[191] 23. Elegie am Abend nach der zwölften Septembernacht, 1773

Ende Oktober oder Anfang November 1773.


Schweig, getreues Klavier! Dein sympathetischer Seufzer
Weckt den starren Gram, der mir die Seele zerreißt;
Wie der irrende düstre Mond, der weinende Himmel,
Und der Espe Geräusch über dem Grabe der Braut.
Selbst am Busen des Freundes ist jetzt kein Trost! Mich entreißen
Mußt' ich! Auch du, mein Hahn, ließest mich trostlos entfliehn?
Traurige, traurige Nacht! du schwarze Botin des Schicksals!
Deines Gerichts Last drückt, schwer wie ein Fels, mich herab!
Drei auf einmal raubte dein Wink dem seligsten Bunde:
Meine Stolberg', euch, zärtlichster Clauswitz, und dich!
Ach! dem seligsten festesten Bund'! und drei auf einmal!
Und so schleunig! so fern! ach! und auf immer so fern!
Und doch lächeltest du, als dort mit dem Schimmer des Mondes
Uns in der Eichen Graun heiliger Schauer ergriff,
Daß wir dem Vaterlande, der Tugend und Freundschaft schwuren!
Wahrlich! ein edler Schwur, nicht ungesegnet von Gott!
Tretet heran, und zeugt mir's, ihr Tage des goldenen Alters,
Oft bei Liedern und Milch unter dem blühenden Baum,
Oft in den Lauben des Sommers bei blinkenden Kirschen und Erdbeern,
Und dem rheinischen geistflügelnden Nektar, gefei'rt!
Zeug' es, o stille Nacht, die dem mühlenrauschenden Garten,
Nach den Gluten des Tags, Schimmer und Kühlungen troff,
Als durch Balsamviolen und rote Johannsbeerhecken,
Mit verschlungenem Arm, Weisheit und lachender Scherz,
Süß wie Mädchengeflüster in Nachtigallhainen, uns führte,
Und ich leiser empfand, daß ich dich, Selma, nie sah!
Tritt heran, im lyrischen Tanz, mit der Palme Sionas
Und Amaranthen umrauscht, Tag, der den Sänger gebar,
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Gottes und seines Messias und Deutschlands heiligen Sänger!
Brüder, und unsern Freund! kränzt euch mit Rosen das Haupt!
Kränzt der Freiheit und Tugend Altar! und Flammen und Dolche,
Gegen den Frevler gezückt, halle der Opfergesang!
Und – doch entflieht, Gestalten der seligen Abende! Nimmer
Schaut ihr die Frohen hinfort um den vertrauten Kamin!
Still und schwermutsvoll traur't künftig die öde Versammlung;
Furchtsam jeder, woher dieses Verstummen, zu spähn.
Und entsprießen uns seltne Freuden, so sind es nur Blumen
Von dem Grabe der Braut, an der Gespielinnen Brust.
O! wie trog uns die Hoffnung, du Stifterin unsers Bundes,
Zwölfte Septembernacht, feierlich dich zu empfahn!
Dich, die Scheitel umrauscht von der Eiche duftender Jugend,
Mit des stolzen Triumphs lautem Getön zu empfahn!
Feierlich bist du empfangen! Dir tönte Millers Triumphlied:
»Über den Sternen vereint fester die Ewigkeit uns!«
Auch rauscht' Eichengeräusch, die Umarmung war heiß, und Thränen
Mischten zu Thränen sich! Thränen, der Freude gestürzt!...
Miller! du bist mein Freund; doch du hast übel gehandelt,
Daß du dein Taumellied wieder von neuem begannst!
Sahest du nicht, wie schnell mein Leopold mir um den Hals fiel?
Wie der leise Ton zittert' und stockt', und schwieg?
Dich, dich klaget es an, das schreckliche lange Verstummen!
Dich der gebrochne Laut: Lieben, nun ist es Zeit!
Dich der lautere Jammer, die Eile, das Streben, das Ringen,
Und die mit schwimmendem Blick flehende, reißende Flucht!
Alle hätt' ich noch einmal, wie Clauswitz, umarmt, und feurig,
Schnell sie geküßt, und fest, fest an das Herz mir gedrückt!
Aber sie flohn! Bald stehn sie betäubt an Daniens Grenzen.
Schaun noch lange zurück, weinen und fliegen hinweg!
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Und so entfliegen sie alle, vom schicksalschwangeren Wetter
Hiehin und dorthin, wie Spreu, unter die Himmel gestürmt!
Wende den thränenden Blick, mein Esmarch! er thränt nicht um Stolberg!
Nur sechs Abende noch drückst du mir sprachlos die Hand!
Hölty, du zögerst hier, des Liebenden ängstliches Zögern!
Ach! du lauschest nicht mehr Nachtigalltönen mit uns,
Angeblinkt vom grünlichen Schimmer der purpurnen Sonne
Hinter den Saaten! Der Lenz raubt dich und Cramer und Hahn!
Dann noch ein banger Sommer voll Sehnsuchtsthränen; und alle,
Alle sind ferne von mir, trösten durch Briefe den Freund.
Eile, mein Boie, von Albions Flur! Was entweihest du Klopstocks
Psalter vor jenen, die noch Ossians Harfe verschmähn?
Bürger, ich komme nicht mehr von lachenden Freunden begleitet,
Einsam komm' ich und still unter dein ländliches Dach.
Sprich mir, du liebst sie ja auch, mein Bürger! von unsern Geliebten!
Oder ich halt' es nicht aus, eile zu Brückner zurück!
Trostlos wank' ich Verlaßner um jed' einst selige Stätte,
Setze mich thränenvoll, wo mein Geliebter einst saß,
Klag' in wehender Nacht an der herbstlichen Eiche des Bundes:
Ach! dort stand der Mond! Dort entbrannte der Stern!
Hier umarmten wir uns und jauchzten! Der hangende Zweig hier
Kränzt' in Stolbergs Nacht noch den versammelten Bund!
Weinend sink' ich dann auf die kalte Trümmer des Rasens;
Und das sterbende Laub rieselt herunter auf mich ...
Ach! die Thräne versiegt im müden starrenden Auge,
Und der Wächter der Stadt kündet den nahenden Tag.
Führt mich, o Morgenträume, zu Edens blühenden Lauben,
Wo die Ewigkeit uns fester und fester vereint!

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Voß, Johann Heinrich. Gedichte. Oden und Elegien. 23. Elegie am Abend nach der zwölften Septembernacht, 1773. 23. Elegie am Abend nach der zwölften Septembernacht, 1773. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-88F7-C