

Der Name Zichmin, unter welchem zeitgenössische Schriftsteller und unter ihnen vor Allem H. Major, der diese Ereignisse dem Bereiche der bloßen Fabeln entrückt hat, den Namen Sinclair's verstehen, scheint sich in der That nur auf diesen Beherrscher der Orkaden zu beziehen.

Zu dieser Zeit wurden die nördlichen Meere Europas vielfach von skandinavischen Seeräubern unsicher gemacht. Sinclair, der in Zeno bald einen geschickten Seemann erkannte, verbündete sich deshalb mit diesem zur Eroberung von Frisland, dem Neste der Seeräuber, die den ganzen Norden Schottlands verwüsteten. In den Hafenbüchern vom Ausgange des 15. Jahrhunderts und den Seekarten von Anfang des 16. Jahrhunderts bezeichnet dieser Name die Gruppe der Färöer, was höchst wahrscheinlich richtig ist, denn Buache hat in den heutigen Namen der Häfen und Inseln dieses Archipels eine ziemliche Menge der von Zeno angeführten alten Namen wiedererkannt. Dazu erweisen sich die Angaben des venetianischen Seehelden über die fischreichen Gewässer und die gefährlichen Untiefen zwischen den einzelnen Inseln auch noch heutzutage zutreffend.

Zufrieden mit seiner Lage, schrieb Zeno an seinen Bruder Antonio [412] und lud diesen zu sich ein. Während nun Sinclair mit der Eroberung der Färöer beschäftigt war, plünderten norwegische Piraten die Schettlands-Inseln, welche damals übrigens Eastland hießen Nicolo ging unter Segel, um jenen eine Schlacht zu liefern, mußte aber vor ihrer weit stärkeren Flotte entfliehen und suchte auf einer kleinen Insel an der Küste von Island Schutz.

Nachdem er hier überwintert, soll Zeno im folgenden Jahre nach der Ostküste von Grönland abgesegelt und unter dem 69. Breitengrade gelandet sein, wo sich »ein Kloster des Ordens der Prediger von St. Thomas und eine zugehörige Kirche befanden. Die Klosterzellen wurden hier durch eine heiße Quelle erwärmt, welche die Mönche auch zur Zubereitung ihrer Speisen und zum Backen des Brotes benutzten. Die Mönche besaßen auch Gärten, die während des Winters überdeckt und auf die nämliche Weise geheizt waren, so daß sie Blumen, Früchte und Kräuter ziehen konnten, als lebten sie in einem weit milderen Klima«. Diese Erzählung erhält eine merkwürdige Bestätigung dadurch, daß ein Kapitän der dänischen Marine in den Jahren 1828– 1830 unter dem neunundsechzigsten Grade der Breite eine aus 660 Köpfen bestehende Bevölkerung von durchweg europäischem Typus antraf.

Die abenteuerliche Fahrt in Gegenden, deren Klima dem Venedigs so wenig gleichkam, wurde für Zeno jedoch verderblich und er starb kurz nach seiner Rückkehr von Frisland.

Ein alter mit dem Venetianer zurückgekehrter Seemann, der, wie er sagte, in den Ländern des äußersten Westens lange Jahre als Gefangener zugebracht hatte, beschrieb Sinclair jene Länder so schön und fruchtbar, daß dieser den Entschluß faßte, dieselben mit Hilfe Antonio Zenos, der inzwischen der Einladung seines Bruders gefolgt war, zu erobern. Die Einwohner derselben erwiesen sich aber so feindselig und setzten der Landung der Fremden einen so heftigen Widerstand entgegen, daß Sinclair nach einer langen, gefährlichen Fahrt unverrichteter Dinge nach Frisland umkehren mußte.

Das ist Alles, was von jenen Ereignissen noch auf uns gekommen ist, und wir haben es gewiß sehr zu bedauern, daß Antonio Zeno's Briefe an seinen Vater verloren gegangen sind, welche hierüber sicher weitere Aufschlüsse und auch Nachrichten über ein Land lieferten, das Forster und Malte-Brun mit Neufundland identificiren.

Wer weiß, ob Columbus nicht bei Gelegenheit seiner Reisen nach [413] England und seiner Züge bis nach dem fernen Thule von diesen vorhergegangenen Fahrten der Normannen und der Zeni's reden hörte, und ob ihm nicht ebendieselben lückenhaften Nachrichten seine Theorien bestätigten und seine Ideen bestärkten, zu deren Durchführung er den König von England um Unterstützung anging?

Aus Allem, was wir hier kurz mitgetheilt haben, geht doch unzweifelhaft hervor, daß Amerika schon vor Columbus den Europäern bekannt und an einzelnen Stellen sogar kolonisirt war. In Folge verschiedener Umstände, in deren erster Reihe die Seltenheit der Verbindungen zu nennen ist, welche die Bevölkerungen des nördlichen Europas mit denen im Süden unterhielten, gelangten von den Entdeckungen der Normannen gewiß nur sehr spärliche und unzuverlässige Nachrichten bis nach Spanien und Portugal. Allem Anscheine nach wissen wir heutzutage hiervon weit mehr als die Zeitgenossen Columbus'. Kamen dem genuesischen Seemanne derlei Gerüchte zu Ohren, so stellte er sie jedenfalls mit den Anzeichen zusammen, die ihm bei den Inseln des Grünen Vorgebirges in die Augen fielen, und er verband sie wohl auch mit seinen classischen Erinnerungen von der fabelhaften Insel Antilia und der Atlantis Plato's. Die Uebereinstimmung solcher Andeutungen von den verschiedensten Seiten erzeugte in ihm jedenfalls die Gewißheit, daß man den Orient auch auf dem Wege nach Westen werde erreichen können. Doch wie dem auch sei, sein Ruhm bleibt ungeschmälert; er ist der eigentliche Entdecker von Amerika, nicht Jene, die der Zufall oder Sturm dahin verschlug, ohne die Absicht nach den Küsten Asiens zu gelangen, wie der große Columbus, dem Amerika nur den vorausgeahnten Weg versperrte.

Die Nachrichten, welche wir über die Familie Cortereal zu geben vermögen, sind, wenn auch weit vollständiger als die Angaben der biographischen Lexica, doch noch immer sehr oberflächlich und unbestimmt. Wir müssen uns jedoch damit begnügen, denn bis jetzt hat die Geschichtsforschung noch nicht mehr über dieses kühne Seefahrer-Geschlecht zu Tage gefördert.

Joao Vaz Cortereal war der Bastard eines Edelmannes Namens Vasco Annes da Costa, der wegen des prahlerischen Aufwandes seines Hauses und seiner Dienerschaft vom Könige von Portugal den Spottnamen Cortereal erhalten hatte. Wie so viele andere Edelleute seiner Zeit abenteuerlichen Seereisen zugethan, soll Joao Vaz in Galicien ein junges Mädchen, Namens Maria de Abarea, entführt haben, mit der er sich vermählte.

[414] Nachdem er längere Zeit eine Anstellung als Hussier des Infanten Don Fernand gehabt, schickte ihn der König mit Alvaro Martins Homen auf den nördlichen Atlantischen Ocean hinaus. Die beiden Seefahrer sollen da in Sicht einer Insel gekommen sein, welche seit jener Zeit mit dem Namen Terra das Bacalhaos, d. i. Stockfischland, bezeichnet wurde, und welche wahrscheinlich zu Neufundland gehörte. Die Zeit dieser Entdeckung ist wenigstens annähernd dadurch festzustellen, daß sie bei der Rückkehr in Terceira landeten, und, da die dortige Statthalterschaft durch Jacome de Bruges' Ableben gerade erledigt war, bei der Infantin Doña Brites, der Witwe des Infanten Don Fernand, um diese Stelle anhielten, welche sie ihnen unter der Bedingung verlieh, daß Beide dieselbe gemeinschaftlich einnähmen, eine Thatsache, die noch durch eine Schenkungsurkunde aus Evora vom 2. April 1464 bestätigt wird.

Ohne die Authencität dieser Entdeckung Amerikas verbürgen zu können, steht doch so viel fest, daß sich die Fahrt Cortereal's durch irgend ein besonderes Vorkommniß ausgezeichnet haben muß. Man pflegte mit großartigen Schenkungen nur Diejenigen zu belohnen, welche der Krone hervorragende Dienste geleistet hatten.

Nach seiner Niederlassung in Terceira ließ sich Vaz Cortereal in der Zeit von 1490 bis 1497 in der Stadt Angra einen prachtvollen Palast erbauen, den er mit seinen drei Kindern bewohnte. Gaspard, sein dritter Sohn, der zuerst im Dienste des Königs Emanuel stand, als dieser noch Herzog von Beja war, fühlte sich schon in frühen Jahren zu denselben wagehalsigen Unternehmungen hingezogen, welche den Ruhm seines Vaters begründet hatten. Durch einen aus Cintra vom 12. März 1500 datirten Erlaß machte der König Emanuel Gaspard Cortereal die Inseln und das Festland zum Geschenk, die er werde entdecken können, wobei der König noch sonderbarer Weise hinzufügte, daß »er jene schon früher auf seine eigenen Kosten aufzufinden versucht habe«.

Höchst wahrscheinlich beabsichtigte er seine Untersuchungen in der Richtung hin vorzunehmen, wo sein Vater die Stockfischinsel aufgefunden hatte.


Karte der Entdeckungen der Cabot's (Vater und Sohn).

Er rüstete also, wenn auch mit der Hilfe des Königs, doch in der Hauptsache auf eigene Kosten zu Anfang des Sommers 1500 zwei Schiffe aus, lief zuerst in den [415] [417]Hafen von Terceira ein und segelte von hier aus nach Nordwesten. Zuerst entdeckte er ein Land, dessen pflanzenreiches, frischgrünes Aussehen ihn sehr bestochen haben mag. Es war das Canada. Er fand hier einen großen Strom, der Eisschollen herabwälzte, den St.-Lorenzo, den einige seiner Begleiter für einen Meeresarm hielten und dem er den Namen Rio-Nevado gab. »Der Ausfluß desselben ist so beträchtlich, daß dieses Land gewiß keine Insel sein kann, ohne darauf Rücksicht zu nehmen, daß [417] jenes eine sehr starke Schneedecke tragen muß, um einen solchen gewaltigen Wasserlauf speisen zu können.«

Die Häuser in der Nähe waren aus Holz erbaut und mit Fellen und Häuten bedeckt. Das Eisen kannten die Bewohner derselben nicht, sondern bedienten sich als Hiebwaffen scharfkantiger Steine, während ihre Pfeile mit spitzigen Fischknochen oder ähnlich geformten Steinen bewehrt erschienen. Groß von Gestalt und wohl gebaut, hatten sie Gesicht und Körper mit bunten Farben bemalt, trugen Armbänder aus Gold oder Kupfer und eine Kleidung aus Pelzfellen.

Cortereal setzte seine Fahrt weiter fort und gelangte zum Cap der »Bacalhaos, einer Fischart, die sich hier in so beträchtlicher Menge tummelte, daß die Caravellen kaum vorwärts kommen konnten«. Dann folgte er der Küste in einer Ausdehnung von zweihundert Meilen, vom 56. bis zum 60. Breitengrade und viel leicht noch höher hinauf, und bezeichnete die Inseln, Ufer und Golfe, die er fand, wie Terra do Labrador, Bahia de Conceiçao u.s.w., wobei er wiederholt an's Land ging und sich mit den Ureinwohnern in Verbindung setzte. Die sehr strenge Kälte und ein Strom ungeheuerer Eismassen verhinderten das Geschwader, noch höhere Breiten zu erreichen, und so kehrte es, mit siebenundfünfzig Eingebornen an Bord, nach Portugal zurück.

Sobald er heimgekommen, erhielt Gaspard Cortereal, auf einen vom 15. April 1501 datirten Befehl, neuen Proviant und verließ Lissabon schon wieder am 15. Mai 1501, in der Hoffnung, den Kreis seiner Entdeckungen noch zu erweitern. Von dieser Zeit ab hörte man jedoch von ihm niemals wieder. Sein Bruder, Michel Cortereal, der erste Huissier des Königs, erhielt dann auf seine Bitte die Erlaubniß, nach jenem zu suchen und sein Unternehmen weiter zu führen. Durch ein Handschreiben vom 15. Januar 1502 wurde ihm die Hälfte der Inseln und des festen Landes, die sein Bruder entdeckt haben könnte, als Geschenk zugesichert. Am 10. Mai lichteten Michel Cortereal's drei Schiffe die Anker. Der Führer gelangte mit denselben glücklich nach Neufundland, wo er sein kleines Geschwader theilte, damit jedes Schiff für sich Nachforschungen anstellen könnte, und bestimmte auch einen Punkt als Stelldichein. Zur festgesetzten Zeit erschien er selbst hier aber nicht, und so schlugen die beiden anderen Schiffe, nachdem sie ihn bis zum 20. August vergeblich erwartet, den Rückweg nach Portugal ein.


Sebastian Cabot. (Facsimile. Alter Kupferstich.) (S. 419.)

Im Jahre 1503 schickte der König nochmals zwei Caravellen aus, um [418] Auskunft über die beiden Brüder zu erlangen; ihre Nachforschungen blieben jedoch erfolglos und sie kamen zurück, ohne das mindeste erfahren zu haben.

Auf diese traurige Nachricht hin beschloß der letzte der Gebrüder Cortereal, Vasco Annes, welcher Kapitän, Statthalter der Inseln St. Georg und Terceira und Alcalde der Stadt Tavilla war, auf seine Kosten ein Schiff auszurüsten und zur Aufsuchung seiner Brüder auszuziehen. Dem widersetzte sich aber der König aus Furcht, auch den Letzten des Hauses, das ihm so hervorragende Staatsdiener gegeben, bei einem solchen Unternehmen einzubüßen.

Auf den Karten jener Zeit findet man Canada oft mit dem Namen Terra des Cortereales bezeichnet, ein Name, der nicht selten auch für weit tieferliegende Gebiete angewendet wird und dann einen großen Theil Nordamerikas umfaßt.

Alle Nachrichten über Johann und Sebastian Cabot lagen noch bis auf die neueste Zeit sehr im Dunkel, das auch jetzt noch nicht völlig zerstreut ist, trotz der gewissenhaftesten Studien des Amerikaners Biddle, 1831, des Franzosen Avezac und des Engländers Nicholls, 1869, der unter Benutzung alles dessen, was er den Archiven Englands, Spaniens und Venedigs entlehnte, eine zwar hervorragende, doch nach manchen Seiten hin anfechtbare Arbeit geliefert hat. Den Werken der beiden Letztgenannten entnehmen wir auch die Unterlagen zu dieser kurzen Darstellung, vorzüglich aber der Arbeit Nicholls', der unter Benutzung des Avezac'schen Buches das ganze Leben Sebastian Cabot's schildert.

Man ist weder über den Namen, noch über die Nationalität Johann Cabot's einig, noch weniger über das richtige Datum seiner Geburt. Johann Cabota, Caboto oder Cabot soll, wenn nicht in Genua selbst, wie Avezac behauptet, doch in der Nähe dieser Stadt, vielleicht in Castiglione, etwa zu Ende des ersten Viertels im 15. Jahrhundert geboren sein. Einige Geschichtsschreiber machen aus ihm allerdings einen Engländer, und die nationale Eigenliebe hat wohl ihren Theil daran, wenn Nicholls sich dieser Meinung anschloß, wenigstens scheint das aus den von ihm gebrauchten Ausdrücken [419] hervorzugehen. Unzweifelhaft weiß man nur, daß Johann Cabot nach London kam, um Handelsgeschäfte zu betreiben, und sich bald darauf in Bristol, damals der zweiten Stadt des Königreichs, und zwar in einer der Vorstädte niederließ, welche den Namen Cathay (China) erhalten hatte, gewiß wegen der vielen Venetianer, welche darin wohnten, und wegen der Handelsbeziehungen, die diese mit den Ländern des fernsten Ostens unterhielten. Hier wären dann auch die beiden letzten Kinder Cabot's, Sebastian und Sanche, geboren worden, wenn man dem alten Chronisten Eden glauben darf, was er darüber äußert: »Sebastian Cabot sagte mir, daß er in Bristol geboren, im Alter von vier Jahren mit seinem Vater nach Venedig gekommen und wenige Jahre später mit ihm wieder nach England zurückgekehrt sei, weshalb man vielfach Venedig für seine Vaterstadt gehalten habe.« Im Jahre 1476 befand sich Johann Cabot bestimmt abermals in Venedig und erhielt daselbst am 29. März ein Naturalisations-Patent, wodurch bewiesen wird, daß er nicht aus derselben Stadt gebürtig sein konnte und diese Ehre wahrscheinlich durch wichtige Dienste zum Nutzen der Republik verdient haben mochte. Avezac neigt sich zu der Annahme, daß jener zuerst Kosmographie und Schifffahrtskunde getrieben habe, vielleicht gar zusammen mit dem berühmten Florentiner Paul Toscanelli, von dem er dann die damalige Theorie von der Vertheilung der Länder und Meere auf der Erdkugel kennen gelernt hätte. Dabei konnte er wohl auch von dem im Atlantischen Ocean gelegenen Inseln, Namens Antilia, das Siebenstädteland oder Brasilien, reden gehört haben. Beglaubigter ist aber, daß seine Handelsgeschäfte ihn nach der Levante, man sagt sogar bis Mekka führten, und daß er dort nähere Kunde von den Ländern erhielt, aus denen die Gewürze, damals der wichtigste Handelsartikel Venedigs, herstammten.

Wie dem nun auch sei, jedenfalls begründete Cabot in Bristol ein sehr großes Handelshaus. Sein Sohn Sebastian, der durch die ersten Reisen schon am Seeleben Geschmack gewann, unterrichtete sich emsig in allen Zweigen der Schifffahrtskunde und machte einige Fahrten über den Ocean, um seine erworbenen theoretischen Kenntnisse durch praktische Erfahrungen zu vervollständigen. »Seit sieben Jahren schon, schreibt der spanische Gesandte in einer Depesche vom 25. Juli 1498 bei Gelegenheit einer von Cabot geführten Expedition, rüsten diese Kaufleute aus Bristol zwei, drei, auch vier Caravellen aus, um nach der Insel Brasilien oder den Sieben Städten, je nach dem[420] Gutdünken jener Genuesen, zu segeln.« Zu jener Zeit erregten Columbus' großartige Entdeckungen eben das gewaltigste Aufsehen in ganz Europa. »Da regte sich in mir, sagt Sebastian Cabot in einem von Ramusio überlieferten Schriftstücke, der lebhafteste Wunsch, ja, ein brennendes Verlangen, mich durch etwas Aehnliches hervorzuthun, und da ich von der Anordnung unserer Erdkugel her wußte, daß ich, nach Westen segelnd, schneller als auf dem bisherigen Wege nach Indien gelangen müßte, legte ich Sr. Majestät meine Pläne vor und erfreute mich der schmeichelhaftesten Anerkennung.« Der König, an den sich Cabot wendete, war derselbe Heinrich VII, der wenige Jahre früher Christoph Columbus jede Unterstützung verweigert hatte. Es liegt auf der Hand, daß er das Project Johann und Sebastian Cabot's jetzt günstiger aufnahm, denn wenn Sebastian auch in dem oben citirten Fragmente allein die Ehre von dieser Unternehmung für sich zu beanspruchen scheint, so steht doch außer allem Zweifel, daß sein Vater der erste geistige Urheber derselben war, wie es auch das nachfolgende Patent, das wir im Auszuge mittheilen, hinlänglich beweist: »Wir, Heinrich... gestatten hiermit unserem lieben, getreuen Johann Cabot, Bürger der Stadt Venedig, und seinen Söhnen Louis, Sebastian und Sanche, unter unserer Flagge und mit fünf Fahrzeugen, deren Tonnengehalt und Mannschaft sie nach bestem Ermessen bestimmen mögen, auf eigene Kosten und Gefahr zur Entdeckung neuer Länder auszuziehen.... wir ermächtigen und bestätigen sie, sowie ihre Nachkommen und Rechtsnachfolger, zur Eroberung und im Besitze derselben .... unter der Bedingung, uns von den Erträgnissen, Vortheilen und Beneficien, welche sie durch dieses Unternehmen erlangen, in Gold oder Waaren ein Fünftel zu zahlen, und das auch von jeder späteren Reise, wenn sie nach dem Hafen von Bristol – welchen Hafen sie stets zuerst anzulaufen verpflichtet sein sollen – zurückkehren.... versprechen und versichern ihnen daß sie, ihre Erben und Rechtsnachfolger für immer von allen Zöllen befreit bleiben werden für die Waaren, die sie aus den neu entdeckten Ländern heimbringen.... verordnen und befehlen allen unseren Unterthanen zu Wasser und zu Lande, genannten Johann und seinen Söhnen bereitwillig Hilfe zu leisten.... Gegeben in... am 5. März 1495.«

So lautet das Patent, welches für Johann Cabot und seine Söhne bei ihrer Rückkehr von Amerika, nicht, wie verschiedene Schriftsteller wollen, vor dieser Reise ausgefertigt wurde. Sobald die Nachricht von Columbus' [421] glücklicher Entdeckung nach England drang, d.h. wahrscheinlich 1493, rüsteten Johann und Sebastian Cabot auf eigene Unkosten eine Expedition aus und segelten zu Anfang des Jahres 1494 mit der Absicht ab, Cathay und von da aus Indien zu erreichen. Es kann hierüber kein Zweifel obwalten, denn in der National-Bibliothek zu Paris wird noch jetzt das einzige Exemplar einer im Jahre 1544, also noch zu Lebzeiten Sebastian Cabot's, gestochenen Karte aufbewahrt, welche über diese Reise und das bestimmte Datum der Entdeckung des Cap Breton Aufschluß giebt.

Wahrscheinlich verschuldeten die Winkelzüge des spanischen Gesandten die Verzögerung der Expedition Cabot's, denn das Jahr 1496 verlief vollständig, ohne daß jene zu Stande kam.

Erst im folgenden Jahre reiste derselbe zu Anfang des Sommers ab. Nachdem er die Terra Prima-Vista zu Gesicht bekommen, segelte er längs der Küste weiter, die er zu seinem großen Bedauern immer nach Norden verlaufen sah. »Vergeblich folgte ich derselben weiter, um vielleicht eine Durchfahrt aufzufinden, und gelangte dabei bis zum 56. Grade der Breite. Hier sprang das Land gar nach Osten zu vor, so daß ich an meinem Vorhaben verzweifelte. Ich drehte nun um und steuerte nach dem Wendekreise zu, um die Küste nach dieser Seite hin zu erforschen und vielleicht hier einen offenen Seeweg nach Indien zu finden; dabei gelangte ich zu dem Lande, das man jetzt Florida nennt, mußte mich nun aber, wegen beginnenden Mangels an Nahrungsmitteln, zur Rückkehr nach England entschließen.« Den Bericht, dessen Anfang wir im Obigen mittheilten, erstattete Cabot an Fracastor erst vierzig bis fünfzig Jahre nach den Ereignissen selbst. Es scheint deshalb auch weniger erstaunlich, ihn hierbei zwei Fahrten, die von 1(94 mit der von 1497 vermengen zu sehen. Fügen wir zu diesem Berichte noch einige Anmerkungen hinzu: Das zuerst gesehene Land war ohne Zweifel das Cap Nord, an der nördlichen Spitze der Insel Cap Breton, und die gegenüberliegende Insel die Prinz-Eduards-Insel, welche auch lange Zeit hindurch St. Johann hieß. Cabot drang wahrscheinlich in die Mündung des St.-Lorenzo, den er für einen Meeresarm hielt, bis in die Nähe des heutigen Quebec ein und folgte der Nordküste des Golfes, so daß er die nach Osten verlaufenden Gestade Labradors wohl gar nicht gesehen hat. Er hielt Terra Nova (d. i. Neufundland) für eine Inselgruppe und setzte seinen Weg nach Süden, nicht nach Florida, wie er selbst sagt – denn die Dauer der Fahrt[422] widerspricht schon allein einer solchen Annahme – sondern nur bis zur Cheasapeaka-Bai fort. Die Länder in diesen Breiten nämlich sind es, welche die Spanier später »Terra de Estevam Gomez« nannten.

Am 3. Februar 1489 unterzeichnete König Heinrich VII. in Westminster neue Patentbriefe. Er autorisirte Johann Cabot oder seinen gebührend bevollmächtigten Stellvertreter, in den Häfen Englands sechs Fahrzeuge von je 200 Tonnen auszuwählen, Seeleute, Schiffsjungen und Hilfspersonal zu heuern, so viele eben sich freiwillig entschließen würden, ihm nach den unentdeckten Ländern und Inseln zu folgen, und die nöthigsten Ausrüstungsgegenstände für den nämlichen Preis wie die Krone einzukaufen. Johann Cabot bestritt selbst die Kosten für zwei Fahrzeuge, während drei andere mit den Kapitalien der Kaufleute von Bristol fertig gestellt wurden.

Aller Wahrscheinlichkeit hinderte Johann Cabot ein unerwarteter, plötzlicher Tod, die Führung der Expedition zu übernehmen. Sein Sohn Sebastian befehligte also die Flotte, welche dreihundert Mann und Lebensmittel für die Zeit eines Jahres mitnahm. Nachdem er unter dem 45. Grade in Sicht des Landes gekommen, folgte Sebastian Cabot der Küste bis zum 58. Breitengrade und vielleicht noch höher hinauf; dann wurde es aber so kalt und man begegnete so vielem Treibeise, daß es sich von selbst verbot, weiter nach Norden vorzudringen. Die Tage daselbst waren sehr lang und die Nächte auffallend hell, eine wegen der Bestimmung der Breite interessante Angabe, denn wir wissen, daß unter dem 60. Breitengrade die längsten Tage achtzehn Stunden dauern. Die eben angeführten Gründe bestimmten also Sebastian Cabot zu wenden und er berührte bald die Bacalhaos-Inseln, deren mit Thierfellen bekleidete Bewohner Bögen und Pfeile, Lanzen, Wurfspieße und hölzerne Schwerter als Waffen führten. Die Seefahrer singen hier eine große Menge Stockfische, welche, einem alten Berichte nach, so zahlreich vorhanden sein sollten, daß sie ein Schiff im Laufe aufhielten. Nach Untersuchung der amerikanischen Gestade bis herab zum 38. Grade, schlug Cabot den Weg nach England wieder ein, wo er Anfangs Herbst anlangte.

Diese Expedition verfolgte zwar den dreifachen Zweck der Länderentdeckung, des Handels und der Kolonisation, wie es aus der Zahl der Schiffe und der Stärke der Besatzung hervorgeht. Es scheint jedoch nicht so, als habe Cabot irgend Jemand ausgeschifft oder einen Niederlassungsversuch in Labrador oder der Hudsons-Bai gemacht, die er im Jahre 1517, unter der Regierung Heinrich's VIII., eingehender kennen lernen sollte, noch auch im Süden von den Bacalhaos-Inseln, welche Gebiete man im Allgemeinen als Neufundland bezeichnet.


Cabot führte den Vorsitz bei einer Versammlung von Kosmographen. (S. 427.)

Nach dieser fast vollständig fruchtlosen Expedition verlieren wir Sebastian Cabot bis zum Jahre 1517, wenn auch nicht ganz, doch soweit aus dem Gesicht, [423] daß die Nachrichten über seine Thaten und Reisen nur sehr spärlich fließen. Im Mai 1499 hatte Hojeda, dessen verschiedene Unternehmungen wir schon früher schilderten, Spanien verlassen.


Chancellor durch den Czar empfangen. (S. 434.)

Wir wissen, daß er auf dieser Reise in Caquibaco an der Küste Amerikas einem Engländer begegnete. Sollte das Cabot gewesen sein? Es herrscht über diese [424] Frage zwar völlige Unsicherheit, und doch muß man wohl glauben, daß jener nicht müßig gelegen, [425] sondern gewiß eine neue Reise unternommen haben wird. Wir wissen nur, daß der König von England, ohne Rücksicht auf die gegen Cabot eingegangenen feierlichen Verpflichtungen, mehreren Portugiesen und einigen Kaufleuten von Bristol in den von jenem entdeckten Ländern gewisse Handelsprivilegien zugestand. Diese unedle Art und Weise, geleistete Dienste zu belohnen, verletzten unseren Seefahrer und bestimmten ihn, die wiederholten Anerbietungen, in spanische Dienste zu treten, nun anzunehmen. Seit dem Ableben Vespucci's, im Jahre 1519, war Cabot zweifelsohne der berühmteste Reisende. Um ihn an sich zu fesseln, schrieb Ferdinand also am 13. September 1512 an Lord Willoughby, den Befehlshaber der nach Italien übergeführten Truppen, und beauftragte diesen, mit dem Venetianer zu verhandeln.

Bei seiner Ankunft in Castilien erhielt Cabot durch ein Handschreiben vom 20. October 1512 den Grad eines Kapitäns mit 5000 Maravedis Gehalt. Als Wohnsitz ward ihm Sevilla angewiesen, bis sich Gelegenheit bieten würde, seine Kenntnisse und reichen Erfahrungen zu verwenden. Er sollte eben den Oberbefehl einer bedeutenden Expedition übernehmen, als Ferdinand der Katholische am 21. Januar 1516 mit Tod abging. Cabot kehrte sofort nach England zu rück, wahrscheinlich nachdem er einen regelrechten Urlaub empfangen hatte.

Eden theilt mit, daß Cabot im folgenden Jahre mit Sir Thomas Pert das Commando einer Flotte erhalten habe, welche auf nordwestlichem Wege nach China segeln sollte.

Am 11. Juni befand er sich in der Hudsons-Bai unter 671/2° nördlicher Breite; das eisfreie Meer erstreckte sich so weit hinaus, daß eine glückliche Durchführung des Unternehmens in Aussicht schien, als die Furchtsamkeit seines Mitbefehlshabers und die Feigheit und Meuterei der Mannschaften, welche weiter zu segeln verweigerten, ihn nöthigten, nach England umzukehren. In seinem Theatrum orbis terrarum bringt Ortelius eine Karte der Hudsons-Bai, welche deren Gestalt ganz richtig wiedergiebt und an ihrem nördlichen Ende eine nach Norden verlaufende Meerenge andeutet. Woher besaß der Geograph die hierzu nöthigen genauen Unterlagen? Wer anders, sagt Nicholls, soll ihm dieselben geliefert haben, wenn nicht Cabot?

Bei seiner Rückkehr nach England fand Cabot dieses von einer furchtbaren Pest verwüstet, welche alle Handelsthätigkeit lahm legte. Mochte nun sein Urlaub verstrichen sein oder er der gefährlichen Geisel entfliehen [426] wollen, oder rief man ihn endlich nach Spanien zurück, jedenfalls traf er bald wieder in diesem Lande ein. Am 5. Februar 1518 wurde Cabot zum Piloto Major ernannt, mit einem Gehalte, der unter Hinzurechnung seiner übrigen Einkünfte 125.000 Maravedis oder gegen 7500 Mark erreichte. Sein eigentliches Amt übte er jedoch erst aus nach der Rückkehr Karl's V. von England. Es lag ihm nämlich ob, die Piloten zu prüfen, denen man nicht gestattete, nach Indien zu gehen, bevor sie nicht dieses Examen abgelegt hatten.

Großen Seeunternehmungen war die Zeit nicht günstig. Der zwischen Spanien und Frankreich ausgebrochene Krieg verzehrte beiden Ländern alle Hilfsquellen an Menschen und Geldmitteln. Cabot, dessen eigentliche Heimat vielmehr die Wissenschaft war, als irgend ein bestimmtes Land, wendete sich jetzt deshalb an den Gesandten Venedigs, Contarini, mit dem Angebote, bei der Flotte der Republik einzutreten; als hierauf jedoch die zustimmende Antwort des Rathes der Zehn eintraf, hatte er schon andere Pläne im Kopfe und ließ also die frühere Absicht fallen.

Im April 1524. führte Cabot den Vorsitz bei einer Versammlung von Seeleuten und Kosmographen, welche in Bajadoz zur Entscheidung der Frage zusammentrat, ob in Folge des berühmten Vertrages von Torsedillas die Molukken Spanien oder Portugal angehörten. Am 31. Mai wurde entschieden, daß die Molukken zwanzig Grade innerhalb der Grenze der spanischen Gewässer lägen. Vielleicht beeinflußte dieser Ausspruch der Junta, der Spanien einen großen Theil des Gewürzhandels überwies, den bald darauf veröffentlichten Beschluß des Rathes für Indien, in Folge dessen im September des nämlichen Jahres Cabot mit dem Titel eines General-Kapitäns der Befehl über drei Schiffe von je 100 Tonnen und eine kleine Caravelle, mit zusammen 150 Mann Besatzung, übertragen wurde.

Der ausgesprochene Zweck der Reise ging dahin, durch die Magellan-Straße zu fahren, die Westküsten Amerikas sorgfältig aufzunehmen und nach den Molukken zu segeln, wo man für die Rückfahrt eine Ladung Gewürze einnehmen sollte. Schon im August 1525 sollte die Abreise stattfinden, die Intriguen Portugals wußten dieselbe jedoch bis zum April 1526 zu verzögern.

Verschiedene Umstände traten beim Antritt der Fahrt als schlimme Vorzeichen derselben auf. Cabot besaß nur eine nominelle Autorität, und [427] der Verein von Kaufleuten, der die Unkosten der Ausrüstung getragen und ihn nicht aus freiem Willen zum Anführer bestellt hatte, wußte Mittel zu finden, alle Pläne des venetianischen Seefahrers zu kreuzen. So drängte man ihm z.B. an Stelle Desjenigen, den er als Unterbefehlshaber auswählte, einen Anderen auf und händigte jedem Kapitän Instructionen ein, deren Siegel erst auf offenem Meere gelöst werden durften. Sie enthielten unter Anderem auch die wahnwitzige Bestimmung, daß den General-Kapitän im Falle seines Todes elf Individuen der Reihe nach ersetzen sollten. Glich diese Vorschrift nicht geradezu einer Ermunterung zum Meuchelmord?

Kaum verlor man das Land aus dem Gesicht, als sich die Unzufriedenheit schon zeigte. Es entstand das Gerücht, der Kapitän sei diesem Unternehmen nicht gewachsen; da man bald einsah, daß ihn derlei Verleumdungen nicht berührten, behauptete man, auf der Flotte herrsche Knappheit an Proviant. Die Meuterei kam zum offenen Ausbruche, als man wieder an's Land kam; Cabot war aber nicht der Mann dazu, sich kleinmüthig einschüchtern und unterdrücken zu lassen; er hatte von der verächtlichen Handlungsweise Thomas Pert's zu schwer gelitten, um jetzt eine Mißachtung seiner Autorität zu dulden. Um das Uebel an der Wurzel zu fassen, bemächtigte er sich der meuchlerischen Kapitäne und ließ sie, trotz ihres großen Namens und früher geleisteter Dienste, am Lande aussetzen. Bier Monate später erst glückte es ihnen, von einer portugiesischen Expedition wieder aufgenommen zu werden, welche ausgesandt schien, die Absichten Cabot's zu vereiteln.

Der venetianische Seefahrer drang hierauf in den Rio de la Plata ein, dessen Untersuchung sein Vorgänger de Solis als Piloto Major begonnen hatte. Die Expedition bestand jetzt nur noch aus zwei Schiffen, da eines während der Reise verloren gegangen war. Cabot segelte den »Silberstrom« hinauf und entdeckte eine Insel, welche er Franz Gabriel nannte und auf der er ein Fort erbaute, in dem Antonio de Grajeda das Commando übernahm. Mit einer seiner Caravellen, von der der Kiel entfernt worden war, begab sich Cabot, gezogen von den Booten, auf den Parana, errichtete am Zusammenflusse des Carcarama und Terceiro ein zweites Fort und drang, nachdem er sich auf diese Weise seine Rückzugslinie gesichert, weiter in die genannten Wasserläufe ein. Bei der Vereinigung des Parana und Paraguay angelangt, folgte er dem zweiten, dessen Richtung seiner Absicht, nach dem Westen, der Productionsgegend des Silbers, zu gelangen, besser zu entsprechen schien.

[428] Inzwischen veränderte das Land sein Aussehen ebenso wie die Bewohner ihre bisherige Haltungsweise. Früher waren sie immer nur, erstaunt über den Anblick der Schiffe, zusammengelaufen; an den cultivirteren Ufern des Paraguay aber widersetzten sie sich entschlossen jeder Landung der Fremdlinge, und als drei Spanier versucht hatten, Früchte von einer Palme herabzuholen, kam es zu einem ernsthaften Kampfe, in dem dreihundert Eingeborne das Leben einbüßten, während auch fünfundzwanzig Spanier kampfunfähig gemacht wurden. Das war Cabot zu viel; schnell brachte er seine Verwundeten im Fort San Spirito unter und zog sich, unter Abwehrung immer wiederholter Angriffe, vorsichtig zurück.

Cabot hatte schon zwei seiner Untergebenen an den Kaiser geschickt, um diesem von der Widersetzlichkeit seiner Kapitäne und von den Gründen Meldung zu machen, die ihn gezwungen hatten, seine Reiseroute zu ändern, während er ihn gleichzeitig um Unterstützung durch Nachschub von Mannschaften und Lebensmitteln ersuchte. Endlich traf die Antwort ein. Der Kaiser billigte Cabot's Maßnahmen, befahl ihm, das Land, in dem er sich aufhielt, zu kolonisiren, sandte aber weder einen Mann, noch einen Maravedi zu Hilfe. Cabot versuchte nun, sich im Lande selbst die nöthigsten Hilfsquellen zu erschließen, und machte einige schüchterne Anfänge zur Cultur des Bodens. Um seine Truppen in Athem zu erhalten, unterwarf er sich die benachbarten Volksstämme, legte verschiedene Befestigungen an und zog in's Land hinein bis Potosie und zu den Wasserläufen der Anden, welche das Atlantische Becken speisen. Endlich traf er Vorbereitungen, bis Peru vorzudringen, von woher das Gold und Silber stammte, das er im Besitz der Eingebornen sah; zur Eroberung so ausgedehnter Gebiete bedurfte er jedoch einer stärkeren Truppenmacht, als er zusammenbringen konnte. Auch der Kaiser war freilich außer Stande, mehr Soldaten zu senden. Die Kriege in Europa erschöpften seine Hilfsquellen, die Cortes verweigerten weitere Geldmittel und die Molukken hatte sich gar Portugal schon angeeignet. Nachdem er unter so mißlichen Umständen fünf Jahre hindurch im Lande ausgehalten, immer in Erwartung der Hilfe, welche niemals eintreffen sollte, ließ Cabot seine Niederlassungen zum Theile räumen, und kehrte mit der größeren Anzahl seiner Leute nach Spanien zurück. Der Rest, nämlich hundertfünfundzwanzig Mann, der zur Bewachung des Forts San-Spirito zurückgeblieben war, kam nach vielen Wechselfällen, deren Erzählung uns hier zu weit führen würde, entweder von [429] der Hand der Indianer um oder mußte sich nach der Küste Brasiliens in die portugiesischen Niederlassungen flüchten. Von den Pferden, welche Cabot mitgebracht hatte, stammt die ausgezeichnete wilde Pferde-Race her, die heute in zahlreichen Heerden die Pampas von La Plata durchschwärmt, das ist aber auch das einzige dauernde Resultat dieser Expedition.

Bald nach seinem Wiedereintreffen in Spanien verzichtete Cabot auf seine Stellung und ließ sich wieder in Bristol nieder, gegen 1548, d. h. zu Anfang der Regierung Eduard's VI. Was die Veranlassung zu diesem Wechsel gewesen, ob Cabot unwillig darüber geworden, daß man ihn während obiger Expedition ganz auf seine eigenen Kräfte beschränkt gelassen hatte, oder er sich durch die Art und Weise, seine Dienste zu belohnen, beleidigt gefühlt, davon wissen wir nichts Zuverlässiges. Karl V. benutzte jedoch eiligst die Abreise Cabot's, um dessen Pension zu streichen, die Eduard VI. jenem allerdings ersetzte, indem er ihm jährlich 250 Mark, gleich etwas über 116 Pfund Sterling, eine für jene Zeit recht ansehnliche Summe aussetzte.

Der Stellung nach, welche Cabot in England einnahm, kann man ihn nur etwa als Marine-Intendanten bezeichnen, denn er hatte unter Autorität des Königs und des Stadtrathes die Aufsicht über Alles, was das Seewesen betraf. Er ertheilt Urlaub, examinirt die Piloten, setzt Instructionen für die Schiffer auf und entwirft die Seekarten, gewiß eine vielseitige Beschäftigung, für welche er, was ja selten vorkommen dürfte, die erforderlichen theoretischen und praktischen Kenntnisse wirklich besaß. Gleichzeitig unterrichtete er den jungen König in der Kosmographie, erläuterte ihm die Abweichung des Kompasses und wußte ihn für das Seewesen und den Ruhm zu gewinnen, der durch maritime Entdeckungen zu erwerben sei. Er nahm also eine hervorragende, in ihrer Art einzig dastehende Stellung ein. Cabot benutzte dieselbe zur Ausführung eines Projectes, das ihm schon lange am Herzen lag.

Jener Zeit gab es in England so gut wie gar keinen Welthandel. Die Hansestädte Antwerpen, Hamburg, Bremen u.s.w. beherrschten gänzlich den Verkehr. Diese Handelsgesellschaften hatten wiederholt für sich beträchtlich niedrigere Eingangszölle zu erlangen gewußt, bis sie den Handel Englands endlich ganz monopolisirten. Cabot meinte nun, die Engländer besäßen so gut wie jene das Zeug dazu, Fabrikanten zu werden, und die schon mächtige Marine des Landes werde ausgezeichnete Dienste leisten können, die Erzeugnisse [430] des Bodens und der Gewerbthätigkeit auszuführen. Weshalb zu Fremden seine Zuflucht nehmen, wenn man sich selbst genug war? War es auch noch nicht gelungen, China und Indien auf nordwestlichem Wege zu erreichen, warum sollte man diesen Versuch nicht auf nordöstlichem Wege wagen? Und selbst, wenn dieser nicht zum gewünschten Ziele führte, konnte man dabei nicht vielleicht auf weit handelsthätigere, civilisirtere Völkerschaften treffen, als jene elenden Eskimos der Gestade von Labrador und Neufundland? Cabot rief in London eine Versammlung der hervorragendsten Kaufleute zusammen, welche sich nach Anhörung seiner Pläne zu einer Gesellschaft vereinigten und ihn am 14. December 1551 zum lebenslänglichen Vorsitzenden derselben ernannten. Gleichzeitig suchte er eifrig auf den König einzuwirken und setzte auch, als er ihm die Nachtheile des Handelsmonopols der Ausländer für seine eigenen Unterthanen klar dargelegt, am 23. Februar 1552 die Aufhebung desselben durch, womit er die Praxis des Freihandels eigentlich in's Leben rief.

Die Gesellschaft der englischen Händler, welche den Namen der »Abenteuer-Fahrer« annahm, beeilte sich nun, Schiffe bauen zu lassen, die für die schwierigere Fahrt in den arktischen Meeren geeignet wären. Die erste von Cabot eingeführte Verbesserung der englischen Marine bestand in der Verdoppelung des Kieles, ein Verfahren, das er in Spanien gesehen, das sich in England aber noch nicht verbreitet hatte.

In Deptford vereinigte man eine Flotte von drei Fahrzeugen. Es waren das die »Buona-Speranza«, deren Führung Sir Hugh Willoughby, einem unerschrockenen kriegsgeübten Edelmanne, anvertraut wurde; die »Buona-Confidencia«, Kapitän Corvil Durforth, und die »Buonaventure«, Kapitän Richard Chancellor, ein gewandter Seemann und specieller Freund Cabot's, der den Titel des Ober-Steuermannes erhielt. Segelmeister der Buonaventure« war Stefan Burrough, ein durchgebildeter Seefahrer, der noch viele Male die nordischen Meere besuchen und später General-Pilot Englands werden sollte.

Wenn das vorgerückte Lebensalter und seine wichtigen Aemter Cabot verhinderten, sich selbst an die Spitze der Expedition zu stellen, so ließ er es sich doch angelegen sein, alle Details der Ausrüstung zu überwachen.


Schiffbruch des »Buonaventure«. (S. 435.)

Er entwarf sogar Instructionen, die sich bis auf unsere Zeit erhalten haben und die Klugheit und Geschicklichkeit dieses hervorragenden Seefahrers erkennen lassen. Er empfiehlt den Gebrauch des Logs, eines Instrumentes [431] zur Messung der Fahrgeschwindigkeit eines Schiffes, verlangt vor Allem die regelmäßige Führung eines Tagebuches über alle Vorkommnisse auf dem Meere, und dringt darauf, alle Nachrichten über den Charakter, die Sitten, Gewohnheiten und Hülfsquellen der etwa besuchten Völker und die Erzeugnisse der fremden Länder schriftlich niederzulegen. Den Eingebornen sollte man nicht gewaltthätig, sondern stets zuvorkommend begegnen.


Gestalt der neuen Erde. (Facsimile. Alter Kupferstich.)

[432] [434]Alles Fluchen und Schwören ebenso wie Trunkenheit ist streng zu bestrafen. Die Religionsübungen sind genau vorgeschrieben; Morgens und Abends soll ein Gebet abgehalten, einmal des Tages die heilige Schrift gelesen werden. Schließlich legt er Allen Frieden und Eintracht besonders an's Herz, erinnert die Kapitäne an die große Bedeutung ihres Unternehmens und die Ehre, welche es ihnen zu bringen verspricht, unter der Versicherung, daß er sein Gebet für den glücklichen Ausgang des gemeinschaftlichen Werkes mit dem ihrigen vereinigen werde.

Am 20. Mai 1553 ging das Geschwader unter Segel, im Beisein des Hofes, der in Greenwich, wohin große Volksmassen zusammengelaufen waren, zusammenkam, während der König selbst an den vorhergehenden Festen und Lustbarkeiten kränklichkeitshalber nicht theilnehmen konnte. Nahe den Lofoten, an der Küste Norwegens und etwa in der Höhe von Wardhöus, wurde das Geschwader von der »Buonaventure« getrennt. Vom Sturme fortgetrieben, gelangten Willoughby's beide Schiffe jedenfalls bis Novaja-Semlja, wurden hier aber durch Eismassen genöthigt, nach Süden hin umzukehren. Am 18. September liefen sie in einen von der Mündung des Argina-Flusses gebildeten Hafen des östlichen Lapplands ein. Noch etwas später riß ein anderer Sturm auch die »Buona Confidencia« von Willoughby's Seite und jene kehrte nach England zurück; den letzteren fanden russische Schiffer im folgenden Jahre mitten im Eise. Die gesammte Besatzung war vor Kälte umgekommen. Diese Annahme erweckt wenigstens das, von dem unglücklichen Willoughby bis Januar 1554 geführte Schiffsjournal.

Chancellor, der die beiden Schwesterschiffe vergeblich an dem für den Fall einer unfreiwilligen Trennung vorher als Sammelplatz bestimmten Punkte erwartet hatte, glaubte von ihnen überholt zu sein, segelte nun, nach Umschiffung des Nordcaps, in einen weiten Golf hinein, der kein anderer als das Weiße Meer ist, und landete an der Mündung der Dwina, nahe dem Kloster Sanct-Nikolaus, etwa an der Stelle, wo sich später die Stadt Archangel erheben sollte. Die Bewohner dieser öden Gebiete theilten ihm mit, daß ihr Land unter der Herrschaft des Großfürsten von Rußland stehe. Er beschloß sofort, sich, trotz der ungeheuren Entfernung, selbst nach Moskau zu begeben. Den Thron hatte damals der Czar Ivan IV. Wassiliewitch, mit dem Beinamen »der Schreckliche«, inne. Seit einiger Zeit hatten die Russen schon das Joch der Tataren abgeschüttelt und es war Ivan gelungen, die verschiedenen [434] kleinen Herrschaften zu einem Staatskörper zusammenzufassen, dessen Macht sich schon recht ansehnlich entwickelte. Die ausschließlich continentale Lage Rußlands, die Entfernung von jedem Meere, die Abgeschiedenheit von dem übrigen Europa, zu dem es kaum gehörte – so vererbte sich in seinen Sitten und Gewohnheiten die asiatische Herkunft – versprachen Chancellor den besten Erfolg. Der Czar, der die europäischen Waaren nur auf dem Wege über Polen beziehen konnte und seine Herrschaft gern bis zu den deutschen Meeren ausgestreckt hätte, sah sehr gerne den Versuch einer Handelsanknüpfung seitens der Engländer, welche beiden Theilen zum Nutzen gereichen mußte. Er empfing Chancellor nicht nur mit großer Höflichkeit, sondern machte ihm auch die vortheilhaftesten Anerbietungen, bewilligte ihm ausgedehnte Privilegien und ermuthigte ihn durch die größte Leutseligkeit, seine Reise zu wiederholen. Chancellor verkaufte seine Waaren mit Gewinn, nahm dafür eine Ladung Pelzwaaren, Robbenöl, Leberthran, Kupfer und andere Producte ein und kehrte mit einem Briefe des Czar nach England zurück. Der Gewinn, den diese erste Reise der Gesellschaft der Abenteuer-Fahrer einbrachte, ermunterte sie, eine zweite zu versuchen. Chancellor segelte also im folgenden Jahre nochmals nach Archangel und nahm dabei nach Rußland zwei Agenten der Gesellschaft mit, die mit dem Czar einen vortheilhaften Vertrag abschlossen. Auf dem Rückwege nach England brachte er dagegen einen von Ivan nach Großbritannien geschickten Gesandten neben dessen Gefolge mit. Von den vier Schiffen seiner damaligen Flotte ging eines an der Küste Norwegens zu Grunde, ein anderes beim Auslaufen aus Drontheim, und die »Buonaventure«, welche Chancellor selbst nebst dem Gesandten trug, versank in der Bai von Pitsligo an der Ostküste Schottlands am 10. November 1556. Chancellor ertrank bei diesem Schiffbruche, während es dem moskowitischen Gesandten gelang, sich zu retten; die Geschenke und Waaren, welche er nach England brachte, gingen jedoch alle verloren.

Das sind die Anfänge der englisch-russischen Handelscompagnie. Im Laufe der Zeit wurden sehr viele Fahrten nach denselben Stellen ausgeführt, doch liegt deren Aufzählung außerhalb des Rahmens unserer Aufgabe. Wir kehren also zu Cabot zurück.

Marie, die Königin von England, hatte bekanntlich Philipp II., König von Spanien, geheirathet. Als Letzterer nach England kam, zeigte er sich sehr übel gestimmt gegen Cabot, weil dieser den spanischen Dienst verlassen und [435] jetzt England zu einer Handelsthätigkeit verhalf, welche die schon ansehnliche Seemacht des Landes bald merkbar zu verstärken versprach. Es ist also nicht zu verwundern, daß Cabot schon acht Tage nach der Landung des Königs von Spanien gezwungen ward, auf seine Stellung und Pension zu verzichten, die ihm früher von Eduard VI. lebenslänglich zugesichert worden waren. An seine Stelle wurde Worthington berufen Nicholls glaubt, dieser nicht besonders ehrenfeste Mann, der mit den Gerichten schon mehrfach in Berührung gekommen war, habe den heimlichen Auftrag erhalten, aus den Plänen, Karten, Instructionen und Projecten Cabot's Alles auszuscheiden, was für Spanien nützlich sein zu können schien. Thatsächlich sind diese Documente bis heute verloren, wenn sie sich nicht in den Archiven von Simancas wiederfinden sollten.

Von diesem Zeitpunkt ab verliert die Geschichte den alten Seemann gänzlich aus den Augen. Dasselbe Geheimniß, welches über seine Geburt waltet, verschleiert auch den Ort und die Zeit seines Todes. Seine großartigen Entdeckungen aber, seine kosmographischen Arbeiten, die Studien über die Abweichung der Magnetnadel, seine Gelehrsamkeit, Menschlichkeit und fleckenlose Ehrenhaftigkeit sichern Sebastian Cabot jedoch für immer eine hervorragende Stelle unter den Entdeckungsfahrern aller Zeiten. Während sein Bild bis in unsere Tage von dem Dunkel und der Woge der Legende verhüllt blieb, verdankt es Cabot seinen Biographen Biddle, Avezar und Nicholls, besser erkannt und geschätzt und überhaupt in das rechte Licht gestellt worden zu sein.

2.
II.

Jean Verrazano. – Jacques Cartier und seine drei Reisen nach Canada. – Die Stadt Hochelaga. – Der Rauchtabak. – Der Scorbut. – Roberval's Reise. – Martin Frobisher und seine Fahrten. – John Davis. – Barentz und Heemskerke. – Der Spitzberg. – Ueberwinterung in Novaja-Semlja. – Rückkehr nach Europa. – Ueberreste von der Expedition.


Von 1492– 1524 hatte sich Frankreich, wenigstens officiell, von allen Entdeckungs- und Kolonisationsversuchen fern gehalten. Franz I. konnte aber unmöglich mit ruhigem Auge den Zuwachs an Macht seines Nebenbuhlers Karl's V. mit ansehen, der diesem durch die Eroberung Mexicos zu Theil [436] ward. Er beauftragte also den Venetianer Jean Verrazano, der in seinen Diensten stand, eine Entdeckungsreise zu unternehmen. Wir verweilen hierbei ein wenig länger, obwohl die gelegentlich dieser Fahrt berührten Orte schon früher mannigfach besucht worden waren, weil jetzt die Flagge Frankreichs zum ersten Male an der Küste der Neuen Welt entfaltet wurde. Diese Expedition gab übrigens auch Veranlassung zu den Fahrten Jacques Cartier's und Champlain's nach Canada, ebenso wie zu Jean Ribaut's und Laudonnière's unglücklichen Kolonisationsversuchen in Florida, nebst Gonugues' blutigem Rachezuge und Villegagnon's Niederlassung in Brasilien.

Von dem früheren Leben Verrazano's weiß man so gut wie gar nichts. Wie er in französische Dienste kam, welche Titel er bei Uebernahme des Befehls über jene Expedition besaß – nichts ist von dem venetianischen Reisenden bekannt, da man von ihm nur die in Ramusio's Sammlung befindliche italienische Uebersetzung seines Berichtes an Franz I. besitzt. Eine französische Rückübersetzung dieser italienischen Uebersetzung findet sich auszugsweise allerdings in der Arbeit Lescarbot's über Neu-Frankreich und in der »Geschichte der Reisenden«. Wir benutzen im Nachfolgenden den italienischen Text Ramusio's, bis auf einige Stellen, wo die Uebersetzung Lescarbot's glänzende Proben der reichen, originellen und wunderbar modulirten Sprache des 16. Jahrhunderts enthält.

Nach der Abfahrt in den Ocean, um neue Länder zu entdecken, sagt Verrazano in einem von 8. Juli 1524 herrührenden Brief aus Dieppe an Franz I., sah er sich genöthigt, eines Sturmes wegen mit zweien seiner vier Fahrzeuge, der »Dauphine« und der »Normandie«, in der Bretagne Zuflucht zu suchen, wo die erlittenen Havarien ausgebessert wurden. Von hier aus segelte er nach den Küsten Spaniens, wo er auch auf einige spanische Schiffe Jagd gemacht zu haben scheint. Weiter sehen wir ihn am 17. Januar 1524 mit der »Dauphine« allein eine kleine unbewohnte Insel in der Nähe von Madeira verlassen und mit einer, für acht Monate mit Munition und Lebensmitteln reichlich versehenen Mannschaft von einundfünfzig Mann in den Ocean hinaussteuern.

Fünfundzwanzig Tage später hat er fünfhundert Meilen nach Westen zurückgelegt, wo ihn wiederum ein entsetzlicher Sturm überfällt, und nach weiteren fünfundzwanzig Tagen, also am 8. oder 9. März, entdeckt er nach Zurücklegung einer ferneren Strecke von ziemlich vierhundert Meilen unter [437] dem 30. Grade ein Land, das er für bisher unbekannt hielt »Anfangs erschien es uns sehr niedrig und verlassen, als wir uns ihm aber bis auf eine Viertelmeile näherten, sahen wir an den großen Feuern längs der Häfen und des Strandes, daß es bewohnt war, und da es unmöglich erschien, hier an's Ufer zu gehen, segelten wir etwa fünfzig Meilen weiter und verließen die Küste erst, um wiederum zurückzukehren, als wir erkannten, daß sie sich nach Süden hin unbegrenzt fortsetzte.« Sobald die Franzosen eine geeignete Landungsstelle fanden, sahen sie eine große Menge Eingeborner herzuströmen, welche aber Alle die Flucht ergriffen, als jene Anstalt machten, an's Land zu gehen Den Franzosen gelang es sie durch Zeichen und durch ein friedliches Auftreten bald wieder heranzulocken, wobei jene sich am meisten erstaunt geberdeten über die Kleidung der Fremden, über deren Gesicht und die weiße Farbe der Haut.

Die Eingebornen gingen vollständig nackt bis auf die Mitte des Körpers, die sie mit Marderfellen, welche an einem gewebten Gürtel hingen, bedeckt trugen, und die mit den Schwänzen anderer Thiere geschmückt bis zum Knie herabfielen. Einige hatten eine Art Krone von Vogelfedern auf dem Kopfe. »Sie sind braun von Hautfarbe, sagt der Bericht, und ähneln in vielen Stücken den Sarazenen; ihre Haare sind schwarz, doch nicht sehr lang, und werden hinter dem Kopfe in Form eines kleinen Zopfes vereinigt. Sie haben recht wohlgestaltete Glieder bei mittelmäßiger Größe, welche die unsrige indeß ein wenig übertrifft, und man findet an ihnen eigentlich keinen anderen Fehler als ein zu breites Gesicht; ohne stark zu sein, zeichnen sie sich doch durch besondere Gewandtheit und die Fähigkeit, schnell laufen zu können, auffallend aus.« Es gelang Verrazano nicht, sich bei der Kürze seines Aufenthaltes näher über die Sitten und Lebensweise dieser Völker zu unterrichten. An der betreffenden Stelle bestand das Ufer aus seinem Sande und erhielt da und dort durch einige Dünen ein wellenförmiges Aussehen; hinter diesen Sandanhäufungen aber erhoben sich »dichte Gebüsche und herrliche Wälder, so lieblich anzuschauen, daß es ein Wunder war«. In dem Lande gab es, so weit man das zu beurtheilen vermochte, einen wahren Ueberfluß an Hirschen, Dammwild und Hafen, Seen und Teichen mit schönem klarem Wasser und großen Mengen von Vögeln.

Dieses Land liegt unter dem 34. Grade. Es entspricht also demjenigen Theile der Vereinigten Staaten, der heutzutage Carolina heißt. Die Luft ist [438] hier rein und gesund, das Klima gemäßigt, das Meer überall ohne Risse und bietet trotz des Mangels an Häfen den Seefahrern keine Schwierigkeiten.

Während des ganzen Monats März segelten die Franzosen längs der Küste weiter, die ihnen von zahlreichen Volksstämmen bewohnt schien. Wassermangel nöthigte sie wiederholt, an's Land zu gehen, und sie überzeugten sich dabei, daß die meisten Wilden auf Spiegel, Schellen, Messer und Papierstückchen den höchsten Werth legten. Eines Tages sandten sie eine Schaluppe mit fünfundzwanzig Mann an's Ufer. Ein junger Seemann sprang in's Wasser, »da man wegen der Strömung nicht bis an's Land heran konnte, um den Eingebornen, denen man etwas mißtraute, von fern her einige kleine Geschenke zuzuwerfen, wurde aber von den Wogen ergriffen und an den Strand getrieben. Als die Indianer das bemerkten, liefen sie auf ihn zu und schleppten ihn, zum großen Entsetzen des armen Matrosen, der nun hingeschlachtet zu werden fürchtete, weit von den Schiffen weg. Sie brachten ihn nach dem Fuße eines Hügels, setzten ihn in den vollen Sonnenschein und zogen ihm alle Kleider aus, um die Weiße seiner Haut anzustaunen; dann zündeten sie ein großes Feuer an und gestatteten ihm, sich zu pflegen und zu erholen, gerade deswegen aber glaubten jetzt sowohl der arme junge Mann, als die auf dem Schiffe Zurückgebliebenen, daß die Indianer ihn nun tödten und opfern, sein Fleisch über dem Feuer rösten und nach Art der Kannibalen aufzehren würden. Es sollte aber ganz anders kommen; denn als er den Wunsch zu erkennen gab, nach dem Schiffe zurückzukehren, führten sie ihn an den Strand, küßten ihn sehr zärtlich und zogen sich nach einer benachbarten Höhe zurück, um ihn in das Boot wieder einsteigen zu sehen.«

Während sie nun der Küste nach Norden hin etwa fünfzig Meilen weiter folgten, erreichten die Franzosen ein Land, das mit dichten Wäldern bedeckt, einen verlockenderen Anblick darbot. Zwanzig Mann von dem Schiffe drangen mehr als zwei Meilen in diese Wälder hinein und kehrten nur zurück, weil sie sich zu verirren fürchteten. Als sie bei dieser Wanderung zwei Frauen, einer jungen und einer alten mit einigen Kindern begegneten, bemächtigten sie sich eines der letzteren, das etwa acht Jahre zählen mochte, um es mit nach Frankreich zu nehmen; die junge Frau konnten sie indeß nicht erhaschen, denn diese rief ihre Landsleute, die im Walde verborgen waren, aus Leibeskräften um Hilfe an.


Canadische Landschaft. (S. 439.)

Die Wilden hier erschienen weißer als Alle, denen man bisher begegnet war, sie fingen Vögel mit Schlingen und bedienten sich eines Bogens [439] aus sehr hartem Holze, während an den Spitzen ihrer Pfeile Fischknochen befestigt waren. Ihre gegen zwanzig Fuß langen und vier Fuß breiten Canots bestanden aus einem einzigen mittelst Feuer ausgehöhlten Baumstamme. Der wilde Wein wucherte hier sehr üppig und hing in langen Ranken von Baum zu Baum oder an diesen herunter, wie man es in der Lombardei sieht.


Jacques Cartier. (Facsimile. Alter Kupferstich.)

Bei einiger Cultur mußte derselbe einen ausgezeichneten Wein geben, »denn seine Früchte schmeckten jetzt schon angenehm und mild, fast wie die unsrigen, auch [440] schien es, als ob die Einwohner Kenner und Liebhaber derselben seien, denn wo der Wein sich nur emporgerankt hatte, trugen sie Sorge, die Baumzweige hoch zu binden, so daß die Trauben in die Sonne kamen und leichter reisen konnten«. Wilde Rosen, Lilien, Veilchen und allerlei wohlriechende, den Europäern bisher unbekannte Pflanzen und Blumen bedeckten den Boden und erfüllten die Luft mit ihren balsamischen Düften.

[441] Nach dreitägigem Aufenthalte an diesem entzückenden Orte setzten die Franzosen ihre Fahrt längs der nördlichen Küste weiter fort, segelten während des Tages und gingen in der Nacht vor Anker. Da das Land nun nach Osten zu abbog, legten sie noch fünfzig Meilen in dieser Richtung zurück und entdeckten eine dreieckige, vom Festlande gegen zehn Meilen entfernte Insel in der Größe der Insel Rhodus, der sie den Namen der Mutter Franz' I., Louise von Savoyen, beilegten. Dann erreichten sie eine andere, etwa fünfzehn Meilen entfernte Insel mit herrlichen Häfen, deren Bewohner sich in Menge zum Besuche der fremden Schiffe herandrängten. Zwei Könige derselben zeichneten sich vorzüglich durch ihre Gestalt und ein wirklich schönes Gesicht aus.

Mit Hirschfellen bekleidet, den Kopf entblößt, das Haar zurückgestrichen und in einen kunstreichen Knoten gebunden, trugen sie am Halse eine breite Kette mit farbigen Steinen. »Die Frauen entwickelten viel natürliche Grazie, heißt es in Ramusio's Berichte. Einige derselben trugen Wolfshirschfelle auf dem Arme; das Haar flochten sie in lange Zöpfe, die ihnen auf beiden Seiten über die Brust herabfielen, Andere erschienen in Haartouren, welche an die Frauen Egyptens und Indiens erinnerten; die älteren und verheiratheten Frauen erkannte man an ihren schön gearbeiteten kupfernen Ohrgehängen. – Dieses Land liegt unter der Parallele von Rom, also unter 41° 40' der Breite, doch ist das Klima hier viel rauher.« Am 5. Mai verließ Verrazano den Hafen und segelte hundertfünfzig Meilen längs der Küste weiter. Endlich kam er nach einem Lande, dessen Bewohner den früher gesehenen Eingebornen kaum noch ähnlich erschienen. Sie geberdeten sich so wild, daß es unmöglich war, mit ihnen einen Tauschhandel einzuleiten oder einigermaßen dauernde Beziehungen zu unterhalten. Den meisten Werth schienen dieselben noch auf Angelhaken, Messer und andere metallene Gegenstände zu legen, während sie alle die Kleinigkeiten, welche bis jetzt als Tauschhandelsartikel gedient hatten, offenbar verachteten. Fünfundzwanzig bewaffnete Leute gingen an's Land und wagten sich auf zwei bis drei Meilen in das Innere hinein. Die Eingebornen empfingen sie mit einem Hagel von Pfeilen und zogen sich dann in die ungeheuren Wälder zurück, welche die ganze Umgegend zu bedecken schienen.

Fünfzig Meilen weiter breitete sich ein umfangreicher Archipel aus, der aus zweiunddreißig Inseln besteht, welche alle nahe dem Lande liegen, durch enge Wasserstraßen von einander getrennt sind und den venetianischen [442] Seefahrer an die Inselgruppen erinnerten, die im Adriatischen Meere vor den Gestaden Slavoniens und Dalmatiens lagern. Endlich noch hundert fünfzig Meilen weiter hinauf, unter dem 50. Grade der Breite, gelangten die Franzosen nach den schon früher von den Bretagnern entdeckten Ländern. Da sich jetzt etwas Mangel an Nahrungsmitteln zeigte und sie die amerikanische Küste in einer Ausdehnung von siebenhundert Meilen in Augenschein genommen hatten, segelten sie nun nach Frankreich zurück, wo sie im Juli 1524 glücklich im Hafen von Dieppe landeten.

Einige Geschichtsschreiber erzählen, Verrazano sei in Labrador von den wilden Eingebornen gefangen und aufgezehrt worden. Es erscheint das schon deswegen unmöglich, weil der Genannte von Dieppe aus an Franz I. einen Bericht über die eben erzählte Reise absendete. Uebrigens sind die Indianer dieser Gegenden keine Menschenfresser. Andere Autoren erzählen, wir wissen nicht, auf Grund welcher Documente oder unter welchen Umständen, daß Verrazano den Spaniern in die Hände gefallen und nach Spanien gebracht worden sei, wo man ihn zuletzt gehenkt hätte. Das Richtigste ist wohl einfach einzugestehen, daß wir von den späteren Verhältnissen Verrazano's nichts wissen und auch von der Anerkennung nichts erfahren haben, die ihm eine so ausgedehnte Reise erwerben mußte. Vielleicht findet einmal noch ein Gelehrter, wenn er die französischen, noch keineswegs erschöpften Archive durchsucht, weitere zuverlässige Documente; für jetzt bleibt Ramusio's Bericht die einzige brauchbare Quelle.

Zehn Jahre später faßte ein Kapitän aus St. Malo, Namens Jacques Cartier und geboren am 21. December 1484, den Plan, in den nördlichen Theilen Amerikas eine Niederlassung zu gründen. Freundlich empfangen von dem Admiral Philippe de Cabot und Franz I., welcher den Artikel des Testamentes von Adam zu sehen wünschte, der ihn bezüglich der Neuen Welt zu Gunsten der Könige von Spanien und Portugal enterbte, verließ Cartier Saint-Malo am 20. April 1534. Das Schiff, welches ihn trug, maß nicht mehr als sechzig Tonnen und hatte einundsechzig Mann Besatzung. Nach ungemein glücklicher Seefahrt von nur zwanzig Tagen gelangte Cartier bei Belle-Vue nach Neufundland; darauf segelte er nach Norden bis zur Insel der Vögel weiter, die er von zersprungenem und halbgeschmolzenem Eise umgeben fand, wo es ihm jedoch gelang, fünf bis sechs Tonnen Proviant an Taucherenten, Mönchstauchern und Pinguins zu sammeln, ohne das zu [443] rechnen, was in frischem Zustande verzehrt wurde. Er untersuchte dabei das ganze Ufer der Insel, welche jener Zeit noch eine Menge bretonischer Namen aufwies, ein Beweis, daß bretagnische Schiffe diese gewiß mehrfach besucht haben müssen. Ferner drang Cartier in den Sund von Belle-Isle ein, der den Continent von der Insel Neufundland trennt, und gelangte in den Golf des St. Lorenzo. An der ganzen Küste fanden sich treffliche Häfen. »Wenn das Land selbst so gut wäre wie die Häfen, sagt der Seefahrer aus St. Malo, so wäre das wirklich ein Glück; man darf es aber kaum ein »Land« nennen; es besteht in der Hauptsache aus Strandkieseln und wildzerklüfteten Felsen, welche höchstens wilden Thieren zum Aufenthalte dienen könnten; soweit der Blick nach Norden reichte, hab' ich nicht so viel Erde gesehen, um damit einen Schubkarren anfüllen zu können.« Nachdem er das Festland an mehreren Stellen angelaufen, wurde Cartier durch einen Sturm nach der Westküste von Neufundland zurückverschlagen, von wo aus er die Caps Royal, de Lait, die Columbaren, das Cap St. Jean, die Madelaine-Inseln und die Mirannichi-Bai am Continente besuchte.

Hier traten die Seefahrer in einige Beziehungen zu den Eingebornen, welche »eine große Freude zu erkennen gaben, Eisenwaaren und andere Dinge zu erhalten, und immer tanzten und verschiedene Ceremonien beobachteten, indem sie sich z.B. mit den Händen Meerwasser über den Kopf schütteten; sie gaben uns Alles, was sie hatten, und behielten gar nichts für sich«. Am nächsten Tage stellte sich noch eine weit größere Menge Wilder ein und die französischen Seeleute erwarben sich viele Pelze und Thierfelle. Nachdem er die Bai der Wärme untersucht, langte Cartier bei dem Anfang der Mündung des St. Lorenzo an, wo er Eingeborne zu Gesicht bekam, welche den früher gesehenen weder der Gestalt noch der Sprache nach ähnelten. »Diese verdienten mit Recht den Namen Wilder, wenigstens dürften sich ärmere Leute in der ganzen Welt nicht wiederfinden, ja, ich glaube, sie besaßen Alle zusammen nicht den Werth von fünf Sous, wenn man von ihren Booten und Netzen absieht. Den Kopf tragen sie vollständig glatt geschoren bis auf einen Büschel Haare auf dem Schädel, den sie so lang wie einen Pferdeschweif wachsen lassen und am Hinterhaupte mit Senkeln aus Leder befestigen. Sie kennen keine andere Wohnung als unter ihren Booten, welche sie dazu umkehren und sich darunter auf der Erde ohne irgend welche Decke ausstrecken.« Nachdem Jacques Cartier an dieser Stelle ein großes Kreuz errichtet, erhielt [444] er die Zustimmung des Häuptlings der Wilden, zwei Kinder mitzunehmen, die er bei der nächsten Reise wiederzubringen versprach. Dann steuerte er den Kurs nach Frankreich und lief am 5. September 1534 in St. Malo ein.

Im folgenden Jahre verließ Cartier am 19. Mai Saint-Malo an der Spitze eines bewaffneten Geschwaders von drei Fahrzeugen, welche die »Grande«, die »Petite Hermine« und die »Emerillon« hießen, auf welchen sich auch mehrere gebildete Edelleute mit eingeschifft hatten, von denen wenigstens Charles de la Pomineraye und Claude de Pont-Briant, Sohn des Freiherrn von Moncevelles und Mundschenk des Dauphins, besonders erwähnt zu werden verdienen. Gleich zu Anfang ward das Geschwader zerstreut und konnte sich erst bei Neufundland wieder zusammenfinden. Nachdem er an der Insel der Vögel und im Hafen Blanc-Sablon an der Bai des Chateaux gelandet war, fuhr Cartier nochmals in die Mündung des San-Lorenzo ein. Hierin entdeckte er die Insel Nasticotex, welche wir Anticoste nennen, und segelte in einen großen Fluß, Namens Hochelaga, der nach Canada führt. An den Ufern dieses Flusses liegt das Gebiet von Saguenay, woher das rothe Kupfer stammt, das die beiden bei der ersten Reise mitgenommenen Wilden Caquetdaze nannten. Bevor er jedoch den San-Lorenzo selbst weiter hinaussegelte, wollte er den ganzen Golf eingehender in Augenschein nehmen, um sich Gewißheit darüber zu verschaffen, ob er nicht eine Passage nach Norden zu böte. Darauf kehrte er nach der Bai der Sieben Inseln zurück, fuhr in den Fluß ein und erreichte bald das Ufer des Saguenay, der sich von Norden her in den San-Lorenzo ergießt. Als er etwas weiter hin an vierzehn Inseln vorübergekommen war, gelangte er nach dem Gebiete von Canada, das vor ihm noch kein Reisender besucht hatte. Am nächsten Tage schon kam der Beherrscher von Canada, Namens Donnaconna, mit zwölf Barken und begleitet von sechzehn Leuten in die Nähe der Schiffe. Er begann zuerst vor dem kleinsten derselben eine lange Rede oder Predigt, wie sie hier Sitte sein mochte, wobei er den Rumpf und die Gliedmaßen wahrhaft wunderbar verrenkte, was ein Ausdruck der Freude und Befriedigung sein sollte. Als er an das Schiff des Anführers gekommen war, auf dem sich auch die beiden aus Frankreich mit zurückgekehrten Indianer befanden, sprach der Fürst auf sie und sie wieder auf ihn. Sie begannen zu erzählen, was sie in Frankreich gesehen, und lobten die gute, ihnen zu Theil gewordene [445] Behandlung, worüber sich der Fürst ausnehmend freute und den Kapitän bat, ihm seine Arme zu geben, um diese zu küssen und an sich zu drücken, wodurch man in genanntem Lande seiner Zärtlichkeit Ausdruck verleiht. Der Boden von Stadacone oder St Charles ist fruchtbar und voller schöner Bäume, etwa von denselben Arten, wie die in Frankreich, z.B. Eichen, Ulmen, Pflaumenbäume, Taxus, Cedern, Weinstöcke und Hagedorn, welche Früchte tragen, so groß wie Reine-Clauden, und noch andere Bäume, unter denen ein ebenso schöner Hanf wächst wie in Frankreich. Mit den Barken und der Gallion gelangte Cartier endlich bis zu der Stelle, an der das heutige Richelieu liegt, ferner nach einem von dem Strome gebildeten großen See, den See Saint-Pierre, und endlich nach Hochelaga oder Montreal, d. h. bis in eine Entfernung von zweihundert Meilen von der Mündung des San-Lorenzo. Hier fand man »bearbeitete Ländereien und viel herrliche, mit einheimischem Weizen bestandene Felder, der der Hirse von Brasilien ähnlich und ebenso groß, wenn nicht größer wie Erbsen ist, von dem die Bewohner ebenso leben, wie wir von unserem Getreide. Mitten in diesen Feldern liegt die schon genannte Stadt Hochelaga neben und an einem sie völlig umschließenden Hügel, der trefflich angebaut, und zwar nicht hoch ist, aber doch eine sehr ausgedehnte Fernsicht bietet. Wir tauften diesen Berg Mont-Royal«.

Der Empfang, den Jacques Cartier fand, gestaltete sich so herzlich wie möglich. Der Häuptling oder Aguhama, der an allen Gliedern gelähmt war, bat den Kapitän, ihn zu berühren, als erwarte er davon eine Heilung seines Gebrechens. Ferner drängten sich Blinde, Einäugige, Lahme und Geschwächte in Jacques Cartier's Nähe, um sich von ihm anrühren zu lassen, als glaubten sie, in ihm sei ein Gott herabgekommen, der sie müsse heilen können. »Als der Kapitän die Frömmigkeit und Gläubigkeit des Volkes sah, las er das Evangelium St. Johannes, In principis u.s.w., zum Theil vor, machte über die armen Kranken das Zeichen des Kreuzes und flehte zu Gott, daß er ihnen die Erkenntniß unseres heiligen Glaubens verleihen und sie der Gnade der christlichen Gemeinschaft und der Taufe theilhaftig werden lassen möge. Dann ergriff der Kapitän ein Horenbuch und las daraus die Passionsgeschichte Unseres Herrn und Heilands laut und so ergreifend vor, daß ihn Alle verstehen konnten, denn das arme Volk verhielt sich dabei ganz still, blickte gen Himmel und ahmte dieselben Ceremonien nach, die es uns [446] vornehmen sah«. Nach Besichtigung des Landes, das man bis dreißig Meilen im Umkreis in der Höhe des Mont-Royal überschauen konnte, und nach Einholung einiger Kenntniß über die Fälle und Stromschnellen des St. Lorenzo, begab sich Jacques Cartier nach Canada zurück, wo er bald wieder bei seinen Schiffen eintraf. Wir verdanken ihm die ersten Nachrichten über den Rauchtabak, der nicht im ganzen Gebiete der Neuen Welt in Gebrauch gewesen zu sein scheint. »Sie haben ein Kraut, sagt er, von dem sie den Sommer über für den Winter eine große Menge ansammeln; sie schätzen dasselbe hoch und die Männer machen davon in folgender Weise Gebrauch: sie lassen es an der Sonne trocknen und tragen es in einem kleinen Lederbeutel am Halse mit einer Art Horn aus Stein oder Holz; dann zerkleinern sie das betreffende dürre Kraut zu Pulver und bringen dasselbe in das eine Ende jenes Hörnchens; nachher legen sie eine glühende Kohle darauf und saugen durch das andere Ende, wobei sie den ganzen Körper mit Rauch erfüllen, so daß er ihnen aus Mund und Nase, wie aus Schornsteinöffnungen, wieder herausdringt. Wir haben genannten Rauch auch versucht, uns schien er jedoch, wenn wir davon etwas davon im Munde hatten, als wäre Pfeffer darin, so brennend kam er uns vor.« Im December wurden die Eingebornen von Stadacone von einer ansteckenden Krankheit befallen, nämlich vom Scorbut. »Genannte Krankheit gewann gegen Mitte Februar auf unserem Schiffe eine solche Verbreitung, daß unter dem Bestand von hundertzehn Mann kaum zehn noch gesund waren.« Weder Bitten und Gebete, noch Gelübde zu Notre-Dame de Roquamadour brachten die ersehnte Erleichterung. Bis zum 18. April starben fünfundzwanzig Franzosen, und nicht Bier gab es, welche von der Krankheit überhaupt niemals ergriffen worden waren. Da belehrte ein Häuptling der Wilden aber Jacques Cartier, daß die Abkochung und der Saft eines gewissen Baumes, unter dem man die canadische Weide oder Berberitze zu erkennen geglaubt hat, sich hierin sehr heilsam erwiesen habe. Sobald Zwei oder Drei die wohlthätigen Wirkungen dieses Mittels an sich erprobt hatten, »entstand ein so heftiges Verlangen nach dieser Arznei, daß man sich fast umbrachte, nur um zuerst davon zu erhalten; so daß ein Baum, der an Größe und Dicke alle übertraf, die mir jemals vor Augen gekommen sind, binnen acht Tagen aufgebraucht war, und eine so unbestreitbare Wirkung äußerte, daß, wenn alle Aerzte von Louvain und Montpellier mit allen Droguen Alexandriens [447] bei der Hand gewesen wären, sie nicht so viel in einem Jahre ausgerichtet hätten, wie genannter Baum in acht Tagen.«

Als Cartier einige Zeit darauf zu bemerken glaubte, daß Donnaconna einen Aufstand gegen die Franzosen anzuzetteln suchte, ließ er diesen nebst neun anderen Wilden ergreifen, um sie nach Frankreich zu bringen, wo sie jedoch bald starben. Am 6. Mai ging er im Hafen von St. Croix unter [448] Segel, fuhr den San-Lorenzo hinab und langte nach einer durch keinerlei Zwischenfälle gestörten Seefahrt am 16 Juli 1536 in St. Malo an.

Franz I. beschloß in Folge des Berichtes, den ihm der Kapitän von seiner Reise erstattete, das Land thatsächlich in Besitz zu nehmen. Nach Ernennung François de la Roque's, Freiherrn von Roberval, zum Vicekönig von Canada, rüstete er fünf Schiffe mit Proviant und Schießbedarf für zwei Jahre aus, welche Roberval und eine gewisse Zahl Soldaten, Handwerker und Edelleute nach der neuen Kolonie überführen sollten.


Zwei canadische Könige. (S. 444.)

Am 23. Mai 1541 lichtete das Geschwader die Anker, brauchte aber in Folge widriger Winde drei volle Monate, um nach Neufundland zu gelangen. Cartier erreichte den Hafen von St. Croix am 23. August. Sobald er seine Ladung gelöscht, schickte er zwei seiner Schiffe nach Frankreich mit einem Briefe an den König zurück, der diesem meldete, was bis jetzt geschehen, daß der Freiherr von Roberval noch nicht angekommen und man nicht wisse, was ihm widerfahren sei. Dann ging er daran, einiges Land urbar machen zu lassen, erbaute ein Fort und legte den Grundstein zu der Stadt Quebec. Nachher brach er in Begleitung Martin de Painpont's und einiger Edelleute auf, zog nach Hochelaga und nahm die drei Fälle von St. Marie, von China und von St. Louis näher in Augenschein. Bei der Rückkehr nach St. Croix traf er Roberval, der inzwischen angekommen war, und segelte im October 1542 wieder nach St. Malo heim, wo er wahrscheinlich zehn Jahre später mit Tod abging. Die neue Kolonie fristete, als Roberval bei einer zweiten Reise umgekommen war, mühselig das Leben und bestand eigentlich nur aus einem Handelscomptoir bis zum Jahre 1608, der Zeit der Gründung Quebecs durch de Champlain, dessen Thaten und Entdeckungen wir im Weiteren erzählen werden.

Wir sahen eben, wie Cartier, der zuerst zur Aufsuchung einer Nordwestpassage ausgezogen war, dazu kam, das Land, in dem er sich befand, in Besitz zu nehmen und die Anfänge der Kolonie von Canada in's Leben zu rufen. In England entstand eine ähnliche Bewegung durch die Schriften Sir Humphrey Gilbert's und Richard Will's. Diese gewannen zuletzt die öffentliche Meinung und suchten darzuthun, daß es nicht schwieriger sei, jene Passage zu finden, als die Magellan-Straße zu entdecken. Einer der thätigsten Eiferer für die Aufsuchung derselben war ein kühner Seemann, Namens Martin Frobisher, der, nachdem er sich vorher vergeblich an viele reiche [449] Rheder gewendet hatte, endlich in Ambroise Dudley, Graf von Warwik und Günstling der Königin Elisabeth, einen Protector fand, dessen pecuniäre Unterstützung ihn in den Stand setzte, eine Pinasse und zwei erbärmliche Barken von zwanzig bis fünfundzwanzig Tonnen auszurüsten. Mit so schwachen Mitteln wollte der unerschrockene Seeheld dem Eise jener Gegenden trotzen, welche seit der Normannen-Zeit Niemand besucht hatte. Von Deptford am 8. Juli 1576 abgefahren, kam er nach dem südlichen Theile Grönlands, das er für Zeno's Frisland ansah. Bald sah er sich durch Eismassen aufgehalten, mußte bis Labrador zurückweichen, ohne daselbst landen zu können, und segelte durch die Hudson-Straße. Nach Berührung der Inseln Savage und Resolution, drang er in den Sund ein, der seinen Namen erhalten hat, von einigen Geographen aber auch die Lunley-Straße genannt wird. Er betrat das Gestade von Cumberland, ergriff im Namen der Königin Elisabeth Besitz von dem Laude und knüpfte mit den Eingebornen einige Verbindungen an. Bei der schnellen Zunahme der Kälte mußte er nach England umkehren. Frobisher's Ausbeute an wissenschaftlicher und geographischer Erkenntniß der von ihm besuchten Länder war nur von sehr zweifelhaftem Werthe; einen höchst schmeichelhaften Empfang erwarb er sich aber doch durch Vorweisung eines schwarzen und sehr schweren Steines, in welchem man etwas Gold fand. Wie schnell erregte das die Phantasie des Volkes! Mehrere Große, ja die Königin selbst, steuerten die Kosten für ein neues Geschwader zusammen, das aus einem Schiffe von 200 Tonnen und 100 Mann Besatzung, nebst zwei kleineren Barken bestehen sollte, welche für sechs Monate Kriegs- und Mundvorräthe mitnahmen. Martin hatte erfahrene Seeleute unter sich, wie Fenton, York, Georges Beste und C. Hall. Am 31. Mai 1577 ging die Expedition unter Segel, lief Grönland an, dessen Berge sich mit Schnee bedeckt zeigten und dessen Ufer ein breiter Eisrand umschloß. Das Wetter war schlecht. Außerordentlich dichte Nebel, so dick wie Erbsenbrei, würden englische Matrosen sagen, Eisinseln von einer halben Meile Umfang, schwimmende Berge, welche siebzig bis achtzig Faden tief in's Meer tauchten, das waren die Hindernisse, welche es Frobisher unmöglich machten, den von ihm bei der vorigen Reise entdeckten Sund vor dem 9. August zu erreichen. Man nahm nun von dem Lande Besitz und verfolgte zu Wasser wie zu Lande einige arme Eskimos, welche »bei diesen Kämpfen verwundet, in ihrer Verzweiflung von hohen Felsen in's Meer sprangen, [450] sagt Förster in seinen »Reisen im Norden«, was nicht nöthig gewesen wäre, wenn sie sich etwas unterwürfiger gezeigt oder wir ihnen hätten begreiflich machen können, daß wir ja eigentlich gar nicht als Feinde zu ihnen kämen«. Bald fand man eine große Menge solcher Steine, deren Proben in England so angestaunt worden waren. Diese gehörten zu einer Gold-Wismuthart und man beeilte sich, davon zweihundert Tonnen zu verladen. In ihrer Freude errichteten die englischen Seeleute eine Erinnerungssäule auf einem spitzen Hügel, dem sie den Namen Warwick-Mount beilegten, während sie jene mit besonderen Feierlichkeiten einweihten. Frobisher steuerte nun in demselben Sunde noch etwa dreißig Meilen hinauf bis zu einer kleinen Insel, welche den Namen Smith's Island erhielt. Hier fanden die Engländer zwei Frauen, deren eine sie sammt ihrem Kinde mit sich nahmen, die andere aber ihrer wirklich abschreckenden Häßlichkeit wegen unbehelligt laufen ließen. In Folge des damals herrschenden Aberglaubens und der entsetzlichen Unkenntniß, glaubten sie, die Frau habe Spaltfüße. Sie mußte also ihre Fußbekleidung ablegen, um jene zu überzeugen, daß sie ganz ebenso gestaltete Füße habe wie andere Menschen. Da die Kälte noch weiter zunahm und Frobisher seine vermeintlichen Schätze nicht gefährden wollte, verzichtete er für diesmal darauf, die Nordwestpassage noch länger zu suchen. Er segelte also nach England zurück, wo er nach einem Sturme, der seine Schiffe voneinander riß, gegen Ende September eintraf. Der Mann, die Frau und das Kind, deren man sich bemächtigt, wurden der Königin vorgestellt. Man erzählt bei dieser Gelegenheit auch, daß der Wilde, als er in Bristol Frobisher's Trompeter zu Pferde erblickte, es diesem habe nachthun wollen und sich mit dem Gesichte nach dem Schwanze des Thieres auf ein Pferd geschwungen habe. Mit großer Neugier betrachtet, erhielten die Wilden von der Königin die Erlaubniß, auf und an der Themse allerhand Vögel zu fangen und unter Anderem auch sogar Schwäne, was sonst Jedermann bei schwerer Strafe verboten war. Uebrigens lebten sie nicht lange und starben, bevor das Kind fünfzehn Monate zählte.

Man hatte sich nochmals überzeugt, daß die von Frobisher mitgebrachten Steine in der That Gold enthielten. Ein Fieber, ja ein wahres Delirium erfaßte nun die ganze Nation, vorzüglich die oberen Classen. Man hatte ein Peru, ein Eldorado gefunden! Trotz ihres sonst so nüchtern-praktischen Sinnes gab auch die Königin Elisabeth dem Strome der öffentlichen[451] Meinung nach. Sie beschloß zunächst, in dem neu entdeckten Lande ein Fort zu errichten, für das sie den Namen Meta incognita (unbekannte Grenze) bestimmte, und dorthin neben hundert Mann Besatzung unter dem Befehle der Kapitäne Fenton, Beste und Filpot drei Schiffe zu entsenden, welche jene kostbaren Steine als Fracht einnehmen sollten. Jene hundert Mann wurden mit großer Sorgfalt ausgewählt; es waren das Fleischer, Zimmerleute, Maurer, Goldraffineure, während Andere verschiedenen Gewerken zugehörten. Die ganze Flotte bestand aus fünfzehn Schiffen, welche Harvich am 31. Mai 1578 verließen. Zwanzig Tage später bekam man die Ostküsten Frislands zu Gesicht. In zahlloser Gesellschaft schwärmten die Walfische rings um die Fahrzeuge. Man erzählt sogar, daß ein von recht günstigen Winden getriebenes Schiff so heftig gegen einen Walfisch stieß, daß es plötzlich still stand, während jener, nachdem er einen lauten Schrei ausgestoßen, aus dem Wasser emporgeschnellt und dann in der Tiefe verschwunden sei. Zwei Tage später traf die Flotte einen todten Walfisch an, und man glaubte allgemein, es sei der, an welchen die »Salamandre« angestoßen hatte. Als Frobisher vor dem, seinen Namen führenden Sunde angelangt war, sah er diesen von Eisschollen bedeckt. Die Barke »Dennis« von 100 Tonnen, sagt Georges Beste's alter Bericht, »erhielt von einer solchen Scholle einen derartigen Stoß, daß sie angesichts der ganzen Flotte in kürzester Zeit versank«. Bald nach diesem Unfalle »erhob sich unerwartet ein heftiger Sturm aus Südosten, die Schiffe wurden von allen Seiten von Eis umschlossen, kamen zwar an vielen Schollen vorüber, sahen aber immer noch mehr vor sich, durch welche sie unmöglich hindurchdringen konnten. Einige, welche vielleicht einen etwas freieren Weg und offenes Wasser gefunden hatten, setzten dann Segel bei und suchten dieser gefährlichen Stelle zu entfliehen; Andere hielten einfach an und gingen an einer größeren Eisscholle vor Anker. Diese letzteren wurden aber so schnell durch eine Unzahl von Eisinseln und Treibeis-Bruchstücken eingeschlossen, daß die Engländer sich gezwungen sahen, sich und ihre Schiffe auf gut Glück dem Eise zu überlassen, während sie die Seiten der Fahrzeuge noch mit Tauen, Kissen, Masten, Planken und allerlei anderen Gegenständen zu schützen versuchten, die man an denselben herabhängen ließ, um die fürchterlichen Stöße des andrängenden Eises wenigstens zu schwächen.

»Frobisher selbst wurde aus seinem Kurse geworfen. Da es ihm [452] unmöglich war, sein Geschwader wieder zu treffen, fuhr er an der Küste Grönlands weiter durch die Straße, welche später den Namen Davis-Straße erhielt, und drang bis nach der Bai Comtesse-Warwik vor. Nachdem er seine Schiffe mit dem eigentlich zur Erbauung von Wohnhäusern bestimmten Holze ausgebessert, lud er fünfhundert Tonnen solcher Steine, wie er schon früher mit heimgebracht hatte. Da er nun aber die Jahreszeit für schon zu vorgeschritten hielt und auch die Wahrnehmung machte, daß der Mundvorrath theils aufgezehrt, theils mit der »Dennis« verloren, das Holz zu etwaigen Wohnungen bei der Reparatur der Fahrzeuge aber verbraucht worden war und er überdies vierzig Mann verloren hatte, schlug er am 31. August den Weg nach England wieder ein. Unwetter und Stürme begleiteten ihn bis zum Gestade der Heimat.« An neuen Entdeckungen lieferte die Expedition allerdings nicht das geringste Ergebniß, und auch die mit so großer Gefahr erlangten Gesteine erwiesen sich als werthlos.

Das war die letzte arktische Reise Frobisher's. Im Jahre 1585 finden wir ihn als Viceadmiral Drake's wieder; 1588 zeichnete er sich gegen die unbezwingliche Armada aus; 1590 begleitete er die Flotte Walter Raleigh's nach den Küsten von Spanien; endlich wird er bei einer Landung in Frankreich verwundet und stirbt, noch bevor er im Stande ist, sein Geschwader nach Portsmouth zurückzuführen.

Leitete die Reisen Frobisher's nur die Sucht nach Gewinn, so darf man nicht den Seefahrer, sondern muß dafür den Geist der Zeit verantwortlich machen. Jedenfalls hat er unter schwierigen Umständen und mit Hilfsmitteln, deren Unzulänglichkeit uns nur ein Lächeln abnöthigt, achtungswerthe Proben von Muth, Gewandtheit und Ausdauer abgelegt. Ohne Zweifel gebührt Frobisher der Ruhm, seinen Landsleuten den Weg gezeigt und die ersten Entdeckungen in jenen Theilen der Erde gemacht zu haben, in denen England sich später noch so ehrenvoll auszeichnen sollte.

Mußte man auch auf die Hoffnung verzichten, in den Polargebieten ebenso goldreiche Gegenden wie etwa Peru aufzufinden, so war das doch noch kein Grund, die Aufsuchung einer Nordwestpassage nach China aufzugeben. Die erfahrendsten Seeleute theilten diese Anschauung, welche unter den Kaufleuten Londons stets viele Anhänger zählte. Mit Unterstützung mehrerer hoher Persönlichkeiten wurden also wiederum zwei Schiffe, die »Sunshine« von 50 Tonnen mit dreiundzwanzig Mann Besatzung, und [453] die »Moonshine« von 35 Tonnen ausgerüstet, welche Portsmouth am 7. Juni 1585 unter der Führung John Davis' verließen.

Dieser entdeckte den Eingang zu der Meerenge, die seinen Namen erhielt, und segelte mitten durch ungeheuere Eisfelder, doch erst nachdem sich seine durch die Stöße der Schollen und das Krachen der Eisblöcke erschreckte Mannschaft daran ein wenig gewöhnt hatte. Am 20. Juli bekam Davis Desolationsland zu Gesicht, ohne hier anlaufen zu können. Neun Tage später begab er sich nach der Gilbert-Bai, wo er mit der sehr friedlichen Bevölkerung gegen einige Kleinigkeiten Seekalbhäute und Pelzfelle eintauschte. Diese Eingebornen strömten wenige Tage später in so großer Anzahl herbei, daß nicht weniger als siebenunddreißig Canots die Schiffe Davis' umschwärmten. Hier beobachtete der Seemann auch ansehnliche Mengen schwimmenden Holzes, darunter einen ganzen Baum von sechzig Fuß Länge. Am 6. August ging er in der Nähe eines goldfarbigen Berges in der Tottneß-Bai, dem er den Namen Raleigh gab, vor Anker; gleichzeitig taufte er zwei Caps des Festlandes von Cumberland, welchen er die Namen Dyer- und Walsingham-Cap beilegte.

Noch elf Tage lang segelte Davis in einem eisfreien, ausgedehnten Meere, dessen Wasser die Farbe der Oceanwellen hatte, nach Norden weiter. Schon glaubte er in dem Meere zu sein, das mit dem Pacifischen Ocean communicirte, als die Witterung plötzlich umschlug und so trüb und dunstig wurde, daß er sich zur Rückkehr nach Yarmouth gezwungen sah, wo er am 30. September landete.

Davis besaß das Geschick, seine Rheder mit derselben Hoffnung zu erfüllen, die ihn selbst beseelte. Am 7. Mai des folgenden Jahres (1586) reiste er auch wiederum mit den beiden Schiffen ab, welche zur vorigen Expedition gedient hatten; zu diesen traten je doch noch die »Mermaid« von 120 Tonnen und die Pinasse »North-Star« hinzu. Als er die Südspitze Grönlands am 25. Juni erreichte, beorderte Davis, die »Sunshine« und »North-Star« nach Norden zu gehen, um an der Ostküste eine Durchfahrt zu suchen, während er denselben Weg wie im verwichenen Jahre einschlug und in die Meerenge eindrang, die bis zum 69. Grade der Breite seinen Namen führt. Dieses Mal zeigte sich aber viel mehr Eis, und am 17. Juli begegnete die Expedition einem Eisfelde von solcher Größe, daß sie dreizehn Tage längs des Randes desselben hinsegelte. Der Wind wurde, wenn er [454] über diese Eiswüste strich, so kalt, daß Tauwerk und Segel gefroren und die Matrosen sich weigerten, noch weiter zu gehen. Davis mußte nach Südosten umkehren. Hier untersuchte er ganz Cumberland, ohne die gesuchte Durchfahrt zu finden, und schlug nach einem Scharmützel mit den Eskimos, das ihm drei Todte und zwei Verwundete kostete, wieder den Weg nach England ein.

Obwohl seine Bemühungen auch diesmal nicht von Erfolg gekrönt wurden, verlor Davis dennoch die Hoffnung nicht, wie ein von ihm an die »Compagnie« gerichteter Brief beweist, in welchem er sich äußert, daß er die Möglichkeit einer Durchfahrt fast bis zur Gewißheit erprobt habe. In der Voraussicht, daß es dennoch schwer halten würde, die Absendung einer neuen Expedition durchzusetzen, fügte er hinzu, daß die Kosten des Unternehmens reichlich durch die Ausbeute an Walrossen, Robben und Walfischen gedeckt werden würden, welche Thiere hier in so großer Zahl vorkämen, als hätten sie in diesen Gewässern ihre Quartiere aufgeschlagen Wirklich ging er am 15. Mai 1587 noch einmal mit der »Sunshine« und der »Elisabeth« von Darmouth und der »Helene« von London unter Segel. Dieses Mal gelangte er noch höher hinauf als je vorher, denn er erreichte 72°12' nördlicher Breite, d. h. etwa die Breite von Uppernavik, und bekam auch Handerson's Hope in Sicht. Vom Eise aufgehalten, mußte er nun rückwärts steuern, wobei er durch den Frobisher-Sund segelte und nach Durchmessung eines weiten Golfes unter 61°10' in Sicht eines Caps kam, dem er den Namen Chudleigh gab. Dieses Vorgebirge gehört übrigens zur Küste von Labrador und bildet den südlichen Eingang der Hudsons-Bai. Nachdem er längs des Gestades Amerikas bis herab zum 52. Grade gekommen, schlug Davis den Weg nach England ein, wo er am 15. September glücklich wieder eintraf.

War das eigentliche Problem aller dieser Fahrten auch nicht gelöst worden, so hatte man doch sehr wichtige Resultate erzielt, denen man damals freilich keinen so hohen Werth beilegte.


Innere Ansicht des Hauses. (Facsimile. Alter Kupferstich.) (S. 461.)

Fast die Hälfte der Baffins-Bai ward erforscht und man erlangte verläßliche Kenntnisse über deren Ufer und die Völkerschaften, welche daselbst wohnten. Vom geographischen Gesichtspunkte aus darf man diese Ergebnisse gewiß nicht gering anschlagen, wenn sie die Kaufleute der City auch erklärlicher Weise nicht besonders befriedigten. Die Engländer stellten deshalb alle weiteren Versuche, durch den Nordosten vorzudringen, ziemlich lange Zeit gänzlich ein.


Nova Zembla. (Facsimile. Alter Kupferstich.)

Jetzt trat ein neues Volk auf den Schauplatz. Kaum von dem Joche Spaniens befreit, inaugurirten die Holländer ihre geschickte Handelspolitik, die ihrem Vaterlande ungeahnte Macht und Wohlstand verleihen [455] sollte, durch wiederholt abgesendete Expeditionen, welche nach Nordosten segelnd einen Weg nach China aufsuchen sollten; dasselbe Project also, das auch Cabot schon früher aufgestellt und das England den russischen Handel [456] [458]eröffnet hatte. Mit ihrem praktischen Instinct wußten sich die Holländer bezüglich des englischen Seewesens stets auf dem Laufenden zu erhalten; sie hatten in Kola und Archangel sogar Comptoirs errichtet, doch sie wollten noch weiter gehen und neue Absatzwege suchen. Da das Karische Meer ihnen zu viele Schwierigkeiten zu bieten schien, beschlossen sie auf den Rath des Kosmographen Plancius, nördlich von Nowaja-Semlja einen Weg aufzusuchen. Die Kaufleute Amsterdams wendeten sich also an einen erfahrenen Seemann, den auf der Insel Terschelling in der Nähe von Texel gebornen Wilhelm Barentz. Dieser segelte im Jahre logs von Texel mit der »Mercure« ab, umschiffte das Nordcap, kam an der Insel Weigatz vorüber und befand sich am 4. Juli in Sicht der Küste von Nowaja-Semlja unter 73°25' der Breite. Er fuhr längs der Küste weiter, ging am 10. Juli um das Cap Nassau und traf drei Tage später auf das erste Eis. Bis zum 3. August versuchte er sich Bahn zu brechen, indem er von den verschiedensten Seiten gegen das Eis anfuhr, und bis zu den Orange-Inseln am Ende von Nowaja-Semlja zurückwich, wobei er unter einundneunzigmaliger Veränderung seines Kurses 1700 Meilen zurücklegte.

Kaum jemals dürfte wohl ein Seefahrer eine solche Ausdauer bewiesen haben. Hierzu kommt noch, daß er bei diesen langen Kreuz- und Querzügen die Breiten vieler einzelner Punkte astronomisch mit merkwürdiger Genauigkeit bestimmte. Endlich verlangte die, dieses unfruchtbaren Kampfes müde Mannschaft ihre Entlassung und er mußte nach Texel zurückkehren.

Die erreichten Resultate wurden für so wichtig gehalten, daß die Staaten von Holland im nächstfolgenden Jahre Jakob von Heemskerke mit dem Commando über sieben Schiffe betrauten, zu deren ersten Piloten Barentz ernannt wurde. Nachdem dieses Geschwader verschiedene Punkte Nowaja-Semljas und Asiens angelaufen, mußte es vor dem Eise zurückweichen, ohne daß irgend eine bedeutende Entdeckung gemacht worden war, und am 18. September nach Holland umkehren.

Gewöhnlich ist Regierungen nicht die Ausdauer eigen wie Privatpersonen. Die immerhin beträchtliche Flotte des Jahres 1595 hatte eigentlich nichts ausgerichtet und doch enorme Summen gekostet. Das reichte hin, die Generalstaaten zu entmuthigen. Jetzt traten aber die Kaufleute Amsterdams an die Stelle der Regierung, welche sich begnügte, dem Entdecker einer nordöstlichen Durchfahrt einen Preis zuzusichern, und rüsteten zwei Fahrzeuge aus [458] deren Oberbefehl sie Heemskerke und Johann Cornelißon Ripp übergaben. Barentz führte zwar nur den Titel eines Piloten, war aber in der That der eigentliche Führer des Ganzen. Der Berichterstatter über diese Reise, Gerrit de Veer, war ebenfalls als Hochbootsmann mit eingeschifft.

Am 10. Mai 1596 verließen die Holländer Amsterdam, kamen an den Shetlandsinseln und den Faröern vorüber und sahen am 5. Juni das erste Eis, »worüber wir sehr erstaunt waren, da wir es für weiße Schwäne gehalten hatten«. Im Süden von Spitzbergen, in der Gegend der Bäreninseln gingen sie am 11. Juni an's Land. Hier sammelten sie eine große Menge Möveneier und erlegten, etwas entfernt von dem Strande, mit großer Mühe einen weißen Bären, der dem von Barentz entdeckten Lande den Namen verleihen sollte. Am 19. Juni ankerten sie wieder bei einem ausgedehnten Lande, das sie für einen Theil Grönlands ansahen, und dem sie, seiner spitzen Berge wegen, den Namen Spitzbergen beilegten; sie nahmen auch einen beträchtlichen Theil von dessen Ostküste näher in Augenschein. Vom Eise zur Rückkehr bis zur Bäreninsel genöthigt, trennten sie sich hier von Johann Ripp, der noch einen Versuch machen sollte, gegen Norden vorzudringen. Am 11. Juli befanden sie sich in den benachbarten Gewässern des Caps Kanin und erreichten fünf Tage später die Westküste von Nowaja-Semlja, das damals übrigens Willougby-Land hieß. Nun wechselten sie wieder den Kurs, segelten nach Norden und langten am 19. bei der Insel Croix an, wo das am Ufer noch festhaftende Eis ihnen den Weg versperrte. Hier verweilten sie bis zum 4. August und umschifften zwei Tage später das Cap Nassau. Nach mehreren Wechselfällen, deren Aufzählung zu weit führen würde, erreichten sie die Orange-Inseln am nördlichen Ende Nowaja-Semljas. Von hier aus gingen sie längs der Ostküste hinab, sahen sich aber bald gezwungen, einen Hafen anzulaufen, wo sie vom Eise vollständig eingeschlossen wurden und »wo sie bei strengster Kälte und unter bitterem Mangel und Entbehrungen aller Art den ganzen Winter hinbringen mußten«. Man schrieb damals den 26. August. »Am 30. begannen unter starkem Schneegestöber die Eisschollen um unser Schiff sich aufzuthürmen. Letzteres wurde dabei emporgehoben und ringsum eingeschlossen, so daß Alles, was rund umher in der Nähe war, furchtbar zu krachen und zu knacken anfing. Es schien, als müsse das Schiff in tausend Stücke gehen; mit einem Wort, eine so entsetzliche Lage, daß sich uns die Haare sträubten. In ähnlicher Gefahr schwebte das [459] Schiff, als sich später Eis auch darunter ansammelte, und es stieß oder hin und her warf, als würde es durch ein Instrument gehoben.« Bald krachte das Fahrzeug in allen Fugen so bedenklich, daß die Klugheit empfahl, einen Vorrath an Lebensmitteln, Segel, Pulver, Blei, Arquebusen und andere Waffen aus demselben zu entfernen und ein Zelt oder eine Hütte zu errichten, um sich gegen den Schnee und die Angriffe der Bären zu schützen. Wenige Tage später fanden einige Matrosen, die sich auf zwei bis drei Meilen in das Land hineingewagt hatten, auf einem Flusse mit süßem Wasser eine Menge schwimmendes Holz und entdeckten auch die Spuren von wilden Ziegen und Renthieren. Am 11. September, als sie die Bai mit ungeheueren Eisblöcken angefüllt sahen, welche fest mit einander verbunden waren, überzeugten sich die Holländer von der Nothwendigkeit, auf diesem Punkte zu überwintern, und so beschlossen sie denn, »um gegen die Kälte und wilden Thiere besser gesichert zu sein, ein wirkliches Haus zu erbauen, geräumig genug, um Alle aufzunehmen, während man nun das Schiff, da dieses jeden Tag einen unsichren und unangenehmeren Aufenthalt bot, vollständig verließ. Zum Glück fanden sie am Strande ganze Bäume, welche wahrscheinlich aus Sibirien stammten und von den Meeresströmungen hierhergeführt waren, in solcher Menge, daß diese nicht allein zur Herstellung ihrer Wohnung hinreichten, sondern auch noch das nöthige Heizungsmaterial für den Winter lieferten.

Noch hatte kein Europäer in diesen Gegenden überwintert, inmitten dieses starren unbeweglichen Meeres, das nach dem falschen Ausspruche des Tacitus, den Gürtel der Welt bildet, wo man das Geräusch hört, wenn die Sonne sich erhebt. Die siebzehn Holländer hatten nicht die geringste Ahnung von den Leiden, die ihrer hier warteten. Sie ertrugen dieselben übrigens mit bewunderungswerther Geduld, ohne ein Wort des Unwillens, ohne den geringsten Widerstand gegen die Disciplin. Die Aufführung dieser wackeren Seeleute, die, unwissend darüber, welch' hartes Loos ihnen beschieden sein sollte, »ihre Sache in Gottes Hand gelegt hatten«, verdient noch heute als leuchtendes Beispiel aufgestellt zu werden. Von ihnen kann man ohne Uebertreibung sagen, daß sie um das Herz das Aes triplex (das dreifache Erz) des Horaz trugen. Der Geschicklichkeit und Kenntniß, sowie der Vorsicht ihres Führers Barentz verdankten sie es, ebenso wie dem unter ihnen herrschenden Geiste der musterhaftesten Disciplin, daß sie Nowaja-Semlja [460] – allem Anscheine nach ihr Grab – wieder verlassen und die Gefilde des Vaterlandes wiedersehen konnten.

Die zu jener Jahreszeit ungemein häufigen Bären beunruhigten die Mannschaft oft durch ihren Besuch. Mehr als einer ward erlegt, doch begnügten sich die Holländer, diese abzuziehen, um das Fell zu gewinnen, während sie dieselben nicht verzehrten, weil sie deren Fleisch wahrscheinlich für ungesund hielten. Doch hätte eben dieses Fleisch einen sehr beträchtlichen Zuschuß zu ihrer Nahrung liefern können, der ihnen die Aufzehrung des gesalzenen Fleisches und damit lange Zeit das Auftreten des Scorbut erspart haben würde. Doch greifen wir nicht voraus und folgen getreulich dem Tagebuche Gerrit de Veer's.

Am 23. September starb der Schiffszimmermann und wurde in einer Bergschlucht begraben, weil es unmöglich war, wegen des harten Frostes die Erde selbst auszuhöhlen. Die folgenden Tage verwendete man zur Herbeischaffung des schwimmenden Holzes und zur Erbauung des Hauses. Um dasselbe zu bedecken, mußte man die Wohnräume im Vorder- und Hintertheile des Schiffes demoliren.

Am 2. October ward jenes bezogen, zu dessen Einweihung man an Stelle des Maibaumes eine Eissäule errichtete. Am 31. wüthete ein starker Nordwestwind; das hohe Meer wurde dabei vollständig vom Eise befreit und lag offen, so weit das Auge reichte. »Wir aber blieben gefangen und eingekerkert im Eise; das Schiff wurde nun zwei bis drei Fuß gehoben und wir konnten nicht anders glauben, als daß das Wasser der Bai bis zum Grunde gefroren sei, obwohl es eine Tiefe von 3 bis 31/2 Faden hatte.«

Vom 12. October ab schlief man in dem Hause, das noch nicht einmal ganz fertig war. Am 21. schaffte man den werthvollsten Theil des Proviants, die Möbel und Alles, was etwa gebraucht werden konnte aus dem Schiffe, denn es lag auf der Hand, daß die Sonne bald gänzlich verschwinden würde. Auf dem Dache des Hauses ward ein Schornstein angebracht, im Innern eine holländische Wanduhr aufgehangen; längs der Wände standen die Betten und in der Mitte eine Tonne als Badebassin, denn der Schiffsarzt hatte vernünftiger Weise zu Erhaltung der Gesundheit der Mannschaft den fleißigen Gebrauch von Bädern angeordnet. Der Schneefall dieses Winters war ein ganz erstaunlicher. Das ganze Haus verschwand unter diesem dichten Mantel, was übrigens nicht wenig zur Erhöhung der Luftwärme im Innern beitrug.

[461] Wenn sie einmal in's Freie gehen wollten, mußten sich die Holländer stets einen Gang im Schnee aushöhlen. Nacht für Nacht hörten sie zuerst die Bären und dann die Füchse auf dem Dache des Hauses herumlaufen, welche immer versuchten, die Planken desselben abzuheben, um in das Innere zu gelangen. Später gewöhnten diese sich sogar, in den Schornstein, wie in ein Schilderhäuschen, hineinzukriechen, wo die Insassen des Hauses sie leicht schießen und fangen konnten. Man hatte auch eine große Menge Schlingen gelegt, in denen sich viele Blaufüchse singen, deren kostbare Felle sie wirksam gegen die Kälte schützten und deren Fleisch ihnen gestattete, an ihren Vorräthen zu sparen. Immer lustig und guter Dinge ertrugen sie wohl oder übel die lange Weile der Polarnacht und die Strenge des Frostes. Letzterer steigerte sich dermaßen, daß, als sie einmal zwei bis drei Tage wegen des durch den Wind zurückgetriebenen Rauches nicht so viel Feuer wie gewöhnlich hatten unterhalten können, es im Innern des Hauses so heftig fror, daß Wände und Fußboden zwei Finger dick mit Eis belegt waren, selbst in den Schlafräumen der armen Leute. Der Xeres mußte erst aufgethaut werden, bevor er, wie das jeden zweiten Tag geschah, in der Menge einer halben Pinte für den Mann vertheilt werden konnte.

Am 7. December dauerte die rauhe Witterung unter einem schrecklichen Sturm aus Nordosten gleichmäßig fort, nur daß dieser eine wahrhaft entsetzliche Kälte mitbrachte. »Da wir kein Mittel kannten, uns dagegen zu schützen, und Alle überlegten, was wohl am Besten zu thun sei, schlug Einer von uns vor, jene Steinkohle zu benutzen, die wir von dem Schiffe nach dem Hause geschafft hatten, weil diese ein sehr lebhaftes und andauerndes Feuer gebe. Gegen Abend machten wir ein tüchtiges Feuer mit Steinkohle, das eine angenehme Wärme verbreitete; wir beachteten freilich nicht, was die Folge davon sein könne; da die Wärme nämlich uns so gar angenehm war, suchten wir sie so lange als möglich zu erhalten. Wir verstopften also alle Oeffnungen nebst dem Kamine möglichst sorgfältig, um die erzielte Wärme abzuschließen. Jeder begab sich nun zum Schlafen in seine Kabane, wo wir Alle, da uns die milde Temperatur wirklich neu belebte, noch lange plauderten. Endlich aber befiel uns, Einen mehr als den Anderen, eine Art Schwindel, was wir zuerst an einem unserer Kameraden bemerkten, der schon längere Zeit krank lag und jene Schädlichkeit also weniger lange ertragen konnte. Wir selbst aber empfanden bald auch eine eigenthümliche Beängstigung, so [462] daß Einige, welche noch ganz wach waren, die Kabane verließen und wenigstens den Eingang zum Kamin und dann den Hauseingang wieder öffneten. Der aber, der letzteres unternahm, fiel fast augenblicklich besinnungslos zu Boden, worauf ich eiligst hinzulief und jenen schon halb todt fand. Ich beschaffte mir nun schnellstens etwas Essig und rieb ihm das Gesicht so lange, bis er wieder zu sich kam. Endlich, als wir Alle jenen merkwürdigen Anfall gänzlich überwunden hatten, theilte der Kapitän als Herzstärkung etwas Wein unter uns aus....

»Auch am 11. dauerte die helle Witterung mit einer so furchtbaren Kälte fort, daß es Niemand glauben würde, der sie nicht selbst erlebt hat; die Schuhe froren uns dabei buchstäblich an die Füße, wurden so hart wie Horn und waren sogar inwendig mit Eis überzogen, so daß wir sie gar nicht mehr gebrauchen konnten. Die Kleider an unserem Körper bedeckten sich mit einer Schicht von Reif und Eis.«

Am 25. December, also zu Weihnachten, blieb die Witterung ebenso rauh wie die vorhergehenden Tage. Die Füchse stürmten ordentlich das Haus, was einer der Matrosen für eine schlechte Vorbedeutung ansah und, als man ihn fragte warum, die Antwort gab: »Weil wir sie nicht in einem Topfe kochen oder am Spieße braten können, was ein gutes Vorzeichen gewesen wäre«.

Endete das Jahr 1596 mit einer wirklich außerordentlichen Kälte, so gestaltete sich der Anfang von 1597 auch nicht angenehmer. Schneestürme und wahrhafte Hagelschauer machten es den Holländern unmöglich, das Haus zu verlassen. Sie feierten aber trotzdem das Fest der heiligen drei Könige in der Wohnung sehr heiter, wie der ebenso ergreifende wie naive Bericht Gerrit de Veer's mittheilt. »Wir baten also den Kapitän, um uns inmitten der elendesten Lage doch einmal ein wenig zu zerstreuen, um etwas Wein, der ja gewöhnlich von zwei zu zwei Tagen ausgetheilt wurde. Da wir zwei Pfund Mehl zusammengespart hatten, buken wir mit Oel ein paar kleine Kuchen. Jeder erhielt dann noch eine Scheibe Zwieback, den wir im Wein erweichten und verzehrten. Da kam es uns vor, als wären wir in der Heimat und mitten unter Angehörigen und Freunden; auch haben wir uns dabei so erquickt und gestärkt, daß Keiner hätte besseren Muthes sein können, wenn er auch von dem glänzendsten Bankett gekommen wäre.


Aeußere Ansicht des Hauses. (Facsimile. Alter Kupferstich.) (S. 462.)

Durch Lose bestimmten wir ferner einen König und unser Oberkanonier wurde [463] König von Nowaja-Semlja, einem Lande zwischen zwei Meeren und von etwa zweihundert Meilen Länge.«


Das Schiff des Barentz. (S. 466.)

Vom 21. Januar ab zeigten sich die Füchse wieder weniger, während die Bären öfter erschienen, und der Tag nahm nun auch so viel zu, daß die Holländer doch dann und wann an die freie Luft gehen konnten. Am 24. starb ein schon lange Zeit kranker Matrose und wurde nahe dem Hause [464] im Schnee begraben. Am 28. war sehr schönes Wetter, so daß Alle das Haus verließen, umherspazierten und einander Schneeballen zuwarfen, um die Glieder etwas zu üben, denn Alle waren ungemein entkräftet und die meisten vom Scorbut ergriffen. Sie waren so geschwächt, daß sie beim Herbeitragen des nöthigen Holzes mehrmals ausruhen mußten. In den ersten Tagen des März endlich, welche noch einige tolle Schneestürme brachten, [465] sahen sie, daß das Meer eisfrei geworden war. Nichtsdestoweniger währte die rauhe Witterung und eine eisige Kälte noch immer fort. Noch durfte man gar nicht daran denken, wieder in See zu gehen, denn das Schiff lag in seinem Eiskerker noch gleichmäßig fest. Am 15. April besuchten sie dasselbe und fanden es in ziemlich leidlichem Zustande.

Anfangs Mai wurden die Matrosen allgemach ungeduldig und fragten Barentz, ob er nicht Anstalt treffen wollte, abzureisen. Dieser antwortete ihnen aber, daß sie noch bis zum Ende des Monats warten müßten, und daß dann, wenn es die Umstände gestatteten, das Schiff abzutakeln, die Schaluppe und das große Boot in Stand gesetzt werden sollten, um auf dem Meere segeln zu können. Vom 20. dieses Monats begannen nun wirklich die Vorbereitungen zum Aufbruch; mit welcher Freude und mit welchem Eifer kann man sich wohl leicht vorstellen. Die Schaluppe ward ausgebessert, Segelwerk für dieselbe angefertigt, Schaluppe und Boot in's Wasser geschafft und mit den nöthigen Provisionen beladen. Endlich, da nun überall offenes Wasser war und ein günstiger Wind blies, suchte Heemskerke den schon seit einiger Zeit erkrankten Barentz auf und erklärte, »daß es ihm jetzt gerathen scheine, von hier abzufahren und in Gottes Namen die Reise anzutreten, um Nowaja-Semlja zu verlassen«. »Wilhelm Barentz hatte schon früher ein kurzes Schriftstück aufgesetzt, worin er erzählte, wie wir von Holland abgefahren seien, um nach China zu gehen,. und Alles mittheilte, was sich sonst zugetragen hatte, so daß, wenn Jemand nach uns durch Zufall hierherkam, er erfuhr, was uns begegnet war. Das Papier steckte er in ein Flintenfutteral und hing es am Kamine auf.«

Am 13. Juni 1597 verließen die Holländer das noch immer vom Eise umschlossene Schiff, und die beiden Schaluppen, deren Insassen sich der Barmherzigkeit Gottes empfehlend, stachen in See. Sie erreichten die Orange-Inseln und folgten unter unaufhörlichen Gefahren der Ostküste Nowaja-Semljas.

Am 20. Juni ward Nikolaus Andrieu sehr schwach und wir sahen wohl, daß es mit ihm bald zu Ende gehen werde. Der Lieutenant des Gouverneurs kam in unsere Schaluppe und meldete, daß sich Nikolaus Andrieu sehr übel befände und daß man seinen demnächst zu erwartenden Tod vor Augen sehe. Darauf erwiderte Wilhelm Barentz: »Mir scheint, daß auch mein Leben nicht mehr lange dauern wird«. Wir glaubten gar nicht, [466] daß Barentz wirklich so krank sei, denn wir plauderten eben mit ihm und er betrachtete die kleine Karte, welche ich von unserer Reise entworfen hatte; endlich legte er die Karte weg und sagte zu mir: »Gerard, gieb mir zu trinken!« Nachdem er ein wenig getrunken, überfiel ihn eine solche Schwäche, daß er die Augen im Kopfe verdrehte und plötzlich verschied, ohne daß wir Zeit gewannen, den Kapitän herbeizurufen, der sich auf dem anderen Fahrzeuge befand. Wilhelm Barentz' Ableben betrübte uns im höchsten Grade, da er ja unser eigentlicher Führer und einziger Pilot war, der das unbegrenzte Vertrauen aller Theilnehmer der Fahrt besaß. Dem Willen Gottes aber konnten wir ja nicht widerstreben, und dieser Gedanke beruhigte uns doch ein wenig.«

So starb der berühmte Barentz inmitten seiner Entdeckungen, wie seine Nachfolger Franklin und Hall. Aus den wohlerwogenen traurigen Worten des kurzen Nachrufes Gerrit de Veer's fühlt man die Liebe, die Sympathie und das Vertrauen, das dieser kühne Seeheld seinen unglücklichen Gefährten einzuflößen verstanden hatte. Barentz glänzt als einer der ersten Sterne Hollands, das an muthigen und geschickten Seefahrern ja so reich ist. Wir werden später erzählen, was zur Ehre seines Andenkens geschah.

Nachdem sie wiederholt genöthigt gewesen waren, die Boote aus dem Wasser zu ziehen, wenn sie nicht durch Eisschollen erdrückt werden sollten, nachdem sie das Meer öfter sich vollkommen hatten öffnen und auch wieder schließen sehen, nach bitterem Leiden an Hunger und Durst, erreichten die Holländer glücklich das Cap Nassau. Als sie so eines Tages gezwungen waren, die Boote auf das Eisfeld herauszuziehen, das jene zu vernichten drohte, verloren sie einen großen Theil ihres Proviants und wären bald Alle ertrunken, denn das Eis brach unter ihren Füßen. Mitten in ihrem Elend erfreuten sie sich doch manchen Glücksfalles. So fanden sie z.B. auf der Insel Croix sechzig Eier von der Bergente. »Sie wußten nur nicht gleich, wie diese fortzuschaffen seien. Endlich zog einer der Leute die Hosen aus, band sie unten zu und in diese steckte man nun die Eier; der sonderbare Behälter wurde an einem Spieße nach der Landungsstelle getragen. Erst nach zwölf Stunden kamen die Leute wieder, so daß wir fürchteten, es sei ihnen ein Unfall zugestoßen. Die Eier wurden hochwillkommen geheißen und wir speisten wie die großen Herren.« Vom 13. Juli ab schaukelten die Holländer auf einem Meere, das, wenn auch nicht gänzlich eisfrei, doch [467] nicht mehr die großen Eisfelder mit sich führte, deren Ueberschreitung ihnen so viel Mühe gekostet hatte. Beim Einlaufen in den St. Lorenz begegneten sie am 28. Juli zwei russischen Barken, denen sie sich zuerst nicht zu nähern wagten. Als sie die Matrosen aber ohne Waffen und unter Andeutungen ihrer friedlichen Gesinnung auf sich zukommen sahen, verbannten sie jede Furcht, vorzüglich weil sie sich erinnerten, dieselben schon im vorigen Jahr in der Nähe von Waigatz getroffen zu haben. Von diesen erhielten sie einige Unterstützung und setzten ihre Reise, immer so dicht am Lande, wie das Eis es erlaubte, längs der Küste Nowaja-Semljas fort. Bei Gelegenheit einer Landung fanden sie Exemplare der Cochlearea (Löffelkraut), einer Pflanze, deren Blätter und Samen eines der kräftigsten Anti-Scorbuticis darstellen. Alle aßen davon mit vollen Händen und spürten auch sofort eine wesentliche Erleichterung Inzwischen gingen ihre Lebensmittel zu Ende; sie besaßen nur noch ein wenig Brot, doch keinen Wein mehr. Nun faßten sie den Entschluß, sich mehr in die offene See zu wagen, um den Weg nach Rußland möglichst abzukürzen, wo sie wenigstens einige Fischerbarken anzutreffen hofften, von denen sie Hilfe erhalten konnten. Ihre Hoffnung sollte nicht getäuscht werden, wenn sie auch noch Manches zu erdulden hatten. Die Russen erwiesen sich gegen die Unglücklichen sehr mitleidig und lieferten ihnen wiederholt Nahrungsmittel, um sie vom Hungertode zu retten. Durch einen dichten Nebel wurden die beiden Boote von einander getrennt. Sie fanden sich erst weit jenseits des Caps Kanin, an der anderen Seite des Eismeeres, bei der Insel Kildyn wie der zusammen, wo Fischer den Holländern mittheilten, daß sich in der Kola drei Schiffe ihrer Nation befänden, welche segelbereit lagen, um nach der Heimat zurückzukehren. In Begleitung eines Lappländers sandten sie also einen der Ihrigen ab, der nach drei Tagen mit einem Schreiben zurückkam, das die Unterschrift Johann Rijp trug. Wie erstaunten die Holländer, als sie diese Züge erkannten. Durch Vergleichung dieses Briefes mit verschiedenen anderen, welche Heemskerke besaß, überzeugten sie sich endgiltig, daß derselbe von dem Kapitän herrühre, der sie im vorigen Jahre begleitet hatte. Einige Tage später, am 30. September, kam auch Rijp selbst auf einer mit Proviant beladenen Barke an, um sie abzuholen und in den Kolafluß zu geleiten, wo sein Schiff vor Anker lag.

Rijp war im höchsten Grade verwundert über Alles, was sie ihm erzählten, und über die schreckliche Reise von fast vierhundert Meilen, welche [468] nicht weniger als hundertvier Tage, vom 13. Juni bis 25. September, gedauert hatte. Wenige Tage der Ruhe und gesunde, hinreichende Nahrung genügten, um die letzten Spuren des Scorbuts zu verscheuchen und die Seeleute völlig wieder herzustellen. Am 17. October verließ Rijp die Kola und am 1. November schon langte die Gesellschaft in Amsterdam an. »Wir trugen dieselbe Kleidung, sagt Gerrit de Beer, wie in Nowa ja-Semlja, und Mützen von weißem Fuchs auf dem Kopfe; so gingen wir nach der Wohnung Peter Hasselaer's, eines der Curatoren von Amsterdam, der die Ausrüstung der beiden Schiffe Johann Rijp's und unseres Kapitäns überwacht hatte. Daselbst zum allgemeinsten Erstaunen angekommen – denn wir galten schon lange als todt – verbreitete sich diese Mär wie ein Lauffeuer weiter und drang auch nach dem Palaste des Prinzen, wo der Kanzler des Reiches und der Gesandte des berühmten Königs von Dänemark, Norwegen und der Gothen und Vandalen zur Tafel geladen waren. Von Herrn L'Ecoutet's und mehreren hervorragenden Männern der Stadt wurden nun auch wir dahin geführt und erstatteten dem Herrn Gesandten und den Herren Bürgermeistern einen Bericht von unserer Fahrt. Dann erst begaben wir uns nach Haus. Diejenigen, die nicht aus der Stadt stammten, wurden auf einige Tage in einem Gasthause einquartiert bis wir unser Geld empfingen und Jeder seines Weges zog. Von der Reise kehrten noch folgende Theilnehmer zurück: Jakob Heemskerke, Bevollmächtigter und Kapitän, Peter Peterson Vos, Gerard de Beer, Schiffsmeister Johann Vos, Arzt, Jakob Jansen Sterrenburg, Leonhard Henri, Lorenz Wilhelm, Johann Hillebrants, Jakob Jansen Hoochwont, Peter Corneille, Jakob van Buisen und Jakob Everts.«

Von den wackeren Seeleuten allen haben wir nicht viel mehr zu sagen, außer daß de Beer im folgenden Jahre seinen Reisebericht veröffentlichte, und Heemskerke, nachdem er mehrere Reisen nach Indien gemacht, im Jahre 1607 den Oberbefehl über eine Flotte von sechsundzwanzig Schiffen erhielt, mit denen er am 25. April den Spaniern unter den Kanonen von Gibraltar eine hitzige Schlacht lieferte, in welcher die Holländer zwar Sieger blieben, er selbst aber seinen Tod fand.

Erst 1871, also fast dreihundert Jahre später, wurde die Stelle, an der Barentz mit seinen Leuten überwintert hatte, wiedergesehen. Er umschiffte als erster und bis auf unsere Zeit als einziger Seemann die Nordspitze von [469] Nowaja-Semlja. Am 7. September 1871 nämlich entdeckte der norwegische Kapitän Elling Carlsen, der sich durch wiederholte glückliche Reisen im Eismeere ausgezeichnet hatte, Barentz' Hafen und fand am 9. das Hans wieder, das die. Holländer einst geschützt hatte. Es sah aus, als wäre es am Tage vorher gebaut, so überraschend gut hatte es sich erhalten. Alles fand sich darin in dem Zustand, wie es die Schiffbrüchigen einst verlassen. Nur die Bären, Füchse und andere Bewohner dieser ungastlichen Gegend hatten diesen Ort besucht. Rings nm das Haus lagen da und dort große Tonnen und Haufen von Walroß-und Bärenknochen. Im Innern stand Alles an seinem Platz und bot ein getreues Abbild von de Veer's merkwürdiger Zeichnung. Hier standen die Betten längs der Wände, wie sie jener wiedergab, ebenso wie die Uhr, einige Flinten und eine Hellebarde. Unter den von Kapitän Carlsen mit heimgebrachten Geräthen, Waffen und Gegenständen verschiedener Art erwähnen wir zwei kupferne Schiffs-Kochtöpfe, einige Decken, Gewehrläufe, Hausgeräthe, Meißel und Feilen, ein paar Stiefel, neunzehn Patronen, deren einige noch das Pulver enthielten, die Wanduhr, eine Flöte, Schlösser und Riegel, sechsundzwanzig zinnerne Leuchter, Reste von Zeichnungen und drei holländische Bücher, darunter eine Geschichte von China, die letzte Ausgabe Mendoza's, welche auf das Ziel hindeutet, das Barentz bei seiner Fahrt im Auge hatte, und ein Navigations-Manual, das den Beweis für die Sorgfalt liefert, mit welcher der Pilot sich über alles in seinem Fache Vorkommende auf dem Laufenden zu erhalten suchte.

Bei seiner Rückfahrt aus dem Hafen von Hammerfest begegnete Kapitän Carlsen einem Holländer, Lister Kay, der die Reliquien von Barentz erwarb und sie der niederländischen Regierung überließ Diese Gegenstände selbst fanden einen Platz im Marine-Museum im Haag, wo auch ein vorn offenes Haus construirt wurde, welches genau de Veer's Zeichnung entspricht. Jedes einzelne Geräth, ebenso wie alle Instrumente haben denselben Platz erhalten wie in dem Hause auf Nowaja-Semlja. Die kostbaren Zeugnisse eines wichtigen Ereignisses, der ersten Ueberwinterung in den arktischen Meeren, die rührenden Erinnerungen an Barentz, Heemskerke und deren treue Gefährten, bilden eines der interessantesten Monumente des ganzen Museums und werden stets mit Pietät und Liebe betrachtet werden. An der Seite der Uhr hängt ein Quadrant aus Kupfer, durch dessen Mitte ein Meridian gezogen ist; dieser merkwürdige Quadrant, den Plancius wahrscheinlich zur [470] Bestimmung der Abweichung der Magnetnadel erfand, hat eine weitere Verbreitung nicht gefunden. Hier bildet er ein ebenso werthvolles Stück, wie auf der anderen Seite die Flöte, welche Barentz geblasen hat, und die Schuhe des armen Matrosen, der das Winterlager nicht überlebte. Niemand vermag diese merkwürdige Sammlung ohne die tiefste Bewegung zu betrachten.

4. Capitel
Viertes Capitel.
Abenteurer-Reisen und Kaperkriege.

Drake. – Cavendish. – De Noort. – Walter Raleigh.


Eine elende Hütte von Tavitstock in Devonshire wurde im Jahre 1540 die Geburtsstätte Franz Drake's, der durch seine nie ermüdende Thatkraft Millionen gewinnen sollte, die er übrigens mit derselben Leichtigkeit wieder verlor, wie er sie erworben hatte. Edmund Drake, sein Vater, gehörte zu den Weltpriestern, die sich der Erziehung des Volkes widmeten. Seine Armuth überragte nichts als die Achtung, die man seinem Charakter allgemein zollte. Mit Familie reich gesegnet, sah sich Franz Drake's Vater gezwungen, den Sohn sich der Seemanns-Carrière widmen zu lassen, für welche dieser auch eine lebhafte Neigung zeigte, und so diente Letzterer als Schiffsjunge bei einem Küstenfahrer, der die Frachtbeförderung nach Holland betrieb. Arbeitsam, thätig, ausdauernd und haushälterisch, wie der junge Franz Drake war, hatte er sich sehr bald die zur Führung eines Schiffes nöthigen theoretischen Kenntnisse angeeignet. Als er seine Vermögensverhältnisse etwas aufgebessert hatte, die durch den glücklichen Verkauf eines ihm von seinem ersten Patron überlassenen Schiffes merklichen Zuwuchs erfuhren, wagte er einige weitere Reisen, besuchte die Bai von Biscaya, den Golf von Guinea und verwandte alle seine Mittel zur Beschaffung einer Ladung, welche er in Westindien zu verkaufen gedachte. Kaum beim Rio de la Hacha angelangt, wurden ihm, man weiß nicht unter welchem haltlosen Vorwande, Schiff und Ladung confiscirt. Alle Reclamationen Drake's, der sich zu Grunde gerichte [471] sah, blieben ohne Erfolg. Er schwur, sich für eine solche Ungerechtigkeit zu rächen, und hielt auch Wort.

Im Jahre 1567, d. h. zwei Jahre nach diesem Mißerfolge, verließ eine kleine Flotte von sechs Schiffen, deren größtes siebzig Tonnen maß, Plymouth, um mit der Genehmigung der Königin eine Expedition längs der Küsten Mexicos auszuführen. Drake selbst befehligte ein Fahrzeug von fünfzig Tonnen. Ganz im Anfange wurden am Grünen Vorgebirge einige Neger eingefangen, eine Probe für das Verfahren, welches in Mexico eingeschlagen werden sollte. Dann belagerte man Mina, wo wiederum Neger gefangen genommen wurden, die auf den Antillen verkauft werden sollten. Havkins bemächtigte sich, jedenfalls auf Drake's Anrathen, der Stadt Rio de la Hacha; dann gelangte er nach einem schrecklichen Sturm nach San Jean d'Ulloa. Dieser Hafen enthielt aber eine zahlreiche, mit mächtiger Artillerie ausgerüstete Flotte. Das englische Geschwader wurde geschlagen und Drake vermochte nur mit größter Mühe im Jahre 1568 nach dem Gestade Englands zurückzukehren.

In der Folge führte Drake zwei Expeditionen nach Westindien, um das Land näher kennen zu lernen. Als er sich im Besitz der nöthigen Vorkenntnisse glaubte, rüstete er auf eigene Kosten zwei Schiffe aus: den »Swan« von fünfundzwanzig Tonnen, unter dem Befehle seines Bruders John, und den »Pascha von Plymouth«, von siebzig Tonnen. Als Besatzung hatten die beiden Fahrzeuge dreiundsiebzig echte Wasserratten, auf welche man sich verlassen konnte. Vom Juli 1572 bis August 1573 kreuzte Drake bald allein, bald in Verbindung mit einem gewissen Kapitän Rawse, erfolgreich längs der Küsten von Darien, griff die Städte Vera-Cruz und Nombre de Diaz an und machte beträchtliche Beute. Leider verliefen diese Züge nicht ohne manche Grausamkeiten und Gewaltthätigkeiten, deren man sich heute schämen würde. Wir wollen indeß bei diesen, im 16. Jahrhundert nur zu häufigen Acten von Seeräuberei und Barbarei hier nicht verweilen.

Nachdem sich Drake, dessen Name schon bekannt zu werden anfing, bei der Unterdrückung der irischen Empörung betheiligt hatte, ließ er sich der Königin Elisabeth vorstellen. Er legte ihr sein Project vor, die Westküsten Südamerikas, wohin er durch die Magellanstraße gehen wollte, zu verwüsten, und erhielt dazu nebst dem Titel eines Admirals fünf Schiffe mit 160 auserwählten Matrosen.


Elisabeth verlieh Drake den Titel eines Ritters. (S. 479.)

Am 15. November 1577 von Plymouth abgefahren, traf Franz Drake mit den Mauren von Mogador zusammen, die er nicht besonders rühmt, und machte einige geringe Beute, bevor er nach den Inseln des Grü [472] nen Vorgebirges kam, wo frischer Proviant eingenommen wurde; dann brauchte er sechsundfünfzig Tage über den Ocean bis zur Küste Brasiliens. Dieser folgte das Geschwader bis zur Mündung des La Plata, wo es nochmals [473] Wasser faßte, und erreichte die Seehundsbai in Patagonien, wo die Seefahrer mit den Wilden verschiedene Tauschgeschäfte abschlossen und eine Menge Pinguins (Fettgänse) und Seewölfe zur Vermehrung des Proviants erlegt wurden.

»Einige der Patagonier, deren man am 18. Mai etwas unterhalb der Seehundsbai ansichtig wurde, sagt der Originalbericht, trugen dem Anschein nach auf dem Kopfe ein Horn und eine Art Hüte aus vielen herrlichen Vogelfedern. Das Gesicht hatten sie mit verschiedenen Farben bunt bemalt, und Jeder führte einen Bogen, mit dem stets zwei Pfeile auf einmal abgeschossen wurden. Es sind sehr gewandte Leute, welche recht kriegsgeübt erscheinen, denn sie marschiren nach allen Richtungen in guter Ordnung, und selbst wenn ihrer nur Wenige waren, wußten sie sich doch so aufzustellen, daß man sie für weit zahlreicher hielt.« Charton bemerkt in seinen »alten und neuen Reisenden«, daß Drake nichts über den außerordentlich hohen Wuchs der Patagonier sagt, den Magellan ausdrücklich hervorhebt. Hierzu lag wohl mehr als ein guter Grund vor. In Patagonien giebt es mehr als einen Volksstamm, und die Beschreibung, welche Drake von den Wilden liefert, denen er begegnet war, weicht überhaupt sehr stark von Pigafetta's Schilderung der Patagonier des Hafens St. Julien ab. Existirt wirklich, wie man heute anzunehmen berechtigt ist, in jenen Gegenden eine Menschenrace von außerordentlicher Größe, so hat man deren Wohnsitz nur an den Gestaden der Meerenge am südlichsten Ende des Landes zu suchen und nicht fünfzehn Tagereisen vom Hafen Désiré, wo Drake am 8. Juni ankam. – Am folgenden Tage erreichte er den Hafen St. Julien; hier fand sich noch ein Galgen vor, den Magellan einst zur Bestrafung einiger meuterischer Mannschaften errichtet hatte. Drake seinerseits wählte jetzt diese Stelle, sich eines seiner Kapitäne, Namens Doughty, zu entledigen, der schon längst des Verrathes und der Absicht, das Geschwader verlassen zu wollen, beschuldigt war und sich wiederholt von der Flotte zu entfernen gesucht hatte. Da einige Matrosen gestanden, daß er sich bemüht habe, sie zu verführen und mit ihm gemeinschaftliche Sache zu machen, um die Reise gewaltsam zu unterbrechen, wurde er der Rebellion und der Verleitung zum Ungehorsam angeklagt und entsprechend den englischen Gesetzen durch ein Kriegsgericht zur Enthauptung verurtheilt. Diesem Spruche folgte die Ausführung auf dem Fuße, obgleich [474] Doughty bis zum letzten Augenblick unter Betheuerung seiner Unschuld protestirte. Ob das Verbrechen Dough ty's wohl hinreichend erwiesen sein mochte? Wenn Drake bei seiner Rückkehr nach England trotz der Zuvorkommenheit, welche er allen seinen Untergebenen gegenüber bewahrte, angeklagt ward, sich die Gelegenheit zunutze gemacht zu haben, um sich eines gefährlichen Nebenbuhlers zu entledigen, so ist doch kaum anzunehmen, daß die vierzig Richter, welche jenes Urtheil fällten, in Folge einer Art heimlicher Uebereinkunft, den Wünschen ihres Admirals nachzukommen, einen Unschuldigen dem Tod geweiht hätten.

Am 20. August lief die Flotte, welche jetzt auf drei Schiffe reducirt war, nachdem zwei andere havarirte Fahrzeuge von dem Admiral vollends zerstört worden waren, in die Meerenge ein, welche seit Magellan's Zeiten noch Niemand wieder passirt hatte. Fand er hier auch schöne Häfen, so constatirte Drake doch, daß man daselbst, wegen der noch nahe dem Lande überaus großen Tiefe des Wassers, nur schwierig vor Anker gehen könne, und daß heftige, stoßweise auftretende Winde die Schifffahrt hier gefährlich machten. Bei einem Unwetter, das ihn nahe am Ausgange der Meerenge nach dem Pacifischen Ocean überfiel, sah Drake eines seiner Schiffe untergehen, während sein letzter Begleiter sich wenige Tage später von ihm trennte, ohne daß er diesen bis zum Ende der ganzen Reise wieder zu Gesicht bekam. Jetzt wurde Drake überdies von Strömungen südlich von der Meerenge bis 55°20' südlicher Breite verschlagen; durch das Unheil, welches er nachher aber den Spaniern zufügte, zeigte er, was er auszurichten im Stande gewesen wäre, wenn er die ganze von England ausgelaufene Flotte noch beisammen gehabt hätte. Bei Gelegenheit einer Landung auf der Insel Mocha verloren die Engländer zwei Todte neben mehreren Verwundeten, und Drake selbst, den zwei Pfeile am Kopfe trafen, sah sich in die Unmöglichkeit versetzt, den Verrath der Indianer zu bestrafen. Im Hafen von Valparaiso bemächtigte er sich eines mit Weinen von Chili und zum Werthe von 37.000 Ducaten geschätzten Goldbarren beladenen Schiffes; dann plünderte er auch die von den Einwohnern in aller Eile verlassene Stadt. In Coquimbo hatte man von seiner Annäherung Nachricht; hier traten ihm so beträchtliche Streitkräfte entgegen, daß er sich schnell wieder einschiffen mußte. In Arika raubte er drei kleine Barken und fand in einer derselben siebenundfünfzig, auf 50.160 Pfund geschätzte Silberbarren. Auch [475] im Hafen von Lima, wo zwölf Schiffe oder Barken vor Anker lagen, machte er reiche Beute. Am meisten freute sich Drake aber darüber, zu hören, daß eine Gallion Namens »Caga-Fuego« mit kostbarer Ladung nach Paraca unterwegs sei. Er begann sofort deren Verfolgung, nahm dabei vorher noch eine Barke weg mit vierundachtzig Pfund Gold, entsprechend 14.080 französischen Thalern, und es gelang ihm auch ohne Mühe, sich auf der Höhe des Caps San-Francisco der »Caga-Fuego« zu bemächtigen, auf welcher er wiederum achtzig Pfund Gold vorfand. Da sagte lächelnd ein spanischer Steuermann: »Kapitän, unser Schiff sollte nicht »Caga-Fuego« (d. i. Feuerspeier), sondern lieber Caga-Plata (d. i. Silber-Speier), das Eurige könnte aber »Caga-Fuego« heißen.«

Nachdem Drake am Gestade Perus noch eine Menge mehr oder weniger reiche Prisen gemacht, hörte er, daß zu seiner Bekämpfung eine ganz beträchtliche Streitmacht zusammengezogen werde, und sagte sich nun, daß es Zeit sei, nach England zurückzukehren. Hierzu standen seinem Schiffe drei Wege offen: er konnte durch die Magellan-Straße zurückkehren oder den großen Ocean überschreiten und nach Umschiffung des Caps der Guten Hoffnung den Atlantischen Ocean durchmessen, oder endlich an der Küste von China hinausgehen und durch das Eismeer um das Nordcap herumzudringen suchen. Zu dem letzten, scheinbar sichersten Wege entschloß sich Drake nach kurzer Ueberlegung. Er stach also in See, erreichte den 38. Grad nördlicher Breite und landete in der Bai von San-Francisco, welche Bodega schon drei Jahre früher entdeckt hatte. Es war im Monat Juni, die Temperatur sehr niedrig und das Land mit Schnee bedeckt Die Bemerkungen, welche Drake über seinen Empfang von Seiten der Eingebornen macht, sind sehr bezeichnend: »Als wir anlegten, gab sich bei den Wilden die größte Verwunderung zu erkennen, und da sie glaubten, daß wir Götter seien, empfingen sie uns mit größter Unterwürfigkeit und Ehrfurcht.

So lange wir hier verweilten, drängten sie sich tagtäglich herbei, uns zu sehen, und brachten bald schöne Federbüsche aus Federn von den verschiedensten Farben zusammengestellt, bald auch »Pletun« (Tabak), ein Kraut, dessen sich die Indianer gewöhnlich zu bedienen pflegen. Bevor sie uns aber alles das anboten, blieben sie in einiger Entfernung, da, wo wir die Zelte aufgeschlagen hatten, stehen. Dort entstand meist zuerst ein lebhaft [476] geführtes Gespräch, bis sie endlich Pfeile und Bogen an jener Stelle ablegten und sich dann heranwagten, um ihre Geschenke anzubieten.

Als sie zum ersten Male kamen, blieben ihre Weiber auf dem nämlichen Platze zurück, kratzten sich fast die Haut von den Wangen und brachen in lautes Heulen und Wehklagen aus, worüber wir nicht wenig erstaunten. Später wurden wir belehrt, daß es eine Art Opfer war, welches sie uns dadurch darbrachten.«

Diese Einzelheiten, welche Drake über die Indianer von Kalifornien berichtet, sind fast das Einzige, was er von den Sitten und Gebräuchen der von ihm besuchten Völker mittheilt. Wir weisen hier nur nochmals auf die langen, erregten Verhandlungen hin, die der Reisende ausdrücklich hervorhebt und die sich auch bei den Indianern von Canada wiederfinden, wie es Cartier etwa vierzig Jahre vorher beobachtet hatte.

Drake drang nicht weiter nach Norden vor und verzichtete auf seine früheren Absichten, durch das Eismeer zurückzukehren. Als er wieder unter Segel ging, steuerte er auf den Aequator zu und wollte über die Molukken und um das Cap der Guten Hoffnung herum nach England fahren. Da uns dieser Theil der Reise durch schon bekannte Länder führt und Drake's Beobachtungen während derselben weder sehr zahlreich noch besonders neu sind, so berichten wir über denselben nur ganz kurz.

Am 13. October 1579 erreichte Drake unter 8° nördlicher Breite eine Inselgruppe, bei deren Bewohnern die Ohren durch das Gewicht der daran gehängten Schmuckgegenstände auffallend verlängert waren; die Nägel, welche sie unbeschnitten wachsen ließen, schienen ihnen als Vertheidigungswaffen zu dienen, ihre wie Schiffspech so schwarzen Zähne erhielten diese Farbe durch den Gebrauch des Betels. Nachdem hier Drake ein wenig geruht, segelte er durch die Philippinen und kam am 14. November vor Termate an. Der König dieser Insel begab sich zu ihm an Bord in Begleitung von vier Canots voll seiner ersten Officiere, welche Alle Staatskleidung, angelegt hatten. Nach dem gewöhnlichen Austausche von Höflichkeiten und kleinen Geschenken erhielten die Engländer Reis, Zuckerrohr, Geflügel, »Figo«, Gewürznäglein und Sagomehl. Am folgenden Tage wohnten einige an's Land gegangene Matrosen einer feierlichen Berathschlagung bei. »Als der König erschien, trug man einen großen, goldgestickten Sonnenschirm über und vor ihm her. Er war nach der Sitte des Landes, aber[477] außerordentlich reich gekleidet, denn von den Schultern bis zu den Füßen umhüllte ihn ein Mantel aus Goldstoff. Als Kopfschmuck trug er eine Art ganz aus seinem Golde gearbeiteten und mit Edelsteinen verzierten Turban mit Troddeln aus demselben Stoffe. Von seinem Halse herab hing eine prächtige Goldkette mit breiten und starken Gelenken und Schnallen. Die Finger zierten sechs Ringe mit den kostbarsten Steinen und an den Füßen endlich hatte er Schuhe aus feinstem Maroquin.«

Nachdem er eine Zeit lang in diesem Lande verweilt, um seine Mannschaft wieder Kräfte sammeln zu lassen, ging Drake abermals in See, am 9. Juni 1580 strandete er jedoch auf einem Felsen und mußte, um wieder flott zu werden, acht Geschütze und eine große Menge Proviant über Bord werfen; einen Monat später traf er in Baratene ein, wo das Schiff ausgebessert wurde. Diese Insel erzeugte in Ueberfluß Silber, Gold, Kupfer und Schwefel, Gewürze, Limonien, Cocos und andere köstliche Früchte. »Wir beluden unsere Schiffe reichlich und gestehen, seit unserer Abreise von England keinen Ort angetroffen zu haben, wo sich ein größerer Reichthum an Lebens-und Erfrischungsmitteln vorgefunden hätte, als auf dieser Insel und in Termate.«

Von hier aus landete Drake zunächst bei Groß-Java, dessen fünf Könige, die sich in die Herrschaft der Insel theilten, ihn recht herzlich empfingen. »Die Leute sind Alle ziemlich wohlbeleibt, sehr neugierig und mit guten, kunstvoll gearbeiteten Waffen, wie Degen, Dolchen und Rundschilden ausgerüstet.«

Drake befand sich noch lange auf Java, als er vernahm, daß unsern davon eine mächtige Flotte ankere, welche er für eine spanische Flotte hielt. Um ihr zu entgehen, brach er sofort auf. Glücklich umschiffte der kühne Seeheld das Cap der Guten Hoffnung, lief Sierra-Leone an, um Wasser einzunehmen, und erreichte Plymouth am 3. November 1580. nach einer Abwesenheit von drei Jahren weniger einigen Tagen.

Der ihm in England zu Theil werdende Empfang war zuerst wider Erwarten kühl. Seine Handstreiche gegen spanische Städte und Schiffe zur Zeit, wo beide Nationen mit einander im vollständigsten Frieden waren, erwarben ihm mit Recht den Namen eines Seeräubers, der alles Völkerrecht mit Füßen trete. Fünf Monate lang stellte sich sogar die durch diplomatische Rücksichten gebundene Königin so, als wüßte sie gar nichts von seiner [478] Rückkehr. Nach Ablauf dieser Zeit aber begab sie sich, ob sich nun die Verhältnisse geändert hatten oder sie dem geschickten Seemann gegenüber nicht länger mit aller Strenge urtheilen mochte, nach Deptford, wo Drake's Schiff vor Anker lag, ging zu ihm an Bord und verlieh dem Seefahrer den Titel eines Ritters.

Von dieser Zeit ab ist seine Rolle als Entdecker ausgespielt; sein Leben als Kriegsheld und unversöhnlicher Feind der Spanier aber liegt unserem Interesse zu fern. Mit Ehren überhäuft und mit den wichtigsten Stellungen betraut, fand Drake am 28. Januar 1596 bei einem Zuge gegen die Spanier auf dem Meere seinen Tod.

Ihm kommt die Ehre zu, als der Zweite die Magellan-Straße durchschifft und das Feuerland bis zum Cap Horn hinab gesehen zu haben. Ebenso segelte er weiter als alle seine Vorgänger an der Küste Amerikas hinauf und entdeckte mehrere Inseln und Archipele. Als sehr gewandter Seefahrer fand er sich schnell und ohne Unfall durch jene Straße, und wenn man ihm nur wenig eigentliche Entdeckungen nachrühmt, so rührt das wohl daher, daß er es vernachlässigte, sie gehörig in sein Journal einzutragen, und sie zuweilen auf so unsichere Weise bezeichnete, daß man Mühe hat, sie wieder aufzufinden. Er war es, der die Kaperkriege begann, durch welche die Engländer und später die Holländer den Spaniern so unberechenbaren Schaden zufügten. Der große Vortheil, den er davon hatte, ermunterte auch seine Zeitgenossen und rief in ihnen die Vorliebe für weite, abenteuerreiche Reisen wach.

Unter Denen, welche sich an Drake ein Beispiel nahmen, ist Thomas Cavendish oder Candisch ohne Widerrede der berühmteste. Schon sehr jung in die englische Kriegsmarine eingetreten, verlebte Cavendish eine ziemlich stürmische Jugend, wobei er sein kleines Vermögen bald verschwendete. Was das Spiel ihm geraubt, das gedachte er von den Spaniern wieder zu gewinnen.

Nach Erlangung von Kaperbriefen im Jahre 1585, ging er nach Ostindien unter Segel und kam mit unermeßlicher Beute wieder heim. Ermuntert durch diesen leichten Erfolg als Seeräuber auf den befahrendsten Meereswegen, erschien es ihm ganz wünschenswerth, neben der Gewinnung von Schätzen gleichzeitig etwas Ehre und Ruhm zu erwerben. Er kaufte also drei Schiffe, den »Desir« von zwanzig, den »Content« von sechzig und den »Hugh-Gallant« [479] von vierzig Tonnen, auf denen er hundertdreiundzwanzig Matrosen und Soldaten einschiffte.

Am 22. Juli 1586 ging er in See, passirte die Kanarischen Inseln, landete vor Sierra-Leone, griff die Stadt an und plünderte dieselbe, lief dann wiederum aus, durchschnitt den Atlantischen Ocean, nahm Cap St. Sebastian in Brasilien auf, segelte längs der Küste Patagoniens hin und erreichte am 27. November den Hafen Desiré. Hier fand er eine ungeheuere Menge Seehunde vor, welche sehr groß und so stark waren, daß vier Männer Mühe hatten, einen solchen zu überwältigen und zu tödten, und ganze Schaaren von Vögeln, welche wegen Mangels an Flügeln nicht fliegen konnten und sich von Fischen ernährten. Man bezeichnet dieselben im Allgemeinen als Manchots oder Pinguine. In dem hiesigen, sehr geschützten Hafen wurden die Schiffe auf das Land gezogen und ausgebessert. Während des dadurch entstehenden Aufenthaltes hatte Cavendish mehrere Scharmützel mit Patagoniern, »Menschen von ganz riesiger Gestalt, deren Füße achtzehn Zoll lang sind«, die ihm zwei Matrosen durch Pfeile mit scharfen Steinen an der Spitze verwundeten.

Am 7. Januar 1597 drang Cavendish in die Magellan-Straße ein und nahm an der engsten Stelle des Kanals einundzwanzig Spanier und zwei Frauen auf, die Ueberlebenden der drei Jahre vorher von dem Kapitän Sarmiento unter dem Namen Philippeville gegründeten Kolonie. Diese Stadt, welche eigentlich angelegt war, die Schifffahrt durch die Meerenge zu sperren, besaß außer mehreren Kirchen nicht weniger als vier Forts. Cavendish sah noch die verlassene und schon halb in Ruinen liegende Festung. Ihre Bewohner, welche durch die unablässigen Angriffe der Wilden verhindert wurden, irgend etwas zu erbauen und einzuernten, waren entweder Hungers gestorben oder bei dem Versuche, nach den spanischen Besitzungen in Chili zu gelangen, elend umgekommen. Auf Grund dieser jammervollen Mittheilungen änderte Cavendish den Namen Philippeville in Port-Famine (Hungerhafen), unter welcher Bezeichnung dieselbe Stelle noch heute bekannt ist. Am 21. lief er in eine schöne Bai ein, die den Namen Elisabeth erhielt und in welcher der Zimmermann von dem »Hugh-Gallant« begraben wurde. Unsern davon mündete ein herrlicher Strom, an dessen Ufern Menschenfresser wohnten, welche mit den Spaniern so schreckliche Kriege geführt hatten, und die unsere Engländer vergeblich in das Innere des Landes zu verlocken versuchten.

[480] Am 24., als das kleine Geschwader in die Südsee auslief, wurde es von einem heftigen Sturme überfallen und in alle Winde verstreut. Der allein gebliebene »Hugh-Gallant« war an allen Seiten leck und konnte nur mit größter Mühe flott erhalten werden. Nachdem Cavendish die Begleitschiffe wieder aufgefunden, machte er einen vergeblichen Versuch, bei der Insel Mocha zu landen, wo Drake von den Araucaniern eine so üble [481] Behandlung erfahren hatte.


Gefecht von Manilla. (Facsimile. Alter Kupferstich.) (S. 486.)

Noch wollte es den Spaniern nicht gelingen, dieses an Gold und Silber reiche Land zu unterwerfen, dessen Einwohner Alles daran setzten, ihre Freiheit zu bewahren und jeden Landungsversuch mit bewaffneter Hand abwehrten. Die Schiffe mußten also nach der Insel Santa-Maria segeln, wo die Einwohner, weil sie die Engländer für Spanier hielten, ihnen Mais, Geflügel, Pataten, Schweine und andere Provisionen in Ueberfluß lieferten.

Am 30. desselben Monats warf Cavendish unter 32°50' in der Bai von Quintero Anker. Etwa dreißig Musketiere sahen bei einem kleinen Streifzuge durch das Land Ochsen, Kühe, wilde Pferde, Hafen und Rebhühner in großer Menge. Von den Spaniern angegriffen, mußte sich Cavendish mit einem Verluste von zwölf Mann nach dem Schiffe zurückziehen. Er rächte sich aber schnell, plünderte und verbrannte die Städte Paraca, Conicha, Posca, Païta und verwüstete die Insel Puna, wo ihm eine Beute von 645.000 Pfund gemünzten Goldes in die Hände fiel. Nachdem er den »Hugh-Gallant« wegen der Unmöglichkeit, ihn wieder seetüchtig herzustellen, versenkt, setzte Cavendish seinen erfolgreichen Kreuzzug weiter fort, verbrannte, etwa auf der Höhe von Neu-Spanien, ein Schiff von 120 Tonnen, plünderte Aguatulio, äscherte es ein und eroberte nach sechsstündigem Gefechte ein mit kostbaren Stoffen und 122.000 Gold-Pesos beladenes Schiff von 708 Tonnen. Nun gedachte der »siegreiche und befriedigte« Cavendish die unermeßlichen Schätze, welche er aufgesammelt hatte, auch gegen einen unerwarteten Unfall zu sichern. Er segelte also über die Ladronen und Philippinnen und an Groß-Java vorüber, umschiffte das Cap der Guten Hoffnung, ruhte in St Helena, wo man Erfrischungen einnahm, und ankerte am 9. September 1588 nach zweijähriger kampf- und beutereicher Reise wieder im Hafen von Plymouth Ein Sprichwort sagt, daß Güter leichter zu erwerben als zu erhalten seien; an Cavendish sollte sich die Wahrheit dieser Worte bestätigen. Zwei Jahre nach seiner Rückkehr besaß er von den einstigen ungeheuren Reichthümern kaum noch so viel, um eine dritte Expedition auszurüsten. Es sollte das seine letzte werden.

Mit fünf Fahrzeugen am 6. August 1591 ausgelaufen, sah Cavendish seine Flottille an der Küste Patagoniens durch einen Orkan zerstreut, und vermochte diese erst im Hafen Desiré wieder zu sammeln. In der Magellanstraße überfielen ihn wiederum sehr heftige Stürme, so daß er, da ihn drei [482] seiner Schiffe verlassen hatten, eiligst umkehren mußte. Der Mangel an frischen Nahrungsmitteln, die Kälte und Entbehrungen aller Art, welche er zu erdulden hatte und die seine Mannschaft decimirten, zwangen ihn, längs der Küste Brasiliens hinauszusegeln, wo sich die Portugiesen freilich überall jedem Landungsversuche widersetzten. So starb Cavendish, vielleicht ebenso in Folge von Kummer wie von Entbehrung, bevor es ihm gelang, die Gestade Englands wieder zu erreichen.

Ein Jahr nach der Rückkehr der Gefährten Barentz', am 2. Juli 1598, liefen zwei Schiffe, die »Mauritius« und »Hendrick Fredrick«, nebst den beiden Jachten »Eendracht« und »Espérance« mit zweihundertachtundachtzig Mann von Amsterdam aus. Als Commandant dieses Geschwaders fungirte Olivier de Noort, der erst gegen dreißig Jahre zählte, sich durch mehrere weite Reisen aber schon einen Namen erworben hatte. Als Zweiten, sozusagen als Vice-Admiral, hatte er Jakob Claaz d'Ulpenda, und als Lootsen einen gewissen Melis, einen gewandten Seemann von englischer Abkunft. Diese mit Hilfe der Regierung Hollands von mehreren Kaufleuten in Amsterdam ausgerüstete Expedition verfolgte einen doppelten Zweck, sie sollte den Handel des Landes befördern helfen und dazu auch militärische Maßregeln vorbereiten. Früher begnügten sich die Holländer, von den Portugiesen diejenigen Waaren zu beziehen, welche sie mittelst ihrer Küstenschiffe in ganz Europa weiter vertrieben; jetzt trat an sie die Nothwendigkeit heran, den Bedarf an solchen in den Ursprungsländern selbst zu decken. Deshalb beauftragte man de Noort, seinen Landsleuten den von Magellan eröffneten Weg zu zeigen und dabei den Spaniern und Portugiesen möglichst viel Schaden zuzufügen. Zu jener Zeit nämlich erließ Philipp II., dessen Joch die Holländer sich eben entzogen, und der auch Portugal seiner Herrschaft unterworfen hatte, ein Verbot an seine Unterthanen, mit den niederländischen Rebellen irgendwelche Handelsbeziehungen zu unterhalten. Eben hierdurch sah sich Holland, wenn es nicht seinem Ruin entgegengehen und dadurch allein schon der spanischen Gewalt wieder verfallen wollte, gezwungen, nun selbst den Weg nach den Inseln der Gewürze aufzusuchen. Am seltensten segelten feindliche Schiffe durch die Magellan-Straße, diese Route sollte de Noort also einschlagen.

Nach flüchtigem Besuche Coreas ankerten die Holländer im Golf von Guinea, an der Insel do Principo. Die Portugiesen heuchelten eine freundschaftliche Gesinnung gegen die Leute, welche an's Land gekommen waren, [483] benutzten dann aber die günstige Gelegenheit, sich auf sie zu werfen und sie erbarmungslos niederzumachen. Zu den Umgekommenen gehörten Cornille de Noort, der Bruder des Admirals, Melis, Daniel Görrits und Johann von Bremen; nur dem Kapitän Peter Esias gelang es, zu entkommen. Das war freilich ein trauriger Anfang dieses Zuges, eine böse Vorbedeutung, welche leider nicht trügen sollte. Empört über diesen hinterlistigen Schurkenstreich, landete de Noort nun hundertzwanzig Bewaffnete; er fand die Portugiesen aber in so stark befestigter Stellung, daß er nach einem hitzigen Scharmützel, das ihm wiederum siebzehn Tode und Verwundete kostete, die Anker lichten mußte, ohne den feigen, gemeinen Verrath haben rächen zu können, dem sein Bruder und zwölf seiner Leute zum Opfer gefallen waren. Am 25. December wurde ein Steuermann, Namens Johann Volkers, an der Küste Afrikas ausgesetzt wegen seines disciplinwidrigen Benehmens, wegen offenbarer Auflehnung, und weil er versucht hatte, unter der Besatzung Mißmuth zu erregen. Am 5. Januar kam man in Sicht der Insel Annobon, im Meerbusen von Guinea, etwas unterhalb des Aequators gelegen, und wechselte nun den Kurs, um den Atlantischen Ocean zu überschreiten. Kaum ankerte de Noort in der Bai von Rio de Janeiro, als er einige Matrosen an's Land schickte, um Wasser einzunehmen und von den Eingebornen Proviant einzukaufen. Die Portugiesen widersetzten sich aber der Landung und tödteten dabei elf Mann. Von dem Gestade Brasiliens durch Portugiesen und Eingeborne vertrieben, von Gegenwinden nach rückwärts verschlagen, mußten die ihres Piloten beraubten Holländer, nach einem vergeblichen Versuche, die Insel St. Helena aufzufinden, wo sie neue, höchst nothwendig erforderliche Provisionen erhalten zu können hofften, ziellos auf dem Ocean umherirren. Dabei landeten sie an den verlassenen Inseln von Martin-Vaz, kamen wieder am Rio-Doce nach der Küste Brasiliens, das sie für die Insel Ascension hielten, und waren endlich gezwungen, auf der öden Insel Santa-Clara zu überwintern. Der Aufenthalt hier verlief nicht ohne mehrere verderbliche Zwischenfälle. Das Admiralschiff lief z.B. so heftig gegen eine Klippe an, daß es bei schwererem Seegange rettungslos verloren gewesen wäre. Ferner kam es zu mehreren blutigen und barbarischen Bestrafungen meuterischer Matrosen, unter Anderem eines armen Teufels, dessen Hand, wegen Verletzung eines Steuermannes durch einen Messerstich, an den Mast genagelt wurde. Die zahlreichen Kranken, welche man hier an's Ufer brachte, [484] genasen alle binnen vierzehn Tagen. De Noort blieb vom 2. bis zum 21. Juni an dieser Insel, welche nur eine Meile vom Festlande entfernt liegt. Bevor er wieder in See ging, mußte er auch noch die »Eendracht« verbrennen, weil es ihm an Matrosen zu deren Führung gebrach. Erst am 20. October und nachdem ihn vielfache Stürme hier- und dorthin verschlagen, konnte er im Hafen Desiré vor Anker gehen, wo die Mannschaft in wenig Tagen eine Anzahl Seehunde und Seelöwen und mehr als 5000 Pinguine erlegte. »Der Admiral, sagt die von de Bry veröffentlichte Uebersetzung von de Noort's Reiseberichten, war mit einer Abtheilung Bewaffneter an's Land gegangen, doch trafen sie keine Eingebornen, nur verschiedene, auf hohen Felsen gelegene Grabstätten, in welchen jene ihre Todten beisetzten, wobei sie viele rothgefärbte Steine über das Grab häufen, das sie außerdem noch mit Wurfspießen, Federbüschen und anderen sonderbaren Gegenständen, die ihnen wohl als Waffen dienen, auszuschmücken pflegen.«

Die Holländer sahen auch, freilich in zu großer Entfernung, um darauf schießen zu können, Büffel, Hirsche und Strauße und sammelten in einem einzigen Neste zwölf Eier dieser Vögel. Während des Aufenthaltes hierselbst starb der Kapitän Jakob Janß Huy de Cooper und ward am Hafen Desiré begraben. Am 23. November lief die Flotte in die Magellan-Straße ein. Bei einer Landung fielen drei Holländer unter den Streichen der Patagonier, deren Tod durch die Niedermetzelung eines ganzen Ennos-Stammes geahndet wurde. Während der langen Fahrt durch die Sunde und Seebecken der Magellan-Straße begegnete man zwei anderen holländischen Schiffen unter Führung Sebald de Weerdt's, der unsern der Mauritius-Bai überwintert hatte, auch wurde der Vice-Admiral Claaz ausgesetzt, angeblich wegen wiederholter Insubordination. Bildet diese bei den portugiesischen, englischen und holländischen Seefahrern jenes Jahrhunderts so häufig in Ausführung gebrachte Maßregel nicht ein bedeutsames Zeichen der Zeit? Was wir heute als nichtswürdigste Grausamkeit verurtheilen würden, erschien jenen Leuten, die um ein Menschenleben nicht viel Aufhebens machten, noch eine verhältnißmäßig milde Strafe. Und doch giebt es wohl nichts Grausameres, als einen Menschen ohne Waffen und Nahrungsmittel auf verlassener Küste auszusetzen. Und bedeutet denn die Landung eines solchen in einem von Cannibalen bewohnten Lande, die sich an leckerem Menschenfleisch ergötzen, etwas Anderes als die Verurtheilung zu einem entsetzlichen Tode?

[485] Am 29. Februar 1600 fuhr de Noort in den Pacifischen Ocean ein, nachdem er neunundneunzig Tage zur Reise durch die Magellan-Straße gebraucht hatte. Vierzehn Tage später trennte ihn ein Sturm von der »Hendrick Fredrick«, welche von da ab verschollen blieb. In Begleitung einer einzigen Jacht ging er bei der Insel Mocha vor Anker, wo er, abweichend von seinen Vorgängern, seitens der Eingebornen einen freundlichen Empfang fand. Dann folgte er der Küste Chilis, deren Bewohner ihm, im Austausch gegen Nürnberger Messer, Beile, Hemden, Hüte und andere geringwerthige Gegenstände Nahrungsmittel in Menge lieferten. Nachdem er längst dieser Küste und der Perus eine Menge Städte verwüstet, geplündert und eingeäschert, auch alle ihm begegnenden Schiffe versenkt und eine beträchtliche Beute zusammengerafft hatte, wich de Noort, auf die Nachricht hin, daß ein Geschwader unter dem Befehle des Bruders des Vicekönigs, Don Louis de Velasco, zu seiner Verfolgung ausgelaufen sei, mit vollen Segeln nach den Ladronen-Inseln aus, wo er am 16. September eintraf. »In mehr als zweihundert, mit je drei bis fünf Mann besetzten Canots drängten sich hier die Eingebornen um unser Schiff unter dem lauten Rufe: Hierro, hierro! (Eisen, Eisen!), das bei ihnen in hohem Werthe steht. Sie leben ebensogut im Wasser wie auf dem Lande und verstehen außerordentlich geschickt zu tauchen, was wir daran sahen, daß ein einziger Mann fünf von uns in's Meer geworfene Eisenstücke herausholte.« De Noort erfuhr auch zu seinem Nachtheile, daß die Inseln (Ladronen = Diebesinseln) ihren Namen mit vollem Rechte führen. Die Bewohner bemühten sich sogar, die Nägel aus dem Schiffe zu reißen und eigneten sich Alles an, was nur in ihre Hände fiel. Einer derselben, der an einem Taue auf das Schiff geklettert war, hatte sogar die Frechheit, in eine Kabine einzudringen und einen Degen zu stehlen, mit dem er sich in's Meer stürzte.

Vom 14. October ab durchsegelte de Noort den Archipel der Philippinen, ging dabei häufiger an's Land und verbrannte, beraubte oder versenkte eine Menge spanischer und portugiesischer Schiffe und chinesischer Tjonken. Eben kreuzte er in der Meerenge von Manilla, als ihn zwei große spanische Schiffe angriffen. In dem dadurch entstandenen Gefechte hatten die Holländer nur fünf Todte und fünfundzwanzig Verwundete, büßten aber ihre Brigantine ein, welche mit einer Besatzung von fünfundzwanzig Mann gefangen wurde. Die Spanier verloren mehr als zweihundert Mann, denn ihr Admiralschiff ging [486] in Flammen auf und versank. Statt die verwundeten oder auch die noch gesunden Menschen, welche sich schwimmend zu retten suchten, aufzunehmen, fuhren die Holländer im Gegentheile dazwischen und gaben nicht Wenigen noch mit ihren Lanzen den Todesstoß. »Nach diesem blutigen und doch nutzlosen Siege rastete de Noort kurze Zeit bei Borneo, nahm in Java eine reiche Ladung Gewürze ein, umschiffte dann das Cap der Guten Hoffnung und traf mit einem einzigen Schiffe und einer Mannschaft von achtundachtzig Köpfen nach einer Reise von nahezu drei Jahren am 26. August in Rotterdam ein. Wenn die Kaufleute, welche früher die Kosten der Ausrüstung bestritten, die Maßnahmen de Noort's billigten, der ihnen eine, die Summe ihrer Auslagen an Werth weit übertreffende Fracht heimbrachte, während er seinen Landsleuten gleichzeitig den Weg nach Indien wies, müssen wir das Lob, welches ihm als Seemann gewiß gebührt, doch beschränken in Hinblick auf die Art und Weise seiner Commandoführung und ihn sogar streng tadeln wegen der Grausamkeit, welche die erste Erdumsegelung seitens der Holländer durch so viele Blutflecken verunglimpft.

Wir kommen nun auf einen Mann zu sprechen, der bei ebenso großen Vorzügen wie Fehlern des Charakters, ein Leben führte, das sich in den verschiedensten, oft geradezu entgegengesetzten Richtungen bewegte, und der nach Erreichung der höchsten Ehren, welche ein Edelmann nur erstreben kann, des Verrathes und Lehnseidbruches angeklagt, sein Haupt zuletzt noch auf das Schaffot trug. Es handelt sich um Sir Walter Raleigh. Seinen Platz in dieser Gallerie berühmter Reisender weisen wir ihn weder als Begründer der englischen Kolonialmacht, noch als Seemann an sich an; wir sehen in ihm hier nur den Entdecker und haben über ihn nicht viel Vortheilhaftes zu sagen. Fünf Jahre hindurch hatte Walter Raleigh sich in Frankreich in dem Kriege gegen die Ligue und mitten unter jenen Gascognern aufgehalten, welche den Kern der Armee Heinrich's von Navarra bildeten. In solcher Umgebung entwickelte sich sein natürlicher Hang zur Lüge und Prahlerei nur noch weiter. Nach einem Feldzuge gegen die Spanier in den Niederlanden kehrt er im Jahre 1577 nach England zurück und nimmt schnell lebhaften Antheil an den Angelegenheiten seiner drei mutterrechten Brüder Johann, Onfroy und Adrien Gilbert. England durchkämpfte damals eine sehr schwere ökonomische Krisis. Der Landbau ging einer Umgestaltung entgegen. Ueberall trat die Benützung der Weide an Stelle der Bearbeitung des Bodens, und die Zahl der ländlichen Hilfsarbeiter schrumpfte dadurch wesentlich zusammen.


[487]
Jagd auf Walrosse. (Facsimile. Alter Kupferstich.) (S. 485.)

Daraus entstand ein allgemeines Elend und eine Zunahme der beschäftigungslosen Bevölkerung, welche bald darauf beunruhigende Dimensionen annahm. Gleichzeitig folgte auf lange Kriege endlich der Friede, der während der ganzen Regierungszeit der Königin Elisabeth anhalten sollte, so daß eine große Menge Abenteurer nicht recht wußte, wie sie ihrem Geschmacke nach Gewaltthaten genügen sollte.


Sir Walter Raleigh. (Facsimile. Alter Kupferstich.) (S. 487.)

Unter solchen Verhältnissen tritt dann die Nothwendigkeit der Auswanderung ein, welche das Land von seiner vorhandenen Ueberbevölkerung befreit, den mit dem Hungertode bedrohten Armen neue Lebensbedingungen auf jungfräulichem Boden bietet und ihrerseits [488] wieder den Einfluß und die Blüthe des Mutterlandes steigert. Alle freieren Geister, welche in England den Ideen der Zeit folgen, wie Hackluyt, Thomas Harriot,[489] Carlyle, Peckham und die Brüder Gilbert sind von dieser Nothwendigkeit überzeugt. Den Letztern aber gebührt die Ehre, geeignete Orte zur Errichtung von Kolonien bezeichnet zu haben. Raleigh selbst schloß sich nur seinen Brüdern an und folgte ihrem Beispiele, er hat aber, wie man es ihm manchmal unrechter Weise zuschreibt, die Ausführung dieses fruchtbringenden Planes, die Kolonisation der atlantischen Küsten Amerikas, weder zuerst in die Hand genommen, noch jenen gar selbst ersonnen. Wenn der bei der launischen und in ihren Neigungen sehr wetterwendischen Königin Elisabeth damals allmächtige Raleigh seine Brüder ermuthigt und auch selbst 40.000 Pfund Sterling auf Kolonisations-Unternehmungen verwendet, so hütet er sich doch weislich, England zu verlassen, denn das viel Geduld und Hingebung erfordernde Ansiedlerleben ist keineswegs nach seinem Geschmacke. Er überläßt sein Patent käuflich an Andere, vergißt aber nicht, sich ein Fünftel der späteren Einkünfte der Kolonie verschreiben zu lassen, da er von der Nutzlosigkeit eigener Anstrengung überzeugt ist.

Gleichzeitig rüstet Raleigh Schiffe aus gegen die spanischen Besitzungen; er betheiligt sich persönlich an den Kämpfen, welche England von der unbezwinglichen Armada befreit, dann unterstützt er die Ansprüche des Priors de Crato auf den Thron von Portugal. Kurz nach der Heimkehr nach England fällt er bei seiner königlichen Herrin in Ungnade, und bald nach seiner Entlassung aus dem Kerker, wonach er auf seinem Schlosse in Sherborne internirt ward, entwirft er den Plan zu seiner Fahrt nach Guyana. Für ihn erscheint das als ein Riesenunternehmen, dessen wunderbare Erfolge die Augen der ganzen Welt auf ihn lenken und ihm auch die Gunst der Souveränin wieder zuwenden müßten. Wie sollte auch die Entdeckung und Eroberung des Eldorado, jenes Landes, wo, nach Orellana, die Tempel mit wirklichen Goldplatten gedeckt und selbst die gewöhnlichsten Geräthe aus diesem Metalle verfertigt sind, wo man auf kostbaren Steinen hinwandelt – wie sollte das »nicht mehr Ruhm einbringen«, so lauten die eigenen Worte Raleigh's in seinem Berichte, »als die Thaten Cortez' in Mexico oder Pizarro's in Peru? Wer das vollbracht, dem gehören mehr Städte, Völker und Schätze als der König von Spanien, der Sultan von Marokko oder irgend welcher Kaiser sein nennt!« Wir erwähnten schon früher der von Orellana im Jahre 1539 ausgestreuten Fabeln, welche noch Veranlassung zu manchen anderen geben sollten. Humboldt klärt uns über ihren eigentlichen [490] Ursprung auf durch eine Schilderung der Natur des Bodens und der Felsen, welche den zwischen dem Rio Essequibo und dem Rio Vanco gelegenen Parima-See umgeben. »Diese Felsen, schreibt der berühmte Reisende, bestehen aus Glimmerschiefer und schillerndem Talk und glänzen in den Strahlen der Tropensonne inmitten einer spiegelnden Wasserfläche wider.« So erklären sich jene Kuppeln aus massivem Gold, jene Obelisken aus Silber und die Wunderdinge alle, welche der enthusiastische und großprahlerische Sinn der Spanier diese scheinbar sehen ließ. Glaubte Raleigh wohl selbst an das Vorhandensein jener Stadt aus Gold, an deren Eroberung er so viel setzen wollte? War er wirklich davon überzeugt oder unterlag er nicht vielmehr den ruhmgierigen Illusionen seines überreizten Gehirns? Hierüber giebt es zwar keine Gewißheit; unbestreitbar steht aber fest, daß, nach Philarete Chaslers' eigenen Worten »als er sich einschiffte, Niemand seinen Versprechungen glaubte, daß man seine Uebertreibungen als solche erkannte und vielmehr die endlichen Folgen einer, von einem so wagehalsigen und bezüglich seiner Moralität mehr als zweifelhaften Manne geleiteten Expedition wirklich fürchtete.«

Inzwischen schien es, als ob Raleigh für diesen Plan Alles wohl vorgesehen und auch die nothwendigen Studien nicht vernachlässigt hätte. Er sprach nicht allein von der Natur und dem Boden Guyanas, seinen Erzeugnissen und Bewohnern mit unerschütterlicher Sicherheit, sondern hatte auch dafür gesorgt, auf seine Kosten ein vom Kapitän Whiddon befehligtes Schiff vorauszusenden, das der Flotte den Weg bahnen sollte, die er selbst nach den Ufern des Orinoco zu führen gedachte. Freilich bemühte er sich, die dem ganzen Unternehmen sehr ungünstigen Berichte, welche er von seinem Emissär erhielt, vor der Oeffentlichkeit zu verschweigen. Am 9. Februar 1505 ging er selbst von Plymouth unter Segel mit einer kleinen Flotte von fünf Schiffen und hundert Soldaten, ohne die Seeleute, Officiere und Freiwilligen zu rechnen. Nach viertägigem Aufenthalt in Fortaventura, einer der Kanarien, wo er Holz und Wasser faßte, legte er bei Teneriffa an, um hier mit dem Kapitän Brereton zusammenzutreffen. Nachdem er diesen acht Tage vergeblich erwartet, segelte Raleigh nach Trinidad ab, wo er Whiddon schon fand. Die Insel Trinidad wurde damals von Don Antonio de Berreo verwaltet, der selbst über Guyana genaue Erkundigungen eingezogen hatte. Er sah die Ankunft der Engländer nicht eben mit Vergnügen und sendete sofort nach [491] Cumana und der Insel Marguerita, um Truppen zusammenzuziehen, mit denen er jene angreifen wollte. Gleichzeitig verbot er den Indianern und Spaniern bei Todesstrafe, mit den Engländern irgend welche Verbindungen anzuknüpfen. Raleigh, der hiervon Nachricht erhielt, beschloß, jenem zuvorzukommen. Mit Eintritt der Nacht ging er mit hundert Bewaffneten heimlich an's Land, bemächtigte sich ohne Schwertstreich der Stadt St. Joseph, welche die Indianer in Brand setzten, und ließ Berreo nebst anderen hervorragenden Personen nach seinem Schiffe bringen. Gleichzeitig trafen die Kapitäne Georges Gifford und Knynin, von denen er an der Küste Spaniens getrennt worden war, wieder ein. Nun brach er geraden Weges nach dem Orinoco zu auf, drang in die Bai des Capuri ein mit einer großen Galeere und drei, von hundert Soldaten und Matrosen bemannten Booten, wand sich durch das fast undurchdringliche Gewirr von Inseln und Kanälen, das deren Mündung bildet, und fuhr den Fluß auf eine Strecke von hundertzehn Meilen hinaus. Die Erzählungen Raleigh's über seinen Zug sind so fabelhafter Art, er häuft mit der Ungezwungenheit eines nach den Ufern der Themse verpflanzten Gascogners so viele Lügen zusammen, daß man versucht ist, seinen ganzen Bericht unter die erfundenen Reisen zu rechnen. Einige Spanier, welche die Stadt Manoa, hier Eldorado genannt, gesehen hatten, erzählten ihm, sagt er, daß diese an Größe und Reichthümern alle Städte der Welt übertreffe, ebenso wie Alles, was den Conquistadoren in Amerika jemals vor Augen gekommen war. »Hier giebt es, fährt er fort, keinen Winter, einen gesunden und fruchtbaren Boden, Wild und Geflügel aller Art in Ueberfluß; prächtige Vögel erfüllen die Luft mit noch nie gehörtem Gesang, daß es ein wahres Concert war. Mein Kapitän, den ich ausgeschickt hatte, um nach Bergwerken zu forschen, fand reiche Gold- und Silberminen, da er als einziges Instrument aber nur seinen Degen besaß, konnte er von den Metallen nichts losbrechen, um sie an Ort und Stelle näher zu prüfen, und brachte deshalb nur mehrere lose Stücke mit, welche erst später untersucht werden sollten. Ein Spanier aus Caracas nannte die betreffende Mine »Madre de Oro« (Mutter des Goldes).« Raleigh scheint indeß recht gut gefühlt zu haben, daß man seine Uebertreibungen wohl erkennen möge, und fügte deshalb hinzu: »Man wird vielleicht glauben, daß mich eine falsche, trügerische Illusion getäuscht habe; warum sollte ich aber eine so beschwerliche Fahrt unternommen haben, wenn ich nicht die Ueberzeugung gehabt hätte, [492] daß es auf Erden kein goldreicheres Land gebe als Guyana? Whiddon und Milechappe, unser Wundarzt, brachten mehrere Steine, welche den Saphiren ungemein ähnlich sahen. Ich zeigte diese Steine einigen Anwohnern des Orinoco vor, die mir versicherten, daß von solchen Steinen ein ganzer Berg vorhanden sei.« Ein alter Cazike von hundertzehn Jahren, der jedoch ohne Ermüdung noch zehn Meilen zurückzulegen vermochte, kam, ihn zu besuchen, rühmte ihm die große Macht des Herrschers von Manoa und überzeugte ihn, daß seine Kräfte dagegen unzureichend seien. Er schilderte ihm dieses Volk als sehr civilisirte Leute, welche Kleider trugen und große Reichthümer, vorzüglich an Goldplatten, besaßen; endlich sprach er ihm auch von einem Berg aus reinem Gold. Raleigh wollte denselben natürlich aufsuchen, leider befand er sich aber zur Zeit halb unter Wasser gesetzt. »Er hatte die Gestalt eines Thurmes und schien mir eher weiß als gelb. Ein von ihm herabstürzender, während der Regenzeit besonders angeschwollener Bergstrom verursachte ein furchtbares Geräusch, das unsere Leute vollständig betäubte. Ich erinnerte mich der Beschreibung, welche mir Berreo von dem Glanze der Diamanten und kostbarer, in verschiedenen Theilen des Landes zerstreuter Steine geliefert hatte. Wohl hegte ich über den Werth derselben einige Zweifel; immerhin setzte mich jedoch ihre außerordentliche Weiße in Erstaunen. Nach einer kurzen Ruhe am Ufer des Vinicapara und einem Besuche in dem Dorfe des Caziken, versprach mir Letzterer, mich auf einem Umwege nach dem Fuße jenes Berges zu geleiten; angesichts der unüberwindlichen Schwierigkeiten, die uns entgegentraten, zog ich es aber vor, nach der Mündung des Cumana zurückzukehren, wo die Caziken aus der Nachbarschaft zusammen gekommen waren und zahlreiche, aus selteneren Landeserzeugnissen bestehende Geschenke brachten.« Wir verschonen unsere Leser mit der Beschreibung jener, die gewöhnliche Menschengröße dreimal übertreffenden Volksstämme, jener Cyclopen, d. h. Eingebornen, welche die Augen auf den Schultern, den Mund auf der Brust hatten und denen die Haare mitten auf dem Rücken gewachsen waren – lauter ganz ernsthaft vorgetragene Behauptungen, welche dem Berichte Raleigh's freilich mehr den Stempel eines Feenmärchens aufdrücken. Beim Durchlesen desselben glaubt man weit eher ein Blatt aus Tausend und eine Nacht vor sich zu haben.

Wenn wir alle diese Schilderungen einer krankhaft erhitzten Phantasie beiseite lassen, welcher Nutzen für die Geographie bleibt dann noch übrig?

[493] Nichts, oder doch fast nichts. Jedenfalls war es nicht der Mühe werth, diese phantastische Expedition mit so großem Geräusch, mit einem solchen Aufwand an Reclame anzukündigen, auf welche eigentlich doch nur das Wort des Fabeldichters Anwendung finden kann:

Da denk' ich an einen Dichterling,

Der sagt: Den Kampf ich jetzt besing'

Zwischen Titanen und dem Donnergotte!

Versprochen ist's viel – doch was giebt's geschwind? –

Nichts weiter als Wind.

5. Capitel
1.
I.

Abweichender Charakter des 17. Jahrhunderts. – Eingehende Untersuchung der schon entdeckter Länder. – Dem Durst nach Gold folgt der Glaubenseifer. – Die italienischen Missionäre am Congo. – Die portugiesischen Missionäre in Abyssinien. – Brue am Senegal und Flacourt in Madagascar. – Die Apostel Indiens, Indo-Chinas und Japans.


Das 17. Jahrhundert unterscheidet sich von dem vorhergehenden durchgreifend dadurch, daß die großen Entdeckungen als solche eigentlich beendet sind und man während dieser Zeit mehr nur darauf ausgeht, die schon erworbenen Kenntnisse zu vervollständigen. Es contrastirt deshalb ebenso mit dem folgenden, weil die wissenschaftlichen Methoden noch nicht zur Anwendung kommen, deren sich Seeleute und Astronomen hundert Jahre später befleißigten. Es gewinnt wirklich den Anschein, als hätten die Berichte der ersten Entdecker, welche von den durchstreiften Gegenden doch im Grunde nur einen oberflächlichen Ueberblick gewinnen konnten, nach manchen Seiten hin einen ungünstigen Einfluß auf den Volksgeist ausgeübt. Die Neugierde in der strengsten Bedeutung des Wortes erreichte den höchsten Grad. Man durchschwärmt die ganze Welt, um eine Vorstellung von den Sitten und Gebräuchen jeder Nation, den Erzeugnissen und der Industrie jedes Landes zu erlangen, aber – man studirt nicht. Man bemüht sich nicht, auf die Quellen zurückzugehen und sich über das Warum der Dinge Rechenschaft zu [494] geben. Mit Befriedigung der Neugierde ist der Zweck erreicht. Alle Beobachtungen sind nur ganz oberflächlich, und es scheint, als hätte Jeder die größte Eile, alle im 16. Jahrhundert aufgefundenen Gegenden wenigstens einmal zu durchstreifen.

Der plötzlich über Europa hereinströmende Ueberfluß an Schätzen führt dann zu einer ökonomischen Krisis. Handel und Industrie verändern sich und wechseln ihre Stellung. Neue Wege sind eröffnet, neue Bedürfnisse treten auf, der Luxus und das Streben, sich durch waghalsige Speculationen schnell zu bereichern, verdreht die Köpfe. An Stelle Venedigs, das bezüglich des Welthandels seine Rolle ausgespielt hat, treten die Holländer, welche, nach einem glücklich gewählten Ausdruck Leroy-Beaulieu's, »sich zu Spediteuren und Lieferanten ganz Europas entwickeln«, während die Engländer gleichzeitig die Grundmauern ihres ungeheuren Kolonialreiches errichten.

Den Kaufleuten folgen die Missionäre auf dem Fuße. Sie überschwemmen in zahlreichen Gesellschaften die neu entdeckten Gebiete, evangelisiren und civilisiren die wilden Völker, studiren und beschreiben die Länder. Das Aufleben des Glaubenseifers ist einer der hervorragendsten Züge des 17. Jahrhunderts, und wir können nicht umhin, jenen gottergebenen, gelehrten 'und doch bescheidenen Männern unsere Anerkennung für alles Das zu zollen, was Geographie und Geschichte ihrer Thätigkeit verdanken. Der Reisende durchwandert nur das Land, der Missionär verweilt in demselben. Dem Letzteren wird es offenbar weit leichter, sich eingehendere Kenntniß von der Geschichte und der Bildungsstufe der Völker zu verschaffen, denen er seine Kräfte widmet. Es erscheint also ganz natürlich, daß wir von ihnen noch Reiseberichte, Beschreibungen und Geschichtswerke besitzen, welche den späteren Arbeiten als Grundlage dienten und noch heutzutage als Quellen benutzt werden...

Wenn diese Reflexion ganz im Allgemeinen ihre Geltung hat, so ist das doch ganz besonders der Fall bezüglich Afrikas und Abyssiniens. Was kannte man aber im 17. Jahrhundert von diesem gewaltigen, dreieckigen Festlande? Nichts als die Küsten, wird man antworten wollen. Weit gefehlt! Schon von den ältesten Zeiten her waren der Astapus und der Bahr-el-Abiad, die beiden Arme des Nils, bekannt.


Raleigh bemächtigt sich Berreo's. (Facsimile. Alter Kupferstich.) (S. 492.)

Die Alten drangen vielleicht sogar, wenn man dem von Mariette in Karnak aufgefundenen Verzeichniß der Völker und Länder Glauben schenken darf, bis zu den [495] großen Seen des Innern vor. Im 12. Jahrhundert schon verfaßte der arabische Geograph Edrisi für Rogger II. von Sicilien eine ausgezeichnete Beschreibung Afrikas und bestätigt darin obige Angaben. Später durchreisen Cadamosto und Ibn Batuta Afrika, und der Letztere gelangt bis Tombuctu. Marco Polo erklärt, daß Asien nur durch die Landenge von Suez mit Afrika zusammenhänge und besucht Madagascar. Endlich, nachdem die [496] Portugiesen bald nach Vasco da Gama die Umschiffung ganz Afrikas durchgeführt haben, bleiben einige derselben in Abyssinien zurück, und schnell entwickeln sich gewisse diplomatische Beziehungen zwischen diesem Reiche und Portugal. Ueber Francesco Alvarez theilten wir schon früher in Kürze Einiges mit; ihm auf dem Fuße ließen sich nun im Lande mehrere portugiesische Missionäre nieder, unter denen die beiden Patres Paez und Lobo besondere Erwähnung verdienen.

Pater Paez verließ Goa im Jahre 1588, um an der Ostküste Nordafrikas das Christenthum zu predigen. Nach mancherlei traurigen Unfällen landete er in Massaouah in Abyssinien, durchstreifte das Land und drang im Jahre 1618 sogar bis zu den Quellen des blauen Nils vor – eine Entdeckung, deren Authenticität Brue weit später bestätigte, während der erste Bericht über dieselbe nur in unwichtigen Einzelheiten von dem des schottischen Reisenden abweicht. Im Jahre 1604 schon war der Genannte zu dem Könige Za Denghel gekommen und predigte hier die christliche Lehre mit solchem Erfolge, daß er jenen nebst seinem ganzen Hofe in kurzer Zeit bekehrt hatte. Er gewann nach und nach auch einen solchen Einfluß auf den abyssinischen Monarchen, daß dieser an den Papst und an den König von Spanien schrieb, um Beiden seine Freundschaft anzubieten, und sich von ihnen geeignete Männer erbat, um seine Unterthanen zu unterrichten.

Pater Jeronimo Lobo reiste mit Alphons Meneses, dem Patriarchen von Aethiopien, im Jahre 1625 nach Abyssinien ab. Jetzt hatten sich freilich die Zeiten geändert. Der von Paez bekehrte König war ermordet worden, und sein Nachfolger, der die portugiesischen Missionäre in's Land rief, fand ebenfalls einen schnellen Tod. Zahlreiche Widersacher erhoben sich gegen die Christen, und die Missionäre wurden vertrieben, eingekerkert oder den Türken ausgeliefert. Lobo erhielt damals den Auftrag, die nöthige Summe zum Loskauf seiner Confratres herbeizuschaffen. Nach zahlreichen Wechselfällen, die ihn nach Brasilien, Carthagena, Cadix, Sevilla, Lissabon und Rom führten, übermittelte er dem Könige von Spanien und dem Papste sehr specielle und zahlreiche Nachrichten von der äthiopischen Kirche und den Sitten der Landesbewohner, unternahm dann eine letzte Reise nach Indien und starb nach der Heimkehr nach Lissabon im Jahre 1678.

An der atlantischen Küste, in der Nähe des Congo, war das Christenthum schon im Jahre 1489, also mit der Zeit der Entdeckungen der [497] Portugiesen, eingeführt worden. Zuerst sandte man Dominikaner dahin ab; da sie sich aber keiner Erfolge rühmen konnten, ersetzte sie der Papst mit Zustimmung des Königs von Portugal durch italienische Kapuziner, nämlich Carli de Placenza, 1667, Johann Antonio Cavazzi von 1654 – 1668, ferner Antonio Zucchelli und Gradisca, von 1696–1704. Wir erwähnen dieser Missionäre nur, weil sie einen Bericht über ihre Reise hinterlassen haben. Cavazzi erforschte nach und nach Angola, das Land Mataneba und die Inseln Coanza und Loana. In seinem apostolischen Eifer, die Neger zu bekehren, fand er keine besseren Mittel, als z.B. deren Götzenbilder zu verbrennen, ihre Könige wegen der seit Urzeiten gebräuchlichen Vielweiberei hart zu tadeln und Rückfällige der Tortur zu unterwerfen oder sie durch Geißelhiebe zu zerfleischen. Trotzdem errang er sich bei den Eingebornen ein immer steigendes Ansehen, das bei geschickter Ausnutzung recht achtungswerthe Resultate für die Entwickelung der Kultur und die Fortschritte der Religion hätte erzielen können. Denselben Tadel wie Cavazzi verdienen auch der Pater Zucchelli und die übrigen Missionäre am Congo.

Der im Jahre 1687 in Rom erschienene Bericht Cavazzi's behauptet, daß sich der portugiesische Einfluß bis auf zwei- bis dreihundert Meilen in's Innere des Landes erstreckt habe. Im Innern gab es damals eine sehr bedeutende Stadt, San Salvador, welche zwölf Kirchen und ein Jesuiten-Collegium besaß und 50.000 Seelen zählte. Pigafetta veröffentlichte zu Ende des 14. Jahrhunderts einen Bericht über die Reise Duart Lopez', des Gesandten des Königs von Congo, bei den Höfen von Rom und Lissabon. Eine beigegebene Karte zeigt den See Zambre an der Stelle, welche der Taganyika einnimmt, und weiter im Westen den See Acque Lunda, aus dem der Congo entspringt; unter dem Aequator sind zwei Seen verzeichnet, der eine als See des Nils, der andere östlichere unter dem Namen Colue; sie scheinen dem Albert- und dem Victoria-Nyanza zu entsprechen. Diese merkwürdigen Nachrichten wurden jedoch als unzuverlässig von den Geographen des 19. Jahrhunderts verworfen, welche das Innere Afrikas ganz weiß also unbezeichnet ließen.

An der Westküste Afrikas, und zwar am Senegal, hatten die Franzosen Niederlassungen gegründet, die unter der staatsklugen Verwaltung Andreas Brue's bald eine beträchtliche Ausdehnung gewannen. Der Genannte, »Commandant an Königs Statt und General-Direktor der königlichen [498] Gesellschaft von Frank reich an der Küste von Senegal und anderen Orten« – so lautet sein officieller Titel – verdient, wenn sein Name auch weniger bekannt wurde und auch unser Abriß seines Lebens nur sehr kurz ausfallen kann, dennoch einen der ersten Plätze unter den Kolonisatoren und Forschern seiner Zeit. Nicht zufrieden damit, die französische Kolonie bis zu ihren heutigen Grenzen auszudehnen, zog er auch beobachtend durch Gebiete, welche erst in neuester Zeit Lieutenant Mage wieder besuchte oder die überhaupt kein Menschenauge seitdem wieder erblickt hat. Andreas Brue schob die französischen Posten vor: im Osten bis über die Vereinigung des Senegal und der Faleme; im Norden bis Arguin, welches Frankreich unter Wahrung seiner Rechte vorläufig aufgegeben hat, im Süden bis zur Insel Bisar. Im Innern besuchte er Galam das goldreiche Bambuk und erwarb sich zuerst sichere Kenntnisse über die Pouls, Peuls und Fouls, sowie über die Yoloffs und Muselmänner, welche von Norden herabgezogen, um sämmtliche Negerbevölkerung des Landes ihrem Glauben zu unterwerfen. Die von Brue über die Geschichte und die Wanderungen jener Volksstämme gesammelten Nachrichten sind von unschätzbarem Werthe; sie geben dem Geographen und Historiker noch heute höchst brauchbare Aufschlüsse. Brue hinterließ uns nicht allein einen Bericht über die Ereignisse, deren Zeuge er selbst gewesen, und eine Beschreibung der von ihm besuchten Gegenden, sondern wir verdanken ihm auch zahlreiche Nachweisungen über die Erzeugnisse des Landes, über dessen Pflanzen- und Thierwelt und über Alles, was vom Standpunkte des Handels oder der Industrie von Interesse sein kann. Diese denkwürdigen, von Pater Labat allerdings sehr ungeschickt zusammengestellten Documente machte erst vor wenig Jahren Berliouz zum Gegenstand einer hochinteressanten Arbeit.

Im Südosten Afrikas gründeten die Franzosen ferner während der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts einige Handelsniederlassungen auf Madagascar, einer seit langer Zeit unter dem Namen St. Lorenz bekannten Insel. Sie errichteten das unter dem Befehl de Flacourt's stehende Fort Dauphin, durchforschten mehrere bisher unbekannte Theile der Insel selbst, sowie verschiedene Inseln in der Nähe der Festlandsküste, und eroberten im Jahre 1649 die Mascarenhas (Maskarenische Inseln). Wenn sich de Flacourt gegen seine Landsleute zwar fest, doch gemäßigt erwies, so verfuhr er leider nicht ebenso gegen die Eingebornen, und führte dadurch einen allgemeinen [499] Aufstand herbei, in Folge dessen er abgerufen wurde. Uebrigens drang nur außerordentlich selten Jemand in das Innere von Madagascar ein und wir müssen bis auf unsere Tage zurückgehen, um einer ernsthaften Forschungsreise durch dasselbe zu begegnen.

Die einzigen über Indo-China und Thibet nach Europa im Laufe des 17. Jahrhunderts gelangten Nachrichten rühren auch nur von Missionären her. Die Namen der Patres Alexander von Rhodus, Antonio d'Andrada, Avril und Benedict Goes dürfen hierbei nicht mit Stillschweigen übergangen werden. In ihrenLettres annuelles findet man Aufschlüsse über die den Europäern so lange verschlossenen Länder, welche auch heute des Interesses noch nicht entbehren. In Cochinchina und Tonkin widmete sich Pater Tachard astronomischen Studien, die zur Evidenz nachweisen, wie falsch die von Ptolomäus angegebenen Längenverhältnisse waren. Sie lenkten die Aufmerksamkeit der ganzen gelehrten Welt auf die Nothwendigkeit einer Reform der geographischen Darstellung der Länder des äußersten Ostens und auf die Unentbehrlichkeit genauer Beobachtungen, welche entweder Special-Gelehrte oder mit den astronomischen Berechnungen vertraute Seefahrer vornehmen sollten. Das Land, welches die Missionäre am meisten anzog, war China, jenes ungeheure, volkreiche Land, das seit der Ankunft der Europäer in Indien die absurde Politik der Abschließung vor den Fremden mit äußerster Strenge durchgeführt hatte. Erst gegen Ende des 16. Jahrhunderts erhielten einige Missionäre die oft nachgesuchte Erlaubniß, sich in's Innere des Reiches der Mitte begeben zu dürfen. Ihre mathematischen und astronomischen Kenntnisse erleichterten ihnen den Aufenthalt daselbst und gestatteten ihnen, entweder in den uralten Annalen des Landes oder während ihrer vielfachen Reisen eine erstaunliche Menge werthvoller Kenntnisse von der Geschichte, Ethnographie und Geographie des Himmlischen Reiches zu sammeln. Den Missionären Mendoza, Ricci, Trigault, Visdelou, Lecomte Verbiest, Navarette, Schall und Martini gebührt das Verdienst, den Wissenschaften und Künsten Europas in China Eingang verschafft und im Abendlande die ersten verläßlichen und der Wahrheit entsprechenden Nachrichten von der auf derselben Stufe verharrenden Civilisation des »Landes der Blumen« verbreitet zu haben.

[500]
2.
II.

Die Holländer auf den Gewürz-Inseln. – Lemaire und Schouten. – Tasman. – Mendana. – Quiros und Torres. – Pyvard de Laval. – Pietro della Valle. – Tavernier. – Thévenot. – Bernier. – Robert Knox. – Chardin. – De Bruyn. – Kämpfer.


Die Holländer erkannten sehr bald die Schwäche und Haltlosigkeit der portugiesischen Herrschaft in Asien. Sie fühlten heraus, wie leicht eine thatkräftige, kluge Nation sich in kurzer Zeit den ganzen Orienthandel müsse aneignen können. Nach zahlreichen privaten Expeditionen und Entdeckungsfahrten hatten sie im Jahre 1602 die berühmte indische Handelscompagnie gegründet, welche die Blüthe und den Reichthum der Metropole so außerordentlich fördern sollte. Bei ihren Streitigkeiten mit den Portugiesen sowohl, wie in allen ihren Beziehungen zu den Eingebornen befleißigte sich die Compagnie einer Politik der weisen Mäßigung. Statt eigene Niederlassungen zu gründen oder die den Portugiesen abgenommenen Befestigungen zu besetzen und wieder herzustellen, traten die Holländer überall als einfache, ausschließlich mit ihrem Handel beschäftigte Kaufleute auf. Sie vermieden es augenscheinlich, befestigte Comptoirs zu errichten, außer an Stellen, wo solche zur Beherrschung wichtiger Handelsstraßen dienten. Dabei gelang es ihnen, sich bald des ganzen Küstenhandels zwischen Indien, China, Japan und Oceanien zu bemächtigen. Der einzige Fehler der fast allmächtigen Compagnie bestand darin, das sie das Monopol des Gewürzhandels für sich in Anspruch nahm. Sie vertrieb von den Molukken und den Sunda-Inseln alle Fremden, welche daselbst ansässig waren, oder um Fracht einzunehmen dahin kamen, und ging bald so weit, daß sie, um den Preis dieser kostbaren Waaren noch mehr zu steigern, den Anbau gewisser Erzeugnisse auf vielen Inseln ganz untersagte und die Ausfuhr oder den Verkauf von Samen oder Stöcklingen der Gewürzpflanzen bei Todesstrafe verbot. Binnen wenig Fahren hatten sich die Holländer auf Java, Sumatra, Borneo, den Molukken, dem Cap der Guten Hoffnung, kurz, auf allen den Punkten festgesetzt, welche als Ankerplätze für die nach Europa zurückkehrenden Schiffe die geeignetste Lage besaßen.

[501] Zu dieser Zeit nun entwarf ein reicher Amsterdamer Kaufmann, Jakob Lemaire, im Vereine mit einem erfahrenen Seemann, Wilhelm Cornelis Schouten, den Plan, auf einem neuen Wege nach Indien zu gelangen. Die Staaten von Holland hatten nämlich jedem, nicht im Dienste der Indischen Handelscompagnie stehenden Unterthan der Vereinigten Niederlande verboten, nach den Gewürz-Inseln um das Cap der Guten Hoffnung oder durch die Magellan-Straße zu segeln. Schouten, sagen die Einen, Lemaire, behaupten Andere, kamen nun auf den Gedanken, dieses Verbot durch Aufsuchung eines neuen Weges noch unterhalb der Magellan-Straße zu umgehen. Gewiß ist, daß Lemaire für die Hälfte der Expeditions-Unkosten aufkam, während Schouten mit Hilfe verschiedener Kaufleute, deren Namen erhalten geblieben sind und die in der Stadt Hoorn eine hervorragende Rolle spielten, die andere Hälfte beisteuerte. Sie rüsteten ein Schiff von 360 Tonnen, die »Concorde«, und eine Jacht aus mit einer Besatzung von 65 Mann und 29 Kanonen. Offenbar entsprach diese Machtentfaltung keineswegs der Größe des Unternehmens. Doch Schouten war ein geschickter Seemann, die Mannschaft sorgsam ausgewählt und die Schiffe besaßen Ueberfluß an Proviant und Reserve-Takelwerk. Lemaire nahm die Stellung des Sekretärs, Schouten die des Kapitäns auf dem Schiffe ein. Ueber Ziel und Absicht der Fahrt beobachtete man strenge Verschwiegenheit. Officiere und Matrosen verpflichteten sich in ihren Contracten, überallhin mitzugehen, wohin man sie führen würde. Am 25. Juni 1615, d. h. elf Tage nach der Abfahrt von der Insel Texel, als eine Indiscretion nicht ferner zu befürchten war, wurde die Mannschaft zusammenberufen und ihr durch Vorlesung eines Schriftstückes bekannt gegeben, »daß die beiden Fahrzeuge be stimmt seien, noch einen andern Weg als die Magellan-Straße nach dem Südmeere aufzusuchen und noch neue, südlicher gelegene Länder zu entdecken, in der Hoffnung, dort reiche Schätze zu erwerben und, wenn der Himmel das Vorhaben begünstigte, durch dasselbe Meer nach Ostindien zu segeln«. Die ganze Besatzung nahm diese Erklärung mit enthusiastischem Beifalle auf, eine Folge der Vorliebe für weitaussehende Entdeckungen, welche jener Zeit alle Holländer beseelte.

Der gewöhnlich eingehaltene Weg nach Südamerika führte, wie der Leser schon bemerkt haben wird, längs der Küste Afrikas hin, bis etwas unterhalb der Linie. Auch die »Concorde« wich hiervon nicht ab; sie erreichte [502] das Gestade Brasiliens, Patagoniens und den Hafen von Desiré, hundert Meilen nördlich von der Magellan-Straße. Mehrere Tage hinderte ein Sturm die Schiffe am Einlaufen in den Hafen. Die Jacht kam während der Ebbe sogar auf die Seite und trocken zu liegen, wurde aber mit der Fluth, freilich nur für kurze Zeit, wieder flott, denn während der Ausbesserung ihres Rumpfes fing die Takelage Feuer, das trotz der angestrengtesten Bemühung der Mannschaften beider Schiffe das Fahrzeug vollständig verzehrte Am 13. Januar 1616 erreichten Lemaire und Schouten die von Sebald de Weerdt entdeckten Sebaldine-Inseln und folgten dem Ufer Feuerlands in geringer Entfernung vom Lande. Die Küste verlief nach Ost-Viertelsüdost und war von hohen, schneebedeckten Bergen umrahmt. Die Entfernung zwischen beiden Inseln betrug, oberflächlicher Schätzung nach, acht Meilen, und man segelte also in die sie trennende Meerenge ein. Diese erwies sich so voller Walfische, daß das Schiff wiederholt laviren mußte, um jenen auszuweichen. Die östliche Insel erhielt den Namen Staatenland, die westlicher gelegene Moriz von Nassau.

Vierundzwanzig Stunden nach dem Einlaufen in diese Meerenge, der man den Namen Lemaire beilegte, kam das Schiff wieder aus derselben heraus. Einen steuerbordseits gelegenen Archipel kleiner Inseln taufte man Barnevelt, zu Ehren des Großpensionärs von Holland. Unter dem 58. Grade südlicher Breite umschiffte Lemaire das zur Erinnerung an die Stadt, welche die Expedition gefördert hatte, so genannte Cap Hoorn und gelangte damit in das Südmeer. Lemaire segelte sofort bis zur Höhe der Juan-Fernandez-Inseln hinauf, wo er anzuhalten gedachte, um seiner vom Scorbut ergriffenen Mannschaft Zeit zur Erholung zu gönnen. So wie früher Magellan, kamen auch Lemaire und Schouten an vielen Inselgruppen Polynesiens vorüber, ohne diese zu sehen, und landeten am 10. April zuerst bei der Hunde-Insel, wo sie sich freilich nur etwas Trinkwasser und einige Kräuter verschaffen konnten.


Diese Stelle war durch Walfische versperrt. (S. 503.)

Man hoffte, die Salomons-Inseln zu finden, segelte aber durch den nördlichen Theil des Gefährlichen Archipels und entdeckte dabei die Insel Waterland, so benannt wegen eines großen Binnensees auf derselben, und die Mücken-Insel, wegen der unzähligen Schwärme dieser Insecten, welche das Schiff überfielen und deren man sich in keiner Weise erwehren konnte, bis sie nach vier Tagen bei einem Wechsel des Windes von selbst verschwanden. Weiter durchschnitt Lemaire den Archipel der Freundschafts-Inseln und [503] erreichte die Schiffer-Inseln oder die Sanwa-Gruppe, von der noch vier kleine Inseln den ihnen damals zugelegten Namen tragen, nämlich Goed Hope, die Cocos-, die Horns-Insel und die Insel der Verräther. Die Bewohner derselben stahlen ganz außerordentlich; sie versuchten, die Bolzen aus den Schiffsplanken zu reißen und die Ketten zu lösen. [504] Da der Scorbut noch immer unter der Mannschaft herrschte, war man über die Geschenke des Königs, einen schwarzen Eber und verschiedene Früchte, sehr erfreut. Dieser Häuptling, Namens Latu, näherte sich dem Schiffe auch selbst in einer großen, den holländischen Schlitten ähnlichen Segel-Pirogue und begleitet von fünfundzwanzig anderen Booten Er wagte es nicht, an Bord der »Concorde« zu gehen; sein Sohn besaß jedoch mehr Muth und nahm mit großer Neugier Alles, was er sah, genau in Augenschein. Am nächsten [505] Tage kamen die Piroguen in noch größerer Anzahl wieder, und die Holländer erkannten aus gewissen Anzeichen, daß es auf einen Angriff abgesehen sei. Wirklich prasselt ganz unvermuthet ein dichter Steinhagel auf das Schiff nieder; die Piroguen drängen sich näher heran und die Holländer sind, um sie abzuwehren, genöthigt, eine Gewehrsalve auf dieselben abzugeben. Diese Insel erhielt, gewiß mit vollem Rechte, den Namen die Verräther-Insel.


Drei wurden ohne jede Veranlassung von den Eingebornen getödtet. (S. 508.)

Man schrieb jetzt den 18. Mai. Lemaire ließ nun nach Norden wenden, um im Norden von Neu-Guinea nach den Molukken zu gelangen. Wahrscheinlich kam er auf diesem Wege bei den Gruppen der Salomons-, der Admiralitäts- und der Tausend-Inseln vorüber; dann folgte er der Küste von Guinea vom 143. Grade ab bis zur Geelwink-Bai. Er ging häufig an's Land und benannte sehr viele Punkte, z.B. die Fünfundzwanzig-Inseln, die wohl einen Theil der Admiralitäts-Inselgruppe bilden, die Hohe Ecke, den Hohen Berg (Hoog-Berg), der einem Theile der benachbarten Küste der Kornelis-Kinerz-Bai zu entsprechen scheint, Moa und Arimoa, zwei später von Tasman wieder aufgefundene Eilande, die Insel, welche damals den Namen Schouten's erhielt und heute Mysore heißt, nicht zu verwechseln mit den anderen, westlicher an der Küste Guineas gelegenen Schouten-Inseln, endlich das Cap Goede-Hop, unter welchem allem Anscheine nach das Cap Saavedra am äußersten westlichen Ausläufer von Mysore zu verstehen ist. Nachdem sic dann noch in Sicht des Papua-Landes gekommen, landeten Lemaire und Schouten bei Gilolo, einer der Molukken, und erfreuten sich hier seitens ihrer Landsleute des herzlichsten Empfanges.

Hier rasteten die Holländer, um sich von ihren langen Strapazen zu erholen und die Scorbutkranken genesen zu lassen, brachen dann aber nach Batavia auf, wo sie, nur dreizehn Monate nach ihrer Abfahrt von Texel und mit dem für diese weite Reise geringfügigen Verluste von dreizehn Mann am 23. October 1616 eintrafen. Die Indische Compagnie ließ es sich aber nicht gefallen, daß ihre Privilegien verletzt würden und Jemand auf einem anderen als dem in ihren Patenten bezeichneten Wege nach Indien segelte. Der Statthalter verfügte also die Beschlagnahme der »Concorde« und die Verhaftung der Officiere und Matrosen, welche er nach Holland einschiffen ließ, wo ihnen der Proceß gemacht werden sollte. Der arme Lemaire, welcher gewiß auf eine andere Anerkennung seiner Anstrengungen und vielfachen Entdeckungen gerechnet haben mochte, konnte diesen unerwarteten Schlag nicht [506] aushalten; er erkrankte bald darauf und verschied etwa auf der Höhe der Insel Mauritius. Schouten selbst scheint nach seiner Heimkehr in das Vaterland nicht besonders belästigt worden zu sein, denn er unternahm noch mehrere Reisen nach Indien, die sich jedoch durch keine weitere Entdeckung auszeichneten. Er war eben, im Jahre 1625, auf der Rückkehr nach Europa begriffen, als ihn ungünstiges Wetter zum Einlaufen in die Bai von Antongil, an der Ostküste von Madagascar, nöthigte, wo er nach kurzem Krankenlager verschied.

Das war die bemerkenswerthe Seereise, welche durch den Lemaire-Sund einen kürzeren und gefahrloseren Weg als durch die Magellan-Straße eröffnete, eine Expedition, welche sich ebenso durch vielfache Entdeckungen in Oceanien, wie durch eine aufmerksamere Erforschung der schon von spanischen oder portugiesischen Seefahrern gesehenen Punkte auszeichnete. Freilich ist es zuweilen schwierig, dem einen oder dem anderen Volke mit Sicherheit den ihm bei der Entdeckung der Inseln, Länder und Archipele in der Nachbarschaft Australiens gebührenden Antheil zuzusprechen.

Da wir einmal von den Holländern reden, so weichen wir hier ein wenig von der chronologischen Ordnung der Entdeckungen ab, um die Expeditionen Johann Abel Tasman's vor denen Mendana's und Quiros' zu erzählen.

Man weiß so gut wie gar nichts von dem ersten Auftreten Tasman's, nichts, wie er dazu kam, sich der Laufbahn eines Seemanns zu widmen, noch wie er die Kenntnisse und maritime Geschicklichkeit erworben hatte, von denen er so leuchtende Proben ablegte und die ihn zu so hochwichtigen Entdeckungen führten. Seine Biographie beginnt erst mit seiner Abfahrt aus Batavia am 2. Juni 1639. Nachdem er die Philippinen passirt, soll er bei dieser ersten Fahrt in Gesellschaft von Mathieu-Quast die Bonin-Inseln besucht haben, welche man damals unter dem etwas phantastischen Namen der »Gold- und Silber-Inseln« kannte. Bei einer zweiten, aus zwei Schiffen bestehenden und von ihm als Oberbefehlshaber geleiteten Expedition verließ er Batavia am 1'4. August 1642, erreichte am 5. September die Insel Mauritius und drang nun, zur Aufsuchung des australischen Continentes nach Südosten vor. Am 24. November entdeckte er unter 42°25' südlicher Breite ein Land, dem er den Namen Van Diemen's, des Gouverneurs der Sunda-Inseln, beilegte, das aber heute richtiger Tasmanien [507] genannt wird. In der Frederik Henry-Bai vor Anker gegangen, überzeugte er sich zwar, daß das Land bewohnt sei, konnte aber keinen Eingebornen zu Gesicht bekommen.

Eine Zeit lang folgte er der Küste desselben, segelte dann aber zuerst ein Stück nach Osten und später nach Norden, um nach dem Salamons-Archipel zu gelangen. Am 13. December kam er unter 42°10' südlicher Breite in Sicht eines gebirgigen Landes, dessen nach Norden verlaufendes Ufer er bis zum 18. December verfolgte. Dann ging er in einer Bai desselben vor Anker; auch die Muthigsten der Wilden, welche er hier traf, wagten sich nicht über Steinwurfweite an sein Schiff heran. Ihre Stimme klang rauh, ihre Gestalt war groß und die Hautfarbe gelblichbraun; die schwarzen Haare, welche sie fast ebenso lang trugen wie die Japaner, waren über dem Scheitel zusammengebunden. Am folgenden Tage wagten sie es, eines der Schiffe zu betreten, um einige Gegenstände auszutauschen. Durch dieses friedliche Auftreten getäuscht, schickte Tasman zur genaueren Kenntnißnahme des Ufers eine Schaluppe an's Land. Drei der darin befindlichen Seeleute wurden ohne jede Veranlassung von den Eingebornen getödtet und die Uebrigen konnten sich nur schwimmend retten, bis andere Bote von den Schiffen sie aufnahmen. Als man nun aber auf die Angreifer Feuer geben wollte, waren diese längst verschwunden. Der Ort dieses traurigen Vorfalles erhielt den Namen »die Bai der Mörder« (Moordenaars Bay). Da sich Tasman hierdurch überzeugte, daß er doch keinerlei Verbindung mit diesen verwilderten Stämmen anknüpfen könne, lichtete er die Anker und folgte der Küste bis an ihr äußerstes Ende, das er, zu Ehren seiner »Herzensdame«, Maria Van-Diemen taufte, denn er soll, einer unverbürgten Sage nach, sogar kühn genug gewesen sein, um die Hand der Tochter des Statthalters von Ostindien anzuhalten, wofür ihn dieser zur Strafe mit zwei gebrechlichen Schiffen, dem »Heemskerke« und dem »Zeechen«, auf's Meer hinausschickte.

Das ganze bei jener Fahrt der letzten Wochen entdeckte Gebiet erhielt den Namen »Staaten-Land«, der jedoch bald gegen »Neu-Seeland« vertauscht wurde. Am 21. Januar 1643 entdeckte man die Inseln Amsterdam und Rotterdam, wo man eine Menge Schweine, Hühner und eßbare Früchte vorfand. Am 6. Februar liefen die Schiffe in einen Archipel von gegen zwanzig Inseln ein, welche die Prinz Wilhelms-Inseln genannt wurden; [508] weiter folgte Tasman, bei Anthony-Java vorübersegelnd, der Küste Neu-Guineas vom Cap St. Maria ab, berührte manche Punkte, welche Lemaire und Schouten schon früher besucht hatten, und ging am 15. Juni in Batavia nach zehnmonatlicher Reise wieder vor Anker.

Bei einer zweiten Expedition sollte Tasman, entsprechend seinen Instructionen vom Jahre 1664, Van Diemens-Land besuchen und die Westküste Neu-Guineas genauer aufnehmen, bis er zum 17. Grad südlicher Breite käme, um zu erfahren, ob diese vermeintliche Insel etwa zum australischen, d. h. östlichen Festlande gehöre. Tasman scheint diese Vorschriften jedoch nicht durchgeführt zu haben. Uebrigens ist man durch den Verlust seiner Tagebücher vollständig darüber unklar geblieben, welchen Weg er wirklich eingeschlagen und was er dabei entdeckt haben mag. Von dieser Zeit ab hat man auch keinerlei Kenntniß von den Ereignissen des Endes seiner Laufbahn, ebensowenig von dem Orte und der Zeit seines Todes.

Nachdem Albuquerque Malakka erobert, kamen die Portugiesen auf den Gedanken, daß sich auch im Süden von Asien noch eine neue Welt befinden müsse. Dieser Anschauung schlossen sich die Spanier ebenfalls bald an, und von der Zeit ab unternahm man eine ganze Reihe von Fahrten nach dem Pacifischen Ocean, um einen südlichen Continent aufzusuchen, dessen Vorhandensein eine geographische Nothwendigkeit erschien gegenüber der ungeheuren Ausdehnung der schon bekannten Landmassen. Groß-Java, später Neu-Holland und zuletzt Australien genannt, war vielleicht schon von Franzosen, wahrscheinlich aber von Saavedra zwischen 1530 und 1540 zum ersten Male gesehen worden und wurde nun von einer Menge von Seeleuten aufgesucht, unter denen wir die Portugiesen Serrao und Meneses und die Spanier Saavedra, Hernando de Grivalja, Alvarado und Inigo Ortéz de Retes erwähnen, welche den größten Theil der Nachbarinseln Neu-Guineas und auch diese große Insel eingehend erforschten. Ihnen folgten Mendana, Torres und Quiros, bei denen wir wegen der hohen Bedeutung ihrer Entdeckungen etwas länger verweilen.

Alvaro Mendana de Neyra war der Neffe des Gouverneurs von Lima, Don Pedro de Castro, der das Project seines Neffen, im Pacifischen Ocean noch unbekannte Länder aufzusuchen, bei der Regierung des Mutterlandes mit allen Kräften unterstützte. Mendana zählte erst einundzwanzig Jahre, als er den Befehl über zwei Schiffe nebst hundertfünfundzwanzig Mann [509] Soldaten und Matrosen übernahm. Am 19. November 1567 ging er von Callao, dem Hafen Limas, aus in See. Nachdem er die kleine Insel Jesus in Sicht bekommen, entdeckte er am 7. Februar, zwischen dem 7. und 8. Grad südlicher Breite, die Insel St. Isabella, wo die Spanier sich noch eine Brigantine erbauten und damit den Archipel, zu dem jene gehörte, näher in Augenschein nahmen. »Die Einwohner, heißt es im Berichte eines Begleiters Mendana's, sind Menschenfresser und verzehren sich gegenseitig, wenn sie im Kampfe in Gefangenschaft gerathen, und selbst ohne offene Feindseligkeiten, wenn einer des andern durch Hinterlist habhaft werden kann.« Der Häuptling der Insel schickte Mendana als leckeres Gericht das Viertel eines Kindes; der spanische General ließ dasselbe jedoch gleich in Gegenwart der Eingebornen begraben. Letztere schienen sehr betroffen über ein Benehmen, daß sie sich nicht zu erklären wußten. Die Spanier durchstreiften die Inseln de los Palmos und de los Ramos (Insel der Palmenzweige), so genannt, weil diese am Palmensonntage entdeckt ward, ferner die Inseln de la Galere und Buona-Vista, deren Bewohner trotz ihres freundschaftlichen Entgegenkommens doch feindliche Absichten verfolgten, welche nur zu bald zu Tage treten sollten. Ganz ähnlich verhielt es sich auf San Dimas, Sesarga und Guadalcanar, wo man zum ersten Male Ingwer fand. Bei der Rückfahrt nach St. Isabella folgten die Spanier einem Wege, der sie zur Entdeckung der Insel St. Georges führte, auf der Fledermäuse so groß wie Hühnergeier umherflatterten. Kaum erreichte die Brigantine wieder den Hafen von St. Isabella, als man auch die Anker lichtete, denn der Ort erwies sich so ungesund, daß fünf von den Matrosen starben und sehr viele erkrankten. Mendana machte dann bei der Insel Guadalcana Halt, wo von zehn Mann, die an's Land gegangen waren, um Wasser zu holen, nur ein Neger den Streichen der Eingebornen entkam, welche hierdurch ihrer Wuth über die Entführung eines der Ihrigen durch die Spanier Ausdruck gaben. Letztere nahmen dafür schreckliche Rache. Ueber zwanzig Menschen wurden getödtet und eine Menge Häuser eingeäschert. Dann besuchte Mendana den Salamons-Archipel, unter anderen die Drei-Marien- und die San-Juan-Insel. Auf der letzteren kam es, während man die Schiffe ausbesserte und frisch kalfaterte, zu mehreren Händeln mit den Eingebornen, von denen man einige zu Gefangenen machte. Nach diesem etwas bewegten Aufenthalte stach Mendana wieder in See und besuchte die Inseln San Christoval, St. Catalina und St. Anna. Da die Zahl der [510] Kranken aber immerfort zunahm, Lebensmittel und Munition nahezu erschöpft und Tauwerk nebst übriger Takelage schon halb verfault waren, schlug man nun den Weg nach Peru wieder ein. Die unfreiwillige Trennung des Admiralschiffes, die Entdeckung zahlreicher Inseln, welche nur schwer zu identificiren, doch wahrscheinlich die Sandwichs-Inseln sind, heftige Stürme, die die Segel zerrissen und wegführten, Krankheiten in Folge des Mangels und der Fäulniß des Wassers und des Schiffszwiebacks kennzeichnen diese lange und mühevolle Rückreise, welche erst nach fünf Monaten in Colima, einem Hafen Californiens ihr Ende fand.

Mendana's Bericht erregte keine besondere Begeisterung, trotz des Namens Salomons, den er dem von ihm aufgefundenen Archipel beilegte, um den Glauben zu erregen, daß die Schätze des Judenkönigs daher stammten. Auch die wunderbarsten Berichte berührten die, in den Reichthümern Perus fast erstickenden Leute nicht sonderlich. Sie wollten Beweise sehen; das kleinste Goldgeschiebe, das geringste Stückchen Silber hätte die ganze Sache unendlich mehr gefördert. So mußte Mendana siebenundzwanzig Jahre warten, bevor es ihm gelang, eine neue Expedition zu Stande zu bringen.

Diesmal vereinigte man eine ansehnlichere Macht, denn es handelte sich darum, auf der von Mendana bei seiner ersten Reise gesehenen Insel San-Christoval eine dauernde Kolonie zu begründen. Am 11. April 1595 verließen also vier Schiffe den Hafen von Lima mit etwa vierhundert Personen, darunter viele Verheirathete, auch Doña Isabella, Mendana's Gattin, die drei Schwäger des Generals und der Pilot Pedro Fernandez Quiros, der sich später als Führer einer anderen Expedition hohen Ruhm erwerben sollte. Erst am 16. Juni aber segelten sie von dem Gestade Perus, wo sie ihre Ausrüstung vervollständigt hatten, endgiltig weg. Nach einmonatlicher, durch keinerlei Unfall unterbrochener Seefahrt entdeckte man eine Insel, die, entsprechend dem damaligen Gebrauche, den Namen des Tages-Kalenderheiligen erhielt und also Madeleine genannt wurde. Sofort sah sich die Flotte von einer Menge Canots mit etwa vierhundert Eingebornen von fast weißer Hautfarbe und schönem Wuchse umringt, welche den Matrosen Cocosnüsse und andere Früchte brachten und sie einzuladen schienen, an's Land zu kommen. Kaum waren einige derselben an Bord geklettert, als sie ohne Scheu zu stehlen und zu plündern begannen, so daß man eine Kanone abfeuern mußte, um sie durch den Schreck zu verjagen, wobei doch Einer, [511] der in der entstandenen Schlägerei verletzt worden war, bald auch seine Landsleute zu anderen Maßregeln zu bestimmen wußte. Man sah sich sogar genöthigt, mit Gewehrfeuer auf den Hagel von Pfeilen und Steinen zu antworten, mit dem sie die Schiffe überschütteten. Unsern dieser Insel entdeckte man drei andere, San Pedro, la Dominica und St. Christina. Diese Gruppe erhielt den Gesammtnamen »las Marquezas de Mendoza«, zu Ehren des Statthalters von Peru. Zuerst gestalteten sich hier die Verhältnisse so freundschaftlich, daß eine über die schönen blonden Haare der Doña Isabella de Mendoza entzückte Indianerin jene durch Zeichen bat, ihr eine kleine Flechte davon zu schenken; durch die Schuld der Spanier fand dieser friedliche Zustand aber ein jähes Ende, bis zu dem Tage, da die Ein gebornen, in der Ueberzeugung von der Ueberlegenheit der fremden Waffen, wieder um Frieden baten.

Am 5. August ging die spanische Flottille wieder in See und segelte gegen vierhundert Meilen in der Richtung nach Westnordwest. Am 20. August wurden die Inseln St. Bernhard, später die Inseln der Gefahr genannt, entdeckt, ferner die Königin Charlotte-Inseln, an denen man jedoch trotz des schon fühlbaren Mangels an Nahrungsmitteln nicht landete. Nach der Insel Solitaire (Einsiedler-Insel), deren Name schon ihre Lage hinreichend kennzeichnet, erreichte man den Archipel von Santa Cruz. Hier wurde das Admiralschiff aber während eines Sturmes von der Flotte getrennt und man erfuhr, trotz wiederholter Nachforschung, zunächst nichts wieder von derselben. Gegen fünfzig Canots näherten sich sofort dem Fahrzeuge. Diese waren von einer Menge schwarzbrauner oder tiefschwarzer Eingeborner besetzt. Alle hatten gekräuselte und weiß, roth oder noch anders gefärbte Haare und auch rothgefärbte Zähne; den Kopf trugen sie halb geschoren; den Körper nackt, mit Ausnahme eines kleinen Lendenschurzes von seinem Gewebe, Gesicht und Arme glänzend schwarz mit andersfarbigen Streifen; Hals und Gliedmaßen erschienen geschmückt mit mehrfachen Schnüren, an denen kleine Goldkörnchen, Ebenholzkugeln, Fischzähne, Perlmutterschalen und Perlen aufgereiht waren. Als Waffen führten sie Bögen, vergiftete, scharf spitzige oder mit bearbeiteten Knochen besetzte Pfeile, große Steine, eine Art Schwerter von zähem, hartem Holze und einen harpunenartigen Wurfspieß aus demselben Material mit drei überhandgroßen Widerhaken. Am Gürtel trugen sie einen schön gearbeiteten Sack aus Palmenblättern, gefüllt mit Gebäck, das sie [512] aus Wurzeln, die zu ihrer gewöhnlichen Nahrung dienen, herzustellen verstehen.«

Mendana glaubte zuerst Eingeborne der von ihm gesuchten Inseln vor sich zu haben, sollte aber bald eines Besseren belehrt werden. Seine Boote wurden plötzlich von einem Hagel von Pfeilen überschüttet. Diese Erfahrung wirkte um so niederschlagender, als Mendana, der daran verzweifelte, die Gruppe der Solomons-Inseln wieder aufzufinden, sich entschlossen hatte, seine [513] Kolonie in diesem Archipel zu gründen. Gleichzeitig kam es auch zur Uneinigkeit zwischen den Spaniern selbst; eine gegen den General angezettelte Erhebung ward unterdrückt und durch Hinrichtung der Rädelsführer beseitigt. Diese betrübenden Vorfälle aber, ebenso wie die Strapazen der Reise hatten die Gesundheit des Chefs der Expedition so tief untergraben, daß derselbe am 17. October verschied, nachdem er vorher noch seine Gattin bevollmächtigt hatte, an seiner Stelle die Leitung der Expedition zu übernehmen.


Donna Isabella befragte alle ihre Officiere. (S. 514.)

Nach Mendana's Tode nahmen die Feindseligkeiten mit den Eingebornen nur noch weiter zu; eine große Anzahl der Spanier war durch Krankheiten und Entbehrungen so herabgekommen, daß schon zwanzig entschlossene Eingeborne hingereicht hätten, mit Allen fertig zu werden. Offenbar wäre es eine Tollheit gewesen, unter solchen Verhältnissen auf der Gründung einer Niederlassung zu bestehen, das sahen auch Alle ein und man lichtete also am 18. November wieder die Anker. Doña Isabella de Mendoza's Absicht ging dahin, nach Manilla zu segeln, daselbst frische Kräfte anzuwerben und dann den Ansiedelungsversuch zu wiederholen. Sie befragte darum alle ihre Officiere, welche diesem Plane zustimmten, und fand in einem derselben, Quiros mit Namen, einen Mann, dessen Ergebenheit und Geschicklichkeit bald die härtesten Proben bestehen sollte. Zunächst entfernte man sich von Neu-Guinea, um sich nicht in den zahllosen Archipelen der Umgebung zu verirren und, wie es der schlechte Zustand der Schiffe gebieterisch forderte, schneller nach den Philippinen zu gelangen. Nachdem man in Sicht mehrerer, von Sternkorallen-Rissen umschlossenen Inseln vorübergekommen, an denen die Mannschaft wiederholt an's Land zu gehen verlangte, was Quiros jedoch mit großer Klugheit immer abzuschlagen wußte, und nachdem sich ein Schiff des Geschwaders, das nicht mehr mitfolgen wollte oder konnte, davon getrennt hatte, erreichte man die Ladronen-Inseln, welche nun die »Mariannen« genannt wurden. Wiederholt gingen die Spanier behufs Einkaufs von Nahrungsmitteln an's Land; die Eingebornen wollten von ihrem Golde oder Silber aber nichts wissen, sondern schätzten nur das Eisen und allerlei aus diesem Metalle hergestellte Geräthe. Der Bericht giebt an dieser Stelle einige Details über die Verehrung der Wilden für ihre Vorfahren, der so merkwürdig ist, daß wir ihn hier wortgetreu aufnehmen: »sie skeletiren die Leichen ihrer Eltern und Angehörigen, verbrennen das Fleisch und verschlucken die übrig bleibende Asche vermischt mit Tuba, d. i. eine Art Cocoswein. Jedes [514] Jahr beweinen sie die Verschiedenen eine ganze Woche lang. Dazu giebt es eine Menge Klageweiber, welche man für diese Gelegenheit miethet. Außerdem kommen auch alle Nachbarn herbei, in dem Hause des Verstorbenen zu weinen; Jeder bestrebt sich, diesen Liebesdienst zu vergelten, wenn die Reihe ' der Feierlichkeiten an jene kommt. Diese Erinnerungsfeste sind immer stark besucht, weil man die Theilnehmer derselben reichlich bewirthet. Man weint dabei die ganze Nacht hindurch und betrinkt sich während des Tages. Mitten unter dem Heulen und Wehklagen werden das Leben und die Thaten des Verstorbenen von der Zeit seiner Geburt bis an's Ende seiner Tage erzählt, wird seine Stärke, Gestalt, Schönheit, kurz Alles rühmend hervorgehoben, was ihm zur Ehre gereichen kann. Kommt bei dieser Schilderung einmal eine heitere Scene vor, so will die Gesellschaft vor Lachen schier zerplatzen, stärkt sich darauf durch einen tüchtigen Schluck und vergießt dann wieder heiße Thränen. Manchmal finden sich wohl gegen zweihundert Personen zu diesen albernen Erinnerungsfesten zusammen«. Bei der Ankunft an den Philippinen bestand die halb verhungerte Mannschaft nur noch aus einer Schaar von Skeleten oder Gespenstern. Doña Isabella landete am 11. Februar 1596 unter Kanonendonner in Manilla und wurde von den unter Waffen stehenden Truppen höchst feierlich empfangen. Der Rest der Besatzung, die seit der Abfahrt von Vera-Cruz etwa fünfzig Mann verloren hatte, wurde auf öffentliche Kosten untergebracht und erhalten, die Frauen aber fanden bis auf vier oder fünf, welche den Schleier nahmen, alle Gelegenheit, sich in Manilla zu verheirathen. Doña Isabella wurde einige Zeit darauf von Quiros wieder nach Peru gebracht, wo letzterer dem Vicekönig bald den Entwurf zu einer neuen Reise unterbreitete. Luis de Valasco aber, der Nachfolger Mendoza's, verwies den Seefahrer an den König von Spanien und den großen Rath für Indien unter dem Vorgeben, daß die Entscheidung über ein derartiges Unternehmen außer den Grenzen seiner Machtvollkommenheit liege. Quiros begab sich also nach Spanien und von da aus nach Rom, wo er beim Papste, der ihn Philipp III. auf's wärmste empfahl, eine sehr wohlwollende Aufnahme fand. Nach zahllosen Gesuchen und Bittschriften erhielt er endlich im Jahre 1605 die Ermächtigung, in Lima zwei, seinem Urtheile nach bestgeeignete Schiffe auszurüsten, um damit den südlichen Continent aufzusuchen und Mendana's Entdeckungen fortzusetzen. Mit zwei Schiffen und einem leichten Fahrzeuge verließ Quiros also Callao [515] am 21. December 1605. Tausend Meilen von Peru hatte er noch keine Spur von Land wahrgenommen. Unter 25° südlicher Breite kam er in Sicht einer Gruppe kleiner Inseln, welche zu dem Gefährlichen Archipel gehörten. Jene waren die »Convercion de San Pablo«, ferner Wallis' »Osnabrugh« und die »Decena«, so genannt, weil sie erst als das zehnte Eiland der Gruppe gesehen ward. Obwohl diese Insel wegen ihrer Uferfelsen ziemlich unzugänglich war, setzte man sich doch in Verbindung mit den Eingebornen, deren Hütten unter Palmen zerstreut nahe dem Meere lagen. Der Häuptling der hoch- und wohlgewachsenen Eingebornen trug auf dem Kopfe eine Art Krone von kleinen schwarzen, so seinen und weichen Federn, daß man dieselben für Seide gehalten hätte. Das lange blonde Haar, welches ihm bis zur Taille herabfiel, erregte die Verwunderung der Spanier. Sie konnten nicht begreifen, wie ein Mensch von schwarzbrauner Gesichtsfarbe so flachsblondes Haar haben könne, und »glaubten viel eher, daß er verheirathet sein möge und das Haar seiner Frau trüge«. Jene auffallende Haarfärbung rührte indeß nur von dem gewohnten Gebrauche des Kalkpulvers her, das die Haare bleicht und gelblich werden läßt.

Diese Insel, welche von Quiros »Sagittaria« getauft wurde, war, nach Fleurieu, die Insel Tahiti (Otaheiti), eine der bedeutendsten des Societäts-Archipels. Während der folgenden Tage entdeckte Quiros noch mehrere Inseln, an denen er jedoch nicht vor Anker ging und welche er wie die entsprechenden Kalender-Heiligen taufte, eine Gewohnheit, die die ursprünglichen Bezeichnungen zu einer wahren Litanei umgeändert hat. Unter anderen kam er auch nach einer Insel, welche er »La Gente Hermose« taufte wegen der Schönheit ihrer Bewohner, der weißen Hautfarbe und der Liebenswürdigkeit der Frauen, deren Grazie und Liebreiz nach dem Urtheile der Spanier selbst die wegen ihrer Schönheit berühmten eigenen Landsmänninnen in Lima übertreffen sollte. Diese Insel lag, nach Quiros, unter demselben Breitegrade wie Santa-Cruz, wohin er sich begeben wollte. Er segelte also nach Westen weiter und erreichte unter 10° südlicher Breite und noch achtzig Meilen östlich von Santa-Cruz eine Insel, welche die Eingebornen Taumaco nannten, jedenfalls eine der Duff-Inseln. Hier vernahm Quiros, daß er, wenn er seinen Kurs nach Süden veränderte, ein großes Land antreffen würde, wo die Menschen noch weißer seien als alle, die er bisher gesehen habe. Diese Nachricht bestimmte ihn, seinen [516] Plan, sogleich nach Vera-Cruz zu segeln, vorläufig fallen zu lassen. Er steuerte nun also nach Südwesten und kam, nach Entdeckung mehrerer kleiner Inseln am 1. Mai 1606 in einer über acht Meilen breiten Bai an. Der zugehörigen Insel gab er den Namen »St. Esprit«, der sich auch später erhalten hat. Es war das eine der Neuen Hebriden. Ueber die etwaigen Vorkommnisse während des Aufenthaltes hierselbst schweigt der Bericht vollständig. Von anderer Seite her wissen wir aber, daß die meuterische Besatzung Quiros zum Gefangenen machte, das zweite Schiff und die Brigantine im Stich ließ und am 3. October 1606, nach neunmonatlicher Seefahrt, in Amerika wieder eintraf. Ed. Charton giebt über diese Vorfälle keinen Aufschluß. Er erwähnt nichts von einer Meuterei der Mannschaft und wälzt alle Schuld der Trennung der Schiffe auf den Befehlshaber des zweiten Fahrzeugs, Luis Vaes de Torres, der seinen Vorgesetzten verlassen habe, indem er sich von St. Esprit entfernte. Dagegen weiß man aus einem Briefe Torres' an den König von Spanien – veröffentlicht von Lord Stanley am Schlusse seiner englischen Ausgabe von A. de Morga's Geschichte der Philippinen, – daß er Quiros »vierzehn Tage lang« in der Bai St. Philipp und St. Jacques erwartete. Die zu einer Berathung versammelten Officiere beschlossen dann, am 26. Juni, die Anker zu lichten und die Aufsuchung des südlichen Continents fortzusetzen. Aufgehalten durch schlechte Witterung, die ihn an der Rundfahrt um die Insel St. Esprit verhindert, und bestürmt von einer immer zur Meuterei bereiten Mannschaft, beschließt Torres, nach Nordosten zu segeln, um nach den spanischen Inseln zu gelangen. Unter 111/2° südlicher Breite entdeckt er ein Land, das er für den Anfang von Neu-Guinea hält. »Dieser ganze Landstrich, sagt Torres, gehört zu Neu-Guinea; er ist von Indianern bewohnt, die nicht ganz weiß sind und nackt gehen, bis auf einen Schurz aus Baumrinde.... Sie fechten mit Wurfspießen, Schilden und steinernen Keulen, welche Waffen alle mit schönen Federn reich verziert sind. Längs dieses Landes hin liegen noch andere bewohnte Inseln. An der ganzen Küste finden sich zahlreiche, geräumige Häfen, sehr breite Ströme und ausgedehnte Ebenen. Vor den Inseln erheben sich Felsenriffe mit Untiefen in der Umgebung, zwischen denen und dem Festlande oft nur eine schmale Fahrstraße hindurchführt. Wir ergriffen von den Häfen im Namen Eurer Majestät Besitz... Dreihundert Meilen weit segelten wir längs der Windungen dieser Küste hin, wobei unsere [517] Breitenposition um 21/2° abnahm, bis wir unter 9° südlicher Breite anlangten; hier trat eine, neben dem Ufer auf 71/2° Länge hinlaufende, drei bis neun Faden lange Sandbank auf. Da wir in Folge zahlloser Untiefen und mächtiger Gegenströmungen nicht weiter vorwärts dringen konnten, beschlossen wir, nach Südwesten durch den obenerwähnten, bis zum 11. Grade reichenden, tiefen Kanal umzukehren. Von dem einen Ende desselben zum anderen reicht ein Archipel unzähliger Inseln, den ich durchschiffte. An der unteren Grenze des 11. Grades wird der Grund des Meeres tiefer. Hier lagen mehrere sehr große Inseln, an die sich nach Süden zu noch weitere anzuschließen schienen; sie waren von schwarzen, sehr kräftigen und gänzlich nackt gehenden Stämmen bewohnt, die als Waffen lange und starke Lanzen, Pfeile und roh bearbeitete Steinkeulen führten.«

Die neueren Geographen stimmen überein, unter den oben geschilderten Gegenden den Theil der australischen Küste zu verstehen, welche in der, neuerdings vom Capitän Moresby besuchten Halbinsel York mit der südlichsten Spitze von Guinea ziemlich zusammentrifft. Man wußte zwar, daß Torres auch in die, später seinen Namen führende Meerenge zwischen Cap York und Neu-Guinea eingelaufen war; die neueste Erforschung des südlichen Theiles von Neu-Guinea aber, wo man eine verhältnißmäßig hellfarbige Bevölkerung antraf, die sich von den Papuas sehr wesentlich unterscheidet, hat jenen Entdeckungen Quiros' eine unerwartete Verläßlichkeit verliehen. Deshalb verweilten wir, gestützt auf eine, in den Jahresberichten der Geographischen Gesellschaft in Paris erschienene, sehr gelehrte Arbeit E. T. Hampy's, bei denselben etwas ausführlicher.

Wir erwähnen nun mit einigen Worten derjenigen Reisenden, welche sich jener Zeit in weniger besuchten Gegenden bewegt haben und ihren Zeitgenossen verläßlichere Kenntniß von einer bis dahin fast unbekannten Welt verschafften. Der Erste derselben ist Franz Pyrard aus Laval. Dieser schiffte sich im Jahre 1601 in St.-Malo ein, um in Indien Handelsgeschäfte zu betreiben, litt dabei aber beim Archipel der Malediven Schiffbruch. Diese, in der Anzahl von mindestens 12.000 längs der Malabar-Küste verstreuten Eilande oder Atolls ziehen sich im Indischen Ocean vom Cap Camorin bis zum Aequator hinab. Pyrard erzählt uns seinen Schiffbruch, die Flucht eines Theiles seiner auf dem Archipel gefangenen Gefährten und seinen sieben Jahre langen Aufenthalt auf den Malediven, den er sich jedoch durch [518] das fleißige Studium der malayischen Sprachen fast angenehm zu machen wußte. Dabei gewann er auch die Zeit, sich über die Sitten, Gewohnheiten, die Religion und Gewerbsthätigkeit der Einwohner zu unterrichten und die Producte und das Klima des Landes zu studiren. Sein Bericht strotzt denn auch von Details aller Art. Bis in die letzten Jahre hatte er seiner Neigung zu beobachten gefröhnt. Nur selten besuchten je Reisende diesen ungesunden Archipel, dessen einsame Lage fremde Besucher und Eroberer abschreckte. Pyrard's Bericht ist also ebenso lehrreich als unterhaltend zu lesen.

Im Jahre 1607 sandte der Herrscher von Bengalen eine Flotte nach den Malediven, um dort 100 bis 120 Kanonen aufzusammeln, welche von den zahlreichen, daselbst gescheiterten portugiesischen Schiffen herrührten. Trotz der Freiheit, die man Pyrard hier gewährte, und obwohl er selbst Grundbesitz erworben, sehnte er sich nach dem Wiedersehen seiner geliebten Bretagne und ergriff also mit Eifer obige Gelegenheit, den Archipel endlich mit den einzigen drei übrigen Leuten seiner früheren Mannschaft zu verlassen. Noch sollte Pyrards Odyssee aber nicht zu Ende sein. Er wurde nämlich erst nach Ceylon geführt, dann nach Bengalen gebracht und versuchte von hier aus nach Cochin zu gelangen. In letzterer Stadt von den Portugiesen eingekerkert, verfiel er in eine Krankheit und wurde im Hospital von Goa gepflegt. Dieses verließ er nur, um zwei Jahre hindurch als Soldat zu dienen und dann wiederum gefangen gesetzt zu werden. Erst 1611 gelang es ihm, die theure Vaterstadt Laval wiederzusehen. Nach so zahlreichen Wechselfällen mußte Pyrard wohl das Verlangen nach Ruhe empfinden, und aus dem Stillschweigen der Geschichte über das Ende seines Lebens darf man wohl folgern, daß er endlich das gesuchte Glück gefunden habe.

War der ehrenwerthe Bürger Franz Pyrard sozusagen wider Willen und nur, weil er schnell Schätze zu erwerben dachte, in eine so abenteuerliche Bahn gedrängt worden, wo er bald das Leben eingebüßt hätte, so bestimmten Pietro della Valla ganz andere, romantische Verhältnisse zu seiner Fahrt. Einer vornehmen und alten Familie entsprossen, ist er abwechselnd Soldat des Papstes und Seemann und verfolgt die Seeräuber aus der Berberei. Nach Rom zurückgekehrt, findet er seinen Platz bei einem jungen Mädchen, das er zu ehelichen gedachte, von einem Nebenbuhler eingenommen, der sich seine Abwesenheit zu Nutzen gemacht hatte. Ein so schweres Unglück verlangt ein heroisches Heilmittel. Della Balle gelobt, als Pilger Christi Grab zu [519] besuchen. Wenn es aber, wie das Sprichwort sagt, keinen Weg giebt, der nicht nach Rom führte, so giebt es auch keinen hinreichend weiten Umweg, der nicht nach Jerusalem führte. Della Balle sollte hierzu den Beweis liefern. Er schifft sich im Jahre 1614 in Venedig ein, verbringt dreizehn Monate in Konstantinopel, gelangt auf dem Seewege nach Alexandrien, dann nach Kairo und schließt sich erst hier einer Karawane an, die ihn nach Jerusalem führt. Unterwegs scheint della Balle aber dem Reiseleben Geschmack abgewonnen zu haben, denn er besucht nun nach und nach Bagdad, Damaskus, Aleppo und dringt selbst bis zu den Ruinen von Babylon vor. Man muß annehmen, daß della Balle ein leichtes Opfer der Empfindungen seines Herzens gewesen sei, denn er verliebt sich in Mardin in eine junge Christin von außerordentlicher Schönheit und heirathet dieselbe auf der Stelle. Hiermit sollte man annehmen, habe dieser rührige Reisende sein Ziel gefunden. Mit nichten. Della Balle findet Gelegenheit, den Schah von Persien bei seinem Feldzuge gegen die Türken zu begleiten und vier Jahre hindurch die Provinzen von Iran zu durchstreifen. Er verläßt Ispahan im Jahre 1621, verliert sein Weib im December des nämlichen Jahres, läßt die Leiche einbalsamiren und führt sie im Sarge vier Jahre lang mit sich umher, während er Ormuz, die Westküsten Indiens, den Persischen Meerbusen, Aleppo und Syrien forschend durchwandert, um sich endlich 1626 nach Neapel einzuschiffen.

Dieser sonderbare Schwärmer, den eine wahre Reisewuth beseelte, beschreibt die von ihm besuchten Länder in gewandtem, natürlichem Style und selbst mit einer gewissen Treue. Er eröffnet freilich auch den Schwarm der Vergnügungsreisenden, Neugierigen und Kaufleute als der Erste jener fruchtbaren Race von Touristen, welche die geographische Literatur alljährlich um so und so viele Bände anschwellen machen, aus denen der Gelehrte nur mit größter Mühe einzelne gereifte Körnchen herausliest.

Tavernier ist ein unersättlicher Neugieriger. Mit zweiundzwanzig Jahren durchwandert er Frankreich, England, die Niederlande, Deutschland, die Schweiz, Polen, Ungarn und Italien. Später, da Europa seiner Neugierde hinreichende Nahrung nicht mehr bietet, bricht er nach Konstantinopel auf, wo er ein Jahr verweilt, geht hierauf nach Persien, wo die Gelegenheit und »irgend ein Teufel, der ihn drängt«, ihn veranlaßt, Tapeten, Webstoffe, kostbare Steine und tausenderlei Kleinigkeiten einzukaufen, für welche sich bald eine leidenschaftliche Liebhaberei entwickelte, so daß man dieselben mit [520] wirklich fabelhaften Summen bezahlte. Den Gewinn, den Tavernier an seiner heimgebrachten Ladung machte, veranlaßte ihn zu einer zweiten Reise. Als vorsichtiger und kluger Mann erwarb er sich aber vorher bei einem Juwelier die nöthige Kenntniß der Edelsteine. Auf vier, einander folgenden Reisen, in der Zeit von 1638 bis 1663, zog er durch Persien, die Mongolei und Indien bis zu den Grenzen Chinas und nach den Sunda-Inseln. Durch [521] die Reichthümer, welche seine Handelsthätigkeit ihm erworben, verblendet, begann Tavernier nun den großen Herrn zu spielen, sah sich da aber bald am Ende seiner Mittel. Jetzt suchte er seinen Ruin dadurch aufzuhalten, daß er einen seiner Neffen mit beträchtlicher Fracht nach dem Morgenlande sendete; der junge Mann trug aber nur noch mehr dazu bei, da er es für weit vortheilhafter ansah, die ihm anvertrauten Waaren in sei nem Nutzen zu verwenden und sich in Ispahan niederzulassen. Der von jeher gut unterrichtete Tavernier hat eine große Menge interessanter Beobachtungen über Geschichte, Erzeugnisse, Sitten und Gebräuche der von ihm besuchten Länder gesammelt.


Johannes Chardin. (Facsimile. Alter Kupferstich.) (S. 523.)

Seine Berichte trugen wesentlich dazu bei, den Zeit genossen eine richtigere Vorstellung als die allgemein gebräuchliche von dem Morgenlande zu geben.

Hierher wenden sich übrigens, welches Ziel sie auch verfolgen, wenigstens aus Frankreich alle Reisenden während der Regierung Ludwig's XIV. Afrika wird dabei vollständig vernachlässigt, und wenn Amerika jetzt der Schauplatz ernsterer Forschung wird, so geschieht das doch ohne Beihilfe irgend einer Regierung.

Während Tavernier seine letzten weiten Excursionen vollendete, durchwanderte ein hervorragender Archäolog, Jean de Thévenot, ein Neffe Melchisedec Thévenot's, des Gelehrten, dem man die Veröffentlichung einer interessanten Serie von Reisen verdankt, zuerst Europa und ging dann nach Malta, Konstantinopel, Egypten, Tunis und wieder nach Italien. Im Jahre 1661 brachte er eine umfangreiche Sammlung von Denkmünzen und Monumenten-Inschriften mit heim, welche heutzutage für den Geschichtsschreiber und Sprachforscher von so wichtiger Bedeutung sind. Im Jahre 1664 reiste er von Neuem nach der Levante ab, besuchte Persien, Bassorah. Surate und Indien, wo er nach Masulipatam, Borampur, Aurengabad und Golconda kam. Die ausgestandenen Strapazen vereitelten aber seine Rückkehr nach Europa und er starb schon 1667 in Armenien. Seine Berichte welche sich durch die Sorgfalt und Genauigkeit eines Reisenden auszeichneten, der den Mittelschlag der Zeitgenossen durch seine Kenntnisse der Geschichte, Geographie und Mathematik beiweitem überragte, erfreuten sich auch eines ganz bedeutenden Erfolges.

Wir haben nun des liebenswürdigen Bernier Erwähnung zu thun, des »schönen Philosophen«, wie er in einem geistreichen, seinen Cirkel genannt [522] wurde. In demselben trafen sich Ninon und La Fontaine, Madame de la Sablière, St. Ephremont und Chapelle, abgesehen von anderen Schöngeistern, Alle aber erklärte Feinde der erzwungenen Förmlichkeit, welche damals in der Umgebung Ludwig's XIV. das Uebergewicht hatte. Auch Bernier konnte dem Reisefieber nicht entgehen. Nachdem er Syrien und Egypten oberflächlich gesehen, hielt er sich zwölf Jahre lang in Indien auf, wo ihm seine hervorragenden Kenntnisse in der Heilkunde die Gunst des großen Aureng-Zeb erwarben und ihm Gelegenheit boten, das damals in vollster Blüthe stehende Reich eingehend und fruchtbringend in Augenschein zu nehmen.

Im Süden von Hindostan barg Ceylon noch immer für die Forschungsreisenden so manche Ueberraschung in seinem Schoße. Robert Knox, der von Eingebornen gefangen wurde, verdankte es diesem traurigen Umstande, lange Zeit in dem Lande zu verweilen und über die unendlichen Wälder Ceylons, sowie über dessen wilde Volksstämme die ersten verläßlichen Kenntnisse zu sammeln. Die Holländer hatten bis dahin, in Folge von commercieller Eifersüchtelei, von der sie ja nicht das einzige Beispiel bieten, alle Nachrichten verheimlicht, welche sich auf die Insel bezogen, aus der sie eine Kolonie ihres Reiches zu bilden gedachten.

Noch ein Kaufmann tritt hier auf die Scene. Eifersüchtig auf die Erfolge Tavernier's, wollte Jean Chardin, Sohn eines reichen Pariser Juweliers, ebenfalls sein Glück durch den Handel mit Diamanten machen. Die Länder, welche auf diese Kaufleute den unwiderstehlichsten Reiz ausübten, waren diejenigen, deren Reichthum und Wohlstand sprichwörtlich geworden waren, nämlich Persien und Indien, mit ihren kostbaren, von Edelsteinen und Gold glitzernden Trachten und ihren Bergwerken mit fabelhaft großen Diamanten. Der Besuch dieser Länder erschien eben sehr zeitgemäß. Durch die mongolischen Kaiser entwickelten sich Kultur und Kunst, Moscheen, Paläste, Tempel stiegen empor, ganze Städte erwuchsen plötzlich aus der Erde. Ihr so eigenartiger, von dem unserigen abweichender Geschmack tritt ebenso in der Errichtung riesiger Bauwerke zu Tage, wie in der Begünstigung der Bijouterie- und Goldschmiedearbeiten, der Herstellung jener kostbaren Nichtse, welche im Morgenlande zur leidenschaftlichen Mode wurden. Chardin erwühlte sich gleichzeitig einen sachkundigen Geschäftstheilnehmer. Zuerst zieht er, um nach Ormuz zu gelangen, rasch durch Persien und schifft sich hier nach Indien ein. Im folgenden Jahre nach Ispahan zurückgekehrt [523] befleißigt er sich des Studiums der Landessprache, um seine Geschäfte direct und ohne Zwischenhändler abschließen zu können. Er hat das Glück, dem Schah Abbas II. zu gefallen. Nun ist er ein gemachter Mann, der überall das beste Ansehen genoß und dem sich dieselben Quellen wie seinem Souveräne willig öffneten. Chardin besitzt aber auch ein anderes wirkliches Verdienst. Er verstand eine beträchtliche Menge Nachrichten zu sammeln über die persische Regierung, die Sitten, Glaubenslehren, Städte und Bewohner dieses Landes, welche seinem Berichte noch heute den Werth eines Wegweisers für Reisende verleihen. Diese Arbeit erhält dadurch noch einen höheren Werth, daß Chardin sich bemühte, in Konstantinopel einen geschickten Zeichner, Namens Grelot, zu gewinnen, der Denkmäler, Städte, Volksscenen, Trachten, Ceremonien, kurz Alles, was Charron das Alltagsleben eines Volkes nannte, bildlich darstellte.

Als Chardin im Jahre 1670 nach Frankreich zurückkehrte, hatten die Wiederaufhebung des Edicts von Nantes und die barbarischen Verfolgungen der Protestanten eine Menge Künstler aus der Heimat vertrieben, die nun die Fremde mit den Werken ihres Geistes und ihrer Hände bereicherten. Chardin, als Protestant, begriff leicht, daß ihn hier sein Bekenntniß hindern werde, zu Ehren und Ansehen zu gelangen. Da man nun, wie er sich ausdrückt, »hier nicht die Freiheit besitzt, zu glauben, was man will«, so beschloß er, nach Indien zurückzukehren, wo es ihm »ohne Wechsel seiner Religion« nicht fehlen könne, eine ehrenvolle Stellung einzunehmen. Damals herrschte im Oriente demnach eine ausgedehntere Gewissensfreiheit als in Frankreich. Dieser 'Ausspruch seitens eines Mannes, der ja selbst in der Lage war, Vergleiche zu ziehen, macht dem Enkel Heinrich's IV. freilich keine besondere Ehre.

Diesmal schlug Chardin aber nicht seinen gewöhnlichen Weg ein. Er ging über Smyrna und Konstantinopel, segelte durch das Schwarze Meer und landete in Pilgerkleidung in der Krim. Auf seinem Zuge durch die kaukasischen Gebiete fand er Gelegenheit, die Abkasen und Cirkassier näher kennen zu lernen. Dann begab er sich nach Mingrelien, wo er eines Theiles der aus Europa mitgebrachten Kostbarkeiten, seines Reisegepäckes und aller Papiere beraubt wurde. Er selbst entschlüpfte nur, Dank der Theatinermönche, bei denen er gastliche Aufnahme fand. Später fiel er dafür freilich in die Hände von Türken, die ihm ein schweres Lösegeld auferlegten. Nach [524] manchen anderen Unfällen langte er am 17. December 1672 in Tiflis an. Da Georgien damals unter der Herrschaft eines Tributärfürsten des Schahs von Persien stand, war es ihm nun leicht, Erivan, Tauris und endlich Ispahan zu erreichen.

Nach vierjährigem Aufenthalte in Persien und einer letzten Reise nach Indien, auf der er ein sehr beträchtliches Vermögen erwarb, kehrte Chardin nach Europa zurück und ließ sich in England nieder, da ihm das Vaterland seines Glaubensbekenntnisses wegen verschlossen war.

Sein Reisetagebuch bildet ein umfangreiches Werk, in dem Alles, was auf Persien Bezug hat, ausführlich dargestellt ist. Sein langer Aufenthalt im Lande und der Umgang mit hochstehenden Personen gaben ihm Gelegenheit, zahlreiche, authentische Documente zu erlangen. Ja, man kann sagen, daß Persien im 17. Jahrhundert besser bekannt war als hundert Jahre später.

Die Gebiete, welche Chardin besucht hatte, sah ein holländischer Maler, Corneille de Bruyn oder Le Brun, einige Jahre später wieder. Der Vorzug seines Werkes beruht in der Schönheit und Genauigkeit der Zeichnungen, welche den Text veranschaulichen, denn in letzteren findet sich nichts Neues, was nicht schon vorher bekannt gewesen wäre, höchstens einige Nachrichten über die Samojeden, die er zuerst besuchte.

Endlich erwähnen wir des Westfalen Kämpfer, eigentlich eines, wegen seines langen Aufenthaltes in Skandinavien naturalisirten Schweden. Hier lehnte er eine ihm angebotene, glänzende Stellung ab, um als Secretär einen Gesandten zu begleiten, der sich nach Moskau begab. Dabei sah er die wichtigsten Städte Rußlands, das damals kaum in die Wege der abendländischen Civilisation einlenkte; später ging er nach Persien, wo er seinen Gesandten Fabricius verließ, um in den Dienst der holländisch-indischen Compagnie zu treten und seine Reisen fortsetzen zu können. Er kam nun zuerst nach Persepolis, Schiras und Ormuz am Persischen Meerbusen, wo er schwer erkrankte und sich im Jahre 1688 nach Indien einschiffte. Später besuchte er das Glückliche Arabien, Indien, die Malabarküste, Ceylon, Java, Sumatra und Japan, wobei er ausschließlich wissenschaftliche Zwecke verfolgte. Als Mediciner, der sich jedoch mehr mit den Naturwissenschaften beschäftigte, sammelte, beschrieb, zeichnete und trocknete Kämpfer eine beträchtliche Zahl in Europa bisher unbekannter Pflanzen, lieferte Angaben über deren pharmaceutische oder industrielle Verwendung, und brachte ein [525] ungeheures Herbarium zusammen, das noch heutzutage im British Museum zu London aufbewahrt wird. Der interessanteste Theil seiner heute veralteten und seit der Eröffnung des Landes für die Gelehrten der Jetztzeit lückenhaften Reisebeschreibung ist derjenige, welcher sich auf Japan bezieht. Er hatte sich dazu die nöthigen, geschichtlichen, literarischen und wissenschaftlichen Hilfsquellen des Landes zu eröffnen gewußt, als er bei gewissen Persönlichkeiten, deren Wohlwollens er sonst sicher war, die ihm erwünschten Nachrichten nicht zu erhalten vermochte, welche man Fremden stets streng vorzuenthalten pflegte.

Sind nun auch die Reisenden, welche wir im Vorhergehenden aufführten, nicht eigentlich als Entdecker zu betrachten und erforschten sie keine vorher unbekannten Länder, so kommt ihnen doch Allen, je nach Geschick und Wissen, das Verdienst zu, zur besseren Kenntniß der von ihnen besuchten Länder beigetragen zu haben. Dabei haben sie auch in das Gebiet der Fabeln die oft wunderbaren Dinge verwiesen, welche frühere, minder aufgeklärte Reisende für Wahrheit genommen hatten, und welche so sehr in das Bewußtsein der Allgemeinheit übergegangen waren, daß gar Niemand daran dachte, sie zu bezweifeln.

Ihnen verdankt man eine genauere Kenntniß der Geschichte des Morgenlandes; man erlangte durch sie eine Ahnung von den Völkerwanderungen und von den Vorgängen in jenen großen Reichen, deren Existenz so lange Zeit als problematisch gegolten hatte.

[526]
6. Capitel
1.
I.
Die Freibeuterei im großen Style

William Dampier oder der König des Meeres im 17. Jahrhundert.


Geboren zu East Tocker im Jahre 1652, sah sich Dampier durch den vorzeitigen Tod seiner Eltern schon in der Kindheit auf sich selbst angewiesen. Ohne große Vorliebe für geistige Anstrengung, zog er es vor, durch die Wälder zu streifen und sich mit seinen Kameraden herumzuschlagen, als ruhig auf der Schulbank zu sitzen. In zartem Alter kam er als Schiffsjunge auf ein Handelsschiff, machte auf demselben eine Reise nach Neufundland und eine Fahrt nach Ostindien mit und trat dann in die Kriegsmarine ein;. bei einem Gefechte verwundet, kehrte er zu seiner Wiederherstellung nach Greenwich zurück. Ohne sich viel um das früher eingegangene Engagement zu kümmern, reiste er, nachdem er das Militärhospital verlassen, als Verwalter einer Plantage nach Jamaica ab. Hier merkte er aber zu bald, daß er zu einem solchen Geschäfte nicht tauge. Nach Verlauf von sechs Monaten verließ er seine Neger und schiffte sich nach der Campeche-Bai ein, wo er drei Monate lang mit der Einbringung von Farbholz beschäftigt war.


Japanischer Krieger. (Facsimile. Alter Kupferstich.)

Später findet man ihn wieder in London; die Gesetze aber und die bestellten Wächter derselben belästigen ihn zu sehr. Er geht nach Jamaica zurück, wo er sehr bald mit den berüchtigten Buccaniers und Flibustiern in Berührung kam, welche den Spaniern damals so unendlichen Schaden zufügten.


»Ah, Dampier, Sie hätten auch eine schlechte Mahlzeit abgegeben!« (S. 531.)

Diese, eigentlich auf der Schildkröten-Insel an der Küste von St. Domingo ansässigen Abenteurer von englischer und französischer Abstammung hatten Spanien unauslöschlichen Haß geschworen. Ihre Plünderungszüge beschränkten sich nicht allein auf den Golf von Mexico; sie überschritten ebenso die Landenge von Panama und verwüsteten die Küsten des Pacifischen Oceans von der [527] Magellan-Straße bis hinauf nach Kalifornien. Furcht und Schrecken übertrieben noch die Thaten der Flibustier, welche übrigens wirklich an's Wunderbare grenzten.

In die Reihen dieser Abenteurer, welche damals von Harris, Sawkins und Shays angeführt wurden, trat Dampier also ein. Im Jahre 1680 sehen wir ihn in Darien. Hier plündert er St. Maria, versucht vergeblich,[528] Panama zu überrumpeln und fängt mit seinen Spießgesellen, die sich nur elender, den Indianern gestohlener Boote bedienen können, acht wohlbewaffnete Schiffe ab, welche unfern der Stadt vor Anker lagen. Bei diesem Kampfe aber waren die Verluste der Flibustier so beträchtlich und die Beute so mager, daß sie auseinandergingen. Die Einen kehren nach dem Golf von Mexico zurück, die Anderen lassen sich auf der Insel Juan Fernandez nieder, von wo aus sie bald einen Angriff auf die Stadt Arica ausführen. Hierbei[529] erging es ihnen aber so übel, daß es zu einer neuen Trennung kam und Dampier sich nach Virginia begeben mußte, wo sein Kapitän neue Helfershelfer zu gewinnen hoffte. Hier rüstete Kapitän Cook ein Schiff aus zu dem Zwecke, durch die Magellan-Straße in den Pacifischen Ocean einzudringen. Dampier betheiligte sich bei dieser Fahrt. Man segelte zunächst längs der Küste Afrikas nach den Inseln des grünen Vorgebirges, Sierra Leone und in den Sherborough-Strom, denn das ist der gewöhnliche Weg, den die nach Südamerika bestimmten Schiffe einhielten. Unter dem 36. Grade südlicher Breite beobachtet Dampier, der in seinem Journal alle merkwürdigen Vorkommnisse sorgfältig einträgt, daß das Meer eine weiße, ganz blasse Farbe angenommen habe, ohne daß er sich über die Ursache dieser Erscheinung klar wird. Mit Hilfe des Mikroskops hätte er sich leicht genug darüber Rechenschaft geben können. Ohne Unfall segelt man an den Sebaldinen-Inseln vorbei, dringt in den Lemaire-Sund ein, doublirt am 6. Februar 1684 das Cap Horn und erreicht nach Ueberstehung eines schweren Sturmes, wie sie gewöhnlich die in den Pacifischen Ocean einfahrenden Schiffe überfallen, die Insel Juan Fernandez, wo man frischen Proviant einzunehmen gedachte. Da kam Dampier der Gedanke, ob er hier wohl einen von Kapitän Scharp im Jahre 1680 zurückgelassenen Indianer aus Nicaragua wiederfinden werde. »Dieser Indianer befand sich seit mehr als drei Jahren allein auf der Insel. Er irrte eben im Walde auf der Ziegenjagd umher, als der englische Kapitän seine Leute an Bord rief, und man war darauf unter Segel gegangen, ohne seine Abwesenheit zu bemerken. Jener besaß nur eine Flinte und ein Messer, nebst einem kleinen Pulverhorn und etwas Blei. Nachdem er Pulver und Blei verbraucht, gelang es ihm, mittelst des Messers den Lauf des Gewehres in kleine Stücke zu trennen, woraus er Harpunen, eine Lanze, Angelhaken and ein langes Messer herstellte. Mit diesen Hilfswerkzeugen verschaffte er sich Alles, was die Insel liefern konnte, nämlich Ziegen und Fische. Eine halbe Meile vom Meere entfernt, hatte er sich eine kleine, mit Ziegenfellen bedeckte Hütte errichtet. Von Kleidungsstücken besaß er nicht das Geringste mehr, ein einfaches Fell umgürtete seine Lenden.«

Wenn wir hier etwas länger bei diesem unfreiwilligen Einsiedler verweilten, so geschah es, weil er Daniel de Foe als Vorbild für seinen Robinson Crusoe diente, eine Erzählung, welche ja wohl alle Kinderherzen erfreut und gerührt hat.

[530] Wir wollen aber nicht haarklein alle Züge mittheilen, an denen Dampier theilnahm. Es genüge hier zu bemerken, daß er bei ruhiger Fahrt die Gollapagos-Inseln besuchte. Da er die meisten seiner Unternehmungen scheitern sah, begab sich Kapitän Sven, auf dessen Schiffe Dampier im Jahre 1686 diente, nach Ostindien, wo die Spanier weniger auf ihrer Hut waren und er bessere Aussichten zu haben glaubte. Unsere Abenteurer langten also in Guaham an, besaßen aber nur für drei Tage Lebensmittel. Die Matrosen waren im Falle einer noch längeren Dauer der Fahrt übereingekommen, nach und nach Alle aufzuzehren, die sich für diese Fahrt erklärt hatten, und mit dem Kapitän anzufangen, von dem der Vorschlag dazu ausgegangen war. Dampier sollte gleich nach diesem an die Reihe kommen. »So erklärt es sich, sagt er scherzend, daß Sven, nachdem sie bei Guaham vor Anker lagen, ihn umarmend mit den Worten anredete: »Ah, Dampier, Sie hätten auch eine schlechte Mahlzeit abgegeben!« Er hatte damit wohl recht, fügt er hinzu, denn ich war dürr und fleischarm, er aber dick und fett.« Mindamar, Manilla, einzelne Küstenstrecken von China, die Molukken Neu-Holland und die Nicobaren-Inseln, das waren die Punkte, welche Dampier bei dieser Fahrt besuchte und plünderte. Im letzteren Archipel trennte er sich von seinen Gefährten und kam halbtodt am Gestade von Sumatra an.

Bei dieser Fahrt entdeckte Dampier mehrere bisher unbekannte Inseln und vorzüglich die Baschi-Gruppe. Kaum wieder hergestellt, durchstreifte er als geborner Abenteurer das südliche Asien, Malakka, Tonkin, Madras und Bencoulen, wo er als Artillerist in englische Dienste trat. Fünf Monate später desertirte er und kehrte nach London zurück. Der Bericht seiner Abenteuer und seiner Kreuz- und Querzüge erwarb ihm in der höchsten Gesellschaft gewisse Sympathien und er wurde dem Lord der Admiralität, dem Grafen von Oxford, vorgestellt. Sehr bald übertrug man ihm das Commando über ein Schiff, den »Roebuck«, um auf eine Entdeckungsreise in den ihm schon bekannten Meeren auszuziehen. Am 14. Januar 1699 verließ er England und beabsichtigte, durch die Magellan-Straße oder um das Feuerland herum zu gehen, um nach denjenigen Gegenden des Pacifischen Oceans zu segeln, welche noch am seltensten besucht worden waren. Nach Passirung des Aequators am 10. März steuerte er nach Brasilien, wo er neuen Proviant einnahm. Jetzt gelang es ihm aber auf keine Weise, sich[531] längs der Küste Patagoniens zu halten, sondern er wurde durch anhaltendes stürmisches Wetter bis sechszehn Meilen südlich vom Cap der Guten Hoffnung verschlagen, von wo aus er einen Kurs nach Südsüdosten, in der Richtung nach Neu-Holland einschlug. Diese lange Ueberfahrt ging ohne Zwischenfall von statten. Am 1. August bekam Dampier Land in Sicht und suchte sofort einen Hafen, um daselbst vor Anker zu gehen. Fünf Tage später lief er in der Seehunds-Bai, an der Westküste Australiens an's Ufer, fand aber nur ein höchst unfruchtbares Land ohne Wasser und Pflanzenwuchs. Bis zum 31. August folgte er der Küste, ohne zu finden, was er suchte. Bei Gelegenheit einer Landung bestand er ein leichtes Scharmützel mit einigen Eingebornen, welche in dem Lande nur sehr dünn gesäet schienen. Ihr Häuptling war ein junger Mann von mittlerer Größe, doch von lebhaftem, gewandtem Wesen; um seine Augen zog sich ein einzelner weißer Streifen, und ein gleichfarbiger Strich reichte von der Stirn bis zur Nasenspitze herab; ebenso erschienen Brust und Arme zebraartig gestreift. Seine Begleiter hatten schwarze Haut, ein wildes Aussehen, krause Haare und eine hohe, wohlproportionirte Gestalt.

Während fünf langer Wochen, in denen er sich stets dicht bei dem Lande aufhielt, fand Dampier weder Wasser noch Lebensmittel, dennoch wollte er den Versuch nicht aufgeben und segelte wieder längs der Küste nach Norden hinauf. Zuletzt zwangen ihn doch die häufigen Untiefen und der beginnende Nordwest-Mousson, seine Absicht fallen zu lassen, nachdem er mehr als dreihundert Meilen von dem australischen Festlande entdeckt hatte. Nun begab er sich nach Timor, wo er auszuruhen und seine von der langen Fahrt erschöpfte Mannschaft sich erholen zu lassen gedachte. Hier kannte er aber die Meerverhältnisse zu wenig, und auch seine Karten erwiesen sich als viel zu mangelhaft. Er mußte sich also darauf einlassen, vorsichtig sein Fahrwasser zu untersuchen, als ob die Holländer sich hier nicht schon vor langer Zeit ansässig gemacht hätten. So entdeckte er z. B. zwischen Timor und Anamabar einen Sund an der Stelle, wo seine Karten nur eine Bai verzeichnet enthielten. Das Eintreffen Dampier's in einem Hafen, den sie klein kannten, verwunderte und beunruhigte die Holländer sehr ernsthaft. Sie glaubten, die Engländer hätten dazu nur durch Entwendung von Karten aus einem Schiffe ihrer Nation gelangen können. Zuletzt erholten sie sich doch von ihrem Schrecken und empfingen sie mit aller Freundlichkeit.

[532] Obwohl sich die Vorläufer des Mousson schon sehr fühlbar machten, stach Dampier dennoch wieder in See und steuerte nach der nördlichen Küste von Neu-Guinea, die er am 4. Februar 1700 nahe dem Cap Maho der Holländer erreichte. Unter den Dingen, die seine Verwunderung erregten, erwähnt Dampier einer ungeheuren Menge Tauben, vieler Fledermäuse von außergewöhnlicher Größe und der Petonceln, d. s. eine Art Kammmuscheln, deren leere Schale nicht weniger als zweihundertachtundfünfzig Pfund wog. Am 7. Februar näherte er sich der König-Wilhelms-Insel und wendete sich nun nach Osten, wo er sehr bald Schouten's Cap der Guten Hoffnung und die Insel, welche den Namen dieses Seemannes erhalten hat, in Sicht bekam. Am 24. war die Mannschaft Zeuge eines merkwürdigen Schauspiels: »Zwei Fische, welche das Schiff schon fünf bis sechs Tage begleiteten, nahmen eine große Seeschlange wahr und gingen sofort daran, diese zu verfolgen. Sie waren etwa von der Gestalt und Größe einer Seemakrele, doch gelblichgrün von Farbe. Die mit großer Schnelligkeit entfliehende Schlange hielt den Kopf immer über dem Wasser, während einer der Fische sich bemühte, sie am Schwanze zu fassen. Sobald sie sich umdrehte, blieb der erste Fisch zurück und der andere trat als Jäger an seine Stelle. So hielten sie jene, die sich fliehend immer zu vertheidigen suchte, lange Zeit in Athem, bis wir die Thiere aus dem Gesicht verloren.«

Am 25. gab Dampier einer bergigen, gegen zehn Meilen langen und ungefähr im Nordosten der Admiralitäts-Inseln gelegenen Insel den Namen St. Mathias. Sieben bis acht Meilen weiterhin entdeckte er noch eine andere, welche den Namen der Insel der Stürme erhielt wegen eines heftigen Wirbelwindes, der jede Landung an derselben vereitelte. Dampier glaubte, nahe der Küste Neu-Guineas zu sein, während er an der von Neu-Irland hinsegelte. Hier gedachte er zwar an's Land zu gehen, sah sich aber von vielen Piroguen mit über zweihundert Eingebornen umringt, während auch am Strande eine große Menge derselben versammelt war. Da er es für unklug hielt, ein Boot an's Land zu senden, ließ Dampier das Schiff wenden. Kaum war dieser Befehl gegeben, als dasselbe mit einem Hagel von Steinen überschüttet wurde, welche die Eingebornen mit einer Maschine schleuderten, deren Form er nicht zu erkennen vermochte; in Folge dieses Vorkommnisses gab er dem Orte den Namen der Bai der Schleuderer. Ein einziger Kanonenschuß aber setzte die Eingebornen in heillosen Schrecken und machte allen [533] Feindseligkeiten ein Ende. In einiger Entfernung von hier und nahe dem Gestade Neu-Irlands entdeckten die Engländer die Inseln Denis und St. Jean. Dampier segelte als der Erste durch die Meerenge, welche Neu-Irland von Neu-Britannien trennt, und sah dann die Inseln Vulkan, der Krone, G. Rook, Long-Rich und die Glühende Insel.

Nach diesem durch so wichtige Entdeckungen bezeichneten Kreuzzuge kehrte Dampier nach Westen um, segelte nach der Insel Missory und erreichte endlich Ceram, eine Insel der Molukken, wo er sich ziemlich lange aufhielt. Dann begab er sich nach Borneo, fuhr durch die Meerenge von Macassar und landete in Batavia auf der Insel Java am 23. Juli. Hier blieb er bis zum 27. October und schlug dann den Weg nach Europa ein. Als er am 23. Februar 1701 bei der Insel Ascension anlangte, hatte sein Schiff ein so großes Leck bekommen, daß man dieses nicht zu schließen vermochte. Man mußte das Fahrzeug auf den Strand setzen und Mannschaft und Ladung an's Land bringen. Glücklicher Weise fehlte es nicht an Wasser, auch gab es viel Schildkröten, Ziegen und Flußkrebse. Man durfte also wenigstens darüber ruhig sein, hier nicht Hungers zu sterben, bis ein Schiff an der Insel anlegen und die Schiffbrüchigen in die Heimat zurückführen würde. Dieser Augenblick ließ nicht lange auf sich warten, denn am 2. April nahm sie ein englisches Fahrzeug an Bord und brachte Alle nach England zurück. Bei Gelegenheit der Fahrten Wood Rodger's werden wir noch weitere Gelegenheit haben, von Dampier zu sprechen.

2.
II.
Der Pol und Amerika.

Hudson und Baffin. – Champlain und La Sale. – Die Engländer an der Küste des Atlantischen Oceans. – Die Spanier in Südamerika. – Kurze Zusammenstellung der am Ende des 17. Jahrhunderts erworbenen Kenntnisse. – Die Messung eines Erdengrabes. – Fortschritte der Kartographie. – Anfang der mathematischen Geographie.


Wenn die Versuche zur Auffindung einer Nordwestpassage von den Engländern auch seit mehr als zwanzig Jahren aufgegeben waren, so hatte man doch nicht darauf Verzicht geleistet, auf diesem Wege eine Durchfahrt [534] zu suchen, welche erst in unseren Tagen gefunden werden sollte, freilich nur, um ihre gänzliche Unbrauchbarkeit darzulegen. Hudson, ein geschickter Seemann, von dem Ellis sagt, »daß Niemand mit dem Leben auf dem Meere jemals besser vertraut gewesen, daß sein Muth allen Hindernissen gewachsen und sein Eifer unermüdlich sei«, schloß einen Vertrag mit einer Gesellschaft Kaufleute, die Nordwestpassage aufzusuchen. Am 1. Mai 1607 von Gravesend mit einer einfachen Barke, dem »Hopevell«, und zwölf Mann Besatzung abgefahren, erreichte er am 13. Juni unter 73° der Breite die Ostküste von Grönland und gab der Stelle einen Namen, der seinen Hoffnungen entsprach, nämlich Cap hold with hope (hoffe immer). Das Wetter war schön und minder kalt, als zehn Grade südlicher. Am 27. Juni hatte Hudson noch fünf Grade nach Norden zurückgelegt; am 2. Juli aber wurde die Witterung durch einen in jenen Gegenden so häufigen grellen Umschlag ganz entsetzlich kalt. Doch blieb noch das Meer offen, die Luft ruhig und die Strömung trieb viel Holz herbei. Am 14. desselben Monats gingen der Hochbootsmann und der Bootsmann unter 33°23' der Länge auf das Land, das den nördlichen Theil von Spitzbergen bildet. Vielfache Spuren von Bisamochsen und Füchsen, eine große Menge Wasservögel und Bäche mit Trinkwasser, von denen einer sogar auffallend warmes Wasser führte, bewiesen unseren Seefahrern, daß es möglich sei, selbst in diesen hohen Breiten unter der rauhen Jahreszeit leben zu können. Hudson, der sich beeilte, wieder in See zu gehen, wurde unter dem 82. Grade der Breite durch dickes Packeis aufgehalten, das er vergeblich zu durchdringen oder zu umgehen suchte. Er mußte also nach England zurückkehren, wo er nach Entdeckung einer Insel, wahrscheinlich Jean Mayen, am 15. September wieder eintraf. Da die bei dieser Reise eingehaltene Route keinen Zugang nach Norden bot, so wählte Hudson das nächste Mal eine andere. Am 21. April des nächsten Jahres brach er nämlich von Neuem auf und drang zwischen Spitzbergen und Nowaja-Semlja vor; er mußte sich jedoch begnügen, eine Zeitlang dem Ufer dieses ausgedehnten Landes zu folgen, ohne so hoch gelangen zu können, wie er wohl wünschte.


Kampf in der Bai der Schleuderer. (S. 533.)

Der Mißerfolg dieses zweiten Versuches erschien eher noch vollständiger, als der des Jahres 1607. Die englische Compagnie, welche die Kosten dieser beiden Polarfahrten bestritten hatte, weigerte sich auch, noch einmal darauf einzugehen. Das war ohne Zweifel der Grund, der Hudson bestimmte, nun in holländische Dienste zu treten.

[535] Die Compagnie von Amsterdam übergab ihm im Jahre 1609 das Commando über ein Fahrzeug, mit dem er zu Anfang des Jahres von Texel absegelte. Nachdem er das Nordcap passirt, fuhr er längs der Küste Nowaja-Semljas weiter; seine aus Engländern und Holländern bestehende Mannschaft aber, welche früher nur nach Ostindien gesegelt war, wurde durch die Kälte und das Eis bald abgeschreckt. Hudson sah sich gezwungen, seinen Kurs zu ändern und den in offener Meuterei begriffenen Matrosen [536] den Vorschlag zu machen, entweder durch die Davis-Straße oder längs der Küste Virginiens nachzusuchen, wo sich nach den Mittheilungen eines Kapitän Smith, der in jenen Gegenden bekannt war, ein Seeweg finden sollte. Die Wahl der Mannschaft, welche schon alle Disciplin verlernt hatte, konnte nicht zweifelhaft sein. Hudson mußte, um die von der Amsterdamer Compagnie aufgewendeten Unkosten nicht ganz auf's Spiel zu setzen, nach den Färöern segeln, bis zum 44° nach Süden hin hinabgehen und an der [537] Küste Amerikas die Aufsuchung der ihm gemeldeten Durchfahrt versuchen. Am 18. Juli landete er am Kontinente, um sei nen, während eines Sturmes gebrochenen Fockmast wieder herzustellen; er benutzte auch die Zeit, um von den Eingebornen Pelzfelle einzutauschen. Seine ungehorsamen Matrosen hatten jedoch durch ihre Quälereien die sonst ganz friedlichen Einwohner des Landes gereizt und zwangen ihn, wieder unter Segel zu gehen.


Hudson von seiner Mannschaft verlassen. (S. 539.)

Bis zum 3. August folgte er der Küste und ging dann zum zweiten Male an's Land. Unter 40°30' entdeckte er eine große Bai, welche er mehr als fünfzig Meilen in einem Boote befuhr. Inzwischen neigte sich der Proviant zu Ende, während es unmöglich war, sich auf dem Lande frisch zu versorgen. Die Mannschaft, welche im Laufe der ganzen Fahrt dem Anführer ihren eigenen Willen aufgedrungen zu haben scheint, trat zu einer Berathung zusammen, bei der die Einen vorschlugen, in Neufundland zu überwintern und im nächsten Jahre die Aufsuchung der Passage wieder aufzunehmen, die Anderen aber darauf bestanden, nach England zurückzukehren. Der letzte Vorschlag ward zum Beschluß erhoben; als man sich aber nur den Küsten Großbritanniens näherte, übte der Anblick des Landes eine so große Anziehungskraft auf die Leute aus, daß Hudson am 7. December in Darmouth anlaufen mußte.

Im folgenden Jahr, 1610, versuchte Hudson, trotz aller erlittenen Unbill, doch noch einmal mit der holländischen Compagnie anzuknüpfen. Die Bedingungen aber, unter welchen diese ihre Mitwirkung allein zusagte, waren derart, daß sie ihn veranlaßten, auf sein Vorhaben zu verzichten und sich lieber wieder mit der englischen Compagnie in Verbindung zu setzen. Diese nun stellte Hudson die Bedingung, einen erfahrenen Seemann, Namens Coleburne, mehr als Assistenten, denn als zweiten Officier mit an Bord zu nehmen, da man auf jenen volles Vertrauen setzte. Begreiflicher Weise mußte ein solches Verlangen Hudson im höchsten Grade kränken. Er ergriff die erste sich darbietende Gelegenheit, seinen Wächter zu entfernen. Noch in der Themse hinsegelnd, schickte er Coleburne an's Land mit einem Schreiben an die Compagnie, durch das er sein mindestens seltsames Verfahren zu rechtfertigen suchte.

In den letzten Tagen des Mai, als das Schiff in einem isländischen Hafen vor Anker lag, rottete sich die Mannschaft wegen Coleburne's Entfernung zu einem ohne Mühe unterdrückten Complot zusammen, und als [538] Hudson am 1. Juni die Insel wieder verließ, war seine Autorität vollständig wieder hergestellt. Nach Passirung des Frobisher-Sundes kam Hudson in Sicht von Davis' Desolations-Land, drang in die Meerenge ein, welche seinen Namen führt, und segelte tief in einen geräumigen Meerbusen ein, dessen Westküste er bis Anfang September untersuchte. Damals wurde auch einer der anderen Officiere, der nicht unterließ, Mißmuth gegen den Chef zu erregen, abgesetzt; dieser nothwendige Act aber trug nur noch mehr dazu bei, die Matrosen zu reizen. Als Hudson in den ersten Tagen des November am hinteren Ende der Bai angelangt war, suchte er eine geeignete Stelle zum Ueberwintern und ließ, als er diese bald darauf gefunden, das Schiff auf den Strand ziehen. Eine solche Maßnahme ist nur schwer zu begreifen. Einestheils hatte Hudson England nur mit einem auf sechs Monate berechneten Vorrath an Lebensmitteln verlassen und konnte auch, angesichts der Unfruchtbarkeit des Landes, nicht darauf rechnen, hier die schon ziemlich erschöpften Lebensmittel zu ersetzen; andererseits hatte die Mannschaft schon so häufig ihre Neigung zum Widerstand an den Tag gelegt, daß er auf deren Gehorsam und guten Willen doch schwerlich viel bauen konnte. Mußten die Engländer sich auch manchmal mit sehr mageren Rationen begnügen, so verbrachten sie doch einen nicht allzu beschwerlichen Winter, da ihnen unerwartet viel Zugvögel in die Hände fielen. Mit der Wiederkehr des Frühlings aber und der vollendeten Herrichtung des Schiffes zur Heimfahrt nach England, sah Hudson wohl ein, daß sein Schicksal besiegelt sei. Er traf darnach seine Anordnungen, lieferte Jedem seinen Antheil an dem noch vorhandenen Zwieback aus, zahlte den Leuten ihren Sold und wartete ruhig der Entwickelung der Dinge. Diese ließ auch nicht auf sich warten. Die verschworene Mannschaft bemächtigte sich des Kapitäns, seines Sohnes, eines Freiwilligen, des Schiffszimmermanns und fünf Matrosen, setzte sie ohne Waffen, Nahrungsmittel und Instrumente in einem Boote aus und überließ sie der Gnade des Oceans. Die Verbrecher erreichten die englische Küste, doch nicht Alle, denn zwei wurden noch in einem Gefechte mit Indianern getödtet, ein Dritter starb an einer Krankheit, Alle aber hatten ganz entsetzlich von Hunger zu leiden. Uebrigens wurde gegen sie auffallender Weise keine Untersuchung eingeleitet. Im Jahre 1614 verlieh nur die Compagnie auf einem ihrer Schiffe eine Stellung an den Sohn »des bei der Aufsuchung eines nordwestlichen Seeweges spurlos verschwundenen Heinrich Hudson«, der jetzt ganz mittellos dastand.

[539] Den Zügen Hudson's folgten jetzt die Lutton's und Gibbons'. Diesen Männern verdankt man, wenn auch nicht neue Entdeckungen, doch sehr genaue Beobachtungen über die Gezeiten, den Wechsel der Witterung und der Temperatur, wie überhaupt über viele Naturerscheinungen jener Gegenden.

Im Jahre 1615 übergab die englische Compagnie Byleth, der schon an den letzten Fahrten theilgenommen hatte, das Commando über ein Fahrzeug von fünfzig Tonnen. Sein Name, die »Decouverte«, schien von guter Vorbedeutung. Als Piloten nahm jener den erfahrenen Wilhelm Bassin mit, dessen Ruhm den seines Kapitäns weit überstrahlen sollte. Von England am 13. April abgesegelt, gelangten die Seefahrer am 6. Mai in Sicht des Cap Farewell, fuhren von Desolations-Land nach den Inseln der Wilden, wo sie Eingeborne in großer Menge antrafen, und drangen in nordwestlicher Richtung bis zum 64. Breitengrade hinaus. Am 10. Juli sahen sie Land an Steuerbord und beobachteten, daß die Fluth von Norden her kam; dadurch schöpften sie eine so große Hoffnung auf das Vorhandensein des gesuchten Seeweges, daß sie dem entdeckten Vorgebirge den Namen Cap Confort beilegten. Wahrscheinlich wird es das Cap Walsingham gewesen sein, denn nach Umschiffung desselben bemerkten sie, daß sich das Land nach Nordosten und Osten zu fortsetzte. Am Eingange der Davis-Straße schlossen ihre Entdeckungen für dieses Jahr ab. Am 9. September waren sie, ohne einen Mann verloren zu haben, wieder in Plymouth zurück.

Byleth's und Baffin's erwartungsvolle Hoffnung war so stark, daß sie die Erlaubniß auszuwirken wußten, im folgenden Jahre mit demselben Schiffe noch einmal in See zu gehen. Schon am 14. Mai 1616 drangen die beiden Kapitäne nach glücklicher Seefahrt in die Davis-Straße ein, bekamen Sanderson's Cap Esperance, den nördlichsten von Davis erreichten Punkt, in Sicht und segelten bis 72°40' der Breite, bis zur Insel der Frauen hinauf, welche ihren Namen von dem Zusammentreffen mit einigen Eskimoweibern erhielt. Am 12. Juli sahen sich Byleth und Bassin durch Treibeis genöthigt, in eine Bai der Küste einzulaufen. Hier brachten Eskimos viel Hörner, entweder Walroßzähne oder Hörner von Bisamochsen herbei, weshalb man diese Stelle den Hörner-Sund nannte. Nach mehrtägigem Aufenthalte war es doch wieder möglich, in See zu gehen. Von 75°40' an sah man ein ungeheures, eisfreies Meer vor sich und drang ohne Schwierigkeit bis jenseits des 78. Grades vor und bis zum Eingang einer Meerenge, welche den eben [540] befahrenen und Baffins-Bai getauften Meerestheil fortsetzte. Nach Westen und Südwesten steuernd, entdeckten Byleth und Bassin die Carey-Inseln, die Johns-Straße, die Insel Coburg und den Lancaster-Sund. Endlich folgten sie dem westlichen Ufer der Baffins-Bai bis herab nach Cumberland. Da Byleth, der unter seiner Mannschaft sehr viele Scorbutkranke hatte, daran verzweifelte, noch weitere Entdeckungen machen zu können, beschloß er, nach England zurückzukehren, wo er am 30. August in Dover landete.

Endigte auch diese Expedition eigentlich mit einem Mißerfolge in dem Sinne, daß die gesuchte Nordwestpassage noch immer nicht gefunden war, so verdienten die gewonnenen Resultate doch alle Anerkennung. Byleth und Bassin hatten die bekannten Grenzen der Meere um ein gutes Stück hinausgeschoben, vorzüglich an der Seite von Grönland. Der Kapitän und der Pilot versicherten in einem an den Director der Compagnie gerichteten Schreiben, daß die von ihnen untersuchte Bai einen prächtigen Fischgrund darbiete, wo sich Walfische, Seehunde und Walrosse zu Tausenden umhertummelten. Die Zukunft sollte ihre Worte vollkommen bestätigen.

Doch kehren wir nun nach der Küste Amerikas, nämlich Canada, zurück und sehen, was sich hier seit Jacques Cartier ereignet hat. Der Letztere hatte, wie früher erwähnt, bekanntlich einen Niederlassungsversuch unternommen, der nicht von besonderem Erfolge begleitet war. Einige Franzosen blieben indeß im Lande, verheiratheten sich daselbst und bildeten einen gewissen Kolonisten-Stamm. Von Zeit zu Zeit erhielten sie wohl auch durch Fischer aus Dieppe und St. Malo einige Verstärkungen an Arbeitskräften. Ein eigentlicher Auswandererstrom kam aber nur schwierig in Gang. Da wurde ein Edelmann, Namens Samuel de Champlain, ein Veteran aus den Kriegen Heinrich's IV., der zweiundeinhalb Jahr lang verschiedene Fahrten in Ostindien ausgeführt hatte, nebst dem Herrn von Pontgravé von dem Commandeur de Chastes dazu ausersehen, die Entdeckungen Jacques Cartier's fortzusetzen und die Gründung von Städten und größeren Ansiedlungen zu versuchen. Es ist hier nicht der Ort, näher auf die Art und Weise einzugehen, wie Champlain seine Aufgabe als Kolonisator erfüllte, noch auf seine sonstigen großen Verdienste, die ihm wohl den Ehrennamen »der Vater von Canada« hätten erwerben können. Wir lassen also diese und wirklich nicht die wenigst verdienstvolle Seite seiner Thätigkeit außer Acht und beschäftigen uns allein mit den Entdeckungen, die er im Innern des Festlandes machte.

[541] Von Honfleur am 13. März 1603 abgefahren, segelten die beiden Führer zuerst den St. Lorenzo bis zum Hafen von Tadoussar, achtzig Meilen von der Mündung des Stromes, empor. Sie fanden einen recht guten Empfang bei den benachbarten Völkerschaften, welche »weder Glauben, noch Gesetze kannten und wie wilde Thiere ohne einen Gott und eine Religion lebten«. Hier ließen sie die Schiffe, die nicht ohne Gefahr hätten weiter hinauf segeln können, zurück, gelangten auf einer Barke nach dem St. Louis-Fall, wo Jacques Cartier stehen geblieben war, drangen auch ein wenig in das Innere des Landes ein und kehrten nach Frankreich zurück, wo Champlain für den König einen Bericht seiner Reise drucken ließ.

Heinrich IV. beschloß, das Unternehmen fortzusetzen. Inzwischen war de Chastes mit Tod abgegangen, während seine Stellung auf Herrn de Monts mit dem Titel eines Viceadmirals und Statthalters von Acadien überging. Champlain begleitete de Monts nach Canada und verweilte drei volle Jahre, um bei den vorzunehmenden Niederlassungsversuchen mit Rath und That beizustehen, die Küsten Acadiens näher zu erforschen, indem er diese bis jenseits des Cap Cod besuchte, oder Fahrten in das Landesinnere vorzunehmen, wo er sich bemühte, die wilden Stämme für seine Sache zu gewinnen. Im Jahre 1607 kehrte Champlain nach einer neuen Reise in die Heimat, wo er Kolonisten anwarb, noch einmal nach Neu-Frankreich zurück und legte im Jahre 1608 den Grund zu einer Stadt, dem späteren Quebec. Die nächsten Jahre widmete er einer wiederholten Untersuchung des St. Lorenzo und der Feststellung der Hydrographie dieses Stromes. Auf einer Pirogue drang Champlain mit nur zwei Gefährten und einigen Aigonquins in das Land der Irokesen ein, wo er mit seiner geringen Macht in einem Gefechte am Ufer eines Sees, der davon seinen Namen erhielt, Sieger blieb; dann fuhr er wieder den Richelieu-Strom bis zum St. Lorenzo hinab. Im Jahre 1610 fällt er an der Spitze seiner Verbündeten, der Aigonquins, unter denen er nur mühsam etwas europäische Disciplin erhalten kann, bei den Irokesen ein. Bei diesem Zuge bediente er sich gewisser Kriegsmaschinen, welche die Wilden in Schrecken setzten und ihm den Sieg erleichterten. Für den Angriff eines Dorfes ließ er ein hölzernes Roß erbauen, das zweihundert der kräftigsten Männer »bis auf Lanzenlänge vor das Dorf trugen; drei Arquebusiere bestiegen dasselbe und waren so gegen Pfeile und Steine, welche man auf sie schießen oder schleudern konnte, vollständig geschützt«. Ein wenig [542] später sehen wir ihn bei der Untersuchung des Ottava-Flus ses, wobei er nach Norden in das Festland, bis auf fünfundsiebzig Meilen von der Hudsons-Bai, vordringt. Nach vollendeter Befestigung von Montreal im Jahre 1615, fährt er noch zweimal den Ottava-Fluß hinauf, besucht den Huron-See und gelangt zu Lande bis zum Ontario-See, den er überschreitet.

Es ist schwierig, Champlain's so bewegtes Leben in zwei Abschnitte zu zerlegen. Alle seine Fahrten und Entdeckungen bezweckten nur die Weiterentwickelung des Werkes, dem er sich gänzlich gewidmet hatte. Entkleidet von dem, was ihm das eigentliche Interesse verleiht, erscheinen sie wirklich auch nur unbedeutend, wäre jedoch Ludwigs XIV., sowie seines Nachfolgers Kolonialpolitik eine entschiedenere gewesen, so besäße Frankreich in Amerika wahrscheinlich eine Kolonie, welche an Größe und Gedeihen den Vereinigten Staaten kaum nachstehen möchte. Obwohl Frankreich Canada wieder aufgab, so hat sich daselbst doch immer noch eine ausgesprochene Liebe zum Mutterlande erhalten.

Wir müssen nun vierzig Jahre überspringen, um mit unserer Schilderung zu Robert Cavelier de La Sale zu gelangen. Während dieses Zeitraumes hatten die französischen Kolonien in Canada schon eine mächtige Ausdehnung gewonnen und bedeckten einen großen Theil des Nordens von Amerika. Jäger und Trapper durchstreiften die Wälder, machten reiche Beute an Pelzthieren und trugen nicht unwesentlich zur besseren Kenntniß des Innern des Kontinentes bei. In letzterer Hinsicht fanden sie tüchtige Unterstützung durch die Missionäre, unter denen in erster Reihe der Pater Marquette Erwähnung verdient, der sich durch die Ausdehnung seiner Reisen über die großen Seen und auf dem Mississippi den Dank der Nachwelt erworben hat. Wegen der Hilfe und den Erleichterungen, die sie den Forschungsreisenden gewährten, haben wir hier ferner die Namen zweier Männer zu verzeichnen, nämlich de Frontenac, den Gouverneur von Neu-Frankreich, und Talon, den Intendanten der Justiz und Polizei. Im Jahre 1658 kam ein junger Mann, Namens Cavelier de La Sale, eigentlich ohne bestimmte Absicht nach Canada. Er stammte, so berichtet Charlevoix, aus einer gutsituirten Familie in Rouen; da er aber einige Jahre bei den Jesuiten zugebracht hatte, verlor er sein väterliches Erbtheil. Gebildet und lebhaften Geistes, wie er war, wollte er sich auf jeden Fall auszeichnen und fühlte das Zeug in sich, daß ihm das gelingen werde. Es fehlte ihm in der That weder an Entschlossenheit [543] zum Handeln, noch an der Ausdauer, ein einmal angefangenes Unternehmen durchzuführen, weder an der Festigkeit gegenüber den verschiedensten Hindernissen, noch an Auffindung der Hilfsmittel, um etwaige Verluste zu ersetzen; er wußte sich aber weder beliebt zu machen, noch Diejenigen zu leiten, deren er bedurfte, und trat, sowie er sich ein Ansehen erworben, mit Härte und Hochmuth auf. Bei solchen Fehlern seines Charakters konnte er nicht glücklich sein, und war es in der That auch nicht.«

Die Schilderung des Paters Charlevoix erscheint allerdings etwas grau in Grau gemalt und dieser mag wohl die große Entdeckung, welche man Cavelier de La Sale verdankt, eine Entdeckung, welche kaum ihresgleichen hat, oder höchstens in Orellanas Erforschung des Amazonenstromes im 16. oder die des Congo durch Stanley im 19. Jahrhundert ein Nebenstück findet, nicht gebührend geschätzt zu haben. Kaum in's Land gekommen, geht er mit einem Eifer ohnegleichen an das Studium der Sprachen der Eingebornen und besucht die Wilden, um ihre Sitten und Gewohnheiten kennen zu lernen. Gleichzeitig verschafft er sich durch die Trapper eine Menge werthvoller Nachrichten über die Lage der Flüsse und Seen. Seine Projecte theilte er auch de Frontenac mit, der ihn ermuthigte und ihm das Commando über ein am Ausfluß des Sees in den St. Lorenzo erbautes Fort anvertraute. Inzwischen langte ein gewisser Jolyet in Quebec an. Er brachte hierher die Nachricht mit, daß er mit Pater Marquette und vier anderen Personen einen großen, gegen Süden laufenden Strom, Namens Mississippi, aufgefunden habe. Cavelier de La Sale durchschaute bald den Vortheil, den Frankreich aus einer so mächtigen Wasserader ziehen könne, zumal wenn der Mississippi, wie er annahm, in den Golf von Mexico auslief.


Beschießung von Crèvercoeur. (S. 548.)

Durch die Seen und den Illinois, einen Nebenstrom des Mississippi, schien es leicht, den St. Lorenzo mit dem Antillen-Meere in Verbindung zu setzen. Welch' gewichtigen Vortheil konnte Frankreich aus dieser Entdeckung ziehen! La Sale legte dem Grafen de Frontenac sein Project vor und erhielt von diesem sehr dringende Empfehlungsschreiben an den Marineminister. In Frankreich angelangt, erfuhr La Sale das Ableben Colbert's, übergab aber dessen Sohne und Nachfolger, dem Marquis de Seignelay, die Depeschen, deren Träger er war. Der scheinbar auf zuverlässigen Grundlagen ruhende Plan mußte bei dem jungen Minister wohl Gefallen finden. Seignelay stellte La Sale in Folge dessen auch dem Könige selbst vor, der ihm ein Adelspatent ausfertigen ließ, ihm die Oberhoheit über Catarocouy und das Commando des von ihm erbauten Forts übertrug und ein ausschließliches Handelsmonopol in den Ländern verlieh, die er entdecken würde.

[544] [546]La Sale wußte auch Mittel zu finden, sich die Gunst des Prinzen von Conti zu verschaffen, der ihn ersuchte, den Sohn des Chevalier Tonti, des Erfinders der Tontine, für den er sich besonders interessirte, mitzunehmen. La Sale hatte alle Ursache, sich dieser Acquisition zu freuen. Tonti, der in Sicilien gedient und bei der Explosion einer Granate eine Hand verloren hatte, war ein muthiger, gewandter Officier, der sich stets treu und ergeben erwies.

Am 14. Juli 1678 schifften sich La Sale und Tonti in La Rochelle ein und nahmen etwa dreißig Mann, Soldaten und Handwerker, nebst einem Barfüßer-Mönche, dem Pater Hennepin, an Bord, der sie auf allen ihren Reisen begleitete.

Da er später einsah, daß die Durchführung seines Projectes beträchtlichere Hilfsmittel und Kräfte erforderte, als die, über welche er verfügte, so ließ La Sale auf dem Erie-See eine Barke erbauen und verwendete ein volles Jahr darauf, das Land zu durchstreifen und die Indianer zu besuchen, wobei er durch Tauschhandel viele Pelzwaaren erwarb, die er in seinem Niagara-Fort aufstapelte, während Tonti an anderen Stellen ebenso verfuhr. Mitte August 1679 kam seine Barke, der »Griffon«, endlich in segelfähigen Zustand und er schiffte sich mit dreißig Mann und drei Barfüßer-Mönchen auf dem Erie-See nach Machillimackinac ein. Auf dem St. Clair und dem Huron-See überfiel ihn ein entsetzlicher Sturm, der die Desertion eines Theiles seiner Leute veranlaßte, welche ihm Tonti jedoch wieder zuführte. In Machillimackinac angekommen, drang La Sale sehr bald auch in den Grünen Meerbusen ein. Während dieser Zeit aber ließen seine Gläubiger in Quebec Alles verkaufen, was er besaß, und der »Griffon«, den er, mit Rauchwaaren beladen, nach dem Niagara-Fort zurückgesendet hatte, ging entweder zu Grunde oder wurde von Indianern geplündert und vernichtet; jedenfalls erfuhr man hierüber niemals etwas Verläßliches. Er selbst setzte, trotz des Murrens seiner Leute über das Absegeln des »Griffon«, seinen Weg fort und erreichte den St. Joseph-Strom, wo sich ein Lager der Miamis befand und sich Tonti ihm wieder anschloß. Hier ließen sie es ihre erste Sorge sein, ein Fort zu errichten. Dann überschritten sie die Wasserscheide zwischen dem Becken der großen Seen und dem des Mississippi;[546] weiterhin gelangten sie zu dem Illinois-Flusse, einem linken Nebenarme jenes großen Stromes. Die Lage La Sale's mit seiner kleinen Truppe, auf die er sich nicht einmal sicher verlassen konnte, wurde allmälich gefährlich, mitten in unbekanntem Lande und gegenüber einem mächtigen Stamme, den Illinois, welche zwar früher mit den Franzosen auf freundschaftlichem Fuße standen, jetzt aber durch die Irokesen und die über das Aufblühen der canadischen Kolonie eifersüchtigen Engländer aufgereizt waren.

Inzwischen galt es, um jeden Preis die Indianer zu gewinnen, welche der Lage ihrer Sitze nach im Stande waren, jede Verbindung zwischen La Sale und Canada zu unterbrechen. Um sie zu verblüffen, begiebt sich Cavelier de La Sale nach ihrem Lager, wo mehr als 3000 Mann versammelt sind. Er marschirt stolz mit nur zwanzig Mann durch ihre Hütten und macht in einiger Entfernung derselben Halt. Die Männer von Illinois, welche den Krieg noch nicht erklärt haben, sind auf's höchste erstaunt. Dann begeben sie sich zu ihm und überhäufen ihn mit Versicherungen ihrer Freundschaft. So wetterwendisch ist der Sinn der Wilden! Einen solchen Eindruck macht auf sie jedes Zeichen kecken Muthes! La Sale macht sich unverweilt ihr friedliches Verhalten zunutze und errichtet auf ihrem eigenen Lagerplatze ein kleines Fort, das er Crèvecoeur (Herzeleid) nennt, mit Bezugnahme auf die Leiden, die er schon erduldete. Hier läßt er Tonti mit allen seinen Leuten zurück, er selbst aber begiebt sich, beunruhigt über das Schicksal des »Griffon«, mit drei Franzosen und einem Indianer nach dem, fünfhundert Meilen von Crèvecoeur gelegenen Fort Catarocouy. Vor dem Aufbruch hatte er noch einen seiner Leute mit dem P. Hennepin ausgesandt, längs des Mississippi bis jenseits der Einmündung des Illinois und wennmöglich bis zu dessen Quellen hinauszuziehen. »Die beiden Männer, sagt Pater Charlevoix, reisten am 28. Februar von Fort Crèvecoeur ab, begaben sich auf den Mississippi und fuhren denselben Fluß aufwärts bis zum 46. Grade nördlicher Breite. Hier wurden sie durch einen, die ganze Breite des Strombettes einnehmenden, hohen Wasserfall aufgehalten, dem P. Hennepin den Namen des ›Heiligen Antonius von Padua‹ beilegte. Später fielen sie, man weiß nicht bei welcher Gelegenheit, den Sioux in die Hände, welche sie lange Zeit gefangen hielten.«

Bei seiner Rückreise nach Catarocouy traf La Sale wiederum auf eine sehr geeignete Stelle zur Errichtung eines Forts und berief Tonti dahin, [547] der die Ausführung dieses Werkes unverzüglich in die Hand nimmt, während er seinen Weg fortsetzt. Hier entstand das Fort St. Louis. In Catarocouy angelangt, erhielt La Sale lauter Hiobsposten, welche einen weniger gestählten Charakter wohl vollständig niedergedrückt hätten. Nicht allein der mit Pelzwerk im Werthe von 10.000 Thalern beladene »Griffon« war verloren, sondern es hatte auch noch ein anderes Fahrzeug, das ihm eine auf 22.000 Frcs. geschätzte Ladung aus Frankreich zuführte, totalen Schiffbruch erlitten, und dazu verbreiteten die ihm feindselig Gesinnten noch eifrig die falsche Nachricht von seinem Tode. Da ihm in Catarocouy nichts weiter zu thun übrig blieb und er durch sein Auftreten die Grundlosigkeit aller Gerüchte über sein Verschwundensein dargelegt hatte, zog er wieder nach Crèvecoeur ab, wo er zu seiner Verwunderung keinen einzigen Mann antraf.

Das verhielt sich nämlich folgendermaßen. Während Chevalier Tonti die Herstellung des Forts St. Louis in Angriff nahm, hatte sich die kleine Besatzung von Fort Crèvecoeur empört, die Magazine desselben, ebenso wie die in Fort Miani geplündert und war bis Machillimackinac entflohen. Tonti, der nun in Folge der Insubordination seiner Leute den Kriegern von Illinois fast allein gegenüberstand, sah ein, daß er sich in Fort Crèvecoeur nicht werde halten können; deshalb verließ er dieses mit den ihm noch übrig gebliebenen fünf Franzosen und zog sich nach der Bai des Michican-Sees zurück. Nachdem La Sale die Forts Crèvecoeur und St. Louis wieder mit Mannschaft belegt, begab er sich nach Machillimackinac, wo er auch Tonti wiederfand. Gegen Ende August gingen nun Beide nach Catarocouy zurück, wo sie sich am 28. August 1681 mit 54 Mann auf dem Erie-See einschifften. Nach einem Zuge von achtzig Meilen längs der eisbelegten Ufer des Illinois erreichten sie Fort Crèvecoeur, wo das offene Wasser ihnen wiederum die Benutzung der Boote gestattete. Am 6. Februar 1682 langte La Sale beim Zusammenfluß des Illinois und des Mississippi an. Er folgte diesem stromabwärts, kam nach der Mündung des Missouri und der des Ohio, wo er ein Fort anlegte, drang in Arkansas ein, das er im Namen Frankreichs in Besitz nahm, fuhr durch das Land der Nachez, mit denen er ein Freundschaftsbündniß abschloß, und gelangte endlich, am 9. April, nachdem er 350 Meilen in einem einfachen Boote zurückgelegt, nach dem Golfe von Mexico. Was Cavelier de La Sale so scharfsichtig geahnt, hatte seine volle Bestätigung gefunden. Er nahm sofort feierlichst von dem ganzen Lande [548] Besitz, das er Louisana nannte, und taufte den ungeheuren, von ihm befahrenen Strom St. Louis.

La Sale brauchte nicht weniger als anderthalb Jahr zur Rückreise nach Canada. Es erscheint das keineswegs wunderbar, wenn man sich alle, seinen Weg erschwerenden Hindernisse vergegenwärtigt. Welch' energische Willenskraft mußte dieser Mann, übrigens einer der berühmtesten Reisenden, auf die Frankreich mit Recht stolz ist, besitzen, ein solches Riesenunternehmen zu glücklichem Ende zu führen?

Leider berichtete ein Anderer, der wohl von den besten Absichten beseelt war, sich gegen La Sale aber durch dessen zahlreiche Feinde einnehmen ließ, Lefèvre de la Barre nämlich, der Nachfolger de Frontenac's als Statthalter von Canada, an den Marine-Minister, daß den Entdeckungen La Sale's keineswegs ein besonderes Gewicht beizulegen sei. »Dieser Reisende, sagt er, befand sich mit etwa zwanzig französischen Landstreichern und Wilden im Grunde der Bai, spielte daselbst den Souverän, beraubte und brandschatzte seine eigenen Landsleute, setzte die Bewohner den Einfällen der Irokesen aus und entblödete sich nicht, alle seine Gewaltthaten mit der Ausrede zu beschönigen, daß er von Sr. Majestät das ausschließliche Privilegium zum Handel in den von ihm zu entdeckenden Ländern besitze.«

Cavelier de La Sale konnte diesen verleumderischen Anschuldigungen gegenüber unmöglich gleichgiltig bleiben. Einerseits verlangte es seine Ehre, sich persönlich in Frankreich zu stellen, andererseits verspürte er aber auch gar keine Lust, den Vortheil von seinen Entdeckungen einem beliebigen Anderen zu überlassen. Er reiste also ab und fand bei Seignelay einen recht wohlwollenden Empfang. De La Barre's Zuschriften hatten auf den Minister den gefürchteten Eindruck nicht hervorgebracht; dieser sah vielmehr hinreichend ein, daß Niemand etwas Hervorragendes zu leisten vermöge, ohne manche Eigenliebe zu verletzen und sich viele Feinde zu machen. La Sale benutzte die günstige Gelegenheit, dem Marine-Minister den Vorschlag zu unterbreiten, zu Wasser die Mündung des Mississippi aufzusuchen, den Schiffen Frankreichs einen Weg dahin zu bahnen und daselbst eine Niederlassung zu gründen. Der Genannte billigte diesen Plan und händigte jenem eine Vollmacht aus, welche Franzosen und Wilde vom Fort St. Louis in Illinois bis zum Meere unter seinen Befehl stellte. Gleichzeitig sollte der Kapitän des zu seiner Ueberführung nach Amerika bestimmten Geschwaders nach [549] geschehener Landung von ihm abhängen und jede verlangte Unterstützung leisten, so lange nichts zum Nachtheile der Krone geschähe. Bier Fahrzeuge, darunter eine von de Beaujeu befehligte Fregatte mit vierzig Kanonen, waren bestimmt, zweihundertachtzig Personen, mit Inbegriff der Schiffsbesatzungen, nach den Mündungen des Mississippi zu bringen, welche hier den Kern einer neuen Kolonie bilden sollten. Leider traf man, was Soldaten und Handwerker betrifft, eine sehr schlechte Wahl, denn keiner leistete etwas Tüchtiges in seinem Fache, was man leider erst zu spät gewahr wurde. Am 24. Juli 1684 von La Rochelle aus abgefahren, mußte das kleine Geschwader fast unmittelbar darauf in den Hafen zurückkehren, da bei dem herrlichsten Wetter das Bugspriet der Fregatte plötzlich gebrochen war. Dieser unerklärliche Unfall wurde zum Ausgangspunkte einer zwischen de Beaujeu und de La Sale aufkeimenden Mißstimmung. Der Erste konnte seine Unterordnung unter einen gewöhnlichen Privatmann nicht vertragen und ließ dies Cavelier de La Sale unverhüllt fühlen. In dieser Lage hätte er ja die Uebernahme des Commandos einfach ablehnen können. Auch der zweite Officier besaß nicht die Milde der Sitten und die nöthige Urbanität, seinen Vorgesetzten auf andere Anschauungen zu bringen. Die Zänkereien gewannen während der Ueberfahrt nur an Schärfe, weil de Beaujeu jene verzögerte und überhaupt nur seinem Kopfe folgen wollte. De La Sale griff der fortwährende Aerger so sehr an, daß er bei der Ankunft in St. Domingo erkrankte. Er genas jedoch wieder und die Expedition ging am 25. November auf's Neue unter Segel. Einen Monat später befand sie sich etwa in der Höhe von Florida. Da man La Sale aber versicherte, »daß alle Strömungen des mexicanischen Meerbusens eine östliche Richtung hätten, so zweifelte er nicht daran, daß die Mündung des Mississippi ihm immer noch im Westen liege; ein Irrthum, der noch zur Ursache mancher Unfälle werden sollte«.

La Sale ließ also nach Westen steuern und fuhr, ohne sie zu bemerken und selbst verschiedene Anzeichen, auf die man ihn hinwies, zu beachten, an der Mündung des Mississippi vorüber. Als er seinen Fehler bemerkte und de Beaujeu bat, wieder wenden zu lassen, wollte dieser nicht darauf eingehen. Da La Sale einsah, daß er den Widerspruch seines Schiffsführers nicht zu besiegen vermöge, beschloß er, seine Leute und Provisionen in der St. Bernhards-Bai an's Land zu setzen. Aber auch hierbei folgte Beaujeu noch seinem bösen Willen und handelte in einer Weise, die weder seinem [550] Verstande noch seinem Patriotismus Ehre machte. So verweigerte er nicht nur die Ausschiffung des gesammten Proviantvorrathes unter dem Vorwande er könne einen Theil desselben, der im Raume verstaut lag, nicht herausholen, sondern nahm auch noch den Führer und die Besatzung eines mit Munition, Werkzeugen und Geräthschaften zur Gründung einer neuen Kolonie beladen gewesenen Begleitschiffes an Bord auf, Leute, welche allem Anscheine nach ihr Fahrzeug absichtlich hatten auf den Strand laufen lassen. Sofort machten sich eine Menge Indianer die durch das Scheitern des Transportschiffes entstandene Verwirrung zunutze und raubten von demselben, was nur in ihre Hände fiel. Trotz alldem traf La Sale, der sich nun einmal von keinem Unfall entmuthigen ließ und unter allen gegebenen Umständen sich aus der Noth zu helfen wußte, die ersten Vorbereitungen zur Begründung einer Kolonie. Um seine Leute zu ermuthigen, legte er wieder holt selbst Hand an's Werk; bei der Unkenntniß der Handwerker schritten die Arbeiten selbst aber doch nur langsam fort. Betroffen von der Aehnlichkeit der Sprache und Lebensgewohnheiten der hier umherschweifenden Indianer mit denen von der Gegend des Mississippi, kam La Sale zu dem Glauben, daß er sich nicht weit davon entfernt befinden könne, und unternahm mehrere Ausflüge, um sich hierüber Auskunft zu verschaffen. Fand er aber auch ein schönes und fruchtbares Land, so zeigte sich doch keine Spur von dem, was er suchte. Allemal kam er düsterer und unzugänglicher nach dem Fort zurück, was natürlich nicht besonders zur Beruhigung der durch Entbehrungen und die Fruchtlosigkeit ihrer Bemühungen erregten Gemüther diente. So hatte man wohl gesäet, doch entweder war wegen Mangels an Regen nichts davon aufgegangen, oder was etwa gedieh, wurde von Indianern und wilden Thieren geplündert. Entfernten sich Jäger von dem Lager, so wurden sie von Indianern ermordet, während die von der Entmuthigung, dem Kummer und manchen Entbehrungen erschöpften Ansiedler Krankheiten leicht zur Beute fielen. Binnen kurzer Zeit waren die Kolonisten auf siebenunddreißig Köpfe zusammengeschmolzen. Endlich raffte sich La Sale zu einer letzten Anstrengung auf, den Mississippi zu finden und längs dieses Stromes bei den ihm von früher verbündeten Völkern Hilfe zu suchen. Am 12. Januar 1687 brach er mit seinem Bruder, zwei Neffen, zwei Missionären und zwölf Kolonisten auf. Schon näherte er sich dem Lande der Conis, als, in Folge eines Streites zwischen einem seiner Neffen und drei Kolonisten, Letztere den [551] jungen Mann nebst seinem Diener im Schlafe ermordeten und auch den Chef der Expedition umzubringen beschlossen. Beunruhigt über das Verschwinden seines Neffen, ging de La Sale am 19. des Morgens mit dem Pater Anastasius zur Aufsuchung desselben aus. Als die Mörder ihn näher herankommen sahen, verbargen sie sich hinter einem Busche und einer gab auf den Kopf des Chefs einen Flintenschuß ab, der ihn sofort todt niederstreckte. So endete Robert Cavelier de La Sale, nach Pater Charlevoix »ein Mann von solchen Fähigkeiten, umfassendem Geiste, einem Muthe und einer Festigkeit des Charakters, daß er gewiß noch Großes zu vollbringen vermocht hätte, hätte er nur seine düstere, »gallige« Gemüthsstimmung zu beherrschen und die Strenge oder vielmehr Härte seiner Natur einigermaßen zu mildern verstanden....« Unzählige Verleumdungen wurden auf ihn gehäuft, doch muß man sich wohl hüten, solch' übelwollender Nachrede zu viel Gewicht beizulegen, »denn es ist eine zu gewöhnliche Erscheinung, die Fehler Derjenigen, welche Unglück hatten, zu übertreiben, ihnen selbst solche anzudichten, die sie gar nicht besaßen, vorzüglich, wenn sie ihre Mißerfolge nur irgendwie selbst verschuldeten und sich nicht beliebt zu machen wußten. Was die Erinnerung an diesen berühmten Mann noch trauriger erscheinen läßt, ist die Erfahrung, daß ihn wirklich nur Wenige bedauerten und daß der ungünstige Ausgang seiner Unternehmungen – wenigstens der letzten – ihm unter Denen, welche nur oberflächlich urtheilen, den Stempel eines Abenteurers aufdrückten. Das thun aber leider die Meisten und einigermaßen also auch – die öffentliche Meinung.«

Den letzten, so lobenswerthen Worten haben wir nur wenig hinzuzufügen. La Sale verstand es nicht, den Neid über seinen ersten Erfolg zu ersticken. Wir haben oben dargelegt, in Folge welcher Umstände sein zweites Unternehmen scheiterte. Er fiel sozusagen als Opfer der Eifersucht und des bösen Willens de Beaujeu's. Dieser kleinlichen Ursache ist es zuzuschreiben, daß es Frankreich nicht gelang, in Amerika eine mächtige Kolonie zu begründen, welche sonst wohl bald im Stande gewesen wäre, den Kampf mit den englischen Niederlassungen aufzunehmen.

Wir schilderten schon den Anfang der englischen Kolonien. Die Ereignisse in England waren ihnen ausnehmend günstig. Die religiösen Verfolgungen nebst den Revolutionen von 1648 und 1688 führten ihnen eine Menge Ansiedler zu, welche von bestem Geiste beseelt an die Arbeit gingen und nach jenseits des Atlantischen Meeres sowohl die Künste und die Industrie als auch in kurzer Zeit die Blüthe und den Wohlstand des Mutterlandes verpflanzten.


Meuchelmord des La Sale. (S. 552)

Bald sanken die grenzenlosen Wälder Virginiens, Pennsylvaniens und Carolinas unter der Axt des »Squatters« und wurde der gewonnene Boden urbar gemacht, während die »Waldläufer« sowohl die India [552] ner zurückdrängten, als auch das Innere des Landes erschlossen und der Civilisation die Wege ebneten.

[553] In Mexico, dem ganzen Central-Amerika, wie in Peru, Chili und am Gestade des Atlantischen Oceans lagen die Verhältnisse anders. Wohl hatten die Spanier verstanden, weite Gebiete zu erobern; statt aber selbst zu arbeiten wie die Engländer, beugten sie nur die Indianer unter das Joch der Sklaverei. Statt sich der, den verschiedenen Klimaten und Landstrichen angepaßten Kultur des Bodens zuzuwenden, suchten sie nur in den Bergwerken die Schätze und Reichthümer, welche sie dem fruchtbaren Erdreich hätten abgewinnen sollen. Gelangt ein Land unerwartet schnell zu so unermeßlichem Reichthum, so ist ihm die Zeit seiner Blüthe meist nur kurz zugemessen. Mit den Bergwerken erschöpft sich ein Wohlstand, der sich nicht wieder erneuert. Die Spanier sollten hiermit eine traurige Erfahrung machen.

Mit dem Ende des 17. Jahrhunderts war also ein großer Theil der Neuen Welt bekannt. In Nordamerika waren Canada, die Ufer des Atlantischen Oceans und des Golfs von Mexico, das Thal des Mississippi, die Küsten Kaliforniens und Neu-Mexicos entdeckt und theilweise kolonisirt. Der mittlere Theil des Festlandes, vom Rio-del-Norte bis Terre Ferme, stand, wenigstens dem Namen nach, unter spanischer Oberhoheit. Im Süden entzogen sich, und auch noch auf lange Zeit, die Wälder und Savannen Brasiliens, die Pampas von Argentina und das Innere Patagoniens dem Blicke der Entdeckungsreisenden.

In Afrika waren die Seefahrer geduldig der langen Küstenlinie am Atlantischen und Indischen Meere gefolgt. Nur an einzelnen Stellen hatten Kolonisten oder Missionäre versucht, die Geheimnisse dieses ungeheuren Continents zu ergründen. Der Senegal, der Congo, das Nilthal und Abyssinien, das ist Alles, was man etwas eingehender und verläßlicher kannte.

Wurden auch die von den Reisenden des Mittelalters gesehenen Gebiete Asiens seit jener Zeit nicht wieder besucht, so lernte man doch den vorderen Theil des Continents, Indien, besser kennen, es entstanden daselbst weitere Niederlassungen, Missionäre drangen nach China ein, und Japan, das fabelhafte Cipango, das auf alle Reisenden des vorhergehenden Jahrhunderts eine so mächtige Anziehungskraft übte, war endlich erschlossen worden. Nur Sibirien und der nordöstliche Theil Asiens blieben noch unbekannt und man wußte noch nicht, ob Amerika mit Asien in Zusammenhang stehe, ein Räthsel, das übrigens bald seine Lösung finden sollte.

In Oceanien harrten zwar noch eine Menge Archipele, sowie einzelne [554] Inseln und Eilande ihres Entdeckers, dagegen blühten auf den Sunda-Inseln schon europäische Kolonien auf: die Küsten Australiens und Neu-Seelands waren aufgenommen und man begann schon an der Existenz des großen südlichen Kontinents zu zweifeln, der sich nach Tasman von Feuerland bis Neu-Seeland hin erstrecken sollte. Es bedurfte indeß noch der langen und sorgfältigen Untersuchungen Cook's, um die so lange Zeit verbreitete Chimäre endgiltig in das Gebiet der Fabeln zu verweisen.

Die Geographie stand an einem Wendepunkte, da man anfing, die großartigen astronomischen Fortschritte der Zeit auf diese Wissenschaft anzuwenden. Die Arbeiten Fernel's und vorzüglich Picard's bezüglich der Messung eines Erdengrades zwischen Paris und Amiens führten zu der Erkenntniß, daß die Erde kein vollkommen runder Ball, sondern ein Sphäroïd, d. h. eine an den Polen abgeplattete und am Aequator dafür ausgedehntere Kugel darstelle. Hierdurch fand man mit einem Schlage die Gestalt und auch die Größe des von uns bewohnten Weltkörpers. Jene von Picard begonnenen, von La Hire und Cassini fortgesetzten Arbeiten wurden erst mit Anfang des folgenden Jahrhunderts zu Ende geführt. Astronomische Beobachtungen, welche erst die Kenntniß der Jupiter-Trabanten ermöglichte, gaben die nöthigen Unterlagen zur Richtigstellung der Landkarten. War das auch schon bezüglich des einen oder anderen Punktes geschehen, so gestaltete es sich zur unabweislichen Nothwendigkeit, seitdem sich die Anzahl der bezüglich ihrer Lage astronomisch festgestellten Punkte so ausnehmend vermehrt hatte. Diese Arbeit sollte dem nächsten Jahrhundert vorbehalten bleiben. Hand in Hand hiermit gingen die Fortschritte der historischen Geographie; sie gründete sich zunächst auf das Studium der Inschriften, und bald sollte die Archäologie in ihrem ganzen Umfange zu einem der wichtigsten Hilfsmittel der vergleichenden Geographie heranwachsen.

Mit einem Wort, das 17. Jahrhundert stellt sich als eine Epoche des Ueberganges und des Fortschrittes dar; es sucht und findet die mächtigen Unterstützungsmittel zur Weiterentwicklung der menschlichen Erkenntniß, welche das 18. Jahrhundert in vollem Umfange anwenden sollte. Jetzt eröffnet sich die Aera der strengeren Wissenschaftlichkeit, mit der wirklich die neuere Zeit ihren Anfang nimmt.

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TextGrid Repository (2012). Verne, Jules. Geographie. Die Entdeckung der Erde. Die Entdeckung der Erde. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-75BD-B